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Document 52012XX0209(02)

Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu dem Legislativpaket für die Opfer von Straftaten, einschließlich eines Vorschlags für eine Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe und eines Vorschlags für eine Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen

ABl. C 35 vom 9.2.2012, p. 10–15 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

9.2.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 35/10


Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu dem Legislativpaket für die Opfer von Straftaten, einschließlich eines Vorschlags für eine Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe und eines Vorschlags für eine Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen

2012/C 35/02

DER EUROPÄISCHE DATENSCHUTZBEAUFTRAGTE —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und insbesondere auf Artikel 16,

gestützt auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und insbesondere auf Artikel 7 und 8,

gestützt auf Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (1),

gestützt auf Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (2), und insbesondere auf Artikel 41 Absatz 2 —

HAT FOLGENDE STELLUNGNAHME ANGENOMMEN:

1.   EINLEITUNG

1.1   Hintergrund

1.

Am 18. Mai 2011 verabschiedete die Kommission ein Paket von Rechtsinstrumenten zum Schutz von Opfern von Straftaten. Das Legislativpaket umfasst einen Vorschlag für eine Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe (die „vorgeschlagene Richtlinie“) und einen Vorschlag für eine Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen (die „vorgeschlagene Verordnung“) (3). Beide Vorschläge werden durch eine Mitteilung der Kommission zur Stärkung der Opferrechte in der EU ergänzt (4).

2.

Der EDSB wurde nicht gemäß Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 konsultiert und dies trotz der Tatsache, dass die Rechtsetzungsinitiative in der Vorausschau auf die Prioritäten für legislative Konsultationen des EDPS enthalten war (5). Die vorliegende Stellungnahme basiert daher auf Artikel 41 Absatz 2 dieser Verordnung. Der EDSB empfiehlt, dass eine Bezugnahme auf diese Stellungnahme in die Präambel der verabschiedeten Instrumente aufgenommen wird.

1.2   Ziele und Umfang des Legislativpakets

3.

Der EDSB begrüßt die politischen Zielsetzungen des Legislativpakets, die im Rahmen des Stockholmer Programms und seines Aktionsplans die Rechte von Opfern von Straftaten stärken und den Schutz, die Unterstützung und den Zugang zum Recht sicherstellen sollen (6).

4.

Die vorgeschlagene Richtlinie soll den Rahmenbeschluss 2001/220/JI über die Stellung des Opfers im Strafverfahren ersetzen (7). Sie legt gemeinsame Mindestvorschriften für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe fest. Insbesondere zielt die vorgeschlagene Richtlinie darauf ab, sicherzustellen, dass Opfer mit Respekt behandelt werden, die besonderen Bedürfnisse von schutzbedürftigen Opfern berücksichtigt werden, Opfer geeignete Unterstützung und Informationen erhalten und an Verfahren teilnehmen können (8).

5.

Die vorgeschlagene Verordnung zielt darauf ab zu gewährleisten, dass Opfer, die von einer Schutzmaßnahme in einer Zivilsache in einem Mitgliedstaat profitieren, im Falle eines Umzugs oder einer Reise in einen anderen Mitgliedstaat auch dort ohne ein vorheriges gesondertes Verfahren das gleiche Maß an Schutz genießen (9). Diese Maßnahme ergänzt den Vorschlag für eine Richtlinie über die europäische Schutzanordnung (die „ESA-Initiative“), die sich mit der gegenseitigen Anerkennung von in Strafsachen ergriffenen Schutzmaßnahmen befasst. Die ESA-Initiative, zu der der EDSB im Oktober 2010 eine Stellungnahme herausgab (10), wird derzeit im Europäischen Parlament und im Rat diskutiert.

1.3   Ziel der vorliegenden Stellungnahme

6.

Der Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten spielt dem Stockholmer Programm zufolge im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, und insbesondere im Zusammenhang mit der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen eine zentrale Rolle. Im Oktober 2010 gab der EDSB eine Stellungnahme zur ESA-Initiative heraus, die die Notwendigkeit einer einheitlichen Datenschutzregelung hinsichtlich der Initiativen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen unterstreicht (11). Dabei betonte der EDSB, dass die Verarbeitung von Daten auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen durch die besondere Sensibilität der betroffenen Daten und durch die Auswirkungen gekennzeichnet ist, die die entsprechende Datenverarbeitung auf betroffene Personen haben kann (12). Daher ist es erforderlich, datenschutzrechtlichen Aspekten in Verbindung mit Initiativen auf diesem Gebiet gebührend Rechnung zu tragen und gegebenenfalls geeignete Vorschriften und Schutzmaßnahmen einzuführen.

7.

Nach Ansicht des EDSB stellt die Achtung der Privatsphäre und personenbezogener Daten ein wesentliches Element des Opferschutzes dar, den die vorgeschlagenen Instrumente gewährleisten sollen. Die vorliegende Stellungnahme wird daher den Schwerpunkt auf die die Privatsphäre betreffenden Aspekte der Vorschläge legen und Ideen zur Verbesserung und Stärkung des Opferschutzes vorbringen.

2.   ANALYSE DES VORSCHLAGS

2.1   Richtlinie für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe

8.

Zahlreiche Bestimmungen der vorgeschlagenen Richtlinie beschäftigen sich direkt und indirekt mit Privatsphäre und Datenschutz (13). Im Großen und Ganzen begrüßt der EDSB diese Bestimmungen, da sie bezwecken, die Privatsphäre von Opfern zu wahren. Nichtsdestotrotz ist er der Auffassung, dass die Schutzvorschriften in einigen Fällen verstärkt und verdeutlicht werden könnten, ohne ihren Charakter als Mindeststandards zu beeinträchtigen.

9.

Die Anmerkungen des EDSB werden sich hauptsächlich auf die folgenden Aspekte konzentrieren: (1) Artikel 23 der vorgeschlagenen Richtlinie, der das Recht auf Schutz der Privatsphäre und Beziehungen zu den Medien, (2) das Recht der Opfer auf Information und Zugang zu ihren personenbezogenen Daten und (3) den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen dem Opfer und Opferhilfsdiensten behandelt. Diese Aspekte werden in den folgenden Unterabschnitten erörtert.

2.1.1   Der Schutz der Privatsphäre des Opfers

10.

Die wichtigste wesentliche Bestimmung der vorgeschlagenen Richtlinie, die sich mit Privatsphäre beschäftigt, ist Artikel 23 mit dem Titel „Recht auf Schutz der Privatsphäre“. Artikel 23 Absatz 1 legt fest, dass „die Mitgliedstaaten (dafür sorgen), dass die Justizbehörden während der Gerichtsverhandlung geeignete Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre und des Rechts der Opfer am eigenen Bild und ihrer Familienangehörigen treffen können“. Der EDSB hat verschiedene Anmerkungen zu dieser Bestimmung.

11.

Erstens deckt Artikel 23 Absatz 1 nicht das uneingeschränkte Recht der Opfer von Straftaten auf Schutz der Privatsphäre ab. Die Bestimmung ist im Geltungsbereich wesentlich eingeschränkter, da sie für die Befugnis der „Justizbehörden“ vorsieht, Schutzmaßnahmen nur „während der Gerichtsverhandlung“ anzuordnen. Der Schutz der Privatsphäre sollte jedoch nicht nur „während der Gerichtsverhandlung“, sondern auch während der Ermittlungen und der vorgerichtlichen Phase gewährleistet werden. Allgemein sollte die Privatsphäre gegebenenfalls ab dem ersten Kontakt mit den zuständigen Behörden und auch nach Abschluss des Gerichtsverfahrens garantiert werden.

12.

In dieser Hinsicht sei hier darauf hingewiesen, dass verschiedene internationale Instrumente im Vergleich zu Artikel 23 Absatz 1 ein ehrgeizigeres Konzept angenommen haben. Die Empfehlung des Europarates Rec(2006) 8 über Unterstützung von Opfern von Straftaten beispielsweise sieht vor, dass „Staaten geeignete Schritte unternehmen sollten, um weitestgehend deren Auswirkung auf das Privat- und Familienleben der Opfer zu vermeiden sowie personenbezogene Daten der Opfer zu schützen, insbesondere während der Ermittlung und der Strafverfolgung“ (Hervorhebung hinzugefügt) (14). Andere Instrumente enthalten ähnliche Bestimmungen (15).

13.

In Anbetracht dessen empfiehlt der EDSB, Artikel 23 einen ersten Absatz hinzuzufügen, der in allgemeinerem Maße feststellt, dass die Mitgliedstaaten weitestgehend den Schutz des Privat- und Familienlebens von Opfern sowie den Schutz personenbezogener Daten ab dem ersten Kontakt mit den zuständigen Behörden und auch nach dem Abschluss der Strafverfahren gewährleisten sollen. Darüber hinaus sollte der aktuelle Artikel 23 Absatz 1 dahingehend geändert werden, dass es den Justizbehörden ermöglicht wird, Schutzmaßnahmen auch „während der strafrechtlichen Ermittlungen“ zu erlassen.

14.

Zweitens enthält Artikel 23 Absatz 1 keine Angabe über den Inhalt der besonderen Maßnahmen, die von den Justizbehörden getroffen werden können, um das Recht der Opfer auf Privatsphäre zu wahren. Der EDSB versteht die Absicht, den Mitgliedstaaten größtmögliche Flexibilität in diesem Bereich zu lassen. Allerdings kann mehr Genauigkeit hilfreich sein. Insbesondere könnte der Vorschlag eine Liste mit Mindestmaßnahmen enthalten, die Justizbehörden in Übereinstimmung mit nationalem Recht ergreifen könnten, um die Privatsphäre des Opfers zu schützen (16). Dies kann zum Beispiel die folgenden Kategorien von Maßnahmen beinhalten:

Geheimhaltungsvereinbarung oder Beschränkung der Offenlegung von Informationen bezüglich der Identität und des Aufenthaltsortes der Opfer oder Familienangehörigen in angezeigten Fällen und unter besonderen Bedingungen (wie in Erwägungsgrund 22 angegeben);

Anordnung, bestimmte vertrauliche Daten aus der Akte zu entfernen oder die Offenlegung besonderer Informationen zu untersagen;

die Veröffentlichung von vertraulichen Informationen in den Urteilen und anderen Entscheidungen, die normalerweise öffentlich gemacht werden, einzuschränken.

15.

Drittens enthält Artikel 23 keine Bestimmung, die die Vertraulichkeit von Informationen gewährleistet, die von den Behörden aufbewahrt werden. In dieser Hinsicht gibt die oben zitierte Empfehlung des Europarates Rec(2006) 8 erneut hilfreiche Beispiele. Unter Punkt 11 sieht die Empfehlung vor, dass Staaten von allen Behörden, die in Kontakt mit Opfern stehen, verlangen sollten, klaren Standards zu folgen, wonach sie einem Dritten von einem Opfer oder über ein Opfer erhaltene Daten nur unter der Voraussetzung offenlegen können, dass das Opfer ausdrücklich einer solchen Offenlegung zugestimmt hat oder dass eine gesetzliche Vorschrift oder Ermächtigung dazu vorliegt. Der EDSB fordert den Gesetzgeber auf, eine ähnlich lautende Bestimmung in die vorgeschlagene Richtlinie einzufügen.

2.1.2   Privatsphäre und Medien

16.

Der zweite Absatz von Artikel 23 sieht vor, dass „die Mitgliedstaaten Selbstkontrollmaßnahmen der Presse zum Schutz der Privatsphäre, der persönlichen Integrität und der personenbezogenen Daten der Opfer (fördern)“. Auch hier verfolgt der Vorschlag einen minimalistischen Ansatz, indem lediglich auf das Instrument der Selbstkontrolle abgehoben wird.

17.

Der EDSB versteht die Gründe für die Annahme einer vorsichtigen Grundhaltung bei diesem Thema und stimmt im Allgemeinen mit der Herangehensweise der Kommission überein. Die Beziehung zwischen Medien und Privatsphäre ist extrem heikel und komplex. Es handelt sich auch um einen Bereich, in dem im Rahmen der Grenzen, die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Europäische Menschenrechtskonvention aufgestellt wurden, verschiedene Traditionen und kulturelle Unterschiede in den Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle spielen können. Diese Herangehensweise erscheint mit dem Datenschutzrahmen (Artikel 9 der Richtlinie 95/46/EG) vereinbar, der den Mitgliedstaaten durchaus einiges an Spielraum in Bezug auf die Verarbeitung von Daten lässt, die zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecke vorgenommen wird (17).

18.

Was die Selbstkontrolle angeht, ist der EDSB überzeugt, dass dieses Instrument eine wichtige Rolle bei der Vereinbarkeit von Privatsphäre und freier Meinungsäußerung spielen kann. Darüber hinaus spiegelt Artikel 23 Absatz 2 die von der Empfehlung des Europarates Rec(2006) 8 angenommene Herangehensweise wider, die ebenfalls vorsieht, dass Staaten die Medien bestärken sollten, Selbstregulierungsmaßnahmen anzunehmen und zu wahren, um die Privatsphäre und die personenbezogenen Daten der Opfer zu schützen (18). Selbstregulierungsinstrumente können auch zusammen mit nationalen Bestimmungen greifen, wobei diese Rahmenbestimmungen mit der EMRK-Rechtsprechung zu Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sein sollten (19).

2.1.3   Besondere Informationen und Zugangsrechte

19.

Der EDSB weist darauf hin, dass Artikel 3 der vorgeschlagenen Richtlinie, der sich mit dem Recht auf Informationen bei der ersten Kontaktaufnahme mit einer zuständigen Behörde befasst, nicht Informationen bezüglich Datenschutz nennt. Um den geeigneten Schutz ihrer personenbezogenen Daten zu gewährleisten, sollten Opfer zu geeigneten Zeitpunkten alle nötigen Informationen erhalten, so dass sie vollständig nachvollziehen können, wie ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden.

20.

Der EDSB empfiehlt daher, Artikel 3 eine zusätzliche Bestimmung hinzuzufügen, die festlegt, dass Opfern Informationen bezüglich der weiteren Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten in Übereinstimmung mit Artikel 10 der Richtlinie 95/46/EG bereitgestellt werden. Zusätzlich könnte der Gesetzgeber in Betracht ziehen, Vorschriften zum Zugang der Opfer zu ihren personenbezogenen Daten aufzunehmen, wobei die berechtigten Interessen in Bezug auf strafrechtliche Ermittlung und Verfolgung gewahrt werden.

2.1.4   Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Opfern und Hilfseinrichtungen

21.

Die vorgeschlagene Richtlinie erkennt das Recht von Opfern von Straftaten an, vom Zeitpunkt der Straftaten, während der Strafverfahren und nach solchen Verfahren die Hilfe zu erhalten, die sie brauchen (20). Bestimmte Opfergruppen wie Opfer sexueller Gewalt, sexistischer oder durch Rassenhass motivierter Straftaten oder anderer Vorurteilskriminalität sowie Terrorismusopfer benötigen gegebenenfalls den Beistand spezieller Betreuungsdienste (21), einschließlich psychologischer Hilfe. In diesen Fällen sollte die Kommunikation zwischen dem Opfer und den Hilfe leistenden Fachleuten angemessen gegen Offenlegung geschützt werden. Wird dies nicht getan, kann es das Opfer demotivieren, frei mit seinem/ihrem Betreuer zu kommunizieren. Daher begrüßt der EDSB die Anforderung in Artikel 7, dass Opferbetreuung „vertraulich“ sein muss. Allerdings müssen der Umfang und die Konsequenzen dieser Vertraulichkeit verdeutlicht werden.

22.

Insbesondere legt die vorgeschlagene Richtlinie nicht fest, ob die Kommunikation des Opfers mit den Opferhilfsdiensten als „privilegiert“ in dem Sinne erachtet wird, dass ihre Offenlegung während der Gerichtsverhandlung ausgeschlossen oder anderweitig eingeschränkt ist. Dies wäre normalerweise der Fall, wenn die Hilfe bereitstellende Person eine dem Berufsgeheimnis unterliegende medizinische Fachkraft ist. Jedoch kann man sich Fälle vorstellen, in denen Hilfe nicht von solchem Fachpersonal erbracht wird. In solchen Situationen ist es zweifelhaft, ob das Opfer vor Offenlegung geschützt würde.

23.

Der EDSB empfiehlt daher festzulegen, dass Opfer dieser besonderen Straftaten das Recht haben sollten, die Offenlegung von vertraulicher Kommunikation mit den Hilfseinrichtungen in Strafverfolgungs- oder Verwaltungsverfahren zu verweigern und dass solche Kommunikation nur mit ihrer Zustimmung von einem Dritten offengelegt werden kann. Dies sollte normalerweise auch in allen Strafverfahren der Fall sein, unbeschadet legitimer und begründeter Interessen bezüglich der Ermittlung und Verfolgung (z. B. Sammlung von unverzichtbaren Beweisen durch Strafverfolgungsbehörden).

2.2   Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen

2.2.1   Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften zum Datenschutz

24.

Wie bereits erwähnt, ergänzt die vorgeschlagene Verordnung die ESA-Initiative zur gegenseitigen Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Strafsachen. Da die vorgeschlagene Verordnung die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug betrifft (22), fällt ihre Anwendung in den Geltungsbereich der ehemaligen ersten Säule und daher auch in den Geltungsbereich der Richtlinie 95/46/EG (23). Dies war bei der ESA-Initiative nicht der Fall.

25.

Der EDSB empfiehlt daher, dass eine Bezugnahme auf Richtlinie 95/46/EG zumindest in die Erwägungsgründe des Vorschlags eingefügt wird, wonach gemäß der Verordnung verarbeitete personenbezogene Daten in Übereinstimmung mit den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 95/46/EG geschützt werden sollten.

2.2.2   Informationen, die der Person zu geben sind, von der die Gefahr ausgeht

26.

Gemäß Artikel 5 der vorgeschlagenen Verordnung muss eine Partei, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Schutzanordnung geltend machen will, den zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats eine Bescheinigung vorlegen. Die Bescheinigung soll unter Verwendung des Formulars im Anhang zur vorgeschlagenen Verordnung ausgestellt werden. Der Anhang enthält personenbezogene Daten sowohl der gefährdeten Person als auch der gefährdenden Person, wie beispielsweise ihre Identität und ihren Wohnort und eine Beschreibung der Schutzmaßnahme. Der EDSB erkennt an, dass die in der Bescheinigung gemäß dem Anhang enthaltenen personenbezogenen Daten den Zwecken, für die sie erhoben wurden, entsprechen, dafür erheblich sind und nicht darüber hinausgehen.

27.

Allerdings geht aus dem Vorschlag nicht ausreichend klar hervor, welche personenbezogenen Daten der gefährdeten Person der Person, von ddder die Gefahr ausgeht, mitgeteilt werden, insbesondere gemäß Artikel 13 (24). Der EDSB ist der Ansicht, dass die gefährdende Person nur diejenigen personenbezogenen Daten erhalten sollte, die für die Ausübung der Maßnahme strikt erforderlich sind. Ferner sollten in den fraglichen Mitteilungen weitestgehend die Offenlegung der Adresse oder anderer Kontaktdaten der geschützten Person vermieden werden (25). Solch eine Einschränkung sollte im Text von Artikel 13 angegeben werden.

3.   SCHLUSSFOLGERUNGEN

28.

Der EDSB begrüßt die politischen Zielsetzungen der zwei betrachteten Vorschläge und teilt im Allgemeinen die Ansätze der Kommission. Nichtsdestotrotz ist er der Ansicht, dass der Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten von Opfern in der vorgeschlagenen Richtlinie in bestimmten Fällen verstärkt und verdeutlicht werden könnten.

29.

Im Hinblick auf die vorgeschlagene Richtlinie über die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe empfiehlt der EDSB dem Gesetzgeber:

in Artikel 23 eine allgemeine Bestimmung über den Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten einzufügen, wonach die Mitgliedstaaten weitestgehend den Schutz des Privat- und Familienlebens von Opfern gewährleisten und die personenbezogenen Daten von Opfern bei der ersten Kontaktaufnahme mit den Behörden, während aller Gerichtsverhandlungen und auch nach solchen Verfahren garantieren sollen. Darüber hinaus sollte der aktuelle Artikel 23 Absatz 1 dahingehend geändert werden, dass es den Justizbehörden ermöglicht wird, Schutzmaßnahmen auch „während der strafrechtlichen Ermittlungen“ anzuordnen.

gemäß Artikel 23 Absatz 1 eine Liste mit Mindestmaßnahmen anzugeben (wie in Punkt 14 erörtert), die die Strafverfolgungsbehörden ergreifen können, um die Privatsphäre und das Recht der Opfer am eigenen Bild und ihrer Familienangehörigen zu schützen;

festzulegen, dass Staaten von allen Behörden, die in Kontakt mit Opfern stehen, verlangen sollten, klaren Standards zu folgen, wonach sie von einem Opfer und über ein Opfer erhaltene Informationen einem Dritten gegenüber nur unter der Voraussetzung offenlegen können, dass das Opfer ausdrücklich einer solchen Offenlegung zugestimmt hat oder dass eine gesetzliche Vorschrift oder Ermächtigung dazu vorliegt.

in Artikel 3 die Verpflichtung einzufügen, Opfern Informationen bezüglich der weiteren Verarbeitung ihrer Daten in Übereinstimmung mit Artikel 10 der Richtlinie 95/46/EG bereitzustellen und zu erwägen, ob spezifische Bestimmungen über das Recht auf Zugang zu ihren personenbezogenen Daten aufgenommen werden sollten;

den Umfang der Vertraulichkeitsanforderungen für Opferhilfsdienste gemäß Artikel 7 durch die Angabe zu verdeutlichen, dass die Opfer das Recht haben sollen, die Offenlegung vertraulicher Mitteilungen aus der Kommunikation mit Opferhilfsdiensten in Strafverfolgungs- oder Verwaltungsverfahren abzulehnen, und dass solche Mitteilungen Dritten grundsätzlich nur mit ihrem Einverständnis offengelegt werden können (siehe insbesondere Punkte 22-23).

30.

Im Hinblick auf die vorgeschlagene Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen empfiehlt der EDPS dem Gesetzgeber:

zumindest in den Erwägungsgründen des Vorschlags eine Bezugnahme auf die Richtlinie 95/46/EG einzufügen, wonach gemäß der Verordnung verarbeitete personenbezogene Daten in Übereinstimmung mit den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 95/46/EG geschützt werden sollten.

in Artikel 13 eindeutig festzulegen, dass der gefährdenden Person nur solche personenbezogenen Daten der geschützten Person übermittelt werden, die für die Ausübung der Maßnahme ausdrücklich erforderlich sind. Bei den betreffenden Mitteilungen sollte weitestgehend vermieden werden, die Adresse oder andere Kontaktdaten der geschützten Person offenzulegen.

Brüssel, den 17. Oktober 2011

Giovanni BUTTARELLI

Stellvertretender Europäischer Datenschutzbeauftragter


(1)  ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31.

(2)  ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1.

(3)  KOM(2011) 275 bzw. KOM(2011) 276.

(4)  Siehe Mitteilung der Kommission — Stärkung der Opferrechte in der EU, KOM(2011) 274.

(5)  Verfügbar auf der Website des EDSB (http://www.edps.europa.eu) Abschnitt: Beratung/Prioritäten.

(6)  Siehe Mitteilung der Kommission — Stärkung der Opferrechte in der EU, ebd., S. 2.

(7)  ABl. L 82 vom 22.3.2001, S 1. In der Begründung wird anerkannt, dass in diesem Bereich zwar Verbesserungen erreicht worden sind, die Ziele des Rahmenbeschlusses jedoch nicht vollständig umgesetzt werden konnten.

(8)  Siehe Mitteilung der Kommission — Stärkung der Opferrechte in der EU, ebd. S. 8.

(9)  Ebd.

(10)  Stellungnahme des EDSB vom 5. Oktober 2010 über die Europäische Schutzanordnung und die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, (ABl. C 355 vom 29.12.2010, S. 1).

(11)  Ebd., siehe insbesondere Abschnitt II der Stellungnahme.

(12)  Ebd., Punkt 1.

(13)  Siehe insbesondere Erwägungsgrund 22, in der anerkannt wird, dass der Schutz der Privatsphäre von Opfern ein wichtiges Hilfsmittel sein kann, um weiterer Viktimisierung vorzubeugen; Erwägungsgrund 27 bezieht sich auf den Schutz personenbezogener Daten, der Personen gemäß Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates gewährt wird und auf das Übereinkommen des Europarates 108; Artikel 21, der sich mit Maßnahmen zur Vermeidung unnötiger Befragung bezüglich des Privatlebens von Opfern und Maßnahmen befasst, die es ermöglichen, dass Anhörungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden; Artikel 23, der sich mit dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und die Handlungsweise der Medien befasst.

(14)  Punkt 10.8. Empfehlung des Europarats Rec(2006) 8.

(15)  Siehe zum Beispiel, Entwurf UN-Konvention über Recht und Unterstützung von Opfern von Straftaten und Machtmissbrauch, Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe g, Artikel 6, Artikel 8 Absatz 6 Buchstabe g; Leitlinien des Ministerkomitees über den Schutz von Opfern von Terrorakten, verabschiedet am 2. März 2005, Punkt VIII; Leitlinien über Rechtsprechung für Kinder, die Opfer oder Zeugen von Straftaten wurden, ECOSOC, Res. 2005/20, 2005, Punkt 8 Buchstabe a, 26 bis 28.

(16)  Dies steht im Einklang mit der in Artikel 21 genannten Konzepts bezüglich des Schutzanspruchs schutzbedürftiger Opfer während der Strafverfahren.

(17)  Gemäß Artikel 9 der Richtlinie 95/46/EG sollen Mitgliedstaaten für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, nur Abweichungen und Ausnahmen vorsehen, die notwendig sind, um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen.

(18)  Punkt 10.9. Empfehlung des Europarats Rec(2006) 8.

(19)  Artikel 10 Absatz 2 der EMRK erlaubt ausschließlich Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, die „gesetzlich vorgesehen“ und bei der Verfolgung besonderer und wesentlicher öffentlicher Interessen (wie nationale Sicherheit, territoriale Unversehrtheit, Aufrechterhaltung der Ordnung und Verhütung von Straftaten, Schutz der Gesundheit und der Moral) oder zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sind. In der Stellungnahme in der Rechtssache Satakunnan (Rechtssache C-73/07, Tietosuojavaltuutettu gegen Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, [2008] ECR I-9831), hat Generalanwältin Kokott zutreffend darauf hingewiesen, dass „[e]ine strenge Anwendung des Datenschutzes […] die Meinungsfreiheit empfindlich einschränken [könnte]. So wäre investigativer Journalismus weit gehend ausgeschlossen, wenn die Medien personenbezogene Informationen nur mit Zustimmung oder nach Information der Betroffenen verarbeiten und veröffentlichen dürften. Andererseits liegt es auf der Hand, dass die Medien die Privatsphäre Einzelner verletzen können. (17) Folglich ist eine Balance zu finden“. (Randnummer 43).

(20)  Siehe Erwägungsgrund 13 und Artikel 7 der vorgeschlagenen Richtlinie.

(21)  Ebd.

(22)  Siehe Artikel 81 AEUV, z. B. ehemaliger Artikel 65 des EG-Vertrags.

(23)  Richtlinie 95/46/EG findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, die für die Ausübung von Tätigkeiten erfolgt, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, beispielsweise Tätigkeiten gemäß den Titeln V und VI des Vertrags über die Europäische Union, und auf keinen Fall auf Verarbeitungen betreffend die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die Sicherheit des Staates und die Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich (siehe Artikel 3 der Richtlinie).

(24)  Artikel 13 betrifft die Informationspflicht gegenüber der gefährdenden Person.

(25)  Siehe in dieser Hinsicht die Stellungnahme des EDSB vom 5. Oktober 2010 über die Europäische Schutzanordnung und die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, oben zitierte Stellungnahme, Punkte 45-49.


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