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Document 52011IR0333

Stellungnahme des Ausschusses der Regionen: „Kinderarmut“

ABl. C 113 vom 18.4.2012, p. 34–39 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

18.4.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 113/34


Stellungnahme des Ausschusses der Regionen: „Kinderarmut“

2012/C 113/07

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN

bekräftigt, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Bekämpfung von Kinderarmut und Ausbeutung in vorderster Reihe stehen, und betont ihre zentrale Verantwortung bei der Vermeidung von Marginalisierung und sozialer Ausgrenzung; stimmt zu, dass Kinderarmut ein vielschichtiges Phänomen ist, das ein umfassendes Konzept erfordert, und schlägt vor, dass Verbesserungen in einigen wenigen Schlüsselbereichen, wie zum Beispiel die Einführung eines Mindesteinkommens und die Festlegung von Qualitätsstandards, wesentliche Elemente zur Bekämpfung der Kinderarmut sein können;

unterstreicht die Bedeutung bezahlter Arbeit, hält jedoch auch fest, dass eine Anstellung alleine noch keinen Ausweg aus der Armut garantiert und es weiterer Bemühungen zur Bekämpfung von Erwerbsarmut bedarf;

betont, dass alle Mitgliedstaaten anerkennen sollten, dass Armut und soziale Ausgrenzung von Kindern zu den Haupthindernissen gehören, die zu überwinden sind, wenn sie ihre Europa-2020-Ziele in Bezug auf Beschäftigungsquote, Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Energie und nachhaltige Entwicklung erreichen wollen;

ist besorgt, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise und die Reaktionen einiger Mitgliedstaaten zu mehr absoluter Armut und mehr Armut trotz Erwerbstätigkeit sowie zu mehr Jugendarbeitslosigkeit führen könnten.

Berichterstatterin

Doreen HUDDART (UK/ALDE), Mitglied des Stadtrates von Newcastle

I.   POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN

Allgemeine Einleitung

1.

unterstützt die Absicht der Kommission, 2012 eine Empfehlung zur Bekämpfung der Kinderarmut und Förderung des Wohlergehens des Kindes zu veröffentlichen, und nutzt diese Gelegenheit, mit der vorliegenden Prospektivstellungnahme den Zielen der Europäischen Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung dienlich sein zu können; billigt die drei in der Empfehlung genannten Politikbereiche: Angemessene Mittel; Zugang zu Dienstleistungen; und Aktive Teilhabe von Kindern und Jugendlichen; stellt fest, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU zwar nachdrücklich dafür ausgesprochen haben, die Kinderarmut zu einer Priorität zu machen, dies aber nicht immer zu entsprechenden Mitteln, Maßnahmen, Zielsetzungen und Kontrollen in allen EU-Mitgliedstaaten geführt hat;

2.

bekräftigt, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Bekämpfung von Kinderarmut und Ausbeutung in vorderster Reihe stehen, und betont ihre zentrale Verantwortung bei der Vermeidung von Marginalisierung und sozialer Ausgrenzung; stimmt zu, dass Kinderarmut ein vielschichtiges Phänomen ist, das ein umfassendes Konzept erfordert, und schlägt vor, dass Verbesserungen in einigen wenigen Schlüsselbereichen, wie zum Beispiel die Einführung eines Mindesteinkommens und die Festlegung von Qualitätsstandards, wesentliche Elemente zur Bekämpfung der Kinderarmut sein können;

3.

macht darauf aufmerksam, dass Kinderarmut kein Randphänomenen oder Restproblem ist, das dank eines wirtschaftlichen Aufschwungs verschwinden würde (1); das Wirtschaftswachstum in den Jahren 2000-2008 hatte keinen wesentlichen Einfluss auf die Quote der Kinderarmut; stellt fest, dass Kinderarmut vor der Wirtschaftskrise ein Schandfleck für die Gesellschaft in der EU war, und hat Sorge, dass die Reaktionen einiger Mitgliedstaaten auf die Krise die Kinderarmut unbeabsichtigt verstärken könnten; erkennt an, dass es bestimmte Gruppen von Kindern gibt, die stark von großer oder äußerster Armut bedroht werden, weist aber darauf hin, dass Kinder eine eigene Gruppe innerhalb der Gesellschaft bilden, deren Armutsrisiko häufig über dem der Allgemeinbevölkerung liegt;

4.

weist auf die folgende Definition von Armut hin:

"Individuen, Familien und Gruppen in einer Bevölkerung können als arm bezeichnet werden, wenn ihnen die Mittel fehlen, in Hinsicht auf Ernährung, gesellschaftliche Aktivitäten, Lebensverhältnisse, Einkaufs- und Unterhaltungsmöglichkeiten so zu leben, wie dies in der Gesellschaft, der sie zugehören, üblich ist oder zumindest allgemein gefördert oder gebilligt wird. Ihre Mittel liegen so deutlich unter dem Durchschnitt, dass sie praktisch von normalen Lebensmustern, Gewohnheiten und Aktivitäten ausgeschlossen sind" (2);

5.

stellt fest, dass die in den Mitgliedstaaten und der EU am häufigsten angewandte Messlatte von Armut "weniger als 60% des mittleren Haushaltseinkommens" lautet, ist aber der Ansicht, dass eine Reihe von Indikatoren zur Messung der absoluten Armut herangezogen werden muss und dass Aspekte wie soziale Inklusion, Zugang zu Dienstleistungen, Bildungsstand und Lebenserwartung bei der Geburt miteinzubeziehen sind, wie es der Index der menschlichen Entwicklung vorgibt (3); begrüßt die größere Beachtung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der Europa-2020-Strategie und teilt die Ansicht, dass die soziale Dimension im Mittelpunkt dieser Strategie stehen sollte, und weist darauf hin, dass 20 Mio. Kinder in der EU von Armut bedroht sind;

6.

betont, dass Armut verheerende Folgen für Kinder, ihre Kindheitserfahrungen und ihre Chancen im künftigen Leben haben kann; begrüßt die Hinweise auf Maßnahmen gegen Kinderarmut als Priorität der Leitinitiative der Europäischen Plattform zur Bekämpfung der Armut und sozialen Ausgrenzung; bedauert jedoch das begrenzte Engagement in dieser Hinsicht und das Fehlen eines die Kinderarmut betreffenden konkreten Ziels in dieser Initiative;

7.

begrüßt die angekündigte Veröffentlichung einer Empfehlung und einer Mitteilung zu Kinderarmut und Wohlergehen des Kindes im Juni 2012; unterstützt den vorgeschlagenen Rahmen für die Empfehlung zu Kinderarmut und Wohlergehen; erkennt in diesem Zusammenhang an, wie wichtig die Einbeziehung von Kindern ist, die selber in Armut leben, und begrüßt die Aufnahme der aktiven Teilhabe in diesem Rahmen; schlägt gleichzeitig vor, in der Empfehlung und der Mitteilung die Bedeutung humanitärer Organisationen wie UNICEF und die Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Erbringung von Dienstleistungen zum Schutz von Kindern vor Armut und vor der damit einhergehenden materiellen Not herauszustellen;

8.

stellt fest, dass die Schutzbedürftigsten in unserer Gesellschaft am stärksten von der gegenwärtigen Finanzkrise betroffen sind und alles darauf hindeutet, dass Kinder und besonders junge Menschen unverhältnismäßig stark betroffen sind (4); macht darauf aufmerksam, dass Kinder schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen, wie etwa Straßenkinder, Kinder Alleinerziehender sowie Kinder aus kinderreichen Familien, Familien mit Migrationshintergrund oder Familien ethnischer Minderheiten, z.B. der Roma, noch stärker von Marginalisierung, Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind; unterstreicht, dass die Globalisierung und die engere Zusammenarbeit zwischen den Ländern zwar deutliche Vorteile für das persönliche Leben schaffen können, diese jedoch oft ungleich verteilt sind; es sollten Anstrengungen unternommen werden, damit niemandem diese Vorteile vollständig vorenthalten bleiben;

9.

stellt fest, dass der klare politische Schwerpunkt auf Kinderarmut in der EU in den letzten Jahren und die unterstützenden politischen Äußerungen der Staats- und Regierungschefs der EU nicht zu einer deutlichen Verminderung der Kinderarmut geführt haben; betont, dass sich die politische Unterstützung für die Bekämpfung dieses Problems in entsprechenden Mitteln, Maßnahmen und Zielsetzungen in allen EU-Mitgliedstaaten niederschlagen muss;

10.

unterstreicht die Bedeutung bezahlter Arbeit, hält jedoch auch fest, dass eine Anstellung alleine noch keinen Ausweg aus der Armut garantiert und es weiterer Bemühungen zur Bekämpfung von Erwerbsarmut bedarf (5);

11.

betont, dass alle Mitgliedstaaten anerkennen sollten, dass Armut und soziale Ausgrenzung von Kindern zu den Haupthindernissen gehören, die zu überwinden sind, wenn sie ihre Europa-2020-Ziele in Bezug auf Beschäftigungsquote, Investitionen in Forschung, Entwicklung, Energie und nachhaltige Entwicklung erreichen wollen;

12.

teilt die Ansicht, dass es in einer der reichsten Regionen der Welt im 21. Jahrhundert nicht hinnehmbar ist, dass 20 Millionen Kinder in Armut leben oder von Armut bedroht sind, und dass (6) Armut nicht nur eine Frage geringen Einkommens und des Verzichtenmüssens ist, sondern dass den Menschen zudem Mitsprache, Respekt, gute Gesundheitsversorgung, Bildung und Wohnraum vorenthalten und ihre grundlegende Selbstachtung und die Fähigkeit, an sozialen Aktivitäten teilzunehmen, beschädigt werden;

13.

betont, dass auch die UN-Generalversammlung die besondere Form der Armut unter Kindern anerkennt. Die Vereinten Nationen unterstreichen zudem, dass Armut unter Kindern mehr als nur ein Mangel an Geld ist. Kinderarmut kann nur als Vorenthaltung einer Reihe von Rechten verstanden werden, die im UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes verankert sind, das jedem Kind das Recht auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard anerkennt (Artikel 27); Kinderarmut bedeutet in den meisten Fällen eine Verletzung der Rechte auf Überleben, Schutz, Entwicklung und Beteiligung im Sinne der Kinderrechtskonvention;

14.

betont, dass zahlreichen Untersuchungen zufolge eine wirksame Umverteilungspolitik zugunsten von Familien mit Kindern bei der Bekämpfung der Kinderarmut eine wichtige Rolle spielt. Soziale Transferleistungen verringern Kinderarmut um nicht weniger als 44 % in der gesamten EU;

Die Politik der Union

15.

betont, wie wichtig ein stärkeres Verständnis der Kostenvorteile von Investitionen in die Bekämpfung von Kinderarmut (7), Ausbeutung, sozialer Ausgrenzung und allgemeiner sozialer Ungleichheiten ist; bekräftigt die allgemein gesellschaftlichen Vorteile einer größeren Chancengleichheit und von weniger Marginalisierung, Ausgrenzung und Armut innerhalb der Gesellschaft und betont den finanziellen und wirtschaftlichen sowie sozialen Nutzen frühzeitiger Investitionen in Kinder und Familien (8);

16.

unterstützt die Schlussfolgerungen des Rates zur Bekämpfung der Kinderarmut und Förderung des Wohlergehens des Kindes vom 17. Juni 2011, in denen dazu aufgerufen wird, die Bekämpfung der Kinderarmut als Priorität festzulegen; unterstützt auch die Stellungnahme des Ausschusses für Sozialschutz vom 15. Februar 2011, in der gefordert wird, der Bekämpfung der Kinderarmut in allen relevanten Bereichen Vorrang einzuräumen;

17.

stimmt zu, dass es bereits umfassende Informationen über Kinderarmut in der EU gibt; zeigt sich besorgt darüber, dass die Quote der Kinderarmut in den Mitgliedstaaten zwischen 11 % und 33 % schwankt; und empfiehlt die Verwendung von Mitteln zur Auswertung, Bekanntmachung und Nutzung dieser Informationen sowie zum Austausch bewährter Verfahren in den Mitgliedstaaten;

18.

ist besorgt, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise und die Reaktionen einiger Mitgliedstaaten zu mehr absoluter Armut und mehr Armut trotz Erwerbstätigkeit sowie zu mehr Jugendarbeitslosigkeit führen könnten (9);

19.

unterstreicht die Bedeutung von Maßnahmen zur Durchbrechung des generationenübergreifenden Teufelskreises der Armut. Um dies zu erreichen, sind Querschnittsmaßnahmen erforderlich, einschließlich Bildungs- und Sozialmaßnahmen, die nicht nur auf die Sicherung der Beschäftigung der Eltern, sondern auch unmittelbar auf die Kinder abzielen;

20.

fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten zur stärkeren Anerkennung der Tatsache auf, dass Armut eine gemeinsame Aufgabe und eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft darstellt und somit nicht als Stigma oder als Scheitern armer bzw. sozial ausgegrenzter Menschen betrachtet werden darf;

21.

ruft die Kommission erneut dazu auf zu gewährleisten, dass Verbesserungen im Bereich des sozialen Wohnens durch die Strukturfonds gefördert werden können, um die Rolle des sozialen Wohnens in den Strategien der sozialen Inklusion zu stärken, und zu bekräftigen, dass die Gemeinwohlverpflichtungen im Bereich des sozialen Wohnens auf der Ebene der Mitgliedstaaten zu definieren sind;

22.

teilt die Auffassung, dass es zur Verringerung und Verhinderung von Armut einer ganzheitlichen und integrierten Herangehensweise bedarf, die den Bedürfnissen der einzelnen Gruppen, insbesondere ihren besonderen Herausforderungen, Rechnung trägt;

Angemessene Mittel

23.

teilt die Ansicht, dass Einkommensarmut eines der offensichtlichsten Zeichen einer sozialen Verelendung ist, die sich auf Kinder anders als auf Erwachsene auswirkt (10); sie ist jedoch nur einer von vielen Faktoren der Kinderarmut, die es anzugehen gilt; stimmt zu, dass es ein mangelndes Verständnis in der Frage gibt, welche Mindestanforderungen im Hinblick auf die Achtung der Rechte der Kinder notwendig sind; bestärkt die EU und ihre Mitgliedstaaten darin, eine Bewertung der Möglichkeiten durchzuführen, wie das Problem in zentralen Bereichen wie Einkommenshilfen, Zugang zu Dienstleistungen und Teilhabe von Kindern angegangen werden kann;

24.

stellt fest, dass die Länder mit den höchsten Ausgaben im Sozialbereich häufig die niedrigsten Kinderarmutszahlen aufweisen; teilt die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten als Ausdruck der Solidarität zwischen den Generationen, die den immanenten Wert der Kindheit anerkennt, und als Investition in Europas Zukunft ggf. eine Verbesserung der Situation beim Kindergeld in Erwägung ziehen sollten;

25.

begrüßt den Vorschlag zur Entwicklung eines Rahmens zur Gewährleistung eines angemessenen allgemeinen Mindesteinkommens für alle Kinder unter Berücksichtigung des gesamten Haushaltseinkommens - Eltern wie Kinder eingeschlossen;

26.

betont, dass – anstatt sich auf die Folgen der sozialen Ausgrenzung und Armut von Kindern zu konzentrieren – präventive öffentliche Maßnahmen für Investitionen in sinnvolle Kinderbetreuungsleistungen wichtig sind, mit denen die Erziehung von selbstständigen Menschen gefördert wird, die sich in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt integrieren können:

27.

unterstreicht noch einmal die Bedeutung anderer Mittel als Transferleistungen; eine Berufstätigkeit der Eltern kann Kinder nur dann aus der Armut befreien, wenn der Lohn dazu ausreicht und wenn die jeweiligen Arbeitsrhythmen der Eltern damit in Einklang gebracht werden können; ersucht die Mitgliedstaaten, den Vorschlag gutzuheißen, eine Empfehlung für eine Regelung betreffend ein angemessenes Einkommen und die Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit hinzuzufügen (11), und schlägt vor, Kündigungsschutzvorschriften in die Empfehlung aufzunehmen; betont aber, dass es Menschen gibt, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen und arbeitsunfähig sind, wobei dies durch Transferleistungen anerkannt werden muss;

28.

stellt fest, dass das allgemeine Kindergeld die wirksamste Form der Einkommensunterstützung für Familien mit Kindern ist und mit gezielten Beihilfen für die bedürftigsten Familien kombiniert werden sollte (12);

29.

fordert eine Klarstellung des Begriffes "angemessen" und ersucht die Mitgliedstaaten und die Kommission darum, EU-weite Standards zu vereinbaren oder sich auf ein methodisches Vorgehen zu einigen, wie die durch ein Kind verursachten Kosten und angemessene Mittel zur Verhütung und Bekämpfung der Kinderarmut zu bestimmen sind; empfiehlt, dass bei einer derartigen Bestimmung folgende Überlegung berücksichtigt werden sollte: angemessen für wen, angemessen für wie lange, angemessen für was, und wer sagt, was angemessen ist (13);

30.

unterstützt entschieden den Vorschlag, gegenüber den Mitgliedstaaten darauf zu drängen, dass sie bei einer Erhöhung der Auflagen bzw. Verhängung von Sanktionen im Sozialleistungssystem sorgsam darauf achten, dass Kinder nicht davon betroffen und auf diese Weise notwendiger Mittel beraubt werden; weist darauf hin, dass ein solches Vorgehen oft zur Stigmatisierung bedürftiger Familien und Kinder beiträgt und den Eindruck verstärkt, dass Armut durch persönliche Schwächen oder Fehler hervorgerufen wird; stellt fest, dass die Wirtschaftskrise in vielen Mitgliedstaaten zu einem erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit, stagnierenden Haushaltseinkommen und zunehmenden Lebenshaltungskosten geführt hat; hebt die wichtige Rolle hervor, die Beratungsdienste im Hinblick auf die Maximierung des Haushaltseinkommens spielen können, und gibt zu bedenken, dass diese Dienste in einigen Mitgliedstaaten möglicherweise gefährdet sind;

31.

teilt die Auffassung, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben von entscheidender Bedeutung für das Wohl der Kinder und der Gesellschaft ist, da sowohl Einkommensarmut als auch "Zeitarmut" die Entwicklung von Kindern nachteilig beeinflussen können; stimmt zu, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Arbeit zu ungünstigen Zeiten und Niedriglohnarbeit bei Eltern schädliche Auswirkungen sowohl auf das Privatleben der Erwachsenen als auch die Entwicklung der Kinder haben können (14);

Zugang zu Dienstleistungen

32.

begrüßt, dass ein Schwerpunkt darauf gelegt wird, dass allen Kindern in einer zentralen Phase ihrer Entwicklung Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen gewährleistet wird, und stellt fest, dass Gesundheit, Bildung, Erziehungs- und Familienförderung, Wohnraum und Schutz Schlüsseldienstleistungen sind, die meistens von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften erbracht werden;

33.

erkennt die Bedeutung der Erziehung und Betreuung von Kleinkindern sowie der Qualität entsprechender Dienstleistungen an; betont, dass es sich in erheblichem Maße positiv auf die Kindesentwicklung auswirken kann, wenn die gesamte Kindheit und Pubertät hindurch wirksam und frühzeitig interveniert und gefördert wird (vor allem in kritischen Momenten  (15)); stellt fest, dass bestimmte Dienste der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften wie Kindergärten, Schulen, Bibliotheken und Einrichtungen für außerschulische Betreuung von entscheidender Bedeutung für das Wohlergehen der Kinder sind, in vielen Mitgliedstaaten aber durch die Sparprogramme gefährdet sind (16);

34.

befürwortet den Vorschlag, die Rolle der Bildung bei der Vermeidung und Überwindung des Armutszyklus zu stärken, indem alle finanziellen Hindernisse im Bereich der Bildung beseitigt werden, Chancengleichheit garantiert und notwendige zusätzliche Unterstützung gewährt wird, um mögliche Benachteiligungen auszugleichen; erkennt an, wie wichtig Vorschriften zur Sicherstellung eines gleichberechtigten Zugangs zu bildungsbezogenen Leistungen sind, die ausnahmslos von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften erbracht werden, so zum Beispiel kostenlose Schulmahlzeiten, kostenlose Bücher und Unterrichtsmaterialien und eine finanzielle Unterstützung für die Teilnahme an Klassenfahrten und kulturellen Aktivitäten für Kinder aus einkommensschwachen und armutsgefährdeten Familien;

35.

unterstreicht die Rolle, die die Kinderbetreuung bei der Bekämpfung von Kinderarmut spielen kann. Für die Kinder selbst kann die Betreuung bedeuten, dass sie mit anderen Kindern sowie mit Betreuerinnen und Betreuern interagieren und davon profitieren können. Ihre kognitive, sprachliche, emotionale und soziale Entwicklung kann sich dadurch verbessern – und dies mit offensichtlich langfristiger Wirkung;

36.

unterstreicht die verheerenden Auswirkungen, die Armut auf die Gesundheit von Kindern haben kann (17); zeigt sich besorgt, dass laut der Mitteilung der Kommission zu gesundheitlichen Ungleichheiten kein ausreichendes Gewicht darauf gelegt wird, dass Kinder Zugang zu Gesundheitsdiensten haben, wobei ein allgemein mangelndes Problembewusstsein, eine unzureichende politische Prioritätensetzung und zu wenig Engagement bei der Bekämpfung von gesundheitlichen Ungleichheiten festzustellen sind; schlägt vor, die Verbesserung der Gesundheit von Kindern, einschließlich der geistigen Gesundheit, in der Empfehlung und der Mitteilung als wichtige Maßnahme hervorzuheben; teilt die Ansicht, dass Kindern im Rahmen der umfassenderen Anstrengungen zur Verminderung der Ungleichheiten im Bereich Gesundheit besondere Aufmerksamkeit gelten muss und dass der allgemeine Zugang bedürftiger und sozial ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen – einschließlich aller Kinder – zur Gesundheitsfürsorge sichergestellt werden muss:

37.

teilt die Besorgnis, dass Kinder in Armut häufig unverhältnismäßig stark von Umweltproblemen wie Umweltverschmutzung, Verkehr, verschmutzten Flächen und gesundheitlich bedenklichem Trinkwasser betroffen sind; begrüßt den Vorschlag, jegliche Anstrengung zu unternehmen, um eine Gettoisierung und soziale Ausgrenzung von Kindern in Armut zu vermeiden und eine soziale Heterogenität beim Wohnen zu fördern; begrüßt den Vorschlag, Kinder und ihre Familien und Gemeinschaften in die Planung einzubeziehen; regt an, in der Empfehlung im Hinblick auf die Vorrangigkeit der Kinderrechte die Einführung von Mindestanforderungen für die Unterbringung von Kindern zu erwägen;

38.

teilt die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten sollten, dass Kinder Familien, die nicht die Mittel besitzen, für sie zu sorgen, nicht entzogen werden, und stellt fest, dass dies durch die Garantie angemessener Mittel verhindert werden könnte; warnt davor, die Stigmatisierung im Zusammenhang mit Armut zu verstärken, indem eine zu enge Beziehung zwischen Armut und Missbrauch in der Familie hergestellt wird; unterstreicht die wichtige Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften beim Kinderschutz;

Aktive Teilhabe von Kindern und Jugendlichen

39.

befürwortet nachdrücklich, dass die aktive Teilnahme von Kindern und Jugendlichen in der vorgeschlagenen Empfehlung einen großen Stellenwert hat; teilt die Ansicht, dass es hinsichtlich der Teilhabe aller Kinder Hindernisse gibt, die im Falle benachteiligter Kinder vielfältiger Natur sind, und dass es mit herkömmlichen Konsultationsmethoden nicht gelingen dürfte, diese Kinder zu erreichen; es sollte jedoch ein aktiver partizipativer Ansatz in Familien, sozialen Gruppen, Nichtregierungsorganisationen und im Privatsektor unterstützt werden, um das Engagement in der gesamten Gesellschaft zu stärken;

40.

schlägt vor, dass die Teilhabe von Kindern Möglichkeiten zur Mitwirkung und Einflussnahme umfassen sollte, wenn es um Entscheidungen geht, die Auswirkungen auf das Leben von Kindern, ihre Beteiligung an Sport- und Freizeitaktivitäten zur Verbesserung der Gesundheit, ihr soziales Leben, ihre persönliche Entwicklung, ihre Teilnahme an kulturellen Möglichkeiten zur Entwicklung von Fähigkeiten und zur Steigerung des Bewusstseins für Kultur und kulturelle Vielfalt haben, um eine integrativere Gesellschaft mit weniger Diskriminierung zu schaffen;

41.

fordert die Staaten sowie die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften auf, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass Kinder und Jugendliche ein Lern-, Entwicklungs- und Freizeitumfeld sowie vielfältige Möglichkeiten vorfinden, die Voraussetzung für ihre aktive Teilhabe sind;

42.

stimmt zu, dass ein Hindernis bei der Bekämpfung der Kinderarmut das fehlende öffentliche und politische Bewusstsein für dieses Problem und seine Auswirkungen auf Kinder und ihre Familien und die Gesellschaft im Allgemeinen ist; ist darüber beunruhigt, dass dies durch die geringe und mitunter negative Medienberichterstattung über Armut, die geringe Bekanntheit oder Förderung der Kinderrechte sowie das Fehlen eines langfristigen Konzepts und eine Fixierung auf kurzfristige Wahlerfolge (Kinder sind keine Wähler) noch verstärkt wird; stellt fest, dass es in vielen Ländern nicht zur politischen Kultur zählt, das Augenmerk auf Kinder zu legen und Kinder als vollwertige Menschen anzusehen;

43.

stellt die Arbeit heraus, die in und von lokalen und regionalen Gebietskörperschaften geleistet wird, um zu gewährleisten, dass Kinder in die Entscheidungsprozesse in Fragen, die ihr Leben berühren, einbezogen werden; gleichwohl bleibt noch viel zu tun, um Kindern in Einklang mit Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf Anhörung in sie betreffenden Fragen zu gewährleisten;

Empfehlungen

44.

empfiehlt im Rahmen der Leitinitiative Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung die Aufnahme eines spezifischen prioritären Zieles in Bezug auf Kinderarmut und die Annahme einer umfassenden Strategie gegen Kinderarmut und soziale Ausgrenzung, die die nationale, regionale und lokale Ebene einschließt und mit der weitreichenderen Europa-2020-Strategie vereinbar ist, sowie die Errichtung eines Überwachungsrahmens auf Grundlage verlässlicher Indikatoren, die auch mit dem vorhandenen Berichterstattungsmechanismus im Rahmen des "Übereinkommens über die Rechte des Kindes" der Vereinten Nationen gekoppelt sind;

45.

betont erneut die Notwendigkeit einer besonderen Berichterstattung der Mitgliedstaaten über die Kinderarmut und schlägt vor, – nach vorheriger Entwicklung eines Diagnoseinstrumentariums zur Bewertung der Schwere von Risiko- und Notsituationen, das den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften an die Hand gegeben werden sollte – dies in die Berichtspflichten der Mitgliedstaaten zur Europa-2020-Strategie aufzunehmen; unterstreicht, dass der Schnellumfrage des AdR vom 19. April 2011 zufolge viele Teilnehmer die mögliche Einführung verpflichtender Prioritäten in künftigen Regionalprogrammen als positive Entwicklung betrachten, in deren Folge Armut und soziale Ausgrenzung auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene stärker in den Blickpunkt rücken könnten;

46.

empfiehlt, dass bei der Zuweisung von Strukturfonds-Mitteln die Bedeutung von Projekten und Dienstleistungen zur Bekämpfung von Kinderarmut und zur Förderung des Wohlergehens des Kindes und seiner Familie berücksichtigt wird, insbesondere bei Minderjährigen oder Jugendlichen, bei denen die Schutzbedürftigkeit durch körperliche oder geistige Behinderung, Ausbeutung, Suchtmittelmissbrauch, Einwanderung, Straffälligkeit und andere Faktoren noch erhöht wird, und zur Stärkung der Teilhabe dieser Kinder und ihrer Familien sowie zur Bekämpfung der negativen Wahrnehmung und Stigmatisierung von Armut führt;

47.

empfiehlt, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften aktiv an der Konzipierung von Entscheidungen und politischen Maßnahmen zur Unterstützung von Familien, Gewährung von Dienstleistungen und aktiven Teilhabe von Kindern und jungen Menschen beteiligt werden, da sie das entscheidende Bindeglied für die Umsetzung der nationalen und europäischen Politiken auf lokaler Ebene sind;

48.

empfiehlt, dass die Kommission zwecks Austausch bewährter Methoden einen ständigen Dialog mit dem AdR aufnimmt und fortführt sowie Mittel zuweist, mit denen der AdR in Zusammenarbeit mit Organisationen wie Eurocities und Eurochild Berichte veröffentlichen kann, die erfolgreiche Projekte gegen Kinderarmut in den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten dokumentieren.

Brüssel, den 15. Februar 2012

Die Präsidentin des Ausschusses der Regionen

Mercedes BRESSO


(1)  Can Higher Employment Levels Bring Lower Poverty in the EU? Regression based simulations of the Europe 2020 target [Führt eine höhere Beschäftigungsquote zu weniger Armut in der EU? Regressionsbasierte Simulationen des Ziels der Europa-2020-Strategie], Diskussionspapier Nr. 6068, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (Bonn).

(2)  Poverty in the United Kingdom [Armut im Vereinigten Königreich], Peter Townsend, 1979; auf Deutsch zitiert in Hans Joas (Hg.): "Lehrbuch der Soziologie", 1994, S. 261.

(3)  Der Index der menschlichen Entwicklung trägt sowohl dem Pro-Kopf-BNE eines Landes oder einer Region als auch dem Bildungsgrad anhand der Alphabetisierungsrate und der Einschulungsrate der Bevölkerung sowie der Lebenserwartung bei der Geburt Rechnung.

(4)  How the economic and financial crisis is affecting children & young people in Europe [Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf Kinder und junge Menschen in Europa], EUROCHILD, 2011.

(5)  Siehe zum Beispiel: A Living Wage for Newcastle [Ein existenzsicherndes Einkommen für Newcastle], http://www.newcastle.gov.uk/news-story/a-living-wage-newcastle.

(6)  Poverty: the facts [Armut: die Fakten], J. Flaherty, J. Veit-Wilson und P. Dornan, Hrsg. Child Poverty Action Group, 5. Aufl., 2004.

(7)  Estimating the cost of child poverty [Abschätzung der Kosten von Kinderarmut], D. Hirsch, Joseph Rowntree Foundation, 2008.

(8)  Siehe zum Beispiel: Early Intervention: Smart Investment, Massive Savings [Frühzeitiges Eingreifen: Intelligente Investitionen, erhebliche Ersparnisse], Kabinettskanzlei des Vereinten Königreichs, 2011.

(9)  How the economic and financial crisis is affecting children & young people in Europe [Wie sich die Wirtschafts- und Finanzkrise auf Kinder und Jugendliche in Europa auswirkt], EUROCHILD, 2011.

(10)  Child poverty – family poverty: Are they one and the same? [Sind Kinderarmut und Familienarmut dasselbe?], EUROCHILD Positionspapier, 2011.

(11)  Siehe zum Beispiel: The low-pay, no-pay cycle: understanding recurrent poverty [Der Wechsel zwischen Niedriglohn und keinem Lohn: Zyklische Armut verstehen], T. Shildrick et al., Joseph Rowntree Foundation, 2010.

(12)  Siehe u.a.: Child benefits in the European Union [Kindergeld in der Europäischen Union], J. Bradshaw, Poverty (139), CPAG, 2011.

(13)  What do we mean by ‧adequate‧ benefits? [Was meinen wir mit "angemessener" Unterstützung?] J Veit-Wilson, Kapitel 14 in: J. Strelitz und R. Lister [Hrsg.], Why Money Matters. Family income, poverty and children's lives. Save the Children [Warum Geld wichtig ist. Familieneinkommen, Armut und das Leben der Kinder. Rettet die Kinder], London, S. 125-132.

(14)  Siehe zum Beispiel: Precarious work: risk, choice and poverty traps [Prekäre Arbeit: Risiko, Wahl und Armutsfallen], R. MacDonald, in: Handbook of Youth and Young Adulthood: New perspectives and agendas [Handbuch der Jugend und des frühen Erwachsenenalters: Neue Perspektiven und Ansichten], A. Furlong, 2009.

(15)  Understanding youth exclusion: critical moments, social networks and social capital, [Ausgrenzung von Jugendlichen verstehen: kritische Momente, soziale Netze und soziales Kapital] Shildrick, T.A. & MacDonald, R., Youth & Policy, 2008.

(16)  Ebd.

(17)  Siehe zum Beispiel: Health Consequences of Poverty for Children [Gesundheitliche Auswirkungen der Armut auf Kinder], N. Spencer, End Child Poverty [Schluss mit Kinderarmut], 2008.


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