15.2.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 43/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (20. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)“

KOM(2011) 348 endg. — 2011/0152 (COD)

2012/C 43/10

Alleinberichterstatterin: An LE NOUAIL MARLIÈRE

Der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament beschlossen am 22. Juli 2011 bzw. am 13. September 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (20. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)

KOM(2011) 348 endg. — 2011/0152 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. November 2011 an. Alleinberichterstatterin war An LE NOUAIL MARLIÈRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 476. Plenartagung am 7./8. Dezember 2011 (Sitzung vom 7. Dezember) mit 144 gegen 45 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA empfiehlt, diese Richtlinie anzunehmen und sie baldmöglichst in einzelstaatliches Recht umzusetzen.

1.2   Gleichzeitig spricht sich der Ausschuss dafür aus, unverzüglich die Anwendung des Vorsorgeprinzips zur Berücksichtigung der Risiken nichtthermischer biologischer Auswirkungen von Emissionen elektromagnetischer Felder auf den Weg zu bringen. Die langfristige Gesundheit der Arbeitnehmer muss in vollem Umfang und auf einem hohen Niveau durch den Einsatz der besten verfügbaren Technologien zu wirtschaftlich vertretbaren Preisen gewährleistet werden. Der Ausschuss erwartet, dass der Wortlaut der Richtlinie entsprechend geändert wird.

1.3   Mit Blick auf die Gewährleistung der Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit dieses Vorsorgeprinzips unterstützt der Ausschuss den Ansatz der Kommission zur Festlegung von Grenzwerten. Um den vollen Nutzeffekt zu erzielen, empfiehlt der Ausschuss jedoch feste Grenzwerte in Anlehnung an jene Werte, die bei der Umsetzung der Richtlinie 2004/40/EG (durch Österreich, die Tschechische Republik, die Slowakei, Litauen, Lettland, Estland und Italien) festgesetzt wurden. Die Unabhängigkeit der Forschungseinrichtungen, die an der Definition der Grenzwerte für die Exposition von Arbeitnehmern gegenüber elektromagnetischer Strahlung, der Feststellung ihrer Wirkung und Folgen für die öffentliche Gesundheit und der Festlegung der Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der dieser Strahlung ausgesetzten Arbeitnehmer beteiligt sind, muss gestärkt werden.

1.4   Die Interessenkonflikte, in denen Mitglieder dieser Einrichtungen in Bezug auf die Finanzierung ihrer Forschungsarbeit oder ihre Aufträge stehen, müssen beendet werden (Verfahren und Ausschreibungen, Vergabe an unabhängige öffentliche Forschungsinstitute).

1.5   Der Ausschuss räumt ein, dass eine Ausnahmeregelung für Berufe, die die Magnetresonanz (MR) für medizinische Anwendungen nutzen, erforderlich ist. Diese muss jedoch befristet sein und mit einer Aufstockung der Mittel für die Erforschung neuer Technologien, die dem Schutz der Arbeitnehmer vor Auswirkungen der elektromagnetischen Felder dienen, und alternativer Techniken einhergehen. Für Arbeitnehmer, die unter die Ausnahmeregelung fallen, sollten umfassendere Schutzmaßnahmen, eine besondere ärztliche Betreuung und eine Haftpflichtversicherung für während der Arbeit auftretende Fehler im Zusammenhang mit der starken Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern vorgesehen werden. Nach Auffassung des Ausschusses sollten diese Maßnahmen nicht nur für medizinische Berufe gelten, sondern auch für alle anderen Arbeitnehmer, die aufgrund der Ausnahmeregelung in Artikel 3 des Vorschlags von den allgemeinen Bestimmungen der Richtlinie ausgenommen werden könnten.

2.   Einleitung

2.1   Mit diesem Vorschlag für eine Richtlinie soll die Richtlinie 2004/40/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) geändert werden, deren Umsetzung in einzelstaatliches Recht ursprünglich bis zum 30. April 2008 vorgesehen war. Es geht nicht um den Schutz der breiten Öffentlichkeit. Angesichts spezifischer Vorbehalte in Bezug auf die Magnetresonanztomographie (MRT) und der Notwendigkeit einer weiteren Abschätzung der Folgen der Richtlinie schlug die Kommission vor, die Frist für die Umsetzung der Richtlinie bis zum 30. April 2012 zu verlängern, was auch gebilligt wurde.

2.2   Dieser Vorschlag ist eine Neufassung der Richtlinie von 2004. Er enthält ein neues System für Expositionsgrenzwerte und Auslösewerte für Niedrigfrequenzen, und zielt darauf ab, den Schutz der Arbeitnehmer vor direkten und indirekten Auswirkungen elektromagnetischer Felder zu gewährleisten, wobei jedoch lediglich auf die bekannten Kurzzeitauswirkungen eingegangen wird. Insbesondere die aktuell debattierten Risiken im Zusammenhang mit den nichtthermischen Auswirkungen bestimmter Niedrigfrequenzfelder sind nicht Gegenstand des Vorschlags.

2.3   Mit Blick auf eine spezifische medizinische Anwendung ist für medizinische Bereiche, die die MRT nutzen, eine Ausnahmeregelung vorgesehen. Darüber hinaus ist für Streitkräfte eine Ausnahme von den in der Richtlinie festgelegten Schutzmaßnahmen vorgesehen, und den Mitgliedstaaten wird die Möglichkeit eingeräumt, in „spezifischen Situationen“ die festgelegten Werte zeitweilig zu überschreiten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Zur Richtlinie von 2004 wurde der EWSA nicht direkt angehört. 2008 wurde er jedoch um die Erarbeitung einer Stellungnahme zum Vorschlag ersucht, die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie um weitere vier Jahre zu verlängern. In dieser Stellungnahme (1)

erinnerte der EWSA an seine 1993 (2) formulierte Aufforderung „zur Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen […], um das Ausmaß der Gesundheitsgefährdung für Arbeitnehmer festzustellen, das sich […] durch die Exposition gegenüber magnetostatischen Feldern […] (auch bei langjähriger Exposition) ergibt“,

und erklärte Folgendes: „Bei dem Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch eine Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern [bestehen] derzeit Unterschiede von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat […]. Der möglichst raschen Erarbeitung einer Neufassung der Richtlinie, die den entsprechenden Schutz aller Arbeitnehmer […] gewährleistet, sollte daher Priorität eingeräumt werden.

3.2   In wissenschaftlichen Studien wurden eine Reihe gesundheitsschädlicher Wirkungen elektromagnetischer Felder festgestellt:

3.2.1   Bei einer Exposition gegenüber magnetostatischen Feldern: Hautreaktionen, Veränderungen im EKG (bei einer Feldstärke von höchstens 2 Tesla (3) verschwinden diese Veränderungen nach Beendigung der Exposition wieder), Beschwerden wie starke Übelkeit, Lichtblitze, Schwindel usw., die bereits bei einer Feldstärke von 1,5 Tesla auftreten können (4).

3.2.1.1   Bei einer Exposition gegenüber niederfrequenten Feldern (< 10 MHz): Störung elektrophysiologischer Prozesse im Organismus, die optische Wahrnehmungen (Auslösung sog. Phosphene), Reizung von Nerven und Muskeln, Herzbeschwerden usw. verursachen kann (5).

3.2.2   Im Hochfrequenzbereich (über 100 kHz): Hyperthermie aufgrund der Absorption von Energie durch biologisches Gewebe.

3.2.3   Ferner besteht das Risiko indirekter Auswirkungen, die die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer ebenso gefährden können, so z.B.: Explosion oder Brand infolge eines Lichtbogens, Projektilwirkung ferromagnetischer Gegenstände, Ausfall elektronischer Systeme, negative Auswirkungen auf Arbeitnehmer, die zu den durch elektromagnetische Felder „besonders gefährdeten“ Gruppen zählen, z.B. Personen mit medizinischen Implantaten, die elektronische Geräte am Körper tragen, Schwangere, Personen mit einer Tumorerkrankung usw.

3.3   Über die physiologischen, nichtthermischen und mittelfristigen Auswirkungen niedrigfrequenter Felder findet eine Grundsatzdebatte statt.

3.3.1   Folgende Risiken werden vermutet: Beeinträchtigung des neuroendokrinologischen Systems (Hormone, Melatonin), neurodegenerative Erkrankungen (Parkinson, Alzheimer, Sklerose), Auswirkungen auf die Reproduktionsfähigkeit und die menschliche und/oder tierische Entwicklung (Fehlgeburten, Missbildungen) und erhöhte Krebsgefahr (Gehirntumor, Leukämie bei Kindern).

3.3.2   Das Internationale Krebsforschungszentrum (IARC) der Weltgesundheitsorganisation hat die niedrigfrequenten und die hochfrequenten elektromagnetischen Felder in die Kategorie 2 b eingestuft („für den Menschen möglicherweise krebserregend“) - 2001 aufgrund des möglichen Auftretens von Leukämie bei Kindern und erneut 2011 infolge der Interphone-Studie (erhöhtes Risiko einer Erkrankung an bösartigen Hirntumoren, den so genannten Gliomen).

3.4   In dem unlängst veröffentlichen Huss-Bericht (6) wird vor den biologischen nichtthermischen und für Pflanzen, Insekten, Tiere sowie den menschlichen Organismus möglicherweise schädlichen Auswirkungen gewarnt, die mit der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern zusammenhängen, einschließlich der Exposition gegenüber Feldern, deren Frequenz unter der von der ICNIRP (7) empfohlenen Höchstgrenze liegt und die im Wesentlichen Bestandteil des vorliegenden Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission sind.

3.5   In ihrem Bericht, der sich auf die zusammenfassende Analyse zahlreicher wissenschaftlicher Ergebnisse und auf die Anhörung aller betroffenen Akteure stützt (Wissenschaftler, Europäische Umweltagentur, Nichtregierungsorganisationen, Bürgervereinigungen, Unternehmerverbände usw.), gelangen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass die EU ein Vorsorgeprinzip in Anlehnung an den ALARA-Grundsatz (as low as reasonably achievable - so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar) und wirksame Präventivmaßnahmen annehmen sowie die derzeitigen Schwellenwerte überarbeiten muss, und zwar ohne die Übereinstimmung aller wissenschaftlichen und klinischen Erkenntnisse abzuwarten, da dies sehr hohe Kosten für das Gesundheitswesen und die Wirtschaft nach sich ziehen könnte, wie dies bereits beispielsweise für Asbest, PCB und Tabak der Fall war.

3.6   Infolge dieses Berichts verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarates eine Entschließung (8), in der sie in Bezug auf die Normen und Schwellenwerte für die Emissionen elektromagnetischer Felder aller Arten und aller Frequenzbereiche die Anwendung des ALARA-Vorsorgeprinzips empfiehlt, wonach die Emissionen so gering wie vernünftigerweise erreichbar gehalten werden sollten. In der Entschließung wird ferner darauf verwiesen, dass das Vorsorgeprinzip zur Anwendung kommen sollte, wenn die wissenschaftliche Auswertung es nicht zulässt, eine mögliche Gefährdung der menschlichen Gesundheit mit hinreichender Gewissheit zu bestimmen. Bei den Empfehlungen werden nicht nur die so genannten thermischen, sondern auch die nichtthermischen biologischen Auswirkungen der Emissionen bzw. Strahlungen elektromagnetischer Felder berücksichtigt. Es müsse gehandelt werden, denn angesichts der zunehmenden Exposition der Bevölkerung könnten die wirtschaftlichen und menschlichen Folgekosten durch Untätigkeit sehr hoch sein, sollten die frühzeitigen Warnungen vernachlässigt werden. In der Entschließung wird darüber hinaus betont, dass eine uneingeschränkte Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Gutachten unabdingbar ist, um eine transparente und objektive Bewertung der potenziellen schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu gewährleisten. Abschließend sprechen sich die Autoren der Entschließung dafür aus, die wissenschaftlichen Grundlagen der von der ICNIRP festgelegten geltenden Grenzwerte für die Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern, die große Mängel aufweisen, zu überprüfen.

3.7   In ihren begründeten Stellungnahmen zum Richtlinienvorschlag haben die Sozialpartner unlängst folgendes herausgestellt:

Keine Arbeitnehmerkategorie darf ausgenommen werden. Die im EU-Recht bestehende Lücke hinsichtlich der Exposition der Arbeitnehmer gegenüber elektromagnetischen Feldern muss geschlossen werden.

Keine Einwände gegen eine Ausnahmeregelung für Arbeitnehmer, die die MRT nutzen, vorausgesetzt, diese Ausnahmeregelung wird befristet (was in der Richtlinie nicht der Fall ist) und geht mit einer spezifischen medizinischen Überwachung dieser Arbeitnehmer einher.

Um den Schutz der Arbeitnehmer vor möglichen Langzeitauswirkungen zu gewährleisten (die in dem Richtlinienvorschlag außer Acht gelassen werden), wird die Einrichtung einer Austauschplattform zwischen den Sachverständigen der ICNIRP und jenen der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgeschlagen.

3.8   Trotz der potenziellen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit gibt es derzeit keine europäischen Rechtsvorschriften zur unionsweiten Vereinheitlichung des Schutzes der Arbeitnehmer, die elektromagnetischen Feldern ausgesetzt sind.

3.9   Der EWSA bekräftigt erneut, dass Rechtvorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer vor den Auswirkungen einer Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern erforderlich sind – ein Bereich, in dem die wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnisse noch nicht zu wirklich greifbaren Ergebnissen geführt haben, obwohl einige wissenschaftliche Erkenntnisse die negative Wirkung elektromagnetischer Felder auf die Arbeitnehmer bestätigen, wobei allerdings die Meinungen über Umfang und Niveau dieser Wirkung auseinandergehen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Die Europäische Kommission stützt ihren Richtlinienvorschlag auf Vorsichtsmaßnahmen, die in Abhängigkeit von Schwellenwerten gesteigert werden, und sieht von einem allgemeineren Vorsorgeprinzip in Anlehnung an den ALARA-Grundsatz ab. In Bezug auf die menschliche Gesundheit sollten alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, um die Arbeitnehmer vor einer Gefährdung durch Langzeitauswirkungen zu schützen; die Vermutungen bezüglich dieser Auswirkungen gründen auf zahlreichen wissenschaftlichen Studien, werden jedoch von zwei wissenschaftlichen Einrichtungen, der ICNIRP und dem SCENIHR (9), schlicht zurückgewiesen. Es sollte betont werden, dass dies in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass in den letzten Jahren nur wenige wissenschaftliche Studien an Arbeitnehmern durchgeführt wurden. Dies hängt wiederum damit zusammen, dass sich die Wissenschaftler vorrangig der Gefährdung der Menschen durch die Exposition gegenüber Mobilfunkstrahlung widmen.

4.2   Ein weiteres Argument, das diese Einrichtungen derzeit ins Feld führen und damit die Existenz jeglicher Langzeitauswirkung in Abrede stellen, ist das fehlende Wissen über die biologischen Mechanismen, über die sich eine Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern auf lebende Organismen auswirken könnte. Ein solches Argument sollte aber eher für die Anwendung des Vorsorgeprinzips sprechen, wenn regelmäßig Auswirkungen beobachtet werden, für die die Wissenschaft aber noch keine genauen biologischen Erklärungen liefern kann.

4.3   In dieser unsicheren Lage ist der Ausschuss der Auffassung, dass sobald eine Reduzierung der Umweltbelastung möglich ist, diese auch in Erwägung gezogen werden muss, und zwar durch den Einsatz der besten verfügbaren Technologien zu wirtschaftlich vertretbaren Preisen.

4.3.1   Das im Rahmen der Richtlinie zugelassene Expositionsniveau darf zumindest nicht über den Grenzwerten liegen, die anerkannte Sachverständige der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer auf wissenschaftlichen Daten basierenden und nach den Grundsätzen wissenschaftlicher Publikationen veröffentlichten Studien ermittelt haben.

4.4   Es ist zweckmäßig, an dieser Stelle auf die Stellungnahme der französischen Agentur für Gesundheitssicherstellung in der Umwelt und am Arbeitsplatz (AFSSET) zu verweisen:

 

Unter Berücksichtigung

der in zahlreichen Studien zu Tage getretenen methodologischen Mängel in Bezug auf die Charakterisierung der Exposition unter Versuchsbedingungen,

der möglichen Langzeitauswirkungen auf bestimmte Krankheitsbilder und der Notwendigkeit, die Wirkung von Langzeit- bzw. chronischer Exposition besser zu dokumentieren,

der Bedeutung, die Erforschung bestimmter möglicher biologischer Auswirkungen bei „nichtthermischer“ Exposition fortzuführen,

 

schlug die AFSSET 2009 vor,

1)

die methodologische Qualität der In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf den physischen Aspekt (Charakterisierung der Exposition und Art der Anzeichen), aber auch in Bezug auf den biologischen Aspekt (Blindversuche, angemessene Kontrollen, Ermittlung falsch positiver Ergebnisse, Versuchswiederholungen, Sicherstellung einer ausreichenden statistischen Aussagekraft usw.);

2)

Versuche durchzuführen, insbesondere über die Fortpflanzung und die Entwicklung mehrerer Generationen von Tieren (z.B. an Tieren, die eine Prädisposition zu Krankheiten aufweisen, für die auch menschliche Veranlagungsgene bekannt sind - neurodegenerative Krankheiten, bestimmte Krebsarten, Autoimmunkrankheiten); diese Versuche sind unter realistischen und genau charakterisierten Expositionsbedingungen durchzuführen und die Ergebnisse stets mit Versuchen an gesunden Tieren zu vergleichen;

3)

einige Versuche erneut durchzuführen, die in diesem Bericht analysiert wurden und die biologische Auswirkungen mit einem wahrscheinlich physiologischen Charakter aufweisen (insbesondere in Bezug auf die Gehirndurchblutung);

4)

Studien für Frequenzbänder von weniger als 400 MHz (insbesondere in Bezug auf die chronischen Auswirkungen niedrigfrequenter Felder) und von mehr als 2,5 GHz durchzuführen  (10).

4.5   In Bezug auf das Vorsorgeprinzip wird nachdrücklich auf den Artikel von Olivier GODARD, Forschungsdirektor am CNRS (französisches Zentrum für wissenschaftliche Forschung), Ökonometrielabor (UMR 7176) der französischen École polytechnique, „Principe de précaution: un bon principe en manque d'organisation de sa mise en œuvre (11) (Vorsorgeprinzip: ein gutes Prinzip ohne systematische Umsetzung) vom 31. Mai 2011 verwiesen.

Brüssel, den 7. Dezember 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Stellungnahme des EWSA, ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 110.

(2)  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen. ABl. C 249 vom 13.09.1993, S. 12.

(3)  Die Stärke eines elektromagnetischen Feldes wird in Tesla (T) ausgedrückt. Tesla ist somit die Einheit des Internationalen Einheitensystems (SI) für die magnetische Flussdichte, die einem Weber (1 Wb) pro m2 entspricht.

(4)  WILÉN J, DE VOCHT F.: „Health complaints among nurses working near MRI scanners - A descriptive pilot study“. European Journal of Radiology, 13. Oktober 2010.

(5)  Guidelines for Limiting Exposure to Time-Varying Electric, Magnetic, and Electromagnetic Fields (up to 300 GHz). Health Physics 74 (4): 494-522; 1998. (ICNIRP-Richtlinien für die Begrenzung der Exposition durch zeitlich veränderliche elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder (bis 300 GHz) - http://www.icnirp.de/documents/emfgdlger.pdf).

(6)  Die potenziellen Gefahren elektromagnetischer Felder und ihre Auswirkungen auf die Umwelt, 6. Mai 2011, Parlamentarische Versammlung des Europarates, Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, kommunale und regionale Fragen. Dokument 12608, S. 3, http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/WorkingDocs/Doc11/EDOC12608.htm.

(7)  Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung.

(8)  Entschließung 1815 (2011) - http://assembly.coe.int/Mainf.asp?link=/Documents/AdoptedText/ta11/FRES1815.htm.

(9)  Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks (Wissenschaftlicher Ausschuss „Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken“).

(10)  Stellungnahme der Afsset zur Aktualisierung des Sachverstands im Bereich der Radiofrequenzen. http://www.afsset.fr/upload/bibliotheque/403036549994877357223432245780/09_10_ED_Radiofrequences_Avis.pdf.

(11)  http://www.gabrielperi.fr/IMG/article_PDF/article_a1246.pdf und http://www.gabrielperi.fr/IMG/pdf/PubOlivier_Godard-precaution-0411.pdf.