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Document 52011IP0127

EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. April 2011 zu den Prioritäten und Grundzügen einer neuen EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (2010/2209(INI))

ABl. C 296E vom 2.10.2012, p. 26–33 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

2.10.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CE 296/26


Dienstag, 5. April 2011
EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

P7_TA(2011)0127

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. April 2011 zu den Prioritäten und Grundzügen einer neuen EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (2010/2209(INI))

2012/C 296 E/04

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf die Bestimmungen der Rechtsinstrumente der Vereinten Nationen im Bereich der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte, wie z. B. der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte sowie des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution anderer, des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und des dazugehörigen Fakultativprotokolls, des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe sowie des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 und den Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-refoulement),

unter Hinweis auf andere Instrumente der Vereinten Nationen betreffend Gewalt gegen Frauen, wie z. B. der Erklärung von Wien und des Aktionsprogramms vom 25. Juni 1993, angenommen von der Weltkonferenz über Menschenrechte (A/CONF. 157/23), und der Erklärung vom 20. Dezember 1993 über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (A/RES/48/104),

unter Hinweis auf die UN-Resolutionen vom 12. Dezember 1997 zur Verbrechensverhütung und Strafrechtspflege zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (A/RES/52/86), vom 18. Dezember 2002 über die Wege zur Bekämpfung von Verbrechen gegen Frauen wegen verletzter Ehre (A/RES/57/179) und vom 22. Dezember 2003 zur Beseitigung der häuslichen Gewalt gegen Frauen (A/RES/58/147),

unter Hinweis auf die Berichte der Sonderberichterstatter des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte über Gewalt gegen Frauen und die Allgemeine Empfehlung Nr. 19 des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (11. Tagung, 1992),

unter Hinweis auf die Erklärung von Peking und die Aktionsplattform, die von der Vierten Weltfrauenkonferenz am 15. September 1995 angenommen wurden, sowie unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 18. Mai 2000 zu den Folgemaßnahmen im Anschluss an die Aktionsplattform von Peking (1) und vom 10. März 2005 zu Folgemaßnahmen zur Vierten Weltfrauenkonferenz – Aktionsplattform (Peking+10) (2) und vom 25. Februar 2010 zu den Folgemaßnahmen im Anschluss an die Aktionsplattform von Peking (Peking+15) (3),

unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union,

unter Hinweis auf die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 19. Dezember 2006 zur Verstärkung der Bemühungen zur Beseitigung aller Formen der Gewalt gegen Frauen (A/RES/61/143) und die Resolutionen 1325 und 1820 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen über Frauen, Frieden und Sicherheit,

unter Hinweis auf die Arbeit des im Dezember 2008 eingesetzten Ad-hoc-Ausschusses des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (CAHVIO) an der Vorbereitung eines künftigen Übereinkommens des Europarates zu diesem Thema,

unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates „Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz“ (EPSCO) vom 8. März 2010 zu Gewalt,

unter Hinweis auf seinen Standpunkt vom 14. Dezember 2010 zu dem Entwurf für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Schutzanordnung (4),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 26. November 2009 zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (5),

unter Hinweis auf seine Erklärung vom 21. April 2009 zu der Kampagne „Sagen Sie Nein zu Gewalt gegen Frauen“ (6),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 24. März 2009 zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union (7),

unter Hinweis auf die Strategie der Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2010-2015), die am 21. September 2010 vorgelegt wurde,

gestützt auf Artikel 48 seiner Geschäftsordnung,

in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (A7-0065/2011),

A.

in der Erwägung, dass geschlechtsbezogene Gewalt und ihre Folgen nicht durch Einzelmaßnahmen beseitigt werden, sondern dass nur eine Kombination aus Maßnahmen in den Bereichen Infrastruktur, Recht, Justiz, Strafverfolgung, Bildung, Gesundheitswesen und anderen Dienstleistungen diese Gewalt und ihre Folgen spürbar reduzieren kann,

B.

in der Erwägung, dass der Begriff „Gewalt gegen Frauen“ – trotz einer fehlenden international anerkannten Definition – von den Vereinten Nationen als jeglicher Akt geschlechtsbezogener Gewalt definiert wird, der zu Schäden oder Leiden physischer, sexueller oder psychologischer Natur führt oder führen kann, wobei auch Androhung von entsprechenden Akten, Zwang oder willkürliche Freiheitsberaubung unabhängig davon, ob sie in der Öffentlichkeit oder in der Privatsphäre erfolgen, eingeschlossen werden (8),

C.

in der Erwägung, dass Gewalt für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind eine traumatische Erfahrung darstellt, geschlechtsbezogene Gewalt jedoch überwiegend von Männern gegen Frauen und Mädchen ausgeübt wird, dass sie die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen widerspiegelt und verstärkt und die Gesundheit, Würde, Sicherheit und Willensfreiheit der Opfer gefährdet,

D.

in der Erwägung, dass Studien zu geschlechtsbezogener Gewalt zu der Einschätzung kommen, dass etwa ein Fünftel bis ein Viertel aller Frauen in Europa mindestens einmal in ihrem Erwachsenenleben Opfer körperlicher Gewalttaten waren und mehr als ein Zehntel Opfer sexueller Gewalt unter Anwendung von Zwang waren; in der Erwägung, dass Forschungen auch zeigen, dass 26 % der Kinder und Jugendlichen von körperlicher Gewalt in der Kindheit berichten,

E.

in der Erwägung, dass Werbung und Pornografie häufig verschiedene Formen geschlechtsbezogener Gewalt darstellen und damit Gewalt gegen Frauen trivialisieren und Strategien zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern behindern,

F.

in der Erwägung, dass männliche Gewalt gegen Frauen den Platz der Frauen in der Gesellschaft prägt: ihre Gesundheit, ihren Zugang zu Beschäftigung und Bildung, ihre Beteiligung an sozialen und kulturellen Aktivitäten, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, die Teilnahme am öffentlichen und politischen Leben und an Entscheidungsprozessen sowie ihre Beziehungen zu Männern,

G.

in der Erwägung, dass Frauen die gegen sie gerichtete geschlechtsbezogene Gewalt durch Männer aus komplexen und vielfältigen psychologischen, finanziellen, sozialen und kulturellen Gründen und manchmal auch aufgrund mangelnden Vertrauens in Polizei, Justizwesen und soziale und medizinische Dienste oft nicht publik machen,

H.

in der Erwägung, dass geschlechtsbezogene Gewalt, die vorrangig von Männern gegen Frauen verübt wird, europa- und weltweit ein strukturelles und weit verbreitetes Problem und eine Erscheinung ist, die Opfer wie Täter unabhängig von Alter, Bildungsstand, Einkommen oder sozialer Stellung betrifft und mit der ungleichen Verteilung der Macht zwischen Frauen und Männern in unserer Gesellschaft verbunden ist,

I.

in der Erwägung, dass wirtschaftlicher Druck oft zu häufigeren, brutaleren und gefährlicheren Misshandlungen führt; in der Erwägung, dass Untersuchungen gezeigt haben, dass sich Gewalt gegen Frauen verschlimmert, wenn Männer infolge der Wirtschaftskrise mit Entlassungen und Eigentumsverlusten konfrontiert sind,

J.

in der Erwägung, dass Gewalt gegen Frauen viele Formen von Menschenrechtsverletzungen umfasst, die die folgenden Erscheinungsformen einschließt: sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung, häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und sexuelle Belästigung, Prostitution, Handel mit Frauen und Mädchen, Verletzung der sexuellen und reproduktiven Rechte der Frauen, Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz, Gewalt gegen Frauen in Konfliktsituationen, Gewalt gegen Frauen in Gefängnissen oder Betreuungseinrichtungen und verschiedene schädigende traditionelle Praktiken; in der Erwägung, dass jede dieser Misshandlungen zu heftigen psychologischen Traumata, allgemeinen Gesundheitsschäden bei Frauen und Mädchen, einschließlich ihrer reproduktiven und sexuellen Gesundheit, und in einigen Fällen zum Tode führen kann,

K.

in der Erwägung, dass männliche Gewalt gegen Frauen in Form der Vergewaltigung in mehreren Mitgliedstaaten nicht als eine Straftat betrachtet wird, die eine Verfolgung von Amts wegen nach sich zieht (9),

L.

in der Erwägung, dass vergleichbare Daten zu den verschiedenen Arten von Gewalt gegen Frauen in der Europäischen Union nicht regelmäßig erhoben werden, wodurch sich das wirkliche Ausmaß des Problems nur schwer ermessen lässt und kaum angemessene Lösungen gefunden werden können; in der Erwägung, dass eine zuverlässige Datenerhebung sehr schwierig ist, da Frauen und Männer aufgrund von Angst oder Scham zögern, den betreffenden Akteuren ihre Erfahrungen anzuzeigen,

M.

in der Erwägung, dass Studien zufolge, die für die Mitgliedstaaten des Europarats vorliegen, die jährlichen Kosten der Gewalt gegen Frauen auf ca. 33 Mrd. Euro geschätzt werden (10),

N.

in der Erwägung, dass Frauen in der Europäischen Union wegen unterschiedlicher politischer Maßnahmen und Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten nicht in gleichem Maße gegen männliche Gewalt geschützt sind,

O.

in der Erwägung, dass die Europäische Union mit dem Vertrag von Lissabon eine größere Zuständigkeit im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, einschließlich Strafverfahrensrecht und materielles Strafrecht, sowie im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit erhalten hat,

P.

in Erwägung der alarmierend hohen Zahl von Frauen, die Opfer geschlechtsbezogener Gewalt geworden sind,

Q.

in der Erwägung, dass das „Mobbing von Müttern“ und Schwangeren eine andere Form der Gewalt oder Misshandlung darstellt, die sich hauptsächlich innerhalb der Familie oder Partnerbeziehung, im sozialen Rahmen oder im Arbeitsumfeld abspielt und den Verlust des Arbeitsplatzes entweder durch Entlassung oder eigene Kündigung sowie Diskriminierung und Depression zur Folge hat,

R.

in der Erwägung, dass die Kommission in ihrer Strategie zur Gleichstellung der Geschlechter (2010-2015) festgestellt hat, dass geschlechtsbezogene Gewalt eines der zentralen Probleme ist, die es zu lösen gilt, um die faktische Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen,

S.

in der Erwägung, dass die Kommission angekündigt hat, 2011 einen Vorschlag für eine Strategie zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen vorzulegen, aber im Arbeitsprogramm der Kommission für 2011 nicht explizit auf diese Strategie Bezug genommen wurde,

1.

begrüßt die Zusage der Kommission in ihrem Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms, 2011 oder 2012 eine Mitteilung über eine Strategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Gewalt in der Familie sowie zur Bekämpfung von Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen mit anschließendem EU-Aktionsplan vorzulegen (11);

2.

schlägt eine neue umfassende politische Strategie gegen geschlechtsbezogene Gewalt vor, die Folgendes einschließt:

ein strafrechtliches Instrument in Form einer Richtlinie gegen geschlechtsbezogene Gewalt,

Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen in den Bereichen Politik, Vorbeugung, Schutz, Strafverfolgung, Vorsorge und Partnerschaft (die sogenannten „Sechs P“ der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen: policy, prevention, protection, prosecution, provision, and partnership),

Forderungen an die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass Straftäter entsprechend der Schwere des Delikts bestraft werden,

Forderungen an die Mitgliedstaaten, Schulungen für Beamte zu gewährleisten, die mit Fällen von Gewalt gegen Frauen in Kontakt kommen können, einschließlich Personal der Strafverfolgungsbehörden, der Sozial-, Kinder-, und Gesundheitsbetreuungseinrichtungen sowie der Notfallzentren, um diese Fälle aufzudecken, festzustellen und ordnungsgemäß zu behandeln, wobei die Bedürfnisse und Rechte der Opfer besonders berücksichtigt werden,

Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die gebührende Sorgfalt walten zu lassen und alle Formen von geschlechtsbezogener Gewalt zum Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung aufzunehmen und zu untersuchen,

Pläne zur Entwicklung spezieller Ermittlungsverfahren für die Polizei und im Gesundheitswesen zur Sicherung von Beweisen für geschlechtsbezogene Gewalt,

die Schaffung von Partnerschaften mit Hochschuleinrichtungen mit dem Ziel, die auf diesem Gebiet Tätigen, vor allem Richter, Angehörige der Kriminalpolizei, medizinisches Personal, Lehrer und Erzieher sowie im Opferschutz tätige Personen, in geschlechtsbezogener Gewalt zu schulen,

Vorschläge für politische Maßnahmen, die nicht nur die Sicherheit der Opfer gewährleisten und ihre physische und psychische Gesundheit wiederherstellen, sondern ihnen auch dabei helfen, ihr Leben wieder aufzubauen, wobei auf die speziellen Bedürfnisse der verschiedenen Opfergruppen wie Frauen, die Minderheiten angehören, eingegangen wird, und für Maßnahmen, die den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren im Umgang mit Überlebenden von Gewalt gegen Frauen fördern,

die Einbeziehung spezifischer Auswahl- und Diagnosemechanismen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser und in das medizinische Grundversorgungsnetz, damit für diesen Opfertyp ein wirksameres Zugangs- und Betreuungssystem konsolidiert wird,

Forderungen an die Mitgliedstaaten, Opfern geschlechtsbezogener Gewalt in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Nichtregierungsorganisationen Unterkünfte bereitzustellen,

Mindestanforderungen bezüglich der Anzahl von Unterstützungsstrukturen für Opfer geschlechtsbezogener Gewalt je 10 000 Einwohner in Form von Zentren mit spezifischer Sachkenntnis im Bereich der Opferhilfe,

die Erstellung einer europäischen Charta der Grundversorgung mit Diensten für Opfer von Gewalt gegen Frauen, wozu auch gehören sollten: das Recht auf unentgeltliche Rechtsberatung; die Einrichtung von Aufnahmestellen, die den Bedürfnissen der Opfer nach Schutz und zeitweiliger Unterkunft gerecht werden; ein kostenloser, spezialisierter, dezentraler und zugänglicher psychologischer Notdienst; und ein System von finanziellen Hilfeleistungen zur Unterstützung der finanziellen Unabhängigkeit der Opfer und zur Ermöglichung ihrer Rückkehr in ein normales Leben und der Wiederaufnahme einer Beschäftigung,

Mindeststandards, die gewährleisten, dass Opfer unabhängig von ihrer Rolle im Strafverfahren professionelle Hilfe in Form von Rechtsberatung durch einen Rechtsanwalt erhalten,

Mechanismen zur Erleichterung des Zugangs zu Rechtsbeistand, damit die Opfer ihre Rechte in der gesamten Union geltend machen können,

Pläne zur Entwicklung von Methodikleitlinien und Erhebung neuer Daten für das Erstellen vergleichbarer Statistiken zu geschlechtsbezogener Gewalt, einschließlich Genitalverstümmelungen, um das Ausmaß des Problems festzustellen und eine Grundlage für eine Änderung der Herangehensweise an dieses Problem zu schaffen,

im Verlauf der kommenden fünf Jahre die Ausrufung eines Europäischen Jahres zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, um die europäischen Bürgerinnen und Bürgern stärker zu sensibilisieren,

Forderungen an die Kommission und die Mitgliedstaaten, angemessene vorbeugende Maßnahmen, einschließlich Sensibilisierungskampagnen, zu ergreifen, gegebenenfalls auch in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen,

Umsetzung von Maßnahmen in den Tarifverträgen und eine bessere Abstimmung zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Unternehmen sowie innerhalb ihrer jeweiligen Verwaltungsgremien mit dem Ziel, die Opfer über ihre Arbeitsrechte angemessen aufzuklären,

mehr Gerichte, die sich mit geschlechtsbezogener Gewalt befassen; mehr Mittel und Schulungsmaterial über geschlechtsbezogene Gewalt für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte und Verbesserungen bei den Sondereinheiten der Strafverfolgungsbehörden durch mehr Personal und bessere Schulungen und Schulungsmaterialien;

3.

fordert die Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, sexuelle Gewalt und die Vergewaltigung von Frauen – auch in der Ehe und in engen informellen Partnerschaften und/oder durch männliche Verwandte – ohne die Einwilligung des Opfers als Verbrechen anzuerkennen und sicherzustellen, dass solche Straftaten eine automatische Strafverfolgung nach sich ziehen, und jedwede Berufung auf kulturelle, traditionelle oder religiöse Praktiken oder Gepflogenheiten als mildernde Umstände in Fällen von Gewalt gegen Frauen, einschließlich sogenannter Ehrenverbrechen und der Genitalverstümmelung bei Frauen, zurückzuweisen;

4.

erkennt an, dass Gewalt gegen Frauen eine der schlimmsten Formen geschlechtsbezogener Menschenrechtsverletzungen ist und dass häusliche Gewalt – gegen andere Opfer wie Kinder, Männer und ältere Menschen – auch eine verborgene Erscheinung ist, von der zu viele Familien betroffen sind, als dass sie übergangen werden könnte;

5.

betont, dass es für Kinder schwerwiegende Folgen hat, Zeugen körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt und von Missbrauch zwischen den Eltern oder anderen Familienmitgliedern zu werden;

6.

fordert die Mitgliedstaaten auf, für Kinder, die Zeuge von Gewalt geworden sind, eine altersgerechte psychosoziale Beratung zu entwickeln, die speziell auf Kinder zugeschnitten ist, damit sie ihre traumatischen Erfahrungen verarbeiten können, wobei dem Kindeswohl gebührend Rechnung zu tragen ist;

7.

betont, dass Migrantinnen, auch Migrantinnen ohne gültige Ausweispapiere, und Asylbewerberinnen zwei Unterkategorien von Frauen bilden, die durch geschlechtsbezogene Gewalt besonders gefährdet sind;

8.

betont, wie wichtig eine angemessene Ausbildung aller Personen ist, die mit weiblichen Opfern geschlechtsbezogener Gewalt arbeiten, was insbesondere für die Vertreter der Justiz- und der Strafverfolgungsbehörden gilt, bei denen an erster Stelle Polizisten, Richter, Sozialarbeiter und Beschäftigte im Gesundheitswesen zu nennen sind;

9.

fordert die Europäische Kommission auf, unter Nutzung aller vorhandenen Fachkompetenz auf der Grundlage von Daten der Mitgliedstaaten eine Jahresstatistik zu geschlechtsbezogener Gewalt zu erstellen und vorzulegen, einschließlich Angaben darüber, wie viele Frauen alljährlich durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet werden;

10.

betont, dass die Forschung zur Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen und auf einer allgemeineren Ebene zu geschlechtsbezogener und sexueller Gewalt als ein fächerübergreifendes Forschungsgebiet in das zukünftige Achte Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung aufgenommen werden sollte;

11.

ersucht die Kommission, auf Grundlage mitgeteilter Gerichtsverfahren, die Gewalt gegen Frauen zum Gegenstand haben, die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für Gewalt gegen Frauen in Erwägung zu ziehen;

12.

fordert die Kommission auf, ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der geschlechtsbezogenen Gewalt durch Gemeinschaftsprogramme, insbesondere das Daphne-Programm, das bereits erfolgreich zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen beigetragen hat, fortzusetzen;

13.

nimmt zur Kenntnis, dass die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) einen repräsentativen Querschnitt von Frauen aus allen Mitgliedstaaten zu ihren Erfahrungen mit Gewalt befragen wird, und fordert, dass der Schwerpunkt auf die Auswertung der Antworten gelegt wird, die Frauen von den verschiedenen Behörden und Unterstützungsdiensten erhalten, wenn sie Anzeige erstatten;

14.

fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, in ihren nationalen Statistiken die Größenordnung der geschlechtsbezogenen Gewalt deutlich auszuweisen und Maßnahmen zu ergreifen, damit Daten zu geschlechtsbezogener Gewalt erhoben werden, unter anderem zum Geschlecht der Opfer, zum Geschlecht der Täter, zu ihrer Beziehung, zu Alter, Tatort und zu Verletzungen;

15.

fordert die Kommission auf, eine Studie über die finanziellen Folgen der Gewalt gegen Frauen vorzulegen und dabei Studien zu berücksichtigen, mit deren Methoden es möglich ist, die Auswirkungen dieser Form der Gewalt auf die Gesundheitssysteme, auf die Sozialversicherungssysteme und auf dem Arbeitsmarkt finanziell zu erfassen;

16.

fordert die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen auf, die Verbreitung von Gewalt in Teenager-Beziehungen und deren Auswirkung auf ihr Wohlergehen zu untersuchen;

17.

stellt fest, dass Nachstellung, deren Opfer zu 87 % weiblich sind, psychologische Traumata und erheblichen emotionalen Stress verursacht und dass die Nachstellung daher als Form der Gewalt gegen Frauen betrachtet und in allen Mitgliedstaaten gegen sie mit rechtlichen Mitteln vorgegangen werden können sollte;

18.

stellt fest, dass schädigende traditionelle Praktiken wie Genitalverstümmelungen bei Frauen und sogenannte „Ehrenmorde“ höchst kontextbezogene Formen von Gewalt gegen Frauen sind, und fordert daher die Kommission auf, in ihrer Strategie zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen schädigenden traditionellen Praktiken besondere Aufmerksamkeit zu widmen;

19.

erkennt an, dass es in der Europäischen Union ein ernstes Problem der Prostitution - auch von Minderjährigen - gibt, und fordert, den Zusammenhang zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen im jeweiligen Mitgliedstaat und Form und Ausmaß der Prostitution näher zu untersuchen; weist nachdrücklich auf den besorgniserregenden Anstieg des Menschenhandels in die und innerhalb der EU hin, ein Handel, der insbesondere Frauen und Kinder betrifft, und fordert die Mitgliedstaaten auf, diese illegale Praxis entschlossen zu bekämpfen;

20.

fordert die Mitgliedstaaten auf, das ernste Problem der Leihmutterschaft anzuerkennen, die eine Ausbeutung des weiblichen Körpers und seiner reproduktiven Organe darstellt;

21.

betont, dass sowohl Frauen als auch Kinder denselben Formen der Ausbeutung unterworfen sind und beide daher als „Rohstoffe“ auf dem internationalen Reproduktionsmarkt betrachtet werden können und dass durch neue Reproduktionsvereinbarungen wie die Leihmutterschaft der Handel mit Frauen und Kindern sowie illegale grenzüberschreitende Adoptionen zunehmen;

22.

weist darauf hin, dass häusliche Gewalt als Hauptursache für Fehl- oder Totgeburten und dafür, dass Mütter bei der Geburt sterben, festgestellt wurde, und fordert die Kommission auf, der Gewalt gegen schwangere Frauen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, da der Täter mehr als eine Person verletzt;

23.

stellt fest, dass die Zivilgesellschaft, insbesondere NRO, Frauenverbände und andere öffentliche und private Freiwilligenorganisationen, die Gewaltopfern Hilfe anbieten, einen wertvollen Dienst leisten, insbesondere indem sie Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, dabei unterstützen, das Schweigen zu brechen, in das die Gewalt sie eingeschlossen hat, und von den Mitgliedstaaten unterstützt werden sollten;

24.

wiederholt, dass sowohl mit den Opfern als auch mit den Aggressoren gearbeitet werden muss, um diese stärker zu sensibilisieren und um zur Veränderung von Stereotypen und in der Gesellschaft verwurzelten Vorstellungen beizutragen, die mithelfen, die Bedingungen für solche Gewalt und ihre Akzeptanz zu verewigen;

25.

fordert die Mitgliedstaaten auf, Frauenhäuser bereitzustellen, die spezialisierte Dienstleistungen, medizinische Behandlung, Rechtsbeistand, psychosoziale und therapeutische Beratung, Rechtsbeistand bei Gerichtsverfahren, Unterstützung für Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, usw. anbieten sollten, um Frauen und Kinder dabei zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt und Armut zu führen;

26.

betont, dass die Mitgliedstaaten ausreichende Mittel für die Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zur Verfügung stellen müssen, einschließlich Strukturfondsmittel;

27.

betont, wie wichtig es ist, dass die Mitgliedstaaten und die regionalen und lokalen Behörden Maßnahmen ergreifen, die dazu dienen, die Wiedereingliederung von Frauen, die Opfer geschlechtsbezogener Gewalt geworden sind, in den Arbeitsmarkt mittels Instrumenten wie dem Europäischen Sozialfonds (ESF) oder dem Programm für Beschäftigung und soziale Solidarität Progress zu ermöglichen;

28.

fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der Einwanderinnen das Recht auf den Besitz ihres eigenen Reisepasses und ihrer Aufenthaltsgenehmigung einräumt und der die Möglichkeit vorsieht, dass eine Person, die ihnen diese Dokumente abnimmt, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird;

29.

bekräftigt die in seiner Entschließung vom 25. Februar 2010 vertretene Auffassung, dass die Europäische Union im Rahmen des durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen neuen Rechtsrahmens dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und dem dazugehörigen Fakultativprotokoll beitreten sollte;

30.

fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Frage der Gewalt gegen Frauen und die geschlechtsspezifische Dimension von Menschenrechtsverletzungen auf internationaler Ebene zur Sprache zu bringen, insbesondere im Rahmen geltender oder in Aushandlung befindlicher bilateraler Assoziierungs- und internationaler Handelsabkommen;

31.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.


(1)  ABl. C 59 vom 23.2.2001, S. 258.

(2)  ABl. C 320 E vom 15.12.2005, S. 247.

(3)  ABl. C 348 E vom 21.12.2010, S. 11.

(4)  Angenommene Texte, P7_TA(2010)0470.

(5)  ABl. C 285E vom 21.10.2010, S. 53.

(6)  ABl. C 184 E vom 8.7.2010, S. 131.

(7)  ABl. C 117 E vom 6.5.2010, S. 52.

(8)  Artikel 1 der Erklärung der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1993 über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (A/RES/48/104); Ziffer 113 der Aktionsplattform von Peking der Vereinten Nationen von 1995.

(9)  Durchführbarkeitsstudie der Kommission von 2010 zur Bewertung der Möglichkeiten, Aussichten und des bestehenden Bedarfs für die Vereinheitlichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Gewalt gegen Frauen, der Gewalt gegen Kinder und der Gewalt aufgrund der sexuellen Orientierung, S. 53.

(10)  „Die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen - Studie zur Bestandsaufnahme der in den Mitgliedstaaten des Europarats ergriffenen Maßnahmen und Aktionen“, Europarat 2006.

(11)  „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Bürger Europas - Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms“ (KOM(2010)0171), S. 13.


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