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Dokument 62015CJ0215

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 21. Oktober 2015.
Vasilka Ivanova Gogova gegen Ilia Dimitrov Iliev.
Vorabentscheidungsersuchen des Varhoven kasatsionen sad.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Anwendungsbereich – Art. 1 Abs. 1 Buchst. b – Zuweisung, Ausübung, Übertragung sowie vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung – Art. 2 – Begriff ‚elterliche Verantwortung‘ – Rechtsstreit zwischen den Eltern wegen der Reise ihres Kindes und der Ausstellung eines Reisepasses an dieses Kind – Zuständigkeitsvereinbarung – Art. 12 – Voraussetzungen – Anerkennung der Zuständigkeit der angerufenen Gerichte – Nichteinlassung des Beklagten – Keine Rüge der fehlenden Zuständigkeit durch den von den angerufenen Gerichten von Amts wegen bestellten Vertreter des Beklagten.
Rechtssache C-215/15.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2015:710

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

21. Oktober 2015 ( * )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung — Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 — Anwendungsbereich — Art. 1 Abs. 1 Buchst. b — Zuweisung, Ausübung, Übertragung sowie vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung — Art. 2 — Begriff ‚elterliche Verantwortung‘ — Rechtsstreit zwischen den Eltern wegen der Reise ihres Kindes und der Ausstellung eines Reisepasses an dieses Kind — Zuständigkeitsvereinbarung — Art. 12 — Voraussetzungen — Anerkennung der Zuständigkeit der angerufenen Gerichte — Nichteinlassung des Beklagten — Keine Rüge der fehlenden Zuständigkeit durch den von den angerufenen Gerichten von Amts wegen bestellten Vertreter des Beklagten“

In der Rechtssache C‑215/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof, Bulgarien) mit Entscheidung vom 11. Mai 2015, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren

Vasilka Ivanova Gogova

gegen

Ilia Dimitrov Iliev

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe (Berichterstatterin),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund der Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 3. Juli 2015, die vorliegende Rechtssache dem in Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen:

der tschechischen Regierung, vertreten durch J. Vláčil als Bevollmächtigten,

der spanischen Regierung, vertreten durch A. Sampol Pucurull als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Petrova und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b, Art. 2 Nr. 7, Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Gogova und Herrn Iliev über die Erneuerung des Reisepasses ihres Kindes.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Die Erwägungsgründe 5 und 12 der Verordnung Nr. 2201/2003 lauten:

„(5)

Um die Gleichbehandlung aller Kinder sicherzustellen, gilt diese Verordnung für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht.

(12)

Die in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften wurden dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Die Zuständigkeit sollte vorzugsweise dem Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten sein außer in bestimmten Fällen, in denen sich der Aufenthaltsort des Kindes geändert hat oder in denen die Träger der elterlichen Verantwortung etwas anderes vereinbart haben.“

4

Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Verordnung bestimmt:

„(1)   Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

b)

die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.

(2)   Die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere:

a)

das Sorgerecht und das Umgangsrecht,

b)

die Vormundschaft, die Pflegschaft und entsprechende Rechtsinstitute,

c)

die Bestimmung und den Aufgabenbereich jeder Person oder Stelle, die für die Person oder das Vermögen des Kindes verantwortlich ist, es vertritt oder ihm beisteht,

d)

die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie oder einem Heim,

e)

die Maßnahmen zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens oder der Verfügung darüber.

(3)   Diese Verordnung gilt nicht für:

a)

die Feststellung und die Anfechtung des Eltern-Kind-Verhältnisses,

b)

Adoptionsentscheidungen und Maßnahmen zur Vorbereitung einer Adoption sowie die Ungültigerklärung und den Widerruf der Adoption,

c)

Namen und Vornamen des Kindes,

d)

die Volljährigkeitserklärung,

e)

Unterhaltspflichten,

f)

Trusts und Erbschaften,

g)

Maßnahmen infolge von Straftaten, die von Kindern begangen wurden.“

5

In Art. 2 Nr. 7 der Verordnung ist „elterliche Verantwortung“ definiert als „die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht“.

6

Art. 8 („Allgemeine Zuständigkeit“) der Verordnung lautet:

„(1)   Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2)   Absatz 1 findet vorbehaltlich de[s] Artikel[s] … 12 Anwendung.“

7

Art. 12 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„(1)   Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem nach Artikel 3 über einen Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zu entscheiden ist, sind für alle Entscheidungen zuständig, die die mit diesem Antrag verbundene elterliche Verantwortung betreffen, wenn

a)

zumindest einer der Ehegatten die elterliche Verantwortung für das Kind hat

und

b)

die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von den Ehegatten oder von den Trägern der elterlichen Verantwortung zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt wurde und im Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.

(3)   Die Gerichte eines Mitgliedstaats sind ebenfalls zuständig in Bezug auf die elterliche Verantwortung in anderen als den in Absatz 1 genannten Verfahren, wenn

a)

eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt,

und

b)

alle Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt haben und die Zuständigkeit in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.

…“

8

Art. 16 („Anrufung eines Gerichts“) dieser Verordnung sieht vor:

„(1)   Ein Gericht gilt als angerufen

a)

zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht wurde, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken,

oder

b)

falls die Zustellung an den Beklagten vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen.“

Bulgarisches Recht

Gesetz über die bulgarischen Identitätsdokumente

9

Art. 45 Abs. 1 des Gesetzes über die bulgarischen Identitätsdokumente (Zakon za balgarskite lichni dokumenti) bestimmt, dass der Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses für Minderjährige von deren Eltern persönlich gestellt wird.

10

Gemäß Art. 78 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 76 Nr. 9 dieses Gesetzes können der Minister des Inneren oder gegebenenfalls eine von ihm ermächtigte Person einem Kind die Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien untersagen, wenn nicht eine notariell beglaubigte schriftliche Zustimmung der Eltern zur Reise ihres Kindes vorliegt.

Familienkodex

11

Art. 127a des Familienkodex (Semeen kodeks) bestimmt:

„(1)   Die Fragen im Zusammenhang mit der Reise eines Kindes ins Ausland und der Ausstellung der zu diesem Zweck erforderlichen Identitätsdokumente werden von den Eltern einvernehmlich gelöst.

(2)   Erzielen die Eltern nicht die im vorstehenden Absatz vorgesehene Einigung, wird die zwischen ihnen herrschende Streitigkeit von dem Rayonen sad [Bezirksgericht] entschieden, in dessen Bezirk das Kind seinen aktuellen Wohnsitz hat.

(3)   Das Verfahren vor dem Gericht wird durch Klage eines Elternteils eingeleitet. Das Gericht hört den anderen Elternteil an, es sei denn, er erscheint ohne triftigen Grund nicht. Das Gericht kann Beweise von Amts wegen erheben.

…“

Zivilprozessordnung

12

Art. 47 der Zivilprozessordnung (Grazhdanski protsesualen kodeks) bestimmt:

„(1)   Wenn es unmöglich ist, den Beklagten unter seiner in den Akten angegebenen Anschrift zu erreichen und eine Person zu finden, die sich bereit erklärt, die Zustellung entgegenzunehmen, heftet der Zusteller eine Benachrichtigung an die Wohnungstür oder den Briefkasten der betreffenden Person; falls er hierzu keinen Zugang hat, heftet er sie an die Haustür oder an eine sichtbare Stelle in der Nähe. Hat er Zugang zum Briefkasten, wirft der Zusteller dort ebenfalls eine Benachrichtigung ein.

(2)   In der Benachrichtigung wird angegeben, dass die Schriftstücke in der Geschäftsstelle des Gerichts, wenn die Zustellung durch einen Bediensteten des Gerichts oder einen Gerichtsvollzieher erfolgt, oder der Gemeinde niedergelegt wurden, wenn die Zustellung durch einen Gemeindebediensteten erfolgt, und dort innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt des Aushangs der Benachrichtigung abgeholt werden können.

(3)   Holt der Beklagte die Schriftstücke nicht ab, gibt das Gericht dem Kläger auf, eine Auskunft über dessen Meldeanschrift vorzulegen, außer in den Fällen des Art. 40 Abs. 2 und des Art. 41 Abs. 1, in denen die Mitteilung zu den Verfahrensakten genommen wird. Stimmt die angegebene Anschrift nicht mit der ständigen oder der aktuellen Anschrift der Partei überein, ordnet das Gericht die Zustellung nach den Abs. 1 und 2 an die aktuelle oder ständige Anschrift an.

(4)   Stellt der Zusteller fest, dass der Beklagte nicht an der angegebenen Anschrift wohnt, gibt das Gericht dem Kläger auf, eine Auskunft über dessen Meldeanschrift vorzulegen, unabhängig von der Anheftung der Benachrichtigung gemäß Abs. 1.

(5)   Die Mitteilung gilt mit Ablauf der Frist für deren Abholung in der Geschäftsstelle des Gerichts oder der Gemeinde als zugestellt.

(6)   Stellt das Gericht die ordnungsgemäße Zustellung fest, ordnet es an, dass die Mitteilung zu den Verfahrensakten genommen wird, und bestellt auf Kosten des Klägers einen Abwesenheitsvertreter.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Frau Gogova und Herr Iliev ein Kind haben, das zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zehn Jahre alt war. Dieses Kind, das die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt, wohnt mit seiner Mutter in Mailand (Italien). Die Eltern, die beide bulgarische Staatsangehörige sind, leben getrennt. Herr Iliev wohnt ebenfalls in Italien.

14

Frau Gogova wollte den Reisepass ihres Kindes erneuern lassen, da dieses Dokument am 5. April 2012 abgelaufen war, um mit ihm u. a. nach Bulgarien zu reisen.

15

Nach bulgarischem Recht wird die Entscheidung über die Reise eines minderjährigen Kindes und die Ausstellung eines Reisepasses auf seinen Namen von den Eltern einvernehmlich getroffen. Außerdem muss der Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses für das Kind von seinen beiden Eltern bei den zuständigen Verwaltungsbehörden gemeinsam gestellt werden.

16

Da Herr Iliev nicht zum Zweck der Erteilung eines neuen Reisepasses auf den Namen ihres Kindes mit Frau Gogova kooperierte, erhob diese beim Rayonen sad Petrich (Bezirksgericht Petritsch, Bulgarien) Klage und beantragte, die Meinungsverschiedenheit zwischen ihr und Herrn Iliev über die Möglichkeit für ihr Kind, außerhalb des nationalen Hoheitsgebiets zu reisen, und die Ausstellung eines neuen Reisepasses für das Kind zu schlichten.

17

Da Herr Iliev an seiner gemeldeten Anschrift unauffindbar war und ihm die Klageschrift somit nicht zugestellt werden konnte, bestellte das Gericht auf der Grundlage von Art. 47 Abs. 6 der Zivilprozessordnung einen Abwesenheitsvertreter. Dieser Vertreter rügte die Zuständigkeit der bulgarischen Gerichte nicht und erklärte, der Rechtsstreit müsse zum Wohl des Kindes entschieden werden.

18

Mit Beschluss vom 10. November 2014 entschied der Rayonen sad Petrich (Bezirksgericht Petritsch), dass die Klage von Frau Gogova unter Art. 127a des Familienkodex falle und die elterliche Verantwortung für ein Kind im Sinne von Art. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 betreffe. Das Gericht stellte fest, dass das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Italien habe, erklärte sich daher für unzuständig, um über diese Klage zu entscheiden, und stellte das Verfahren ein.

19

Frau Gogova legte gegen diesen Beschluss Beschwerde beim Okrazhen sad Blagoevgrad (Regionalgericht Blagoevgrad, Bulgarien) ein. Dieses Gericht bestätigte zum einen den genannten Beschluss und war zum anderen der Auffassung, dass es keine „Vereinbarung über die Zuständigkeit“ der bulgarischen Gerichte im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 gegeben habe. Obwohl Herr Iliev die Unzuständigkeit der bulgarischen Gerichte nicht geltend gemacht habe, habe er nämlich an dem Verfahren nur durch den in seiner Abwesenheit von Amts wegen bestellten Vertreter teilgenommen.

20

Frau Gogova legte daher beim Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) Kassationsbeschwerde ein. Dieses Gericht ist der Auffassung, dass die Entscheidung über die Kassationsbeschwerde erstens von der Frage abhänge, ob das Gerichtsverfahren, das in Art. 127a Abs. 2 des Familienkodex vorgesehen sei und mit dem durch eine gerichtliche Entscheidung die fehlende Zustimmung eines Elternteils zu einer Reise ihres Kindes außerhalb des nationalen Hoheitsgebiets und zur Ausstellung eines Reisepasses auf seinen Namen ersetzt werden könne, unter die Verordnung Nr. 2201/2003 falle. Deshalb müsse die Zuständigkeit der Gerichte auf der Grundlage dieser Verordnung geklärt werden. Insbesondere stelle sich die Frage, ob ein solches Verfahren die „elterliche Verantwortung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung betreffe. Zudem sei in diesem Rahmen zu ermitteln, ob die betreffende Verordnung auf dieses Verfahren Anwendung finde, da nach bulgarischem Recht die im Rahmen dieses Verfahrens getroffene gerichtliche Entscheidung den bulgarischen Verwaltungsbehörden vorgelegt werden müsse, damit dem betreffenden Kind gestattet werde, außerhalb des nationalen Hoheitsgebiets zu reisen, oder ihm ein Reisepass ausgestellt werde.

21

Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob im vorliegenden Fall die Zuständigkeit der bulgarischen Gerichte in Anbetracht der Tatsache, dass der von diesen Gerichten bestellte Vertreter von Herrn Iliev ihre Zuständigkeit für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit nicht gerügt habe, auf Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 gestützt werden könne.

22

Unter diesen Umständen hat der Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Handelt es sich bei der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit des Zivilgerichts, einen Rechtsstreit zu entscheiden, in dem die Eltern sich über die Reise ihres Kindes ins Ausland und die Ausstellung von Identitätsdokumenten streiten und das anwendbare materielle Recht die gemeinsame Ausübung dieser elterlichen Rechte in Bezug auf das Kind vorsieht, um ein Verfahren, das die „Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 2201/2003 betrifft, auf das Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 anwendbar ist?

2.

Liegen Gründe für die Begründung einer internationalen Zuständigkeit in Zivilrechtsstreitigkeiten über die elterliche Verantwortung vor, wenn die Entscheidung einen rechtlichen Tatbestand ersetzt, der für ein das Kind betreffendes Verwaltungsverfahren von Bedeutung ist, und das anwendbare Recht vorsieht, dass dieses Verfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen ist?

3.

Ist davon auszugehen, dass eine Vereinbarung über die Zuständigkeit gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 vorliegt, wenn der Vertreter des Beklagten die Zuständigkeit des Gerichts nicht gerügt hat, er aber nicht bevollmächtigt, sondern wegen der Schwierigkeit, den Beklagten zu benachrichtigen, damit er sich persönlich oder durch einen bevollmächtigten Vertreter am Rechtsstreit beteiligen kann, vom Gericht bestellt wurde?

Verfahren vor dem Gerichtshof

23

Auf den Antrag des vorlegenden Gerichts hin hat die bestimmte Kammer die Notwendigkeit geprüft, die vorliegende Rechtssache dem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 107 der Verfahrensordnung zu unterwerfen. Diese Kammer hat nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, dem Antrag nicht stattzugeben.

24

Mit seinem Beschluss Gogova (C‑215/15, EU:C:2015:466) hat der Präsident des Gerichtshofs entschieden, die vorliegende Rechtssache dem in Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

25

Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Klage, mit der ein Elternteil beantragt, die fehlende Zustimmung des anderen Elternteils zu einer Reise ihres Kindes außerhalb des Aufenthaltsmitgliedstaats des Kindes und zur Ausstellung eines Reisepasses auf dessen Namen zu ersetzen, in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 fällt, und zwar auch dann, wenn die auf diese Klage ergehende Entscheidung von den Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger das Kind ist, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Ausstellung dieses Reisepasses zu berücksichtigen sein wird.

26

In Bezug auf den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 geht aus ihrem Art. 1 Abs. 1 Buchst. b hervor, dass diese Verordnung ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit für Zivilsachen gilt, die u. a. die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung zum Gegenstand haben. In diesem Rahmen ist der Begriff „Zivilsachen“ nicht restriktiv, sondern wie ein autonomer Begriff des Unionsrechts zu verstehen, der insbesondere alle Anträge, Maßnahmen oder Entscheidungen über die „elterliche Verantwortung“ im Sinne dieser Verordnung gemäß dem in ihrem fünften Erwägungsgrund genannten Ziel abdeckt (vgl. in diesem Sinne Urteil C, C‑435/06, EU:C:2007:714, Rn. 46 bis 51).

27

Der Begriff „elterliche Verantwortung“ wird in Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 2201/2003 weit in dem Sinne definiert, dass sie die gesamten Rechte und Pflichten umfasst, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen werden (Urteile C, C‑435/06, EU:C:2007:714, Rn. 49, und C., C‑92/12 PPU, EU:C:2012:255, Rn. 59). Außerdem enthält Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung zwar eine Aufzählung der Bereiche, die von dieser Verordnung im Rahmen der „elterlichen Verantwortung“ abgedeckt werden. Diese Aufzählung ist aber nicht erschöpfend, sondern lediglich beispielhaft, wie die Verwendung des Wortes „insbesondere“ zeigt (Urteile C, C‑435/06, EU:C:2007:714, Rn. 30, und C., C‑92/12 PPU, EU:C:2012:255, Rn. 63).

28

Um festzustellen, ob eine Klage in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 fällt, ist auf ihren Gegenstand abzustellen (vgl. entsprechend in Bezug auf den Begriff „Personenstand, Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. 2001, L 12, S. 1] Urteil Schneider, C‑386/12, EU:C:2013:633, Rn. 29 und 30, sowie in Bezug auf den Begriff „soziale Sicherheit“ im Sinne dieser Bestimmung Urteil Baten, C‑271/00, EU:C:2002:656, Rn. 46 und 47).

29

Was eine Klage wie die im Ausgangsverfahren betrifft, geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das Gericht im Rahmen dieser Klage darüber zu entscheiden hat, ob das betreffende Kind einen Reisepass benötigt und ob der klagende Elternteil berechtigt ist, ohne Zustimmung des anderen Elternteils den Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses zu stellen und mit dem Kind ins Ausland zu reisen. Daher hat eine solche Klage die Ausübung der „elterlichen Verantwortung“ über das Kind im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 2201/2003 zum Gegenstand.

30

Des Weiteren ist festzustellen, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren unter keine der in Art. 1 Abs. 3 dieser Verordnung abschließend aufgezählten Ausnahmen fällt.

31

Daraus folgt, dass eine solche Klage in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 fällt.

32

Dieses Ergebnis wird nicht durch den bloßen Umstand in Frage gestellt, dass sich eine Klage wie die im Ausgangsverfahren auf eine Einzelfallentscheidung betreffend ein Kind bezieht und nicht auf sämtliche Modalitäten der Ausübung der elterlichen Verantwortung. Wie in den Rn. 26 und 27 des vorliegenden Urteils angeführt, gilt diese Verordnung nämlich für alle Entscheidungen in diesem Bereich, egal ob sie einen bestimmten Aspekt dieser Verantwortung oder deren Ausübung im Allgemeinen betreffen.

33

Ebenso wenig kann die Tatsache, dass die auf diese Klage ergehende Entscheidung von den Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit das betreffende Kind besitzt, im vorliegenden Fall der Republik Bulgarien, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Ausstellung eines Reisepasses auf den Namen dieses Kindes zu berücksichtigen ist, nicht zu einer anderen Auslegung der Verordnung Nr. 2201/2003 führen.

34

Hierzu genügt die Feststellung, dass jedenfalls ein Verfahren wie das im Ausgangsverfahren nicht unmittelbar zur Ausstellung eines Reisepasses führt, sondern nur zum Ziel hat, einer der Personen, die die elterliche Verantwortung für das betreffende Kind ausüben, zu erlauben, einen Antrag auf einen Reisepass auf den Namen dieses Kindes ohne die Beteiligung, die Anwesenheit oder die Zustimmung der anderen diese Verantwortung ausübenden Person zu stellen, und zwar unbeschadet der anderen vom bulgarischen Recht für die Ausstellung eines solchen Dokuments vorgesehenen Voraussetzungen.

35

Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass die Klage, mit der ein Elternteil beantragt, die fehlende Zustimmung des anderen Elternteils zu einer Reise ihres Kindes außerhalb des Aufenthaltsmitgliedstaats des Kindes und zur Ausstellung eines Reisepasses auf dessen Namen zu ersetzen, in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 fällt, und zwar auch dann, wenn die auf diese Klage ergehende Entscheidung von den Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger das Kind ist, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Ausstellung dieses Reisepasses zu berücksichtigen sein wird.

Zur dritten Frage

36

Die dritte Frage betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003. Diese Bestimmung sieht vor, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, die mit einem Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe befasst sind, unter bestimmten Bedingungen für alle Entscheidungen zuständig sind, die die mit diesem Antrag in Zusammenhang stehende elterliche Verantwortung betreffen.

37

Es geht jedoch weder aus der Vorlageentscheidung noch aus den beim Gerichtshof abgegebenen Erklärungen hervor, dass das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall mit einem solchen Antrag in Ehesachen befasst ist.

38

Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 hingegen stellt eine Regel über die Vereinbarung über die Zuständigkeit auf, die den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats als dem des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes erlaubt, über Anträge auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung zu entscheiden, die dieses Kind betreffen, und zwar auch dann, wenn kein Verfahren in Ehesachen bei diesen Gerichten anhängig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil L, C‑656/13, EU:C:2014:2364, Rn. 45 und 52).

39

Folglich ist die dritte Frage so zu verstehen, dass ermittelt werden soll, ob Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 dahin auszulegen ist, dass die Zuständigkeit der für die Entscheidung über einen Antrag auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung angerufenen Gerichte als von „alle[n] Parteien des Verfahrens … ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, nur weil der den Beklagten vertretende Abwesenheitsvertreter, der von Amts wegen von diesen Gerichten bestellt worden ist, weil dem Beklagten die Klageschrift nicht zugestellt werden konnte, die Unzuständigkeit dieser Gerichte nicht gerügt hat.

40

Nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 in Verbindung mit ihrem Art. 16 können die Gerichte eines Mitgliedstaats ihre Zuständigkeit auf die zuerst genannte Bestimmung stützen, wenn spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei dem gewählten Gericht eingereicht wird, das Bestehen einer ausdrücklichen oder zumindest eindeutigen Vereinbarung zwischen allen Parteien des Verfahrens über die Zuständigkeit dieses Gerichts nachgewiesen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil L, C‑656/13, EU:C:2014:2364, Rn. 56).

41

Außerdem geht aus dem zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 hervor, dass die in ihrem Art. 12 Abs. 3 vorgesehene Zuständigkeit eine Ausnahme zum Kriterium der räumlichen Nähe bildet, wonach es vorzugsweise Sache der Gerichte des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ist, über die dieses Kind betreffenden Klagen auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung zu entscheiden, und das in Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung zum Ausdruck kommt. Wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Stellungnahme ausgeführt hat, zielt diese Ausnahme darauf ab, den Parteien auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung eine gewisse Autonomie einzuräumen. Die Voraussetzung, dass sämtliche Parteien des Verfahrens die Zuständigkeit der befassten Gerichte auf eindeutige Weise anerkennen müssen, ist daher eng auszulegen.

42

Hierzu ist zum einen festzustellen, dass eine solche Anerkennung mindestens voraussetzt, dass der Beklagte Kenntnis von dem vor diesen Gerichten laufenden Verfahren hat. Denn wenn diese Kenntnis für sich allein nicht als Anerkennung der Zuständigkeit der befassten Gerichte gilt, kann jedenfalls bei einem nicht anwesenden Beklagten, dem der verfahrenseinleitende Schriftsatz nicht zugestellt worden ist und der von dem eingeleiteten Verfahren keine Kenntnis hat, nicht davon ausgegangen werden, dass er diese Zuständigkeit anerkannt hat (vgl. entsprechend in Bezug auf Art. 24 der Verordnung Nr. 44/2001 Urteil A, C‑112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 54).

43

Zum anderen kann der Wille des Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht aus dem Verhalten eines von diesen Gerichten bei Abwesenheit des Beklagten bestellten Abwesenheitsvertreters abgeleitet werden. Da der Vertreter nicht mit dem Beklagten in Kontakt steht, kann er von diesem nicht die Informationen erhalten, die erforderlich sind, um die Zuständigkeit dieser Gerichte bei Kenntnis der Sachlage anzuerkennen oder zu rügen (vgl. in diesem Sinne Urteil A, C‑112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 55).

44

Daraus folgt, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Zuständigkeit der angerufenen Gerichte von „alle[n] Parteien des Verfahrens … ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise“ im Sinne von Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 anerkannt worden ist.

45

Diese Auslegung kann, anders als die spanische Regierung vor dem Gerichtshof vorgetragen hat, nicht durch das Recht auf Zugang zur Justiz sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Effet utile der Verordnung Nr. 2201/2003 in Frage gestellt werden. Hierzu macht diese Regierung im Wesentlichen geltend, dass es zu einer Rechtsverweigerung führen würde, die den oben genannten Rechten und Grundsätzen zuwiderliefe, wenn die Klägerin des Ausgangsverfahrens wegen der Schwierigkeiten der Zustellung der Verfahrensunterlagen an den Beklagten des Ausgangsverfahrens keine endgültige Entscheidung über ihre Klage erhalten könnte.

46

Die in Rn. 44 des vorliegenden Urteils gefundene Auslegung nimmt einem Kläger in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens jedoch nicht die Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung zu erlangen, die gegebenenfalls als Versäumnisurteil vor den nach Art. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 zuständigen Gerichten des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des betreffenden Kindes ergeht. Diese Auslegung führt daher nicht zu einer Rechtsverweigerung.

47

Folglich ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 dahin auszulegen ist, dass die Zuständigkeit der für die Entscheidung über eine Klage auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung angerufenen Gerichte nicht als von „alle[n] Parteien des Verfahrens … ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, nur weil der den Beklagten vertretende Abwesenheitsvertreter, der von Amts wegen von diesen Gerichten bestellt worden ist, weil dem Beklagten die Klageschrift nicht zugestellt werden konnte, die Unzuständigkeit dieser Gerichte nicht gerügt hat.

Kosten

48

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Klage, mit der ein Elternteil beantragt, die fehlende Zustimmung des anderen Elternteils zu einer Reise ihres Kindes außerhalb des Aufenthaltsmitgliedstaats des Kindes und zur Ausstellung eines Reisepasses auf dessen Namen zu ersetzen, fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, und zwar auch dann, wenn die auf diese Klage ergehende Entscheidung von den Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger das Kind ist, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Ausstellung dieses Reisepasses zu berücksichtigen sein wird.

2.

Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 ist dahin auszulegen, dass die Zuständigkeit der für die Entscheidung über eine Klage auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung angerufenen Gerichte nicht als von „alle[n] Parteien des Verfahrens … ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, nur weil der den Beklagten vertretende Abwesenheitsvertreter, der von Amts wegen von diesen Gerichten bestellt worden ist, weil dem Beklagten die Klageschrift nicht zugestellt werden konnte, die Unzuständigkeit dieser Gerichte nicht gerügt hat.

 

Unterschriften


( * )   Verfahrenssprache: Bulgarisch.

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