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Document 52013AE4522

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie (COM(2013) 407 final)

ABl. C 170 vom 5.6.2014, p. 91–97 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

5.6.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 170/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie

(COM(2013) 407 final)

2014/C 170/15

Berichterstatter: Claude ROLIN

Ko-Berichterstatter: Zbigniew KOTOWSKI

Die Europäische Kommission beschloss am 3. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie

COM(2013) 407 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 21. November 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 494. Plenartagung am 10./11. Dezember 2013 (Sitzung vom 11. Dezember) mit 156 gegen 5 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den von der Europäischen Kommission am 11. Juni vorgelegten Aktionsplan für die europäische Stahlindustrie. Der EWSA hält den Stahl-Aktionsplan für einen ersten Schritt in die richtige Richtung, weil damit die strategische Bedeutung der Branche für Europa und ihre Rolle als Wachstumsmotor anerkannt werden. Der Erfolg des Plans wird aber davon abhängen, wie diese Ideen in die Praxis umgesetzt werden.

1.2

Der Aktionsplan ist zwar ein sehr konkreter Vorschlag, seine Umsetzung wird jedoch mehrere Monate oder gar Jahre in Anspruch nehmen. Angesichts des raschen Produktions- und Einnahmerückgangs in diesem Jahr sind „Just-in-time“-Maßnahmen erforderlich, um von der Krise betroffenen Arbeitnehmern zu helfen und wieder ein positives Investitionsklima in der Branche und den ihr nachgelagerten Sparten zu schaffen. Bleiben solche Maßnahmen aus, wird es zu weiteren Schließungen und Arbeitsplatzverlusten kommen. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, so bald wie möglich einen Fahrplan mit genauen Fristen für die Umsetzung des Aktionsplans vorzulegen. Der Fahrplan sollte von den Sozialpartnern in der nächsten Sitzung der Hochrangigen Gruppe erörtert werden.

1.3

Der Aktionsplan bleibt hinsichtlich der konkret zu ergreifenden Maßnahmen vage und trägt den konjunkturellen Aspekten der Krise nicht gebührend Rechnung. Damit die Branche ihre strategische Bedeutung für das verarbeitende Gewerbe in Europa und die Beschäftigung behält und sie nicht weiter schrumpft, fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, dringend folgende Maßnahmen zu ergreifen:

genaue Bewertung der bestehenden Kapazitäten unter Beteiligung der Sozialpartner;

Durchführung von Maßnahmen zur Erleichterung der Verwendung und des Transports von Altmetall und zur Vermeidung illegaler Ausfuhren;

massiver Einsatz der EU-Strukturfondsmittel und Gewährleistung eines ausreichend branchenspezifischen Ansatzes bei der Zuweisung dieser Mittel;

Entwicklung befristeter Maßnahmen (wie etwa der Kurzarbeit in Deutschland) mit öffentlicher Förderung und/oder Ausbau bestehender Maßnahmen, um Arbeitnehmer in der Stahlindustrie zu halten;

Ankurbelung der Nachfrage in dem Stahlsektor nachgelagerten Branchen, u. a. durch die sofortige Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen für die Automobil- und Bauindustrie. Erforderlich ist grundsätzlich das richtige Gleichgewicht zwischen Haushaltskonsolidierung (Sparmaßnahmen) und aktiven industriepolitischen Maßnahmen, die Investitionen anziehen und Arbeitsplätze schaffen (1). Zur Belebung der Stahlnachfrage wird es nicht ausreichen, nur auf die Automobil- und Baubranche zu setzen.

Es bedarf einer viel größeren (u. a. öffentlichen) Unterstützung von Investitionen in die Entwicklung neuer Technologien und Verfahren, um eine weitere Modernisierung von Anlagen und Werken in Gang zu setzen.

Die Einführung eines nachhaltigen Stahlproduktionsmodells wird die europäische Stahlindustrie stärken. Europäische Nachhaltigkeitsstandards wie „SustSteel“ (Kennzeichen für Stahlkonstruktionsprodukte) sollten dringend entwickelt und gefördert werden.

Der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung sollte keine Ex-post-Maßnahmen vorsehen, sondern auf die Antizipierung von Veränderungen ausgerichtet werden, z. B. durch die Erleichterung der Einführung neuer Technologien und die Unterstützung der Arbeitnehmer bei der Anpassung an diese Technologien.

1.4

Das Augenmerk ist umgehend auch auf eine nachhaltige europäische Klima-, Energie- und Handelspolitik zu legen, die den Übergang der Branche zu einer kohlenstoffarmen/energie- und ressourceneffizienten Wirtschaft ohne einseitige Kostenbelastung der EU-Stahlindustrie ermöglicht. Das wird auch erreicht durch die Förderung ehrgeiziger FuEuI-Maßnahmen, z. B. im Rahmen von Horizont 2020, und durch die aktive Unterstützung des Einsatzes neuer saubererer, ressourcen- und energieeffizienter Technologien.

1.5

Der EWSA unterstützt das allgemeine Ziel der Bekämpfung des Klimawandels und befürwortet die einschlägigen Maßnahmen der EU. Allerdings müssen die Eigenheiten der Branche gebührend berücksichtigt werden, vor allem in Bezug auf technische Beschränkungen und die bereits unternommenen Anstrengungen. Die Ziele für die Stahlindustrie müssen technisch und wirtschaftlich erreichbar sein. Sie müssen so festgelegt werden, dass wenigstens auf die am besten abschneidenden Unternehmen in der EU keine weiteren Kosten zukommen, die aus der EU-Klimapolitik — namentlich dem EU-Emissionshandelssystem (EHS) — resultieren, zumindest bis ein umfassendes internationales Klimaübereinkommen mit einheitlichen Zielen und Maßnahmen für die Stahlindustrie vorliegt.

1.6

Zeitlich befristete Maßnahmen zum Ausgleich der durch das EHS bedingten höheren Stromtarife in der EU sollten während der dritten Handelsperiode und auch danach in ganz Europa maximiert werden. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, diesen Sachverhalt näher zu untersuchen und rasch angemessene Maßnahmen zu ergreifen.

1.7

Der EWSA befürwortet den Vorschlag zur Schaffung eines europäischen Systems zur Finanzierung des Einsatzes neuer und neuartiger Technologien in energieintensiven Industriezweigen mit Mitteln aus zweckgebundenen Einnahmen aus dem Verkauf von EHS-Zertifikaten.

1.8

Die Einführung bahnbrechender Technologien wie ULCOS sollte weiterhin gefördert werden. Der EWSA hält es für sehr wichtig, Daten über CO2-Emissionen und die Energieeffizienz von Stahlwerken genau zu überwachen.

1.9

Die Wechselseitigkeit und die Schaffung weltweit gleicher Wettbewerbsbedingungen müssen Prioritäten der Europäischen Kommission sein. Wegen der ungleichen Bedingungen und der starken Zunahme des Protektionismus in den Schwellenländern sollte die Kommission gezielt und umgehend schlagkräftigere Maßnahmen zum Schutz der europäischen Stahlindustrie einschließlich wirksamer handelspolitischer Schutzinstrumente ergreifen.

1.10

Der EWSA begrüßt die Annahme eines Qualitätsrahmens zur Antizipierung von Veränderungen und Umstrukturierungen, unter Darlegung der bewährten Vorgehensweisen in diesem Bereich. Er ist der Ansicht, dass dieser Rahmen von den verschiedenen Interessenträgern als europäischer Mindeststandard genutzt werden sollte, um Veränderungen zu antizipieren und sozialverträglich zu bewältigen, indem die Aus- und Fortbildung und ggf. die Umschulung gefördert werden. Ferner sollte er als Möglichkeit dienen, die europäische Stahlbranche für junge und hochqualifizierte Menschen attraktiver zu machen. Darüber hinaus sollten langfristige Lösungen entwickelt werden, um auf den Generationenwechsel zu reagieren. Auf allen Ebenen können die Sozialpartner in dieser Hinsicht eine proaktive Rolle spielen.

1.11

Im Interesse eines sozialverträglichen Übergangs zu einer wettbewerbsfähigeren EU-Stahlindustrie sollte die Stahlbranche nach Auffassung des EWSA den gleichen Zugang zu den verfügbaren europäischen, nationalen und regionalen Finanzmitteln haben wie andere Branchen.

2.   Einleitung

2.1

Wie die Europäische Kommission in ihrem Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Stahlindustrie in Europa feststellt, liegt „die EU (...) bei der Stahlerzeugung mit einem jährlichen Volumen von mehr als 177 Mio. t Stahl und einem Anteil von 11% an der globalen Produktion weltweit auf Platz zwei.“ Diese Branche ist mit mindestens 500 Produktionsstandorten in 24 Mitgliedstaaten über ganz Europa verteilt.

2.2

Der EWSA bekräftigt, dass die europäische Stahlindustrie die tragende Säule des Wohlstands in Europa und ein unerlässliches Glied in der europäischen Lieferkette ist. Sie entwickelt und erzeugt Tausende unterschiedlicher, innovativer Stahllösungen in Europa und bietet damit direkte und indirekte Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten für Millionen Bürgerinnen und Bürger der EU.

2.3

Leider zeigt sich jetzt deutlich, dass diese Branche von der Wirtschaftskrise, die derzeit alle europäischen Länder erfasst hat, äußerst hart getroffen wird. Die Stahlindustrie hängt von Branchen wie der Automobil- und Bauindustrie ab, deren Produktionstätigkeit seit 2008 stark zurückgegangen ist. Dies wiederum hat zu einem Nachgeben der Stahlnachfrage in Europa geführt.

2.4

Der Rückgang der Stahlnachfrage in Europa äußert sich in einer vorübergehenden oder dauerhaften Schließung von Produktionsanlagen und einem Verlust von über 60 000 Arbeitsplätzen in diesem Wirtschaftszweig.

2.5

Europa muss unbedingt schnell handeln, um die gegenwärtige Krise, die die Stahlindustrie erfasst hat, in den Griff zu bekommen. Daher begrüßt der EWSA die jüngste Initiative der Europäischen Kommission für Maßnahmen zugunsten der europäischen Stahlindustrie.

2.6

Elf Jahre nach Auslaufen des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 2002 ist es das erste Mal, dass die Kommission einen umfassenden Stahl-Aktionsplan vorgeschlagen hat. Er ist das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen der Kommission und der Sozialpartner um größere Aufmerksamkeit für die Industriepolitik sowohl im Allgemeinen als auch im Hinblick auf die wichtigsten verarbeitenden Industriezweige. Es ist auch ein erster Schritt hin zu einer echten Industriepolitik, die Bereiche wie Handel, FuE, Umwelt, Klima und Energie einschließt.

2.7

Der Plan umfasst eine Reihe von Maßnahmen und Empfehlungen in den Bereichen Nachfrage, Energie und Energieeffizienz, Klimapolitik, Wettbewerb, Handel, Rohstoffe, Forschung und Innovation und soziale Aspekte wie Zugang zu den europäischen Strukturfonds zur Abfederung der sozialen Kosten der Antizipierung und Bewältigung des Wandels sowie Förderung von Jugendbeschäftigung im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Branche.

2.8

Die Sozialpartner in der Stahlbranche haben im Rahmen des EU-Ausschusses für den sozialen Dialog durch die Entwicklung eines Gesamtbilds der Herausforderungen für die europäische Stahlindustrie ihren Beitrag zu dieser langfristigen Strategie geleistet. Diese gemeinsame Analyse diente als Grundlage für das hochrangige Diskussionsforum, das von der Europäischen Kommission initiiert wurde, um den Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Stahlindustrie in Europa zu entwickeln.

2.9

Stahl ist die strategische Stütze des verarbeitenden Gewerbes in Europa und nach wie vor Motor der technischen Innovation, die für die Wertschöpfung in nachgelagerten Sektoren entscheidend ist, z. B. Automobilbau, Baugewerbe, Luftfahrtindustrie und Energiewirtschaft. Eine robuste Stahlindustrie ist für Europa von zentraler Bedeutung, wenn es sein Ziel eines Anteils der Industrie von 20% am BIP (im Vergleich zu derzeit 15,2%) erreichen möchte (2).

2.10

Die europäische Stahlindustrie hat viele Pluspunkte: moderne Anlagen, fortschrittliche Produkte, anspruchsvolle und eine ständige Produktinnovation forcierende Kunden, einen großen heimischen Markt und qualifizierte Arbeitnehmer. Heute steht sie jedoch vor großen Herausforderungen: geringe Nachfrage, steigende Energiekosten, Abhängigkeit von importierten Rohstoffen und oft unfairer Wettbewerb.

2.11

Der Aktionsplan berührt die wichtigsten Aspekte der Stahlbranche und umfasst insbesondere eine Liste möglicher Maßnahmen, die von den verschiedenen institutionellen Ebenen und den wesentlichen Interessenträgern umzusetzen sind.

2.12

Der Vorschlag der Europäischen Kommission sieht vor, dass eine offizielle „Hochrangige Gruppe“ über die Umsetzung des Plans und seine Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Beschäftigung in der Stahlindustrie wacht.

3.   Bemerkungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

3.1

Der EWSA begrüßt es, dass die Europäische Kommission die alarmierende Situation der europäischen Stahlbranche auf ihre Agenda gesetzt hat. Im Wege von Konsultationen hatten die Sozialpartner und die Mitgliedstaaten Gelegenheit, ihre Sichtweise der Branche und ihrer Schwachstellen vorzutragen sowie denkbare Lösungen zur Erhaltung einer soliden Stahlindustrie in Europa vorzuschlagen. Diese Konsultationen gipfelten in der Konzipierung eines Aktionsplans für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Stahlindustrie in Europa.

3.2

Der Plan ist ein erster Schritt mit dem Ziel, die Stahlbranche bei der Bewältigung der derzeit wichtigsten Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umweltschutz zu unterstützen, dergestalt dass ein „neuer“ industriepolitischer Rahmen geschaffen wird, um die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie zu bewahren und Arbeitsplätze in Europa zu sichern. Der Aktionsplan ist vom Tenor her optimistisch. Sein Erfolg wird aber letztlich davon abhängen, wie diese Ideen in die Praxis umgesetzt werden. Der Plan kann seine potenzielle Wirkung nur entfalten, wenn er auf einer klaren kurz-, mittel- und langfristigen Strategie basiert und mit den notwendigen rechtlichen, finanziellen und logistischen Instrumenten ausgestattet ist.

3.3

Aus Sicht des EWSA sollte die Umsetzung des Plans Folgendes ermöglichen:

Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen zur kurz- und langfristigen Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und einer nachhaltigen Entwicklung der europäischen Stahlindustrie. Die Fähigkeit der Industrie zur Reaktion auf die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen wird durch politische Maßnahmen in den Bereichen Forschung und Innovation, Umwelt, Energie, Handel, Wettbewerb und Verbraucherbedürfnisse beeinflusst. Der Plan sollte darauf abzielen, diese Politikbereiche so zu gestalten, dass sie den Herausforderungen, vor denen die Stahlindustrie steht, gebührend Rechnung tragen.

Unterstützung der Stahlindustrie (die von der Wirtschaftskrise weiterhin schwer betroffen ist) zur Umkehr des Wirtschaftsabschwungs. Seit Ausbruch der Krise hat die Stahlindustrie auf die rückläufige Stahlnachfrage energisch reagiert, indem sie Produktionskapazitäten dauerhaft oder zeitweilig abgebaut hat. Seit 2008 sind 15,5% der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie verlorengegangen (Quelle: EUROFER).

Abwehr von Bedrohungen für die Zukunft der Stahlindustrie in Europa. Abgeschaltete Produktionsanlagen und stillgelegte Hochöfen können sehr wahrscheinlich nicht ersetzt oder erneut in Betrieb genommen werden. Nach Ansicht des EWSA läuft die Wirtschaft der EU ernsthaft Gefahr, bei wieder anziehender Nachfrage zu einem strukturellen Stahlimporteur zu werden.

Verbesserung des Unternehmensumfelds und des Rechtsrahmens für die Stahlbranche in Europa. Im weltweiten Vergleich sind die Kosten für Rohstoffe und Energie sowie die Kosten aufgrund von Rechtsvorschriften in Europa am höchsten. Gaspreise in der EU sind drei- bis viermal und die Strompreise doppelt so hoch wie in den USA. Prognosen zufolge wird diese Kluft noch größer, wenn keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden.

Unterstützung der Arbeitnehmer und Regionen, die ebenfalls von der Krise stark betroffen sind, auch bei der planerischen Gestaltung und Vollziehung des Wandels durch die Förderung von Aus- und Fortbildung und ggf. Umschulung. Tausende Arbeitsplätze sind verlorengegangen, und viele weitere sind bedroht. Außerdem hat die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse allgemein zugenommen, was einen Transfer wesentlicher fachlicher Fertigkeiten und Kenntnisse erschwert. In einigen Fällen beeinträchtigt dies die Produktionsqualität oder gefährdet die Sicherheit der Arbeitnehmer.

Allgemeines

3.4

Eines der Hauptziele der Kommissionsmitteilung zur Industriepolitik ist es, bis 2020 einen Anteil des Industriesektors am EU-BIP von 20% zu gewährleisten. Der EWSA befürwortet dieses Ziel, da es auch im Interesse der Stahlbranche ist. Ohne leichteren Zugang zu Finanzinstituten wie der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung dürfte dieses Ziel allerdings nur sehr schwer zu erreichen sein.

3.5

Die Marktsituation wird Stahlproduzenten zu schwierigen Umstrukturierungen zwingen (Fusionen, Übernahmen und Konkurse sind nicht auszuschließen). Teure Investitionen in Innovation, innovative Stahlsorten, die Verbesserung der Bandbreite angebotener Fertigerzeugnisse, weitere produktartbezogene Kostenreduzierungen und die Einführung von Dienstleistungen, die Stahl aus eigener Produktion nutzen, sind grundlegend, aber für viele Stahlerzeuger gegenwärtig schwer oder unmöglich zu finanzieren.

Der richtige Rechtsrahmen

3.6

Aus einer aktuellen Studie im Auftrag der Kommission über die Bewertung der kumulativen Kosten für die EU-Stahlindustrie geht hervor, dass die Regulierungskosten nicht der Hauptgrund für die Kluft im Bereich der Kostenwettbewerbsfähigkeit sind. In Krisenzeiten können die Kosten aufgrund von EU-Rechtsvorschriften jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie haben (3). Der Rechtsrahmen sollte hinsichtlich der Kosten wie auch der Nutzeffekte bewertet werden.

3.7

Die Sozialpartner in der Stahlbranche müssen an der Bewertung des Rechtsrahmens eng beteiligt werden.

Ankurbelung der Stahlnachfrage

3.8

In der Kommissionsmitteilung heißt es: „In der EU hängt die Stahlnachfrage von der wirtschaftlichen und finanziellen Lage in einigen wenigen wichtigen stahlverbrauchenden Industriezweigen ab (...) (z. B. dem) Bau- und Automobilsektor (...)“ (4). Leider belastet die aktuelle Krise ernsthaft die Nachfrage aus diesen Industriezweigen, was zu einem Einbruch bei der Gesamtnachfrage nach Stahl führt.

3.9

Die Kommission setzt auf ihren Plan „CARS 2020 (5)“ und ihre Initiative zur Förderung des nachhaltigen Bauens (6), um die Stahlnachfrage in Europa zu beleben. Angesichts des Ernstes der derzeitigen Lage in der Stahlindustrie sind diese Pläne nicht konkret genug und werden nicht ausreichen, um dem Stahlsektor auf kurze Sicht Impulse zu geben.

3.10

Die Stahlnachfrage kann auch angekurbelt werden, indem die Schaffung großer zukunftsorientierter Infrastrukturen erleichtert und die Kaufkraft der EU-Bürger verbessert wird, um so einen Wiederaufschwung auf den heimischen Märkten in Gang zu setzen.

Gleiche Ausgangsbedingungen auf internationaler Ebene

3.11

In den letzten zehn Jahren hatte die EU-Stahlbranche unter unlauteren Handelspraktiken, Protektionismus von Drittstaaten und einer Überkonzentration von Rohstoffproduzenten zunehmend zu leiden. Es muss daher dringlichst geprüft werden, inwieweit alle unlauteren Praktiken, denen die europäische Stahlindustrie ausgesetzt ist, gezielt und zügig angegangen werden können. Dies ist angesichts der weltweiten Überkapazität des Sektors umso vordringlicher, die einige Drittstaaten zu unfairen Handelsmethoden verleitet hat, um ihre Überschüsse zu exportieren.

Wettbewerbsfähigkeitsfördernde Maßnahmen in den Bereichen Energie, Klima, Ressourcen- und Energieeffizienz

3.12

Die europäische Stahlindustrie wird nur dann eine Zukunft haben, wenn die Unternehmen Vorreiter bei weltweiten technischen Entwicklungen sind, insbesondere dem Einsatz der neuesten Produktionstechniken zur Senkung der CO2-Emissionen und größere Energieeffizienz, falls dies wirtschaftlich tragbar ist.

3.13

Die Stahlindustrie ist eine energieintensive Industrie, die derzeit mit höheren Energiepreisen konfrontiert ist als die meisten ihrer internationalen Mitbewerber. Für die langfristige Entwicklung dieser äußerst kapitalintensiven Branche sind Stabilität, Vorhersagbarkeit und globale Wettbewerbsfähigkeit der Energiepreise von entscheidender Bedeutung.

3.14

Im Mittelpunkt des Aktionsplans steht zu Recht der Beitrag von Stahlerzeugnissen/-werkstoffen zur CO2-Reduzierung. Die Industrie gelangt mit ihren Produktionsprozessen und den derzeitigen Technologien allmählich an ihre Grenzen und kann deshalb nicht die von der Kommission bis 2050 festgelegten Etappenziele verwirklichen. Signifikante Verbesserungen können einzig mit bahnbrechenden Technologien erreicht werden. Deshalb spielen FuEuI und Ressourcen zur Finanzierung der FuE eine entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA den Vorschlag der Kommission, im Rahmen von Horizont 2020 FuE-, Demonstrations- und Pilotprojekte betreffend neue sauberere, ressourcen- und energieeffizientere Technologien zu unterstützen.

3.15

Beim derzeitigen Stand der Technik ist die Stahlindustrie zwar ihren Grenzen nahe, aber noch haben nicht alle Werke ihre Möglichkeiten für Energie- oder Ressourceneffizienzsteigerungen unter Verwendung bestehender Technologien ausgereizt. Die Unternehmen sollten dazu angehalten werden, in die besten verfügbaren Technologien zu investieren.

3.16

Die Preise für Ressourcen und Energie treiben gegenwärtig die Innovation an. Die Industrie muss zwar in erster Linie selbst für Investitionen in Forschung, Entwicklung und Innovation sorgen, gleichwohl müssen FuE-, Pilot- und Demonstrationsprojekte sowie der Einsatz neuer Technologien stärker gefördert werden. Da Rohstoffe und Energie die wichtigsten Kostenfaktoren sind, geht es darum, das Kostengefälle zwischen der EU und ihren Hauptkonkurrenten zu verringern.

3.17

Die Krise und erhebliche Haushaltszwänge haben die Möglichkeit von Ausgleichszahlungen an Stahlerzeuger in einigen Mitgliedsländern stark eingeengt, was zu einer ungerechten Situation in Europa führen dürfte.

Innovation

3.18

In den letzten Jahrzehnten hat sich die europäische Stahlindustrie dank Effizienzverbesserungen, Produktinnovationen und substanzieller Arbeitsproduktivitätssteigerungen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Mitbewerbern bewahrt. In der derzeitigen Situation sind weitere Steigerungen in diesem Bereich nur schwer möglich, solange sich die Marktlage und die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen nicht bessern.

3.19

Die Entwicklung neuer wirtschaftlich tragfähiger Technologien muss mit einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlunternehmen gegenüber ihren globalen Konkurrenten Hand in Hand gehen. Eine weniger energie- und rohstoffintensive Produktion wird eine Kostensenkung zeitigen und dadurch die europäische Stahlindustrie wettbewerbsfähiger machen.

Die soziale Dimension: Umstrukturierung und Qualifikationsbedarf

3.20

Im Plan wird das Problem künftiger Qualifikationsdefizite hauptsächlich als Folge der Alterspyramide betrachtet, aber dem „Verlust“ von Fachkenntnissen und -kompetenzen infolge von Umstrukturierungen nicht gebührend Rechnung getragen. Außerdem wird der Generationenwechsel systematische Lösungen erforderlich machen, insbesondere angesichts der starken Zunahme der Jugendarbeitslosigkeit.

3.21

Die Förderung befristeter Maßnahmen zur Unterstützung von Arbeitnehmern ist wichtig, um den Wirtschaftsabschwung zu bewältigen sowie die für die Zukunft der Stahlindustrie entscheidenden personellen und fachlichen Ressourcen zu bewahren.

Die Hochrangige Gruppe Stahl

3.22

Angesichts der sehr schwierigen Situation der europäischen Stahlindustrie ist es enttäuschend, dass die Kommission lediglich eine Sitzung der Hochrangigen Gruppe pro Jahr plant. Wegen der gegenwärtigen Instabilität der Branche werden kontinuierliche Bestandsaufnahmen erforderlich sein, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.

3.23

Schließlich sollte innerhalb von zwölf Monaten nach Annahme des Aktionsplans eine Bewertung seiner Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie vorgenommen werden. Für eine möglichst genaue und objektive Bewertung müssen die Sozialpartner in die Diskussionen einbezogen werden. Es bedarf einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern auf europäischer, nationaler, lokaler und Unternehmensebene, um die Umsetzung des Plans in Angriff zu nehmen.

Brüssel, den 11. Dezember 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  CESE 1094/2013, CCMI/108.

(2)  COM(2012) 582 final.

(3)  Centre for European Policy Studies, Assessment of Cumulative Cost Impact for the Steel Industry, 2013.

(4)  COM(2013) 407 final.

(5)  COM(2012) 636 final.

(6)  COM(2012) 433 final.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Änderungsantrag, der mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen erhielt, wurde auf der Plenartagung abgelehnt (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Ziffer 1.11

Die weiteren Angaben zu Finanzierungsquellen wie folgt streichen:

Im Interesse eines sozialverträglichen Übergangs zu einer wettbewerbsfähigeren EU-Stahlindustrie sollte die Stahlbranche nach Auffassung des EWSA den gleichen Zugang zu den verfügbaren europäischen, nationalen und regionalen Finanzmitteln haben wie andere Branchen.

Begründung

Durch den gekürzten Wortlaut wird eine ausdrückliche Benennung der Finanzmittel vermieden. Das ermöglicht ausreichend Flexibilität für die Marktteilnehmer, ohne Marktverzerrungen in der Branche hervorzurufen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

:

70

Nein-Stimmen:

:

77

Enthaltungen:

:

12


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