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Document 52002AE1021

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 in Bezug auf Unterhaltssachen" (KOM(2002) 222 endg. — 2002/0110 (CNS))

ABl. C 61 vom 14.3.2003, p. 76–80 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

52002AE1021

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 in Bezug auf Unterhaltssachen" (KOM(2002) 222 endg. — 2002/0110 (CNS))

Amtsblatt Nr. C 061 vom 14/03/2003 S. 0076 - 0080


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 in Bezug auf Unterhaltssachen"

(KOM(2002) 222 endg. - 2002/0110 (CNS))

(2003/C 61/15)

Der Rat beschloss am 28. Mai 2002, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. September 2002 an. Berichterstatterin war Frau Carroll, Mitberichterstatter waren die Herren Retureau und Burnel.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 393. Plenartagung (Sitzung vom 18. September 2002) mit 129 gegen 2 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Hintergrund des Vorschlags

1.1. Im September 2001 hatte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung vorgelegt(1). Der Wirtschafts- und Sozialausschuss gab seine Stellungnahme zu diesem Vorschlag im Januar 2002 ab(2). Da dieser Vorschlag nicht das einzige Gemeinschaftsinstrument im Bereich der Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung war, hatte der Ausschuss die Kommission nachdrücklich aufgefordert, alle einschlägigen Rechtsvorschriften in einem Instrument zu konsolidieren. Der Rat hatte sich bereits der Materie angenommen, und das Ergebnis ist der vorliegende integrierte Vorschlag.

1.2. Die zunehmende Mobilität innerhalb der EU hat gleichzeitig zu einem Anstieg ehelicher und sonstiger familiärer Beziehungen zwischen Bürgern und Gebietsansässigen der EU-Mitgliedstaaten geführt. Leider war damit auch eine zunehmende Häufigkeit von Ehescheidungen, Ungültigerklärungen und Trennungen unter Beteiligung von Bürgern verschiedener Mitgliedstaaten verbunden. Gerichtliche Auseinandersetzungen oder Verwaltungsstreitigkeiten - die stets schwierig sind - können durch Zuständigkeitsfragen verkompliziert werden, wenn sich die Parteien des Verfahrens auf eine Einkaufstour nach dem günstigsten Zuständigkeitsort begeben oder versuchen, die in einem Mitgliedstaat erlassene Entscheidung in ihrem eigenen Mitgliedstaat aufheben zu lassen.

1.3. Auseinandersetzungen über das Umgangs- und/oder Sorgerecht für Kinder im Anschluss an eine Ehescheidung oder Trennung geben Anlass zu einer begrenzten wenn auch nicht vernachlässigbaren Anzahl von Fällen von Kindesentführung durch Eltern oder sonstige Verwandte sowohl in andere Mitgliedstaaten als auch Drittländer. Auch wenn keine gewaltsame Entführung vorliegt, kann das Umgangsrecht eines Elternteils durch Befürchtungen des andren Elternteils bzw. Sorgeberechtigten in der Richtung gefährdet sein, dass es für sie schwierig oder unmöglich sein könnte, wenn sie dem Kind die Erlaubnis zum Verlassen ihres eigenen Zuständigkeitsorts geben, eine Sorgerechtsentscheidung zu ihren Gunsten durchzusetzen, falls das Kind nicht zurückkehrt. Diese Überlegung ist zum Schaden des Kindes und des anderen Elternteils.

2. Geltende Rechtsvorschriften - EU-Instrumente

2.1. Das Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die Zuständigkeit und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen gilt nicht für Personenstandsachen wie Beendigung einer Ehe und die sich daraus ergebenden zivilrechtlichen Streitigkeiten bezüglich des Sorge- und Umgangsrechts für Kinder.

2.2. Das Brüsseler Übereinkommen vom 28. Mai 1998 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen gewährleistete in begrenztem Ausmaß die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung und das Sorge- und Umgangsrecht für Kinder. Dieses Übereinkommen trat jedoch nicht in Kraft und seine Bestimmungen wurden weitgehend in die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 übernommen.

2.3. Die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten ist in den Mitgliedstaaten direkt anwendbar und trat am 1. März 2001 in Kraft(3). Sie gilt nicht für Dänemark, das an der Annahme dieser Verordnung nicht mitwirkte. Der Ausschuss gab seine Stellungnahme zu diesem Vorschlag im Oktober 1999 ab(4).

2.3.1. Der Ausschuss begrüßte den Vorschlag, äußerte jedoch die Ansicht, dass sein Geltungsbereich weiter gesteckt hätte sein können. Insbesondere vertrat er die Auffassung, dass die Verordnung auf die Einbeziehung von Kindern aus früheren Ehen und Adoptivkinder ausgedehnt werden sollte. Seiner Ansicht nach eröffnete die im Vorschlag enthaltene Auffangklausel zuviel Spielraum für die Anwendung nationalen Rechts. Daher empfahl der Ausschuss diesbezüglich und in Bezug auf Verfahrensfragen eine präzisere Formulierung des Verordnungsvorschlags. Nach Ansicht des Ausschusses sollte dem wachsenden Bedürfnis der europäischen Öffentlichkeit Rechnung getragen werden, vor Gericht in allen übrigen Mitgliedstaaten über gleichwertige Garantien wie in ihrem eigenen Mitgliedstaat zu verfügen.

2.4. Unterhaltssachen sind aus dem Geltungsbereich des zu prüfenden Vorschlags ausgeklammert, da sie bereits in der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates(5) erfasst sind, die eine weiterreichende Anerkennungs- und Vollstreckungsregelung bietet. Diese Verordnung wird als getrenntes Instrument in Kraft bleiben, wobei die Zuständigkeit nach Maßgabe von Artikel 70 des zu erörternden Vorschlags abgeändert wird, um die Bestimmungen desselben zu berücksichtigen.

3. Wichtige Übereinkünfte außerhalb der EU

3.1. Das Haager Übereinkommen von 1996(6) regelt die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern. Es ist noch nicht in Kraft.

3.2. Das Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ist in allen Mitgliedstaaten in Kraft. Sein Ziel ist die sofortige Rückgabe von Kindern bis zum Alter von 18 Jahren, die rechtswidrig in einen Vertragsstaat verbracht wurden oder dort festgehalten werden, und zu gewährleisten, dass das Sorge- und Umgangsrecht gemäß den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats in den übrigen Vertragsstaaten effektiv eingehalten wird. Der zu prüfende Vorschlag ist an dem Übereinkommen von 1980 ausgerichtet, aber der Europäische Gerichtshof wird ihn bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern der Mitgliedstaaten auslegen.

4. Ein Rahmen für Verbesserungen

4.1. Ziel des zu prüfenden Vorschlags ist "die gemeinschaftsweite Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über Ehesachen und Fragen der elterlichen Verantwortung auf der Grundlage einheitlicher Zuständigkeitsregeln". Damit soll Artikel 34 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere von Oktober 1999 umgesetzt werden. Auf der Ratstagung der Justiz- und Innenminister vom 30. November 2000 wurde ein Maßnahmenprogramm zur schrittweisen Abschaffung des Exequatur-Verfahrens in vier Arbeitsbereichen angenommen: (i) Brüssel I; (ii) Brüssel II und nichteheliche Lebensgemeinschaften; (iii) vermögensrechtliche Ansprüche aus einem Eheverhältnis und vermögensrechtliche Folgen der Trennung eines unverheirateten Paares und (iv) Testamente und Nachlässe.

4.2. Eine Initiative der Französischen Republik zur Annahme einer Verordnung des Rates über die gegenseitige Vollstreckung von Entscheidungen zum Umgangsrecht mit Kindern zielt darauf ab, im Wege der Abschaffung des Exequatur-Verfahrens die Ausübung des grenzüberschreitenden Umgangsrechts mit bis zu 16 jährigen Kindern von geschiedenen oder getrennt lebenden Paaren zu erleichtern. Diese Initiative ist in den zu prüfenden Vorschlag eingearbeitet.

4.3. Im September 2001 legte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung vor, zu dem der Ausschuss im Januar 2002 seine Stellungnahme abgab. Der Ausschuss zeigte sich erfreut, in welchem Umfang seine Empfehlungen in den zu prüfenden Vorschlag eingearbeitet worden waren. Es bleibt jedoch noch die wichtige Frage zu regeln, wie nichteheliche Lebensgemeinschaften und insbesondere Kinder aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften behandelt werden sollen.

5. Bemerkungen zum Vorschlag

5.1. Die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 über Ehesachen wurden in den neuen Vorschlag übernommen, aber auf die elterliche Verantwortung ausgeweitet, indem die Voraussetzung aufgehoben wurde, dass eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen bestehen muss. Die Bestimmungen des Vorschlags über die elterliche Verantwortung orientieren sich auch an dem Haager Übereinkommen von 1996. Das Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ist bereits in sämtlichen Mitgliedstaaten in Kraft. Die neue Verordnung wird mit den Haager Übereinkommen von 1996 und 1980 nicht identisch sein, da sie strengere Zuständigkeitsvorschriften für innergemeinschaftliche Fälle einführt. Der Ausschuss begrüßt diesen breiteren Ansatz für die Durchführung des Übereinkommens.

5.2. Der Begriff "Ehesachen" umfasst Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und Ungültigerklärung einer Ehe im Rahmen von zivilgerichtlichen Verfahren oder sonstigen Verfahren, die in einem Mitgliedstaat als gleichwertig mit gerichtlichen Verfahren anerkannt sind. Der Vorschlag erstreckt sich nicht auf Maßnahmen, die infolge von Kindern begangener strafbarer Handlungen erlassen werden. Unter "elterlicher Verantwortung" sind die Rechte und Pflichten zu verstehen, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen worden sind. Der Begriff "elterliche Verantwortung" umfasst insbesondere das Sorge- und Umgangsrecht.

5.2.1. Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass der zu prüfende Vorschlag in seinem Geltungsbereich umfassender und höher gesteckt ist als die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000. Er begrüßt ferner, dass sein Geltungsbereich nicht länger auf Fragen der elterlichen Verantwortung beschränkt ist, die vor dem Erlass des endgültigen Urteils bzw. der Entscheidung im Scheidungs- oder Trennungsverfahren aufgeworfen werden. Im Einklang mit den Bestimmungen der französischen Initiative werden nunmehr auch andauernde Auseinandersetzungen einbezogen.

5.2.2. Noch zu regeln bleibt jedoch die Frage nichtehelicher Lebensgemeinschaften und im Anschluss an eine Trennung daraus entstehender Auseinandersetzungen, insbesondere in Bezug auf die elterliche Verantwortung. Der Ausschuss fordert die Kommission erneut nachdrücklich auf, Vorschläge für nichteheliche Lebensgemeinschaften vorzulegen, wie er dies bereits in seiner Stellungnahme zum Verordnungsvorschlag Nr. 1347/2000 getan hat.

5.2.3. Der Ausschuss äußert Bedenken hinsichtlich der in Artikel 1 Absatz 1 verwendeten Formulierung für den Anwendungsbereich der Verordnung. Der Wortlaut ist mehrdeutig und könnte vermuten lassen, dass alle Kinder von der Verordnung erfasst werden. Gleichermaßen könnte er jedoch bedeuten, dass nur Kinder eines verheirateten Paares oder eines der Ehegatten erfasst sind. Im Interesse der Klarheit und des weitest möglichen Anwendungsbereichs des Vorschlags empfiehlt der Ausschuss, dass der Artikel wie folgt abgeändert werden und hinsichtlich der elterlichen Verantwortung der Wortlaut sich enger an seinen Vorschlag von 2001 anlehnen sollte:

- Diese Verordnung gilt für:

(a) zivilgerichtliche Verfahren für Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe; (und)

(b) sämtliche zivilgerichtliche Verfahren in Bezug auf die Zuweisung, die Ausübung, die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung sowie deren Übertragung, ob in Verbindung mit zivilgerichtlichen Verfahren gemäß (a) oben oder sonst wie.

5.2.4. Der Ausschuss begrüßt die präziseren Begriffsbestimmungen für elterliche Verantwortung und Kindesentführung.

5.2.5. In seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag über die elterliche Verantwortung hatte der Ausschuss die Kommission nachdrücklich aufgefordert zu gewährleisten, dass das Kind in Auseinandersetzungen über das Umgangs-/Sorgerecht gehört werde. Er nimmt erfreut zur Kenntnis, dass dieser Aspekt nunmehr in dem zu prüfenden Vorschlag in Artikel 4 und insbesondere Artikel 3 berücksichtigt ist, der wie folgt lautet: "Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen". Der Ausschuss würde noch weiter gehen und sagen, jedes Kind habe Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu seiner Familie im weiteren Sinn, bspw. Geschwistern und Stiefgeschwistern, Großeltern usw.

5.2.5.1. Die Interessen des Kindes sind schwer zu bestimmen, aber zweifellos sollten sie maßgebend sein. Zwar mag es manchmal schwierig sein, das beste Interesse eines Kindes wegen dessen Alter, Unreife oder ungebührlichen elterlichen Einflusses durch Anhörung herauszufinden. Es ist aber stets wichtig anzustreben, das beste Interesse des Kindes festzustellen. Die Ansicht der (sich oft bekriegenden) Elternteile mag bei der Feststellung des besten Interesses eines Kindes nicht immer nützlich sein, da sie ihre eigenen emotionalen Bedürfnisse mit denen des Kindes verwechseln. Sie können ein Kind auch als Faustpfand benutzen.

5.2.5.2. Die Kommission sollte daher im Wege der Zusammenarbeit im europäischen justiziellen Netz Anstrengungen unternehmen, um die Ansätze in dieser Frage zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten zu koordinieren. Der Ausschuss möchte den Regierungen der Mitgliedstaaten auch empfehlen, dafür Sorge zu tragen, dass bei der Ausbildung in Rechtsberufen auch die Rechte der Kinder als Teilbereich der Persönlichkeitsrechte behandelt werden.

5.2.5.3. Das Hauptziel des zu prüfenden Vorschlags sollten jedoch zügige Verfahren sein. Nach Ansicht des Ausschusses ist eine zügige Abwicklung der Wesenskern bei der Behandlung von Fragen der elterlichen Verantwortung. Den Interessen eines Kindes, insbesondere eines Kleinkindes, ist mit langwierigen Verfahren nicht gedient, währenddessen die Erinnerung eines Kindes an dem anderen Elternteil bzw. Sorgeberechtigten verblasst.

5.2.6. Der Ausschuss nimmt das weite Spektrum von Gründen für gerichtliche Entscheidungen in Ehesachen mit Besorgnis zur Kenntnis. Ihm ist bewusst, dass unterschiedliche Rechtslagen berücksichtigt werden müssen, äußert jedoch die Hoffnung, dass es künftig möglich sein wird, die Anzahl der Gründe zu beschränken, um die höchstmögliche Klarheit und zügige Abwicklung der Verfahren zu gewährleisten.

5.2.7. Der Ausschuss begrüßt die Tatsache, dass bei gerichtlichen Entscheidungen in Verfahren über die elterliche Verantwortung (Artikel 15) der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes der normale Anknüpfungspunkt für gerichtliche Entscheidungen ist. Die begrenzten Ausnahmeregelungen für Notfälle und kurzfristige Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes und eines Inhabers der elterlichen Verantwortung im Allgemeinen dürften sinnvoll sein. Der Ausschuss hat jedoch Vorbehalte, dass der Ort, an dem sich Vermögensgegenstände des Kindes befinden, ein stichhaltiger Grund für die Verweisung an ein anderes Gericht sein sollte, auch wenn dies nur in Ausnahmefällen geschieht. Er äußert die Besorgnis, dass dieser Grund missbräuchlich vorgeschoben werden könnte und fordert nachträglich einen weitergehenden Schutz des Kindes in Bezug auf die Anführung dieses Grundes, wenn dieser nicht gänzlich aus dem Vorschlag gestrichen werden sollte.

5.2.7.1. Nach Ansicht des Ausschusses beruht der Anknüpfungspunkt Vermögensgegenstände auf einem etwas überholten Eigentumsbegriff, worunter im Allgemeinen Liegenschaften oder sonstiges Sachanlagevermögen verstanden werden, dessen Belegenheitsort von Bedeutung sein mag. Ein in einem Mitgliedstaat gelegener Trust kann jedoch bewegliches oder unbewegliches, materielles oder immaterielles Eigentum (bspw. Finanzprodukte) verwalten, das einem Kind gehört, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist oder Verbindungen zu mehreren anderen Mitgliedstaaten einschließlich Nichtmitgliedstaaten hat (bspw. irgendwelche Finanzinstrumente). Es besteht kein besonderer Grund, warum die Gerichtsbarkeit des Mitgliedstaates, in dem das Eigentum gelegen ist, in den meisten Fällen gewählt werden sollte. Falls sich ein Mitgliedstaat für die Beibehaltung dieses Grundes entscheidet, sollte absolut klargemacht werden, dass nur Eigentumsfragen betroffen sind und nicht irgendwelche andere in diesem Vorschlag angesprochene Sachbereiche.

5.2.8. Was die Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung betrifft (Artikel 28), so äußert der Ausschuss Bedenken, dass die Frage der öffentlichen Ordnung (ordre public) ein stichhaltiger Grund sein sollte. Dieser Grund ist missbrauchsanfällig und könnte im Falle von Verfahren über die elterliche Verantwortung dem Geiste des ansonsten am Wohle des Kindes ausgerichteten Vorschlags direkt zuwiderlaufen. In einigen Rechtsordnungen können Bestimmungen über die öffentliche Ordnung oder Verfassung größeres Gewicht auf die Elternrechte als auf die elterliche Verantwortung legen und sich damit zum Schaden des betroffenen Kindes auswirken.

5.2.9. Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Kommission in dem zu prüfenden Vorschlag, wie er in seiner Stellungnahme von 2000 zu dem Vorschlag über die elterliche Verantwortung empfohlen hatte, Kostengründe berücksichtigt hat.

5.2.10. Die Bestimmungen über Kindesentführung gehen dem Haager Übereinkommen von 1980 vor, das Übereinkommen bleibt in den Mitgliedstaaten jedoch aus Gründen der Behandlung von Kindesentführungen außerhalb der EU in Kraft. Diese bilden die große Mehrheit der Entführungen, und der Ausschuss fordert die Kommission nachdrücklich auf, ihren Einfluss geltend zu machen, um zu gewährleisten, dass alle Länder diesem Übereinkommen beitreten und wo immer möglich bilaterale Abkommen mit Drittländern abschließen.

5.2.11. Falls im innerstaatlichen Verfahren eine Schlichtung vorgesehen ist, besteht immer die Gefahr, dass eine Partei in gutem Glauben verhandelt, während die andere die Schlichtung nur als Verzögerungstaktik einsetzt. Diese Haltung sollte berücksichtigt werden und der Ausschuss empfiehlt, wo die Parteien einem Schlichtungsverfahren zustimmen, Fristen festzulegen, nach deren Ablauf die Schlichtung für gescheitert erklärt wird.

5.2.11.1. Im Vorschlag sollte festgelegt werden, dass Zentralbehörden in spezifischen Fällen entweder direkt oder durch öffentliche Behörden bzw. sonstige Gremien tätig werden.

5.2.12. Die Kommission sollte auf eine Verbesserung der Tiefe und Qualität der Zusammenarbeit zwischen Zentralbehörden und innerhalb des europäischen justiziellen Netzes hinarbeiten.

6. Weitere Empfehlungen

6.1. Wie unter Ziffer 5.2.2 oben angemerkt, sollten sich Kommission und Rat nach Ansicht des Ausschusses dringend den Fragen zuwenden, die sich aus der Beendigung nichtehelicher Lebensgemeinschaften und deren grenzübergreifenden Aspekten, insbesondere in Bezug auf Fragen der elterlichen Verantwortung, ergeben.

Der Ausschuss stellt in Rechnung, dass Fortschritte in dieser Frage nicht im Rahmen des zu prüfenden Vorschlags gemacht werden können. Er hält die Verabschiedung dieser Verordnung für sehr dringlich und schlägt deshalb nicht vor, sie auf die Einbeziehung nichtehelicher Lebensgemeinschaften auszuweiten. Im Interesse der von dem Scheitern nichtehelicher Lebensgemeinschaften betroffenen Menschen und insbesondere im Interesse von deren Kindern hält es der Ausschuss jedoch für erforderlich, dass auf einzelstaatlicher Ebene und auf Ebene der EU ein Rechtsrahmen geschaffen wird, und fordert die Kommission nachdrücklich auf, diesbezügliche Arbeiten in die Wege zu leiten.

6.2. Der Ausschuss nimmt mit Interesse zur Kenntnis, dass in Frankreich Kindesentführung als strafbare Handlung behandelt wird. Ohne eheliche oder nichteheliche Lebensgemeinschaften kriminalisieren zu wollen, kann die Behandlung der Kindesentführung als strafbare Handlung jedoch beim raschen Aufspüren des Kindes von Nutzen sein, da die Polizeibehörden in den Mitgliedstaaten beim Aufspüren des Aufenthaltsortes von Menschen im Allgemeinen effizienter arbeiten als die Zivilbehörden. Der Ausschuss empfiehlt, dass auch die anderen Mitgliedstaaten diesen Aspekt berücksichtigen, um die Rückgabe eines Kindes an seinen rechtmäßigen Sorgeberechtigten zu beschleunigen.

6.3. Die Zuerkennung von Elternrechten wie auch Umgangs- und Besuchsrechte usw. werden von dem zu prüfenden Vorschlag geregelt. Adoptivkinder werden gemäß dem Vorschlag wie leibliche Kinder behandelt. Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass gegenwärtig nicht beabsichtigt ist, die geltenden Adoptionsverfahren in den Geltungsbereich des Vorschlags einzubeziehen. Dies erscheint etwas widersprüchlich, da Adoption als die letztendliche "Zuerkennung ... von elterlicher Verantwortung" betrachtet werden könnte. Der Ausschuss empfiehlt, dass die Adoptionsverfahren in diesen Vorschlag einbezogen werden sollten.

6.4. Unterhaltsfragen sind in einem separaten Rechtsinstrument geregelt. Da Unterhaltsfragen zwangsläufig dringliche Angelegenheiten sind, empfiehlt der Ausschuss, dass die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung in Unterhaltssachen wie bei dem vorgeschlagenen Instrument für die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Handelssachen geregelt sein sollte.

6.5. Ein bedeutsames Problem besteht in der Europäischen Union (auch wenn es manchmal seinen Ausgang außerhalb der EU hat) in Bezug auf die Aussetzung von Kindern und den Missbrauch der elterlichen Verantwortung. Der Ausschuss bittet daher die Kommission, diese Frage im Wege einer gründlichen Erforschung der Problematik zu prüfen und auf der Grundlage der Ergebnisse am Kindeswohl orientierte angemessene Maßnahmen zu ergreifen.

Brüssel, den 18. September 2002.

Der Präsident

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Göke Frerichs

(1) KOM(2001) 505 endg.

(2) ABl. C 80 vom 3.4.2002, S. 41.

(3) ABl. L 160 vom 30.6.2000.

(4) Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. C 368 vom 20.12.1999).

(5) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 12 vom 16.1.2001.

(6) Haager Übereinkommen von 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern.

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