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Document 52023AE5071

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — KMU-Entlastungspaket“ (COM(2023) 535 final)

EESC 2023/05071

ABl. C, C/2024/2483, 23.4.2024, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/2483/oj (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/2483/oj

European flag

Amtsblatt
der Europäischen Union

DE

Reihe C


C/2024/2483

23.4.2024

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — KMU-Entlastungspaket“

(COM(2023) 535 final)

(C/2024/2483)

Berichterstatterin:

Alena MASTANTUONO

Ko-Berichterstatter:

Angelo PAGLIARA

Befassung

Europäische Kommission, 21.12.2023

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständiges Arbeitsorgan

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme im Arbeitsorgan

29.1.2024

Verabschiedung im Plenum

14.2.2024

Plenartagung Nr.

586

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

193/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt das KMU-Entlastungspaket als Versuch, die kleinen und mittleren Unternehmen ins Zentrum der EU-Rechtsvorschriften und in den Mittelpunkt der europäischen Strategien, Diskussionen und Maßnahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit zu stellen. Der EWSA nimmt das erneuerte Bekenntnis der Europäischen Kommission zum Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ erfreut zur Kenntnis, das sich allerdings auch in konkreten Maßnahmen niederschlagen muss. Die nächste Kommission sollte das Thema zu einer Priorität machen und dauerhaft weiterverfolgen.

1.2.

Der EWSA begrüßt die von der Initiative ausgehende politische Botschaft, stellt jedoch fest, dass weitere Fragen konkret angegangen werden müssen, um ein widerstandsfähiges und dynamisches Umfeld für KMU zu schaffen. Die Anerkennung des Beitrags der KMU zur Realwirtschaft geht mit der Anwendung der Grundsätze besserer Rechtsetzung einher. In diesem Zusammenhang wird im KMU-Entlastungspaket mit der Ernennung eines KMU-Beauftragten der EU und der Verpflichtung zur langfristigen Verringerung der Regulierungslasten ein Zeichen gesetzt.

1.3.

Der EWSA fordert die EU-Organe auf, die nach wie vor bestehenden Hindernisse für Geschäftstätigkeiten im gesamten Binnenmarkt zu beseitigen. Dies ist von größter Bedeutung, um Größenvorteile, Wachstum, die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze und Investitionen zu ermöglichen. Zu oft bieten EU-Rechtsvorschriften Raum für unterschiedliche rechtliche Umsetzungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Die Kommission hat zudem keine starke Handhabe gegenüber Mitgliedstaaten, die nationale Vorschriften oder Verwaltungsvorschriften einführen, welche zu einer Marktfragmentierung führen.

1.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Zugang von KMU zu Finanzmitteln durch Zuschüsse, Darlehen oder andere Finanzinstrumente mit maßgeschneiderter Unterstützung erleichtert werden sollte. Er fordert die Kommission ferner auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um KMU durch Anreize zu einer verantwortungsbewussten Nutzung von EU-Mitteln anzuhalten.

1.5.

Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit unternehmensfreundlicher Rechtsvorschriften, die den jeweils unterschiedlichen Schwierigkeiten, mit denen KMU und Großunternehmen konfrontiert sind, in vollem Umfang Rechnung tragen. Es ist wichtig, dass die Unternehmen bei ihrer Geschäftstätigkeit die sozialen Rechte achten und die Rechtsvorschriften über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz einhalten. Ihnen muss die Möglichkeit gegeben werden, einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Zugleich müssen die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Mitteilung über das KMU-Entlastungspaket wurde am 12. September 2023 veröffentlicht. Das Paket umfasst:

einen Vorschlag für eine Verordnung über Zahlungsverzug (1),

einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Steuervereinfachung für KMU (2) und

eine Reihe von Maßnahmen, um KMU ihre Tätigkeit zu erleichtern, ihren Zugang zu Finanzmitteln und qualifizierten Arbeitskräften zu verbessern und sie während ihres gesamten Lebenszyklus zu unterstützen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt grundsätzlich die politische Botschaft, die die Kommission mit dem KMU-Entlastungspaket aussendet. KMU bilden das Rückgrat der europäischen Industrie und Wirtschaft, weshalb ihre Belange bei allen legislativen Maßnahmen zentral berücksichtigt werden sollten. 99 % aller Unternehmen in der EU (d. h. 24 Mio. Firmen) sind KMU, mehrheitlich Kleinstunternehmen, die zwei Drittel der Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft der EU stellen.

3.2.

Der EWSA hält es für wichtig, dass die KMU bei ihrer Geschäftstätigkeit die sozialen Rechte achten und dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Zugleich müssen die Gesetzgeber durch geeignete Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass die Unternehmen problemlos Zugang zu Finanzmitteln, erschwinglicher Energie und qualifizierten, für den grünen und den digitalen Wandel gewappneten Arbeitskräften haben.

3.3.

Laut der Konjunkturumfrage 2024 von Eurochambres, die auf der Grundlage der Antworten von über 43 000 Unternehmern (davon 95 % Mittelständler) aus ganz Europa erstellt wurde, sehen die Unternehmen die Beschaffung von Energie und Rohstoffen, die Arbeitskosten und den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften als die größten Herausforderungen im Jahr 2024. Aus diesen Ergebnissen erwächst die klare Forderung nach politischen Maßnahmen, um die unter den Unternehmen herrschende Ungewissheit zu verringern und die Berechenbarkeit und Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu verbessern. Der EWSA fordert Anreize für die Förderung eines verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns, um unlauteren Wettbewerb zu vermeiden.

3.4.

Der EWSA begrüßt deshalb, dass die Kommission einige dieser Aspekte in der Mitteilung über das KMU-Entlastungspaket angeht. Sie setzt dabei den Schwerpunkt deutlich auf die Verbesserung des Rechtsrahmens und bekräftigt ihr Bekenntnis zum Grundsatz „Vorfahrt für KMU“, den sie konsequent anwenden will, und zum Bürokratieabbau. Diese beiden Aspekte bereiten den KMU seit vielen Jahren große Sorgen, weshalb die europäischen Gesetzgeber die Rechtsvorschriften weiter verbessern und an die Bedürfnisse der KMU anpassen sollten.

3.5.

In der Mitteilung über das KMU-Entlastungspaket wird auch der zunehmenden Bedeutung der Digitalisierung zur Vereinfachung der Verfahren Rechnung getragen. Es geht darum, die Einhaltung der Vorschriften und die Kontrollen zu verbessern und dafür zu sorgen, dass die KMU mit dem Wandel Schritt halten können und ihnen keine unnötigen Lasten aufgebürdet werden Die Digitalisierung der Mittel und Verfahren bringt zwar eindeutig Vorteile, doch KMU tun sich aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen und Anreize oft schwer, diese Verfahren einzuführen. Digitalisierung sollte gefördert, aber nicht erzwungen werden.

3.6.

Der EWSA stellt mit Bedauern fest, dass das Paket kein neuer Rettungsanker für die Unternehmen ist und dass die wenigen neuen Maßnahmen nur begrenzt und zeitverzögert etwas für die Firmen bewirken werden.

3.7.

Er betont, dass bei den Lösungen für die Probleme der europäischen Unternehmen dem europäischen Modell der Sozialwirtschaft Rechnung getragen werden sollte. Die Förderung des sozialen Dialogs und die Gewährleistung von Tarifverhandlungen sind von großer Bedeutung, um wirtschaftliche und soziale Ziele in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen und das Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage zu verringern.

3.8.

Der EWSA fordert die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen, damit Unternehmen Zugang zu Finanzierung haben, Arbeitskräfte einstellen und die Vorschriften für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz einhalten können. Er spricht sich im Hinblick auf dieses Ziel für zusätzliche Unterstützung für KMU und für Maßnahmen aus, die die Einhaltung der Rechtsvorschriften über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und Umweltschutz erleichtern. Dies ist wichtig, um Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Gesundheitsschäden zu verhindern.

3.9.

Der EWSA bekräftigt unter Verweis auf frühere Stellungnahmen seinen Standpunkt, dass die Industrie-, Energie- und Klimastrategien aufeinander abgestimmt werden müssen. Er weist zudem darauf hin, dass sich die EU auf ein ehrgeiziges Programm verpflichten sollte, um die noch bestehenden Hindernisse auf dem Binnenmarkt zu beseitigen und so Größenvorteile, Wachstum und Investitionen zu ermöglichen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Als Maßnahme 1 des KMU-Entlastungspakets schlägt die Kommission eine Richtlinie zur Steuervereinfachung vor. Der EWSA begrüßt grundsätzlich die Bestrebungen zur Vereinfachung und zur Verringerung des Verwaltungsaufwands im Bereich der Mehrwertsteuer bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten. Er weist jedoch darauf hin, dass noch mehr unternommen werden muss, um weitere seit langem bestehende Hindernisse zu beseitigen. So bringen die Fragmentierung des Binnenmarkts und die unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften für Waren und Dienstleistungen erhebliche Belastungen für die Unternehmen mit sich.

4.2.

Der EWSA begrüßt die in der Maßnahme 2 enthaltene Zusage der Kommission, bei der Ausarbeitung neuer Legislativvorschläge systematisch die Aufnahme bestimmter KMU-freundlicher Bestimmungen zu erwägen. Der KMU-Test ist ein entscheidendes Element, um einen KMU-freundlichen Rechtsrahmen zu gewährleisten. Seine Wirksamkeit wird von der richtigen Anwendung abhängen. Es gilt zudem, die Auswirkungen von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten auf KMU gründlich zu bewerten.

4.3.

Ein wichtiger Faktor wird dabei die einheitliche und sorgfältige Anwendung des KMU-Tests sein. Die Dienststellen der Kommission müssen im Prozess der Folgenabschätzung frühzeitig, systematisch und unter umfassender Einbeziehung der Sozialpartner und Unternehmensverbände Überlegungen darüber anstellen, was KMU brauchen. Bei den Folgenabschätzungen sollte zwischen den verschiedenen Größenklassen von KMU unterschieden werden, und es sollten auch die indirekten Wirkungen politischer Maßnahmen (einschließlich auf sozialer Ebene) bewertet werden.

4.4.

Zur Verwirklichung des Ziels einer besseren Rechtsetzung müssen durch Legislativvorschläge unnötig verursachte Belastungen beseitigt werden, ohne dabei die Sozial- und Umweltstandards abzusenken. Der EWSA betont, dass sich durch eine bessere Nutzung bereits vorhandener Instrumente Verwaltungsaufwand vermeiden lässt. So sollte als gute Praxis in jedem Legislativvorschlag angegeben werden, welche zusätzlichen Pflichten sich aus dem Vorschlag ergeben, um unter anderem ein besseres Bild von der Gesamtbelastung zu erhalten. Der EWSA ruft die Kommission auf, digitale Instrumente einzusetzen, um den potenziellen Verwaltungsaufwand zu messen und Überschneidungen mit bestehenden Pflichten und widersprüchliche Maßnahmen zu vermeiden. Konkret fordert er die Kommission nachdrücklich auf, die bestehenden Pflichten für Unternehmen zu erfassen und zeitnah ein Programm zum Abbau dieser Belastungen umzusetzen und dabei die europäischen Sozialpartner und Unternehmensverbände aktiv einzubeziehen.

4.5.

Der EWSA begrüßt die Ernennung eines KMU-Beauftragten der EU sowie den Vorschlag, dass der Beauftragte an den Anhörungen des Ausschusses für Regulierungskontrolle teilnimmt. Er empfiehlt, dass der KMU-Beauftragte der EU auf der Tagung des Rates für Wettbewerbsfähigkeit und bei den Treffen mit nationalen KMU-Beauftragten und Sozialpartnern über die Ergebnisse der Anhörungen des Ausschusses für Regulierungskontrolle Bericht erstattet. Die Kommission muss dafür Sorge tragen, dass der KMU-Beauftragte der EU in der kommenden Mandatszeit 2024-2029 unternehmerische Erfahrung und genau festgelegte Zuständigkeiten und Aufgaben hat sowie mit angemessenen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet ist. Es gilt, die Kommunikationskanäle zwischen den nationalen KMU-Beauftragten und dem Mittelstand in den einzelnen Mitgliedstaaten zu stärken. Zudem müssen regelmäßige und strukturierte Dialoge mit den Unternehmensverbänden und Sozialpartnern gefördert werden, um mehr Synergien zu erreichen und eine kohärentere Umsetzung der politischen Maßnahmen zu gewährleisten.

4.6.

In Bezug auf die Maßnahme 5 weist der EWSA darauf hin, dass der Rat und das Europäische Parlament fortan die Auswirkungen aller wesentlichen Änderungen bewerten müssen, die sie an Vorschlägen der Kommission vornehmen. Der EWSA betont, dass diese Zusage kein leeres Versprechen bleiben darf, sondern auch systematisch umgesetzt werden muss. Wesentliche Änderungen an Kommissionsvorschlägen bedingen nämlich wesentliche Änderungen der zu erwartenden Auswirkungen.

4.7.

In Bezug auf die Maßnahme 7 hält der EWSA Reallabore für eine vielversprechende Idee, vorausgesetzt, die Sozial- und Umweltstandards werden dabei eingehalten. Die Unternehmen brauchen Räume, um Ideen zu erproben und zu experimentieren, bevor sie investieren. Der EWSA betont, dass die Innovationspolitik bei der inhaltlichen Konzipierung der Reallabore auf einem Multi-Stakeholder-Ansatz unter Einbeziehung der KMU, der Zivilgesellschaft und anderer einschlägiger Organisationen basieren muss. Das bedeutet, dass der Bedarf der Unternehmen das ausschlaggebende Kriterium für den sinnvollen Einsatz von Reallaboren sein muss. Es gilt, Synergien mit EU-Programmen zu schaffen, und KMU sollten als wesentlicher Bestandteil der europäischen Forschungs- und Innovationsökosysteme von diesen Möglichkeiten profitieren können. Transparenz und Wettbewerbsneutralität müssen gewährleistet sein, insbesondere in Bezug auf die diskriminierungsfreie Auswahl der Teilnehmer. Angesichts der Förderung des Einsatzes von Reallaboren für klimaneutrale Branchen, der Förderung neuer Formen sozioökologischen Unternehmertums und der Erprobung alternativer Geschäftsmodelle mit mehr Demokratie betont der EWSA, dass Reallabore Unternehmen aus allen Wirtschaftszweigen zur Verfügung stehen müssen.

4.8.

Die Maßnahme 8 betrifft die Einführung eines technischen Systems für die einmalige Erfassung bis Ende 2023 und die Ausweitung des Anwendungsbereichs des einheitlichen digitalen Zugangstors. Der EWSA unterstreicht, dass die Digitalisierung zur Verringerung und Vereinfachung der Verwaltungsverfahren durch die Vernetzung öffentlicher Dienste in Europa nicht nur für den digitalen Wandel, sondern für die gesamte Wirtschaft entscheidend ist. Er betont, dass die Wirksamkeit des einheitlichen digitalen Zugangstors von der Bereitschaft und Fähigkeit der Mitgliedstaaten abhängt, die Verordnung (EU) 2018/1724 des Europäischen Parlaments und des Rates (3) umzusetzen. Er weist ferner darauf hin, dass es bei der Digitalisierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht nur um eine Vereinfachung geht, sondern dass auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Durchsetzung sowie die Betrugsbekämpfung verbessert werden müssen.

4.9.

Der EWSA appelliert an die EU-Organe und die Mitgliedstaaten, die Digitalisierung stärker voranzutreiben und die Einführung benutzerfreundlicher Lösungen zu fördern. Die vielen Regulierungsebenen lassen sich durch digitale Instrumente vereinfachen. So schlägt der EWSA vor, eine digitale Anwendung zu entwickeln, mit der die Entlohnung entsandter Kraftfahrer in Echtzeit berechnet wird, und er empfiehlt ferner die Einführung einer einheitlichen europäischen Mehrwertsteuernummer anstelle der digitalen Mehrwertsteuer. Bis zur EU-weiten Anerkennung elektronischer Rechnungen bleibt noch viel zu tun.

4.10.

Unter Maßnahme 9 schlägt die Kommission eine Reihe von (bereits im Oktober 2023 veröffentlichten) Maßnahmen zur Rationalisierung der Berichtspflichten vor, um die von ihr angestrebte Verringerung um 25 % zu erreichen. Der EWSA hält dies für einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Die Verringerung des Verwaltungsaufwands für europäische Unternehmen erfordert jedoch einen deutlich ambitionierteren Ansatz. Zugleich weist der EWSA darauf hin, dass die Verringerung der Berichtspflichten nicht zu Lasten der Verwirklichung konkreter sozialer und ökologischer Ziele gehen darf.

4.11.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich alle unter Maßnahme 10 dargelegten Anstrengungen zur Bekämpfung von Zahlungsverzug. Fristgerechte Zahlungen tragen zu einem gesünderen wirtschaftlichen Umfeld bei und dienen dem strategischen Ziel der Vertiefung des Binnenmarktes. Der EWSA weist überdies auf zwei große allgemeine Probleme im Zusammenhang mit Zahlungsverzug hin, nämlich erstens die Durchsetzung der geltenden Vorschriften und zweitens den Zahlungsverzug durch Behörden. Konkrete Maßnahmen zur Bewältigung dieser Aspekte der geltenden Vorschriften werden einen Wandel in der Zahlungsmoral hin zu einer Kultur der raschen Zahlung fördern.

4.12.

Unter Maßnahme 11 werden die Mitgliedstaaten über die maßgebliche InvestEU-Governance-Struktur von der Kommission ermutigt, der nationalen InvestEU-Komponente zusätzliche Mittel zuzuweisen und Beiträge aus der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) zu InvestEU zu vereinfachen, indem sie zusätzliche Beratung zur Anwendung des Grundsatzes „Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen“ bereitstellt. Die Kommission sollte KMU in ihrem Vorschlag für die Halbzeitüberprüfung des MFR 2021-2027 im Jahr 2023 deshalb an zentraler Stelle berücksichtigen und nicht etwa bestehende Fördermittel für europäische KMU kürzen. Der EWSA ruft die Mitgliedstaaten auf, der Aufstockung der Mittel für InvestEU angesichts des Erfolgs dieses Instruments zuzustimmen. Schließlich betont der EWSA unter Verweis auf seine Halbzeitbewertung der Aufbau- und Resilienzfazilität (4), dass überschießende Bürokratie und aufwändige Rechtsvorschriften die effiziente Mittelzuweisung für grüne und digitale Projekte im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität erheblich beeinträchtigen. Der EWSA stellt fest, dass die Schaffung bzw. Stärkung eines günstigen Geschäftsumfelds für KMU nicht zu Lasten der Menschenrechte oder der Umwelt gehen darf. Der EWSA schlägt zudem spezifische Konditionalitäten zusammen mit Anreizen für die Achtung der Menschenrechte, menschenwürdiger Arbeit und Nachhaltigkeit durch die KMU vor.

4.13.

Der EWSA befürwortet die Maßnahme 12 zur Einrichtung einer mit rund 300 Mio. EUR ausgestatteten Pilotfazilität, damit Exportkreditagenturen KMU bei deren Handel mit der Ukraine unterstützen können. Der EWSA fordert ferner, die Ausarbeitung der EU-Strategie für Exportkredite zu beschleunigen, um ein wirksameres und einheitlicheres Angebot an Exportkrediten (Bürgschaften) in der gesamten EU bereitzustellen. Der Schwerpunkt sollte dabei auf Lösungen gelegt werden, die auch den Bedürfnissen von KMU gerecht werden.

4.14.

Mit der Maßnahme 13 soll die Beteiligung von KMU an der Vergabe öffentlicher Aufträge verbessert werden. Diese Maßnahme wird vom EWSA besonders befürwortet, da KMU bei der Abgabe von Angeboten und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge oft mit erheblichen Hindernissen konfrontiert sind: lange und komplizierte Ausschreibungsverfahren, fehlende Kenntnis von bevorstehenden Ausschreibungen, ungleicher Wissensstand bei kleinen und bei großen Unternehmen, begrenzte Ressourcen, Zahlungsverzug durch Behörden und mangelnde Erfahrung bei der Teilnahme an Auftragsausschreibungen. Der EWSA schlägt für einen leichteren Zugang von KMU zu Ausschreibungen vor, die öffentlichen Aufträge in Einzellose aufzuteilen. Der EWSA weist darauf hin, dass diejenigen Unternehmen Zugang zu öffentlichen Aufträgen haben sollten, die in ihrer Geschäftstätigkeit in Bezug auf Aspekte wie menschenwürdige Arbeit sowie Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer verantwortungsbewusst handeln.

4.15.

Mit der Maßnahme 14 soll ein einfacher und standardisierter Rahmen für KMU zur Berichterstattung über Umwelt-, Sozial- und Governance-Fragen (ESG-Aspekte) sichergestellt werden. Der Schwerpunkt sollte dabei auf dem Veränderungsmanagement der einzelnen Unternehmen liegen. Die von der EFRAG vorgeschlagenen freiwilligen KMU-Standards sind im Hinblick auf diese Anforderungen geeignet und sollten entsprechend weiterentwickelt werden. Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahme zum Thema „Nachhaltige Unternehmensführung“ (5).

4.16.

Unter Maßnahme 15 schlägt die Kommission vor, einen Standard für bzw. eine Definition von grünen Darlehen, insbesondere für KMU, zu erarbeiten. Der EWSA betont, dass die Entwicklung der Kriterien für grüne Kredite auch im Verhältnis zur Größe der Unternehmen stehen muss und dass sich ein Pauschalansatz für KMU nicht eignet. Ferner sollten die Kriterien an den Datenrahmen des freiwilligen KMU-Standards angeglichen werden.

4.17.

In Bezug auf die in Maßnahme 15 vorgeschlagene Bewertung einer KMU-freundlichen Anpassung der Quote grüner Vermögenswerte hält auch der EWSA diese Aktualisierung im Juni 2024 für wichtig. Die Überlegungen zur Vereinfachung der Taxonomie für KMU sind bekannt. Allerdings gibt es noch erhebliche Zweifel, ob die Vereinfachung in einer für KMU praktikablen Weise erreicht werden kann. Nachhaltige Kredite für KMU anzubieten ist aufgrund der geringeren Kreditvolumina kostspielig. Finanzielle Anreize sind deshalb entscheidend, um hier deutlich mehr Investitionen zu erreichen. Mögliche Anreize sind u. a. niedrigere Eigenkapitalanforderungen, die Verbriefung nachhaltiger Kredite an KMU, öffentliche Mittel zur Deckung anfänglicher Verluste, die Verwendung der Darlehen als Sicherheit im Eurosystem oder die Erhaltung der Arbeitskräfte. Der EWSA merkt außerdem an, dass KMU die Berichtspflichten der EU-Taxonomie auf mehreren Ebenen nicht erfüllen können und deshalb nicht mehr in den Nenner bei der Ermittlung der Quote grüner Vermögenswerte (green asset ratio — GAR) eingehen sollten. Eine spezifische GAR für KMU könnte, gestützt auf einen klaren und flexiblen EBA-Rahmen für den grünen Wandel und die Finanzierung von KMU, den Wandel im KMU-Sektor fördern.

4.18.

Der EWSA begrüßt die als Maßnahme 16 vorgeschlagene Initiative zur Verbesserung der Anerkennung von Qualifikationen und Kompetenzen von Drittstaatsangehörigen, die dazu beitragen soll, dem Fachkräftemangel auf dem EU-Arbeitsmarkt zu begegnen. Der Fachkräftemangel ist eines der größten Probleme für europäische Unternehmen. Europa braucht angesichts der zunehmenden Alterung seiner Bevölkerung ganz klar eine gut gesteuerte Migration unter Achtung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in diesem Bereich. Der Arbeitskräftemangel ist teils auf fehlende Kompetenzen, teils möglicherweise aber auch auf die Arbeitsbedingungen zurückzuführen. Der EWSA betont die Notwendigkeit reaktiver Maßnahmen im Bereich Kompetenzen, die dem tatsächlichen Bedarf des Arbeitsmarktes Rechnung tragen und gemeinsam mit den Sozialpartnern festgelegt werden müssen. Eine bessere Anerkennung von Qualifikationen ist maßgeblich, um das Qualifikationsangebot besser auf die Nachfrage abzustimmen und sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer die Vorteile einer Teilnahme an Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sehen. Die Kommission sollte sicherstellen, dass Unternehmen den EU-Talentpool in der Praxis leicht nutzen können.

4.19.

Die Maßnahme 17 stellt auf eine bessere Zusammenarbeit mit Gruppen mit einem nach wie vor großen ungenutzten unternehmerischen Potenzial ab, beispielsweise Frauen, jungen Menschen und Menschen mit Behinderungen. Der EWSA betont, dass den Programmen und Start-up-Beschleunigern zur Unterstützung dieser Gruppen größeres Augenmerk gelten sollte.

4.20.

Unter Maßnahme 18 will die Kommission prüfen, ob die derzeitige KMU-Definition noch zweckmäßig ist, und eine harmonisierte Definition für kleine Mid Caps erarbeiten. Der EWSA bekennt sich uneingeschränkt zum Grundsatz „Vorfahrt für KMU“, wonach die Auswirkungen auf kleinere Unternehmen bei der Erarbeitung von EU-Rechtsvorschriften berücksichtigt werden müssen. Mit Blick auf einen vorhersehbaren und stabilen Rechtsrahmen würde eine korrekte Anwendung dieses Grundsatzes die Diskussionen über eine Überarbeitung der KMU-Definition weniger dringlich machen.

4.21.

Der EWSA befürwortet die Maßnahme 19 zur Förderung von Unternehmensübertragungen. Zu den möglichen Maßnahmen auf EU-Ebene gehören u. a. die Sensibilisierung für die Frage, welche Kompetenzen für eine erfolgreiche Übertragung erforderlich sind, sowie Absatzförderungsmaßnahmen und Frühwarnsysteme. Der EWSA bekräftigt unter Verweis auf seine Stellungnahme (6), dass der Aufbau gut funktionierender Ökosysteme und Unterstützungsdienste für Unternehmensübertragungen für die Erhaltung der Lebensgrundlagen und der Wirtschaft ländlicher und monoindustrieller Gebiete von entscheidender Bedeutung ist. Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Empfehlungen des Rates zu Unternehmensübertragungen aus dem Jahr 1994 auf den neuesten Stand zu bringen.

4.22.

Innovative KMU brauchen für ihren Unternehmenserfolg die dafür notwendige Unterstützung und Ressourcen. KMU sind dabei hauptsächlich auf Banken angewiesen, die jedoch das benötigte Risikokapital oft nicht bereitstellen. Es gab zwar in den letzten Jahren Fortschritte in Bezug auf einen besseren Zugang zu Finanzkapital, doch insbesondere der Mangel an Wachstumskapital hindert junge innovative Unternehmen an einer Expansion. Private Investitionen sollten mit Anreizen gefördert werden, u. a. durch die Weiterentwicklung eines europäischen Marktes für Risikokapital, Risikominderungsinstrumente (Bürgschaften, Steuergutschriften, finanzielle Anreize) für strategische Investitionen und die Entwicklung von Alternativen zu öffentlichen Märkten (einschließlich Business Angels, öffentliche Startkapitalfonds, öffentliche Investmentfonds, Genossenschaften), z. B. durch die Grundsätze der Risikovergemeinschaftung.

4.23.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die spezifischen Hindernisse zu erfassen, die einer zweiten Chance für Unternehmer nach einem Konkurs- oder Vergleichsverfahren im Wege stehen.

Brüssel, den 14. Februar 2024

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Oliver RÖPKE


(1)  COM(2023) 533 final; EWSA-Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr“ (COM(2023) 533 final — 2023/0323(COD)) (ABl. C, C/2024/2101, 26.3.2024, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/2101/oj).

(2)  COM(2023) 528 final; EWSA-Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Einführung eines hauptsitzbasierten Steuersystems für Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen sowie zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU“ (COM(2023) 528 final — 2023/0320(CNS)) (ABl. C, C/2024/2103, 26.3.2024, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/2103/oj).

(3)  Verordnung (EU) 2018/1724 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2. Oktober 2018 über die Einrichtung eines einheitlichen digitalen Zugangstors zu Informationen, Verfahren, Hilfs- und Problemlösungsdiensten und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 (ABl. L 295 vom 21.11.2018, S. 1).

(4)  EWSA-Bewertungsbericht „Halbzeitüberprüfung der Aufbau- und Resilienzfazilität“.

(5)   ABl. C 443 vom 22.11.2022, S. 81.

(6)   ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 9.


ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/2483/oj

ISSN 1977-088X (electronic edition)


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