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Document 52011AE1853

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine EU-Agenda für die Rechte des Kindes“ KOM(2011) 60 endg.

ABl. C 43 vom 15.2.2012, p. 34–38 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.2.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 43/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine EU-Agenda für die Rechte des Kindes“

KOM(2011) 60 endg.

2012/C 43/08

Berichterstatterin: Kinga JOÓ

Die Europäische Kommission beschloss am 15. Februar 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine EU-Agenda für die Rechte des Kindes

KOM(2011) 60 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. November 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 476. Plenartagung am 7./8. Dezember 2011 (Sitzung vom 7. Dezember) mit 170 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt die von der Kommission am 15. Februar 2011 veröffentlichte Mitteilung zur „EU-Agenda für die Rechte des Kindes“ (im Folgenden „die Mitteilung“) und hofft, dass sie der Ausgangspunkt für die vollständige Umsetzung der VN-Kinderrechtskonvention sowie für die weitestgehende Berücksichtigung der Rechte von Kindern sein wird. Der nach vierjähriger Vorbereitung publizierten Mitteilung ging im Juli 2006 die „Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie“ voraus, zu der der EWSA Stellung nahm (1).

1.2

Kinder sind eine der Bevölkerungsgruppen der EU, deren Wohlergehen von grundlegender Bedeutung ist, und dies in Bezug auf ihre allgemeine Lage und Lebensqualität wie auch als eine Investition in die Zukunft. Durch eine mit Rechten gesicherte und rundum lebenswerte Kindheit wird die sozioökonomische Entwicklung gewährleistet und die EU in die Lage versetzt, ihre Ziele in allen Bereichen zu verwirklichen. An dieser Stelle sollte betont werden, dass beim Blick auf Kinder als Investitionen in die Zukunft parallel dazu auch die Vorstellung einer glücklichen Kindheit entwickelt werden muss, da sowohl für die Kinder als auch für die gesamte Gesellschaft die Gegenwart ebenso wichtig ist wie die Zukunft.

1.3

Der Ausschuss stellt fest, dass der durch Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union eingeführte Schutz der Rechte des Kindes zu einem der Ziele der Europäischen Union wurde und in der rechtlich bindenden Charta der Grundrechte verankert ist. Diese Charta gilt für die Aktivitäten sämtlicher Institutionen und Gremien der EU, und bei der Umsetzung von EU-Recht unterliegen ihr auch die Mitgliedstaaten. Jeder neue Legislativvorschlag der EU wird demzufolge danach beurteilt, inwieweit er sich auf die Grundrechte und damit auch auf die Rechte des Kindes auswirkt.

1.4

Der EWSA weist auf die bescheidenen und begrenzten Ziele hin, die in der Mitteilung gesetzt werden. Die Europäische Union hat die VN-Kinderrechtskonvention - im Gegensatz zur VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2) - bisher nicht ratifiziert. Die EU sollte Mittel und Wege finden, der VN-Kinderrechtskonvention einseitig beizutreten (3) Die Mitgliedstaaten sollten alle zwei Jahre umfassende Berichte über die Lage der Kinder erstellen, in denen auf der Grundlage systematisch erhobener Daten, Forschungsergebnisse und Analyse nicht nur deren wirtschaftliche Lage, sondern alle anderen zum Kindeswohl beitragenden Faktoren berücksichtigt werden sollten. Dadurch würde die Einrichtung einer EU-Datenbank und eines Bewertungsinstruments zur Ergänzung der bereits verfügbaren Informationen erleichtert.

1.5

Nach Meinung des EWSA sollten mehr Daten und Informationen herangezogen werden, wie etwa Berichte, die von Staaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen für den VN-Ausschuss für die Rechte des Kindes erstellt werden, um die Maßnahmen vergleichbar zu machen, die die Mitgliedstaaten zum Schutz und zur Durchsetzung der Rechte des Kindes ergreifen; zugleich sollten verschiedene internationale Organisationen, wie etwa Eurostat, die OECD oder die Weltbank, dazu angeregt werden, kinderrechtsspezifische Daten zu erheben und die einschlägigen Indikatoren zu nutzen, indem diese systematisch kompiliert und untersucht werden. Der EWSA empfiehlt eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Europarat, um Synergieeffekte zwischen ihren Maßnahmen zu bewirken (4).

1.6

Der EWSA bedauert, dass in der Mitteilung keine wirksame Strategie für deren Umsetzung oder Anwendung enthalten ist, obwohl die von der EU-Agentur für Grundrechte aufgestellten Indikatoren und die umfangreiche Liste der für die Umsetzung der VN-Kinderrechtskonvention entwickelten Evaluierungsinstrumente hier als Grundlage ausreichten; letzten Endes würde das Vorhandensein einer Umsetzungsstrategie Gewähr für die Anwendung und Durchsetzung der Kinderrechtsstrategie leisten.

1.7

Kinder müssen in angemessener Weise an der Ausarbeitung von Entscheidungen, die sie betreffen, und an der Bewertung von Maßnahmen beteiligt werden; von Nutzen wäre auch, ihre Zufriedenheit zu messen und ihre Meinung zu evaluieren. Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, Kinder einzubeziehen und sie die für sie wichtigen Themen mitgestalten zu lassen. Ferner müssen unbedingt die Meinungen von Berufsverbänden und mit Kindern arbeitenden Fachkräften berücksichtigt werden.

1.8

Der EWSA schlägt vor, dass Programme zur Gewährleistung der Durchsetzung und des Schutzes der Rechte des Kindes mit anderen EU-Programmen (in den Bereichen Bildung, Jugend, Integration der Roma, Armutsbeseitigung, kinderfreundliche Justiz, Solidarität zwischen den Generationen, Außenbeziehungen) zusammenwirken; in diesen Programmen sollte zudem der Schwerpunkt deutlich auf Themen gelegt werden, die mit den Rechten des Kindes und dem Kindeswohl verknüpft sind. Überdies erachtet es der Ausschuss als wichtig, die Rechte des Kindes durch ein integriertes Konzept zu garantieren, bei dem die verschiedenen Generaldirektionen der Kommission eng zusammenarbeiten und sich abstimmen.

1.9

Der EWSA empfiehlt, die Umsetzung der Europa-2020-Strategie vor allem im Hinblick auf die Rechte des Kindes und das Kindeswohl zu bewerten, und zwar auf eine Weise, die mit den Zielen der Strategie in Einklang steht. Da Kinder eine Investition in die Zukunft sind, sollten diese Ziele zugleich einer gesonderten Bewertung unter dem Aspekt der langfristigen Planung unterzogen werden.

1.10

Der EWSA empfiehlt der EU, besonders auf den Schutz und die Durchsetzung der Rechte hochgradig schutzbedürftiger Kategorien von Kindern (Kinder, die in Armut, getrennt von ihren Familien oder in Heimen leben, die von Gewalt oder Ausbeutung bedroht sind oder darunter leiden, die Behinderungen haben, einer ethnischen Minderheit angehören oder einen Migrationshintergrund haben, unbegleitete Kinder, Flüchtlinge, von zu Hause ausgerissene oder von eingewanderten Eltern zurückgelassene Kinder) sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene zu achten. Der Schutz der Kinderrechte sowie des Rechts auf Unversehrtheit und Menschenwürde veranlasst den EWSA, Gewalt gegen Kinder in sämtlichen Ausprägungen zu verurteilen, darunter auch die im häuslichen Umfeld zu „Erziehungszwecken“ ausgeübte Gewalt; er fordert daher alle Mitgliedstaaten auf, die körperliche Züchtigung von Kindern zu untersagen, und wiederholt die Forderung nach einem Sonderbeauftragten.

1.11

Der Ausschuss erachtet es als besonders wichtig, über die Rechte des Kindes zu informieren, Lehrveranstaltungen zu dem Thema anzubieten und zugleich aufzuzeigen, wie diese Rechte geschützt und durchgesetzt werden können. Es sollte besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, nicht nur der Öffentlichkeit, sondern Entscheidungsträgern, Angehörigen der Rechtsberufe und anderen Fachleuten sowie Sachverständigen und Politikern auf nationaler und EU-Ebene hochwertige Informationen bereitzustellen; ein weiterer Schwerpunkt sollte auf der Schulung derjenigen liegen, die mit Kindern und Familien arbeiten, und auf der Schulung der Eltern und der Kinder selbst. Diese Maßnahmen sollen nicht nur für die Rechte des Kindes sensibilisieren, sondern auch zu der Einsicht führen, dass Menschenrechte auch Kindern unbedingt zustehen und sie, statt „Miniaturerwachsene mit Miniaturrechten“ zu sein, vielmehr angesichts ihrer Schutzbedürftigkeit, ihres Alters und ihrer Lage größeren Schutz genießen müssen. Die Mitgliedstaaten sollten Familien in jeder erdenklichen Weise unterstützen, da dies am meisten im Interesse der Kinder liegt.

1.12

Zwar erkennt der Ausschuss an, dass die Rechte des Kindes nicht gesondert, sondern ganzheitlich und komplex zu betrachten sind, doch empfiehlt er, bestimmte Themen gesondert zu beachten, wie etwa hochwertige, allgemein und kostenfrei zugängliche Gesundheitsfürsorge für Mütter vor und nach der Geburt als ein Aspekt der öffentlichen Gesundheit und der Gesundheit von Kindern, sowie die in der Mitteilung behandelten Themen, wie etwa kinderfreundliche Justiz und jugendliche Straftäter (5).

1.13

Zur Gewährleistung einer Justiz, die keine negativen Auswirkungen auf die Kinder hat, fordert der EWSA die Verabschiedung von Maßnahmen für geschützte Anhörungen von Kindern, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden bzw. von dem Scheidungsverfahren ihrer Eltern betroffen sind. Bei Zeugenvernehmungen sind zusätzliche Traumatisierungen des Kindes zu vermeiden, weshalb sie mit Unterstützung besonders ausgebildeter Fachleute und möglichst in neutralen Räumlichkeiten außerhalb des Gerichts durchgeführt werden müssen.

1.14

Die Kinderarmut und ein Leben voller Entbehrungen sowie die Diskriminierung und Ausgrenzung von Kindern sind einige der größten Hindernisse bei der Durchsetzung der Rechte des Kindes; der EWSA erneuert daher seine in früheren Stellungnahmen abgegebene Empfehlung, bei der Umsetzung, Überwachung und Bewertung von Maßnahmen in diesen Bereichen ganz besonders auf eine enge Verknüpfung mit den Zielen der Europa-2020-Strategie zur Verringerung der Armut und im gesamten Bildungsbereich zu achten. Zu diesem Zweck müssen angemessene Mittel bereitgestellt werden. Kinderpolitische Strategien und Maßnahmen sollten stets Vorrang genießen.

1.15

Angesichts der Wirtschaftskrise, der angespannten finanziellen Situation und begrenzter Mittel empfiehlt der EWSA, besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass die bestehenden Probleme nicht verschärft werden und die gegenwärtigen Maßnahmen zum Schutz und zur Stärkung der Rechte des Kindes nicht bei Ausgabenkürzungen geopfert werden.

2.   Hintergrund

2.1

Alle Mitgliedstaaten der EU haben die VN-Kinderrechtskonvention (6) ratifiziert, und in den meisten Staaten ist sie nationales Recht geworden; sie ist daher verbindlich. Die VN-Kinderrechtskonvention ist die meistratifizierte Menschenrechtskonvention weltweit; durch sie sind im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte Prinzipien und Verfahren hinsichtlich der Stellung, Rechte und Rolle der Kinder grundlegend verändert worden.

2.2

Die Kommission bezeichnete die Rechte des Kindes als eines ihrer vorrangigen strategischen Ziele 2005-2009, und im Juli 2006 veröffentlichte sie eine gesonderte Mitteilung im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie  (7), durch die einerseits eine umfassende Strategie festgelegt, andererseits der Schutz und die Durchsetzung der Rechte des Kindes in sämtlichen Bereichen der Innen- und Außenpolitik der EU berücksichtigt und die Arbeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet unterstützt werden sollte.

2.3

Der EWSA hat eine umfassende, komplexe und ganzheitliche EU-Strategie angemahnt, durch die eine vollständige und wirksame Durchsetzung der Rechte des Kindes im Einklang mit der VN-Kinderrechtskonvention gewährleistet wird, und zwar sowohl in der Innen- und Außenpolitik der EU als auch im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Kinderrechtsstrategie (8).

2.4

In seiner 2006 veröffentlichten Stellungnahme vertritt der EWSA die Ansicht, dass die EU-politischen Kinderrechtsansätze auf der VN-Kinderrechtskonvention und ihren beiden Fakultativprotokollen sowie den einschlägigen Millenniums-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen (9) und der Europäischen Menschenrechtskonvention fußen sollten. Der EWSA veröffentlichte in jüngerer Vergangenheit mehrere Stellungnahmen zu verschiedenen Kinderrechtsaspekten (10).

2.5

Die Charta der Grundrechte der EU, in deren Artikel 24 der Grundsatz des Schutzes und der Förderung der Rechte des Kindes verankert ist, wurde mit Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union am 1. Dezember 2009 rechtsverbindlich. Artikel 3 des Vertrags von Lissabon bezieht sich erstmals in der Geschichte der EU ausdrücklich auf den Schutz der Rechte des Kindes (11). „Der Schutz und die Förderung von Kinderrechten ist eines der Ziele der Europäischen Union. Alle Politiken und Maßnahmen, die Kinder betreffen, sind so auszugestalten, umzusetzen und zu überwachen, dass dem Wohl des Kindes bestmöglich Rechnung getragen wird“ (12).

2.6

Folgende vier Themen finden sich in den Kinderrechtsprogrammen sowohl der EU als auch des Europarates und der Vereinten Nationen: Armut und soziale Ausgrenzung, Kinder als Opfer von Gewalt, besonders schutzbedürftige Kategorien von Kindern sowie die Notwendigkeit, Kinder bei Themen, die sie betreffen, aktiv mitwirken zu lassen, sie zu konsultieren und ihnen zuzuhören. Die EU und der Europarat haben ein weiteres Thema gemeinsam, nämlich die kinderfreundliche Justiz und Familienpolitik.

2.7

Der Ausschuss der Regionen betont in seiner Stellungnahme (13) vom Juni 2010, dass die Rechte des Kindes ein Querschnittsthema seien, das alle Bereiche betreffe; daher sei ein mehrdimensionaler Ansatz erforderlich, und kinderpolitische Aspekte müssten bei allen europäischen und nationalen politischen Maßnahmen berücksichtigt werden.

2.8

Die Kommission hat für die Organisationen der Zivilgesellschaft ein Europäisches Forum für die Rechte des Kindes eingerichtet, das bislang fünfmal zusammenkam und Stellung zu der Strategie nahm, die derzeit erarbeitet wird. Zudem wurden zwei Umfragen dazu durchgeführt, wie gut Kinder ihre Rechte kennen und wie sie dieses Thema betrachten; die Umfrageergebnisse flossen in die Programmvorbereitung ein (14). In ihrer Mitteilung verweist sie auch auf die vom Europarat festgelegten Kinderrechte, insbesondere in Bezug auf Gewalt gegen Kinder, auf die Bemühungen zur Gewährleistung einer kinderfreundlichen Justiz und auf die einschlägigen Empfehlungen und Konventionen.

2.9

Die Aktionsgruppe Kinderrechte (Child Rights Action Group, CRAG) (15) ist ein bedeutender Zusammenschluss von Organisationen der Zivilgesellschaft. CRAG ist eine informelle Gruppe von Nichtregierungsorganisationen mit dem Ziel, bei den Folgemaßnahmen und der Umsetzung der Mitteilung im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie der Europäischen Kommission zusammenzuarbeiten.

2.10

Im Frühjahr 2011 riefen die Parteien des Europäischen Parlaments eine informelle Allianz für Kinderrechte ins Leben, die sich in Kinderfragen und insbesondere in Kinderrechtsfragen einen koordinierten und einheitlichen Ansatz als oberstes Ziel gesetzt hat (16).

3.   Kinderrechte in der EU

3.1

Der EWSA begrüßt den am 31. März 2011 veröffentlichten ersten Bericht über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (17), der den sechs Kapiteln der Charta (Würde des Menschen, Freiheiten, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte) gewidmet ist und unter der Überschrift „Gleichheit“ einen eigenen Abschnitt zu den Kinderrechten enthält. Durch die Charta der Grundrechte wird die EU dazu verpflichtet, die Rechte des Kindes durchzusetzen sowie Kindern das Recht auf Leben, Schutz, Entwicklung und aktive Mitwirkung zu gewähren.

3.2

Der EWSA stellt erfreut fest, dass die EU-Agentur für Grundrechte auf der Grundlage einer breit angelegten Konsultation von Fachleuten und zivilgesellschaftlichen Organisationen Indikatoren entwickelt hat, mit denen die Durchsetzung der Kinderrechte gemessen werden kann (18). Überdies erstellte sie eine Studie zum Kindeswohl in der EU, die jedoch nur Daten zu materiellen Bedingungen und Fürsorge enthält und keine zusammengesetzten Indikatoren zur Messung der Lebensqualität und des Kinderschutzes in der Praxis und hinsichtlich des Umfangs (19).

3.3

Der EWSA betont, dass die Rechte des Kindes nur dann geschützt und wirksam umgesetzt werden können, wenn die Mitgliedstaaten, die verschiedenen Regierungsebenen, nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen sowie Organisationen der Zivilgesellschaft, Foren für verschiedene Interessengruppen (etwa Kinder und Organisationen, die ihre Interessen vertreten), aber auch Sozialpartner (etwa Arbeitgeber, Gewerkschaften und die Wirtschaft) in einer bereichsübergreifenden Partnerschaft zusammenarbeiten, um bestimmte Ziele zu erreichen.

3.4

Zwar berührt die Mitteilung die Themen Kinderarmut und verschiedene Gruppen besonders schutzbedürftiger Kinder, aber beide Themen stehen nicht im Mittelpunkt, obwohl sie nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bekannten demographischen Probleme, vor denen Europa steht, sowohl für das augenblickliche Wohlergehen der Kinder als auch für ihren späteren Übergang ins Erwachsenenleben und ihre Integration von erheblicher Bedeutung sind. Besonderes Augenmerk sollte auch darauf gelegt werden, jegliche Form geschlechtsspezifischer Diskriminierung unter Kindern zu verhindern.

3.5

Die Wirtschaftskrise ist ein Risikofaktor für das Kindeswohl und betrifft insbesondere Kinder, die in schwierigen Umständen leben, auf vielerlei Weise: in den meisten Fällen haben die Dienste und die Fachkräfte, die mit ihnen arbeiten, selbst Schwierigkeiten, und die Grundversorgung ist zusehends entweder gar nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang vorhanden.

3.6

In ihren Außenbeziehungen misst die EU bestimmten Themen, die für den Schutz und die Durchsetzung der Rechte des Kindes von Belang sind, großen Wert bei; dazu gehören grenzübergreifende Vormundschaft, vermisste, eingewanderte, unbegleitete, in Gewahrsam genommene illegal eingewanderte und ausgebeutete Kinder sowie Kinder, die Opfer von sexuellem Missbrauch oder Sextourismus werden (20). Indes geht sie das immer weitere Kreise ziehende Problem der Kinder, die von eingewanderten Eltern in deren Heimatländern zurückgelassen werden, nicht an. Für solche Kinder ist es ein gravierendes Problem, während eines Arbeitsaufenthaltes ihrer Eltern in einem EU-Mitgliedstaat nicht betreut zu werden, etwa dann, wenn Eltern ihre Kinder nicht mitnehmen können, da die Umstände es nicht erlauben; selbst wenn die Arbeitskraft der Eltern in einem anderen Land benötigt wird und sie dort Steuern und Abgaben zahlen, haben ihre Kinder in diesem Fall keine Rechte und sind besonderen Risiken ausgesetzt.

3.7

Der EWSA hält es für besonders wichtig, dass eine erste Empfehlung zur Verknüpfung von Kinderrechten und unternehmerischer Tätigkeit (21) ausgesprochen wurde, als nämlich UNICEF, der Globale Pakt der Vereinten Nationen (Global Compact) und das Kinderhilfswerk Save the Children die Entwicklung von Grundsätzen und Leitlinien zur Unterstützung von Unternehmen beim Schutz und der Förderung von Kinderrechten in Gang setzten. Dies schafft zum einen Raum für konkrete Maßnahmen, zum anderen werden dabei mögliche nachteilige Auswirkungen berücksichtigt, vor allem mit Blick auf Werbung (durch die der Konsum von Produkten, die der körperlichen und geistigen Gesundheit abträglich sind, oder gewalttätiges, riskantes oder erotisch-pornografisches Verhalten gefördert wird), Konsumverhalten (einschließlich Gesundheit und Ernährung), Tourismus, Kinderarbeit und Diskriminierung. Allen Branchen kommt hierbei große Bedeutung zu, weshalb sie eng mit staatlichen, nichtstaatlichen, zivilgesellschaftlichen und Wirtschaftsorganisationen sowie den Gewerkschaften zusammenarbeiten sollten, um die Ziele sowohl in der Europäischen Union als auch in den Mitgliedstaaten zu erreichen.

3.8

Nach Ansicht des EWSA nimmt die Zahl der EU-Empfehlungen und -Aktivitäten in vielen Bereichen (z.B. Kleinkinder, berufliche Bildung, Schulabbrecher, vermisste Kinder) immer weiter zu, während für die meisten kinderpolitischen Maßnahmen staatliche Stellen zuständig sind. Politische Maßnahmen auf nationaler Ebene werden so zwar beeinflusst, doch bleibt häufig unklar, wie groß der Einfluss auf die Umsetzung in den Mitgliedstaaten wirklich ist.

3.9

Bei verschiedenen EU-Programmen (z.B. zu den Themen Jugend, Bildung, lebenslanges Lernen, Integration der Roma, Beseitigung der Armut, Solidarität zwischen den Generationen, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Außenbeziehungen) sollte besonderer Wert darauf gelegt werden, wie die Rechte des Kindes geschützt und durchgesetzt werden können, und der Schwerpunkt sollte auf den verschiedenen Gruppen besonders schutzbedürftiger Kinder liegen, darunter auch Kinder, die von im Ausland arbeitenden Eltern in der Heimat zurückgelassen werden.

3.10

Der EWSA hatte die Europäische Kommission bereits in einer früheren Stellungnahme (22) ersucht, einen Sonderbeauftragten für Gewalt gegen Kinder zu ernennen, und an die Mitgliedstaaten appelliert, Gewalt gegen Kinder in all ihren Formen zu untersagen. Der EWSA bedauert, dass die Europäische Kommission nicht gegen die körperliche Züchtigung von Kindern Stellung bezieht. Körperliche Züchtigung von Kindern verletzt das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Kinder, die geschlagen werden, lernen, selbst Gewalt anzuwenden. Der Schutz der Kinderrechte sowie des Rechts auf Unversehrtheit und Menschenwürde veranlasst den EWSA, Gewalt gegen Kinder in sämtlichen Ausprägungen zu verurteilen, darunter auch die im häuslichen Umfeld zu „Erziehungszwecken“ ausgeübte Gewalt; er fordert daher die Kommission und alle Mitgliedstaaten auf, auf ein Verbot der körperlichen Züchtigung von Kindern hinzuwirken, und wiederholt die Forderung nach einem Sonderbeauftragten. Zugleich ruft er die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, die körperliche Züchtigung von Kindern EU-weit zum Verschwinden zu bringen.

3.11

Der Ausschuss teilt die Meinung, dass Kinderrechte durchsetzbar und Kinder auf die aktive Ausübung ihrer Rolle als Bürger vorbereitet werden, indem man ihnen zuhört, sie befragt und in alle sie betreffenden Themen einbindet. Zu diesem Zweck ist es auch wichtig, Dokumente in kinderfreundlichen Fassungen zugänglich zu machen und ähnlich verständliche Broschüren und Internetseiten (bzw. einzelne Abschnitte darauf) zu schaffen und zu verwalten, wie dies von der GD Justiz geplant ist (23).

3.12

Zur Gewährleistung einer Justiz, die die Kinder achtet und ihnen keine psychischen Schäden zufügt, müssen in sämtlichen Rechtssystemen der EU folgende Maßnahmen verabschiedet werden:

bei Kindern, die sexuellem Missbrauch zum Opfer gefallen sind, müssen zusätzliche Traumatisierungen im Rahmen der Zeugenvernehmung vermieden werden, weshalb diese mit Unterstützung besonders ausgebildeter Fachleute und möglichst in neutralen Räumlichkeiten außerhalb des Gerichts durchzuführen ist;

bei Kindern, die von dem zivilgerichtlichen Scheidungsverfahren ihrer Eltern betroffen sind, muss die Anhörung mit denselben Vorkehrungen wie den oben genannten durchgeführt werden, wobei die Kinder vor jeglicher Instrumentalisierung durch ihre Eltern und die Verteidigung zu schützen sind.

3.13

Damit die Rechte des Kindes wirksamer vermittelt werden, muss das Thema über die Medien (einschließlich der sozialen Medien) Eltern, Fachkräften und Kindern selbst nähergebracht werden.

3.14

Der EWSA tritt dafür ein, neben anderen möglichen Methoden die der offenen Koordinierung anzuwenden, die sich bewährt hat, da dank ihrer die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten sowie die Ermittlung und Anwendung bewährter Verfahren für den Schutz und die Durchsetzung der Rechte des Kindes eingesetzt werden können, wobei zugleich gewährleistet wird, dass Kinderfragen in anderen Politikbereichen Berücksichtigung finden.

3.15

Als wichtiger Vertreter der Zivilgesellschaft möchte der EWSA einen Beitrag leisten, indem er die Ergebnisse systematisch beobachtet und über seine Mitglieder Kinderrechte propagiert und stärkt.

3.16

Um die Rechtsvorschriften wirksamer durchzusetzen, ist es nach Auffassung des EWSA angemessen und erforderlich, dass die verschiedenen VN-Gremien, der VN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, der Europarat sowie internationale Kinderorganisationen und Organisationen, die Kinder vertreten, enger als bisher zusammenarbeiten, dienen doch die Ziele und Tätigkeiten solcher Organisationen auch der weitreichenden und umfassenden Durchsetzung der Rechte des Kindes.

Brüssel, den 7. Dezember 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  KOM(2006) 367 endg. und ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 65-70.

(2)  http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/11/4&format=HTML&aged=1&language=DE&guiLanguage=en.

(3)  Die Unterzeichnung der bzw. der Beitritt zur VN-Kinderrechtskonvention ist Staaten vorbehalten, im Gegensatz zur VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in der diese Möglichkeit auch für regionale Organisationen vorgesehen ist. Ein Ausweg böte sich durch eine einseitige Beitrittserklärung der EU, die in der Praxis ähnliche Auswirkungen hätte wie ein Beitritt, ohne dass sich das Problem der Ratifizierung stellte.

(4)  Bei der künftigen Kinderrechtsstrategie 2012-2015 des Europarates und weiteren Strategien in benachbarten Gebieten.

(5)  ABl. C 110 vom 9.5.2006, S. 75.

(6)  http://www2.ohchr.org/english/law/crc.htm.

(7)  KOM(2006) 367 endg.

(8)  ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 65-70.

(9)  Generalversammlung der Vereinten Nationen, VN-Millenniumserklärung vom 8.9.2000.

(10)  ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 138-144, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 34-39, ABl. C 339 vom 14.12.2010, S. 1-6, ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 43-48.

(11)  http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:115:0013:0045:DE:PDF

(12)  http://ec.europa.eu/justice/fundamental-rights/rights-child/index_en.htm.

(13)  ABl. C 267 vom 1.10.2010, S. 46-51.

(14)  Eurobarometer: http://ec.europa.eu/public_opinion/flash/fl_235_en.pdf.

(15)  Mitglieder dieser Gruppe sind Terre des Hommes, World Vision, die Europäische Stiftung für Straßenkinder weltweit (European Foundation for Street Children Worldwide, EFSCW), das Kinderhilfswerk Save the Children, das Europäische Kindernetzwerk Euronet, Eurochild, Plan International und SOS-Kinderdorf International, http://www.epha.org/a/2610.

(16)  http://www.eurochild.org/ (http://www.eurochild.org/index.php?id=208&tx_ttnews%5Btt_news%5D=1819&tx_ttnews%5BbackPid%5D=185&cHash=cc6d4444ebae436b2a844a082a0ea2a8).

(17)  http://fra.europa.eu/fraWebsite/attachments/charter-applic-report-2010_EN.pdf.

(18)  http://fra.europa.eu/fraWebsite/attachments/FRA-report-rights-child-conference2010_EN.pdf.

(19)  http://www.tarki.hu/en/research/childpoverty/tarki_chwb_mainreport_online.pdf.

(20)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Schutz gefährdeter Kinder vor auf Auslandsreisen verübten Sexualstraftaten“, ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 43-48.

(21)  Initiative für Kinderrechte und Unternehmensprinzipien (Children’s Rights and Business Principles Initiative).

(22)  ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 65-70.

(23)  Ein eigener Bereich für Kinder auf www.europa.eu.


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