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Document 52023IE1711

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Korruption im öffentlichen Auftragswesen und ihre Auswirkungen auf den Binnenmarkt“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2023/01711

ABl. C, C/2024/2095, 26.3.2024, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/2095/oj (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/2095/oj

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Amtsblatt
der Europäischen Union

DE

Serie C


C/2024/2095

26.3.2024

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Korruption im öffentlichen Auftragswesen und ihre Auswirkungen auf den Binnenmarkt“

(Initiativstellungnahme)

(C/2024/2095)

Berichterstatter:

José Antonio MORENO DÍAZ

Ko-Berichterstatter:

Cristian PÎRVULESCU

Beschluss des Plenums

25.1.2023

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständiges Arbeitsorgan

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme im Arbeitsorgan

20.12.2023

Verabschiedung im Plenum

17.1.2024

Plenartagung Nr.

584

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

219/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die seit 2020 weltweit aufeinanderfolgenden Krisen haben zu einer Zunahme der staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene und folglich zu einer Erhöhung der öffentlichen Investitionen zum Schutz gemeinsamer europäischer Güter (wie Gesundheit, Sicherheit, Umwelt, Klima und Frieden) geführt. Die europäischen und nationalen Haushaltsmittel sind wichtige Instrumente zur Gewährleistung des Wohlstands und der Wettbewerbsfähigkeit in Europa und stammen aus den Steuern, die die europäischen Bürgerinnen und Bürger zahlen. Deshalb dürfen sie nicht für private und unlautere Interessen verwendet werden. Dies gilt auch für die Mittel für öffentliche Aufträge.

1.2.

Die EU hat einen wichtigen Schritt nach vorn getan, als sie den Schutz der Rechtsstaatlichkeit, einschließlich wirksamer Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, mit der Verpflichtung zum Schutz ihrer finanziellen Interessen verknüpft hat. Dieser Ansatz muss weiterentwickelt werden, da Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit nicht nur die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen, sondern sich auch auf die zentralen Politikbereiche des Binnenmarkts auswirken. Das Paket zur Korruptionsbekämpfung vom 3. Mai 2023, mit dem Korruption nicht nur im Zusammenhang mit EU-Mitteln, sondern in allen Bereichen angegangen wird, sollte gestärkt werden.

1.3.

Nach Artikel 83 Absatz 1 AEUV gehört Korruption zur schweren Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension. Für ein Mindestmaß an Koordinierung und Harmonisierung der rechtlichen und institutionellen Praxis in den Mitgliedstaaten sollten das Europäische Parlament und der Rat den Vorschlag der Kommission für die einschlägige Richtlinie in dieser Wahlperiode so bald wie möglich annehmen.

1.4.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die Kommission die Veröffentlichung des Berichts über die Korruptionsbekämpfung, die sie mit der Mitteilung über Korruptionsbekämpfung in der EU 2011 eingeführt, nach der ersten Ausgabe von 2014 aber wieder eingestellt hatte, wieder aufnehmen muss. In dem Bericht könnten verschiedene Dimensionen der Korruptionsbekämpfung herausgestellt und integriert werden, denen im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit derzeit zu wenig oder gar keine Beachtung geschenkt wird.

1.5.

Ein Schwerpunkt sollte dabei auf die öffentliche Auftragsvergabe mit ihrer ganzen Komplexität und ihren Folgen gelegt werden. Die EU muss jetzt in erster Linie prüfen, ob der Rechtsrahmen zur Integrität des öffentlichen Auftragswesens und seine Umsetzung in der Praxis mit den Erfordernissen der Korruptionsbekämpfung vereinbar sind. So wird die Kommission entscheiden können, ob und wie sie ihr Initiativrecht ausüben soll.

1.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der durch die einschlägigen Richtlinien geschaffene Rechtsrahmen nach wie vor gültig und angemessen ist und keiner Überprüfung bedarf. Erforderlich ist allerdings eine Neuausrichtung des Rechtsrahmens auf die neuen Werte, die der Sozial-, Wirtschafts- und Umweltstrategie der EU zugrunde liegen.

1.7.

Der EWSA weiß um die enorme Verantwortung der EU bei der weltweiten Korruptionsbekämpfung und unterstützt den Vorschlag des Europäischen Parlaments, wonach die Kommission eine umfassende EU-Strategie zur Korruptionsbekämpfung ausarbeiten sollte, um Korruption als weltweites Phänomen zu bekämpfen. Dazu sind wirksame Institutionen zur Korruptionsbekämpfung, Präventionsmechanismen und ein internationaler Regelungsrahmen sowie die Rückführung von Vermögenswerten und die strafrechtliche Verfolgung innerhalb der EU erforderlich.

1.8.

Mit Korruptionspraktiken können sich politische Akteure unrechtmäßige Gewinne und Ressourcen beschaffen, um ihr auf Klientelismus basierendes Unterstützungssystem zu propagieren und zu betreiben, wodurch gleiche Rahmenbedingungen untergraben werden. Ausländische Akteure können mit illegalen Finanzmitteln politische Bewegungen und Kandidaten unterstützen, ihnen unfaire Vorteile verschaffen und die Integrität und den Pluralismus der Wahlen dabei gefährden. In diesem Zusammenhang sollten die Strategien zur Korruptionsbekämpfung besser auf jene zum Schutz und zur Entwicklung von Demokratie in der EU abgestimmt werden, die derzeit unter den EU-Aktionsplan für Demokratie fallen.

1.9.

Nach Auffassung des EWSA könnte die Kommission eine Mitteilung zur Bekräftigung der Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge aus dem Jahr 2014 annehmen. Dabei könnte die Kommission eine Reihe von Verfahren und Instrumenten verbessern, die in diesen Richtlinien zwar ins Auge gefasst, aber bislang nicht auf den Weg gebracht wurden. Außerdem könnte sie die sechs im Jahr 2017 aufgeführten strategischen Prioritäten bekräftigen und auf Nachhaltigkeit ausrichten.

1.10.

Das europäische Beschaffungswesen sollte eigentlich seit Jahren digitalisiert sein, da die Digitalisierung Wissen, Transparenz, Geschwindigkeit und Integrität des gesamten Vergabezyklus im öffentlichen Auftragswesen fördert. Deshalb muss die Kommission den nationalen Behörden während dieses schwierigen Prozesses weiterhin technische Unterstützung leisten.

1.11.

Die Kommission könnte den Integritätspakten größere Bedeutung beimessen, insbesondere nachdem der EuGH die Vereinbarkeit dieser Pakte mit den europäischen Rechtsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen bestätigt hat.

1.12.

Das System gegenseitiger Vergabesperren (gemeinsame Listen von Unternehmen, die europäische Behörden, nationale Institutionen und private Banken von Vergabeverfahren ausschließen) könnte nützlich sein, um den Binnenmarkt vor Missbrauch öffentlicher Mittel für Ausschreibungen zu schützen, unabhängig davon, ob es sich um europäische oder nationale Mittel handelt.

1.13.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und andere EU-Organe und nationale Institutionen auf, die Arbeitnehmervertretung, Tarifverhandlungen und den sozialen Dialog als Schlüsselinstrumente für eine wirksame Korruptionsbekämpfung auf allen Ebenen zu berücksichtigen.

1.14.

Der EWSA fordert die Unternehmen bzw. die Arbeitgeberverbände und Sozialpartner auf, aktiv eine Integritätskultur zu verfolgen und die besten auf nationaler und internationaler Ebene vorhandenen Standards einzuhalten. Beispiele wären EN 17687:2022 (Öffentliche Beschaffung — Integrität und Rechenschaftspflicht — Anforderungen und Leitfaden), ISO 37001 (Managementsysteme zur Korruptionsbekämpfung) sowie Standards für die Entwicklung von Investitionen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG).

1.15.

Da das öffentliche Auftragswesen in allen Mitgliedstaaten dezentral ist, muss die Integrität der Vergabeverfahren auf regionaler und lokaler Ebene mit den entsprechenden Instrumenten unterstützt werden. Der Ausschuss der Regionen kann die Verwirklichung dieses Ziels mit entsprechenden Informationen unterstützen.

1.16.

Der EWSA sieht der Institutionalisierung und Entwicklung des EU-Netzes zur Korruptionsbekämpfung erwartungsvoll entgegen und ist bereit, an seinen Arbeiten mitzuwirken. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, Finanzmittel für Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Korruption bereitzustellen und bewährte Verfahren im Bereich der sozial verantwortlichen Vergabe öffentlicher Aufträge zu fördern.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Kommission stellte unlängst fest, dass „jedes Jahr mehr als 250 000 öffentliche Verwaltungen rund 2 Billionen Euro (etwa 13,6 % des BIP) für den Erwerb von Dienstleistungen, Bauleistungen und Lieferungen in der Europäischen Union aus[geben]“ (1).

2.2.

Die in das öffentliche Beschaffungswesen fließenden enormen Finanzmittel ziehen die (organisierte und nicht organisierte) Kriminalität an und stellen auch für die öffentlichen Verwaltungen Herausforderungen dar, die in außergewöhnlichen Notsituationen sehr kurzfristig Vergabeverfahren organisieren müssen. Laut Kommission ist „[kein] Sektor oder Tätigkeitsbereich […] vor Korruptionsrisiken gefeit, aber allgemeine Hochrisikobereiche verdienen besondere Aufmerksamkeit. Meist sind dies Bereiche, die erhebliche öffentliche Mittel verwalten […]“ (2). Die Gesamtkosten des Korruptionsrisikos bei der öffentlichen Auftragsvergabe mit EU-Mitteln in der EU-27 werden für die Jahre 2016 bis 2021 auf 4,3 Mrd. EUR geschätzt (3).

2.3.

Der EWSA erkennt die erheblichen Fortschritte an, die bei der Korruptionsbekämpfung in der EU und den Mitgliedstaaten erzielt wurden. Durch die Einbeziehung von Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung in die Verfahren zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und durch die Jahresberichte über die Rechtsstaatlichkeit werden die Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen mit anderen Schlüsselaspekten demokratischer, vertrauenswürdiger und wirksamer Regierungsführung in Einklang gebracht (Art. 2 EUV). Wie die Kommission feststellt, ist „[die] Korruptionsbekämpfung […] von wesentlicher Bedeutung zur Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit und zur Wahrung des Vertrauens der Bürger in die öffentlichen Einrichtungen. Ein umfassendes Konzept für die Korruptionsbekämpfung muss präventive und repressive Maßnahmen miteinander kombinieren“ (4).

2.4.

Der EuGH hat festgestellt, „dass Art. 2 EUV keine bloße Aufzählung politischer Leitlinien oder Absichten darstellt, sondern Werte enthält, die […] der Union als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge geben, wobei sich diese Werte in Grundsätzen niederschlagen, die rechtlich verbindliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten beinhalten“ (5). Deshalb müssen die gemeinsame Politik und das Verhalten von Behörden und Wirtschaftsakteuren auf dem Binnenmarkt von diesen Werten geprägt sein (6).

2.5.

Die EU hat einen wichtigen Schritt nach vorn getan, als sie den Schutz der Rechtsstaatlichkeit, einschließlich wirksamer Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, mit der Verpflichtung zum Schutz ihrer finanziellen Interessen verknüpft hat. Im Falle schwerwiegender Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit kann die EU Maßnahmen gegen einen Mitgliedstaaten verhängen. Dazu gehören u. a. die Aussetzung von Zahlungen und von Mittelbindungen, die Aussetzung der Auszahlung von Tranchen oder die vorzeitige Rückzahlung von Darlehen, eine Reduzierung der Mittel aus bestehenden Mittelbindungen sowie das Verbot neuer Mittelbindungen gegenüber Empfängern oder des Eingehens neuer Vereinbarungen über Darlehen oder andere Instrumente, die aus dem Haushalt der Union garantiert werden (7).

2.6.

Im Anschluss an das Paket zur Korruptionsbekämpfung vom 3. Mai 2023 hat die Europäische Kommission auch das EU-Netz zur Korruptionsbekämpfung eingerichtet. Es soll allen Interessenträgern in der EU als allgemeines Forum für den Austausch bewährter Verfahren, Möglichkeiten, Ideen und Pläne für die weitere Arbeit dienen. Es ist inklusiv (steht auch unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen offen) und beruht auf der festen Überzeugung, dass der Austausch unterschiedlicher Perspektiven zu besseren Ergebnissen und wirksameren Korruptionsbekämpfungsstrategien führt (8).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Dieser Ansatz muss jedoch ausgeweitet werden. Die derzeitigen Verfahrensvorschriften der Konditionalitätsverordnung (9) schränken ihn in seiner Anwendung ein. Derzeit unterliegt nur ein Mitgliedstaat den darin vorgesehenen Maßnahmen. Angesichts der hohen Schwelle für die Auslösung dieses Instruments kann es nicht für alle Mitgliedstaaten als Anreiz dienen, Korruption zu bekämpfen. Überdies enthält das Instrument auch weitere Einschränkungen. Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit beeinträchtigen nicht nur die finanziellen Interessen der EU. Sie wirken sich auch auf die zentralen Politikbereiche des Binnenmarkts aus, was wiederum den Anwendungsbereich der vorgenannten Verordnung zusätzlich einschränkt.

3.2.

Im Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung in der EU gilt Korruption gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV als Bereich besonders schwerer Kriminalität. Es gibt viele Aspekte der Verhinderung und Bekämpfung von Korruption, die sich einer einheitlichen Kategorisierung in Bezug auf die Zuständigkeiten der Union, Vertragsgrundlage, Politikbereiche und Instrumente entziehen. Der EWSA betont, dass mehr getan werden muss, um die verschiedenen Dimensionen der Korruptionsbekämpfung gemeinsam zu berücksichtigen und so diesen Kampf auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen in der gesamten EU wirksamer zu gestalten. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten.

3.3.

Erstens hält der EWSA den europäischen Rechtsrahmen für fragmentiert. Die Vorschriften zur Bekämpfung der Korruption (z. B. in Bezug auf die organisierte Kriminalität und Geldwäsche von Erträgen aus Straftaten) finden sich vereinzelt in verschiedenen nicht miteinander verknüpften Instrumenten, so u. a. auch im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (siehe Ziffer 3.6) (10). Mit der Regulierungsinitiative der Kommission vom 3. Mai 2023 (11) wird ein Versuch unternommen, dieser Tatsache beizukommen. Der EWSA ist der Auffassung, dass das Europäische Parlament und der Rat den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie so bald wie möglich (noch in dieser Wahlperiode) annehmen sollten. Die Richtlinie enthält nämlich eine gemeinsame Definition und einen gemeinsamen Rahmen für die Korruptionsbekämpfung auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten. Dies ist der wichtigste Schritt zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an Koordinierung und Harmonisierung der rechtlichen und institutionellen Praxis in den Mitgliedstaaten.

3.4.

Zweitens ist der EWSA der Ansicht, dass die EU Korruption nicht ausschließlich oder vorrangig im Zusammenhang mit EU-Mitteln als relevant betrachten sollte. Dass die Union im Bereich der Korruption im Zusammenhang mit EU-Mitteln über die unmittelbare Zuständigkeit und die entsprechenden Instrumente verfügt, heißt nicht, dass dies die einzige Art von Korruption ist, die es gibt und gegen die vorgegangen werden muss. Korruption betrifft auch direkt Menschen, Unternehmen und Gesellschaftsgruppen, die selbst keine EU-Mittel erhalten. Am Ende könnte es in den Mitgliedstaaten zu einem zweigleisigen System kommen, bei dem europäische Projekte und Mittel im Durchschnitt weniger anfällig für korrupte Interessen und Praktiken sind als nationale, bei denen es weniger Transparenz und Überwachung gibt. Das Paket zur Korruptionsbekämpfung vom 3. Mai 2023, mit dem Korruption nicht nur im Zusammenhang mit EU-Mitteln, sondern in allen Bereichen angegangen wird, sollte gestärkt werden.

3.5.

Drittens ist der EWSA der Auffassung, dass die Kommission die Veröffentlichung des Berichts über die Korruptionsbekämpfung, die sie mit der Mitteilung über Korruptionsbekämpfung in der EU 2011 eingeführt (12), nach der ersten Ausgabe von 2014 (13) allerdings wieder eingestellt hatte, wieder aufnehmen muss. Dieser aus 28 Kapiteln zu den einzelnen Mitgliedstaaten bestehende Bericht enthielt eine umfassende Analyse des aktuellen Stands der Rechtsvorschriften, politischen Maßnahmen und Daten im Bereich der Korruption. In dem Bericht könnten verschiedene Dimensionen der Korruptionsbekämpfung herausgestellt und integriert werden, denen im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit derzeit zu wenig oder gar keine Beachtung geschenkt wird. Er sollte verschiedene Politikbereiche und Rechtsvorschriften bündeln, um nicht zuletzt in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaft und Binnenmarkt Kohärenz und Wirksamkeit zu gewährleisten.

Viertens sollte ein Schwerpunkt auf die öffentliche Auftragsvergabe mit ihrer ganzen Komplexität und ihren Folgen gelegt werden. Die EU muss jetzt zunächst die Angemessenheit des Rechts- und Regelungsrahmens zur Integrität des öffentlichen Auftragswesens sowie seine Umsetzung in der Praxis prüfen, um zu ermitteln, ob er mit den Erfordernissen der Korruptionsbekämpfung vereinbar ist. So wird die Kommission entscheiden können, ob und wie sie ihr Initiativrecht ausüben soll. Den Rechtsrahmen für die Korruptionsbekämpfung im öffentlichen Beschaffungswesen bilden derzeit drei im Jahr 2014 angenommene Richtlinien (14).

3.5.1.

Die im Rechtssystem der EU etablierte Definition des Begriffs Korruption ist sehr weit gefasst und umfasst über den strafrechtlichen Bereich hinaus auch Verhaltensweisen, die die Integrität, Transparenz, ethische Verantwortung und ordnungsgemäße Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten untergraben. Dies ergibt sich aus der gängigen Praxis der Kommission (15), die in der Gemeinsamen Mitteilung zur Korruptionsbekämpfung (16) bestätigt wurde: Korruption wird gemeinhin als „Missbrauch anvertrauter Macht zur Erlangung privater Vorteile“ beschrieben.

3.5.2.

Schließlich ist der EWSA der Auffassung, dass der durch die einschlägigen Richtlinien geschaffene Rechtsrahmen nach wie vor gültig und angemessen ist und keiner Überprüfung bedarf. Notwendig ist allerdings eine Neuausrichtung des Rechtsrahmens auf die neuen Werte, die der Sozial-, Wirtschafts- und Umweltstrategie der EU zugrunde liegen. Dabei müssen die Verbindungen zwischen den laufenden Legislativinitiativen der Kommission zur Umsetzung grüner, sozialer und ökologischer Ziele hervorgehoben werden (Siehe Ziffer 4.1). Der EWSA bekräftigt erneut, dass „die Umstellung von einem Wirtschaftssystem, das vor allem auf Wachstum ausgerichtet ist, auf eine nachhaltige Wirtschaft unvermeidlich [ist]“ (17). Darüber hinaus ist eine allgemeine Nachhaltigkeit auch der Eckpfeiler der Strategie der drei gesetzgebenden EU-Organe (18).

3.6.

Fünftens hebt der EWSA die negativen Auswirkungen von Korruption auf das Vertrauen der Öffentlichkeit, die Legitimität repräsentativer Regierungen und die Demokratie hervor. Korruption wirkt sich nicht nur auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen aus: Sie ist ein direkter Angriff auf demokratische Systeme. In diesem Zusammenhang sollten die Strategien zur Korruptionsbekämpfung besser auf jene zum Schutz und zur Entwicklung von Demokratie in der EU abgestimmt werden, die derzeit unter den EU-Aktionsplan für Demokratie fallen.

3.7.

Schließlich unterstreicht der EWSA, dass die EU auch eine große Verantwortung für die Bekämpfung der Korruption weltweit trägt. Dies liegt in ihren Werten und Verträgen begründet, ergibt sich aber auch aus ihrem wirtschaftlichen und politischen Interesse an globalen Angelegenheiten und globaler Entwicklung. Es ist kein Zufall, dass die Europäische Kommission strenge Regeln für die Auftragsvergabe aufgestellt hat, um sicherzustellen, dass bei vollständiger Transparenz, die für die Verwendung öffentlicher Mittel (PRAG (19)) angebracht ist, angemessen qualifizierte Auftragnehmer unvoreingenommen ausgewählt werden und das beste Preis-Leistungs-Verhältnis erzielt wird. Der EWSA unterstützt den Vorschlag des Europäischen Parlaments, wonach die Kommission eine umfassende EU-Strategie zur Korruptionsbekämpfung ausarbeiten sollte, um Korruption als weltweites Phänomen zu bekämpfen, das wirksame Institutionen zur Korruptionsbekämpfung, Präventionsmechanismen und einen internationalen Regelungsrahmen sowie die Rückführung von Vermögenswerten und die strafrechtliche Verfolgung innerhalb der EU erfordert (20).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Nach Auffassung des EWSA könnte die Kommission eine Mitteilung zur Bekräftigung der Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge aus dem Jahr 2014 annehmen. Dabei könnte die Kommission eine Reihe von Verfahren und Instrumenten verbessern, die in diesen Richtlinien zwar ins Auge gefasst, aber bislang nicht auf den Weg gebracht wurden. Außerdem könnte sie die sechs im Jahr 2017 aufgeführten strategischen Prioritäten (21) bekräftigen und sie auf Nachhaltigkeit ausrichten.

4.2.

Drei Aspekte müssen nach Ansicht des EWSA gestärkt und verbessert werden (22):

4.2.1.

Die Kommission erkennt den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit, digitalem Wandel und öffentlicher Auftragsvergabe an. Es ist kein Zufall, dass sie in ihrer letzten Mitteilung über die Zukunft der Union erklärt, ein erfolgreicher und gerechter sozioökonomischer Wandel sei keine Selbstverständlichkeit (23).

4.2.2.

Die Digitalisierung des europäischen Beschaffungswesen sollte eigentlich weiter fortgeschritten sein (24). Digitalisierung fördert Wissen, Transparenz, Geschwindigkeit und Integrität des gesamten Vergabezyklus im öffentlichen Auftragswesen. Aufgrund all dieser Merkmale ist die Digitalisierung auch bei der Korruptionsbekämpfung nützlich. Wie die Kommission jedoch feststellt, „verläuft die Digitalisierung der Vergabe öffentlicher Aufträge schleppend“ (25). Deshalb müssen die nationalen Behörden während dieses schwierigen Prozesses weiterhin technische Unterstützung erhalten.

4.2.3.

Transparenz ist ein entscheidendes Instrument zur Verbesserung der Integrität des europäischen Beschaffungswesens.

4.2.4.

Die Kommission könnte den Integritätspakten größere Bedeutung beimessen, insbesondere nachdem der EuGH die Vereinbarkeit dieser Pakte mit den europäischen Rechtsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen bestätigt hat (26). Es wäre sinnvoll, die Ergebnisse des Pilotprojekts bei der Umsetzung dieser Pakte (27) zu berücksichtigen, um einige der aufgetretenen Probleme (28) durch die Schaffung eines konstruktiven und kooperativen Umfelds sowohl für die an der Ausschreibung teilnehmenden Wirtschaftsteilnehmer als auch für die öffentlichen Auftraggeber zu beseitigen.

4.2.5.

Wie die OECD feststellt (29), könnte eine Verletzung des Integritätspakts zu Folgendem führen:

Ausschluss eines Bieters vom Bietverfahren;

Annullierung des vergebenen Auftrags bei Verschulden des erfolgreichen Bieters;

Ausschluss nicht rechtskonformer Bieter/Auftragnehmer von der Teilnahme an künftigen öffentlichen Vergabeverfahren.

4.2.6.

Die EU könnte sich an dieser Praxis sowie an der von der Weltbank bei der Darlehensvergabe geübten Praxis orientieren. Die Weltbank hat bei nicht konformem Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers vier mögliche Maßnahmen:

bedingte Kündigung des Darlehens (Ausschluss unter Auflagen);

Programm zur Einhaltung der Integrität nach Ausschluss unter Auflagen;

dauerhafter Ausschluss;

gegenseitiger Ausschluss auf Beschluss aller internationalen Banken.

4.2.7.

Diese Praxis könnte mit bestimmten Vorkehrungen auch von der EU angewandt werden, wobei vor allem die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers und den Folgen seines Ausschlusses garantiert sein muss. Dazu müssen klare, transparente und zugängliche Regeln ausgearbeitet und mildernde Umstände festgelegt werden. Die Kommission könnte eine Mitteilung mit Leitlinien zu diesem Thema herausgeben.

4.2.8.

Das System gegenseitiger Vergabesperren (gemeinsame Listen von Unternehmen, die europäische Behörden, nationale Institutionen und private Banken von Vergabeverfahren ausschließen) könnte nützlich sein, um den Binnenmarkt vor Missbrauch öffentlicher Mittel für Ausschreibungen zu schützen, unabhängig davon, ob es sich um europäische oder nationale Mittel handelt. Letztlich würde man damit gegen Korruption bei Ausschreibungen vorgehen, selbst wenn es sich nicht um EU-Mittel handeln würde (siehe Ziffer 2.1).

Brüssel, den 17. Januar 2024

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Oliver RÖPKE


(1)   ABl. C 98 I vom 16.3.2023, S. 1.

(2)  COM(2023) 800 final, S. 16 und 21.

(3)  Europäisches Parlament, Stepping up the EU's efforts to tackle corruption. Cost of Non-Europe Report, Januar 2023, S. 2.

(4)  COM(2023) 800 final, Punkt 2.2.

(5)  EuGH-Urteile, Rechtssache C-156/21, Randnummer 232, und Rechtssache C-157/21, Randnummer 264.

(6)  Pitruzzella, L’integrazione tramite il valore dello „Stato di diritto“ , www.federalismi.it, Nr. 27/2022.

(7)   ABl. L 433 I vom 22.12.2020, S. 1.

(8)  EU network against corruption.

(9)   ABl. L 433 I vom 22.12.2020, S. 1.

(10)  Gaglio et al., Strengthening the fight against corruption; assessing the EU legislative and policy framework, 2023.

(11)  Siehe Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung der Korruption, COM(2023) 234 final, und die in Fußnote 2 zitierte Mitteilung.

(12)  KOM(2011) 308 endgültig vom 6.6.2011.

(13)  COM(2014) 38 final vom 3.2.2014.

(14)  EU-Richtlinien 2014/23/EU (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 1), 2014/24/EU (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65) und 2014/25/EU (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 243).

(15)  COM(2003) 317 final, ABl. C 89 E vom 14.4.2004, S. 110.

(16)  JOIN(2023) 12 final.

(17)   ABl. C 152, 6.4.2022, S. 7, Ziffer 1.1.

(18)   ABl. C 491 vom 23.12.2022, S. 1.

(19)  Praktischer Leitfaden PRAG.

(20)  Empfehlung des Europäischen Parlaments „Korruption und Menschenrechte“ vom 17.2.2022.

(21)  COM(2017) 572 final.

(22)  In diesem Zusammenhang verweist der EWSA auf seine früheren Stellungnahmen: ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 63, ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 113, ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 84.

(23)  COM(2023) 376 final vom 6.7.2023, Abschnitt I und Abschnitt III Punkte 1 und 2.

(24)  Artikel 33 ff. der Richtlinie 2014/24/EG.

(25)  COM(2017) 572 final, S. 5.

(26)  Urteil in der Rechtssache C-425/14 vom 22.10.2015.

(27)  Projekt zum Thema Integrity Pacts — Civil Control Mechanism for Safeguarding EU Funds, Phase 2. Ergebnisse siehe Aceves, Safeguarding EU-Funded Investments with Integrity Pacts: a Decision-Maker’s Guide to Collaborative Public Contracting Monitoring, Transparency International, 26.3.2021.

(28)  Beispielsweise Anerkennung des tatsächlichen politischen Willens des öffentlichen Auftraggebers, einen Integritätspakt einzugehen, und seiner Fähigkeit, verbindliche Zusagen zu machen.

(29)  OECD, Catalysing Collective Action to Combat Corruption in Infrastructure, 9.12.2022.


ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/2095/oj

ISSN 1977-088X (electronic edition)


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