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Document 62014CJ0376

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 9. Oktober 2014.
C gegen M.
Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court [Irland].
Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Widerrechtliches Zurückhalten – Gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes.
Rechtssache C‑376/14 PPU.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:2268

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

9. Oktober 2014 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Eilvorabentscheidungsverfahren — Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung — Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 — Widerrechtliches Zurückhalten — Gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes“

In der Rechtssache C‑376/14 PPU

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court (Irland) mit Entscheidung vom 31. Juli 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 7. August 2014, in dem Verfahren

C

gegen

M

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 31. Juli 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 7. August 2014, die Vorlage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Dritten Kammer vom 14. August 2014, diesem Antrag stattzugeben,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von C, vertreten durch C. Walsh, Solicitor, R. Costello, BL, und D. Browne, SC,

von M, vertreten durch C. Fitzgerald, SC, und K. Kelly, BL,

der französischen Regierung, vertreten durch F. Gloaguen und F.‑X. Bréchot als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Flynn und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1, im Folgenden: Verordnung).

2

Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen C und M über die Rückführung ihres minderjährigen Kindes, das sich mit seiner Mutter in Irland befindet, nach Frankreich.

Rechtlicher Rahmen

Haager Übereinkommen von 1980

3

Art. 1 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (United Nations Treaty Series, Bd. 1343, Nr. 22514, im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1980) bestimmt:

„Ziel dieses Übereinkommens ist es,

a)

die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen …

…“

4

Art. 3 des Übereinkommens sieht vor:

„Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn

a)

dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und

b)

dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

Das unter Buchstabe a genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.“

5

In Art. 12 des Übereinkommens heißt es:

„Ist ein Kind im Sinn des Artikels 3 widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen, so ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde die sofortige Rückgabe des Kindes an.

…“

6

Art. 19 des Haager Übereinkommens von 1980 lautet:

„Eine aufgrund des Übereinkommens getroffene Entscheidung über die Rückgabe des Kindes ist nicht als Entscheidung über das Sorgerecht anzusehen.“

Unionsrecht

7

Im zwölften Erwägungsgrund der Verordnung heißt es:

„Die in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften wurden dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. …“

8

Art. 2 der Verordnung bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

7.

‚elterliche Verantwortung‘ die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht;

8.

‚Träger der elterlichen Verantwortung‘ jede Person, die die elterliche Verantwortung für ein Kind ausübt;

9.

‚Sorgerecht‘ die Rechte und Pflichten, die mit der Sorge für die Person eines Kindes verbunden sind, insbesondere das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes;

11.

‚widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes‘ das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes, wenn

a)

dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats besteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte,

und

b)

das Sorgerecht zum Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, wenn das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Von einer gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts ist auszugehen, wenn einer der Träger der elterlichen Verantwortung aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes nicht ohne die Zustimmung des anderen Trägers der elterlichen Verantwortung über den Aufenthaltsort des Kindes bestimmen kann.“

9

Kapitel II der Verordnung regelt die Zuständigkeit und enthält in Abschnitt 1 (Art. 3 bis 7) Vorschriften über die Zuständigkeit auf dem Gebiet der Ehescheidung, der Trennung ohne Auflösung des Ehebands und der Ungültigerklärung einer Ehe, in Abschnitt 2 (Art. 8 bis 15) Vorschriften über die Zuständigkeit für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, und in Abschnitt 3 (Art. 16 bis 20) gemeinsame Bestimmungen.

10

Art. 8 („Allgemeine Zuständigkeit“) der Verordnung lautet:

„(1)   Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2)   Absatz 1 findet vorbehaltlich der Artikel 9, 10 und 12 Anwendung.“

11

Art. 9 („Aufrechterhaltung der Zuständigkeit des früheren gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes“) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Beim rechtmäßigen Umzug eines Kindes von einem Mitgliedstaat in einen anderen, durch den es dort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt, verbleibt abweichend von Artikel 8 die Zuständigkeit für eine Änderung einer vor dem Umzug des Kindes in diesem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung über das Umgangsrecht während einer Dauer von drei Monaten nach dem Umzug bei den Gerichten des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, wenn sich der laut der Entscheidung über das Umgangsrecht umgangsberechtigte Elternteil weiterhin gewöhnlich in dem Mitgliedstaat des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes aufhält.“

12

Nach Art. 10 („Zuständigkeit in Fällen von Kindesentführung“) bleiben bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, sofern bestimmte in dieser Bestimmung angeführte Voraussetzungen erfüllt sind.

13

Art. 11 („Rückgabe des Kindes“) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Beantragt eine sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Entscheidung auf der Grundlage des Haager Übereinkommens [von 1980], um die Rückgabe eines Kindes zu erwirken, das widerrechtlich in einen anderen als den Mitgliedstaat verbracht wurde oder dort zurückgehalten wird, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so gelten die Absätze 2 bis 8.“

14

In Art. 12 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) der Verordnung heißt es:

„(1)   Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem nach Artikel 3 über einen Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zu entscheiden ist, sind für alle Entscheidungen zuständig, die die mit diesem Antrag verbundene elterliche Verantwortung betreffen, wenn

a)

zumindest einer der Ehegatten die elterliche Verantwortung für das Kind hat

und

b)

die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von den Ehegatten oder von den Trägern der elterlichen Verantwortung zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt wurde und im Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.

(2)   Die Zuständigkeit gemäß Absatz 1 endet,

a) sobald die stattgebende oder abweisende Entscheidung über den Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe rechtskräftig geworden ist,

b) oder in den Fällen, in denen zu dem unter Buchstabe a) genannten Zeitpunkt noch ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung anhängig ist, sobald die Entscheidung in diesem Verfahren rechtskräftig geworden ist,

c) oder sobald die unter den Buchstaben a) und b) genannten Verfahren aus einem anderen Grund beendet worden sind.

(3)   Die Gerichte eines Mitgliedstaats sind ebenfalls zuständig in Bezug auf die elterliche Verantwortung in anderen als den in Absatz 1 genannten Verfahren, wenn

a)

eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt,

und

b)

alle Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt haben und die Zuständigkeit in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.

…“

15

Art. 19 („Rechtshängigkeit und abhängige Verfahren“) sieht vor:

„(1)   Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Anträge auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zwischen denselben Parteien gestellt, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist.

(2)   Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung für ein Kind wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist.

…“

16

Kapitel III der Verordnung regelt die Anerkennung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten und die Vollstreckung dieser Entscheidungen. Art. 24 („Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats“) der Verordnung in Abschnitt 1 („Anerkennung“) dieses Kapitels bestimmt:

„Die Zuständigkeit des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats darf nicht überprüft werden. Die Überprüfung der Vereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung gemäß Artikel 22 Buchstabe a) und Artikel 23 Buchstabe a) darf sich nicht auf die Zuständigkeitsvorschriften der Artikel 3 bis 14 erstrecken.“

17

Art. 28 Abs. 1 der Verordnung in Abschnitt 2 („Antrag auf Vollstreckbarerklärung“) des Kapitels III sieht vor:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar sind und die zugestellt worden sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag einer berechtigten Partei für vollstreckbar erklärt wurden.“

Irisches Recht

18

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass der Child Abduction and Enforcement of Custody Orders Act, 1991 in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz von 1991 über Kindesentführung und die Vollstreckung von Entscheidungen betreffend das Sorgerecht) dem Haager Übereinkommen von 1980 im irischen Recht Wirkung verleiht. Dieses Gesetz wurde durch die European Communities (Judgments in Matrimonial Matters and Matters of Parental Responsibility) Regulations 2005 (Verordnung von 2005 zur Durchführung von Gemeinschaftsrecht – Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung) geändert, um in unter das Haager Übereinkommen von 1980 fallenden Rechtssachen, an denen Mitgliedstaaten beteiligt sind, der Verordnung Rechnung zu tragen.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

19

C, französischer Staatsangehöriger, und M, britische Staatsangehörige, schlossen am 24. Mai 2008 in Frankreich die Ehe. Das aus dieser Verbindung am 14. Juli 2008 hervorgegangene Kind wurde auch in Frankreich geboren. Da sich die Beziehung zwischen den Eltern rasch verschlechterte, reichte M am 17. November 2008 die Scheidung ein. Daraufhin strengten der Vater und die Mutter sowohl vor als auch nach dem Scheidungsurteil zahlreiche das Kind betreffende Verfahren in Frankreich an, und der Vater beantragte beim High Court (Irland) die Rückführung des Kindes nach Frankreich. Nur das Scheidungsurteil sowie die späteren Ereignisse und Verfahren sind für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen maßgeblich.

Scheidungsurteil und nachfolgende Ereignisse und Gerichtsverfahren

20

Die auf beiderseitiges Verschulden der Ehegatten gestützte Scheidung wurde durch das Tribunal de grande instance d’Angoulême (Frankreich) mit Urteil vom 2. April 2012 (im Folgenden: Urteil vom 2. April 2012) ausgesprochen. In diesem Urteil wurde festgelegt, dass die Scheidung zwischen den Ehegatten am 7. April 2009 wirksam wird, dass die elterliche Sorge für das Kind von beiden Eltern gemeinsam ausgeübt wird und dass das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt ab dem 7. Juli 2012 bei der Mutter hat. Für den Fall, dass die Parteien kein Einvernehmen erzielen, wurde das Umgangs- und Aufnahmerecht des Vaters geregelt, indem verschiedene Modalitäten vorgesehen wurden, je nachdem, ob die Mutter ihren Wohnsitz in Frankreich nimmt oder Frankreich verlässt, um in Irland zu leben. In diesem Urteil wird ausgeführt, dass die Mutter „ihren Wohnsitz nach Irland verlegen“ darf, und im Tenor festgestellt, dass das Urteil „bezüglich der das Kind betreffenden Bestimmungen von Rechts wegen vorläufig vollstreckbar ist“.

21

Am 23. April 2012 legte C ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein, das er auf die das Kind betreffenden Maßnahmen und seine Verurteilung zur Zahlung eines bestimmten Betrags an M als Vorschuss auf ihren Anteil an der Gütergemeinschaft beschränkte. Am 5. Juli 2012 wies der Erste Präsident der Cour d’appel de Bordeaux (Frankreich) seinen Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils zurück.

22

Am 12. Juli 2012 begab sich M mit dem Kind nach Irland, wo sich beide seitdem aufhalten. Nach der Vorlageentscheidung hat sie sich nicht an die Verfügungen des Urteils vom 2. April 2012 über das Umgangs- und Aufnahmerecht des Vaters gehalten.

23

Mit Urteil vom 5. März 2013 hob die Cour d’appel de Bordeaux das Urteil vom 2. April 2012 bezüglich der Verfügungen über den Aufenthalt des Kindes, das Umgangs- und Aufnahmerecht und die Zahlung des Vorschusses auf den Gütergemeinschaftsanteil auf. Es ordnete an, dass das Kind beim Vater wohnt, und sah ein Umgangs- und Aufnahmerecht der Mutter vor.

24

Am 31. März 2013 beantragte C unter Berufung insbesondere darauf, dass M sich weigere, das Kind herauszugeben, beim Familiengericht des Tribunal de grande instance de Niort (Frankreich), ihm die alleinige elterliche Verantwortung zu übertragen, die Rückkehr des Kindes in seine Wohnung unter Androhung eines Zwangsgelds anzuordnen und ein Verbringen des Kindes aus Frankreich ohne seine Zustimmung zu untersagen. Am 10. Juli 2013 gab das Familiengericht des Tribunal de grande instance de Niort diesen Anträgen statt.

25

Am 18. Dezember 2013 beantragte C beim High Court auf der Grundlage von Art. 28 der Verordnung, das Urteil der Cour d’appel de Bordeaux vom 5. März 2013 für vollstreckbar zu erklären. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Am 9. Mai 2014 beantragte M, die am 7. Januar 2014 eine Kassationsbeschwerde gegen dieses Urteil erhoben hatte, die derzeit bei der Cour de cassation (Frankreich) anhängig ist, jedoch beim High Court eine Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens.

Urteil des High Court und Vorlageentscheidung

26

Am 29. Mai 2013 beantragte C beim High Court, gemäß Art. 12 des Haager Übereinkommens von 1980, den Art. 10 und 11 der Verordnung und dem Gesetz von 1991 über Kindesentführung und die Vollstreckung von Entscheidungen betreffend das Sorgerecht die Rückführung des Kindes nach Frankreich anzuordnen und festzustellen, dass die Mutter es widerrechtlich in Irland zurückhalte.

27

Mit Urteil vom 13. August 2013 wies der High Court diese Anträge zurück und führte im Wesentlichen aus, dass die Verbringung des Kindes nach Irland rechtmäßig gewesen sei, da sie auf der Grundlage eines sie gestattenden Urteils eines französischen Gerichts erfolgt sei, dass der Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils vom 2. April 2012 zurückgewiesen worden sei, dass dieses Urteil rechtskräftig sei, da es sich weder um einen Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes noch um eine befristete oder vorläufige Entscheidung handele, und dass es innerhalb der in Art. 9 der Verordnung genannten Dreimonatsfrist weder geändert noch auf ein Rechtsmittel hin aufgehoben worden sei. Er schloss daraus, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht dadurch bedingt geworden sei, dass C gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel eingelegt habe, und dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits im Wesentlichen von einer Tatsachenwürdigung abhänge, da der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ nichts enthalte, was einer Änderung dieses Aufenthalts entgegenstehe. Die Verordnung fasse im Übrigen die Situation ins Auge, dass eine solche Änderung vor dem Übergang der Zuständigkeit erfolge. In Anbetracht der tatsächlichen Umstände war der High Court der Auffassung, dass das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Irland gehabt habe, seit die Mutter es mit der Absicht, sich dort niederzulassen, in diesen Mitgliedstaat gebracht habe.

28

C legte gegen dieses Urteil am 10. Oktober 2013 ein Rechtsmittel ein und machte insbesondere geltend, dass die Rechtmäßigkeit der Verbringung des Kindes nach Irland keine Änderung seines gewöhnlichen Aufenthalts bedeute und eine rechtmäßige Verbringung ein widerrechtliches Zurückhalten nicht ausschließe. Das Urteil vom 2. April 2012 sei vorläufig vollstreckbar und damit befristet gewesen, solange das dagegen eingelegte Rechtsmittel noch anhängig gewesen sei. Die Mutter habe vor den französischen Gerichten nicht angegeben, dass sie die Betreuung des Kindes in Irland sicherzustellen beabsichtige, und die Zuständigkeit der französischen Gerichte nie bestritten oder geltend gemacht, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes geändert habe. Es sei die klare Absicht der französischen Gerichte, ihre Zuständigkeit in Bezug auf das Sorgerecht zu behalten. Die irischen Gerichte seien an die Entscheidungen der französischen Gerichte gebunden, die zuerst befasst worden und für das Sorgerecht weiter zuständig seien. Schließlich habe der High Court Art. 9 der Verordnung falsch ausgelegt.

29

M entgegnete insbesondere, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes anhand der tatsächlichen Umstände zu prüfen sei. Dieser Aufenthalt habe sich nach der Verbringung des Kindes nach Irland im Einklang mit dem Urteil vom 2. April 2012 geändert, das es ihr erlaubt habe, allein über den Aufenthaltsort des Kindes zu entscheiden, so dass keine Verletzung des Sorgerechts vorliege. Weder die Natur dieses Urteils noch das dagegen eingelegte Rechtsmittel verhinderten eine solche tatsächliche Wohnsitzverlegung. Hinsichtlich des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts verweist M auf die Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen A (C‑523/07, EU:C:2009:225) und Mercredi (C‑497/10 PPU, EU:C:2010:829).

30

Das vorlegende Gericht führt aus, dass der Ausgangsrechtsstreit Fragen nach der Auslegung der Art. 2, 12, 19 und 24 der Verordnung aufwerfe. Die französischen Gerichte seien im Sinne der Verordnung zuerst befasst worden, und ihre Zuständigkeit sei zu diesem Zeitpunkt von beiden Elternteilen eindeutig akzeptiert worden. Diese Gerichte machten geltend, sie seien trotz des Aufenthalts des Kindes in Irland für die Entscheidungen über die elterliche Verantwortung zuständig geblieben. Sollte dies der Fall sein, habe die Mutter das Kind seit der ersten Verletzung des im Urteil vom 2. April 2012 festgelegten Umgangs- und Aufnahmerechts widerrechtlich zurückgehalten. Es stelle sich daher die Frage, ob diese Zuständigkeit in Anbetracht von Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und b der Verordnung entfallen sei. Art. 19 Abs. 2 der Verordnung finde Anwendung.

31

Unter Verweis auf die Urteile A (EU:C:2009:225) und Mercredi (EU:C:2010:829) führt das vorlegende Gericht weiter aus, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, der in der Verordnung nicht definiert sei, stets eine Tatsachenfrage sei und dass insbesondere die Umstände des Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat und die Gründe für diesen Aufenthalt zu berücksichtigen seien. Daher sei die Frage zu beantworten, ob die französischen Gerichte weiterhin befasst seien oder ob die Mutter und das Kind nach dem Unionsrecht ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Irland hätten begründen dürfen.

32

Unter diesen Umständen hat der Supreme Court das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Schließt die Existenz französischer Verfahren über die Sorge für die Person des Kindes unter den Umständen dieser Rechtssache die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Irland aus?

2.

Haben der Vater oder die französischen Gerichte weiter das Sorgerecht für das Kind, so dass das Kind in Irland widerrechtlich zurückgehalten wird?

3.

Sind die irischen Gerichte befugt, die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Anbetracht dessen zu beurteilen, dass es sich seit Juli 2012 in Irland aufhält, wobei seine damalige Verbringung nach Irland nicht gegen französisches Recht verstieß?

Zum Eilverfahren

33

Der Supreme Court hat beantragt, die Vorlage zur Vorabentscheidung dem Eilvorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen, da gemäß dem 17. Erwägungsgrund der Verordnung bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes dessen Rückgabe unverzüglich erwirkt werden sollte.

34

In diesem Zusammenhang ist erstens festzustellen, dass die Vorlage zur Vorabentscheidung die Auslegung der Verordnung betrifft, die u. a. auf der Grundlage von Art. 61 Buchst. c EG, nunmehr Art. 67 AEUV, erlassen wurde. Art. 67 AEUV gehört zu Titel V des den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffenden Dritten Teils des AEU-Vertrags, so dass diese Vorlage in den Anwendungsbereich des in Art. 107 der Verfahrensordnung geregelten Eilvorabentscheidungsverfahrens fällt.

35

Zweitens ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass dem Vater seit der Verbringung seines heute sechsjährigen Kindes nach Irland am 12. Juli 2012 ein regelmäßiger Kontakt mit diesem verwehrt wird, obwohl im Urteil vom 2. April 2012 das Sorgerecht für das Kind beiden Elternteilen übertragen und dem Vater ein Umgangs- und Aufnahmerecht gewährt worden war und in dem dieses Urteil teilweise aufhebenden Urteil der Cour d’appel de Bordeaux vom 5. März 2013 angeordnet wurde, dass das Kind beim Vater wohnt. Da die Vorlage zur Vorabentscheidung im Rahmen eines Rechtsstreits erfolgt ist, der einen Antrag des Vaters auf Rückführung des Kindes nach Frankreich zum Gegenstand hat, und die Antworten auf die Vorlagefragen ausschlaggebend für die Entscheidung dieses Rechtsstreits sind, könnte eine Verzögerung der Entscheidung der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Vater und Kind und bei einer Rückkehr nach Frankreich der Integration des Kindes in sein neues familiäres und soziales Umfeld schaden.

36

Daher hat die Dritte Kammer des Gerichtshofs auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren zu unterwerfen, stattzugeben.

Zu den Vorlagefragen

Zu den einschlägigen Bestimmungen der Verordnung

37

Es ist erstens darauf hinzuweisen, dass im Ausgangsrechtsstreit kein Kompetenzkonflikt zwischen den französischen und irischen Gerichten besteht oder droht, so dass die vom vorlegenden Gericht angeführten Art. 12 und 19 der Verordnung für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht maßgebend sind.

38

Zum einen steht nämlich fest, dass das Kind zu dem Zeitpunkt, zu dem das Tribunal de grande instance d’Angoulême und die Cour d’appel de Bordeaux befasst wurden, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte, so dass diese Gerichte gemäß Art. 8 der Verordnung für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, zuständig waren.

39

Zum anderen wurde am 29. Mai 2013 beim High Court ein Antrag gemäß Art. 12 des Haager Übereinkommens von 1980, den Art. 10 und 11 der Verordnung und dem Gesetz von 1991 über Kindesentführung und die Vollstreckung von Entscheidungen betreffend das Sorgerecht auf Rückführung des Kindes nach Frankreich gestellt.

40

Eine solche Klage, die die Rückführung des widerrechtlich in einen anderen Mitgliedstaat verbrachten oder dort zurückgehaltenen Kindes in den Ursprungsmitgliedstaat zum Gegenstand hat, betrifft nicht die elterliche Verantwortung und daher nicht denselben Anspruch wie eine Klage auf Entscheidung darüber (vgl. Urteil Purrucker, C‑296/10, EU:C:2010:665, Rn. 68). Außerdem ist nach Art. 19 des Haager Übereinkommens von 1980 die aufgrund des Übereinkommens getroffene Entscheidung über die Rückgabe nicht als Entscheidung über das Sorgerecht anzusehen. Daher kann im Verhältnis zwischen solchen Klagen keine Rechtshängigkeit vorliegen.

41

Hinzu kommt, dass auch Art. 10 der Verordnung im Ausgangsverfahren nicht anwendbar ist, da dieses nicht die elterliche Verantwortung betrifft.

42

Zweitens ist festzustellen, dass für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits weder der vom High Court in seinem Urteil vom 13. August 2013 angeführte Art. 9 der Verordnung, der die Aufrechterhaltung der Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats des früheren gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes bezüglich des Umgangsrechts während eines bestimmten Zeitraums betrifft, noch der vom vorlegenden Gericht erwähnte Art. 24 der Verordnung maßgebend ist, der zu Abschnitt 1 über die Anerkennung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in Kapitel III der Verordnung gehört. Der Ausgangsrechtsstreit wirft nämlich, wie sich aus den vorstehenden Feststellungen ergibt, weder eine Frage nach der Zuständigkeit für die Entscheidung über ein Umgangsrecht noch eine Frage nach der Anerkennung einer Entscheidung eines französischen Gerichts in Irland auf.

43

Drittens ist festzustellen, dass hingegen Art. 2 Nr. 11 der Verordnung, in dem der Begriff „widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes“ definiert ist, und Art. 11 der Verordnung maßgebend sind, der die Bestimmungen des Haager Übereinkommens von 1980 ergänzt und Anwendung findet, wenn, wie im Ausgangsrechtsstreit, bei einem Gericht der Europäischen Union auf der Grundlage dieses Übereinkommens ein Antrag auf Rückführung eines Kindes, das widerrechtlich in einen Mitgliedstaat verbracht wurde oder dort zurückgehalten wird, in einen anderen Mitgliedstaat anhängig ist.

Zur ersten und zur dritten Frage

44

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Kind im Ausgangsrechtsstreit im Anschluss an das Urteil vom 2. April 2012, in dem der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes bei der Mutter bestimmt und dieser gestattet wurde, „ihren Wohnsitz nach Irland [zu] verlegen“, rechtmäßig von Frankreich nach Irland verbracht wurde. Dieses Urteil war, wie die französische Regierung in Beantwortung eines Auskunftsverlangens des Gerichtshofs und in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, zwar nicht rechtskräftig, da ein Rechtsmittel eingelegt werden konnte, aber seine das Kind betreffenden Verfügungen waren vorläufig vollstreckbar. Das Urteil, gegen das vor der Verbringung des Kindes Rechtsmittel eingelegt wurde, wurde knapp acht Monate nach der Verbringung des Kindes nach Irland durch das Urteil der Cour d’appel de Bordeaux vom 5. März 2013 aufgehoben, mit dem der Aufenthalt des Kindes bei seinem in Frankreich wohnenden Vater bestimmt wurde. Dieses Urteil, gegen das M Kassationsbeschwerde eingelegt hat, ist nach den Angaben der französischen Regierung vollstreckbar und rechtskräftig, da eine Kassationsbeschwerde im französischen Recht keine aufschiebende Wirkung hat.

45

Daher ist in Anbetracht der Ausführungen in den Rn. 37 bis 43 des vorliegenden Urteils davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten und seiner dritten Frage wissen möchte, ob Art. 2 Nr. 11 und Art. 11 der Verordnung dahin auszulegen sind, dass in dem Fall, dass die Verbringung des Kindes im Einklang mit einer vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung erfolgt ist, die später durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben wurde, mit der der Aufenthalt des Kindes bei dem im Ursprungsmitgliedstaat wohnenden Elternteil bestimmt wurde, das mit einem Antrag auf Rückgabe des Kindes befasste Gericht des Mitgliedstaats, in den das Kind verbracht wurde, im Zuge einer Würdigung sämtlicher besonderen Umstände des Einzelfalls prüfen muss, ob das Kind unmittelbar vor dem behaupteten widerrechtlichen Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch im Ursprungsmitgliedstaat hatte.

46

Hierzu ist festzustellen, dass nach der Definition des widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens in Art. 2 Nr. 11 der Verordnung, die ganz ähnlich formuliert ist wie die in Art. 3 des Haager Übereinkommens von 1980, das Verbringen oder Zurückhalten nur dann als widerrechtlich im Sinne der Verordnung angesehen werden kann, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats besteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

47

Aus dieser Definition ergibt sich, dass ein Verbringen oder Zurückhalten dann widerrechtlich im Sinne von Art. 2 Nr. 11 der Verordnung ist, wenn das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsmitgliedstaat hatte und es unter Verletzung des nach dem Recht dieses Mitgliedstaats übertragenen Sorgerechts erfolgt.

48

Nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung gelten die Abs. 2 bis 8 dieses Artikels, wenn der Sorgeberechtigte bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Entscheidung auf der Grundlage des Haager Übereinkommens von 1980 beantragt, um die Rückgabe eines Kindes zu erwirken, das widerrechtlich „in einen anderen als den Mitgliedstaat verbracht wurde oder dort zurückgehalten wird, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte“. Folglich gelten sie nicht, wenn das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Ursprungsmitgliedstaat hatte.

49

Es ergibt sich demnach sowohl aus Art. 2 Nr.11 als auch aus Art. 11 Abs. 1 der Verordnung, dass Art. 11 nur angewandt werden kann, um dem Rückgabeantrag stattzugeben, wenn das Kind unmittelbar vor dem behaupteten widerrechtlichen Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsmitgliedstaat hatte.

50

Zum Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ hat der Gerichtshof in Auslegung von Art. 8 der Verordnung im Urteil A (EU:C:2009:225) und der Art. 8 und 10 der Verordnung im Urteil Mercredi (EU:C:2010:829) bereits festgestellt, dass die Verordnung keine Definition dieses Begriffs enthält und dass dessen Sinn und Bedeutung anhand des Ziels zu ermitteln ist, das namentlich aus dem zwölften Erwägungsgrund der Verordnung hervorgeht, wonach die in ihr festgelegten Zuständigkeitsvorschriften dem Wohl des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet wurden (Urteile A, EU:C:2009:225, Rn. 31 und 35, sowie Mercredi, EU:C:2010:829, Rn. 44 und 46).

51

In diesen Urteilen hat der Gerichtshof außerdem entschieden, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes vom nationalen Gericht unter Berücksichtigung aller besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls festzustellen ist (Urteile A, EU:C:2009:225, Rn. 37 und 44, sowie Mercredi, EU:C:2010:829, Rn. 47 und 56). Er hat in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt, dass neben der körperlichen Anwesenheit des Kindes in einem Mitgliedstaat andere Faktoren heranzuziehen sind, die belegen können, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende oder gelegentliche Anwesenheit handelt und dass der Aufenthalt des Kindes Ausdruck einer gewissen Integration in ein soziales und familiäres Umfeld ist (Urteile A, EU:C:2009:225, Rn. 38 und 44, sowie Mercredi, EU:C:2010:829, Rn. 47, 49 und 56).

52

Der Gerichtshof hat festgestellt, dass hierfür insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen sind (Urteile A, EU:C:2009:225, Rn. 39 und 44, sowie Mercredi,EU:C:2010:829, Rn. 48, 49 und 56). Er hat weiter ausgeführt, dass die Absicht der Eltern oder eines Elternteils, sich mit dem Kind dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, die sich in bestimmten äußeren Umständen, wie in dem Erwerb oder der Anmietung einer Wohnung in diesem Mitgliedstaat, manifestiert, ein Indiz für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sein kann (vgl. Urteile A, EU:C:2009:225, Rn. 40 und 44, sowie Mercredi, EU:C:2010:829, Rn. 50).

53

Darüber hinaus hat der Gerichtshof in den Rn. 51 bis 56 des Urteils Mercredi (EU:C:2010:829) entschieden, dass die Dauer des Aufenthalts im Rahmen der Beurteilung aller besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls nur als Indiz dienen kann, und die Gesichtspunkte angeführt, die bei einem Kind von geringem Alter zu berücksichtigen sind.

54

Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ des Kindes in Art. 2 Nr. 11 und Art. 11 der Verordnung kann keinen anderen als den in den genannten Urteilen im Zusammenhang mit den Art. 8 und 10 der Verordnung erläuterten Inhalt haben. Daher ergibt sich aus den in den Rn. 46 bis 53 des vorliegenden Urteils angeführten Erwägungen, dass das mit einem Rückgabeantrag nach dem Haager Übereinkommen von 1980 und Art. 11 der Verordnung befasste Gericht des Mitgliedstaats, in den das Kind verbracht worden ist, unter Berücksichtigung aller besonderen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls und Heranziehung der in diesen Urteilen genannten Beurteilungskriterien zu prüfen hat, ob das Kind unmittelbar vor dem behaupteten widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsmitgliedstaat hatte.

55

Bei der Prüfung namentlich der Gründe für den Aufenthalt des Kindes im Mitgliedstaat, in das es verbracht wurde, und der Absicht des Elternteils, der es dorthin mitgenommen hat, ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zu berücksichtigen, dass die gerichtliche Entscheidung, die die Verbringung gestattet hat, vorläufig vollstreckbar und mit einem Rechtsmittel angefochten war. Diese Gesichtspunkte lassen nämlich nicht auf eine Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes schließen, da die gerichtliche Entscheidung vorläufiger Natur war und der Elternteil zum Zeitpunkt der Verbringung nicht sicher sein konnte, dass der Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat nicht vorübergehend sein würde.

56

In Anbetracht der Notwendigkeit, das Wohl des Kindes zu schützen, sind diese Gesichtspunkte bei der Beurteilung aller besonderen Umstände des Einzelfalls gegen andere Gesichtspunkte abzuwägen, die eine gewisse Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld seit seiner Verbringung belegen können, wie die in Rn. 52 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkte, namentlich die Zeit, die zwischen der Verbringung und der gerichtlichen Entscheidung vergangen ist, mit der die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und der Aufenthalt des Kindes beim im Ursprungsmitgliedstaat wohnenden Elternteil bestimmt wurde. Dagegen darf die Zeit, die seit dieser Entscheidung vergangen ist, keinesfalls berücksichtigt werden.

57

Nach alledem ist auf die erste und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 2 Nr. 11 und Art. 11 der Verordnung dahin auszulegen sind, dass in dem Fall, dass die Verbringung des Kindes im Einklang mit einer vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung erfolgt ist, die später durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben wurde, mit der der Aufenthalt des Kindes bei dem im Ursprungsmitgliedstaat wohnenden Elternteil bestimmt wurde, das mit einem Antrag auf Rückgabe des Kindes befasste Gericht des Mitgliedstaats, in den das Kind verbracht wurde, im Zuge einer Beurteilung aller besonderen Umstände des Einzelfalls zu prüfen hat, ob das Kind unmittelbar vor dem behaupteten widerrechtlichen Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch im Ursprungsmitgliedstaat hatte. Im Rahmen dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die die Verbringung gestattende Gerichtsentscheidung vorläufig vollstreckbar und mit einem Rechtsmittel angefochten war.

Zur zweiten Frage

58

Da die französische Regierung und die Kommission Bedenken bezüglich der Zulässigkeit der zweiten Frage äußern, da diese die Auslegung des Haager Übereinkommens von 1980 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in den Nrn. 54 bis 57 seiner Stellungnahme ausgeführt hat, die erbetene Auslegung für eine einheitliche Anwendung der Verordnung und des Übereinkommens in der Union erforderlich ist, da die Verordnung in einigen ihrer Bestimmungen den Wortlaut des Übereinkommens übernimmt oder sich auf dieses bezieht, und für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht unerheblich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil McB., C‑400/10 PPU, EU:C:2010:582, Rn. 32 bis 37).

59

Vorab ist in der Sache erstens festzustellen, dass die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass ein Gericht nach französischem Recht nicht sorgeberechtigt sein könne.

60

Zweitens ist insoweit, als das vorlegende Gericht die Frage der Zuständigkeit der französischen Gerichte für die Entscheidung über das Sorgerecht für das Kind mit der Frage der Widerrechtlichkeit des Zurückhaltens zu verknüpfen scheint, darauf hinzuweisen, dass, wie in Rn. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Cour d’appel de Bordeaux nach Art. 8 der Verordnung zuständig war, als sie mit Urteil vom 5. März 2013 angeordnet hat, dass das Kind beim Vater wohnt. Dies sagt jedoch nichts über die Widerrechtlichkeit des Zurückhaltens des Kindes im Sinne der Verordnung aus, da sich diese nicht aus der Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats an sich, sondern, wie in Rn. 47 des vorliegenden Urteils ausgeführt, aus einer Verletzung des nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats übertragenen Sorgerechts ergibt.

61

Drittens ist zu beachten, dass nach Art. 2 Nr. 11 der Verordnung die Definition des „widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens“ keine Verletzung eines Umgangs- und Aufnahmerechts enthält.

62

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage wissen möchte, ob die Verordnung dahin auszulegen ist, dass in dem Fall, dass die Verbringung des Kindes im Einklang mit einer vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung erfolgt ist, die später durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben wurde, mit der der Aufenthalt des Kindes bei dem im Ursprungsmitgliedstaat wohnenden Elternteil bestimmt wurde, die unterlassene Rückführung des Kindes in diesen Mitgliedstaat im Anschluss an diese zweite Entscheidung widerrechtlich ist, so dass Art. 11 der Verordnung Anwendung findet.

63

Hierzu genügt die Feststellung, dass es eine Verletzung des Sorgerechts im Sinne der Verordnung darstellt, wenn das Kind im Anschluss an eine gerichtliche Entscheidung des Ursprungsmitgliedstaats, mit der der Aufenthalt des Kindes bei dem dort wohnenden Elternteil bestimmt wurde, nicht dorthin zurückgeführt wird, da das Sorgerecht nach Art. 2 Nr. 9 der Verordnung das Recht auf Bestimmung des Aufenthaltsorts des Kindes umfasst. Das Zurückhalten des Kindes unter Verstoß gegen eine solche Entscheidung ist daher widerrechtlich im Sinne der Verordnung. Deren Art. 11 findet somit Anwendung, wenn das Kind unmittelbar vor diesem Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsmitgliedstaat hatte.

64

Wird entschieden, dass diese den Aufenthalt betreffende Voraussetzung nicht erfüllt war, ergeht die Entscheidung über die Zurückweisung des auf Art. 11 der Verordnung gestützten Rückgabeantrags – die nicht als Entscheidung über das Sorgerecht anzusehen ist, über das das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats bereits entschieden hat – unbeschadet der Anwendung der Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in Kapitel III der Verordnung.

65

Die unterlassene Rückführung des Kindes nach Frankreich im Ausgangsverfahren stellt somit eine Verletzung des aufgrund des Urteils der Cour d’appel de Bordeaux vom 5. März 2013 bestehenden Sorgerechts im Sinne der Verordnung dar. Dies hat zur Folge, dass das Zurückhalten widerrechtlich im Sinne der Verordnung ist und dem Rückgabeantrag nach deren Art. 11 stattgegeben werden kann, wenn das zuständige irische Gericht der Auffassung ist, dass das Kind unmittelbar vor diesem Urteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte. Ist dieses Gericht dagegen der Ansicht, dass das Kind zu dieser Zeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Irland hatte, ergeht seine Entscheidung, den Rückgabeantrag zurückzuweisen, unbeschadet der Anwendung der Vorschriften des Kapitels III zur Erwirkung der Vollstreckung des genannten Urteils.

66

Für diesen letztgenannten Fall ist darauf hinzuweisen, dass der Verordnung nach ihrem 21. Erwägungsgrund die Vorstellung zugrunde liegt, dass die Anerkennung und Vollstreckung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhen und die Gründe für die Nichtanerkennung auf das notwendige Minimum beschränkt sein sollten (Urteil Rinau, C‑195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 50).

67

Der Umstand, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Anschluss an ein erstinstanzliches Urteil möglicherweise während des Rechtsmittelverfahrens geändert hat und dass das mit einem Rückgabeantrag nach dem Haager Übereinkommen von 1980 und Art. 11 der Verordnung befasste Gericht diese Änderung gegebenenfalls feststellt, kann kein Gesichtspunkt sein, auf den sich der Elternteil, der ein Kind unter Verletzung des Sorgerechts zurückhält, berufen kann, um die durch sein rechtswidriges Handeln geschaffene Sachlage aufrechtzuerhalten und sich der Vollstreckung der im Ursprungsmitgliedstaat ergangenen Entscheidung über die elterliche Verantwortung zu widersetzen, die dort vollstreckbar ist und zugestellt worden ist. Der in Abschnitt 2 des Kapitels III der Verordnung vorgesehene Mechanismus würde nämlich umgangen und ausgehöhlt, wenn die von einem mit einem solchen Antrag befassten Gericht getroffene Feststellung, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes geändert hat, es ermöglichen würde, diese Sachlage aufrechtzuerhalten und die Vollstreckung einer solchen Entscheidung zu verhindern.

68

Ebenso wenig kann sich in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine solche Entscheidung des Ursprungsmitgliedstaats über die Ausübung der elterlichen Verantwortung auf die Vollstreckung dieser Entscheidung auswirken.

69

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Verordnung dahin auszulegen ist, dass in dem Fall, dass die Verbringung des Kindes im Einklang mit einer vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung erfolgt ist, die später durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben wurde, mit der der Aufenthalt des Kindes bei dem im Ursprungsmitgliedstaat wohnenden Elternteil bestimmt wurde, die unterlassene Rückführung des Kindes in diesen Mitgliedstaat im Anschluss an diese zweite Entscheidung widerrechtlich ist und Art. 11 der Verordnung Anwendung findet, wenn angenommen wird, dass das Kind unmittelbar vor diesem Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch im Ursprungsmitgliedstaat hatte. Wird dagegen angenommen, dass das Kind zu diesem Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Ursprungsmitgliedstaat hatte, ergeht die Entscheidung über die Zurückweisung des auf diese Bestimmung gestützten Rückgabeantrags unbeschadet der Anwendung der Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in Kapitel III der Verordnung.

Kosten

70

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 2 Nr. 11 und Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 sind dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass die Verbringung des Kindes im Einklang mit einer vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung erfolgt ist, die später durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben wurde, mit der der Aufenthalt des Kindes bei dem im Ursprungsmitgliedstaat wohnenden Elternteil bestimmt wurde, das mit einem Antrag auf Rückgabe des Kindes befasste Gericht des Mitgliedstaats, in den das Kind verbracht wurde, im Zuge einer Beurteilung aller besonderen Umstände des Einzelfalls zu prüfen hat, ob das Kind unmittelbar vor dem behaupteten widerrechtlichen Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch im Ursprungsmitgliedstaat hatte. Im Rahmen dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die die Verbringung gestattende Gerichtsentscheidung vorläufig vollstreckbar und mit einem Rechtsmittel angefochten war.

 

2.

Die Verordnung Nr. 2201/2003 ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass die Verbringung des Kindes im Einklang mit einer vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung erfolgt ist, die später durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben wurde, mit der der Aufenthalt des Kindes bei dem im Ursprungsmitgliedstaat wohnenden Elternteil bestimmt wurde, die unterlassene Rückführung des Kindes in diesen Mitgliedstaat im Anschluss an diese zweite Entscheidung widerrechtlich ist und Art. 11 der Verordnung Anwendung findet, wenn angenommen wird, dass das Kind unmittelbar vor diesem Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch im Ursprungsmitgliedstaat hatte. Wird dagegen angenommen, dass das Kind zu diesem Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Ursprungsmitgliedstaat hatte, ergeht die Entscheidung über die Zurückweisung des auf diese Bestimmung gestützten Rückgabeantrags unbeschadet der Anwendung der Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in Kapitel III der Verordnung.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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