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Document 52012AE0821

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Europäische Agenda für die Integration von Drittstaatsangehörigen“ COM(2011) 455 final

ABl. C 181 vom 21.6.2012, p. 131–136 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/131


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Europäische Agenda für die Integration von Drittstaatsangehörigen“

COM(2011) 455 final

2012/C 181/23

Berichterstatter: Cristian PÎRVULESCU

Die Europäische Kommission beschloss am 20. Juli 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Europäische Agenda für die Integration von Drittstaatsangehörigen

COM(2011) 455 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 170 gegen 14 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission und betrachtet sie als wichtigen Schritt für das Verständnis und die Bewältigung der Herausforderungen, die mit der Integration von Drittstaatsangehörigen in den EU-Mitgliedstaaten verbunden sind.

1.2   In der Mitteilung werden die wichtigsten Interventionsbereiche abgesteckt sowie die Aufgaben und Zuständigkeiten bei der Konzipierung und Umsetzung der Integrationsagenda geklärt. Zu Recht wird der Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in der Mitteilung besonderes Gewicht beigemessen, doch bleibt unklar, mit welchen Anreizen eine stärkere Einbindung der Gebietskörperschaften in diesen Prozess erreicht werden soll. Der modulare Ansatz bei der Konzipierung der nationalen Maßnahmen birgt erhebliches Potenzial, ist aber auch mit Risiken verbunden.

1.3   Die Mitteilung enthält ein umfassendes und strukturiertes Konzept, allerdings werden die komplexen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen die europäischen Gesellschaften stehen, nicht ausreichend behandelt. Gegenwärtig sind die Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen wesentliche Triebkräfte der Integrationsagenda. Sie beeinflusst die Stimmung in der europäischen Öffentlichkeit und setzt die lokalen Behörden unter finanziellen Druck. Der Ausschuss schlägt deshalb vor, den Vorschlag mit Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erneut zu prüfen und zu ermitteln, mit welchen konkreten institutionellen und finanziellen Instrumenten die Integrationsziele umgesetzt werden können. Besondere Aufmerksamkeit sollte auch dem Aspekt der Kommunikation gewidmet werden. Bereits jetzt wird deutlich, dass durch die Wirtschaftskrise eher einwanderungsfeindliche Haltungen begünstigt werden. Die Europäische Kommission und die anderen EU-Institutionen müssen dringend gemeinsam weitreichende, kontinuierliche und wirkungsvolle Maßnahmen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit ergreifen, um Diskussionen und Haltungen, die sich gegen die Einwanderung richten und die in einigen europäischen Ländern bereits fast schon Teil des herrschenden politischen Diskurses sind, einzudämmen. Dies wirkt sich ganz direkt auf die Identität der EU als eines integrierten demokratischen Gemeinwesens aus.

1.4   Der Ausschuss stellt fest, dass nicht alle Drittstaatsangehörigen denselben Status haben, und schlägt vor, diese Tatsache in die Überlegungen und in die Konzipierung der Maßnahmen einzubeziehen. Zu den Einwanderern gehören Staatsangehörige von Beitrittsstaaten, Angehörige nichteuropäischer Staaten, die in der EU leben und arbeiten, und Drittstaatsangehörige, die auf dem Gebiet der EU internationalen Schutz genießen. Die Berücksichtigung dieser Vielfalt darf jedoch nicht dazu führen, dass es zu Mängeln bei der Politikgestaltung oder zu Diskriminierung kommt, und vor allem sollte sie nicht auf eine Harmonisierung der Integrationsstandards und –maßnahmen auf einem Mindestniveau hinauslaufen. Der Ausschuss ist auch der Überzeugung, dass EU-Bürger, die in anderen Mitgliedstaaten leben und arbeiten, in der umfassenden Integrationsagenda berücksichtigt werden müssen. Die Lage der Roma ist besonders besorgniserregend. Die Voraussetzungen für Einreise und Aufenthalt zugewanderter Saisonarbeitnehmer aus Drittstaaten werden gegenwärtig im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat diskutiert, der EWSA hat 2011 eine Stellungnahme zu diesem Thema vorgelegt (1). Die europäische Politik muss sich der schwierigen Frage der illegalen Einwanderer annehmen, die eine besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppe darstellen.

1.5   In der Mitteilung wird das Gewicht zu Recht auf die Partizipation von Drittstaatsangehörigen gelegt, doch leider wird nicht entschiedener vermittelt, wie wichtig diese ist, dass sie gefördert werden muss und welche konkreten Instrumente zu ihrer Unterstützung heranzuziehen sind. Besonders problematisch ist die Partizipation am staatsbürgerlichen und politischen Leben der nationalen und lokalen Gemeinschaften. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Artikulation von Interessen und die Fähigkeit, in Partnerschaft mit öffentlichen und privaten Institutionen kollektive Vorschläge zu formulieren, Voraussetzungen für eine wirkungsvolle, partizipative und erfolgreiche Integrationspolitik sind.

1.6   Der Ausschuss bestärkt die Europäische Kommission darin, einen Schwerpunkt auf die Integration zu legen – entweder in Form eines Europäischen Jahres oder als zentraler Aspekt eines der kommenden Jahre – und hofft, dass sie gemeinsam mit den anderen EU-Institutionen die Integrationsagenda weiter mit anderen wichtigen politischen Prioritäten verknüpfen wird, beispielsweise der Strategie Europa 2020 sowie der Strategie zur wirksamen Umsetzung der Grundrechte, die gegenwärtig einer Überprüfung unterzogen wird.

1.7   Der Ausschuss bekräftigt seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den anderen EU-Institutionen bei der Entwicklung grundlegender Maßnahmen und Programme für die Integration von Drittstaatsangehörigen. Zudem wird er entschieden darauf hinwirken, die europäische Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Integrationsagenda einzubeziehen und die Partizipation von Drittstaatsangehörigen an einem strukturierten Dialog auf europäischer Ebene zu fördern.

2.   Einleitung

2.1   Die Zusammenarbeit der EU bei der Integration von Drittstaatsangehörigen begann mit dem Programm von Tampere (1999). 2004 wurden die gemeinsamen Grundprinzipien für die Politik der Integration von Einwanderern auf EU-Ebene angenommen. Sie sollen den EU-Mitgliedstaaten Unterstützung bei der Konzipierung von Integrationsstrategien und der Bestimmung eines weitergefassten institutionellen Rahmens bieten, der verschiedene Akteure auf EU-Ebene sowie aus den Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen umfasst. Mit der Gemeinsamen Agenda für Integration der Kommission aus dem Jahr 2005, durch die die gemeinsamen Grundprinzipien umgesetzt werden sollten, wurden Fortschritte erzielt, ohne dass jedoch die beträchtlichen, noch offenen integrationspolitischen Aufgaben angegangen wurden. Die Integrationsziele der EU waren auch im Stockholmer Programm von 2009 und in der Strategie Europa 2020 enthalten, doch hat auch dies die Integrationspolitik nicht entscheidend vorangebracht.

2.2   Im Juli 2011 schlug die Kommission eine neue Europäische Agenda für die Integration von Drittstaatsangehörigen vor, deren Schwerpunkt auf einer breiteren und besseren Partizipation der Einwanderer und einer Stärkung der Maßnahmen auf lokaler Ebene lag. Mit dieser Agenda soll den Herkunftsländern auch die Möglichkeit geboten werden, sich stärker in die politische Planung einzubringen. Da die Flexibilität das wichtigste Prinzip bei der Politikgestaltung ist, entwickelt die Europäische Kommission ein europäisches Instrumentarium, das die Mitgliedstaaten je nach Bedarf und Prioritäten nutzen können. Zur Unterstützung der Integrationsagenda wurden auch gemeinsame Indikatoren bestimmt (2).

2.3   Bei der Erarbeitung der Integrationsagenda hat die EU folgende institutionelle Gremien und Instrumente für die Öffentlichkeitsarbeit herangezogen: das Netz der nationalen Kontaktstellen für Integration, das Europäische Integrationsforum, ein Forum für den Dialog aller Interessenträger, die im Bereich der Integration aktiv sind, die europäische Website für Integration, das wichtigste Forum für den direkten Austausch von Informationen sowie für die Dokumentation und die Erfassung von Daten im Internet, das Europäische Integrationshandbuch für politische Entscheidungsträger und Praktiker und den Europäischen Integrationsfonds, der die Mitgliedstaaten dabei unterstützt, Drittstaatsangehörigen die Integration in die europäische Gesellschaft zu ermöglichen. Am 18. November 2011 wurde das EU-Zuwanderungsportal freigeschaltet.

2.4   Die Aufnahme einer neuen Bestimmung in den Vertrag, nach der die EU die Bemühungen um die Integration der sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörigen fördert (Artikel 79 Absatz 4 AEUV), schafft eine solidere Grundlage für koordinierte Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten und bringt eine dauerhafte Verpflichtung der Europäischen Kommission und der anderen EU-Institutionen mit sich.

2.5   In dem zur Mitteilung gehörigen Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen werden einige wichtige Probleme bei der Integration von Drittstaatsangehörigen genannt: die niedrige Beschäftigungsquote der Migranten, besonders der Frauen, die zunehmende Arbeitslosigkeit und der hohe Anteil an überqualifizierten Einwanderern, das steigende Risiko der sozialen Ausgrenzung, der Bildungsrückstand sowie Bedenken der Öffentlichkeit wegen der mangelnden Integration von Migranten (3).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA begrüßt die Auffassung, dass Integration eine kollektive Aufgabe ist, und fordert die EU-Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, Integration zu einer Priorität zu machen. Dies ist ein Weg, um offene, inklusive und stabile demokratische Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene zu schaffen (4). Allerdings ist auf EU-Ebene noch einiges zu tun. Die EU-Institutionen bieten bereits einen Rahmen für Monitoring, Vergleich und Austausch bewährter Praktiken. Verschiedenen Bereichen ist jedoch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. So sollten die europäischen Finanzinstrumente besser auf die Umsetzung der Integrationsziele ausgerichtet werden. Auch sind die geltenden Rechtsvorschriften, vor allem die Regeln für die Arbeitsverfahren für Drittstaatsangehörige, gründlich zu prüfen.

3.2   Angesichts der verfügbaren Daten ist der EWSA der Auffassung, dass die Ziele der Integrationsagenda der EU eindeutiger umrissen werden sollten. Der EWSA spricht sich für ein System aus, bei dem die Mitgliedstaaten konkrete Integrationsziele festlegen und ihre Bürger und andere Länder laufend über deren Umsetzung informieren. Das übergeordnete Ziel eines wettbewerbsfähigen und inklusiven Europas kann nur dann erreicht werden, wenn die Drittstaatsangehörigen, die 4 % der EU-Bevölkerung (5) ausmachen, mit einbezogen werden.

3.3   Die Integrationsagenda ist sehr komplex und erfordert zu ihrer Umsetzung Anstrengungen auf allen Ebenen. Der EWSA befürwortet eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, dem Ausschuss der Regionen und den anderen EU-Institutionen, um die neue Integrationsagenda mit Leben zu erfüllen. Dass der Schwerpunkt auf die lokale Ebene gelegt wird, ist sehr begrüßenswert. Auch ist es wichtig, die Gestaltungs- und Entscheidungsmacht der Zivilgesellschaft und der Unternehmen, die auf lokaler Ebene aktiv sind, zu stärken. Die Migranten selbst sollten angeregt werden, eigene Netze und Verbände zu schaffen, die ihnen den Zugang zu Informationen, Finanzmitteln und Entscheidungsprozessen erleichtern.

3.4   Es muss ein europäisches Instrumentarium an Integrationspraktiken entwickelt werden, das dem Integrationshandbuch mehr Relevanz und institutionelles Gewicht verleiht. Über dieses Instrumentarium sowie die Möglichkeiten der Finanzierung von Projekten mit erheblicher Wirkung sollten angemessene Informationen bereitgestellt werden. Der EWSA hofft, dass dieses Instrumentarium angewandt wird, um die wichtigsten integrationspolitischen Aufgaben auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene anzugehen.

3.5   Außerdem sollte die Kohärenz der Integrationspolitik insgesamt durch das europäische Instrumentarium nicht untergraben werden. Der EWSA fordert die nationalen, regionalen und lokalen Behörden nachdrücklich auf, auf der Grundlage von Integrationsstrategien vorzugehen, die unter Einbeziehung aller Interessengruppen erstellt wurden. Er fordert die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission auf, die nationalen Kontaktstellen für Integration stärker zu befähigen, als Katalysatoren für die strategische Konzipierung der Integrationsmaßnahmen zu wirken.

3.6   Der EWSA begrüßt, dass Eurostat kürzlich eine Untersuchung zu den Integrationsindikatoren erstellt hat (6). Sie ist ein sehr wertvolles Instrument, das die bessere Überwachung der Auswirkungen von Maßnahmen und Programmen, die vergleichende Bewertung der Vorgehensweisen der Mitgliedstaaten sowie die Ausarbeitung einer besser fundierten Politik ermöglicht. Wie bereits erläutert, sind die Indikatoren nicht nur wichtig für die Überwachung und Bewertung, sondern auch um konkrete Ziele der Integrationsmaßnahmen und -programme festzulegen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Integration durch Partizipation

4.1.1   Der sozioökonomische Beitrag der Migranten

4.1.1.1   Der sozioökonomische Beitrag der Migranten ist ein Schlüsselelement der Integrationsagenda. Der EWSA fordert eine veränderte Einstellung gegenüber Migranten, die oft als potenzielle Belastung der Sozialsysteme oder als im Verhältnis zu den Bürgern der Mitgliedstaaten billige Arbeitskräfte gesehen werden. Der EWSA sieht die Einwanderer zunächst und vor allem als Menschen mit Grundrechten, die auch einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft, zur Wirtschaft und zur Kultur ihres Aufnahmelandes leisten. Der EWSA ist der Auffassung, dass Integration ein in beide Richtungen verlaufender Prozess ist, und bestärkt die Migranten darin, Interesse am gesellschaftlichen und kulturellen Miteinander mit den Gemeinschaften und Gesellschaften des Aufnahmelandes zu zeigen. Dies bedeutet jedoch vor allem, dass sie Sprachkenntnisse erwerben und am Bildungssystem des Aufnahmelandes teilnehmen. Die europäischen Gesellschaften und ihre Bürger wiederum müssen sich bewusst sein, dass unsere Gesellschaften mittel- und langfristig vor erheblichen demografischen Problemen stehen werden, die zum Teil mit Hilfe einer gesteuerten Einwanderung behoben werden können.

4.1.1.2   Obwohl der Erwerb von Sprachkenntnissen ein wichtiger Integrationsfaktor ist, führt die Kommission in ihrer Mitteilung nicht näher aus, welche konkreten Instrumente sie zur Umsetzung dieses Ziels anwenden will.

4.1.1.3   Die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg der Integration. In der Mitteilung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Unterschiede im Beschäftigungsniveau zwischen Drittstaatsangehörigen und Unionsbürgern deutlich reduziert werden müssen, vor allem bei Frauen, die ganz besonders von diesem Problem betroffen sind. Allerdings spiegelt diese rein quantitative Maßnahme nicht die globalen Rahmenbedingungen der Beschäftigung wider. Die Anerkennung der bereits erworbenen Qualifikationen, Löhne und Ansprüche, einschließlich deren Übertragung, der Zugang zu Bildung und Beschäftigungssicherheit sind weitere, eng miteinander verknüpfte Fragen, die umfassend in die Integrationsagenda einbezogen werden müssen. Der Beschäftigung von Frauen muss mehr Gewicht beigemessen werden.

4.1.1.4   Der EWSA ist zutiefst besorgt über die direkten und indirekten Auswirkungen der europäischen Rechtsvorschriften über den Status von Arbeitsmigranten (7). Zwar wurden dank der Blue Card der EU, der Richtlinie über die kombinierte Aufenthaltserlaubnis und der Richtlinie über Saisonarbeitnehmer Fortschritte erzielt, doch ist auch zu befürchten, dass die Arbeitsrichtlinien Arbeitnehmer bzw. Migranten aus Gründen ihrer Herkunft und ihres Ausbildungsniveaus diskriminieren und die bestehenden Ungleichheiten verstärken (8). In den arbeitsrechtlichen Vorschriften der EU wird eine Unterscheidung zwischen hoch- und geringqualifizierten Arbeitnehmern vorgenommen und diesen jeweils ein unterschiedliches Maß an Rechten zuerkannt.

4.1.1.5   Der EWSA warnt vor einer Strategie, die die zirkuläre Migration fördert, ohne die erforderlichen Mittel dafür bereitzustellen, und so der illegalen Einwanderung Vorschub leisten und zu einem sehr geringen Niveau des Schutzes der Arbeitnehmer führen könnte. Eine solche Politik ist auch ethisch fragwürdig, da sie darauf abzielt, dass die Arbeitnehmer in ihr Herkunftsland zurückkehren, ohne dass sie ihre Rechte dorthin übertragen lassen oder während eines angemessen langen Zeitraums im Aufnahmeland arbeiten können.

4.1.1.6   Im Bildungssystem müssen stärkere Anstrengungen unternommen werden, um die Beteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Auch gilt es, gezieltere Bildungsbemühungen im Rahmen der frühkindlichen Erziehung zu unternehmen, damit die spätere Teilhabe am Bildungssystem verbessert wird. Die Mitteilung umfasst einige Beispiele für mögliche Maßnahmen wie Mentorprogramme, Kurse für Eltern und die Einstellung von Lehrern mit Migrationshintergrund. Der EWSA hält alle diese Maßnahmen für sinnvoll, fordert jedoch, sie entschlossener zu verbreiten und die in und an Bildungseinrichtungen angesiedelten Programme besser zu finanzieren.

4.1.1.7   Das Ziel, bessere Lebensbedingungen sicherzustellen, muss in der Integrationsagenda weiterhin Vorrang haben. In diesem Zusammenhang wird in der Mitteilung darauf hingewiesen, dass auf lokaler und nationaler Ebene besondere Anstrengungen für Menschen mit internationalem Schutzstatus unternommen werden müssen. Der EWSA erkennt die Bedürfnisse dieser konkreten Gruppe uneingeschränkt an, weist jedoch auch auf andere schutzbedürftige Gruppen hin. Er fordert die Europäische Kommission auf, den mehrfach schutzbedürftigen Gruppen besondere Aufmerksamkeit zu schenken und Priorität einzuräumen, beispielsweise den Roma-Frauen. Darüber hinaus verfügt die EU mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union über ein wirkungsvolles und zukunftsweisendes Instrument, das Richtschnur für die legislative Tätigkeit in Integrationsfragen sein muss.

4.1.1.8   Der EWSA bedauert, dass die Kommission die Situation der Roma nur sehr kurz abhandelt. Viele aus Drittstaaten stammende Angehörige dieser Gruppe leben unter sehr prekären Bedingungen in ihren jeweiligen Aufnahmestaaten und haben keinen Zugang zu Infrastruktureinrichtungen und grundlegenden Dienstleistungen. Der EWSA ist der Auffassung, dass zwar erhebliche rechtliche Unterschiede zwischen Drittstaatsangehörigen und Unionsbürgern bestehen, dass die Probleme der schutzbedürftigen Gruppen jedoch dieselben sind. Darüber hinaus müssen die Grundrechte eines jeden Menschen, unabhängig von seinem rechtlichen Status, geschützt werden.

4.1.1.9   Zur Umsetzung der Ziele der Integrationsagenda ist es nötig, die Finanzmittel der EU besser einzusetzen. Der EWSA stellt fest, dass die Finanzkrise die öffentlichen Ausgaben für Sozialprogramme unter erheblichen Druck gesetzt hat, und ist der Auffassung, dass sich wichtige Projekte, die zumindest eine solide Grundlage für bewährte Vorgehensweisen bilden können, mit EU-Mitteln entscheidend fördern lassen. Die Informationen über Finanzierungsmöglichkeiten müssen problemlos zugänglich sein, und die Finanzmittel müssen ausreichende Anreize bieten, um die lokalen Behörden und öffentlichen sowie privaten Institutionen zur Mitarbeit zu bewegen. Die verfügbaren Ressourcen sollten eingesetzt werden, um die Organisationen der Zivilgesellschaft zu ermutigen, sich zu vernetzen und an der Basis tätig zu werden, wobei der Schwerpunkt auf die Beteiligung der Migrantengemeinschaften gelegt werden sollte.

4.1.1.10   Die EU muss sich offen gegenüber den Netzen und Organisationen der Migranten auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zeigen. Die Bildung von Netzen und sozialem Kapital trägt zu einer Integration bei, die von der Basis ausgeht, und schafft ein Umfeld, in dem sich die Migranten stärker und besser befähigt fühlen, ihre Rechte und Fähigkeiten zum Tragen zu bringen. Die Netze und Organisationen sollten die Integration unterstützen und nicht zu Instrumenten einer verstärkten Segregation werden. Der EWSA ermuntert sie, partnerschaftliche Kontakte zu Netzen und Organisationen des Aufnahmelandes aufzubauen. Die EU sollte sich neuen Formen der Partizipation und Kooperation öffnen, die durch die Informationstechnologie und die stärkere Mobilität erleichtert werden.

Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, die arbeitsrechtlichen Vorschriften für Migranten zu überprüfen, die in ihrer gegenwärtigen Form Diskriminierung und Ungleichheit Vorschub leisten. Er empfiehlt der Kommission auch, ihre Bemühungen zur Förderung von Maßnahmen der Mitgliedstaaten zugunsten einer stärkeren und besseren Integration weiterzuverfolgen.

4.1.2   Rechte und Pflichten – Gleichbehandlung und Zugehörigkeitsgefühl

4.1.2.1   Der EWSA begrüßt, dass besonderes Gewicht auf die politische Partizipation der Migranten als Mandatsträger, Wähler oder Mitglieder von Beiräten gelegt wird. Dieser Aspekt stellt einen wichtigen Prüfstein für die europäische Demokratie dar. Nur wenn Migranten eine politische Stimme haben, können ihre mittel- und langfristige Integration gewährleistet und ihre Diskriminierung verhindert werden. Die politische Partizipation und institutionalisierte kollektive Maßnahmen können dazu beitragen, Migranten in politische Prozesse einzubinden. Dies beugt Entfremdung und Radikalisierung vor. Um die politische Partizipation zu unterstützen, müssen die geltenden Regeln für die Staatsangehörigkeit in jedem Land überprüft werden. Der EWSA spricht sich deshalb dafür aus, Drittstaatsangehörigen das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene zu geben. Dies ließe sich ermöglichen, indem den legalen Migranten die Unionsbürgerschaft verliehen wird. Die EU hätte so einmal mehr die Chance, zum Vorreiter für demokratische Innovationen zu werden und neue Formen der Partizipation und der Kooperation auszuprobieren.

4.2   Stärkeres Engagement auf lokaler Ebene

4.2.1   Es ist voll und ganz gerechtfertigt, das Gewicht auf die lokale Ebene zu legen, sind es doch die lokalen Behörden, die nicht nur bei der Erbringung von Dienstleistungen eine zentrale Rolle spielen, sondern auch die unmittelbaren Rahmenbedingungen für die Integration schaffen. Je nach Größe der lokalen Gemeinschaft können erfolgreiche Integrationsprojekte erhebliche Auswirkungen auf das Leben der Gemeinschaften und der Migranten haben. Wichtig ist, dass die lokalen Gebietskörperschaften und die privaten Institutionen über zuverlässige Informationen verfügen und Zugang zu europäischen und nationalen Mitteln haben.

4.2.2   Der EWSA räumt ein, dass städtische Gebiete, insbesondere größere, Probleme aufweisen. Sie ziehen eine beträchtliche Zahl von Migranten an, die sich oft in relativ isolierten Randvierteln niederlassen. Der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und zum Arbeitsmarkt ist nur ein Teil des Problems. Die Anforderungen an die städtebauliche Planung sind noch umfassender, denn diese muss den Zielen Nachhaltigkeit und Inklusion Rechnung tragen. Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, aktiv Projekte zu unterstützen, die die Integrationsagenda voranbringen, indem die wichtigen Aspekte Wohnraum und Städteplanung einbezogen werden.

4.2.3   Das Bottom-up-Konzept ist zwar sehr erfolgversprechend, doch muss es korrekt umgesetzt und mit angemessenen Mitteln ausgestattet werden. Besonders wichtig ist, dass die Kommission im Rahmen der nächsten Finanziellen Vorausschau ihrer Zusage gerecht wird, d.h. die Verfahren für die Finanzierung vereinfacht und lokalen Projekten angemessene Mittel bereitstellt (9). Eine bessere Koordinierung zwischen den verschiedenen Finanzierungsquellen, wie dem vorgeschlagenen Migrations- und Asylfonds, der die Bereiche Asyl, Integration und Rückführung von Migranten abdeckt, dem vorgeschlagenen Fonds für die innere Sicherheit, dem Europäischen Sozialfonds und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, kann von entscheidender Bedeutung für die Stärkung der lokalen Akteure sein.

4.3   Einbeziehung der Herkunftsländer

4.3.1   Die Einbeziehung der Herkunftsländer ist ein wesentlicher Schritt bei der Ausarbeitung einer umfassenden Integrationsagenda (10). Einige EU-Mitgliedstaaten haben bei der Herstellung von Kontakten zu den Herkunftsländern bereits bewährte Vorgehensweisen entwickelt. Allerdings sind zahlreiche Länder aus den verschiedensten Gründen nicht geneigt, in Migrationsfragen mit der EU zusammenzuarbeiten. Noch offensichtlicher sind die Beschränkungen (11), was Menschen betrifft, denen internationaler Schutz zusteht. Das ganzheitliche Konzept der EU in Migrationsfragen bietet einen geeigneten institutionellen Rahmen, um die Zusammenarbeit mit den Drittstaaten zu erleichtern und dringende Fragen der Mobilität zu lösen. Die Migration jedoch vor allem unter dem Blickwinkel ihrer Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt der EU zu betrachten, kann dazu führen, dass das Schutzniveau der Migranten sinkt und sie Diskriminierungen ausgesetzt werden.

4.3.2   Die EU sollte weiterhin mit den Herkunftsländern der Migranten zusammenarbeiten, um die Verfahren im Vorfeld ihres Aufbruchs zu erleichtern. In vielen Ländern ist die Emigration in die EU eine begehrte Perspektive und kann zur Begünstigung von Korruption führen. Die EU muss entschlossene Anstrengungen unternehmen, um mögliche Fehlentwicklungen einzudämmen, die dazu führen, dass die Kosten für künftige Migranten steigen und ihre Motivation zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer sinkt.

4.3.3   Der EWSA ist der Auffassung, dass der beste und nachhaltigste Beitrag zur Entwicklung der Herkunftsländer darin besteht, zweckmäßige arbeitsrechtliche Regelungen zu schaffen und die Migranten besser zu befähigen, transnationale Unternehmen zu gründen oder in ihre Herkunftsländer zurückzukehren und ihre Kenntnisse und ihre Motivation dort einzusetzen. Der EWSA empfiehlt, bilateral Systeme für die Förderung junger Unternehmen und unternehmerischer Initiativen zu entwickeln, die sich an Migranten richten, die in ihre Länder zurückkehren. Herkunftsländer und Aufnahmeländer können gemeinsam Chancen für ihre Bürger, Unternehmen und Gemeinschaften schaffen. Es gibt Beispiele für die Zusammenarbeit, bei denen der Bedarf der Arbeitgeber mit den Qualifikationen der Migranten verknüpft wird.

4.3.4   Es ist legitim, die zirkuläre Migration zu fördern, sofern dies nicht durch Rechtsvorschriften erfolgt, die direkt oder indirekt die Rechte der Drittstaatsangehörigen beeinträchtigen (12).

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 97–100.

(2)  Eurostat Methodologies and Working Papers, Indicators of Immigrant Integration – A Pilot Study. Luxemburg, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2011.

(3)  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen: Europäische Integrationsagenda.

(4)  Zusammenfassung der Ängste im Hinblick auf Migration von EU-Bürgern und Drittstaatsangehörigen: siehe Ergebnisse der ersten Eurobarometer-Umfrage zur Integration von Migranten, MEMO/11/529, Brüssel, 20. Juli 2011.

(5)  Vollständige Zahlen siehe COM (2011) 291 final, Jahresbericht über Einwanderung und Asyl der Kommission (2010).

(6)  Eurostat, 2011, Indicators of Immigrant Integration. A Pilot Study.

(7)  ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 97–100 und ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 16–22.

(8)  Europäische Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte (AEDH), Foreign workers in the EU: moving towards multiple standards, founded on unequal treatment? – 17. Oktober 2011.

(9)  Siehe Mitteilung der Kommission COM(2011) 749 final „Ein offenes und sicheres Europa: Die Haushaltsmittel für den Bereich Inneres für 2014 - 2020“ sowie die entsprechenden Vorschläge für Verordnungen 750, 751, 752 und 753.

(10)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 91–102. Um die EU-Politik der Einwanderung und der Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern zur Unterstützung der Entwicklung ging es auch auf dem 6. Treffen des Europäischen Integrationsforums (http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-european-integration-forum-6).

(11)  ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 80–84.

(12)  Siehe Fußnote 5.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender abgelehnter Kompromissvorschlag erhielt mehr als ein Viertel der Stimmen (Artikel 51 Absatz 6 und Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Kompromissvorschlag

Ziffer 4.1.2.1

Der EWSA begrüßt, dass besonderes Gewicht auf die politische Partizipation der Migranten als Mandatsträger, Wähler oder Mitglieder von Beiräten gelegt wird. Dieser Aspekt stellt einen wichtigen Prüfstein für die europäische Demokratie dar. Nur wenn Migranten eine politische Stimme haben, können ihre mittel- und langfristige Integration gewährleistet und ihre Diskriminierung verhindert werden. Die politische Partizipation und institutionalisierte kollektive Maßnahmen können dazu beitragen, Migranten in politische Prozesse einzubinden. Dies beugt Entfremdung und Radikalisierung vor. Um die politische Partizipation zu unterstützen, müssen die geltenden Regeln für die in jedem Land überprüft werden. Der EWSA deshalb, Drittstaatsangehörigen das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler regionaler Ebene zu geben. Die EU hätte so einmal mehr die Chance, zum Vorreiter für demokratische Innovationen zu werden und neue Formen der Partizipation und der Kooperation auszuprobieren.

Abstimmung

Dafür

:

70

Dagegen

:

77

Enthaltungen

:

28


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