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Document 52007AE0609

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen — Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere KOM(2006) 275 endg.

ABl. C 168 vom 20.7.2007, p. 50–56 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen — Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere“

KOM(2006) 275 endg.

(2007/C 168/11)

Die Europäische Kommission beschloss am 7. Juni 2006 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatterin war Frau BREDIMA SAVOPOULOU, Mitberichterstatter waren Herr CHAGAS und Herr NILSSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 26. April) mit 157 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Das Grünbuch beinhaltet ein Umdenken der EU in Sachen „Meer“. Dies ist zu begrüßen. Zum ersten Mal wird die bislang stets festlandbezogene Perspektive der EU-Politik umgekehrt. Mit der symbolischen Botschaft dieses Grünbuchs, dass Europa immer schon maritim geprägt war, wird ein neues Kapitel in der Meerespolitik der EU aufgeschlagen.

1.2

Das Grünbuch wirbt für einen ganzheitlichen, sektorübergreifenden, strategischen meerespolitischen Ansatz. Die dahinter stehende Überlegung, die fragmentierte durch eine umfassende Sichtweise zu ersetzen, verdient große Unterstützung.

1.3

Die positiven Elemente des Grünbuches überwiegen bei weitem etwaige negative Folgen. Der Ausschuss befürwortet den Großteil der in dem Grünbuch enthaltenen Vorschläge (Fischerei, Häfen, Schiffbau, Seeverkehr, Küstenregionen, Offshore-Energie, FuE, Umwelt, Tourismus, blaue Biotechnologie) vorbehaltlich einiger besonderer Bemerkungen.

1.4

Der Ausschuss unterstützt die grundlegende Bedeutung, die den Schifffahrtsdiensten und Häfen der EU in einer globalen Wirtschaft beigemessen wird. In dem Grünbuch wird ganz richtig darauf hingewiesen, dass die Schifffahrt international ist und somit eines weltweiten Regelwerks bedarf. Die EU muss durch positive Maßnahmen gegen das negative Bild der Schifffahrt in der Öffentlichkeit und die fehlende Anerkennung des Beitrags von Schiffen und ihren Besatzungen zur Gesellschaft angehen. Der Ausschuss teilt die Ansicht, dass die Mitgliedstaaten grundlegende internationale Seeverkehrsübereinkommen (IMO, IAO) umgehend ratifizieren und ihre korrekte Durchsetzung sicherstellen sollen.

1.5

Maritime Cluster sollten im Mittelpunkt der künftigen EU-Meerespolitik stehen. Nach Meinung des Ausschusses sollte die EU eine Studie in Auftrag geben, um diese Cluster zu definieren und mit Clustern in anderen Bereichen zu vergleichen. Maritime Cluster werden bei der Sicherung des maritimen Know-hows in der EU von entscheidender Bedeutung sein.

1.6

Im Mittelpunkt einer integrierten Meerespolitik muss der Ausbau von Investitionen in maritime Aus- und Weiterbildung stehen, um die Erbringung sicherer, wirksamer und qualitativ hochwertiger Dienstleistungen zu gewährleisten. Durch den potenziellen Mangel an qualifizierten Seeleuten drohen alarmierende Folgen für die marine Sicherheitsinfrastruktur der EU. Ohne konzertiertes Vorgehen der EU und ihrer Mitgliedstaaten wird dieser Mangel noch gravierender ausfallen. Verschärfen sich die Nachwuchsprobleme weiter, wird es Europa immer mehr an Sach- und Fachkompetenz mangeln, die für sicherheitskritische maritime Tätigkeiten erforderlich ist (Schiffsüberprüfungen und -besichtigungen, Einhaltung der Vorschriften, Versicherungsfragen, Seeverkehrsmanagement, Bergung, Küstenwache und Lotsendienste). Außerdem könnten ganze maritime Cluster zerschlagen oder in andere Regionen ausgelagert werden.

1.7

Der Ausschuss hält fest, dass Fischer und Seeleute in zahlreichen Bereichen von der europäischen Sozialgesetzgebung ausgenommen sind (z.B. die Richtlinie über Massenentlassungen (1), die Richtlinie zum Übergang von Unternehmen (2), die Richtlinie über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer (3) sowie die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (4)). Ungeachtet der Gründe für diese Ausnahmeregelungen ist es jedoch notwendig, diese Diskriminierung wo nötig aufzuheben. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, diese Ausnahmeregelungen in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu überprüfen.

1.8

Mit der globalen Erwärmung und dem damit einhergehenden Klimawandel tun sich mögliche Szenarien auf wie das Verschwinden ganzer Inseln, die Überflutung von Küstengebieten, die Erschöpfung von Fischbeständen, das Aussterben von Meeresmikroorganismen, das sich auf die Nahrungskette auswirken wird, sowie ein Anstieg des Meeresspiegels um 7 Meter bis 2050. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, dieses übergeordnete Thema im Rahmen internationaler Organisationen aufs Tapet zu bringen und selbst umgehend einen umfassenden Umweltansatz für all ihre Maßnahmen nicht nur im meerespolitischen Bereich, sondern für sämtliche Legislativvorschläge an die Adresse des Europäischen Parlaments und des Rates zu berücksichtigen.

1.9

Der Ausschuss hält daran fest, dass die Maßnahmen zur Senkung der Emissionen unvorhergesehene Folgen nach sich ziehen und mit anderen Maßnahmen kollidieren können. Luftverschmutzung ist ein komplexes Thema. Die Verringerung eines Schadstoffes kann sich negativ auf andere Schadstoffe wie Treibhausgase auswirken. Vorzugsweise ist eine umfassende langfristige Verbesserung der Umwelt durch ein internationales ganzheitliches Konzept anzustreben.

1.10

In der Schifffahrt wird als Bunkeröl das am unteren Ende der Qualitätsskala angesiedelte Öl verwendet, da die Raffinerien kein qualitativ hochwertigeres Bunkeröl herstellen. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, diese Frage anzugehen, um einen Durchbruch für die Senkung der Schiffsemissionen zu erzielen.

1.11

Nach dem Verständnis des Ausschusses bezieht sich die Idee eines „gemeinsamen Meeresraumes der EU“ lediglich auf einen virtuellen Raum, in dem die Verwaltungs- und Zollformalitäten für innergemeinschaftliche Seeverkehrsdienste im Rahmen einer ähnlichen Regelung wie für den Straßen- und den Schienengütertransport im Binnenmarkt vereinfacht werden. Wird dies in der Kommissionsmitteilung auch ausdrücklich klargestellt, kann der Ausschuss dieser Idee zustimmen, sofern in internationalen Hoheitsgewässern die Bestimmungen des UNCLOS-Übereinkommens und der IMO-Übereinkommen einschl. der „Freiheit der Schifffahrt“ und des „Rechts auf friedliche Durchfahrt“ innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone eingehalten werden.

1.12

Der Ausschuss spricht sich ausdrücklich für die Schaffung von „Qualitätsküstenstaaten“ aus, die das fehlende Glied in der Qualitätskette sind. Sie sollten grundlegende Dienste für Schiffe bereitstellen: angemessene Abfallentsorgungsmöglichkeiten, Notliegeplätze für Schiffe in Seenot, friedliche Durchfahrt, faire Behandlung der Seeleute und Navigationshilfen. Dieses Konzept sollte von der EU im Rahmen der IMO im Hinblick auf die Erarbeitung geeigneter Kriterien für die Messung der Leistung eines Küstenstaates angesprochen werden.

1.13

Der Ausschuss zeigt sich erfreut, dass im Grünbuch die Rolle, die er bei der Umsetzung der Meerespolitik einschl. der Raumplanung übernehmen kann, anerkannt wird. Er kann außerdem einen maßgeblichen Beitrag zur Förderung der maritimen Identität und des maritimen Kulturerbes der EU sowie zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die globale Erwärmung leisten.

1.14

Das Grünbuch ist ein erster Versuch in der Politikgestaltung der EU, den Schwerpunkt von der Land- auf die Seeseite zu verlagern. Der Europäischen Kommission gelingt es dadurch, ein neues Gleichgewicht herzustellen, und der Ausschuss möchte ihr frei nach Themistokles folgenden Ausspruch mit auf den Weg geben: Europa wird fortbestehen, so lange es Schiffe und Meere sein eigen nennt. (Wir haben ein Land und eine Heimat, so lange wir Schiffe und Meere unser eigen nennen.)

1.15

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, ihn zu ihrem künftigen Aktionsplan zum Grünbuch anzuhören.

2.   Einleitung

2.1

In den letzten 50 Jahren ihres Bestehens hat die EU für verschiedene an die Meere gekoppelte Bereiche eine Politik konzipiert (Seeverkehr, Häfen, Schiffbau, Fischerei, Meeresumwelt, Küstenregionen und Offshore-Energie); diese einzelnen Politiken haben sich jedoch getrennt von einander entwickelt, ohne dass Synergieeffekte genutzt worden wären. Es ist an der Zeit, sie unter ein Dach zu bringen und eine neue umfassende Vision für die Zukunft zu schaffen.

2.2

Am 7. Juni 2006 veröffentlichte die Europäische Kommission ein Grünbuch mit dem Titel „Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: eine europäische Vision für Ozeane und Meere“. Die Initiative von Kommissionspräsident BARROSO sollte im Zusammenhang mit den strategischen Zielen der Europäischen Kommission (2005-2009) gesehen werden, in denen die Notwendigkeit betont wird, „eine umfassende Meerespolitik zu entwerfen, die auf die Entwicklung einer prosperierenden maritimen Wirtschaft und die Realisierung des vollen Potenzials dieser Wirtschaftstätigkeiten in ökologisch nachhaltiger Weise abzielt“. Kommissionsmitglied BORG wurde mit der Leitung einer Task Force zur Meerespolitik betraut, der die verschiedenen zuständigen Kommissionsmitglieder angehören.

2.3

In dem Grünbuch werden grundlegende Fragen in zahlreichen Bereichen aufgeworfen, wobei ein integriertes ganzheitliches Konzept gewählt wurde, um Verbindungen zwischen den einzelnen Bereichen zu ermöglichen. Mit dem Grünbuch, das selbst bereits das Ergebnis einer Konsultation der betroffenen Akteure ist, wurde der Anstoß für eine der umfassendsten Konsultationen in der Geschichte der EU gegeben. Die Bürger wurden um ihre Meinung zum Umgang mit den Ozeanen und Meeren befragt.

2.4

Seit Beginn der 80er Jahre hat der Ausschuss die Konzipierung dieser sektorspezifischen EU-Politiken aufmerksam verfolgt und mit sachkundigen Stellungnahmen zu ihrer Ausgestaltung beigetragen. Wie die Europäische Kommission ist auch er überzeugt, dass es einer neuen strategischen Vision für die Zukunft bedarf.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Zusammenhang

3.1.1

Das Grünbuch beinhaltet ein Umdenken der EU in Sachen „Meer“. Dies ist zu begrüßen. „How inappropriate to call this planet Earth when it is quite clearly Ocean.“ Dieser Untertitel des Grünbuches spricht Bände und lässt die von der Europäischen Kommission mit der Vorlage dieses Grünbuches verfolgten Absichten erkennen. Zum ersten Mal wird die bislang stets festlandbezogene Perspektive der EU-Politik umgekehrt. Die wichtige symbolische Botschaft dieses Grünbuches lautet, dass Europa in erster Linie maritim geprägt ist. Die EU verfügt über einen maritimen Kulturreichtum, der keinesfalls übersehen werden darf. Seit der Antike war Europa die Wiege zahlreicher Seefahrernationen: Griechen, Italiener, Spanier, Briten, Portugiesen, Skandinavier (Wikinger), Deutsche (Hanse) und Niederländer. Heute stehen Griechenland, Zypern und Malta auf der Liste der zehn größten Schiffsregister in der Welt.

3.1.2

Das Grünbuch wird zu einem Zeitpunkt vorgelegt, zu dem der Welthandel auf dem Seeweg einen grundlegenden Strukturwandel durchläuft: „Giganten der Meere“, gigantische Häfen und Terminals, moderne Logistik, E-Commerce, stetige Weiterentwicklung von Zellen-Containerschiffen, aber auch zunehmende Verwaltungsauflagen für die Besatzungen, die in Rekordzeit in den Häfen erledigt werden müssen, in immer stärkerem Maße moderne Formen von Piraterie und Terrorismus sowie steigender Druck auf die Unternehmen, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen. Die Globalisierung mit all ihren (positiven wie auch negativen) Auswirkungen macht sich auch in diesem Sektor bemerkbar.

3.1.3

Das Grünbuch muss auch vor dem Entstehen neuer Handelsmächte (der so genannten BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China), dem Stillstand der WTO-Verhandlungen und der Tatsache gesehen werden, dass 40 % der Weltflotte unter der Flagge pazifischer Staaten sowie weitere 40 % unter EU-Flagge fahren. Die Debatte findet zu einem Zeitpunkt statt, da die Ölpreise steigen, fortwährend über die Energieversorgungssicherheit und alternative Energieträger diskutiert wird und Befürchtungen angesichts der globalen Erwärmung laut werden.

3.1.4

In Bezug auf die Meere sind zahlreiche Aspekte und menschliche Aktivitäten (Fischerei, Umwelt, Verkehr, FuE, Nutzung des Meeresbodens, Energie, Schiffbau, Häfen, Tourismus) zu berücksichtigen. In dem Grünbuch werden die komplizierten Zusammenhänge zwischen marinen und maritimen Aspekten analysiert, und es wird für eine stärker integrierte Form der Politikgestaltung plädiert.

3.2   Wirtschaftliche Aspekte

3.2.1

Der Ausschuss begrüßt, dass in dem Grünbuch ein größeres Augenmerk auf die maritime Dimension Europas gerichtet und so ein neues Kapitel in der Meerespolitik der EU aufgeschlagen wird. In der Mitteilung wird die wesentliche Rolle der Seeverkehrsdienste für die europäische Wirtschaft sowie das tägliche Leben und den Wohlstand der Unionsbürger betont, auch wenn letztere sich dessen oftmals gar nicht bewusst sind. Der Ausschuss teilt den Standpunkt in Bezug auf die weltweite Wettbewerbsfähigkeit der Schifffahrt und Häfen in einem globalisierten Umfeld und die Notwendigkeit gleicher Ausgangsbedingungen für alle Marktteilnehmer auf einem globalen Markt. Seeverkehr und Häfen gelten als Schlüsselkomponenten in dem Logistiknetz, das den Binnenmarkt der EU mit der Weltwirtschaft verknüpft. Weit davon entfernt, ein „Auslaufmodell“ zu sein, haben sie haben eine führende Stellung auf dem Weltmarkt inne. Sie wurden als Schlüsselelemente der Lissabon-Strategie ermittelt, mit der Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt gemacht werden soll. Der Ausschuss betont, dass die europäische Schiffbauindustrie in den letzten Jahren beim Bau von Spezialschiffen große Erfolge verbuchen konnte.

3.2.2

Das Grünbuch wird sich indirekt auch positiv auf das Image der Schifffahrt und den Aufbau von maritimen Clustern auswirken, die weltweit die größten sind. Maritime Cluster sollten im Mittelpunkt der künftigen EU-Meerespolitik stehen. Nach Meinung des Ausschusses sollte die EU eine Studie in Auftrag geben, um diese Cluster zu definieren und mit Clustern in anderen Bereichen zu vergleichen. Maritime Cluster werden bei der Sicherung des maritimen Know-hows in der EU von entscheidender Bedeutung sein.

3.2.3

Die EU sollte Initiativen anregen, um der breiten Öffentlichkeit ein positives Bild von der Schifffahrt und den Häfen zu vermitteln. Überlastung in Häfen und weitere Engpässe, die eine effiziente Diensterbringung behindern, sollten angegangen werden. Über Investitionen in Häfen und Hinterlandanbindungen sollte Europa mit effizienten und nahtlosen Logistikketten ausgestattet werden. Der Zuwachs im Kurzstreckenseeverkehr in den letzten zehn Jahren sollte in einem integrierten europäischen Verkehrssystem weiter gefördert werden.

3.2.4

Obwohl anerkanntermaßen knapp 90 % des EU-Außenhandels auf dem Seeweg abgewickelt werden, der Anteil des Seeverkehrs am innergemeinschaftlichen Handel über 40 % beträgt und mehr als 40 % der weltweiten Handelsflotte unter europäischer Flagge fährt, konzentriert das Grünbuch sich nur auf den Kurzstreckenseeverkehr und das Konzept der Hochgeschwindigkeitsseewege. Der wachsende Anteil der EU-Schifffahrt am Handel zwischen Drittländern und anderen Kontinenten sollte jedoch nicht unterschätzt werden.

3.3   Soziale Aspekte

3.3.1

Die Globalisierung stellt die Beschäftigungslage im maritimen Bereich in Europa vor besondere Probleme. Der Ausschuss ist sich der Notwendigkeit bewusst, das europäische maritime Know-how zu sichern, das sowohl für die Schifffahrtsindustrie als auch den Fortbestand der maritimen Cluster von grundlegender Bedeutung ist, die ihrerseits wiederum von wesentlichem wirtschaftlichen und sozialen Interesse für die EU sind. Auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene laufen bereits zahlreiche Maßnahmen, auf denen sinnvoll aufgebaut werden kann. In diesem Zusammenhang kommt den Sozialpartnern eine wichtige Rolle zu. Gemeinsam können sie einen grundlegenden Beitrag zur Förderung des europäischen maritimen Know-hows und der Beschäftigungsmöglichkeiten für EU-Seeleute leisten. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission dringend auf, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten darauf hinzuarbeiten, die Seeverkehrswirtschaft und die in ihr beschäftigen Arbeitnehmer stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.

3.3.2

Im Mittelpunkt einer integrierten Meerespolitik muss der Ausbau der Investitionen in maritime Aus- und Weiterbildung stehen, um die Erbringung sicherer, wirksamer und qualitativ hochwertiger Dienstleistungen zu gewährleisten. Durch den potenziellen Mangel an qualifizierten Seeleuten drohen alarmierende Folgen für die marine Sicherheitsinfrastruktur der EU. Ohne konzertiertes Vorgehen der EU, ihrer Mitgliedstaaten und der Industrie wird dieser Mangel noch gravierender ausfallen. Verschärfen sich die Nachwuchsprobleme weiter, wird es Europa immer mehr an Sach- und Fachkompetenz mangeln, die für sicherheitskritische maritime Tätigkeiten erforderlich ist (Schiffsüberprüfungen und -besichtigungen, Einhaltung der Vorschriften, Versicherungsfragen, Seeverkehrsmanagement, Bergung, Küstenwache und Lotsendienste). Ohne genügend Nachwuchs könnten ganze maritime Cluster zerschlagen oder in andere Regionen ausgelagert werden.

3.3.3

Die Möglichkeit einer Beschäftigung ehemaliger Seeleute an Land ist ein wichtiger Anreiz für das Einschlagen einer seemännischen Laufbahn. Das „Career Mapping“-Projekt des Verbandes der Europäischen Reeder (ECSA) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) könnte dazu beitragen, die beruflichen Möglichkeiten für europäische Seeleute aufzuzeigen und die Schifffahrt als attraktive Berufswahl darzustellen. Dieses Konzept sollte auf nationaler Ebene aufgegriffen und gefördert werden.

3.3.4

Ein angemessener EU-Rechtsrahmen, der das maritime Know-how und die Aus- und Weiterbildung in der Schifffahrt fördert, wird der Seeverkehrswirtschaft insgesamt Vorteile bringen (5). Es sind Maßnahmen erforderlich, um die Ausbildung von Seeleuten zu Offizieren noch stärker zu fördern, sowie Investitionen in Ausbildungsgänge für Nautik (maritime Aus- und Weiterbildung) in der ganzen EU, um sicherzustellen, dass vorbildliche berufliche Qualifikationen und Fertigkeiten vermittelt werden, die mit der technologischen Entwicklung (E-Navigation) Schritt halten.

3.3.5

Das einstimmig angenommene konsolidierte IAO-Übereinkommen über Arbeitsnormen im Seeverkehr 2006 (6), das 30 grundlegende IAO-Übereinkommen ersetzt, wird eine solide, umfassende und internationale Grundlage für Arbeitsnormen in der Schifffahrt bieten. Der Ausschuss unterstützt die laufenden Verhandlungen über ein Abkommen zwischen den Sozialpartnern in der EU zur Umsetzung dieses Übereinkommens unter Berücksichtigung des im IAO-Übereinkommen verankerten Regressionsverbots. Im Rahmen der künftigen EU-Meerespolitik sollten die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sein, das IAO-Übereinkommen über Arbeitsnormen im Seeverkehr, sozusagen die Grundrechtecharta der Seeleute, zu ratifizieren und umzusetzen. Die Europäische Kommission sollte alle nur erdenklichen Beziehungen spielen lassen, um die Annahme des IAO-Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor, die 2005 gescheitert ist, 2007 zum Erfolg zu führen.

3.3.6

Der Ausschuss ist der Meinung, dass das allgemeine Image der Schifffahrt und der Seeberufe durch geeignete, an die jeweiligen einzelstaatlichen Gegebenheiten angepasste Informationskampagnen verbessert werden kann. Der Ausschuss kann einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der maritimen Identität und des maritimen Kulturerbes der EU leisten. Die Ausrufung eines Europäischen maritimen Tages oder eines Europäisches Tages des Meeres anlässlich des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs (7) könnte zur Stärkung des Bewusstseins der Europäer für die Bedeutung dieses Sektors beitragen.

3.3.7

Die Überlegung, dass die verschiedenen Akteure der maritimen Cluster die Einrichtung von Aus- und Weiterbildungskursen zur Sicherung eines angemessenen Angebots an europäischem maritimen Know-how finanzieren, das dann auch in verwandten Wirtschaftszweigen an Land genutzt werden kann, sollte eingehender untersucht werden.

3.3.8

Der Ausschuss stellt mit Bedauern fest, dass die sozialen Aspekte der in zahlreichen anderen maritimen Wirtschaftszweigen als Verkehr und Fischerei beschäftigten Arbeitnehmer in dem Grünbuch ausgeklammert werden. Er fordert die Europäische Kommission auf, die sozialen Aspekte anderer maritimer Wirtschaftstätigkeiten (z.B. Schiffbau, Lotsendienste, Häfen, Energie, Nutzung des Meeresbodens) aufzugreifen.

3.4   Umweltaspekte

3.4.1

Der Ausschuss teilt den im Grünbuch dargelegten Standpunkt, dass die Erhaltung der EU-Meeresressourcen den Schlüssel zur Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung der EU bildet. Er nimmt mit Besorgnis die zunehmende Bedrohung der Meeresumwelt durch menschliche Tätigkeiten und Naturkatastrophen zur Kenntnis. Ihr Schutz ist eine unerlässliche Voraussetzung für die nachhaltige Zukunft der Erde. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass ein integriertes sektorübergreifendes Konzept für sämtliche betroffenen Akteure ein wichtiges Instrument für ein nachhaltiges Umweltmanagement und eine Optimierung der Synergien zwischen den einzelnen Bereichen darstellt.

3.4.2

Die maritime Biodiversität muss durch kohärente EU-Maßnahmen gesichert werden, die für alle betroffenen Akteure, d.h. die gesamte Verantwortungskette, Verpflichtungen festlegen. Die Europäische Kommission sollte durch Forschungsarbeiten wissenschaftliche Daten zu der Frage zusammentragen, wie die Meeresumwelt und die Biodiversität dem Menschen am besten zum Wohle gereichen können. Vorzugsweise ist eine umfassende langfristige Verbesserung der Umwelt durch ein internationales ganzheitliches Konzept anzustreben.

3.4.3

Im Rahmen dieses ganzheitlichen Konzepts fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, die Meeresverschmutzung durch landseitige Quellen (Industrie, Städte, landwirtschaftliche Tätigkeiten) anzugehen, die für 80 % der Gesamtmeeresverschmutzung verantwortlich sind. Außerdem wird in dem Grünbuch offenbar übersehen, welch großen Anteil Freizeitschiffe an der Meeresverschmutzung haben. Dieser Aspekt sollte dringend aufgegriffen werden. Aus Sicht des Ausschusses ist es notwendig, dass die EU eine Politik zur Bekämpfung der Giftmüllverschickung über See (Export in Drittländer) formuliert. Die Umsetzung des HNS-Übereinkommens, der Schiffsüberwachungsrichtlinie und der vorgeschlagenen Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt weisen in diese Richtung.

3.4.4

Bei den Bemühungen um eine Senkung der Emissionen kommt es jedoch zu unbeabsichtigten Folgen und zu Kollisionen zwischen Maßnahmen. Auf dem G8-Gipfel (im Juli 2006) wurden verkehrsbedingte Emissionen im Zusammenhang mit dem Klimawandel als prioritärer Bereich mit dringendem Handlungsbedarf eingestuft. In der vor kurzem veröffentlichten Kommissionsmitteilung zur Begrenzung des globalen Klimawandels (8) wird insbesondere auf die Eindämmung der Emissionen aus dem Verkehr und die Reduktion von Treibhausgasemissionen in anderen Sektoren hingewiesen. Luftverschmutzung ist ein komplexes Thema. Die Verringerung eines Schadstoffes kann sich negativ auf andere Schadstoffe wie Treibhausgase auswirken. Der Ausschuss unterstützt die Verringerung des CO2-Ausstoßes von Schiffen. Doch wird dies nur geringe Auswirkungen haben, solange nicht auch entsprechende Verringerungen bei den wirtschaftlichen Tätigkeiten an Land erzielt werden, die bei weitem am stärksten zum Klimawandel beitragen. Gemäß dem vor kurzem veröffentlichten britischen Stern-Bericht (9) ist der Verkehrssektor nur für 14 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich, wobei der Anteil des See- und Schienenverkehrs wiederum lediglich 1,75 % der weltweiten Emissionen ausmacht.

3.4.5

In zahlreichen Stellungnahmen hat der Ausschuss betont, dass die Mitgliedstaaten internationale Übereinkommen zur Seeverkehrssicherheit und zum Schutz der Meeresumwelt rasch ratifizieren und korrekt umsetzen sollten. Auch wenn der Seeverkehr der energiesparendste und umweltfreundlichste Verkehrsträger ist, unterstützt der Ausschuss die internationale Forderung, die Emissionsgrenzwerte unter die vor Kurzem mit dem MARPOL-Übereinkommen (Anhang VI) (10) verpflichtend eingeführten Grenzwerte abzusenken. Maßnahmen zur Verringerung der seeverkehrsbedingten Emissionen müssen kosteneffizient sein und dürfen nicht zu einer Verkehrsverlagerung von den Wasserwegen auf einen weniger umweltverträglichen Verkehrsträger führen. Nach Anhörung der Sozialpartner sollte die EU Maßnahmen zur Einrichtung von Abwrackwerften für Schiffe (sowohl für Handels- als auch Militärschiffe) nach Ablauf ihres Lebenszyklus fördern.

3.4.6

Der Ausschuss befürwortet das Ziel der thematischen Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt. Aus ökologischer Sicht mag es sinnvoll sein, das gesamte Meeresgebiet der EU in Regionen einzuteilen, um die Erfordernisse jeder einzelnen Region festzulegen (Meeresraumplanungssystem), denn Maßnahmen, die in einer Region notwendig und richtig sind, sind dies nicht unbedingt in einer anderen Region. Der Ausschuss zeigt sich erfreut, dass seine Rolle als Forum für den Meinungsaustausch über die Umsetzung der allgemeinen Gestaltungsgrundsätze der Meerespolitik einschl. der Raumplanung anerkannt wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Bessere Rechtsetzung

4.1.1

Die Anerkennung der Notwendigkeit besserer Rechtsvorschriften zur Vermeidung von Inkohärenzen zwischen den einschlägigen Gemeinschaftspolitiken (z.B. Verkehr/Umwelt, Verkehr/Wettbewerb) und die Absicht, auf weltweit gleiche Ausgangsbedingungen bei der Regulierung und Durchsetzung von Rechtsvorschriften hinzuarbeiten, sind begrüßenswert. Außerdem sollte das Konzept der Selbstregulierung als Ergänzung zur Gesetzgebung gefördert werden.

4.1.2

Der Ausschuss unterstützt den Ansatz des Grünbuches, dass Maßnahmen auf EU-Ebene nur dann gesetzt werden sollten, wenn sie einen zusätzlichen Nutzen bringen. Es ist kritisiert worden, dass die EU die Tendenz habe, manche Themen zu „vergemeinschaften“, die auf nationaler oder internationaler Ebene durchaus angemessen behandelt werden könnten. Dieser Kritik sollte bei den Überlegungen über künftige Maßnahmen im Zusammenhang mit der „Besseren Rechtsetzung“ Rechnung getragen werden.

4.2   Außenbeziehungen

4.2.1

In Bezug auf den Vorschlag für eine künftige Mitgliedschaft der Europäischen Union als Einheit parallel zu der Mitgliedschaft jedes einzelnen Mitgliedstaates in internationalen, mit maritimen Angelegenheiten befassten Organisationen sei darauf hingewiesen, dass die Sachkompetenz der EU-Mitgliedstaaten in derartigen Organisationen (wie IMO und IAO) hochgeschätzt wird. Diese darf keinesfalls beschnitten, sondern sollte vielmehr gefördert werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist wohl eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten in internationalen, mit maritimen Angelegenheiten befassten Organisationen am sinnvollsten. Der Ausschuss würde es begrüßen, wenn die EU ihren Einfluss gegenüber Drittstaaten im Hinblick auf die Durchsetzung und Ratifizierung grundlegender internationaler Seeverkehrsübereinkommen (Bunkeröl-Übereinkommen, HNS-Übereinkommen, Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (LLMC) in der Fassung von 1996) geltend machen könnte.

4.2.2

Eine effiziente und wirksame Außenpolitik der EU im Seeverkehr wäre der Garant für einen funktionstüchtigen internationalen Rahmen für die Schifffahrt. Die WTO-Verhandlungen über Dienstleistungen (GATS) sind ein wichtiges Instrument für die Sicherstellung des Marktzugangs. Auch wenn die Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde ausgesetzt wurden, sollte die Nichteinführung neuer Beschränkungsmaßnahmen („standstill“) im Seeverkehr beibehalten werden, um neue protektionistische Maßnahmen der WTO-Mitgliedstaaten zu verhindern. Das bilaterale Seeverkehrsabkommen mit China bietet einen funktionierenden Rahmen für konstruktive Beziehungen zu China; ein ähnliches Abkommen sollte mit Indien geschlossen werden.

4.2.3

In dem Grünbuch wird bekräftigt, dass das auf dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) (11) beruhende Rechtssystem weiterentwickelt werden muss, um den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein. Nach Meinung des Ausschusses ist das UNCLOS-Übereinkommen Ausdruck eines empfindlichen Gleichgewichts zwischen allen Interessen, das nicht gefährdet werden sollte, vor allem nicht die „Freiheit der Schifffahrt“ und das „Recht auf friedliche Durchfahrt“ innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone. Womöglich könnten andere Küstenstaaten daraufhin die Freiheit der Schifffahrt aus weniger harmlosen Gründen einschränken. Dies könnte schwerwiegende Folgen für den Seehandel auf einigen wichtigen strategischen Seeverkehrsstrecken haben.

4.3   Gemeinsamer Meeresraum der EU

4.3.1

Die Idee, die EU zu Zoll-/Verwaltungszwecken als einen einheitlichen Raum anzusehen, kann nur begrüßt werden, sofern in internationalen Hoheitsgewässern die Bestimmungen des UNCLOS-Übereinkommens und der IMO-Übereinkommen einschl. der „Freiheit der Schifffahrt“ und des „Rechts auf friedliche Durchfahrt“ innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone eingehalten werden. Nach dem Verständnis des Ausschusses bezieht sich die Idee eines „gemeinsamen Meeresraumes der EU“ lediglich auf einen virtuellen Raum, in dem die Verwaltungs- und Zollformalitäten für innergemeinschaftliche Seeverkehrsdienste im Rahmen einer ähnlichen Regelung wie für den Straßen-, den Schienen- und den Binnenschifffahrtsgütertransport im Binnenmarkt vereinfacht werden. Nach entsprechenden Klarstellungen seitens der Europäischen Kommission und einer ausdrücklichen Erklärung in ihrer Mitteilung kann der Ausschuss dieser Idee zustimmen (12).

4.4   Meeresumwelt

4.4.1

Zur Verbesserung der regionalen und lokalen Luftqualität sollten die mit dem MARPOL-Übereinkommen geschaffenen Mechanismen über die mögliche Auszeichnung weiterer Schwefelsondergebiete (Sulfur Emission Control Area, SECA) genutzt werden. Die Herstellung schwefelarmen Treibstoffes erfordert zusätzliche Investitionen in Raffinerien sowie Energie zur Entfernung des Schwefels, die wiederum zum Anstieg der CO2-Emissionen und zur globalen Erwärmung beitragen kann. Außerdem ist es nicht nachhaltig, in verschiedenen Regionen und Häfen weltweit unzählige unterschiedliche Emissionsgrenzwerte vorzuschreiben.

4.4.2

In Bezug auf die Luftverschmutzung durch Schiffe ist die Annahme, dass „die NO x -Emissionen von Schiffen den Prognosen zufolge bis zum Jahr 2020 höher sein [dürften] als die von allen Quellen an Land zusammengenommen“, fragwürdig. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, die Auswirkungen der fortschreitenden klimatischen Veränderungen auf die Schifffahrt zu berücksichtigen und die Schiffsrouten in der Arktis zu untersuchen.

4.4.3

Der Schutz der Meeresumwelt und der Biodiversität in den Gewässern außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit ist für die internationale Gemeinschaft eine wichtige Priorität geworden. Daher muss der Zusammenhang zwischen dem UNCLOS-Übereinkommen und dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt geklärt werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten sich aktiv an der im Rahmen der Vereinten Nationen geplanten Bewertung der Meeresumwelt auf internationaler Ebene beteiligen.

4.4.4

Die Europäische Kommission hat eine langfristige Umweltstrategie für die Säuberung und den Schutz des Mittelmeeres vorgeschlagen. Der Zustand dieses einzigartigen Ökosystems verschlechtert sich immer weiter, da zunehmende Umweltbelastungen eine immer stärkere Bedrohung sowohl für die Gesundheit der Küstenbewohner als auch für wirtschaftliche Tätigkeiten, die vom Meer abhängen, darstellen. Auch die Ostsee und das Schwarze Meer, beide praktisch Binnenmeere, verdienen besondere Aufmerksamkeit angesichts der sie durchquerenden Öltankerrouten, des allgemeinen Verkehrszuwachses und der Eutrophierung durch landseitige Quellen und Wasserläufe. Derzeit wird heftig über die Umweltauswirkungen der geplanten Pipeline durch die Ostsee (Russland/Deutschland) diskutiert. Die genannten Probleme werden durch die Aktivitäten von Marineschiffen verstärkt, die von den EU-Bestimmungen ausgenommen sind und sich immer negativer auf die Umwelt und den Tourismus auswirken.

4.5   Fischerei

4.5.1

Der Fischereisektor (13) hängt stark von einer nachhaltigen Meeresumwelt ab; für die Sicherung seiner Zukunft ist ein in biologischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht optimal funktionierendes maritimes Ökosystem notwendig.

4.5.2

Der Verhaltenskodex für eine verantwortliche Fischerei (Code of Conduct for Responsible Fisheries) der FAO könnte als Grundlage für alle Fischereibehörden dienen. Der Fischereisektor muss bessere Instrumente (Ausrüstung, Fanggeräte) zur Erhöhung der Selektivität der Fischerei und zur Verringerung der Schäden am Meeresboden entwickeln. In einem integrierten Ansatz müssen maritime Schutzgebiete zum Schutz von Biotopen vor unregulierter und illegaler Fischerei ausgewiesen und detaillierte Fangstatistiken ausgearbeitet werden. Eine bessere Raumplanung könnte zur Förderung des Meerestourismus, zur Sicherung der Fischbestände, zur Stärkung der regionalen Entwicklung und zur Verbesserung der Beschäftigungsquote in der maritimen Wirtschaft in ländlichen Gebieten beitragen.

4.6   Europäische Küstenwache

4.6.1

Der Ausschuss fragt sich, welcher zusätzliche Nutzen damit verbunden sein soll, zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Einrichtung einer europäischen Küstenwache zu propagieren. Die in Kürze vorzulegende Machbarkeitsstudie wird zweckdienliche Informationen zu den diesbezüglichen Vorstellungen der Europäischen Kommission enthalten. Angesichts der Unterschiede — sowohl in Bezug auf die Struktur, die Aufgaben als auch die Zuständigkeiten — der entsprechenden nationalen Behörden der EU-Mitgliedstaaten vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass das gewünschte Ziel gleichsam durch eine stärkere Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten insbesondere in den Bereichen Sicherheit, illegale Einwanderung, Menschenhandel und gemeinsame Untersuchung von Unfällen erreicht werden kann.

4.7   Europäisches Schiffsregister

4.7.1

Der Vorschlag für die Einführung eines ergänzenden und optionalen europäischen Schiffsregisters (EUROS) ist bedenklich. Die EU-Flagge ist zwar als Symbol der europäischen Einheit und Kompetenz reizvoll, doch ist ihre Einführung zu einem Zeitpunkt, zu dem Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik der Mitgliedstaaten noch nicht harmonisiert sind, verfrüht. Sie könnte in ferner Zukunft als Abrundung einer allgemeinen EU-Harmonisierung anvisiert werden, die derzeit jedoch noch nicht absehbar ist. Außerdem ist der Begriff eines ergänzenden Europäischen Schiffsregisters verwirrend und wirft die Frage auf, welche zusätzlichen Vorteile ein derartiges Register gegenüber den nationalen Registern bei Anwendung der Leitlinien für den Seeverkehr eigentlich bringen soll. Positive Maßnahmen und sonstige Anreize könnten durch die Leitlinien angepasst und allen nationalen Registern zugänglich gemacht werden. Die Einführung eines eigenen europäischen Schiffsregisters müsste in jedem Fall an die Anerkennung und Stärkung der für dieses neue Register geltenden europäischen Sozialgesetzgebung gekoppelt sein.

4.8   „Qualitätsküstenstaaten“

4.8.1

Der Ausschuss spricht sich ausdrücklich für die Schaffung von „Qualitätsküstenstaaten“ aus, die das fehlende Glied in der Qualitätskette sind. Sie sollten grundlegende Dienste für Schiffe bereitstellen. So muss beispielsweise ein „Qualitätsküstenstaat“ seinen internationalen Verpflichtungen durch die Ratifizierung und Durchsetzung internationaler Übereinkommen nachkommen, die IMO bzw. IAO-Leitlinien zur fairen Behandlung von Seeleuten einhalten, angemessene Abfallentsorgungsmöglichkeiten, Navigationshilfen und Seekarten sowie Notliegeplätze für Schiffe in Seenot bereitstellen (anstatt diese abzuweisen und so eine Umweltkatastrophe heraufzubeschwören), sicherstellen, dass alle notwendigen Maßnahmen für die friedliche Durchfahrt von Schiffen durch seine Hoheitsgewässer getroffen wurden, und Anreize für hochwertige Schiffe schaffen, ihre Häfen anzulaufen bzw. durch ihr Hoheitsgewässer zu fahren. Bedauerlicherweise scheinen einige Küstenstaaten jedoch nicht willens zu sein, diese wichtige Rolle zu übernehmen.

4.8.2

Das Grünbuch bietet Gelegenheit, messbare Kriterien und bewährte Verfahren für Küstenstaaten zu entwickeln. Dieses Konzept sollte von den EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der IMO im Hinblick auf die Erarbeitung geeigneter Kriterien für die Bewertung der Leistung eines Küstenstaates angesprochen werden.

4.8.3

Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag des Ausschusses der Regionen (14), einen Europäischen Küsten- und Inselfonds für verschiedene maritime Tätigkeiten einzurichten.

4.9   Küstentourismus

4.9.1

Europa ist als Reiseziel die Nummer 1 weltweit. Der Ausschuss unterstützt die Idee, einen alternativen qualitativ hochwertigen Tourismus in Küstenregionen zu entwickeln. Dem Grünbuch zufolge wird ein nachhaltiger Tourismus zur Differenzierung touristischer Dienste mit dem Ziel führen, die Strände zu entlasten, alternative Einkommensquellen für Fischer zu erschließen und Tätigkeiten zu schaffen, die die Erhaltung des Kulturerbes fördern. Der Ausschuss spricht sich ausdrücklich für derartige Initiativen aus.

4.10   Soziale Angelegenheiten

4.10.1

Der Ausschuss hält fest, dass Fischer und Seeleute von der europäischen Sozialgesetzgebung in den folgenden Richtlinien ausgenommen sind: Richtlinie über Massenentlassung, Richtlinie zum Übergang von Unternehmen, Richtlinie über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sowie Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern. Derartige Ausnahmeregelungen waren ursprünglich gerechtfertigt, da die Sozialgesetzgebung in erster Linie für landseitige Unternehmen gedacht war und nicht für die besondere Situation der Beschäftigten in der Schifffahrt. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, diese Ausnahmeregelungen in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu überprüfen.

4.11   Abkommen über die Aufbringung von Schiffen

4.11.1

Aufgrund eines stärkeren Sicherheitsbewusstseins haben mehrere EU-Mitgliedstaaten bilaterale Abkommen mit Drittländern über die Aufbringung von Schiffen geschlossen. Der Ausschuss hält eine koordinierte Vorgehensweise der EU-Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit derartigen Initiativen und eine koordinierte Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten einschl. ihrer Marinen bei der Anwendung solcher Regeln für wünschenswert. Als Alternative käme die rasche Ratifizierung der Protokolle zu dem Übereinkommen über die Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen durch die EU-Mitgliedstaaten in Frage, mit denen ähnliche Ziele wie mit der „Proliferation Security Initiative“ der USA verfolgt werden, die aber auch wichtige Klauseln zur Wahrung der legitimen kommerziellen Interessen der Reeder sowie zum Schutz der Menschenrechte der Seeleute umfassen.

Brüssel, den 26. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 225 vom 12.8.1998, S. 16-21).

(2)  Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 16-20).

(3)  Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 29-34).

(4)  Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. L 18 vom 21.1.1997, S. 1-6).

(5)  Laut einer Studie der baltischen und internationalen Schifffahrtskonferenz (Baltic and International Maritime Conference, BIMCO) und dem internationalen Verband der Reeder (International Shipping Federation, ISF) steigt der Altersdurchschnitt von Offizieren in traditionell maritim geprägten Ländern immer weiter, obwohl es keine Anzeichen für einen Rückgang in der Nachfrage nach Offizieren gibt.

(6)  http://www.ilo.org/public/english/standards/norm/mlc2006/index.htm (nur EN, die deutsche Fassung kann unter http://www.ilo.org/ilolex/german/docs/MLC.pdf aufgerufen werden).

(7)  Wie der britische Ratsvorsitz in seinem Dokument von Dezember 2005 festgehalten hat, werden EU-weit innovative Initiativen gesetzt. Es würde sich in diesem Zusammenhang lohnen, ein größeres Augenmerk auf den Austausch bewährter Verfahren zu richten.

(8)  Siehe KOM(2007) 2 vom 10.1.2007 sowie Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „Bewältigung der Herausforderungen durch den KlimawandelDie Rolle der Zivilgesellschaft“ (NAT/310, am 27.9.2006 verabschiedet) und Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „Nachhaltige Entwicklung in der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei vor dem Hintergrund des Klimawandels“ (NAT/276, am 27.1.2006 verabschiedet).

(9)  Siehe http://www.hm-treasury.gov.uk/independent_reviews/stern_review_economics_climate_change/stern_review_report.cfm (nur EN). Sollten keinerlei Maßnahmen getroffen werden, werden laut dem Stern-Bericht Kosten in Höhe von 5 bis 20 % des weltweiten BIP entstehen.

Internationales Übereinkommen von 1973 zum Schutz der Meeresumwelt durch Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe, 1973, geändert durch das Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen (MARPOL 73/78).

(10)  Siehe

http://www.imo.org/Conventions/contents.asp?doc_id=678&topic_id=258 (nur EN).

(11)  http://www.un.org/Depts/los/convention_agreements/convention_overview_convention.htm (nur EN).

(12)  Siehe Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „Eine gemeinsame Hafenpolitik in der EU“ (TEN/258). ABl. C 325 vom 30.12.2006.

(13)  Siehe Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „Nachhaltigkeit im Fischereisektor“ (NAT/333), Stellungnahme des Ausschusses zur „Mitteilung der Kommission über die wirtschaftliche Lage der Fischereiwirtschaft und ihre Verbesserung“ (NAT/316, am 25.9.2006 verabschiedet) und Stellungnahme des Ausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über finanzielle Maßnahmen der Gemeinschaft zur Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik und im Bereich des Seerechts“ (NAT/280, am 16.12.2005 verabschiedet). ABl. C 318 vom 23.12.2006 und ABl. C 65 vom 17.3.2005.

(14)  Stellungnahme des AdR CdR 258/2006 fin (auf der AdR-Plenartagung am 13./14.2.2007 verabschiedet).


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