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Document 52011IE0806

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auswärtige Dimension der EU-Industriepolitik: Trägt die EU-Handelspolitik den Interessen der europäischen Industrie gebührend Rechnung?“ (Initiativstellungnahme)

ABl. C 218 vom 23.7.2011, p. 25–30 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

23.7.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 218/25


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auswärtige Dimension der EU-Industriepolitik: Trägt die EU-Handelspolitik den Interessen der europäischen Industrie gebührend Rechnung?“ (Initiativstellungnahme)

2011/C 218/05

Berichterstatter: Antonello PEZZINI

Ko-Berichterstatter: Marcel PHILIPPE

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. September 2010, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Auswärtige Dimension der EU-Industriepolitik: Trägt die EU-Handelspolitik den Interessen der europäischen Industrie gebührend Rechnung?“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2011 an. Berichterstatter war Antonello PEZZINI, Ko-Berichterstatter Marcel PHILIPPE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 471. Plenartagung am 4./5. Mai 2011 (Sitzung vom 4. Mai) mit 106 gegen 2 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt voll und ganz die Sorgen des ungarischen Ratsvorsitzes, demzufolge „auf der ganzen Welt ein unglaublich rascher und tiefgreifender Wandlungsprozess festzustellen (ist), und Europa (…) in der Lage sein (muss), einem im Vergleich zur Vergangenheit ungleich stärkeren Wettbewerbsdruck standzuhalten“.

1.2   Der EWSA fordert die EU mit Nachdruck dazu auf, konzertierte und kohärente Maßnahmen für eine integrierte industriepolitische Strategie mit einer auswärtigen Dimension zu ergreifen, die der EU eine Führungsrolle im Handelssystem garantiert und eine einheitliche Ausrichtung der multilateralen und bilateralen Handelsabkommen gewährleistet.

1.3   Der EWSA hält gleiche Spielregeln für alle Akteure für unabdingbar, um in einem Rahmen operieren zu können, der durch fairen Wettbewerb, nachhaltiges und wettbewerbsfähiges wirtschaftliches und soziales Wachstum sowie uneingeschränkte Achtung der internationalen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Standards geprägt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bis 2015 90 % des weltweiten Wachstums außerhalb Europas erzeugt wird, allein ein Drittel davon in China. Aus diesem Grund muss die EU-Handelspolitik auch die EU-Entwicklungspolitik unterstützen und den zwischen den verschiedenen Handelsblöcken und in der Gesellschaft bestehenden Unterschieden - insbesondere in den Entwicklungsländern – Rechnung tragen.

1.4   Der Ausschuss hält es für notwendig:

einen gemeinsamer Rahmen für eine verstärkte europäische Governance zu errichten, um das Potenzial des Binnenmarktes ausschöpfen und die europäische Industrie international wieder zum Erfolg führen zu können;

weltweit mit einer Stimme zu sprechen;

kohärente Vorgehensweisen der Mitgliedstaaten zu definieren.

1.5   Nach Auffassung des Ausschusses muss die langfristige, 1988 begonnene Arbeit zur Vollendung des Binnenmarktes fortgesetzt und intensiviert werden, auch mittels Einführung eines europäischen Vertragsrechts für Unternehmen. Dies sollte auf der Grundlage einer Verordnung mit einer neuen fortschrittlichen Regelung geschehen, die die Unternehmen bei grenzüberschreitenden Verträgen wahlweise in Anspruch nehmen können.

1.6   Der EWSA ist der Ansicht, dass die internationale Führungsposition der europäischen Industrie verteidigt werden kann, und zwar nicht nur mittels Innovation, Forschung und Anwendung neuer Technologien, sondern auch durch die Realisierung guter Infrastrukturen und die Forderung nach einer intelligenten Regulierung des Weltmarktes, die saubere und nachhaltige Produktions- und Verteilungsverfahren fördert.

1.7   Der Ausschuss ist der Auffassung, dass Maßnahmen auf Ebene der Union, der Mitgliedstaaten und der Regionen in Bezug auf Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmer und der Wissensverbreitung besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.

1.8   Der EWSA legt nahe, die Interessen der europäischen Industrie stets zu berücksichtigen und sie in den Verhandlungen mit Nachdruck zu verteidigen, indem alle zur Verfügung stehenden Regulierungsinstrumente einschließlich der Handelsabkommen in einer klaren, transparenten und vielfältigen Art und Weise zum Einsatz kommen.

1.9   Der EWSA unterstreicht, dass die Unternehmen über einen intelligenten, verlässlichen und vor allem weniger Kosten verursachenden Rechtsrahmen verfügen müssen, und dass es eines besseren Unternehmensumfelds für KMU bedarf.

1.10   Es liegt im Interesse der europäischen Unternehmen, dass bei den Abkommen und bilateralen Kontakten folgende Punkte gewährleistet und auf klare und transparente Art und Weise geschützt werden:

soziale Normen zur Wahrung der Menschenwürde am Arbeitsplatz, die den internationalen Konventionen entsprechen;

Umweltschutznormen;

Schranken für die Ausbeutung ökologischer Ressourcen;

Normen für Energieeinsparung und Klimaschutz;

verbreitete Verwendung von Umweltzeichen;

systematischer Einsatz der EMAS-Zertifizierung;

Einhaltung technischer Normen;

Schutz des gewerblichen und geistigen Eigentums;

bestimmte wirksame Instrumente für den handelspolitischen Schutz und für den Zugang zu Märkten und strategischen Rohstoffen im Hinblick auf die von der Zivilgesellschaft beider Seiten vorgebrachte Bedenken hinsichtlich des Ressourcenmanagements;

Initiativen zur Förderung der Aktivitäten von KMU in Drittstaaten;

Systeme des sozialen Dialogs und zur Überprüfung durch die Zivilgesellschaft, auch mittels Folgeabschätzungen und Ex-post-Evaluierungen;

hohes Verbraucherschutzniveau.

1.11   Der EWSA schließt sich der Auffassung des Europäischen Rates vom Dezember 2010 an, „dass die mit der Globalisierung verbundenen Herausforderungen und Chancen effizienter bewältigt bzw. genutzt werden müssen, indem vor der Aufnahme von Handelsverhandlungen, die potenziell beträchtliche Auswirkungen haben, Folgenabschätzungen durchgeführt [werden]“, um offene Märkte und faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Die EU müsste in ihrer Handelspolitik auf jeden Fall den ungleichen Bedingungen Rechnung tragen, unter denen die europäische Industrie oft im Wettbewerb bestehen muss.

1.12   Der Ausschuss fordert, den Empfehlungen des Rates der EU, „die Kohärenz und die Komplementarität zwischen ihren internen und externen Maßnahmen weiter (zu) verbessern“ (1), konkrete Maßnahmen folgen zu lassen.

1.13   Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die EU für eine effektivere und strategische Verteidigung ihrer Interessen und im Sinne einer größeren Glaubwürdigkeit des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells in der Welt ihre Wettbewerbsvorteile ausbauen muss.

2.   Einleitung

2.1   Die Industrie ist, insgesamt betrachtet und einschließlich der mit ihr verbundenen besonderen Dienstleistungen, ein umfassender Bereich, der für annähernd die Hälfte des BIP der EU - ca. 47 % - aufkommt.

2.2   Die Industrie kann spezifische Beiträge leisten, die das Wachstum der gesamten Wirtschaft ankurbeln, durch

eine größere Produktivität Europas;

den Export von Industrieerzeugnissen (2);

den technologischen Fortschritt: über 80 % der Ausgaben des privaten Sektors für FTE werden vom verarbeitenden Gewerbe geleistet.

2.3   Die Herausforderung bei der Eindämmung der Deindustrialisierung liegt darin, alle Politikbereiche der EU auf das Ziel auszurichten, das Wachstumspotenzial und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu fördern und insbesondere ihre auswärtige Dimension zu unterstützen.

2.4   Es geht nicht darum, eine isolierte Politik zu konzipieren. Vielmehr muss der Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der damit verbundenen Dienstleistungen in alle Politikbereiche der EU - angefangen bei der gemeinsamen Handelspolitik - aufgenommen werden.

2.5   Die Öffnung der Märkte ist zweifellos eine Voraussetzung für das Beschäftigungswachstum. Gleichwohl muss die EU ihre Strategie aktualisieren, um die Internationalisierung ihrer Unternehmen in einem durch Symmetrie und der Gegenseitigkeit geprägten Rahmen besser fördern zu können, der gleiche Spielregeln für alle Akteure gewährleistet.

2.6   Ein kohärenter Ansatz muss bei einer Reihe von Bereichen mit erheblichem Zusatznutzen ansetzen:

Die künftige Handelspolitik der EU sollte in den Rahmen der „Strategie Europa 2020“ eingebettet werden. Dafür ist ein Korpus detaillierter und wirksamer Vorschriften erforderlich, um

offene und gleichberechtigte Märkte zu fördern und dabei die Einhaltung gleicher Spielregeln für die Schwellenländer zu fordern und die Bedürfnisse der am wenigsten entwickelten Länder zu schützen;

gewerbliche und geistige Eigentumsrechte zu schützen;

neues und besser vernetztes Wissen zu schaffen;

Produktfälschungen entgegenzuwirken;

den Wert der „sozialen Marktwirtschaft“ zu schützen und zu verbreiten (3);

ein hohes Umweltschutzniveau und eine Verbesserung der Umweltqualität vorzuschlagen und einzufordern

den Euro als internationale Handelswährung zu fördern.

Die Öffnung des Weltmarktes und die daraus hervorgehende Gegenseitigkeit der Zollsätze werden durch nichttarifäre Handelshemmnisse stark beeinträchtigt: „Die EU muss in verstärktem Maße auf die Durchsetzung ihrer Rechte aus bilateralen und multilateralen Übereinkünften drängen, um Märkte aufzubrechen, die unrechtmäßig abgeschottet sind“ (4), um Symmetrie, Gegenseitigkeit und gleiche Spielregeln zu gewährleisten.

Die Initiativen zur Unterstützung der Internationalisierung von KMU müssten überarbeitet und verstärkt werden. Der Anteil der Ausfuhren von KMU in Drittstaaten beträgt weniger als 15 %.

Im Rahmen der Politik der EU sollte ausgelotet werden, wie sich die folgenden weiteren Möglichkeiten der Internationalisierung ausbauen lassen:

1.

ADI (ausländische Direktinvestitionen),

2.

technologische Zusammenarbeit,

3.

Auftragsweitervergabe / Tätigkeiten als Subunternehmer.

Die EU-Mitgliedstaaten sollten sich für einen verstärkten Dialog mit den Sozialpartnern und allen sozioökonomischen Akteuren einsetzen.

Im Bereich der Beschäftigung sollten neue Impulse für die Förderung innovativer sektoraler Initiativen nach dem Vorbild der Pilotaktionen für „Leitmärkte“ gesetzt werden.

2.7   Die Rolle des Euro als internationale Handelwährung sowohl für Rohstoffe als auch für Erzeugnisse des verarbeitenden Gewerbes sollte konsolidiert werden.

2.8   Der stürmische Prozess der weltwirtschaftlichen Globalisierung und die wirtschaftliche Entwicklung der Schwellenländer machen eine grundlegende Überarbeitung der EU-Handelspolitik erforderlich. Sie muss den Interessen der europäischen Industrie umfassend gerecht werden, damit diese ihre Rolle im globalen Dorf behalten und ausbauen kann.

2.9   In allgemeinen Worten basiert die EU-Industriepolitik der EU auf:

allgemeinen Maßnahmen zur Entwicklung des Binnenmarktes;

einer Außenhandelspolitik (Antidumpingpolitik, bilaterale und multilaterale Handelsabkommen für bestimmte Industriebranchen);

zahlreichen sozial-, regional- und umweltpolitischen Maßnahmen zur Entwicklung der Humanressourcen;

einer Wettbewerbspolitik, einschließlich entsprechender Rechtsinstrumente, die bei Marktversagen notwendig und für staatliche Beihilfen sinnvoll sind;

einer Politik für Forschung und Entwicklung;

Maßnahmen zur Förderung von Innovation;

dem Ausbau der Zusammenarbeit zwischen europäischen Unternehmen;

dem Streben nach Dialog und Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern, das insbesondere im Zuge der Aushandlung internationaler Übereinkommen auf die Schwellenländer ausgedehnt wird;

dem Engagement für die Realisierung umweltpolitischer Maßnahmen;

einer anspruchsvollen und leistungsfähigen Politik für allgemeine und berufliche Bildung.

2.10   Handel, Wirtschaft, der Dialog zwischen den Religionen und Kulturen - kurzum: Wohlstand - werden bedingt und bestimmt durch die Qualität der Beziehungen zwischen den Staaten, Regierungen und internationalen Organisationen. Außerdem muss bei der Lösung gemeinsamer Probleme den verschiedenen Entwicklungsniveaus und der gegebenen Ausrichtungen Rechnung getragen werden.

2.11   Der EWSA möchte in dieser Stellungnahme die auswärtige Dimension der Industriepolitik beleuchten.

2.12   Der Industriepolitik kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle zu, auch aufgrund des neu gewachsenen Bewusstseins, dass Industrie und Unternehmen wieder die ihnen zustehende zentrale Rolle spielen müssen.

2.13   „Eine Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung“ (5). Diese Initiative dient dazu, Prioritäten festzulegen, mit denen das Unternehmensumfeld - insbesondere für KMU - verbessert und die Entwicklung einer soliden und nachhaltigen Industriestruktur gefördert werden soll.

2.14   Wahrhaft „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum (6)“ ist mit der Stärkung eines diversifizierten und innovativen verarbeitenden Gewerbes verbunden, um erfolgreich auf den Weltmärkten zu operieren.

3.   Interessensbereiche und Handlungsfelder für eine kohärente auswärtige Dimension

3.1   Die auswärtige Dimension der europäischen Industriepolitik ergibt sich aus zahlreichen Interessens- und Interventionsbereichen, aber der EWSA möchte sich auf die folgenden Themen konzentrieren:

Europäische Strategie für den Rohstoffzugang;

Internationalisierung der KMU;

Normung und Rechte des geistigen Eigentums;

Dialog über Rechtsfragen;

Gemeinsame Handelspolitik;

Image und Perspektiven der Union;

Sektorbezogene Initiativen: Leitmärkte und europäische Plattformen.

3.1.1   Rohstoffzugang. Ein sicherer und einfacher Zugang zu Rohstoffen ist ein Schlüsselfaktor für die Infrastrukturen und die Voraussetzung für industrielle Entwicklung. Die Initiativen der EU sind von grundlegender Bedeutung für:

die Beseitigung bestehender Hindernisse und die Einführung neuer Regeln und Übereinkommen bezüglich des Zugangs zu Rohstoffen, insbesondere zu Energierohstoffen;

die Forderung nach ständigen Bemühungen - auch auf Ebene der WTO –, um zu garantieren, dass die Förderländer die sozialen und ökologischen Mindestnormen einhalten;

verbesserte Bedingungen für eine nachhaltige Rohstoffgewinnung in Europa;

Unterstützung der europäischen oder nationalen Recyclingwirtschaft, um die Ressourcenverschwendung einzuschränken, Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung zu schaffen und die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Gewinnungsverfahren zu begrenzen;

die Förderung des effizienten Umgangs mit den Ressourcen und die Wiederverwendung von Sekundärrohstoffen;

den Ausbau der für die Bewirtschaftung von Rohstoffen zuständigen Behörden und Einrichtungen in Entwicklungsländern mit Rohstoffen;

die bereits laufenden Forschungen zur Energiegewinnung durch Kernfusion unterstützen mittels JET und ITER und der Verwendung in der Natur – insbesondere im Meerwasser – weit verbreiteter Rohstoffe (Deuterium, Lithium und Tritium).

3.1.1.1   Die europäische Industrie muss über eine starke und integrierte Strategie mit besonderem Augenmerk für die Energieversorgung und einer echten „Rohstoffdiplomatie“ verfügen, wenn sie ihre Präsenz und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt konsolidieren und verbessern möchte.

3.1.1.2   Der Zugang zu Rohstoffen, insbesondere zu Energierohstoffen, muss eine der tragenden Säulen der neuen Industriepolitik sein. Es ist von zentraler Bedeutung, unsere wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Drittstaaten zu verbessern, um:

mit Maßnahmen gegen Exportbeschränkungen (7) Verzerrungen bei den Zugangsbedingungen zu beseitigen;

die Produktion von Metallen in Europa zu fördern;

die Anstrengungen zur Nutzung der in Europa bereits verfügbaren Rohstoffe zu verstärken;

die Liste der 14 „strategischen“ Rohstoffe zu überwachen. Dabei handelt es sich um: Antimon, Beryllium, Kobalt, Flussspat, Gallium, Germanium, Graphit, Indium, Magnesium, Niob, die Metalle der Platingruppe (Platin, Palladium, Iridium, Rhodium, Ruthenium und Osmium), seltene Erden, Tantal und Wolfram;

strategische Reserven der wichtigsten Rohstoffe anzulegen;

Baumwolle als strategischen Rohstoff zu betrachten;

einen europäischen Geologischen Dienst zu schaffen.

3.1.2   Internationalisierung der KMU. Eine andere entscheidende Herausforderung stellt die internationale Dimension der europäischen Industrie dar: Neben den Großunternehmen müssen auch die kleinen und mittleren Unternehmen auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig sein und dabei ihre eigenen Produktionsgebiete zur Geltung bringen.

3.1.2.1   Es ist notwendig, Hilfsmittel für die Vorausplanung und Finanzierung (Versicherungen, Bürgschaften usw.) zu schaffen und auszubauen, um den KMU die Entwicklung auf internationaler Ebene zu ermöglichen.

3.1.2.2   Einer aktuellen Studie der GD Unternehmen zufolge waren 25 % der KMU im Laufe der letzten drei Jahre im In- und Export tätig. Über den Binnenmarkt hinaus hatten allerdings nur 13 % der europäischen KMU Beziehungen zu Drittstaaten. Betrachtet man die Schwellenmärkte der BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China), beträgt dieser Anteil 7 bis 10 %.

3.1.2.3   Internationalisierung nützt den Unternehmen und bietet einen entscheidenden Vorteil:

im Hinblick auf die Bereitschaft zur Einstellung neuen Personals. Im internationalen Bereich tätige KMU verzeichnen ein Beschäftigungswachstum von 7 %, die anderen KMU hingegen lediglich eines von 1 %;

im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit. 26 % der international tätigen KMU brachten innovative Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt, von den anderen KMU taten dies hingegen nur 8 %.

3.1.2.4   Leistungsverbesserungen im internationalen Handel sind wichtig, um das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

3.1.2.5   Insbesondere muss die Pilotinitiative zur Schaffung europäischer Hilfszentren in Drittstaaten, sogenannte „European Business Centres“ (8), sowie das Engagement für die volle Einsatzfähigkeit der sogenannten Kompetenzteams für die Marktöffnung („Market Access Teams“) intensiviert und ausgebaut werden.

3.1.3   Normung. Es bedarf entschlossener Maßnahmen im Bereich der Normung und des Schutzes geistiger Eigentumsrechte, um eine auswärtige Dimension der Normungsverfahren zu gewährleisten.

3.1.3.1   Es muss vermieden werden, dass Normen zu Handelshemmnissen werden und der Handel durch eine steigende Zahl nationaler Normen im Bereich der Dienstleistungen behindert wird.

3.1.3.2   Der EWSA ist davon überzeugt, dass für alle diejenigen, die Normen konzipieren, die gesetzliche Verpflichtung eingeführt werden sollte, dabei die Grundsätze der WTO und des Übereinkommens über technische Handelshemmnisse (TBT) zu beachten.

3.1.3.3   Die Interoperabilität ist ein weiteres wichtiges Thema: Dienstleistungen und Anwendung müssen wirklich interoperabel sein, um vom Markt angenommen werden und den festgelegten Zielen entsprechen zu können.

3.1.4   Dialog über Rechtsfragen. Damit die europäische Industrie wirklich wettbewerbsfähig sein kann, braucht sie weltweit gleiche Bedingungen in puncto Regeln und Rechtsvorschriften.

3.1.4.1   Zu den tarifären Handelshemmnissen kommen häufig nichttarifäre Hemmnisse rechtlicher Natur hinzu. Der EWSA hält es deshalb für angezeigt, hier die Bemühungen an mehreren Fronten zu verstärken, um zum einen die bestehenden Hemmnisse zu beseitigen und zum anderen der Entstehung neuer Schranken vorzubeugen.

3.1.4.2   In diesem Zusammenhang ist der Grundsatz der „besseren Rechtssetzung“ von zentraler Bedeutung, um die hohen Kosten, die häufig auf Überreglementierung zurückzuführen sind, zu senken und von einem effizienteren Zugang zu den internationalen Märkten zu profitieren. Dies ist mittels Verfahren der gegenseitigen Anerkennung möglich.

3.1.5   Die gemeinsame Handelspolitik ist ein tragendes Element der Außenbeziehungen der Europäischen Union. Sie regelt die Handelsbeziehungen der Mitgliedstaaten zu Drittstaaten und verfolgt das grundlegende Ziel, gleiche Wettbewerbsbedingungen und Spielregeln zu gewährleisten.

3.1.5.1   Eine wirksamere Bekämpfung von Produktnachahmung und -piraterie - sowohl innerhalb als auch außerhalb des Binnenmarktes - muss wegen der gravierenden Auswirkungen auf eine wachsende Zahl immer unterschiedlicherer Branchen sichergestellt werden.

3.1.5.2   Eine Verbesserung unserer Resultate im (grenzüberschreitenden und internationalen) Handel – wie in den neuen Vorschriften des Vertrags von Lissabon vorgegeben – ist wichtig, um das Wachstum anzukurbeln, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der Unternehmen zu steigern und zu gewährleisten, dass Europa mit einer Stimme spricht.

3.1.5.3   Die Instrumente für den handelspolitischen Schutz und für den Marktzugang haben vor allem den Zweck, die europäischen Unternehmen von Handelshemmnissen zu schützen. Die EU muss die harmonische Entwicklung eines fairen und nachhaltigen Welthandels sicherstellen können, der den verschiedenen Entwicklungsniveaus der Drittstaaten Rechnung trägt. Sie sollte den weniger entwickelten Ländern bei ihrer Industrialisierung helfen und die umfassende Achtung der Konventionen seitens der Schwellenländer einfordern.

3.1.5.4   Die EU muss genaue wirtschaftliche Kriterien für die Aushandlung und den Abschluss von Freihandelsabkommen und für die Auswahl ihrer Handelspartner festlegen. Dies gilt insbesondere für das Potenzial der Märkte mit Blick auf ihre Größe und ihr Wirtschaftswachstum. Sie muss eindeutige Verfahren für Folgeabschätzungen (der politischen Kohärenz) und Ex-post-Evaluierungen (der umfassenden Achtung von Symmetrie und Gegenseitigkeit) gewährleisten, auch mithilfe des europäischen sozialen Dialogs und der organisierten Zivilgesellschaft.

3.1.5.5   Die Senkung der Zolltarife im Rahmen der WTO muss flankiert werden durch ein Engagement für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gemäß den ILO-Konventionen.

3.1.6   Image und Perspektiven der Union. Es bedarf einer auf die Logik der nachhaltigen Entwicklung ausgerichteten Vision, mit der langfristig und weltweit inklusive Gesellschaften, offene Wirtschaftssysteme und friedliche Beziehungen gefördert werden können.

3.1.6.1   Das Image der Europäischen Union, im Innern wie in der Welt, muss gepflegt werden, indem Kohärenz, Einheit und rasche Handlungsfähigkeit gewährleistet werden, damit Europa voll zur Geltung kommt. Es muss „ein konkreter Aktionsplan auf synergetischen und untereinander verzahnten Ebenen“ entwickelt werden für die:

Gewährleistung einer ausgewogenen Öffnung der Märkte bei gleichzeitigem Schutz der begrenzten Ressourcen unseres Planeten und Sicherstellung eines stabilen und nachhaltigen Zugangs Europas zu den strategisch notwendigen Ressourcen;

Intensivierung des wirtschaftlichen Dialogs mit allen wichtigen Partnern im Rahmen eines multilateralen Ansatzes;

Stärkung der internationalen Rolle des Euro;

Profilierung der EU als „internationale Regulierungsmacht“, die sich für die Durchsetzung der industriellen, ökologischen, sozialen Standards ebenso einsetzt wie für jene, die für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, das öffentliche Auftragswesen und das geistige Eigentum gelten;

Neubelebung der drei wichtigsten Politiken zur Förderung der externen Entwicklung der EU: die Erweiterung, die Nachbarschaftspolitik und Mittelmeerunion sowie eine neue Partnerschaft mit Afrika im Rahmen der AKP (9).

3.1.6.2   Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass es ohne eine auf europäischer Ebene abgestimmte Vorausschau auf die globalen Perspektiven der europäischen Industrie nicht möglich sein wird, eine gemeinsame strategische Vision zu entwickeln, die für eine kraftvolle und kohärente Neubelebung der auswärtigen Dimension der europäischen Industriepolitik unerlässlich ist.

3.1.6.3   Der EWSA ist davon überzeugt, dass Wachstum das Ziel der europäischen Industrie ist. Das einzige Mittel, dieses zu realisieren liegt darin, nicht ständig dem Niedrigkosten-Wettbewerb ausgesetzt zu sein.

3.1.7   Sektorbezogene Initiativen: Leitmärkte und Plattformen

3.1.7.1   Europas Zukunft muss auf seinen Stärken basieren. Es werden ständig verschiedene sektorspezifische Lösungen entwickelt, um die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas zu verbessern und zu seiner Attraktivität als Wohn- und Arbeitsort beizutragen.

3.1.7.2   Zu den Bereichen möglicher Spitzenprojekte gehören u.a.:

technologische Infrastrukturen,

Energieversorgungsnetze,

Wissensgesellschaft und digitale Gesellschaft,

Gesundheit und Mobilität,

für die Industriebranchen der EU notwendige Querschnittstechnologien.

3.1.7.3   Nach Auffassung des EWSA müssen die folgenden, bereits bestehenden branchenorientierten Ansätze in einen eindeutigen und kohärenten Rahmen gestellt werden:

europäische Technologieplattformen;

Leitmarktinitiativen;

die verschiedenen hochrangigen Beratenden Ausschüsse;

Innovationsplattformen wie LeaderSHIP, Cars 21 und IKT-Arbeitsgruppe;

Hochrangige Gruppe Chemieindustrie.

3.1.7.4   Der EWSA ist des Weiteren der Auffassung, dass bestimmte, besonders sensible und vielversprechende Branchen einer weiteren Förderung bedürfen, wie

die Raumfahrt;

eine nachhaltige Mobilität;

die künftigen sozialen Herausforderungen im Bereich Klimawandel,

die wettbewerbsspezifischen Herausforderungen wie z.B. für die Chemieindustrie, das Ingenieurwesen und die Agrar- und Ernährungsindustrie;

die besonders energieintensive Industriezweige.

4.   Die auswärtige Dimension der EU-Politik - der Schlüssel zum Erfolg für die Industrie der EU

4.1   Wie der ungarische Ratsvorsitz betonte, „ist auf der ganzen Welt ein unglaublich rascher und tiefgreifender Wandlungsprozess festzustellen, und Europa muss in der Lage sein, einem im Vergleich zur Vergangenheit ungleich stärkeren Wettbewerbsdruck standzuhalten“.

4.2   20 Mio. Unternehmen in der EU, vor allem des Mittelstands, müssen - von kreativen Köpfen, Arbeitnehmern, Handwerkern und Unternehmern geführt - mit der Unterstützung einer in ihrer externen Dimension integrierten europäischen Industriepolitik zu Innovation, Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und zur Schaffung von Arbeitsplätzen befähigt werden.

4.3   Der EWSA begrüßt die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 17. Dezember 2010 zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit und zum Binnenmarkt.

4.4   Der EWSA weist insbesondere darauf hin, wie wichtig es ist, dass den Unternehmen ein intelligenter, berechenbarer und weniger aufwendiger Rechtsrahmen und den KMU ein besseres Unternehmensumfeld zur Verfügung gestellt werden, damit sie mit einer langfristigen Perspektive arbeiten können.

Brüssel, den 4. Mai 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Europäischer Rat, Tagung am 16. September 2010, Schlussfolgerungen, Anlage I, Buchstabe a.

(2)  Ca. ¾ der Ausfuhren der EU. Quelle: GD Unternehmen.

(3)  Siehe Artikel 3 Vertrag von Lissabon.

(4)  KOM(2010) 612 endg., Ziffer 4.

(5)  Siehe: Leitinitiative 10, KOM(2010) 2020 endg.

(6)  Ibidem.

(7)  Wie z.B. die von China, Indien und anderen Ländern auferlegten Beschränkungen.

(8)  In China, Thailand, Indien und Vietnam.

(9)  Stellungnahme des EWSA zum Thema: „Die externe Dimension der erneuerten Lissabon-Strategie“, ABl. C 128/2010, S. 41.


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