EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52006AE0731

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung von Perfluorooctansulfonaten (Änderung der Richtlinie 76/769/EWG des Rates) KOM(2005) 618 endg. — 2005/0244 (COD)

ABl. C 195 vom 18.8.2006, p. 10–13 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

18.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 195/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung von Perfluorooctansulfonaten (Änderung der Richtlinie 76/769/EWG des Rates)“

KOM(2005) 618 endg. — 2005/0244 (COD)

(2006/C 195/03)

Der Rat beschloss am 2. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 25. April 2006 an. Berichterstatter war Herr SEARS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 427. Plenartagung am 17./18. Mai 2006 (Sitzung vom 17. Mai) mit 126 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Vorschlag folgt auf eine Ankündigung des führenden Herstellers von Perfluorooctansulfonaten (PFOS), dass die Herstellung und das Inverkehrbringen von Verbrauchererzeugnissen, die diese Stoffe enthalten, eingestellt werde. Diese Entscheidung begründete der Hersteller mit einer möglichen Gesundheits- und Umweltgefährdung. Seither wurden diese Risiken zahlenmäßig erfasst und die Richtigkeit der Entscheidung in Bezug auf den fraglichen Endverbrauch bestätigt. Die größte Gefahr ist somit gebannt; es geht in diesem Richtlinienvorschlag darum sicherzustellen, dass dieses Problem nicht erneut auftritt. In der Zwischenzeit muss der Bedarf anderweitiger Nutzer abgesichert werden, bis Ersatzstoffe oder neue Herstellungsverfahren zur Verfügung stehen und/oder bis die Ergebnisse einer umfassenden Verträglichkeitsprüfung vorliegen.

1.2

Der EWSA befürwortet den Vorschlag. Dies gilt vor allem für die Beschränkung des Inverkehrbringens und der Verwendung von PFOS und verwandten Stoffen, die Ausnahmen für die angegebenen anderweitigen Endverbrauchsarten und die Notwendigkeit einer weiteren wissenschaftlichen Untersuchung.

1.3

Der EWSA stellt fest, dass die Endverbrauchsarten, für die Ausnahmen zugelassen werden müssen, erhebliche Unterschiede aufweisen, und zwar in Bezug auf die verwendete Menge, auf Wahrscheinlichkeit und Umfang einer Gefährdung von Menschen und Umwelt und auf die Zeit, die zur Ermittlung, Entwicklung und Genehmigung geeigneter und sicherer Stoffe oder Herstellungsverfahren benötigt wird. Daher ist der EWSA der Auffassung, dass die Kommission die Ausnahmen auf Anraten des Wissenschaftlichen Ausschusses „Gesundheits- und Umweltrisiken“ (SCHER) jeweils einzeln einer Überprüfung unterziehen sollte. Der Punkt „besondere Bemerkungen“ enthält Angaben zu den Faktoren dieser Überprüfung. Der Zeitplan für etwaige Risikobewertungen oder Verträglichkeitsprüfungen sollte mit dem steigenden Bedarf an Risikobewertungen für Chemikalien im Zuge der Verordnung zu chemischen Stoffen „REACH“ vereinbar sein. Zur rechtzeitigen und sachkundigen Erfüllung dieser Obliegenheiten ist eine anhaltende Bereitstellung ausreichender kommissionseigener Ressourcen unerlässlich.

1.4

Der EWSA merkt an, dass sich die oben beschriebenen Maßnahmen als Reaktion auf eine unerwartete Veränderung der äußeren Umstände vom üblichen Verfahren eines Risikomanagements unterscheiden, bei dem Maßnahmen auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten durchgeführten Risikobewertungen derjenigen Stoffe festgelegt werden, deren Untersuchung gemäß einer zuvor ermittelten Rangfolge von hoher Priorität ist. Die hier in Frage stehende Herangehensweise wird jedoch durch REACH voraussichtlich — und wie beabsichtigt — des Öfteren auftreten. Ein angemessenes, tragbares und wirksames Ergebnis für PFOS sollte als Modell für die künftige Anwendung von REACH dienen.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1

Der Vorschlag der Kommission beruht auf einer im November 2002 abgeschlossenen Gefahrenbeurteilung der OECD sowie auf einem im Juli 2005 fertiggestellten Risikobewertungsbericht des Vereinigten Königreichs. Diese und andere, vorwiegend US-amerikanische Untersuchungen wurden nach der Ankündigung des Herstellers „3M“ vom 16. Mai 2000 durchgeführt, auf PFOS und verwandte Stoffe bei deren Hauptanwendung zu verzichten, die darin besteht, Textilien, Teppiche, Papier und allgemein Beschichtungen fett-, öl- und wasserfest zu machen.

2.2

Die Kommission folgt der Stellungnahme des SCHER vom 18. März 2005, die besagt, dass die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse trotz der Beschränkungen in Bezug auf die für diese Stoffe verfügbaren Testmethoden belegen, dass PFOS sehr persistent, hochgradig bioakkumulierbar und potenziell giftig und Maßnahmen zur Risikobegrenzung zur Verhinderung einer erneuten breiten Verwendung gerechtfertigt sind.

2.3

Die Kommission und der SCHER stimmen außerdem darin überein, dass es bestimmte Anwendungen in kleineren Mengen gibt, für die noch keine brauchbaren Ersatzerzeugnisse bzw. -verfahren zur Verfügung stehen. Da von der weiteren Verwendung von PFOS und verwandten Stoffen in diesen restlichen Anwendungen anscheinend keine zusätzlichen Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ausgehen, sollten Ausnahmen von der allgemeinen Vermarktungs- und Verwendungsbeschränkung zugelassen werden. In dem Vorschlag werden die Endverbrauchsarten, für die Ausnahmen gelten müssen, aufgeführt und erörtert.

2.4

Es werden weitere Untersuchungen zu Expositionen, Quellen und Wegen sowie physikalisch-chemischen Parametern dieser Stoffe im Rahmen des Forschungsrahmenprogramms (PERFORCE) benötigt.

2.5

Durch den Vorschlag soll ein hohes Maß an Gesundheits- und Umweltschutz gewährleistet werden. Der Binnenmarkt für solche Erzeugnisse bleibt erhalten. Der Kostenaufwand für die betroffenen Branchen soll sehr gering sein. Konsultationen haben in großem Umfang stattgefunden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Fluorierte Chemikalien wurden in den späten Vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt und in zunehmenden Mengen dazu verwendet, inerte Flüssigkeiten mit geringer Oberflächenspannung (gut verteilbar) oder feste Oberflächen mit bestimmten Eigenschaften (gewöhnlich nicht haftend) zu erzeugen. Eine Untergruppe hiervon, nämlich PFOS-Erzeugnisse, wurden von Unternehmen wie „3M“ entwickelt, um eine Reihe von Anwendungen für Industrie und Verbraucher fett-, öl- und wasserfest zu machen. Bis zum Jahr 2000 wurden jährlich ca. 4.500 Tonnen in Erzeugnissen wie dem Mittel zur Teppich- und Stoffpflege von „3M Scotchgard™“ verarbeitet und in Verkehr gebracht. Nach dem Verzicht auf PFOS-enthaltende Stoffe wurden für diese Erzeugnisse andere fluorierte Chemikalien mit oberflächenaktiven Eigenschaften verwendet, die eine geringere Belastung für Gesundheit und Umwelt darstellen.

3.2

Wie der Name „Perfluorooctansulfonate“ besagt, handelt es sich um Erzeugnisse, bei denen alle („per“) Wasserstoffatome auf einer achtgliedrigen („octan“) Kohlenstoffkette durch Fluoratome („fluoro“) und eine SO3-Gruppe („sulfonate“) ersetzt wurden, um ein stabiles, negativ geladenes Teil (ein Anion) zu formen, das wiederum in Verbindung mit Metallen wie Lithium, Natrium oder Kalium bzw. mit anderen positiv geladenen Gruppen (Kationen) wie NH4 + (Ammonium) ein wasserlösliches, kristallartiges Salz bilden kann. „PFOS“ bezeichnet keinen einzelnen Stoff, sondern Bestandteile (oder Bausteine) von Stoffen gemäß den Rechtsvorschriften der EU über Stoffe und Zubereitungen. PFOS und verwandte Stoffe werden mithilfe eines bestimmten chemischen Prozesses namens „elektrochemische Fluorierung“ hergestellt.

3.3

Die Kombination aus „organischen“ (kohlenstoffbasiert, öllöslich) und „anorganischen“ (Metallsalz, wasserlöslich) Eigenschaften ist der Grund dafür, dass PFOS und verwandte Stoffe als hochwirksame oberflächenaktive Wirkstoffe (Tenside) in einer Reihe von Spezialanwendungen enthalten sind. Diese Stoffe oxidieren nicht (sie sind inert und nicht entzündlich) und widerstehen jeglichen Umwelteinflüssen (sie sind stabil und daher persistent). Aufgrund ihrer Öl- und Wasserlöslichkeit sind sie wahrscheinlich bioakkumulierbar. Ob sie für verschiedene Lebewesen giftig sind, hängt von den jeweiligen Expositionsbedingungen ab. Wie der SCHER bemerkte, führen ihre ungewöhnlichen physikalischen und chemischen Eigenschaften dazu, dass sich Labortestmethoden zur Messung der Auswirkungen auf die Umwelt als Ganzes als unzuverlässig erweisen könnten.

3.4

Vollständig fluorierte, aus einer kurzen Kette bestehende Polymere mit ähnlichen für Tenside typischen Eigenschaften wie PFOS und verwandte Stoffe, die jedoch weniger oder geringe Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt haben, können mittels eines „Telomerisation“ genannten Prozesses hergestellt werden. Diese Erzeugnisse (Telomere) werden in diesem Vorschlag nicht behandelt.

3.5

Gemäß einer Schätzung der OECD aus dem Jahre 2004, die der SCHER aufgreift, lag der jährliche Gesamtverbrauch von PFOS und verwandten Stoffen in der EU im Jahre 2 000 bei ca. 500 Tonnen, von denen 98 % zur Behandlung von Stoff, Papier oder Beschichtungen verwendet wurde. Die jährlichen Emissionen beliefen sich vermutlich auf 174 Tonnen. Bis zum Jahr 2004 hatte der weltweite Gebrauch erheblich abgenommen. Die jährlichen Emissionen in der EU wurden zu dem Zeitpunkt auf schlimmstenfalls 10 Tonnen geschätzt, wobei 9 Tonnen aus nicht regenerierten Abwässern der Galvanisierungsindustrie stammen. Neuere Erkenntnisse aus Deutschland legen nahe, dass auch hiervon viel regeneriert werden kann.

3.6

Der SCHER bemerkte darüber hinaus, dass die Analysetechniken zur Feststellung und verlässlichen Bestimmung der Konzentration von PFOS in Umweltproben erst in den letzten Jahren weit genug entwickelt wurden. Daher ist es schwierig, Veränderungen in Folge des oben genannten Rückgangs zu belegen. Der SCHER konnte aber zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die Emissionen durch eine fortgesetzte Verwendung in den Bereichen, für die Ausnahmen vorgeschlagen werden, die PFOS-Konzentration nur in örtlich begrenztem Maße beeinflussen werden, während die Auswirkungen auf die allgemeine Konzentration in der Umwelt für unwesentlich gehalten werden. Genauer gesagt sieht der SCHER nur ein geringfügiges Gesamtrisiko für Umwelt und Bevölkerung durch eine fortwährende Verwendung in der Fotografie-, Halbleiter- und Luftfahrtindustrie. Die Verwendung in der Galvanisierungsindustrie errege jedoch Bedenken und sollte eingeschränkt werden.

3.7

Bezüglich der Gefährdung am Arbeitsplatz wird eine branchenabhängige Bewertung benötigt. Im Falle der Fotografie-, Halbleiter- und Luftfahrtindustrie fällt es jedoch angesichts ihrer spezifischen Eigenschaften und den bereits bestehenden weitreichenden Gesundheitsschutzmaßnahmen schwer, in der Verwendung von PFOS und verwandten Stoffen eine zusätzliche Gefährdung am Arbeitsplatz zu erkennen. Die Verwendung in der chromverarbeitenden Industrie gibt jedoch wiederum Anlass zur Sorge. Im Falle der Feuerlöschschäume muss jeglicher Entscheidung eine Gesundheits- und Umweltrisikobewertung der vorgeschlagenen Ersatzstoffe vorangehen. Darüber hinaus muss es eine Einigung über die ordnungsgemäße Entsorgung der bestehenden Bestände und des gebrauchten Löschschaums nach Großbränden geben.

3.8

Der EWSA befürwortet die oben genannten Einzelheiten des Vorschlags und vertraut darauf, dass die nötigen Maßnahmen in den Arbeitsplänen der Kommission enthalten sein werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA unterstützt die beiden Beschränkungen in Bezug auf PFOS und verwandte Stoffe wie im Vorschlag angegeben, nämlich dass sie weder (1) als Stoff oder Bestandteil von Zubereitungen in einer Konzentration von 0,1 Massen- % oder mehr in Verkehr gebracht oder verwendet noch (2) in Erzeugnissen oder Bestandteilen von Erzeugnissen in einer Konzentration von 0,1 Massen- % oder mehr in Verkehr gebracht werden dürfen.

4.2

Der EWSA unterstützt ebenfalls die unter Absatz (3) genannte Ausnahme, dass die Absätze (1) und (2) nicht für die in dem Vorschlag aufgeführten sechs spezifischen Fälle gelten, die im Folgenden erörtert werden.

4.2.1

Fotolithografie: Hiermit wird, kurz gesagt, der Prozess bezeichnet, durch den Computerchips mit Strukturinformation versehen werden. Neue Entwicklungen in der Halbleiterherstellung benötigen hochentwickelte Verarbeitungsflüssigkeiten, um eine sehr hohe Zuverlässigkeit, Dichte und Einheitlichkeit bei der Übertragung von Strukturinformation zu ermöglichen. PFOS und verwandte Stoffe weisen einzigartige elektrochemische und oberflächenaktive Eigenschaften auf und werden von der Halbleiterindustrie als unverzichtbar angesehen. Die Verarbeitungsflüssigkeiten sind in den fertigen Erzeugnissen nicht enthalten. Sie werden von jedem Hersteller in jedem Werk und für jede Technologie aufs genaueste spezifiziert und geprüft. Da sie in „Reinräumen“, d.h. einer Fertigungsumgebung, in der jegliche Verschmutzung ausgeschlossen sein muss, verwendet werden, besteht keinerlei Möglichkeit einer Gefährdung am Arbeitsplatz. Gemäß einer Massenbilanz für die Industrie aus dem Jahre 2002 lag die jährliche Gesamtmenge der Emissionen unter 45 Kilogramm. Die Produktentwicklung dauert bis zu 10 Jahre. Trotz umfangreicher weltweiter Forschung und Entwicklung wurden für diese übrigbleibenden Verwendungen kein Ersatz gefunden. Der wahrscheinlichste Weg zur Vermeidung von PFOS und verwandten Stoffen könnte eine neue Methode der Chipherstellung sein, die noch erfunden werden muss. Ohne diese Ausnahme könnte in der EU keine Fertigung stattfinden, obwohl sie anderswo problemlos fortgesetzt werden könnte. In Anbetracht dieser Tatsachen und solange keine neuen, Besorgnis erregenden Beweise vorliegen, empfiehlt der EWSA, von der Festlegung einer zeitlichen Beschränkung dieser Ausnahme abzusehen.

4.2.2

Fotografische Beschichtungen: PFOS und verwandte Stoffe werden in konzentrierten Lösungen erworben, die dann so stark verdünnt werden, dass sie eine Reihe von Eigenschaften aufweisen, die sowohl für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz als auch für die allgemeine Produktleistungsregulierung bei professionellen fototechnischen Anwendungen unabdingbar sind. Diese erwünschten Eigenschaften umfassen die Regulierung von elektrostatischer Ladung, Reibung und Haftvermögen, Schmutz abweisende und andere oberflächenaktive, zur Hochleistungsfotoproduktion benötigte Eigenschaften. Einige Produktionstechniken beinhalten das Auftragen von 18 Schichten auf einen schnell vorübergleitenden Filmstreifen, damit eine gleichmäßige Beschichtung entsteht, die üblicherweise weniger als 0,11 Millimeter dick ist. Die verwendeten Flüssigkeiten dürfen nicht fotoaktiv sein, sie müssen jedoch die gleichmäßige Verteilung und gute Haftung der aufeinanderfolgenden Schichten ermöglichen. Die antistatischen Eigenschaften sind unerlässlich, um das Feuer- und Explosionsrisiko und damit die Gefahr einer Schädigung der Angestellten oder der Betriebsausrüstung so gering wie möglich zu halten. Die Verwendung von PFOS und verwandten Stoffen ist in den letzten Jahren um mindestens 60 % zurückgegangen, was darauf zurückzuführen ist, dass sie teilweise durch weniger kritische Anwendungen ersetzt wurden und dass der Gebrauch an Filmen für viele Anwendungen im Verbraucher-, Gesundheits- und Industriebereich im Zuge der digitalen Fotografie allgemein rückläufig ist. Die übrigbleibende Verwendung belastet die Umwelt mit weniger als 8 Kilogramm jährlich. Mit der weiteren Verschiebung in Richtung digitale Fotografie steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die benötigten Mengen für die Filmherstellung weiter abnehmen, auch wenn eine bleibende Nachfrage für Fotopapier, z.B. zum Drucken digitaler Bilder, zu erwarten ist. Trotz intensiver Forschung wurde für diese wenigen verbleibenden Verwendungsarten von PFOS und verwandten Stoffen kein Ersatz gefunden. Hierzu werden neue Verfahren benötigt, die noch nicht erfunden sind und deren Entwicklung, Durchführung, Prüfung und Zulassung zehn Jahre oder länger dauern kann. Ohne diese Ausnahme könnte in der EU keine Fertigung stattfinden, obwohl sie anderswo problemlos fortgesetzt werden könnte. In Anbetracht dieser Tatsachen und solange keine neuen, Besorgnis erregenden Beweise vorliegen, empfiehlt der EWSA, von der Festlegung einer zeitlichen Beschränkung dieser Ausnahme abzusehen.

4.2.3

Antischleiermittel für das Verchromen: PFOS und verwandte Stoffe in verdünnter Lösung schützen die Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter, die mit der Dekor- oder Schutzverchromung von Untergründen aus Metall oder Kunststoff für die Automobil- und sonstige Verbraucherindustrie beschäftigt sind. Sie dienen außerdem der Reduzierung der Oberflächenspannung und als Feuchtmittel, vor allem bei der Ätzradierung von Kunststoffen. Das Arbeitsumfeld in der Chromverarbeitung ist anerkanntermaßen rau und potenziell gefährlich, besonders bei Verfahren, die auf den als krebserregend bekannten Chrom(VI)-Verbindungen beruhen. Die Unterdrückung von Schleiern und einer erhöhten menschlichen Exposition ist daher unverzichtbar. Die Situation kann durch die Anwendung von Verfahren, die auf Chrom(III)-Verbindungen beruhen, verbessert werden; diese Verfahren stehen jedoch noch nicht in vollem Umfang zur Verfügung. Unter solchen Umständen haben sich bisher nur PFOS-basierte Tenside als stabil erwiesen. Der jährliche Verbrauch in Europa betrug im Jahr 2000 nach Angaben des SCHER ca. 10 Tonnen. Die Schätzungen bezüglich der gesamten jährlichen Freisetzung in die Umwelt weichen erheblich voneinander ab, je nach dem, welche Verfahren angewendet und in welchem Maße diese in Bezug auf Emissionen, Wiederverwertung und Abfallverbrennung kontrolliert werden. Eine Schätzung der deutschen Industrie, die von den dortigen besten Verfahren ausgeht, geht davon aus, dass sich die Emissionen insgesamt auf nur 500 Kilogramm im Jahr belaufen könnten, wenn die Ergebnisse auf Europa extrapoliert werden. Werden schlechtere Technologien und Kontrollen angewendet, könnten die Emissionen höher sein. In Anbetracht der Tatsache, dass die bedeutendste fortwährende Verwendung von PFOS und verwandten Stoffen im Rahmen der Chromverarbeitung stattfindet, sich die Technologie weiterentwickelt sowie Ersatzstoffe in einem gewissen Umfang schon zur Verfügung stehen, erscheint es angemessen, eine zeitliche Begrenzung für die diesbezüglich vorgeschlagene Ausnahme festzulegen. Darüber hinaus sollten, wie vom SCHER vorgeschlagen, Analysen zur Exposition am Arbeitsplatz und Langzeitbewertungen der Umweltrisiken unverzüglich ausgeführt werden. Diese sollten in Zusammenarbeit mit der Industrie durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass die Fertigung in der EU aufrecht erhalten werden kann. Niemand kann ein Interesse daran haben, einen kritischen Arbeitsschritt in der Fertigung von Kraftfahrzeugen zu beseitigen, wenn die offensichtliche Gefahr besteht, dass die übrige Fertigung unter Umständen dann ebenfalls verlagert wird. Desgleichen muss verhindert werden, dass eine verfrühte Verbannung von PFOS-enthaltenden Antischleiermitteln zu einer erhöhten Gesundheitsgefährdung für Arbeiter führt. Der EWSA empfiehlt, dass diese Ausnahme nur für eine Zeitspanne von fünf Jahren gelten solle, nach der eine Überprüfung durch die Kommission und den SCHER folgen muss.

4.2.4

Hydraulikflüssigkeiten für die Luftfahrt: Es handelt sich um die Flüssigkeiten, mit deren Hilfe sich die Steuerungsflächen und andere Luftfahrzeugbestandteile in der gewerblichen, militärischen und allgemeinen Luftfahrt bewegen lassen. Sie werden unter extremsten Bedingungen bezüglich Temperatur und Druck eingesetzt und müssen Tag für Tag den höchsten Ansprüchen an den Flugbetrieb genügen, um die Sicherheit der Flugzeuge und Passagiere zu gewährleisten. Die weltweit gehandelten Erzeugnisse, Bestandteile und Systeme unterliegen der umfassenden Prüfung und Zertifizierung durch die Hersteller von Luftfahrzeugen und durch die betreffenden staatlichen und internationalen Behörden. Das Durchlaufen eines Zulassungsverfahrens kann für eine neue Formel gewöhnlich bis zu 20 Jahre in Anspruch nehmen. PFOS und verwandte Stoffe werden in kleinen Mengen (ca. 0,1 Massen- %) dazu gebraucht, um mechanische Teile, Ventile, Röhren und Öffnungen gegen Erosion zu schützen. Trotz umfangreicher Tests wurden bis heute keine Ersatzstoffe bzw. Hinweise auf mögliche Ersatzstoffe gefunden. Die Stoffe werden in geschlossenen Systemen unter streng kontrollierten Bedingungen verwendet. In Anbetracht dieser Tatsachen und solange keine neuen, Besorgnis erregenden Beweise vorliegen, empfiehlt der EWSA, von der Festlegung einer zeitlichen Beschränkung dieser Ausnahme abzusehen.

4.2.5

Feuerlöschschäume: Seit vielen Jahren werden fluorierte Tenside für hochspezifische Feuerlöschschäume verwendet. Weitestgehend ersetzt wurden PFOS und verwandte Stoffe in neu hergestellten Schäumen für Löscharbeiten oder zur Bereitstellung von Löschschaumbeständen für neue Bauprojekte, Flughäfen, Ölraffinerien und Chemiewerke, Marineschiffe und Öltankanlagen. Die Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt sind jedoch noch nicht umfassend bewertet worden. Alle Schäume müssen mit 15 bis 20 Jahre Garantie verkauft werden, da sie im Idealfall nie benutzt werden. Daher gibt es noch umfangreiche Bestände PFOS-enthaltender Schäume, um deren Entsorgung es jetzt in erster Linie geht. Die Tenside bewirken, dass sich wasserhaltige Schäume rasch auf der Oberfläche brennender Kohlenwasserstoffe verteilen lassen, anstatt auf den Grund zu sinken, sodass die Sauerstoffzufuhr unterbrochen und ein Wiederaufflammen verhindert wird. Tenside wie Schäume müssen unter äußersten Gebrauchsbedingungen stabil sein und dürfen nicht oxidieren. Die Festlegung der Leistungsstandards von Schäumen für verschiedene Arten von Bränden erfolgt durch staatliche und internationale Behörden. Vorräte von drei- bzw. sechsprozentigen Konzentraten werden in zentralen Lagerhäusern aufbewahrt, um im Brandfall ausgeteilt und vor Ort verdünnt zu werden. Die benötigte Menge kann recht groß sein; nach dem Brand kann ein erhebliches Entsorgungsproblem in Bezug auf das abgehende Wasser entstehen. Durch die brennenden Gegenstände, die Nebenprodukte einer unkontrollierten Verbrennung von Kohlenstoff bei niedriger Temperatur (polyaromatische Kohlenwasserstoffe und Dioxine) und die Bestandteile der Schäume wird das Abwasser zwangsläufig verschmutzt. Der noch nicht lange zurückliegende Brand in einem Vorratslager in Buncefield (UK) z.B. hinterließ 20 Millionen Liter verschmutzten Abgang. Die einzige Lösung ist das Verbrennen bei hoher Temperatur, was ineffizient und kostspielig ist, wenn das Material größtenteils aus Wasser besteht. Die jährlichen Emissionen in die Umwelt sind daher schwer zu bestimmen, da sie von der Zahl, dem Ausmaß und den Umständen der Brände abhängen. Sie sind auch vor allem davon abhängig, inwieweit die Abwässer durch Sperrwände zurückgehalten werden können. Der SCHER zitiert, dass die jährliche Freisetzung in die Umwelt in der EU unter 600 Kilogramm liegt und bemerkt, dass die tatsächliche Freisetzung niedriger liegen könnte. Der EWSA stimmt mit dem SCHER darin überein, dass die bestehenden Vorräte an PFOS-enthaltenden Schaumkonzentraten nicht verbrannt werden sollten, bis eine umfassende Auswertung anderer Möglichkeiten vorliegt. Daher empfiehlt der EWSA, die nötigen Folgenabschätzungen und Risikobewertungen so schnell wie möglich durchzuführen und die bestehenden PFOS-enthaltenden Schäume nur dort zu verwenden, wo es zur Ausführung von Löscharbeiten unbedingt notwendig ist und wo der Abgang durch Sperrwände zurückgehalten werden kann. Die Kommission sollte mit der Industrie und den zuständigen nationalen Behörden zusammenarbeiten, um eine angemessene Entsorgung der entstehenden großen Abfallmengen sicherzustellen. Angesichts der vielen Unsicherheiten sieht der EWSA keinerlei Sinn darin, diese Ausnahme zeitlich zu begrenzen. Er hält es hingegen für äußerst sinnvoll, die ausstehenden Probleme so schnell wie möglich anzugehen.

4.2.6

Andere überwachte geschlossene Systeme: Dies ist eine Standardausnahme für die Mehrheit der Stoffe (bzw. sollte es sein), die Beschränkungen bezüglich Inverkehrbringen und Verwendung durch die EU unterliegen. Unter der Voraussetzung, dass die Rohstoffe sicher dem System zugeführt und die Erzeugnisse und Abfallprodukte ihm sicher entnommen werden können, erlauben solche Systeme mit sehr geringen Emissionen eine Fortsetzung der Herstellung wichtiger Zwischenerzeugnisse mit minimalem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Eine Untersuchung der Bedingungen, unter denen die Arbeitsabläufe stattfinden, sollte zu den regelmäßigen Gesundheits- und Sicherheitsinspektionen gehören. Solange keine neuen, Besorgnis erregenden Beweise vorliegen, empfiehlt der EWSA, von der Festlegung einer zeitlichen Beschränkung dieser Ausnahme abzusehen.

4.3

Die Kommission wird weiterhin eine Schlüsselstellung in Bezug auf die Gewährleistung einer zufriedenstellenden Lösung in jedem der oben genannten Bereiche innehaben. Innerhalb und außerhalb der betroffenen Bereiche wird ein weiterführendes Forschungsprogramm benötigt, um Ersatzerzeugnisse und -verfahren zu entwickeln. Die diese Bereiche betreffenden Richtlinien sollten abgeändert werden, wenn Veränderungen in der üblichen oder vorgeschlagenen weltweiten Praxis eine Reaktion erfordern.

Brüssel, den 17. Mai 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


Top