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Document 52012AE0803

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung)“ COM(2011) 793 final — 2011/0373 (COD)

ABl. C 181 vom 21.6.2012, p. 93–98 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/93


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung)“

COM(2011) 793 final — 2011/0373 (COD)

2012/C 181/17

Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ

Das Europäische Parlament beschloss am 13. Dezember 2011 und der Rat am 14. Dezember 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung)

COM(2011) 793 final — 2011/0373 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 9. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 28. März) mit 121 gegen 11 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Kommission nun endlich die Empfehlungen 98/257/EG und 2001/310/EG als verbindliche Rechtsvorschriften festschreibt, wie das die Verbraucherverbände und auch der Ausschuss in mehreren Stellungnahmen unzählige Male gefordert hatten.

1.2   Der EWSA vertritt jedoch die Ansicht, dass sich als Rechtsgrundlage am besten Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 4 des Vertrages - statt bloß Artikel 114 - sowie auch die Artikel 38 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eignen würden.

1.3   Der Ausschluss empfiehlt, auf der Grundlage gemeinsamer Strukturprinzipien einen „europäischen Konformitätsrahmen“ für die Zulassung der AS-Stellen, die den im Richtlinienvorschlag geforderten Kriterien entsprechen, aber auch für die einheitliche und kostenfreie Kennzeichnung derjenigen Unternehmer, die sich dem AS-System anschließen, zu schaffen.

1.4   Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass AS-Systeme auch auf kollektive Streitigkeiten Anwendung finden können, als ersten Schritt zur konkreten Ausgestaltung eines Rechtsinstruments für Sammelklagen in der EU, empfiehlt jedoch, diese Möglichkeit in den Artikeln der Richtlinie klar zu erläutern und ihre Funktionsweise entsprechend festzulegen.

1.5   Der Ausschuss bekräftigt in diesem Zusammenhang jedoch, dass die EU dessen ungeachtet dringend ein harmonisiertes Rechtsinstrument für Sammelklagen auf EU-Ebene benötigt, für das die eventuelle Ausdehnung der AS-Systeme auf kollektive Streitigkeiten kein Ersatz sein kann.

1.6   Der Ausschuss stimmt den in den Artikeln 7, 8 und 9 des Vorschlags festgelegten Grundsätzen zu, empfiehlt jedoch, im Sinne der Klarheit und der Rechtssicherheit auch die in den Empfehlungen enthaltenen Definitionen der Grundsätze der kontradiktorischen Verfahrensweise und der Vertretung zu übernehmen und ausdrücklich die Möglichkeit zu gewährleisten, dass sich die Parteien durch Rechtsanwälte oder Dritte - namentlich Verbraucherverbände - vertreten lassen.

1.7   Der EWSA empfiehlt weiterhin, das Prinzip der Unabhängigkeit nicht durch einen vagen Grundsatz der „Unparteilichkeit“ zu ersetzen, der inhaltlich nicht identisch, unschärfer sowie anders geartet ist.

1.8   Der EWSA hat Vorbehalte dagegen, dass diese Systeme auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher zuständig sein sollen. Unter Berücksichtigung der Bestimmungen des „Small Business Act“ sollten KMU jedoch in ganz bestimmten Fällen und nach noch festzulegenden Bedingungen bei Streitigkeiten mit Verbrauchern die Möglichkeit des Rückgriffs auf alternative Streitbeilegungssysteme haben.

1.9   Der EWSA betont, dass obligatorische AS-Systeme, die gemäß den nationalen Rechtstraditionen in einzelnen Mitgliedstaaten bestehen oder geschaffen werden, durch den Vorschlag keinesfalls in Frage gestellt werden dürfen.

Dass die Entscheidungen der alternativen Streitbeilegung für die Parteien unverbindlich sein sollen, ist für den Ausschuss nur dann akzeptabel, wenn nicht ausgeschlossen ist und sogar ausdrücklich garantiert wird, dass die Parteien bei den zuständigen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit Rechtsmittel einlegen können.

1.10   Der EWSA empfiehlt, den im Vorschlag für die OS-Verordnung enthaltenen Verweis auf den absoluten Vorrang des Rechts auf Zugang zur Justiz in gleicher Form auch in diesen Vorschlag aufzunehmen, denn die alternative Streitbeilegung kann weder ein Ersatz für noch ein echte Alternative zur ordentlichen Gerichtsbarkeit sein, sondern nur eine wertvolle Ergänzung für die Beilegung von Streitigkeiten.

1.11   Der EWSA empfiehlt, die Frage der Finanzierung dieser Systeme ausdrücklich und mutig anzugehen, da die Verbraucherorganisationen und einige Mitgliedstaaten aufgrund knapper Mittel nicht in der Lage sind, die Mehrkosten für die Umsetzung aufzubringen, dies aber eine für die Gewährleistung der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Systeme entscheidende Frage ist.

1.12   Nach Ansicht des EWSA sollten mehrere Bestimmungen überprüft und ggf. nachgebessert werden, um sie klarer, eindeutiger und wirksamer zu fassen, und empfiehlt der Kommission, diesbezüglich seine besondere Bemerkungen zu berücksichtigen.

2.   Zusammenfassung des Vorschlags

2.1   In Anbetracht der Tatsache, dass ein großer Teil der europäischen Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt auf Probleme stößt, die sehr oft noch ungelöst sind;

angesichts dessen, dass die Empfehlungen 98/257/EG (1) und 2001/310/EG (2) nicht gegriffen haben und es weiter Lücken, ein mangelndes Bewusstsein bei den Betroffenen und ungleiche Verfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten gibt;

unter Berücksichtigung des Tenors und der Schlussfolgerungen der zahlreichen Studien, die im Laufe der Jahre zu diesem Thema erstellt wurden;

ausgehend von den Ergebnissen der letzten, im Januar 2011 eingeleiteten öffentlichen Konsultation sowie der Folgenabschätzung SEC (2011) 1408 final vom 29.11.2011;

will die Kommission mit diesem Richtlinienvorschlag:

a)

gewährleisten, dass alle den Verkauf von Waren oder die Bereitstellung von Dienstleistungen betreffenden Streitigkeiten zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer in allen Branchen und unabhängig davon, ob der Verbraucher oder der Unternehmer die Beschwerde eingelegt hat, einer Stelle zur alternativen Streitbeilegung (AS-Stelle) vorgelegt werden können;

b)

sicherstellen, dass die Verbraucher in grenzübergreifenden verbraucherrechtlichen Streitigkeiten Unterstützung erhalten;

c)

dafür sorgen, dass AS-Stellen bestimmten Grundsätzen wie „Unparteilichkeit, Transparenz, Effektivität und Fairness“ entsprechen und weitgehend „kostenlos“ arbeiten;

d)

in jedem Mitgliedstaat eine Behörde mit der Überwachung der Arbeit sämtlicher dort tätigen AS-Stellen beauftragen;

e)

dafür Sorge tragen, dass die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Informationspflichten gegenüber den Verbrauchern und gegen die Meldepflichten gegenüber den zuständigen Behörden festlegen;

f)

den Mitgliedstaaten nicht das Recht verwehren, AS-Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen mehreren Unternehmern beizubehalten oder einzuführen;

g)

den Mitgliedstaaten nicht das Recht verwehren, AS-Verfahren zur gemeinsamen Beilegung mehrerer ähnlicher Streitigkeiten zwischen einem Unternehmer und mehreren Verbrauchern (Kollektivinteressen) beizubehalten oder einzuführen;

h)

darauf hinwirken, dass die Mitgliedstaaten AS-Stellen einrichten, welche auch für Unternehmer aus anderen Mitgliedstaaten zuständig sind.

2.2   Zu diesem Zweck will die Kommission die genannten Empfehlungen in eine Richtlinie überführen und deren Bestimmungen damit verbindlichen Charakter verleihen, wobei als Rechtsgrundlage ausschließlich Artikel 114 AEUV (Vollendung des Binnenmarktes) herangezogen wird.

2.3   In der Richtlinie werden jedoch die Unternehmer weder zur Teilnahme an AS-Verfahren verpflichtet noch sind die Ergebnisse dieser Verfahren für sie verbindlich.

2.4   Die vorgeschlagene Richtlinie soll Vorrang vor anderen EU-Rechtsvorschriften haben, die Bestimmungen enthalten, die auf die Förderung der Einrichtung von AS-Stellen abzielen, aber nur soweit diese Rechtsvorschriften nicht zumindest ein entsprechendes Verbraucherschutzniveau gewährleisten.

2.5   Die Richtlinie soll für alle Stellen gelten, die auf Dauer eingerichtet sind und die Beilegung einer Streitigkeit in einem AS-Verfahren anbieten. Das gilt auch für institutionalisierte, nicht ad hoc geschaffene Schlichtungsverfahren.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA hat in den letzten Jahren in zahlreichen Stellungnahmen wiederholt gefordert, die Empfehlungen 98/257/EG und 2001/310/EG als verbindliche Rechtsvorschriften festzuschreiben, und begrüßt daher diese Initiative der Kommission, zu der er neben den nachstehenden Bemerkungen jedoch auch einwendet, dass sie spät kommt. Er wirft zudem die Frage auf, ob statt einer Richtlinie nicht das Rechtsinstrument einer Verordnung hätte gewählt werden können oder sollen, da dieses mehr Sicherheit bietet.

3.2   Auch in Bezug auf die Rechtsgrundlage vertritt der EWSA die Ansicht, dass es hier neben der bloßen Vollendung des Binnenmarktes auch um ein Instrument des Verbraucherschutzes geht, weshalb als Rechtsgrundlage am besten – soweit nicht Artikel 81 herangezogen wird – Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 4 des Vertrages (statt bloß Artikel 114) sowie auch die Artikel 38 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eignen würden.

3.3   Er begrüßt, dass Verfahren, die eine gütliche Beilegung von verbraucherrechtlichen Streitigkeiten nur vortäuschen, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind. Bei diesen Verfahren handelt es sich nämlich lediglich um einen Marketingtrick, da die zuständigen Stellen in diesem Fall unmittelbar vom Unternehmer abhängen und vergütet werden und daher keine Garantien hinsichtlich ihrer Ermessensfreiheit und Unabhängigkeit bieten. Um hier keine Zweifel aufkommen zu lassen, schlägt der Ausschluss die Schaffung eines „europäischen Konformitätsrahmens“ für die Zulassung der AS-Stellen vor, die den im Richtlinienvorschlag geforderten Kriterien entsprechen (in Anlehnung an den in Spanien bestehenden „Vertrauensrahmen“), aber auch für die einheitliche und kostenfreie Kennzeichnung derjenigen Unternehmer, die sich dem AS-System anschließen und so das Vertrauen der Verbraucher gewinnen.

3.4   Der Ausschuss befürwortet, dass die Definition des Begriffs Verbraucher im Einklang mit der neuen Verbraucherrechterichtlinie (3) auf Verträge mit doppelten Zweck ausgedehnt wird, bei denen der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegt, und spricht sich dafür aus, dass diese Definition auch ausdrücklich in die Artikel der Richtlinie aufgenommen wird.

3.5   Der Ausschuss begrüßt die Bestrebungen, den Tätigkeitsbereich des AS-Systems auf grenzüberschreitende Streitigkeiten auszudehnen, und hofft, dass die Kommission die Bedingungen dafür schafft, dass diese Fälle auch tatsächlich im Rahmen der alternativen Streitbeilegung behandelt werden können, was vor allem durch Online-Streitbeilegung und Stärkung der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten geschehen könnte (4). Er empfiehlt jedoch der Kommission, in Anlehnung an die Artikel 4 bis 6 der vorgeschlagenen OS-Verordnung mindestens einmal im Jahr eine Versammlung der in Artikel 15 des Richtlinienvorschlags genannten zuständigen nationalen Behörden einzuberufen, um einen Austausch bewährter Verfahren und eine Erörterung wiederkehrender Probleme in der Funktionsweise der AS-Systeme zu ermöglichen.

3.6   Der EWSA begrüßt die Möglichkeit, dass AS-Systeme auch auf kollektive Streitigkeiten Anwendung finden können, als ersten Schritt zur konkreten Ausgestaltung eines Rechtsinstruments für Sammelklagen in der EU, hätte es aber vorgezogen, wenn diese Möglichkeit in den Artikeln der Richtlinie ausdrücklich erwähnt und ihre Funktionsweise entsprechend festgelegt worden wäre, anstatt dies dem Gutdünken der Mitgliedstaaten zu überlassen. Der Ausschuss bekräftigt in diesem Zusammenhang seinen über Jahre hinweg in diversen Stellungnahmen vorgebrachten Standpunkt, dass die EU dringend ein harmonisiertes Rechtsinstrument für Sammelklagen auf EU-Ebene benötigt, für das die Ausdehnung der AS-Systeme auf kollektive Streitigkeiten kein Ersatz sein kann.

3.7   Nach Ansicht des Ausschusses muss dafür Sorge getragen werden, dass die mit der Verwaltung und Abwicklung der alternativen Streitbeilegung betrauten Personen (Beamte, Mediatoren oder auch Schiedsrichter) über die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten, Erfahrung und Kompetenzen auf persönlicher und fachlicher Ebene verfügen, um ihre Aufgaben sachgerecht und unparteiisch wahrzunehmen. Zudem müssen die Bedingungen dafür garantiert werden, dass diese Personen ihre Aufgaben frei und unabhängig erfüllen können. Der EWSA hätte es daher begrüßt, wenn diese Bedingungen in der vorgeschlagenen Rechtsvorschrift näher dargelegt worden wären, um EU-weit gleiche Kriterien zu gewährleisten.

3.8   Der Ausschuss stimmt den in den Artikeln 7, 8 und 9 des Vorschlags festgelegten Grundsätzen für die Funktionsweise der alternativen Streitbeilegung zu, welche einige der in den weiter oben angeführten Empfehlungen bereits enthaltenen Prinzipien aufgreifen. Er wirft jedoch Frage auf, warum bestimmte in diesen Empfehlungen niedergelegte Prinzipien wie die Grundsätze der Rechtmäßigkeit und der Handlungsfreiheit in dem Vorschlag weggefallen sind.

Im Sinne der Klarheit und der Rechtssicherheit empfiehlt der Ausschuss, die eigenständigen Definitionen der Grundsätze der kontradiktorischen Verfahrensweise und der Vertretung beizubehalten und entsprechend die Möglichkeit zu regeln, dass sich die Parteien durch Rechtsanwälte oder Dritte - namentlich Verbraucherverbände - vertreten lassen (statt darauf nur andeutungsweise in Art. 8 Buchst. (a) und Art. 9 Abs. 1 Buchst. (a) einzugehen).

Auch die Tatsache, dass das Prinzip der Unabhängigkeit durch den vagen Grundsatz der „Unparteilichkeit“ ersetzt wurde, der inhaltlich nicht identisch, unschärfer sowie anders geartet ist, kann vom Ausschuss nicht akzeptiert werden.

3.9   Der EWSA hat Vorbehalte dagegen, dass diese Systeme auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher zuständig sein sollen, und zwar nicht nur deshalb, weil dies der Tradition der in der Mehrheit der Mitgliedstaaten bestehenden Systeme und auch der kontinuierlichen Grundrichtung der von Kommission und EP in den letzten Jahren diesbezüglich vorgebrachten Standpunkte zuwiderläuft, sondern auch und vor allem deshalb, weil dadurch den Stellen der alternativen Streitbeilegung die Klärung von Fragen wie Nichtzahlung übertragen würde. Damit würde das bestehende Verfahren übergangen, das sich die EU für die Regelung kleinerer Forderungen gegeben hat, und die AS-Stellen würden unter einer Flut von Beschwerden ersticken, für deren Behandlung sie nicht ausreichend gerüstet sind.

Unter Berücksichtigung der Bestimmungen des „Small Business Act“ sollten KMU jedoch unter genau festzulegenden Bedingungen bei ihren Streitigkeiten mit Verbrauchern in Bezug auf die Nichtabholung von Lieferungen, Nichtabholung von Reparaturen oder das Nichterscheinen bei Vorbestellungen die Möglichkeit des Rückgriffs auf ein alternatives Streitbeilegungssystem haben.

3.10   Nach Ansicht des Ausschusses dürfen obligatorische AS-Systeme, die gemäß den nationalen Rechtstraditionen in einzelnen Mitgliedstaaten bestehen oder geschaffen werden, durch den Vorschlag auf keinen Fall in Frage gestellt werden.

3.11   Dass die Entscheidungen der alternativen Streitbeilegung für die Parteien unverbindlich sein sollen, ist für den Ausschuss nur dann akzeptabel, wenn das Grundprinzip, wonach die Verbraucher bzw. die Unternehmer bei den zuständigen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit Rechtsmittel einlegen können, ausdrücklich garantiert wird. Ansonsten würde nämlich nicht nur die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der alternativen Streitbeilegung völlig untergraben, sondern es ist auch schwer nachvollziehbar, wie Entscheidungen institutionalisierter Schiedsgerichte oder vergleichbarer Stellen, die ja gerichtliche Entscheidungen sind, dann noch in dieses System passen sollen.

3.12   Der EWSA bedauert, dass die Kommission den im Vorschlag für die OS-Verordnung enthaltenen Verweis auf den absoluten Vorrang des Rechts auf Zugang zur Justiz nicht in gleicher Form auch in diesen Vorschlag aufgenommen hat, denn die alternative Streitbeilegung kann weder ein Ersatz für noch ein echte Alternative zur ordentlichen Gerichtsbarkeit sein, sondern nur eine wertvolle Ergänzung für die Beilegung von Streitigkeiten (5).

3.13   Der EWSA stellt mit Verwunderung fest, dass die Frage der Finanzierung dieser Systeme weder in der Begründung des Richtlinienvorschlags noch im Verbraucherprogramm 2014-2020 ausdrücklich und mutig angegangen wurde, obgleich ihr die Verbraucherorganisationen in der durchgeführten Konsultation große Bedeutung beigemessen haben. Einige Mitgliedstaaten sind aufgrund knapper Mittel nicht in der Lage, die Mehrkosten für neue Strukturen, Ausbildung von Mediatoren und anderen Verwaltungsbediensteten zur Unterstützung, Information und Betreuung der Verbraucher, Anfertigung von Gutachten und für neue verwaltungstechnische Aufgaben aufzubringen. Die Finanzierung wurde aber durchweg als für die Gewährleistung von Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Systems entscheidende Frage angesehen (6).

3.14   Der EWSA empfiehlt schließlich der Kommission (soweit sie das nicht getan hat), die wichtigsten in den einzelnen Mitgliedstaaten verfolgten rechtlichen Ansätze zur Umsetzung der Richtlinie 2008/52/EG (7) über die Mediation in Zivil- und Handelssachen (Artikel 12) zu bewerten, wie das vom EP angeregt wurde (8).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Art. 2 Abs. 2 Buchst. (a)

Die Formulierung „ausschließlich vom Unternehmer beschäftigt werden“ ist schwammig und mehrdeutig. Sie sollte durch folgende Formulierung ersetzt werden: „in den letzten drei Jahren zum Unternehmer in einem beruflichen Verhältnis wirtschaftlicher oder sonstiger Abhängigkeit stehen bzw. gestanden haben, das ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte“.

4.2   Art. 4 Buchst. (e)

Die Definition ist zu vage und unbestimmt. Sie sollte durch einen klaren Verweis ergänzt werden, wonach die Grundsätze eingehalten werden müssen, die für die Funktionsweise der AS-Stellen und für die Zulassung als Mitglied des Netzes anerkannter AS-Stellen gelten.

4.3   Art. 5 Abs. 3

Der EWSA versteht die Tragweite dieser Bestimmung nicht ganz, befürchtet aber, dass diese nicht die gewollte Effizienz bringt und, anstatt durch eine gemeinsame Funktionsweise aller AS-Stellen auf europäischer und nationaler Ebene nach dem Prinzip gemeinsamer und gleicher Systeme die angestrebte Harmonisierung zu fördern, mit dazu führen wird, dass die Mitgliedstaaten ihre derzeitigen Strukturen beibehalten und nur rein formal eine ergänzende Stelle schaffen, die die derzeit bestehenden geografischen und sektorspezifischen Probleme in der Praxis nicht lösen wird.

4.4   Artikel 6

Der EWSA würde es begrüßen, wenn die Organisationen zur Vertretung der Unternehmer und der Verbraucher aktiv am Prozess der Festlegung und Überprüfung der Anforderungen bezüglich des Fachwissens und der Unparteilichkeit und insbesondere an der Auswahl und Benennung der einzelnen für die Streitbeilegung zuständigen Personen beteiligt würden und diese Aufgabe nicht den Bürokraten und Beamten der Verwaltungen der Mitgliedstaaten überlassen würde.

4.5   Artikel 7

In dem Vorschlag sollten nicht nur die entsprechenden Mittel festgelegt, sondern auch Ergebnisse vorgegeben werden. D.h. es ist nachzuweisen, dass die Tätigkeit der AS-Stellen zu quantifizierbaren Ergebnissen in Bezug auf die Branchen mit den meisten Beschwerden und auf die Qualität der von den Unternehmern erbrachten Dienstleistungen führt und das Vertrauen in die AS-Verfahren und ihre Inanspruchnahme durch die Stellen selbst aktiv gefördert wird.

Überdies erachtet es der Ausschuss als grundlegend, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die AS-Stellen Informationen über die von ihnen erbrachten Dienste (in den Bereichen Information, Mediation, Schlichtung und Schiedsverfahren), über die eingesetzten Finanzmittel (was die notwendige Transparenz der Stellen selbst gewährleistet und das Verbrauchervertrauen stärkt) und über den Zufriedenheitsgrad der Nutzer dieser Stellen verbreiten.

In Bezug auf Absatz 2 dieses Artikels ist der EWSA jedoch der Ansicht, dass die AS-Stellen nicht nur die jährlichen Tätigkeitsberichte, sondern über ihre eigenen Informationskanäle auch ihren Jahreshaushaltsplan und eine Zusammenfassung ihrer Schiedssprüche veröffentlichen sollten, wobei die einschlägigen nationalen Datenschutzvorschriften (mit denen die Richtlinie 95/46/EG umgesetzt wird) zu beachten sind.

4.6   Artikel 9

Der EWSA anerkennt zwar die Bedeutung der Grundsatzes der Fairness, bemängelt aber, dass der in der Empfehlung der Kommission vom 30. März 1998 enthaltene Grundsatz der Rechtmäßigkeit in diesem Vorschlag nicht mehr auftaucht (9). Das Fehlen dieses Grundsatzes in den Bestimmungen der Richtlinie könnte sich im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr nachteilig auf die Verbraucher auswirken, wenn das Recht des Wohnsitzstaates des Verbrauchers einen stärkeren Schutz vorsieht als das Recht des Staates, in dem die AS-Stelle ihren Sitz hat. Der EWSA bekräftigt, dass der Grundsatz der Rechtmäßigkeit in diese Richtlinie aufgenommen werden sollte, um sicherzustellen, dass die Entscheidungen der AS-Stellen den Verbraucher gegenüber dem Schutzniveau des geltenden Rechts nicht schlechter stellen.

4.7   Artikel 10

Der EWSA befürchtet, dass in diesem Artikel enthaltenen mehrdeutigen Formulierungen den Verbraucher dazu veranlassen könnten zu glauben, dass eine bestimmte Streitigkeit durch eine AS-Stelle beigelegt werden könnte, wobei sich aber der Unternehmer in Wirklichkeit darauf beschränkt, über das Bestehen solcher Stellen zu informieren, obwohl er ihre Zuständigkeit in Bezug auf gegen ihn erhobene Beschwerden möglicherweise gar nicht anerkennt.

Der EWSA fordert die Kommission auf, eine Bestimmung in den Vorschlag aufzunehmen, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der Unternehmer diese Information unmittelbar vor Vertragsabschluss zur Verfügung stellt, was es dem Verbraucher gestatten würde, eine auf der Grundlage von Informationen gereifte Entscheidung zu treffen und vorab zu wissen, ob der Unternehmer die Entscheidungen der AS-Stellen anerkennt.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Nichteinhaltung oder unzulängliche Erfüllung der unter Absatz 2 genannten Pflichten als unlautere Geschäftspraktik angesehen und als solche in die Liste im Anhang zur Richtlinie 2005/29/EG aufgenommen werden, und zwar unbeschadet der in Artikel 18 des Vorschlags vorgesehenen Sanktionen.

4.8   Artikel 15 bis 17

Der EWSA befürchtet, dass sich diese Bestimmungen als unzureichend herausstellen könnten, wenn es darum geht sicherzustellen, dass die AS-Stellen diese Anforderungen auch vollends erfüllen, da diese Bestimmungen ausnahmslos auf Kriterien basieren, die sich aus der Selbsteinschätzung der Stellen ergeben. Vor diesem Hintergrund ist es unverzichtbar, dass die Kommission die direkte Beteiligung der Zivilgesellschaft durch Einbeziehung der repräsentativen Gremien der jeweiligen Branche in die Beurteilung dieser Stellen fördert (10).

Brüssel, den 28. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. L 115 vom 17.4.1998, S. 31.

(2)  ABl. L 109 vom 19.4.2001, S. 56.

(3)  Richtlinie 2011/83/EU (ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 64), Stellungnahme des EWSA: ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 54.

(4)  Insbesondere im Bereich der Verordnung 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden; vgl. Stellungnahme des EWSA, ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 69.

(5)  Im OS-Verordnungsvorschlag heißt es wörtlich: „Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und das Recht auf ein unparteiisches Gericht gehören zu den durch Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechten. Verfahren zur Online-Streitbeilegung dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie gerichtliche Verfahren ersetzen oder Verbrauchern oder Unternehmern das Recht nehmen, den Schutz ihrer Rechte vor Gericht einzufordern. Diese Verordnung sollte daher die Parteien in keiner Weise daran hindern, ihr Recht auf Zugang zum Gerichtssystem wahrzunehmen.“

(6)  Der EWSA erarbeitet derzeit eine Stellungnahme dazu (INT/608).

(7)  ABl. L 136 vom 24.5.2008, S. 3, Stellungnahme des EWSA: ABl. C 286 vom 17.11.2005, S. 1.

(8)  Bericht über die Umsetzung der Richtlinie über Mediation in den Mitgliedstaaten, A7-0275/2011, Berichterstatterin: Arlene McCarthy.

(9)  In dieser Empfehlung heißt es: „[Bei grenzübergreifenden Rechtsstreitigkeiten] darf die Entscheidung der Einrichtung nicht zur Folge haben, daß der Verbraucher in den in Artikel 5 des Übereinkommens von Rom […] genannten Fällen den Schutz verliert, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, gewährt wird.“.

(10)  Wie das zum Beispiel in Italien im Energiesektor der Fall ist. Obgleich es sich in diesem Fall um eine öffentliche AS-Stelle handelt, wird diese von Vertretern der Verbraucher und von den Energieunternehmen verwaltet und betrieben, wobei Erstere aktiv an der Ausbildung der Fachleute dieser Stelle beteiligt sind.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgenden Ziffern der Stellungnahme der Fachgruppe wurden gemäß den vom Plenum angenommenen Änderungsanträgen geändert, obwohl ihre Beibehaltung in der ursprünglichen Fassung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

a)   Ziffer 1.8:

Der EWSA spricht sich dagegen aus, dass diese Systeme auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher zuständig sein sollen.

b)   Ziffer 3.9:

Der EWSA spricht sich dagegen aus, dass diese Systeme auch für Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher zuständig sein sollen, und zwar nicht nur deshalb, weil dies der Tradition der in der Mehrheit der Mitgliedstaaten bestehenden Systeme und auch der kontinuierlichen Grundrichtung der von Kommission und EP in den letzten Jahren diesbezüglich vorgebrachten Standpunkte zuwiderläuft, sondern auch und vor allem deshalb, weil dadurch den Stellen der alternativen Streitbeilegung die Klärung von Fragen wie Nichtzahlung übertragen würde. Damit würde das bestehende Verfahren übergangen, das sich die EU für die Regelung kleinerer Forderungen gegeben hat, und die AS-Stellen würden unter einer Flut von Beschwerden ersticken, für deren Behandlung sie nicht ausreichend gerüstet sind.

Gemäß Artikel 51 Absatz 4 der Geschäftsordnung wurden die Änderungsanträge zusammen behandelt.

Ergebnis der Abstimmung über die Änderungsanträge:

Ja-Stimmen

:

80

Nein-Stimmen

:

52

Enthaltungen

:

19


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