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Document 62015CN0150

Rechtssache C-150/15: Vorabentscheidungsersuchen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (Deutschland) eingereicht am 30. März 2015 — Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten gegen N

ABl. C 236 vom 20.7.2015, p. 22–23 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

20.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 236/22


Vorabentscheidungsersuchen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (Deutschland) eingereicht am 30. März 2015 — Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten gegen N

(Rechtssache C-150/15)

(2015/C 236/31)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht

Sächsisches Oberverwaltungsgericht

Parteien des Ausgangsverfahrens

Berufungskläger: Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten

Berufungsbeklagter: N

Andere Partei: Bundesrepublik Deutschland

Vorlagefragen

1.

Ist Art. 9 Abs. 1 lit. a i. V. m. Art. 10 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU (1) dahingehend auszulegen,

a)

dass eine schwerwiegende Verletzung der durch Art. 10 Abs. 1 Grundrechtecharta und Art. 9 Abs. 1 EMRK garantierten Religionsfreiheit und damit eine Verfolgungshandlung gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a der Richtlinie anzunehmen ist, wenn religiöse Betätigungen oder Verhaltensweisen, die von einer Glaubenslehre, zu der sich der Antragsteller aktiv bekennt, vorgeschrieben und zentraler Bestandteil derselben sind oder die sich auf die religiöse Überzeugung des Antragstellers im Sinne einer besonderen Wichtigkeit für dessen religiöse Identität stützen, in dem betreffenden Herkunftsland strafbewehrt verboten sind,

oder

b)

ist es erforderlich, dass ein sich zu einer bestimmten Glaubenslehre aktiv bekennender Antragsteller darüber hinaus nachweist, dass die von dieser Glaubenslehre als zentraler Bestandteil vorgeschriebenen religiösen Betätigungen oder Verhaltensweisen, die in seinem Herkunftsland eine bei Strafe verbotene Glaubensbetätigung darstellen, für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität „besonders wichtig“ und in diesem Sinne „unverzichtbar“ sind?

2.

Ist Art. 9 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 lit. d der Richtlinie 2011/95/EU dahingehend auszulegen, dass für die Feststellung einer begründeten Furcht vor Verfolgung und einer tatsächlichen Gefahr („real risk“), durch einen der in Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, im Hinblick auf religiöse Betätigungen oder Verhaltensweisen, die von einer Glaubenslehre, zu der sich der Antragsteller aktiv bekennt, vorgeschrieben und zentraler Bestandteil derselben sind oder die sich auf die religiöse Überzeugung des Antragstellers im Sinne einer besonderen Wichtigkeit für dessen religiöse Identität stützen und in seinem Herkunftsland strafbewehrt verboten sind,

a)

eine wertende Relationsbetrachtung dergestalt erforderlich ist, dass die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig praktizierenden Anhänger der Glaubensrichtung des Antragstellers mit der Zahl der aufgrund dieser Glaubensbetätigung erfolgten tatsächlichen Verfolgungsakte im Herkunftsland des Antragstellers in Beziehung zu setzen ist und eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen sind,

oder

b)

ist es ausreichend, wenn in der Strafverfolgungspraxis des Herkunftslands die tatsächliche Anwendung der Vorschriften nachgewiesen werden kann, die unter Strafandrohung religiöse Betätigungen oder Verhaltensweisen verbieten, die von einer Glaubenslehre, zu der sich der Antragsteller aktiv bekennt, vorgeschrieben und zentraler Bestandteil derselben sind oder die sich auf die religiöse Überzeugung des Antragstellers im Sinne einer besonderen Wichtigkeit für dessen religiöse Identität stützen?

3.

Ist eine Vorschrift des nationalen Prozessrechts, die eine Bindung des Tatsachengerichts an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts vorsieht (hier: § 144 Abs. 6 VwGO), mit dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts vereinbar, wenn das Tatsachengericht eine Norm des Unionsrechts anders auslegen möchte als das Revisionsgericht, an dieser Auslegung des Unionsrechts aber selbst nach Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV durch die vom nationalen Recht angeordnete Bindung an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gehindert ist?


(1)  Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337, S. 9.


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