EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52022IE0878

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Rahmen zur Kennzeichnung nachhaltiger Lebensmittel für nachhaltige Kaufentscheidungen der Verbraucherinnen und Verbraucher“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2022/00878

ABl. C 75 vom 28.2.2023, p. 97–101 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

28.2.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 75/97


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Rahmen zur Kennzeichnung nachhaltiger Lebensmittel für nachhaltige Kaufentscheidungen der Verbraucherinnen und Verbraucher“

(Initiativstellungnahme)

(2023/C 75/14)

Berichterstatter:

Andreas THURNER

Beschluss des Plenums

20.1.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 GO

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

5.10.2022

Verabschiedung im Plenum

27.10.2022

Plenartagung Nr.

573

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

147/5/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)

1.1.

begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, einen gesetzlichen Rahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme zu schaffen, der u. a. auch Regeln für die Nachhaltigkeitskennzeichnung bei Lebensmitteln beinhalten soll. Es bedarf eindeutig einer Regulierung und eines gewissen Maßes an Standardisierung und Harmonisierung, um Glaubwürdigkeit und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten;

1.2.

betont, dass Nachhaltigkeit ein multidimensionales Konzept ist, bei dem die wirtschaftliche, ökologische und soziale Dimension stets in gleichem Maße berücksichtigt werden sollte;

1.3.

weist darauf hin, dass die Ernährungsgewohnheiten der Menschen sehr verschieden sind, von unterschiedlichen Faktoren abhängen und zudem sehr beharrlich sind. Die Erwartungen an ein Kennzeichnungssystem von Nachhaltigkeit sollten somit von Beginn an realistisch eingeschätzt werden. Allerdings besteht ein allgemeines Interesse an einer Umstellung auf nachhaltigere Verbrauchsmuster;

1.4.

empfiehlt daher, einen transparenten, wissenschaftlich fundierten und möglichst einfachen und pragmatischen Rahmen für die Nachhaltigkeitskennzeichnung bei Lebensmitteln festzulegen, der sowohl Wirtschaftsbeteiligte dabei unterstützt, die Nachhaltigkeit der Produkte zu bewerten und zu verbessern als auch für Konsumentinnen und Konsumenten nützliche Hinweise für eine bewusste Kaufentscheidung ermöglicht;

1.5.

schlägt vor, sich im Sinne eines einfachen und pragmatischen Zugangs auch mit Teilaspekten einer umfassend definierten und bewerteten Nachhaltigkeit zu begnügen, wie z. B. dem Tierwohl, sozialen oder ökologischen Kriterien. Allerdings sollte in diesem Fall die Bezeichnung „nachhaltig“ nicht verwendet werden, weil diese nur bei einem umfassenden Bewertungsansatz verwendet werden sollte;

1.6.

spricht sich zunächst für einen freiwilligen Ansatz aus, der allerdings im Fall der Anwendung zwingende Bedingungen vorsehen soll. Nachhaltigkeitssiegel oder Nachhaltigkeitsangaben, die in der Folge nicht auf diesen Bedingungen aufbauen, sollten verboten werden;

1.7.

ist der Ansicht, dass Kennzeichnungsformen mit einer Bewertungsskala (z. B. in Form eines Ampelsystems) den Verbrauchern dabei helfen können, fundierte Entscheidungen zu treffen. Ein derartiges Bewertungssystem kann gleichzeitig auch eine Vorreiterrolle bezüglich Nachhaltigkeit fördern und Unternehmen ermutigen, die Prozesse entlang der Lebensmittelkette dahingehend zu verbessern;

1.8.

weist dabei darauf hin, dass die Bewertungsalgorithmen entscheidend für ein Skalierungsmodell sind. Diese müssen wissenschaftlich basiert sein und für Verbraucherinnen und Verbraucher in geeigneter Weise transparent gemacht werden;

1.9.

ist der Auffassung, dass bestehende EU-Qualitätsregelungen wie die biologische Wirtschaftsweise oder geografische Angaben bereits Elemente beinhalten, die zu mehr Nachhaltigkeit im Lebensmittelsystem beitragen. Dies sollte entsprechend anerkannt werden. Der EWSA empfiehlt darüber hinaus, die bestehenden Regelungen einem Nachhaltigkeitscheck zu unterziehen und gegebenenfalls um adäquate Nachhaltigkeitsbestimmungen zu ergänzen;

1.10.

unterstreicht die entscheidende Rolle der Bildung zur Vermittlung eines grundlegenden Verständnisses für Nachhaltigkeitsaspekte in Verbindung mit Lebensmitteln. Auch durch Sensibilisierungskampagnen und angemessene Maßnahmen zur Förderung der Erschwinglichkeit nachhaltiger Lebensmittel kann der Übergang zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen gefördert werden.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1.

Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (1) steht im Mittelpunkt des europäischen Grünen Deals. Ihr Ziel besteht darin, Lebensmittelsysteme fair, gesund und umweltfreundlich zu gestalten. Der Aktionsplan der Strategie umfasst u. a. Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigen Lebensmittelverbrauchs und zur Erleichterung der Umstellung auf eine gesunde und nachhaltige Ernährung. In der Zwischenzeit hat die Europäische Kommission bereits mit den Vorarbeiten für ein horizontales Rahmengesetz begonnen, um den Übergang zur Nachhaltigkeit zu beschleunigen und zu erleichtern. Auch soll sichergestellt werden, dass die in der EU in Verkehr gebrachten Lebensmittel immer nachhaltiger werden.

2.2.

Der EWSA hat mit seinem Entwurf einer strategischen Vision für die Förderung einer umfassenden Ernährungspolitik bereits einen soliden Aktionsrahmen entwickelt. Die Grundlagen dieser Vision sind in Stellungnahmen zu Themen wie umfassende Lebensmittelpolitik (2), gesunde und nachhaltige Ernährung (3), kurze Lebensmittelversorgungsketten/Agroökologie (4), nachhaltiger Konsum (5) und Abstimmung der Strategien und Maßnahmen der Lebensmittelwirtschaft auf die Nachhaltigkeitsziele zugunsten eines nachhaltigen Wiederaufbaus nach der COVID-19-Krise (6) enthalten.

2.3.

Die Unternehmen tragen eine große Verantwortung dafür, einerseits die Verbraucher zu gesunden und die Umwelt weniger belastenden Entscheidungen zu bewegen und andererseits die nachhaltige Umgestaltung der Lebensmittelsysteme durch nachhaltige Bewirtschaftungs-, Verarbeitungs- und Verpackungsverfahren voranzutreiben. Die Unternehmen sollten Teil des gesamten Prozesses zur Entwicklung des Rahmens zur Kennzeichnung nachhaltiger Lebensmittel sein.

2.4.

Neben den Unternehmen und den Akteuren in der Lebensmittelproduktion spielen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Übergang zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen eine entscheidende Rolle. Jede Kaufentscheidung löst im Prinzip den nächsten Produktionsauftrag aus. Eine stärkere Nachfrage nach nachhaltigen Lebensmitteln wird daher auch auf der Angebotsseite zu mehr Nachhaltigkeit führen.

2.5.

Vor diesem Hintergrund sollen mit dieser Initiativstellungnahme mögliche Optionen für einen Rahmen für die Kennzeichnung von nachhaltigen Lebensmitteln ausgelotet und Schlussfolgerungen und Empfehlungen vorgelegt werden, um die Kommission bereits zu einem frühen Zeitpunkt bei der Entwicklung eines derartigen politischen Rahmens zu unterstützen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Nachhaltigkeit ist ein multidimensionales Konzept, bei dem die wirtschaftliche, ökologische und soziale Dimension stets in gleichem Maße berücksichtigt werden sollte. Nach der Definition der FAO ist unter einem nachhaltigen Lebensmittelsystem ein Lebensmittelsystem zu verstehen, das so für Ernährungssicherheit und Nahrung für alle sorgt, dass die wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Grundlagen für Ernährungssicherheit und Ernährung künftiger Generationen nicht gefährdet werden (7). Um es auf den Punkt zu bringen: eine einseitige Fokussierung auf den ökologischen Part der Nachhaltigkeit, wie es derzeit oft der Fall ist, oder auf die sozioökonomischen Säulen der Nachhaltigkeit ist per Definition nicht nachhaltig. Das Ziel sollte darin bestehen, die gesamte Wertschöpfungskette in allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit abzudecken.

3.2.

Ein Kennzeichnungsrahmen sollte nicht darauf abzielen, Lebensmittel als nachhaltig oder nicht nachhaltig einzustufen, sondern vielmehr die Entwicklung hin zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem unterstützen. Der Kennzeichnungsrahmen soll Wirtschaftsbeteiligten dabei helfen, die Nachhaltigkeit der Produkte zu bewerten und zu verbessern (Methoden, die Anreize für Verbesserungen bieten, z. B. ein Benchmarking- oder ein Referenzsystem), und nützliche Hinweise für die Verbraucherinnen und Verbraucher bieten. Dieser Kennzeichnungsrahmen sollte auf offene und transparente Weise unter Einbeziehung der einschlägigen Interessenträger entwickelt werden und auf einer klaren, wissenschaftlich fundierten Methodik aufbauen. Zu diesem Zweck sollten die Unternehmen Zugang zu Indikatoren, Methoden und Ergebnissen haben, die auf der Grundlage des Kennzeichnungssystems erzielt wurden. Vor allem muss der Rahmen einfach sein.

3.3.

Es bedarf klarer Regeln, damit die Verwirrung auf dem Markt verringert wird, die dort derzeit aufgrund der inflationären Verwendung des Begriffs „nachhaltig“ (eine Form des ökologischen Etikettenschwindels) herrscht. Nachhaltigkeitssiegel oder Nachhaltigkeitsangaben, die nicht auf einem weithin anerkannten Zertifizierungssystem beruhen, sollten verboten werden.

3.4.

Die Nachhaltigkeitskennzeichnung bei Lebensmitteln sollte auf Basis des gesamten Herstellungsprozesses erfolgen und zunächst freiwillig sein. Jeglicher Rahmen für die Kennzeichnung der Nachhaltigkeit von Lebensmitteln muss jedoch unbedingt von Beginn an auf einer klaren Definition/Methodik beruhen, die auf allen drei Säulen der Nachhaltigkeit (Umwelt, Soziales und Wirtschaft) zugleich aufbaut. Dies sollte die gesamte Lebensmittelwertschöpfungskette von der Produktion bis zum Verbrauch umfassen. Im weiteren Verlauf sollte geprüft werden, ob eine Verpflichtung zur Kennzeichnung der Nachhaltigkeit erforderlich sein könnte. Der EU-Rahmen sollte nationalen und regionalen Systemen adäquate Gestaltungsspielräume einräumen, allerdings müssen die Definitionen und Bewertungsregeln EU-weit harmonisiert sein.

3.5.

Allerdings darf die Rolle der Kennzeichnung nicht überschätzt werden. Es sollte ein realistisches und pragmatisches Verständnis davon geben, was eine Nachhaltigkeitskennzeichnung bewirken kann und was nicht. Laut Weltgesundheitsorganisation sollten die Verbraucher die Kennzeichnung kennen und erkennen, ihre Bedeutung verstehen und in der Lage und daran interessiert sein, sie richtig zu nutzen, damit sie dank der Kennzeichnung fundierte Entscheidungen beim Kauf von Lebensmitteln und für eine gesündere Ernährung treffen können (8). Es wird darauf ankommen, das Bewusstsein für die Nachhaltigkeits- und Qualitätskennzeichnungssysteme der EU zu schärfen. Zusammen mit öffentlichen Beschaffungs- und Bildungsmaßnahmen kann dies die Nachfrage nach nachhaltigen Lebensmitteln stärken. Die politischen Entscheidungsträger sollten außerdem angemessene Maßnahmen zur Förderung der Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit nachhaltiger Lebensmittel prüfen.

3.6.

Die Kennzeichnung der Nachhaltigkeit ist dort von großer Bedeutung, wo der Hersteller die erforderlichen Informationen nicht direkt zur Verfügung stellen kann. Wenn der Hersteller dem Verbraucher die einschlägigen Informationen direkt zur Verfügung stellen kann (z. B. auf einem lokalen Bauernmarkt oder in einem Hofladen), ist ein Kennzeichnungssystem nicht erforderlich. Dies ist wichtig, um bürokratische Hürden für Kleinerzeuger zu vermeiden.

3.7.

Bildung spielt für die Vermittlung eines grundlegenden Verständnisses von Nachhaltigkeitsaspekten im Zusammenhang mit Lebensmitteln eine entscheidende Rolle. Es muss in Bildungsmaßnahmen für eine nachhaltige Ernährung von früher Kindheit an investiert werden, damit junge Menschen den Wert der Ernährung zu schätzen lernen. Zudem ist hier damit zu rechnen, dass die Kinder in der Folge die Eltern zu mehr Nachhaltigkeit „erziehen“, wie das zum Beispiel beim Thema „Mülltrennung und Recycling“ zu beobachten war. Das EU-Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch sollte zum Beispiel verstärkt auch wichtige Nachhaltigkeitsaspekte beleuchten.

3.8.

Der EWSA wiederholt seine Empfehlung, neue Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung zu entwickeln, die den kulturellen und geografischen Unterschieden zwischen und innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Solche Leitlinien würden Landwirten, Verarbeitern, Einzelhändlern und der Gastronomie als Orientierungshilfe dienen. Ein neuer „Rahmen“ für die Erzeugung, die Verarbeitung, den Vertrieb und den Verkauf gesünderer und nachhaltigerer Lebensmittel zu einem gerechteren Preis würde dem Agrar- und Lebensmittelsystem zugutekommen (9).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Die Ernährungsgewohnheiten der Menschen sind verschieden und stark vom persönlichen und kulturellen Umfeld geprägt. Zudem sind Ernährungsgewohnheiten sehr hartnäckig: wenn Menschen ihre Ernährung ändern sollen, dann geht das nur in kleinen Schritten und über längere Zeiträume. Die Lebensstile und das soziale Umfeld der Menschen sind weitere relevante Faktoren, die bestimmen, ob Nachhaltigkeit eine Rolle im Konsumverhalten spielt. Ein großer und wachsender Teil der Verbraucher erklärt jedoch, dass er bereit ist, seine Konsumgewohnheiten aus Gründen der Nachhaltigkeit zu ändern. Es besteht ein Interesse an Informationen über Nachhaltigkeit als Grundlage für fundierte Entscheidungen.

4.2.

Ganz generell spricht eine Kennzeichnung der Nachhaltigkeit oft jene Menschen an, die sich ohnehin bereits für das Thema interessieren. Eine Nachhaltigkeitskennzeichnung soll es dieser Kerngruppe erleichtern, nachhaltige Konsumentscheidungen zu treffen.

4.3.

Es stellt sich daher auch die Frage, ob und wie man jene Menschen erreichen kann, die kein Interesse am Thema Nachhaltigkeit haben. Über die Vorbildwirkung der Kernzielgruppen für die Nachhaltigkeit kann aber eine Verhaltensänderung durch Nachahmung erreicht werden. Es ist auch ein Fortschritt, wenn Zielgruppen, die sich nicht so sehr für das Thema interessieren, zumindest gelegentlich oder in Teilbereichen eine nachhaltige Lebensmittelwahl treffen. Dies sind nur einige Aspekte, um die Erwartungen an eine Nachhaltigkeitskennzeichnung von Beginn an realistisch einzuordnen.

4.4.

Wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitskennzeichnung bei Lebensmitteln sind eine entsprechende Wahrnehmung und Akzeptanz beim Konsumenten sowie eine verständliche Botschaft. Die Kennzeichnung selbst muss verständlich, einfach und vertrauenswürdig sein. Parallel dazu sollten auf Verbraucherseite Begleitmaßnahmen gesetzt werden, die Bildung und Information zu nachhaltiger Ernährung fördern, die Vertrauen und Akzeptanz in ein Kennzeichnungssystem stärken und die zu nachhaltigerem Konsum motivieren.

4.5.

Nachhaltigkeitsangaben sollten auf folgenden Grundsätzen beruhen: Zuverlässigkeit, Transparenz, Relevanz, Zugänglichkeit und Klarheit (Leitlinien der Vereinten Nationen für die Bereitstellung von Informationen über die Nachhaltigkeit von Produkten (10)). Beim Zertifizierungssystem ist darauf zu achten, dass der strukturelle Hintergrund adäquat berücksichtigt wird, um kleine Strukturen, z. B. Landwirte, KMU, Ab-Hof-Verkauf, Wochenmärkte usw. nicht zu benachteiligen.

4.6.

Kennzeichnungen mit einer Bewertungsskala (z. B. in Form eines Ampelsystems) könnten den Verbrauchern helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen. Ein derartiges Bewertungssystem kann gleichzeitig auch eine Vorreiterrolle bezüglich Nachhaltigkeit fördern und Unternehmen ermutigen, die Prozesse entlang der Lebensmittelkette dahingehend zu verbessern. Es sollte jedoch ein gewisses Maß an Kohärenz zwischen den verschiedenen Kennzeichnungssystemen geben, um Verwirrung zu vermeiden.

4.7.

Bei der Entwicklung eines geeigneten Kennzeichnungsrahmens für Nachhaltigkeit sollte möglichst ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden, im Sinne von „nachhaltige Produktion und nachhaltiger Konsum“ statt lediglich „nachhaltige Lebensmittel“. Das Verbraucherverhalten ist ein wesentlicher Baustein im Gesamtbild eines nachhaltigen Lebensmittelsystems. Verpackung und Transport (Produktherkunft) sind ebenso relevante Bereiche. Gleichzeitig wird es notwendig sein, einen gewissen Pragmatismus an den Tag zu legen, wenn es darum geht, die relevanten Indikatoren für Nachhaltigkeit festzulegen (z. B. welche Informationen/Daten sind in verlässlicher Form verfügbar). Jedenfalls sollte möglichst rasch ein harmonisiertes Regelwerk für Nachhaltigkeitskennzeichnung geschaffen werden. Immer mehr unterschiedliche Nachhaltigkeitslabels auf nationaler und unternehmerischer Ebene stiften lediglich Verwirrung und führen zu Vertrauensverlust.

4.8.

Europäische Lebensmitteleinzelhandel-Unternehmen (LEH) sammeln bereits erste Erfahrungen mit Pilotprojekten zur Nachhaltigkeitskennzeichnung bei Lebensmitteln. Vorläufige Erkenntnisse daraus sind u. a.: die Wahrnehmung bei gekennzeichneten Produkten ist tendenziell positiver als bei nicht gekennzeichneten Produkten bei nur geringem Einfluss auf die Kaufentscheidung, positive Rückmeldungen kommen v. a. von jüngeren Zielgruppen, manchmal kommt es bei der Anwendung eines Score-Systems zu Verwirrung mit Nutriscore sowie der Wunsch nach Informationen auf der Verpackung (anstatt lediglich auf dem Preisschild). Als wesentliche Punkte erscheinen u. a. die Glaubwürdigkeit des Bewertungssystems (unabhängig, wissenschaftsbasiert), die Klarheit der Information (Verständlichkeit), ein möglichst harmonisierter Ansatz über die gesamte Branche und Transparenz („klären“ statt „vereinfachen“, etwa über einen mit relevanten Informationen hinterlegten Barcode).

4.9.

Die Berücksichtigung der sozialen und sozioökonomischen Dimension ist entscheidend, wenn auch die Indikatoren dazu noch nicht unbedingt auf der Hand liegen. Insbesondere im Sozialbereich gelten in den Mitgliedstaaten unterschiedliche rechtliche Bestimmungen (Arbeitsbedingungen, Mindestlohn), was einen EU-weit harmonisierten Ansatz erschweren dürfte. Dennoch ist es wichtig, sozioökonomische Aspekte in die Nachhaltigkeitskennzeichnung aufzunehmen.

4.10.

Im Rahmen einer pragmatischen Herangehensweise scheint es naheliegend, bestehende EU-Zertifizierungssysteme wie biologische Wirtschaftsweise, geschützte geographische Angabe (ggA), geschützte Ursprungsbezeichnung (gU) oder garantiert traditionelle Spezialitäten (gtS) zur Förderung der Nachhaltigkeit im Lebensmittelsystem anzuerkennen. Auch wenn diese Regelungen das Thema Nachhaltigkeit möglicherweise nicht vollumfassend abdecken, so beinhalten sie doch Elemente, die zu mehr Nachhaltigkeit im Lebensmittelsystem beitragen. Die bestehenden Regelungen sollten einem Nachhaltigkeitscheck unterzogen werden und allenfalls um adäquate Nachhaltigkeitsbestimmungen ergänzt werden.

4.11.

Regionale/lokale Produkte und kurze Versorgungsketten können eine Rolle dabei spielen, die Lebensmittelsysteme nachhaltiger zu gestalten. Regionale Produzenten produzieren oft in unmittelbarer Nachbarschaft der lokalen Bevölkerung und erfahren so eine gewisse „gesellschaftliche Kontrolle“, was nachhaltige Produktionsweisen tendenziell vorantreiben dürfte.

4.12.

Das Thema „Saisonalität“ hat speziell bei Obst und Gemüse einen Einfluss auf den Grad der Nachhaltigkeit. Durch Information und Aufklärung kann ein Bewusstsein für einen ressourcenarmen Konsum dieser rasch verderblichen und wasserreichen Lebensmittelkategorie geschaffen werden.

4.13.

Im Zuge der jüngsten GAP-Reform und mit der Umsetzung des europäischen Grünen Deals (Biodiversitätsstrategie, Strategie „Vom Hof auf den Tisch“) in der europäischen Landwirtschaft soll sichergestellt werden, dass die landwirtschaftliche Produktion in Europa noch nachhaltiger wird. Somit ermöglicht eine Kennzeichnung der Herkunft der landwirtschaftlichen Rohstoffe auch Rückschlüsse auf deren Nachhaltigkeitsniveau.

Brüssel, den 27. Oktober 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  https://ec.europa.eu/food/horizontal-topics/farm-fork-strategy_de

(2)  Initiativstellungnahme des EWSA „Beitrag der Zivilgesellschaft zur Ausarbeitung einer umfassenden Ernährungspolitik in der EU“ (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18).

(3)  Initiativstellungnahme des EWSA „Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung in der EU“ (ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 9).

(4)  Initiativstellungnahme des EWSA Förderung kurzer und alternativer Lebensmittelversorgungsketten in der EU: Die Rolle der Agrarökologie (ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 65).

(5)  Initiativstellungnahme des EWSA Eine EU-Strategie für nachhaltigen Konsum (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 51).

(6)  Initiativstellungnahme des EWSA Abstimmung der Lebensmittelwirtschaft auf die Nachhaltigkeitsziele (ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 63).

(7)  https://www.fao.org/in-action/territorios-inteligentes/componentes/produccion-agricola/contexto-general/en/

(8)  https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/336988/WHO-EURO-2020-1569-41320-56234-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y

(9)  Initiativstellungnahme des EWSA „Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung in der EU“ (ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 9).

(10)  https://www.oneplanetnetwork.org/knowledge-centre/resources/guidelines-providing-product-sustainability-information


Top