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Document 52017AE5166

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt“ (COM(2017) 647 final — 2017/0288 (COD))

EESC 2017/05166

ABl. C 262 vom 25.7.2018, p. 47–51 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt“

(COM(2017) 647 final — 2017/0288 (COD))

(2018/C 262/08)

Berichterstatter:

Raymond HENCKS

Befassung

Europäisches Parlament, 29.11.2017

Rat, 22.11.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 91 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Präsidiums

17.10.2017

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

200/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA schließt sich dem Ziel der Kommission an, die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger, die größere Entfernungen mit dem Bus zurücklegen, zu verbessern, die Benutzung nachhaltiger Verkehrsmittel zu fördern und Verkehrsdienste anbieten zu können, die besser auf die Bedürfnisse der Bürger, insbesondere jener mit geringem Einkommen, zugeschnitten sind.

1.2.

Gleichwohl wird der Vorschlag, den Anwendungsbereich der gemeinsamen Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt auf alle von einem nicht ansässigen Kraftverkehrsunternehmer durchgeführten gewerblichen Personenkraftverkehrsdienste, einschließlich der innerstaatlichen, auszuweiten, in einigen Mitgliedstaaten als problematisch erachtet.

1.3.

Die Ausweitung der neuen Regelungen für den Zugang zum Markt grenzüberschreitender oder innerstaatlicher Linienverkehrsdienste über Entfernungen von weniger als 100 oder 120 km Luftlinie auf Stadt- und Vorortdienste könnte diesen Ländern zufolge die Erfüllung des Auftrags und der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ernsthaft beeinträchtigen.

1.4.

Der Verordnungsvorschlag berücksichtigt nicht die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden erheblichen Unterschiede bei der Organisation ihres Personenkraftverkehrs und bei der Tarifgestaltung, insbesondere bei den Stadt- und Vorortdiensten, die oft unentgeltlich angeboten werden oder bei denen oftmals allgemeine oder bestimmten Gruppen von Fahrgästen vorbehaltene Preisermäßigungen gelten, womit sozialen und ökologischen Erfordernissen Rechnung getragen wird, die spezifische und vielschichtige Regelungen notwendig machen. In einigen Mitgliedstaaten jedoch ist der Personenverkehrsmarkt stärker dereguliert.

1.5.

Die vorgeschlagene Bestimmung, nach der bei der grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Personenbeförderung (einschließlich der Stadt- und Vorortdienste) über Entfernungen von weniger als 100 km Luftlinie der Marktzugang verweigert werden kann, wenn der vorgeschlagene Dienst das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährden würde, könnte in einigen Fällen nur schwer vereinbar sein mit einer Dienstleistung von allgemeinem Interesse, die für alle erschwinglich und von angemessener Qualität ist. Der Markt kann unter Wahrung der Rechtsvorschriften über fairen Wettbewerb lediglich einen an den Kosten orientierten Preis anbieten. Einige Mitgliedstaaten haben ihren Markt indes vergleichsweise erfolgreich vollständig oder teilweise dereguliert. Für sie könnte der Vorschlag einem Rückschritt gleichkommen.

1.6.

Nach Auffassung des EWSA steht der Verordnungsvorschlag insofern möglicherweise nicht ganz mit Artikel 5 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) betreffend das Subsidiaritätsprinzip im Einklang, als Protokoll Nr. 26 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) den nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind, einen weiten Ermessensspielraum einräumt, um ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte sicherzustellen. Da der nationale Linienfern- und Reisebusverkehr auf Streckenlängen über 100 km in einigen Mitgliedstaaten aber bereits liberalisiert ist, kann der freie Zugang zum Markt für Busverkehrsdienste an sich nicht infrage gestellt werden.

1.7.

Der EWSA betont, dass die Mitgliedstaaten bei dieser Auslegung des Subsidiaritätsprinzips über den ihnen vom Vertrag gewährten weiten Ermessenspielraum verfügen, um ihre Dienste von allgemeinem Interesse im Einklang mit den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger zu organisieren. Das bedeutet selbstredend, dass auch die in einigen Mitgliedstaaten deregulierten Kraftomnibusmärkte fortbestehen können und dass das von der Europäischen Kommission verfolgte Ziel eines Binnenmarkts für diese Dienste nicht erreicht wird.

1.8.

Der EWSA unterstreicht schließlich, dass sich die Einrichtung neuer Busverbindungen negativ auf durch nachhaltigere Verkehrsträger erbrachte öffentliche Dienste auswirken könnte. Der EWSA erachtet es daher als sinnvoll, dass die Behörden sicherstellen können, dass Dienste effiziente, emissionsarme Fahrzeuge einsetzen, die nicht zur Erhöhung des Klimagasausstoßes beitragen, insbesondere Schienenverkehrsdienste. Der EWSA fordert die Europäische Kommission deshalb nachdrücklich auf, die Liberalisierung des Straßenverkehrsmarkts mit einer unmissverständlicheren Anwendung des Verursacherprinzips auf alle Verkehrsträger zu verknüpfen.

2.   Einleitung

2.1.

Gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe g des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union teilt die Union ihre Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten im Verkehrsbereich. Gemäß Artikel 91 AEUV wird sie

„a)

für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln aufstellen;

b)

für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, die Bedingungen festlegen; […]

(2)

Beim Erlass von [diesen] Maßnahmen […] wird den Fällen Rechnung getragen, in denen die Anwendung den Lebensstandard und die Beschäftigungslage in bestimmten Regionen sowie den Betrieb der Verkehrseinrichtungen ernstlich beeinträchtigen könnte.“

2.2.

Mit der Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 über den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt möchte die Kommission nach eigener Aussage die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger über größere Entfernungen verbessern, die Benutzung nachhaltiger Verkehrsmittel steigern helfen und Dienste anbieten können, die besser auf die Bedürfnisse der Bürger zugeschnitten sind, insbesondere jener mit geringem Einkommen.

2.3.

In einigen europäischen Sprachen wird nicht zwischen „Reisebus“ und „Linienbus“ unterschieden. Die Entfernung ist oft eines der Hauptkriterien bei der Regulierung des Fernbusverkehrs. Sie muss beispielsweise im Vereinigten Königreich mehr als 50 Meilen und in Frankreich und Schweden mehr als 100 km betragen.

2.4.

In einigen Mitgliedstaaten ist der Markt für Fernbusreisen bereits jetzt zumindest teilweise liberalisiert. In Deutschland bspw. ist die Liberalisierung des Marktes an zwei Bedingungen geknüpft: Der Abstand zwischen zwei Haltestellen muss mindestens 50 km betragen und auf der Strecke darf kein Schienenpersonennahverkehr mit einer Reisezeit von unter einer Stunde betrieben werden. In Frankreich erlaubt das „Macron-Gesetz“ jedem Betreiber, für Strecken von über 100 km Fernbuslinienverkehrsdienste anzubieten.

3.   Aktuelle EU-Vorschriften

3.1.

Die Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 vom 21. Oktober 2009 gilt für die Beförderung von mehr als neun Personen mit Kraftomnibussen im grenzüberschreitenden Linienpersonenverkehr sowie unter bestimmten Voraussetzungen und zeitweilig für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Personenkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind.

3.2.

Beförderungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten werden weitgehend durch bilaterale Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und den betreffenden Drittstaaten geregelt. Innerhalb der im Transit durchquerten Mitgliedstaaten gelten allerdings die EU-Vorschriften.

3.3.

Die gemeinsamen Regeln gelten nicht für Busdienste im Stadt- und Vorortverkehr. Die Kabotage durch einen nicht ansässigen Verkehrsunternehmer in einem Aufnahmemitgliedstaat ist zugelassen; ausgenommen sind Verkehrsdienste, die die Verkehrsbedürfnisse sowohl in einem Stadtgebiet oder einem Ballungsraum als auch zwischen einem Stadtgebiet und seinem Umland befriedigen. Die Kabotage darf nicht unabhängig von einem grenzüberschreitenden Verkehrsdienst durchgeführt werden.

3.4.

Dagegen gelten die Bestimmungen über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen für Busunternehmen, die Kabotage-Beförderungen durchführen.

3.5.

Die Mitgliedstaaten unterrichten die Europäische Kommission jedes Jahr von der Anzahl der Verkehrsunternehmer, die am 31. Dezember des vorangegangenen Jahres Inhaber einer Gemeinschaftslizenz waren, und von der Anzahl der beglaubigten Kopien für die zu diesem Zeitpunkt zugelassenen Fahrzeuge. Am 31. Dezember 2016 gab es in der Union 34 390 Lizenzen für den Personenkraftverkehr und 300 155 Kraftomnibusse, von denen ca. 46 000 im Fernbusverkehr eingesetzt wurden.

4.   Von der Kommission vorgeschlagene neue Maßnahmen

4.1.

Der Anwendungsbereich wird erheblich ausgeweitet und umfasst alle Beförderungen im (grenzüberschreitenden wie innerstaatlichen) Linienverkehr in der gesamten EU, die von einem nicht ansässigen Verkehrsunternehmer als Linienverkehr durchgeführt werden.

4.2.

Die derzeitige Regelung, nach der „Kabotage“„den gewerblichen innerstaatlichen Personenkraftverkehr, der zeitweilig von einem Kraftverkehrsunternehmer in einem Aufnahmemitgliedstaat durchgeführt wird“, bezeichnet, wird dadurch geändert, dass der „zeitweilige“ Charakter entfällt. Somit zählen Kabotage-Tätigkeiten nunmehr zum Linienverkehr.

4.3.

Voraussetzung für die Zulassung von Kabotage-Diensten als Linienverkehr wird künftig der Besitz einer Gemeinschaftslizenz sein. Zeitweilige Kabotage-Tätigkeiten werden nur genehmigt, sofern hierfür ein Vertrag zwischen dem Veranstalter und dem Verkehrsunternehmer besteht und es sich um Kabotage im Gelegenheitsverkehr handelt.

4.4.

Hinsichtlich des Linienverkehrs wird in der neuen Verordnung unterschieden zwischen der grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Personenbeförderung über eine Entfernung von weniger als 100 km Luftlinie zum einen und einer solchen Beförderung über eine Entfernung ab 100 km Luftlinie zum anderen.

4.5.

Für den grenzüberschreitenden Linienverkehr zur Personenbeförderung und innerstaatliche Linienverkehrsdienste über eine Entfernung ab 100 km Luftlinie wird der Marktzugang vollständig liberalisiert.

4.6.

Für den grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Linienverkehr (einschließlich der Stadt- und Vorortdienste) über Entfernungen von weniger als 100 km Luftlinie kann der Marktzugang verweigert werden, wenn der vorgeschlagene Dienst das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährden würde. Die Entfernung von weniger als 100 km kann auf 120 km erhöht werden, wenn der einzuführende Linienverkehr einen Ausgangspunkt und einen Bestimmungsort bedient, die bereits im Rahmen mehr als eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags bedient werden.

4.7.

Expressdienste, d. h. die regelmäßige Beförderung von Fahrgästen auf einer bestimmten Verkehrsstrecke ohne Zwischenhaltestellen, gelten nunmehr genauso als „Linienverkehr“ wie Verkehrsdienste, bei denen Fahrgäste an vorher festgelegten Haltestellen aufgenommen oder abgesetzt werden können.

4.8.

Für den Personenkraftverkehrssektor wird eine unabhängige Regulierungsstelle geschaffen, die folgende Aufgaben hat:

Durchführung wirtschaftlicher Analysen dazu, ob vorgeschlagene neue Dienste das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährden würden. Die Schlussfolgerungen der Regulierungsstelle sind für die Genehmigungsbehörden, die für das Recht auf Zugang zum grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Markt zuständig sind, bindend. Die Entscheidungen der Regulierungsstelle können gerichtlich überprüft werden;

Erhebung und Bereitstellung von Informationen über den Zugang zu Busbahnhöfen;

Entscheidung über Beschwerden gegen Entscheidungen der Busbahnhofsbetreiber.

4.9.

Die technischen Anpassungen hinsichtlich der Gemeinschaftslizenzen, Genehmigungen für den Marktzugang und weiteren Bescheinigungen erfolgen im Wege eines delegierten Rechtsakts der Kommission.

4.10.

Die Verkehrsunternehmen haben ein Recht auf Zugang zu Parkplätzen für Kraftomnibusse (Busbahnhöfe) zu fairen, transparenten und diskriminierungsfreien Bedingungen.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1.

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der vorliegenden Verordnung auf alle von einem nicht ansässigen Kraftverkehrsunternehmer durchgeführten gewerblichen Linienverkehrsdienste bedeutet, dass dieser innerstaatliche Linienverkehrsdienste unter den gleichen Bedingungen wie ansässige Verkehrsunternehmer durchführen kann und dass eine Kabotage-Tätigkeit, die dauerhaft und ununterbrochen erbracht wird, als Linienverkehr angesehen wird. Somit gilt die vorliegende Verordnung für alle Beförderungen im grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Linienverkehr mit Kraftomnibussen.

5.2.

Für die grenzüberschreitende und innerstaatliche Personenbeförderung über eine Entfernung ab 100 km Luftlinie wird der Markt deshalb vollständig liberalisiert; möglicherweise bestehende öffentliche Dienstleistungsaufträge können nicht mehr berücksichtigt werden, um den Marktzugang zu verweigern.

5.3.

Der Zugang zum Markt grenzüberschreitender oder innerstaatlicher Linienverkehrsdienste über Entfernungen von weniger als 100 oder 120 km Luftlinie kann verweigert werden, wenn das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährdet wird und die mit der Durchführung einer entsprechenden wirtschaftlichen Analyse beauftragte unabhängige Regulierungsstelle ihre Zustimmung erteilt.

5.4.

Im Gegensatz zur derzeit geltenden Verordnung wird im neuen Kommissionsvorschlag die Personenbeförderung im Stadt- und Vorortverkehr nicht mehr ausdrücklich ausgenommen; für sie wird künftig die neue Verordnung gelten.

5.5.

Darüber hinaus dürfen die Behörden, die über den Marktzugang zu entscheiden haben, einen Antrag nicht nur deshalb ablehnen, weil ein Verkehrsunternehmen niedrigere Preise als andere Verkehrsunternehmen anbietet. Nun ist aber belegt, dass Verkehrsunternehmen des Privatsektors, die nicht gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen, Preise anbieten (beispielsweise 1 Euro für eine Fernstrecke), die eindeutig als Dumping einzustufen sind. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die allgemein gehaltene und vorbehaltlose Formulierung der betreffenden Bestimmung als Freibrief für unlauteren Wettbewerb angesehen wird.

5.6.

Der Verordnungsvorschlag berücksichtigt nicht die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden erheblichen Unterschiede bei der Organisation ihres Personenkraftverkehrs und bei der Tarifgestaltung, insbesondere bei den Stadt- und Vorortdiensten, die oft unentgeltlich angeboten werden oder bei denen oftmals allgemeine oder bestimmten Gruppen von Fahrgästen vorbehaltene Preisermäßigungen gelten, womit sozialen und ökologischen Erfordernissen Rechnung getragen wird, die spezifische und vielschichtige Regelungen notwendig machen. In einigen Mitgliedstaaten jedoch ist der Personenverkehrsmarkt stärker dereguliert.

5.7.

Nach Auffassung des EWSA steht der Verordnungsvorschlag möglicherweise nicht ganz mit Artikel 5 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) betreffend das Subsidiaritätsprinzip im Einklang, und er hält die in dem (in Artikel 5 des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorgesehenen) Begründungsvermerk aufgeführten Argumente für nicht gänzlich überzeugend. Da der nationale Linienfern- und Reisebusverkehr auf Streckenlängen über 100 km in einigen Mitgliedstaaten aber bereits liberalisiert ist, kann der freie Zugang zum Markt für Busverkehrsdienste an sich nicht infrage gestellt werden.

5.8.

Die Personenbeförderung ist aber auch eine im Vertrag vorgesehene Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse und fällt als solche unter Artikel 106 Absatz 2 AEUV, in dem es heißt: „Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert.“

5.9.

In diesem Artikel geht es um den Vorrang der ordnungsgemäßen Erfüllung des Auftrags in einem nicht auf wirtschaftliches Gleichgewicht ausgerichteten Ansatz.

5.10.

Zu den gemeinsamen Werten in Bezug auf die Aufgaben der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die im Protokoll Nr. 26 über Dienste von allgemeinem Interesse (im Sinne von Artikel 14 AEUV) aufgeführt sind, zählen unter anderem: die wichtige Rolle und der weite Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind; ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte.

5.11.

Ein wirtschaftliches Gleichgewicht zählt somit nicht zu den Werten, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unbedingt erfüllen müssen. Ein wirtschaftliches Gleichgewicht könnte überdies teilweise nur schwer mit einer Dienstleistung vereinbar sein, die für alle erschwinglich sein muss. Der Markt kann lediglich einen an den Kosten orientierten Preis anbieten, womit sich der Zugang aller zu einem erschwinglichen Dienst nicht sicherstellen lässt. Es sei aber darauf hingewiesen, dass einige Mitgliedstaaten ihren Markt vergleichsweise erfolgreich vollständig oder teilweise dereguliert haben. Für sie könnte der Vorschlag einem Rückschritt gleichkommen.

5.12.

Deshalb könnte die mit der geänderten Verordnung eingerichtete Regulierungsstelle allenfalls beurteilen, ob die Voraussetzungen von Artikel 106 Absatz 2 AEUV und von Protokoll 26 erfüllt werden oder nicht — eine Befugnis (Feststellung eines offensichtlichen Fehlers), die bislang allein die Kommission innehatte, vorbehaltlich einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.

5.13.

Im Gegensatz zum neuen Vorschlag der Kommission steht die Bestimmung der geltenden Verordnung (EG) Nr. 1073/2009, insbesondere Artikel 8 Absatz 4 Buchstabe d (dessen Streichung die Kommission vorschlägt), im Einklang mit dem Vertrag, da es dort heißt: „Ein Mitgliedstaat entscheidet aufgrund einer eingehenden Analyse, dass der betreffende Verkehrsdienst ernsthaft die Funktionsfähigkeit eines vergleichbaren Dienstes, der im Rahmen eines oder mehrerer öffentlicher Dienstleistungsaufträge mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen im Einklang mit dem geltenden Gemeinschaftsrecht durchgeführt wird, auf den betreffenden direkten Teilstrecken beeinträchtigen würde.“

5.14.

Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass für eine Änderung der vorgenannten Bestimmung von Artikel 8 keine Veranlassung besteht und dass den Mitgliedstaaten gemäß dem Subsidiaritätsprinzip der ihnen vom Vertrag gewährte weite Ermessenspielraum für die Organisation ihrer Dienste von allgemeinem Interesse eingeräumt werden sollte, sofern nicht die Kommission einen offensichtlichen Fehler feststellt.

5.15.

Der EWSA unterstreicht, dass sich die Einrichtung neuer Busverbindungen negativ auf durch nachhaltigere Verkehrsträger erbrachte öffentliche Dienste auswirken könnte, insbesondere Schienenverkehrsdienste. Es darf deshalb nicht dazu kommen, dass aus rein wirtschaftlichen Gründen der Zugbetrieb auf der betreffenden Strecke eingestellt wird.

5.16.

Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass mit den Rechtsvorschriften zum einheitlichen europäischen Eisenbahnraum die Schaffung eines europäischen Eisenbahnraums angestrebt wird, der dauerhaft mit den anderen Verkehrsträgern konkurrieren kann.

5.17.

Indes ist der Wettbewerb zwischen der Schiene und der Straße nach wie vor in hohem Maße unfair, da die von den Eisenbahnverkehrsunternehmen zu entrichtenden Trassengebühren und die Betriebskosten etwa dreimal so hoch sind wie die Kosten, die den Personenkraftverkehrsunternehmen entstehen. Die Ankündigung der Kommission, „Maßnahmen vorzuschlagen, um die externen Verkehrskosten auf koordinierte und ausgewogene Weise verkehrsträgerübergreifend zu internalisieren, so dass die erhobenen Entgelte die externen Kosten widerspiegeln, die der […] Gesellschaft aufgebürdet werden“, ist bislang weitgehend folgenlos geblieben.

5.18.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission deshalb nachdrücklich auf, die Liberalisierung des Straßenverkehrsmarkts mit einer unmissverständlicheren Anwendung des Verursacherprinzips auf alle Verkehrsträger zu verknüpfen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


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