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Document 52011AE0800

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung: wichtigste Errungenschaften und künftige Herausforderungen“ KOM(2010) 386 endg.

ABl. C 218 vom 23.7.2011, p. 91–96 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

23.7.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 218/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung: wichtigste Errungenschaften und künftige Herausforderungen“

KOM(2010) 386 endg.

2011/C 218/17

Berichterstatter: Cristian PÎRVULESCU

Die Europäische Kommission beschloss am 20. Juli 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung: wichtigste Errungenschaften und künftige Herausforderungen

KOM(2010) 386 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. März 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 471. Plenartagung am 4./5. Mai 2011 (Sitzung vom 5. Mai) mit 167 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verweist ausgehend von den spürbaren Auswirkungen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise auf die zunehmende Gefahr der Radikalisierung mit Blick auf sowohl religiös als auch ideologisch motivierten Terrorismus. Die Verteidigung der Grundrechte sollte bei der Planung und Umsetzung der EU-Politik zur Terrorismusbekämpfung ein grundlegendes Bewertungskriterium sein.

1.2   Der EWSA fordert, den Gesichtspunkt der Prävention zu überarbeiten und im Vorfeld eine weitere Dimension vorzusehen, die die Förderung partnerschaftlicher Beziehungen sowie eine frühzeitige Klärung von Spannungen ermöglicht. Es handelt sich hierbei um einen bereichsübergreifenden Aspekt, der sowohl die Politik zur Terrorismusbekämpfung als auch andere EU- und einzelstaatliche Politiken betrifft, z.B. in den Bereichen Jugend, Kultur, Bildung und Beteiligung am politischen und zivilgesellschaftlichen Leben.

1.3   Der EWSA empfiehlt, in den offiziellen Dokumenten der Europäischen Union und der spezialisierten Stellen den Begriff „durch Fanatismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit motivierter Terrorismus“ anstelle von „islamistischer Terrorismus“ zu verwenden.

1.4   Der EWSA fordert alle EU-Institutionen und einzelstaatlichen Regierungen auf, ihre Maßnahmen auf der Grundlage qualitativer und quantitativer Untersuchungen zur Dynamik des Terrorismus zu konzipieren. Angesichts der Vielfältigkeit des Phänomens wäre ein Patentrezept für alle Konstellationen fehl am Platze, kostspielig und ineffizient in der Anwendung. Außerdem muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, damit die jeweilige Reaktion, die vereinbarten Anstrengungen und Ausgaben in Bezug auf den Umfang dieser Bedrohungen angemessen bleiben.

1.5   Der EWSA empfiehlt, in die strategischen Dokumente zur Terrorismusbekämpfung in der EU neben den vier Säulen Prävention, Schutz, Verfolgung und Reaktion und den bereichsübergreifenden Aspekten wie Wahrung der Grundrechte, internationale Zusammenarbeit und Partnerschaften mit Drittländern und Finanzierung auch die Arten des Terrorismus einzubeziehen, die nach Motivation und Wirkung in separatistischen, linksextremen oder anarchistischen, rechtsextremen, streitfragenspezifischen und religiös motivierten Terrorismus untergliedert werden. Diese strategische Strukturierung wird den einzelstaatlichen Regierungen, den gemeinschaftlichen Institutionen und den weiteren Akteuren helfen, ihre Sichtweise und Instrumente an die spezifischen Herausforderungen der unterschiedlichen Arten des Terrorismus anzupassen.

1.6   Der EWSA schlägt vor, im Rahmen der speziellen EU-Strategie zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus und dem dazugehörigen Aktionsplan auch konkrete Maßnahmen zur Verringerung der Ungleichheiten und zur Bekämpfung von Diskriminierung vorzusehen und sich dabei u.a. auf die Arbeit der Europäischen Grundrechteagentur zu stützen.

1.7   Der EWSA ruft die Europäische Kommission und die einzelstaatlichen Regierungen dazu auf, die wirtschaftlichen Folgen der Sicherheitsmaßnahmen für die Privatwirtschaft detailliert zu bewerten, und warnt davor, dass die Entwicklung kostenintensiver Technologien und die Einführung komplizierter Verfahren die Tätigkeit von Wirtschaftsakteuren und Bürgerinnen und Bürgern behindern könnten.

1.8   Der EWSA weist darauf hin, dass die illegale oder unangemessene Nutzung oftmals sensibler personenbezogener Daten im Zusammenhang mit den ausgeweiteten Befugnissen der Behörden zu einer Diskriminierung und Stigmatisierung bestimmter Personen oder Gruppen führen kann.

1.9   Zur Förderung der Glaubwürdigkeit der Anti-Terror-Maßnahmen und wegen der Relevanz der Frage der Wahrung der Grundrechte empfiehlt der EWSA der Europäischen Kommission, der Forderung in der Entschließung des Europäischen Parlaments von 2007 zu der behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen nachzukommen, die Anti-Terror-Gesetzgebung auf der Ebene der Mitgliedstaaten und die sonstigen Verfahren zu bewerten, die derartige Aktionen ermöglichen können.

1.10   Der EWSA plädiert dafür, dass die Europäische Union in den Ländern, in denen die Demokratie und die Wahrung der Grundrechte durch die Anti-Terror-Maßnahmen gefährdet werden könnte, nachdrücklicher auf ein Modell der Terrorismusbekämpfung dringt, das auf demokratischen Standards und Verfahren fußt.

2.   Einleitung

2.1   In der vorliegenden Mitteilung präsentiert die Kommission das Ergebnis einer politischen Bestandsaufnahme der derzeitigen EU-Strategie zur Terrorismusbekämpfung, mit der einer Forderung des Europäischen Parlaments nachgekommen wird. Sie ist somit ein wichtiger Baustein für die Entwicklung einer breiter angelegten Strategie der inneren Sicherheit.

2.2   Eine Bestandsaufnahme und Bewertung der Errungenschaften der letzten Zeit und ein Ausblick auf künftige Herausforderungen sind besonders nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Verabschiedung eines neuen Mehrjahresprogramms mit einem Aktionsplan für den Bereich Justiz, Freiheit und Sicherheit („Stockholmer Programm“) geboten. In der Mitteilung werden die Terrorbekämpfungsmaßnahmen und -initiativen des Stockholmer Programms (1) und des dazu gehörigen Aktionsplans (2), die die Grundzüge künftiger EU-Maßnahmen in diesem Bereich aufzeigen, aufgegriffen und ergänzt.

2.3   Die EU-Strategie zur Terrorismusbekämpfung aus dem Jahr 2005 (3), die der EU nach wie vor als Referenzrahmen für ihr weiteres Vorgehen dient, beruht auf vier Säulen: Prävention, Schutz, Verfolgung und Reaktion. Die vorliegende Mitteilung folgt dieser Struktur: Für jede Säule werden die wichtigsten Ergebnisse vorgestellt sowie künftige Herausforderungen herausgearbeitet.

2.4   Der EWSA begrüßt die umfassende Bestandsaufnahme der EU-Politik zur Terrorismusbekämpfung und hält dies für wichtig, um sich ein ausgewogenes Bild sowohl von der Bedrohung durch den Terrorismus als auch von den Anti-Terror-Instrumenten zu machen.

2.5   Der EWSA fordert, dass in der überarbeiteten Terrorismusbekämpfungsstrategie der EU und der vor kurzem auf den Weg gebrachten Strategie der inneren Sicherheit Ziele und Instrumente so festlegt werden, dass die Erfordernisse der individuellen Sicherheit in keiner Weise den Schutz der Grundrechte und -freiheiten beeinträchtigen. Diese Freiheiten und Rechte, die der Eckpfeiler jedes Rechtsstaat und jeder demokratischen Gesellschaft sind, können auf keinen Fall aufgehoben oder eingeschränkt werden.

2.6   Der EWSA hat im Vorfeld zwei Stellungnahmen zur konkreten Problematik der Terrorismusbekämpfungsstrategie verabschiedet. Diese beiden Stellungnahmen betrafen die Prävention und insbesondere die Bekämpfung von Radikalisierung. Sie brachten den grundlegenden Standpunkt des EWSA zum Ausdruck. Die Überarbeitung und Neuformulierung mit dieser Stellungnahme soll nun dazu beitragen, die Terrorismusbekämpfungsstrategie an die neuen Tendenzen des Terrorismus anzupassen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Durch die Wirtschaftskrise wurden nicht nur die europäischen Volkswirtschaften, sondern auch das soziale, politische und kulturelle Beziehungsgefüge in ganz Europa beeinträchtigt. Die Wirtschaftskrise hat die Bande der Solidarität zwischen der Bevölkerung, den sozialen Gruppen und den politischen Institutionen geschwächt. Unter diesen Bedingungen konnten sich Misstrauen und Intoleranz gegenüber Bevölkerungsminderheiten vermehrt ausbreiten, die dadurch in eine defensive Haltung gedrängt wurden.

3.2   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Strategie der EU zur Terrorismusbekämpfung ein komplexes und heikles Thema ist und dass die Aufrechterhaltung der Sicherheit und die Entwicklung neuer Technologien und legislativer Instrumenten unbedingt in einem soliden Rahmen des Schutzes der Grundrechte erfolgen müssen.

3.3   Angesichts der Vielgestaltigkeit des Terrorismus und seiner Hintergründe empfiehlt der EWSA, die EU-Politik zur Terrorismusbekämpfung durch eine Perspektive der politischen Integration und Zusammenarbeit zu ergänzen, um auf diese Weise terroristischen Aktionen jegliche Rechtfertigung zu nehmen. In der Debatte über Prävention wird deutlich, dass bestimmte Ziele sofort auf die Tagesordnung gesetzt werden müssen, etwa soziale Eingliederung, Bekämpfung von Armut, Gleichstellung von Frauen und Männern und bessere Arbeitsplätze, insbesondere im Rahmen der sozialen Dimension der Europa-2020-Strategie.

3.4   Der letzte Bericht von Europol beinhaltet einige wesentliche Angaben zur Dynamik des Terrorismus in der Europäischen Union (4). Im Jahr 2009 ist die Zahl der gescheiterten, vereitelten oder ausgeführten Terrorangriffe gesunken und hat sich im Vergleich zu 2007 halbiert; die Tendenz ist eindeutig fallend.

3.5   Nicht nur die Wirkung von Terrorakten hat sich verändert, sondern auch deren Struktur. Im Jahre 2009 handelte es sich vor allem um separatistische Anschläge (257), ferner 40 linksextremistische und anarchistische Anschläge, 4 rechtsextremistische Anschläge und 2 streitfragenspezifische Anschläge. Es hat sich gezeigt, dass der religiös motivierte Terrorismus, der in der Öffentlichkeit als der meist verbreitete und gefährlichste Terrorismus wahrgenommen wird, mit nur einem Fall in Italien 2009 am seltensten vertreten war.

3.6   Der EWSA bedauert, dass infolge der terroristischen Aktivitäten Menschenleben zu beklagen sind und Sachschäden verursacht werden. Die abnehmende Wirkung des Terrorismus zeigt jedoch, dass dieses Phänomen durch intelligent und vorausschauend aufeinander abgestimmte Strategien und Maßnahmen eingedämmt werden kann. Bei der Bekämpfung des Terrorismus bedarf es einer spezifischen Herangehensweise, wobei die Gebiete, in denen er auftritt, die Motivation, die Art und die Ursachen berücksichtigt werden müssen.

3.7   Angesichts der großen Unterschiede zwischen der öffentlichen Wahrnehmung des Terrorismus und seinem konkreten Auftreten fordert der EWSA die Regierungen und die Institutionen der EU auf, zur richtigen Information der Bevölkerung über die Hintergründe, Ausmaße und Wirkungen des Terrorismus beizutragen. Der EWSA warnt vor den Gefahren einer falschen oder unvollständigen Aufklärung sowie davor, dass die terroristische Bedrohung zu sozialer Ausgrenzung, Intoleranz und Diskriminierung führen kann. Da das Ziel des Terrorismus darin besteht, Angst zu verbreiten, kann eine Übertreibung der terroristischen Bedrohung durchaus im Interesse der potenziellen Urheber terroristischer Anschläge sein. Anderseits muss vermieden werden, dass sich ein „Terrorismusmarkt“ entwickelt, der ein besonderes Interesse der verschiedenen wirtschaftlichen und institutionellen Akteure im Bereich der Terrorismusbekämpfung auf sich zieht.

3.8   Hinsichtlich der Verfolgung und Bestrafung von mit dem Terrorismus verbundenen Straftaten ist ein interessanter Trend festzustellen. Die meisten Festnahmen erfolgten auf der Grundlage der Zugehörigkeit der Verdächtigen zu terroristischen Organisationen und nicht im Zusammenhang mit Straftaten, die direkt mit der Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen verbunden waren. Dies zeigt, dass es den einzelstaatlichen Stellen gelingt, die Vorbereitung oder Ausführung von Terroranschlägen zu verhindern, wenn sich diese noch in der Anfangsphase befinden.

3.9   Die Entwicklung und Nutzung von Technologien in diesem Bereich, insbesondere in Bezug auf die Überwachung, Erfassung und Speicherung von Daten, sollte an die Schwere der Bedrohungen angepasst werden. Die Terrorismusbekämpfungsstrategien dürfen keinesfalls in die Privatsphäre der Bevölkerung eindringen. Dies würde dazu führen, dass sich ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit weiter ausbreitet, anstatt eingedämmt zu werden, und dass das Vertrauen in die Tätigkeit der einzelstaatlichen Regierungen und der gemeinschaftlichen Institutionen schwindet.

3.10   Der EWSA vertritt die Ansicht, dass der europäischen Zivilgesellschaft eine bedeutende Rolle bei der Eindämmung der terroristischen Bedrohung zukommt. Sie sollte trotz ihrer Vielfalt, die sich in verschiedenen Werten, unterschiedlichen Organisationsformen und den jeweils befürworteten Maßnahmen ausdrückt, in alle Dimensionen der Terrorismusbekämpfungsstrategien und insbesondere in die Phase der Prävention einbezogen werden. Des Weiteren kann die Zivilgesellschaft bei der Erstellung eines Modells der Kommunikation, Zusammenarbeit und Solidarität mitwirken, das im Vorfeld der eigentlichen Prävention angesiedelt ist, also in der Phase, in der Einzelne bereit sind, sich von terroristischen Aktionen mitreißen zu lassen (5). Der EWSA ist der Auffassung, dass die wirksamste Bekämpfung des Terrorismus darin besteht, an seinen Ursachen und nicht an seinen Wirkungen anzusetzen.

3.11   Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die europäische Zivilgesellschaft zu einer Brücke zwischen der Bevölkerung, einzelstaatlichen Regierungen und lokalen Behörden einerseits sowie potenziell Terrorakte unterstützenden Gemeinschaften und Gruppierungen andererseits werden kann. Die Zivilgesellschaft kann eine besondere Rolle übernehmen und so die öffentlichen Maßnahmen ergänzen, indem sie auf spezifische Instrumente und Programme zurückgreift, z.B. im Bereich der Vermittlung oder Bildung.

4.   Besondere Bemerkungen

Wichtigste Errungenschaften der EU und künftige Herausforderungen

4.1   Prävention

4.1.1   Der EWSA begrüßt die aktuelle strategische Rückbesinnung auf die Säule der Prävention. Dem Stockholmer Programm zufolge soll dieser Teil der Strategie in den kommenden fünf Jahren durch Forschung im Sicherheitsbereich und in Bezug auf politische und gesellschaftliche Aspekte weiter ausgebaut werden. Er begrüßt ferner, dass dem Problem der Internetnutzung durch Terroristen zur Kommunikation, Kapitalbeschaffung, Ausbildung, Anwerbung und Propaganda Vorrang eingeräumt wird. Diese Überwachung der Kommunikationswege sollte aber nicht zu einem Instrument werden, das in die Privatsphäre der Bevölkerung eingreift.

4.1.2   Der EWSA unterstützt die Initiative der Erarbeitung einer speziellen EU-Strategie zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus (6). Diese Strategie hat drei Zielstellungen: Es geht darum, gegen die Tätigkeiten von Netzen und Personen vorzugehen, die Menschen für den Terrorismus anwerben, dafür zu sorgen, dass die Stimmen der Mehrheit die der Extremisten übertönen und darum, Demokratie, Sicherheit, Recht und Chancengleichheit zu fördern. Mit Interesse erwartet der EWSA die Ergebnisse der Halbzeitbewertung der Umsetzung der Strategie und erklärt sich bereit, zur ihrer Anpassung im Lichte der Ergebnisse beizutragen. Er weist darauf hin, dass der jüngste Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung keinerlei Initiative enthält, mit der etwaige Ungleichheit und Diskriminierung beseitigt sowie eine langfristige Förderung der Wiedereingliederung sichergestellt wird, wo sich dies als notwendig erweist (7).

4.1.3   Der EWSA begrüßt zwar die der Prävention zugemessene Bedeutung. Gleichwohl reicht dies nicht aus, um die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen. Wie vom EWSA bereits festgestellt, ist „es doch möglich (…), viele der terroristischen Taten als Ergebnis von Prozessen der Entfremdung, Radikalisierung und Rekrutierung zu betrachten, die durch bereichsübergreifende Ungleichheiten zwischen Gruppen innerhalb desselben Gebietes, Phänomene der Ausgrenzung und Diskriminierung (in sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht) (…) verstärkt werden“ (8). In diesem Sinn befürwortet der EWSA die Intensivierung des Dialogs, um politische Antworten auf die Entwicklung des Terrorismus zu finden. In diesen Antworten sollten die politischen, institutionellen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse auf Ebene der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden, um historische Spannungen wirksam und friedlich auszuräumen.

4.1.4   Der EWSA begrüßt die Einrichtung des Europäischen Netzes der Experten für Radikalisierung (ENER) durch die Europäische Kommission im Jahr 2008 und ist der Auffassung, dass ein Beitrag aus den Institutionen, bei dem die Besonderheiten der verschiedenen Gesellschaften und Arten von Terrorakten berücksichtigt werden, bei einer besseren Ausrichtung der EU-Politiken und der Mitgliedstaaten in diesem Bereich behilflich sein kann.

4.1.5   Angesichts der Tatsache, dass die meisten in der EU zu verzeichnenden Terrorakte geschichtliche Hintergründe haben und separatistische Problematiken betreffen, ist der EWSA der Auffassung, dass der Ausschuss der Regionen als die EU-Institution, die die lokale und regionale Ebene vertritt, stärker in die europäische Debatte einbezogen werden sollte, und ist gern zum Dialog mit ihm bereit.

4.1.6   Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, eine Mitteilung über die bewährten Verfahrensweisen der Mitgliedstaaten beim Vorgehen gegen Radikalisierung und Anwerbung für terroristische Zwecke auf den Weg zu bringen. Er empfiehlt der Kommission, in ihrer Mitteilung die Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus seiner Stellungnahme zu der Rolle der EU im nordirischen Friedensprozess (9) zu berücksichtigen. Die aufzuführenden bewährten Verfahrensweisen werden es den Akteuren erleichtern, die sich nach Motivation und Wirkung unterscheidenden Terrorarten besser zu verstehen. Dies ist ein Fortschritt im Hinblick auf die Ausarbeitung spezifischer Strategien für die einzelnen Mitgliedstaaten und die verschiedenen Arten terroristischer Bedrohung.

4.2   Schutz

4.2.1   Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, der Mitgliedstaaten, der Forschung und der Privatwirtschaft, die Bevölkerung und die Infrastruktur zu schützen. Dieser äußerst komplexe und kostenintensive Teil der Strategie umfasst eine breite Palette von Tätigkeiten: EU-weite Analysen der Bedrohungslage, Sicherung der Versorgungsketten, Schutz kritischer Teile der Infrastruktur, Sicherung der Verkehrswege und der Grenzen und sicherheitsrelevante Forschung. Die Entwicklung der Schutzsysteme sollte allerdings dem Grad der Bedrohungen entsprechen und an die verschiedenen Terrorarten angepasst sein.

4.2.2   Die Verkehrssicherheit auf dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ist ein Schlüsselthema. Der Binnenmarkt basiert auf dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Die Mobilität der Bürger innerhalb und außerhalb der Grenzen ihres Mitgliedstaates ist eine wesentliche Komponente der Wirtschaftssysteme und der Lebensarten in der EU und erleichtert gegenseitiges Kennenlernen, Kommunikation und Toleranz. Der EWSA vertritt die Ansicht, dass allen Bereichen der Verkehrssicherheit seitens der EU-Institutionen und der einzelstaatlichen Regierungen hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

4.2.3   Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Forschung im Bereich der Sicherheit, Techniken zum Schutz der Bevölkerung und der Infrastruktur zu entwickeln. Die Forschergemeinschaft sollte sich jedoch bewusst sein, welche Auswirkungen die Technologie auf das Leben und die Privatsphäre der Bevölkerung haben können. Sie sollte gewährleisten, dass die Technologie nicht missbraucht wird und dass die Würde und die Rechte der Menschen unangetastet bleiben.

4.2.4   Der EWSA begrüßt die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft, insbesondere in den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologie und der chemischen Industrie, bei der Bekämpfung von Terroranschlägen. Ferner begrüßt der EWSA die Bereitschaft privater Verkehrsunternehmen, erhöhte Sicherheitsmaßnahmen einzuführen, obwohl sie zu Verlusten führen könnten. In diesem Zusammenhang ruft der EWSA die Europäische Kommission und die einzelstaatlichen Regierungen dazu auf, die wirtschaftlichen Folgen der Sicherheitsmaßnahmen für die Privatwirtschaft detailliert zu bewerten, und warnt davor, dass die Entwicklung kostenintensiver Technologien und die Einführung komplizierter Verfahren die Tätigkeit von Wirtschaftsakteuren und Bürgerinnen und Bürgern behindern könnten.

4.2.5   Angesichts der Tatsache, dass viele Aktivitäten im Bereich der Sicherheit des Personenverkehrs in Europa in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft organisiert werden, erscheint es angebracht, die privaten Akteure in die Ausbildungs- und Informationsprogramme einzubinden, damit die Integrität und die Würde der Passagiere im Rahmen der Sicherheitsmaßnahmen nicht angetastet werden.

4.3   Verfolgung

4.3.1   Der EWSA begrüßt die jüngsten Entwicklungen bei diesem Handlungsschwerpunkt, in dem es um Themen wie Datenerfassung und -auswertung, Vereitelung von Reisebewegungen von Terroristen und terroristischen Aktivitäten, polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit sowie die Unterbindung der Terrorismusfinanzierung geht. Sämtliche Akteure in diesem Bereich können ihre Vorstellungen in die Ausarbeitung geeigneter Antworten auf die terroristische Bedrohung einbringen – je nach der Terrorart.

4.3.2   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die bilaterale Zusammenarbeit zwischen einzelstaatlichen Behörden sowie deren Zusammenarbeit mit spezialisierten europäischen Agenturen auch für den Erfolg in der Terrorismusbekämpfung entscheidend ist. Weiterhin sollte der sensiblen Problematik der Erfassung und Nutzung personenbezogener Daten verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Bei den Bemühungen um die Bekämpfung des Terrorismus muss der Schutz der Privatsphäre auch zukünftig ein ständiges Anliegen sein. Der Europäische Datenschutzbeauftragte hat darauf hingewiesen, dass die illegale oder unangemessene Nutzung oftmals sensibler personenbezogener Daten im Zusammenhang mit den weit reichenden Befugnissen der Behörden zu einer Diskriminierung und Stigmatisierung bestimmter Personen oder Gruppen führen kann (10).

4.3.3   Die Unterbindung der Terrorismusfinanzierung ist ein wesentlicher Bestandteil der Terrorismusbekämpfungsstrategie. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die EU-Rechtsvorschriften zur Regelung der Verfahren für die Erstellung von Listen mit terrorismusnahen Personen und Einrichtungen im Sinne der Wahrung der Grundrechte überarbeitet wurden. Er ist der Ansicht, dass die Verfahren zur Bestrafung von Einzelpersonen und zum Einfrieren von Geldern angemessen, deutlich und transparent sein müssen. Die verdächtigten Personen müssen die Möglichkeit haben, sich zu verteidigen und die Entscheidungen der Behörden anzufechten.

4.3.4   Der EWSA ist ebenfalls der Ansicht, dass Transparenz, gute Regierungsführung und Verantwortlichkeit für nichtstaatliche Organisationen von wesentlicher Bedeutung sind. Auch wenn freiwillige Verfahren auf europäischer Ebene nützlich sein könnten, dürfen diese nicht dazu führen, dass eine neue Reihe von Regeln aufgestellt werden, die (angesichts der hierdurch entstehenden unüberwindbaren rechtlichen oder finanziellen Probleme) im Widerspruch zu der jeweiligen Gesetzgebung der Mitgliedstaaten stehen und die die Fähigkeit dieses Bereichs oder die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigen würden, sich für die Begünstigten einzusetzen. Der EWSA bietet seine Hilfe an für die Suche nach Lösungen für eine gemeinsame Strategie bei der Terrorismusbekämpfung sowie für die Förderung des Rechts und des Wunsches der Bürger, sich zu unabhängigen Organisationen zusammenzuschließen. Dieses Grundrecht muss gewahrt werden.

4.4   Reaktion

4.4.1   Der EWSA begrüßt die jüngsten Entwicklungen bei diesem Handlungsschwerpunkt mit Themen wie zivile Krisenbewältigungsmöglichkeiten nach Terroranschlägen, Frühwarnsysteme, Krisenmanagement im Allgemeinen und Unterstützung für Terroropfer. Nach seiner Ansicht sollten die Mitgliedstaaten ihr Reaktionsvermögen verbessern, um das Leben und die Sicherheit der Bevölkerung in kritischen Situationen wirksamer zu schützen.

4.4.2   Der EWSA begrüßt die Bemühungen um die Einschränkung der Möglichkeiten zur Beschaffung chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen Materials (CBRN-Material) durch Terroristen. Die Umsetzung des CBRN-Aktionsplans, der aus 130 konkreten Aktionen im Bereich der Verhütung, Aufdeckung und Bewältigung der Folgen von CBRN-Anschlägen besteht, sollte zu den vorrangigen Bemühungen zählen, wobei die Wirkungen der geplanten Maßnahmen auf den betreffenden Wirtschaftszweig nicht außer Acht gelassen werden sollten und intensive Beratungen mit den Vertretern der jeweiligen Branchen notwendig erscheinen.

4.4.3   Der EWSA begrüßt auch das Engagement der Europäischen Kommission für die Unterstützung von Terroropfern, wobei rund 5 Mio. EUR für Opfer von Terroranschlägen zur Verfügung gestellt wurden und ein Netz von Vereinigungen von Terroropfern finanziert wird. Nach Auffassung des EWSA sollte diese Unterstützung weitergeführt und ausgebaut werden.

Bereichsübergreifende Aspekte

4.5   Achtung der Grundrechte

4.5.1   Der EWSA begrüßt, dass der Achtung der Grundrechte als bereichsübergreifendem Aspekt Vorrang eingeräumt wird. Allerdings sollten die Bemühungen der Kommission in Bezug auf die Achtung der Grundrechte durch entsprechende Maßnahmen der einzelstaatlichen Regierungen ergänzt werden. Des Weiteren sollten sich diese Bemühungen nicht auf den Entwurf und die Erarbeitung von Instrumenten beschränken, sondern auch deren Umsetzung umfassen.

4.5.2   Das europäische System zum Schutz der Menschenrechte steht aus rechtlicher Sicht auf festem Grund. Diese Tatsache sollte in den Mitteilungen und Maßnahmen der Kommission mehr Beachtung finden. Die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen die spezifischen Instrumente entschlossener einsetzen. Auch müssen sich die politischen Zusagen in ihren Maßnahmen niederschlagen. Das Zulassen oder Organisieren von Folter auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten muss bestraft und endgültig abgeschafft werden. Zu beachten ist der Grundsatz, dass niemand dorthin zurückgeschickt werden darf, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Diskriminierende Verfahren, die im internationalen, europäischen und nationalen Recht eindeutig identifiziert und geächtet sind, müssen verfolgt und bekämpft werden.

4.5.3   Der EWSA schlägt der Kommission vor, festzustellen, welches die schnellsten Verfahren für Rückmeldungen und Entscheidungsfindung im Bereich der Achtung der Grundrechte in Verbindung mit der Terrorismusbekämpfung sind. In diesem Zusammenhang könnte das Potenzial der europäischen Zivilgesellschaft besser genutzt werden, deren Kernanliegen der Schutz der Rechte und Freiheiten der europäischen Bürgerinnen und Bürger der EU ist.

4.6   Internationale Zusammenarbeit und Partnerschaften mit Drittländern

4.6.1   Der Terrorismus, insbesondere der religiös motivierte Terrorismus, hat eine bedeutende internationale Tragweite erreicht. Die Europäische Union muss mit Drittländern zusammenarbeiten, um die terroristische Bedrohung einzudämmen, auch wenn sie selbst, wie bereits betont wurde, nicht mehr bevorzugtes Ziel dieser Art von Bedrohung ist.

4.6.2   Die Europäische Union sollte in den Beziehungen zu Drittländern für demokratische Verfahren und Standards bei der Terrorismusbekämpfung eintreten. Die EU verfügt über zahlreiche Systeme, um die Menschenrechte wirksam zu wahren und zu fördern. In vielen Drittländern kann Terrorismusbekämpfungspolitik aber entgleisen und sowohl die Demokratie als auch die Grundrechte beeinträchtigen.

4.7   Finanzierung

4.7.1   Der EWSA begrüßt die Einführung des Programms „Sicherheit und Schutz der Freiheitsrechte“, das die Einzelprogramme „Prävention, Abwehrbereitschaft und Folgenbewältigung im Zusammenhang mit Terrorakten“ beinhaltet. Die Verteilung der Ausgaben auf die vier Säulen der Strategie (Prävention, Schutz, Verfolgung und Reaktion) muss neu austariert werden; den Versprechen hinsichtlich der Prävention muss die Zuweisung entsprechender Mittel folgen. Außerdem muss der Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor bei der Terrorismusbekämpfung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Der EWSA erwartet mit Interesse die Ergebnisse der Halbzeitbewertung des Programms und hofft, dass die bereitgestellten Mittel leicht zugänglich waren, und dass ihre Verwendung zu den erwarteten Ergebnissen geführt hat.

5.   Ausblick

5.1   Durch das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon wird eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Terrorismusbekämpfung ermöglicht. Mit diesem Vertrag wurden die Befugnisse der Europäischen Union im Bereich der Menschenrechte erweitert. Seither kann eine Anti-Terror-Politik erarbeitet werden, in der für jeden der einzelnen Schritte – also auch für die Umsetzung – die fortschrittlichsten Standards und Verfahren in Bezug auf die Menschenrechte zur Anwendung kommen. Nach Ansicht des EWSA sollte diese Politik an die konkrete Entwicklung des Phänomens angepasst werden, wobei der Schwerpunkt ganz entschieden auf die Prävention gelegt werden sollte. Diese ist im weitesten Sinne als Prozess zu verstehen, bei dem die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ursachen des Terrorismus unmittelbar angegangen werden.

Brüssel, den 5. Mai 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1.

(2)  KOM(2010) 171 endg. vom 20.4.2010.

(3)  Dok. 14469/4/05 des Rates vom 30.11.2005.

(4)  Tendenz- und Lagebericht 2010 von Europol (TE-SAT), online abrufbar unter http://www.europol.europa.eu/publications/EU_Terrorism_Situation_and_Trend_Report_TE-SAT/Tesat2010.pdf.

(5)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80.

(6)  Die EU-Strategie zur Bekämpfung von Radikalisierung und Anwerbung für den Terrorismus wurde im November 2008 überarbeitet (CS/2008/15175).

(7)  Rat der Europäischen Union, EU-Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung, 17. Januar 2011.

(8)  ABl. L 211 vom 19.8.2008, S. 61.

(9)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der EU im nordirischen Friedensprozess“, ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 100.

(10)  Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu der Mitteilung der Kommission über die Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung: Counter-Terrorism Policy and Data Protection (Terrorismusbekämpfung und Datenschutz), Beitrag von Giovanni Buttarelli im Rahmen der vom EWSA veranstalteten Anhörung am 9. Februar 2011.


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