ISSN 1725-2407

doi:10.3000/17252407.C_2009.277.ger

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 277

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

52. Jahrgang
17. November 2009


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

453. plenartagung am 13.-14. Mai 2009

2009/C 277/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Forschung und Entwicklung als Triebfeder für Wettbewerbsfähigkeit

1

2009/C 277/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Auswirkungen rechtlicher Hindernisse auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes)

6

2009/C 277/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Bildungs- und Schulungsbedarf im Hinblick auf eine Gesellschaft mit kohlenstofffreier Energieversorgung (Sondierungsstellungnahme)

15

2009/C 277/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Eine umweltfreundliche See- und Binnenschifffahrt (Sondierungsstellungnahme)

20

2009/C 277/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Straßenverkehr im Jahr 2020: Erwartungen der organisierten Zivilgesellschaft (Sondierungsstellungnahme)

25

2009/C 277/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Östliche Partnerschaft (Sondierungsstellungnahme)

30

2009/C 277/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Zivilgesellschaftliche Beteiligung an der Umsetzung der ENP-Aktionspläne in den Ländern des Südkaukasus: Armenien, Aserbaidschan und Georgien

37

2009/C 277/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Ostseeregion: Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei der Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit und der Festlegung einer regionalen Strategie

42

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

453. Plenartagung 13./14.Mai 2009

2009/C 277/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Richtlinien 71/317/EWG, 71/347/EWG, 71/349/EWG, 74/148/EWG, 75/33/EWG, 76/765/EWG, 76/766/EWG und 86/217/EWG des Rates über das Messwesen (KOM(2008) 801 endg. — 2008/0227 (COD))

49

2009/C 277/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (KOM(2008) 543 endg. — 2008/0211 (COD))

51

2009/C 277/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Durchführung einer Gemeinschaftsregelung zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik (KOM(2008) 721 endg. — 2008/0216 (CNS))

56

2009/C 277/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Bekämpfung der Entwaldung und der Waldschädigung zur Eindämmung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt (KOM(2008) 645 endg.)

62

2009/C 277/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - EU-Strategie für eine Verbesserung des Abwrackens von Schiffen (KOM(2008) 767 endg.)

67

2009/C 277/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Phase II der Benzindampf-Rückgewinnung beim Betanken von Personenkraftwagen an Tankstellen (KOM(2008) 812 endg. — 2008/0229 (COD))

72

2009/C 277/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung) (KOM(2008) 780 endg./2 — 2008/0223 (COD))

75

2009/C 277/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (KOM(2008) 775 endg./2 — 2008/0220 (CNS))

81

2009/C 277/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern (KOM(2008) 887 endg. — 2008/0263 (COD))

85

2009/C 277/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm zur Konjunkturbelebung durch eine finanzielle Unterstützung der Gemeinschaft zugunsten von Vorhaben im Energiebereich (KOM(2009) 35 endg. — 2009/0010 (COD))

90

2009/C 277/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Die Rohstoffinitiative - Sicherung der Versorgung Europas mit den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gütern (KOM(2008) 699 endg.)

92

2009/C 277/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission: Maßnahmen zur Bewältigung der Krise in der europäischen Automobilindustrie (KOM(2009) 104 endg.)

98

2009/C 277/21

Stellungnahme des Europäischen- Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (KOM(2008) 869 endg. — 2008/0252 (CNS))

100

2009/C 277/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (KOM(2008) 637 endg. — 2008/0193 (COD))

102

2009/C 277/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/48/EG im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen (KOM(2008) 727 endg. — 2008/0215 (CNS))

109

2009/C 277/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem zur Bekämpfung des Steuerbetrugs bei der Einfuhr und anderen grenzüberschreitenden Umsätzen (KOM(2008) 805 endg. — 2008/0228 (CNS))

112

2009/C 277/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Ratingagenturen(KOM(2008) 704 endg. — 2008/0217 (COD))

117

2009/C 277/26

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan zur Umsetzung der EU-Tiergesundheitsstrategie (KOM(2008) 545 endg.)

125

DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

453. plenartagung am 13.-14. Mai 2009

17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/1


453. PLENARTAGUNG AM 13.-14. MAI 2009

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Forschung und Entwicklung als Triebfeder für Wettbewerbsfähigkeit“

(Sondierungsstellungnahme)

(2009/C 277/01)

Berichterstatterin: Anna Maria DARMANIN

Mit Schreiben vom 27. Juni 2008 ersuchte der tschechische Ratsvorsitz den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema

Forschung und Entwicklung als Triebfeder für Wettbewerbsfähigkeit.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 24. April 2009 an. Berichterstatterin war Anna Maria DARMANIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 14. Mai) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss spricht sich für eine neue Definition der Wettbewerbsfähigkeit aus, da die langfristige Wettbewerbsfähigkeit seines Erachtens nicht mehr nur anhand des BIP gemessen werden kann, sondern vielmehr ein breiteres Spektrum an Faktoren einschl. der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit einbezogen werden muss. Es gilt, das Augenmerk im derzeitigen wirtschaftlichen Klima auf eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft zu richten.

1.2.   Ausgehend davon, dass Nachhaltigkeit als Prozess eine sich stetig verändernde Messgröße ist, erachtet der Ausschuss Innovation als wesentlichen Faktor einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit. Daher können Innovationen einen derartigen Prozess voranbringen. Forschung und Entwicklung sind ihrerseits sehr wichtige Aspekte des Innovationsprozesses.

1.3.   Der Ausschuss hat in dieser Stellungnahme eine Reihe von Hemmnissen ermittelt, die Forschung und Innovation behindern. Ihr Abbau erfordert eine Langzeitperspektive und Investitionen in die Zukunft. Der Ausschuss empfiehlt daher die Durchführung folgender Initiativen, um die Auswirkungen derartiger Hemmnisse abzuschwächen:

Harmonisierung der Innovationsmöglichkeiten und -programme in der EU. Es bestehen durchaus zahlreiche Möglichkeiten zur Innovationsförderung in der EU, doch mangelt es oftmals an einer entsprechenden Verknüpfung und echten Koordinierung. Nach Meinung des Ausschusses müssen daher größere Anstrengungen unternommen werden, um einen koordinierten Ansatz für Innovationen seitens der Europäischen Kommission und anderer Stellen, die Innovationsprogramme verwalten, sicherzustellen;

Verringerung des Informationsüberangebots und Konzipierung eines kohärenteren und einfacheren Zugangs zu Innovations- und Forschungsinformationen und -möglichkeiten. Der Ausschuss nimmt die Bemühungen zur Kenntnis, den Informationsdschungel zu lichten, doch muss noch viel getan werden. Insbesondere für KMU müssen gezielte, einfache, wirksame und koordinierte Informationen zur Verfügung stehen;

höhere Investitionen in Bildungssysteme durch den Ausbau von Programmen wie ERASMUS und COMENIUS, um Studierenden Bildungsmöglichkeiten außerhalb ihres Landes zu eröffnen. Der Grundstein für einen dauerhaften Wandel muss in der Primar- und Sekundarschule gelegt werden. Daher sind Möglichkeiten wie die oben genannten Programme ein wichtiges Bildungselement;

Förderung des Unternehmergeistes im Rahmen der Lehrpläne. Der Unternehmergeist ist ein wichtiger Faktor für Forschung und Wirtschaft und kann gezielt über das Bildungssystem gefördert werden;

Verbesserung der wirtschaftlichen Überlebenschancen von Jungunternehmern im Bereich innovative Hightech-Produkte oder -Verfahren;

Festlegung der Beschäftigungsbedingungen für junge Forscher, um ein zufriedenstellendes Arbeitsumfeld zu schaffen, das auch für die besten Köpfe attraktiv ist. Ungeachtet der eventuell unterschiedlichen Bedingungen für die Forschungstätigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten hält der Ausschuss einen abgestimmten gesamteuropäischen Ansatz in dieser Frage für erforderlich;

Einbindung aller Mitgliedstaaten als bedeutende Akteure in den Innovationsprozess, um so vom Potenzial der EU-27 und nicht nur der erfahreneren F&E-Akteure zu profitieren;

Ausbau der Strukturen für den kontinuierlichen Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

1.4.   Nach Meinung des Ausschusses sind Forschung und Entwicklung nicht nur Sache der Hochschulen und einschlägigen Unternehmensabteilungen, sondern gehen alle an. Jeder Arbeitnehmer verfügt über enormes Potenzial. Das Konzept mitarbeitergestützter Innovation muss weiterentwickelt und im Rahmen der Zusammenarbeit am Arbeitsplatz, des lebenslangen Lernens und der Tätigkeit der Betriebsräte aufgegriffen werden.

1.5.   Nach Ansicht des Ausschusses sollte die neue Lissabon-Agenda für die Zeit nach 2010 nicht nur ein Ziel für FEI-Investitionen der Mitgliedstaaten, sondern auch ein Ziel für BIP-Ausgaben für Bildung - seiner Meinung nach ein wichtiger Katalysator für Innovation - umfassen. Der Ausschuss empfiehlt daher folgende Ziele auf der neuen Lissabon-Agenda für die Zeit nach 2010:

7 % des BIP für Bildung von der Primarstufe bis zur Hochschulbildung;

1 % des BIP für öffentliche FuE;

2 % für private FuE-Investitionen.

1.6.   Der Ausschuss bekräftigt, dass Länder und Unternehmen, die auf eine hochgradig nachhaltige Produktion und auf umwelteffiziente neue Technologien und Produktionsverfahren setzen, in Zukunft am wettbewerbsfähigsten sein werden. Der Ausschuss empfiehlt, dass die EU Umwelteffizienz als bereichsübergreifenden Faktor in die Bildungs-, Forschungs- und Innovations-, Industrie-, Verkehrs-, Energie- und Klima- sowie Sozial- und Beschäftigungspolitik aufnimmt und eine wirksamere und engere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Politikbereichen fördert.

1.7.   Der Ausschuss sieht auf Grund der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise eine ernste Gefahr: Viele Unternehmen könnten sich gezwungen sehen, auch ihre F&E-Aktivitäten zu reduzieren und deswegen mit einem Einstellungsstopp zu reagieren, der die Absolventen der Universitäten und technischen Hochschulen zur Arbeitslosigkeit verurteilt. Der Ausschuss appelliert daher an Kommission und Mitgliedstaaten, gerade in dieser schwierigen Krisensituation durch eine antizyklische Einstellungspolitik der staatlich geförderten Forschungsinstitutionen dieser drohenden Arbeitslosigkeit junger Wissenschaftler und Ingenieure entgegen zu wirken und die Motivation für technische und naturwissenschaftliche Studien weiterhin zu fördern.

2.   Wettbewerbsfähigkeit

2.1.   Nach Auffassung des Ausschusses muss die europäische Wettbewerbsfähigkeit neu belebt werden, in dem das wissenschaftliche und technische Fachwissen der gesamten EU zusammengebracht wird, in Verbindung mit der Festlegung spezifischer Ziele und einer wesentlich höheren Mittelausstattung unabdingbar. Nur durch ein synergetisches Zusammenspiel zwischen einer überarbeiteten Innovationspolitik und allen Gemeinschaftspolitiken kann die EU ihren Rückstand wettmachen und die Grundlagen für ein neues Entwicklungsmodell schaffen, das es ihr ermöglicht, ihre Exportkapazitäten im Vergleich zu den Schwellenländern, die von niedrigen Arbeitskosten profitieren, auszubauen.

2.2.   Das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit in Europa sollte erweitert und auf eine breitere Grundlage als ausschließlich das BIP der Mitgliedstaaten gestellt werden. Es bedarf daher eines umfassenderen Ansatzes, in dem der Schwerpunkt auf eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit gelegt wird. Zur Verwirklichung dieser nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit können unterschiedliche Maßnahmen herangezogen werden. Einige davon werden in dem (von Mitgliedern des Club of Rome ausgearbeiteten) Referenzdokument für das PARADISO-Projekt dargelegt. Nach Meinung des Ausschusses muss eine neue Maßnahme, in der die bestehenden Instrumente zusammengefasst werden, angenommen werden; sie sollte auf die soziale, die wirtschaftliche und die ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet sein.

2.3.   Angesichts der Wirtschaftsrezession in den Industrieländern und der negativen Aussichten für die europäische Wirtschaft möchte der Ausschuss dazu beitragen, die erforderlichen Lösungen zur Bewältigung dieser Krise zu finden. Der Ausschuss begrüßt das an ihn gerichtete Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes, eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Forschung und Entwicklung als Triebfeder für Wettbewerbsfähigkeit“ zu erarbeiten.

2.4.   Der Ausschuss ist überzeugt, dass allein diejenigen Unternehmen, die auf den Märkten für hochwertige Traditions- und Hightech-Produkte wettbewerbsfähig sind, aus der derzeitigen Krise als handlungsfähige Akteure hervorgehen und schnell wieder Oberhand gewinnen werden und der einzige Weg zur Sicherung der Zukunft ein größeres Engagement für Forschung und Innovation ist. Diejenigen, die in der Vergangenheit in die Forschung investiert haben, verfügen nun über die erforderlichen Strukturen und Humanressourcen und somit bessere Chancen, die Krise rascher und erfolgreicher zu bewältigen als diejenigen, die derartige Investitionen versäumt haben.

3.   Forschung, Entwicklung und Innovation

3.1.   Der Ausschuss betont, dass Forschung und Entwicklung Impulsgeber für Innovation sind. In seiner derzeit äußerst kritischen Lage muss Europa sich dem Thema industrielle Innovationen zuwenden. Als Antwort auf den Konjunkturabschwung und die immer stärkere Rezession muss aus Sicht des Ausschusses Innovation durch einen Kickstart zu einem „echten Faktor für Wettbewerbsfähigkeit“ gemacht werden, gestützt auf eine Reihe von Eckpfeilern und unter aktiver Nutzung der Vorteile des erweiterten Binnenmarktes, mit deren Hilfe die europäische Industrie wieder auf die Beine gebracht werden kann. Bei diesen Eckpfeilern handelt es sich um folgende:

Forschung, Innovation und Unternehmertum,

Investitionsförderung und

eine nachdrückliche und erneute Bildungsförderung.

3.2.   Es ist jedoch bereits klar, dass die bisherigen anerkanntermaßen enormen Bemühungen in der EU in den Bereichen Forschung und Innovation gemessen an den durch das Ausmaß der Krise bedingten Erfordernissen unzureichend sind. Nach Meinung des Ausschusses müssen umfangreichere Maßnahmen getroffen werden, um die über die Forschungsprogramme entwickelten Innovationen besser zu vermarkten. Außerdem müssen die Verfahren zur Gewährung von Finanzmitteln und zur Ergebnisbewertung transparenter gestaltet werden.

Mit dem Europäischen Konjunkturprogramm der Europäischen Kommission werden weitere Innovationsimpulse geliefert. Dies wird durch die geplante Mittelzuweisung für die Europäische Initiative für umweltfreundliche Kraftfahrzeuge, die Europäische Initiative für energieeffiziente Gebäude und die Initiative zur Fabrik der Zukunft veranschaulicht, mit denen die Forschung in den drei krisengeschüttelten Branchen (Automobil- und Bauindustrie sowie produzierendes Gewerbe) vorangebracht werden soll.

3.3.1.   Europa hat massiv in die Strukturen zur Förderung von Forschung und technologischer Entwicklung (FTE) investiert; dies wird durch die Zahl der in den verschiedenen gemeinschaftlichen, nationalen und regionalen Systemen bestehenden Strukturen und Programme veranschaulicht.

4.   Das Wissensdreieck

4.1.   Für zielführende Innovation, Forschung und technologische Entwicklung in der Industrie müssen die drei Komponenten des Wissensdreiecks kontinuierlich mobilisiert werden.

4.2.   Nach Auffassung des Ausschusses muss eines der grundlegenden Ziele sein, eine umfassende Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen und Hochschulen und der Industrie zu erreichen, die unabdingbar scheint, um einen „circulus virtuosus“ für europäische Wettbewerbsfähigkeit in Gang zu setzen.

4.3.   Der Ausschuss hat vor Kurzem eine gesonderte Stellungnahme zum Thema „Zusammenarbeit und Wissenstransfer zwischen Forschungsorganisationen, Industrie und KMU - eine wichtige Voraussetzung für Innovation“ (INT/448) verabschiedet, in der er eine eingehende Analyse der gegenwärtigen Situation auf Grundlage der erzielten Ergebnisse und mit Blick auf die Zukunftsaussichten vorgenommen und die Hindernisse herausgearbeitet hat, die durch einen raschen und effizienten Wissenstransfer zwischen diesen beiden Welten, die viel zu lange voneinander abgeschottet agiert haben, überwunden werden können.

4.4.   In diesem Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie hat der Ausschuss die Einrichtung von öffentlich und privat finanzierten Forschungskonsortien begrüßt und unterstützt; beispielsweise hat er den im Rahmen der neuen Gemeinsamen Technologieinitiativen (JTI) vorgeschlagenen Plan sehr positiv aufgenommen sowie seine schnelle Umsetzung und umfassende Anwendung gefordert (1). Der Ausschuss hat sich für die Ausweitung dieser Initiativen auf andere Sektoren ausgesprochen, da diese nicht nur als Grundvoraussetzung öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) und eine gleichberechtigte Mittelgewährung festlegen, sondern auch Hochschulen, öffentlichen und privaten Forschungszentren und wissenschaftlichen Gremien die Möglichkeit bieten, sich als Partner an diesen Unternehmen zu beteiligen.

4.5.   Der Ausschuss bekräftigt in diesem Zusammenhang seine in einer früheren Stellungnahme erhobene dringende Forderung (Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts“, INT/335) nach Schaffung eines Gremiums für die Koordinierung und Konsolidierung der Beziehungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die bereits in die Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts (ETI) gemündet ist. Das ETI muss nun dringend durch die Bereitstellung der erforderlichen Finanz- und Humanressourcen voll funktionstüchtig gemacht werden.

4.6.   Die gemeinschaftliche Koordinierung im Technologiebereich mittels einer gehaltvollen Zusammenarbeit und dem Aufbau von Schnittstellen zwischen Hochschuleinrichtungen und Unternehmen ist nach Meinung des Ausschusses von grundlegender Bedeutung; sie ist entscheidend für die Entwicklung innovativer Erzeugnisse und Verfahren, die wiederum für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie wesentlich sind.

5.   Hemmnisse für die Umsetzung von Forschung und Entwicklung in Innovation

5.1.   Für ein wahrheitsgetreueres Bild der aktuellen Situation in Sachen Innovation in der EU müssen die Faktoren untersucht werden, die die Triebfeder Innovation derzeit hemmen.

5.2.   Der Ausschuss hat einige dieser Faktoren ermittelt; bekanntermaßen können diese wie folgt zusammengefasst werden:

Die Bildungseinrichtungen tendieren kaum dazu, junge Menschen für eine Berufslaufbahn in der Forschung zu begeistern;

die schlechten Arbeitsbedingungen für den Forschungsnachwuchs im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA und auch zu anderen Berufssparten schreckt vielversprechende junge Forscher ab;

die Forschungseinrichtungen sind kaum über die wirtschaftlichen Anforderungen der Industrie informiert;

die Industrie nimmt die von den Forschungseinrichtungen aufgezeigten Innovationschancen nicht unbedingt wahr.

5.3.   Darüber hinaus hat der Ausschuss weitere Faktoren identifiziert:

Der Unternehmergeist wird in der europäischen Kultur nicht bereits von Beginn der Schullaufbahn gefördert und verinnerlicht; daher sind die Förderung für Jungunternehmer sowie die wirtschaftlichen Voraussetzungen und die Überlebenschancen für neu gegründete Hightech-Unternehmen über die ersten fünf Jahre hinaus verschwindend gering und bieten somit keinen ausreichenden Anreiz;

akademische Forschung ist nicht unbedingt auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet;

die Wirtschaft steht Neuerungen und einer proaktiven Vorgehensweise nicht immer offen gegenüber;

einige EU-Mitglieder, vor allem die zwölf neueren Mitgliedstaaten, bringen sich nur in geringerem Maße in Innovationsprogramme, Forschung und Entwicklung ein.

6.   Ein wichtiger Faktor für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit: die berufliche Bildung

6.1.   Über Bildungsoptionen, die den höchsten internationalen Standards entsprechen oder diese übertreffen, muss sichergestellt werden, dass hochqualifizierte Humanressourcen zur Verfügung stehen, damit die auf Gemeinschaftsebene festgelegten Programme und Prioritäten die Wettbewerbsfähigkeit verbessern.

6.2.   Das Humankapital ist die wichtigste Ressource für Forschung und Entwicklung. Die Europäische Union hat von Beginn an die Notwendigkeit erkannt, Bildung und Kultur als Teil des europäischen Einigungswerks zu betrachten. In Artikel 127 des EWG-Vertrags (Artikel 150 EG-Vertrag) heißt es: „Die Gemeinschaft führt eine Politik der beruflichen Bildung, welche die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für Inhalt und Gestaltung der beruflichen Bildung unterstützt und ergänzt.“

6.3.   Bis in die 80er Jahre gab es viele Absichtserklärungen, aber nur wenige praktische Maßnahmen im Bereich berufliche Bildung. Mit der Einrichtung von EURYDICE, dem offiziellen Netz zur Erhebung, Überwachung und Verbreitung von Informationen über Bildungssysteme und -politiken in Europa, änderte sich dies jedoch. Im Jahr 1985 wurde eine Rechtsgrundlage für die Bildungspolitik festgelegt, derzufolge das Konzept der „beruflichen Bildung“ im weiten Sinn alle Bildungsmaßnahmen einschl. der höheren Bildung zur Vorbereitung auf einen akademischen oder einen gewerblichen Beruf oder eine Beschäftigung umfasst.

6.4.   Damit wurde die berufliche Bildung zu einem vorrangigen Thema für die Gemeinschaftspolitiken, was sich in den ersten Gemeinschaftsprogrammen (COMETT, ERASMUS, LINGUA im Bereich Hochschulbildung und PETRA, EUROTECNET sowie FORCE im Bereich Berufsbildung) niederschlug.

6.5.   Der Einfluss dieser Programme auf den Stellenwert der Bildung auf Gemeinschaftsebene wird durch ERASMUS veranschaulicht, das trotz einiger Anfangsschwierigkeiten in bestimmten Mitgliedstaaten in 20 Jahren rund 1 500 000 jungen Menschen und 250 000 Lehrkräften die Möglichkeit eröffnet hat, an einer Universität in einem anderen Land als ihrem eigenen zu studieren bzw. zu lehren, was auch dazu beigetragen hat, den gesamten europäischen Integrationsprozess voranzubringen.

6.6.   Im Anschluss an eine lange Reihe von Vorschlägen für alle Bildungsebenen von der Grund- bis zur Hochschule hat der Europäische Rat der Europäischen Union im März 2000 in der Lissabon-Strategie das strategische Ziel gesetzt, „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt“ zu werden. Auf seiner Tagung in Barcelona im Jahr 2002 untermauerte der Europäische Rat dies mit der Zielsetzung, die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in der Europäischen Union „bis 2010 zu einer weltweiten Qualitätsreferenz“ zu machen.

6.7.   Der EWSA erkennt an, dass der Weg einer beruflichen Karriere in der Forschung nur von sehr talentierten jungen Menschen angestrebt werden kann; diese Menschen sollten daher für die Forschung gewonnen werden. Forscher, Universitäten und Hochschulen und die Gesellschaft im Allgemeinen haben in den Erwerb und die Entwicklung des Spezialwissens investiert. Aus diesem Grund sollte die Politik nicht nur für eine Maximierung dieser Investitionen sorgen, sondern auch dafür, dass diese Investitionen nicht umsonst waren. Außerdem ist eine langfristig belastbare planerische Verlässlichkeit bei der Mittelausstattung der Forschungsinstitutionen ein Muss. Diese Anreize wurden bereits in einer früheren Stellungnahme des EWSA hervorgehoben (2).

7.   Aus Sicht der KMU:

7.1.   Auch auf KMU-Ebene bestehen weitere Hindernisse; eines der Haupthindernisse nach Meinung des Ausschusses sind die mangelnden Ressourcen von KMU, um in die Forschung zu investieren und innovative Ideen und Chancen für die Forschung zu nutzen. Zwar gibt es diverse Möglichkeiten, aber das Übermaß an Informationen und Möglichkeiten ist allein schon ein Hemmschuh, weil es abschreckt.

7.2.   Doch weist der Ausschuss erneut darauf hin, dass es sehr wichtig ist, ein günstiges Umfeld für die unmittelbare Mitwirkung der KMU an den gemeinschaftlichen Initiativen für Forschung und Innovation zu schaffen, wie dies auch in den wichtigen Maßnahmen des Bereichs „Kapazitäten“ des Siebten Rahmenprogramms vorgesehen ist; denn schließlich bilden sie nicht nur zahlenmäßig eine gewichtige Wirtschaftsgröße, sondern tragen auch in großem Maße zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei.

7.3.   Fehlende Verfahrensweisen, die der Dimension der KMU angemessen wären, erschweren häufig deren Mitwirkung. Hinzu kommt das Problem des erforderlichen Risikokapitals für die Startphase. Dies sind die beiden Hauptschwierigkeiten für eine Mitwirkung der KMU. Während die großen Unternehmen über eigene Büros und die erforderlichen Informationen zur Einreichung der Finanzierungsanträge für ihre Programme verfügen, verzichten Kleinunternehmen häufig darauf, Anträge zu stellen, und zwar wegen übermäßigen Verwaltungsaufwands sei es bei der Einholung von Informationen, der Formulierung von Verträgen oder der anschließenden Verwaltung eines Vorhabens.

7.4.   All dies macht es schwierig, ein strategisches Ziel zu verwirklichen, für das sich der Ausschuss in allen Stellungnahmen zur Mitwirkung der KMU einsetzt, die doch ein enormes Innovationspotenzial bergen. Deshalb fordert der Ausschuss erneut eine Vereinfachung der Bestimmungen für eine Mitwirkung der KMU, die eine äußerst wichtige Rolle spielen, da sie ein bemerkenswertes Kreativitätspotenzial aufweisen und am Puls der Erwartungen und der Nachfrage der Zivilgesellschaft nach neuen Produkten sind.

8.   Weitere Bemerkungen

8.1.   Forschung und Innovation sind unverzichtbarer Bestandteil jedweder moderner Wirtschaft, müssen sich aber auf eine streng umweltfreundliche Produktion, den konsequenten Schutz des europäischen Wertesystems und eine nachdrückliche Verteidigung des europäischen Sozialmodells stützen.

8.2.   Zur Verwirklichung einer neuen forschungs- und innovationsgestützten Politik und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber anderen Industrie- und Schwellenländern gilt es, sich strategisch festzulegen und die Human- und Wirtschaftsressourcen erheblich aufzustocken, damit Europa im Weltvergleich ein hohes Niveau an wissenschaftlicher Exzellenz erreichen kann.

8.3.   Der Ausschuss betont ferner, dass eine grundlegende Voraussetzung für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit in einer angemessenen schulischen und beruflichen Bildung — von der Grund- bis zur Hochschule — liegt, um junge Menschen für eine Berufslaufbahn in der Wissenschaft zu gewinnen und im Einklang mit den höchsten internationalen Bildungsstandards ein hochprofessionelles und -motiviertes Humankapital aufzubauen.

8.4.   Das für Wirtschaft zuständige Kommissionsmitglied Joaquín Almunia hat den 27 EU-Mitgliedstaaten die Daten der Zwischen-Wirtschaftsprognose vorgelegt, die Anlass zu großer Sorge geben. Diese Prognose bestätigt, dass Europa vor einer schweren Rezession mit einem durchschnittlichen Rückgang des BIP um 1,8 % steht. In Bezug auf die Eurozone sind die Aussichten auch für diejenigen Länder ebenso düster, die bislang als Motoren der europäischen Wirtschaft gegolten haben, wie Deutschland (–2,3 %). Irland (–5 %) wird ebenso wie Spanien und Italien (–2 %) und Frankreich (–1,8 %) schwer von der Finanzkrise in Mitleidenschaft gezogen. Gemäß dieser Wirtschaftsprognose wird der Rückgang des europäischen BIP verheerende Folgen für die Lage auf dem Arbeitsmarkt nach sich ziehen: Anstieg der Arbeitslosenquote auf 8,2 % und Verlust von 3,5 Mio. Arbeitsplätzen. Das Haushaltsdefizit wird in 12 der 27 EU-Mitgliedstaaten über der im Vertrag von Maastricht festgelegten Obergrenze von 3 % liegen, wobei die höchsten Werte in Irland (11 %), Spanien (6,2 %) und Frankreich (5,4 %) zu verzeichnen sind.

8.5.   Diese Daten stammen vom Januar 2009, erscheinen aber schon jetzt weit von der Aktualität entfernt. Das Kommissionsmitglied selbst hat sich mehrfach dazu geäußert und eindringlich vor der zunehmenden und anhaltenden Verschlechterung der Wirtschaft und dem prognostizierten Verlust von 6 Mio. Arbeitsplätzen in Europa bis zum Jahr 2010 gewarnt. In einer Rede vor dem Ausschuss erklärte Kommissionsmitglied Almunia: „Angesichts der jüngsten verfügbaren Daten müssen die Wirtschaftsprognosen vom Januar nach unten korrigiert werden“.

8.6.   Zur Veranschaulichung der nach wie vor bestehenden Kluft und der Entfernung von dem für den Wirtschaftsaufschwung in der EU erforderlichen Ziel reicht ein Vergleich des Investitionsvolumens in Europa und den Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten haben konsequent 3 % ihres BIP in die Forschung investiert, wohingegen die Investitionsrate in der EU unter 2 % liegt; einige EU-Mitgliedstaaten sind noch weit vom 3 %-Ziel der Lissabon-Strategie entfernt. Angesichts der derzeitigen Rezession scheint selbst dieses Ziel in quantitativer Hinsicht noch absolut unzureichend.

8.7.   Diese negativen Prognosen zeigen klar den deutlichen Rückstand Europas und das Ausmaß der Anstrengungen, die erforderlich sind, um erneut eine angemessen hohe Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Wirtschaftsumfeld zu erlangen, das vor allem aufgrund der Wirtschaftsentwicklung in den Schwellenländern einem raschen Wandel unterliegt.

8.8.   Europa sollte daher die Wissensinvestitionen (Forschung und Entwicklung, allgemeine und berufliche Bildung) in Wettbewerbsfähigkeit ummünzen und sich das Wachstum der Industrieländer zunutze machen, und entschieden in diese Richtung voranschreiten.

8.9.   Laut Berichten können Unternehmen stärker von ihrer Forschung profitieren, wenn sie die Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern suchen, deren Kompetenzen fördern und deren Arbeit so gestalten, dass sie Ideen entwickeln können, die dann in die Unternehmenspolitik einfließen.

8.10.   Dank mitarbeitergestützter Innovation sind Unternehmen in einer besseren Ausgangslage, sparen Kosten und sind wettbewerbsfähiger. Dieses Konzept muss gefördert werden; es kommt zur Anwendung, wenn es darum geht, nicht mehr, sondern intelligenter zu arbeiten.

Brüssel, den 14. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  ABl. C 204, S. 19 vom 9.8.2008; ABl. C 44, S. 11 vom 16.2.2008; ABl. C 44, S. 15 vom 16.2.2008; ABl. C 44, S. 19 vom 16.2.2008; ABl. C 44, S. 22 vom 16.2.2008.

(2)  ABl. C 110 S. 3 vom 30.4.2004.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/6


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Auswirkungen rechtlicher Hindernisse auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes)

(2009/C 277/02)

Berichterstatter: Joost van IERSEL

Mit Schreiben vom 27. Juni 2008 ersuchte der stellvertretende tschechische Ministerpräsident und Europaminister, Herr Alexandr Vondra, im Namen des tschechischen Ratsvorsitzes den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema:

Die Auswirkungen rechtlicher Hindernisse in den Mitgliedstaaten auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 24. April 2009 an. Berichterstatter war Herr van IERSEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 14. Mai) mit 198 gegen 4 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der Binnenmarkt als allumfassendes politisches Ziel zur Förderung von Wirtschaftswachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und nachhaltiger Entwicklung steht im Mittelpunkt des europäischen Einigungsprozesses. Der Binnenmarkt ist insofern als sehr erfolgreich zu bezeichnen, als durch ihn eine enorme Anzahl rechtlicher Hindernisse zum Wohle der Bürger und Verbraucher, der Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt beseitigt werden konnten (1). Rechtsvorschriften sind dabei grundlegend.

1.2.   Ganz im Gegensatz jedoch zu der allgemeinen Annahme, dass der Binnenmarkt bereits vollendet sei, erfordert wirtschaftliche Dynamik ständige Bemühungen zur Schaffung eines echten Gemeinsamen Marktes für öffentliche und private Wirtschaftsakteure in der ganzen EU. Zudem wurde in wichtigen Bereichen wie Finanzen und Energie durch das EU-Recht bislang noch kein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes bewirkt. Unter den derzeitigen Umständen ist ein wirksamer Rechtsrahmen für den Finanzsektor dringend erforderlich.

1.3.   Angesichts der schlimmsten Rezession und der systemischen Krise der Finanzmärkte der jüngsten Zeit ist die Wiederherstellung von Vertrauen und Zuversicht in Europa von grundlegender Bedeutung. Um die Krise zu überwinden, sollten die derzeitigen Politikansätze, insbesondere im Finanzsektor, überdacht werden. Um die Gefahr des Protektionismus und einer Renationalisierung der Politik abzuwenden und die offenen Märkte in und außerhalb der EU beizubehalten, muss die EU unbedingt einen klaren politischen Kurs festlegen. Der EWSA fordert ein beständiges und entschlossenes Engagement des Rates und der Mitgliedstaaten gegen Protektionsimus und Marktfragmentierung.

1.4.   Maßnahmen zur Abfederung der Folgen der Krise, wie etwa direkte staatliche Interventionen oder die Übernahme von Banken durch den Staat sowie besondere steuerliche und finanzielle Anreize, so notwendig sie in der gegenwärtigen Krise auch sein mögen, dürfen vereinbarte mittel- und langfristige Ziele nicht untergraben oder bestehende und bewährte Rahmenbedingungen, einschließlich der Regelungen für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen, nicht aufs Spiel setzen. Andernfalls würde der Möglichkeit von Marktverzerrungen im großen Stil Tür und Tor geöffnet. Zugleich müssen aus der Krise Lehren gezogen werden, welche Rechtsvorschriften und welche finanziellen Maßnahmen erforderlich sind, um zu einer langfristig nachhaltigen Entwicklung zu gelangen.

1.5.   Der ausgeprägte konjunkturelle Abschwung erfordert ein solides, stabiles und gerechtes Umfeld für europäische Unternehmen und Arbeitnehmer, um Wirtschaftswachstum, Innovation, Schaffung von Arbeitsplätzen, sozialen Fortschritt und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die Lissabon-Göteborg-Agenda (2) ist nach wie vor ein Eckpfeiler für Wachstum und Beschäftigung sowie zur Förderung von Vitalität und Innovation sowohl innerhalb der EU als auch auf globaler Ebene.

1.6.   Unter diesem Gesichtspunkt sind eine bessere Rechtsetzung und alle damit in Zusammenhang stehenden Initiativen auf EU-Ebene sowie die korrekte Umsetzung und Durchsetzung in den Mitgliedstaaten und auf regionaler Ebene von herausragender Bedeutung. Die Hauptakteure, d.h. die Kommission, das Europäische Parlament, der Rat und die Mitgliedstaaten selbst müssen diesen Zielen voll und ganz verpflichtet bleiben.

1.7.   Für eine gute Governance müssen außer den Akteuren auf Regierungsebene auch die Unternehmen und Unternehmensorganisationen, die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft ihren Beitrag leisten sowie sich in dem ganzen Prozess mitverantwortlich und zuständig zeigen.

1.8.   Der europäischen Integration sind neue Herangehensweisen wie das neue Konzept und das Binnenmarktpaket für Waren 2008 ebenso förderlich wie die Reduzierung von ungerechtfertigtem Verwaltungsaufwand und die Anerkennung beruflicher Qualifikationen.

1.9.   Durch die gegenwärtige Entwicklung wird der EWSA einmal mehr in seiner bereits seit langem vertretenen Ansicht bestärkt, dass die Kommission als Hüterin der Verträge besser befähigt werden muss (und nicht — wie dies oft der Fall ist — daran gehindert werden darf), effektiv zu gewährleisten, dass die jeweilige nationale Gesetzgebung mit den vereinbarten rechtlichen Anforderungen in der EU in Einklang steht.

1.10.   Die weitere Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Jahr 2009 wird neue Möglichkeiten zum Nutzen von Bürgern und Unternehmen eröffnen. Durch eine effektive Überwachung muss jedoch eine Absenkung der Sozial-, Qualitäts-, Umwelt- und Sicherheitsstandards vermieden werden.

1.11.   Die Beseitigung von rechtlichen Hindernissen und die Vorgehensweise zur Verwirklichung dieses Ziels erfordert gerade in der aktuellen Situation eine bessere Kommunikationsstrategie auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten. Eine solche Kommunikation muss die Glaubwürdigkeit der EU erhöhen, das Vertrauen der Bürger und Unternehmen stärken und einer euroskeptischen Haltung entgegenwirken.

1.12.   Mittels Beseitigung rechtlicher Hindernisse, besserer Rechtsetzung und vereinbarter Rahmenbedingungen innerhalb der EU wird auch die Position der EU in den Verhandlungen mit anderen Handelsblöcken sowie im Rahmen der WTO und der Doha-Runde gestärkt.

1.13.   Nicht zuletzt kann die EU aus ihrer Geschichte die Lehre ziehen, dass sich durch schwierige Zeiten mitunter auch Fortschritte ergeben. Aufgrund der Krise der Siebziger-/Anfang Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts wurde der politische Wille zu einer Wirtschafts- und Währungsunion bekräftigt, und 1985 wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte als Grundlage für „Europa 1992“ der Weg zur Vollendung des Binnenmarktes freigemacht.

2.   Einleitung

2.1.   In der vorliegenden Sondierungsstellungnahme zum Thema Auswirkungen rechtlicher Hindernisse auf die Wettbewerbsfähigkeit, die der EWSA auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes erarbeitet, wird untersucht, wie ein Binnenmarkt ohne (ungerechtfertigte) administrative Hindernisse und auf der Grundlage besserer Rechtsetzung erreicht werden kann. Zweck des Binnenmarktes ist es, den Bürgern und Unternehmen Europas im Hinblick auf den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital überall in der EU sichere und unbestrittene rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

2.2.   Die Schwerpunkte im Programm des derzeitigen tschechischen Ratsvorsitzes sind insbesondere die fristgerechte und sachgemäße Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie sowie der weitere Abbau von Handelshemmnissen zwischen Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit der Überprüfung der Binnenmarktstrategie. Diese Ziele sind im weiteren Kontext der nationalen Reformprogramme und der Lissabon-Strategie sowie deren Überprüfung und möglicher Anpassung in 2010 zu sehen.

2.3.   In diesem Zusammenhang steht auch die Beziehung zwischen besserer Rechtsetzung (3), besserer Nutzung von Folgenabschätzungen und der weiteren Umsetzung und Bewertung von Maßnahmen zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands für Unternehmen sowie die Unterstützung des „Small Business Act“ für Europa und eine nachhaltige EU-Industriepolitik einschließlich einer angemessenen Innovationspolitik.

2.4.   Die Ausführung dieser Vorhaben und Vorschläge fällt in die Phase eines sehr starken konjunkturellen Abschwungs (4). Der Ratsvorsitz macht damit deutlich, dass er — in Übereinstimmung mit der Kommission — in seinem Programm strategische Leitlinien, die in hoffnungsvolleren Zeiten festgelegt wurden, beibehalten will. Der Ratsvorsitz will damit auch dem Mandat der neuen Kommission neue Impulse geben.

2.5.   Er will an früher vereinbarten strategischen politischen Maßnahmen festhalten, und zwar unabhängig von kurzfristigen Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um die starken und jähen Erschütterungen in der Wirtschaft mit Auswirkungen auf einzelne Branchen, Investitionen und Arbeitsplätze abzufedern.

2.6.   Die Beseitigung von Hindernissen, die einer spontanen Entwicklung von Unternehmen in Europa im Wege stehen, bildet den thematischen Schwerpunkt dieser Stellungnahme. In diesem Sinne bedeutet Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Konsolidierung der gleichen Wettbewerbsbedingungen in der EU, indem für eine möglichst effektive gemeinsame Rechtsgrundlage gesorgt wird.

2.7.   Ein Eckpfeiler in diesem Prozess sind die vereinbarten Maßnahmen zur besseren Rechtsetzung mit ihren Schwerpunkten Qualität der Rechtsetzung, Folgenabschätzungen, Vereinfachung, gegebenenfalls Einführung neuer Regelungen und Reduzierung von Verwaltungsaufwand um 25 % bis 2012 (5).

2.8.   In dem Bewusstsein, dass Themen aus dem Umkreis Wettbewerbsfähigkeit für die EU eine zunehmend globale Dimension haben, wird in der vorliegenden Stellungnahme der Schwerpunkt auf der Beseitigung rechtlicher Hindernisse und auf wirksamen Vorschriften zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Märkte liegen. Die Position der EU auf globaler Ebene ist umso stabiler, je besser der Regulierungsrahmen für den Binnenmarkt funktioniert.

2.9.   Der EWSA hat bereits zu einigen Themenbereichen Stellung bezogen. Da die Frage der Wettbewerbsfähigkeit äußerst umfassend ist, sollen in dieser Stellungnahme einige ausgewählte, in der gegenwärtigen Situation besonders akute Fragen behandelt werden.

2.10.   Bei der Verwirklichung des Binnenmarktes sind beeindruckende Fortschritte zu verzeichnen. Zugleich lässt sich aber nicht leugnen, dass in einzelnen Bereichen, wie etwa Energie und Finanzen oder dem potenziellen Aushängeschild Gemeinschaftspatent (!) noch immer beträchtlicher Harmonisierungsbedarf und auf sozialem Gebiet Handlungsbedarf besteht. Die Maßnahmen der verschiedenen Regierungen in puncto Gesetzgebung und Verwaltungsverfahren bedürfen einer beständigen Beobachtung aus europäischer Perspektive (6).

2.11.   Die mangelnde Harmonisierung von Regierungsmaßnahmen führt häufig zu erheblichen Beeinträchtigungen für Großunternehmen und beeinträchtigt die Bereitschaft kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), europaweit zu investieren.

2.12.   KMU sind für die gesamte Wettbewerbsfähigkeit der EU von zentraler Bedeutung. Großunternehmen sind zwar zur Erhaltung der europäischen Stärke unverzichtbar, gleichwohl werden Arbeitsplätze aufgrund von Outsourcing und Fragmentierung von Unternehmensabläufen sowie von Liefer- und Wertschöpfungsketten hauptsächlich von KMU geschaffen. KMU verfügen in der Regel über die notwendige Flexibilität für die Umstellung auf die gewünschte nachhaltige Produktion und sie sind oft, insbesondere als Partner in der Wertschöpfungs- und Versorgungskette, Vorreiter bei Neuerungen und neuen Systemen zur Förderung einer nachhaltigen und ökologischen Produktion.

2.13.   Von rechtlichen Hindernissen sind nicht nur Unternehmen, sondern ist auch die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitnehmern betroffen (7). Es muss sichergestellt werden, dass grundlegende Rechte und Arbeitsmarktregeln für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten (8).

3.   Hintergrund und allgemeine Bemerkungen

3.1.   Der Binnenmarkt ist ein dynamisches Konzept. Sein Inhalt und die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Wirtschaftsakteure in Europa sind als entsprechende politische Ziele der EU festgelegt und durch das europäische Recht garantiert. Die Ziele und Vorschriften werden bei veränderten Bedingungen zu gegebener Zeit angepasst. Falls notwendig und angebracht, sollten geeignete und konkrete Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer so schnell wie möglich getroffen werden, die klarstellen, dass weder wirtschaftliche Freiheiten noch Wettbewerbsregeln Vorrang vor sozialen Grundrechten haben.

3.2.   Der derzeitige Wirtschaftsabschwung hat für uns alle wirtschaftliche und soziale Folgen und beeinträchtigt auch die Stellung der EU als Global Player. Ungewöhnliche Zeiten erfordern mitunter ungewöhnliche Mittel und Lösungen, wie etwa sinnvolle staatliche Finanzhilfen „zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ (9) entsprechend den „Notfall“-Leitlinien der Kommission (10), doch dürfen vereinbarte Rahmenbedingungen nicht aufs Spiel gesetzt werden und müssen Interventionen jeglicher Art angemessen begründet sein.

3.3.   Nationale Regelungen dienen häufig dazu, die vielfältigen Herausforderungen in einem nationalen Kontext zu bewältigen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Fortführung von Programmen zur Aufhebung bestehender und potenzieller rechtlicher Hindernisse zwischen den Mitgliedstaaten notwendig und sollte gefördert werden.

3.4.   Die politische Bereitschaft zu entsprechendem Handeln kann — vor allem heute — durch kurzfristige Zielsetzungen leicht untergaben werden. Offener oder versteckter Protektionismus kann jederzeit wieder zum Tragen kommen. Ein deutliches Plädoyer für die Fortsetzung der bisher in Bezug auf rechtliche Hindernisse in die Wege geleiteten Maßnahmen ist mehr denn je erforderlich. Eine gründliche Vorbereitung zum jetzigen Zeitpunkt kommt der künftigen Stabilität der europäischen Wirtschaft umso mehr zugute.

In der gegenwärtigen Situation ist zweifellos ein verstärktes Engagement für die Festlegung transparenter neuer Rahmenbedingungen im Bereich Finanzen und Energie erforderlich.

3.5.1.   Die Nationalstaaten haben in der aktuellen Finanzkrise als zentrale Akteure im Wirtschaftssystem wieder an Bedeutung gewonnen, indem sie den großen Finanzinstituten beträchtliche „Notfallhilfen“ zukommen lassen. Abgesehen von den möglichen Folgen für den öffentlichen Haushalt kann ein solches Vorgehen, wenn die Vorschriften für staatliche Beihilfen nicht eingehalten werden (11), zu Wettbewerbsverzerrungen führen, bei denen die tugendhafteren Banken das Nachsehen haben.

3.5.2.   Obgleich der EWSA nicht die Notwendigkeit eines raschen Eingreifens unter diesen außergewöhnlichen Umständen bezweifelt, muss die Entwicklung der Situation jedoch genau überwacht (12) werden, um den gegenwärtigen Zusammenhalt, die Rechtssicherheit und das Wettbewerbsniveau innerhalb des Binnenmarktes — allesamt Faktoren, die für die Bürger wie für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind — sicherzustellen.

3.5.3.   Neue Rahmenbedingungen und Rechtsvorschriften sind notwendig, bei denen die europäische — oder zumindest auf europäischer Ebene eng koordinierte — Kontrolle des Bankensektors, die notwendige Regulierung sowie die derzeit unterschiedlichen einzelstaatlichen Maßnahmen gegenüber den Banken (13) im Mittelpunkt stehen. Der EWSA betont die Notwendigkeit einer besseren Rechtsetzung und einer Kontrolle des Finanzsektors, wie dies der De Larosière-Bericht während des tschechischen Ratsvorsitzes im Namen der Kommission vorschlägt (14). Die europäische Aufsicht sollte neben dem Finanzsektor auch die Versicherungsbranche umfassen.

3.5.4.   Die anstehende Diskussion über die rechtliche Gestaltung des Finanzsektors sollte als strategisches Ziel auch einen vertrauenswürdigen Rahmen für die künftige Stabilität der europäischen Wirtschaft insgesamt umfassen. Dieses allgemeinere Ziel wurde bislang vernachlässigt.

3.5.5.   Energie als ein wichtiger Rohstoff für die Gesellschaft insgesamt kann in vielfacher Hinsicht (durch Preise, staatliche Maßnahmen, Grad der Liberalisierung, Wettbewerb u.a.) in erheblichem Maße zu (ungewollten) rechtlichen Hindernissen führen, die wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen verhindern und eventuell negative Folgen in anderen Industriebranchen haben. Die Beseitigung solcher struktureller und rechtlicher Hindernisse für den Binnenhandel und die Investitionen sollte ein sehr wichtiger Beweggrund für die Schaffung eines Energiebinnenmarktes sein.

3.6.   Die offene Methode der Koordinierung (OMK) (15) weckte hohe Erwartungen hinsichtlich der Möglichkeit einer Koordinierung nationaler Maßnahmen. Ein solcher flexibler Ansatz lässt den Mitgliedstaaten viel Spielraum - eine weitere Quelle für rechtliche Hindernisse. Ein stärker strukturierter Ansatz wäre wünschenswert.

3.7.   In dieser Hinsicht sollte erörtert werden, ob nicht in einzelnen Fällen EU-Richtlinien oder Verordnungen als die am besten geeignete rechtliche Grundlage für eine Harmonisierung gewählt werden sollte. Der EWSA weist auch nachdrücklich darauf hin, dass weitere Bemühungen um Normung, durch die unter anderem ein transparentes Umfeld und eine bessere Interoperabilität geschaffen werden, in vielen Fällen äußerst vorteilhaft sind.

Es gibt zahlreiche Hindernisse für den Wettbewerb in Europa. Sie lassen sich im Wesentlichen in mehrere Kategorien unterteilen, die jeweils unterschiedliche Herangehensweisen erfordern:

3.8.1.   Unter eine erste Kategorie fallen einfach Hindernisse, mit denen sowohl Bürger als auch Unternehmen zu tun haben, wenn sie in einem anderen Mitgliedsland tätig werden wollen. Diese Form von Hindernissen kann sich aus der nationalen Gesetzgebung, Regelungen oder administrativen Verfahren ergeben, die nicht per se von EU-Vorschriften und ihrer Umsetzung abhängig sind und die somit von einem Unternehmen bei der Planung grenzüberschreitender Aktivitäten schwer abzusehen sind.

3.8.2.   Die europäische Einigung führt nicht unbedingt zu einer Reduzierung einzelstaatlicher Vorschriften, in vielen Fällen ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Sehr häufig verursachen solche (zusätzlichen) einzelstaatlichen Regelungen weitere Hindernisse. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation können besondere rechtliche Vorkehrungen leicht zu Protektionismus führen.

3.8.3.   Ein weiterer Typus von Hindernissen kann sich aus laufenden Initiativen ergeben, wie etwa den zentralen Anlaufstellen, die zwar bereits eingerichtet worden sind, aber nicht erwartungsgemäß funktionieren. Die Gründe hierfür können mangelnde finanzielle Mittel oder andere Arten von Problemen sein, wie z.B. das Vorliegen von Informationen nur in der Sprache des betreffenden Landes.

3.8.4.   Eine vierte Art von Hindernissen schließlich bilden Initiativen, die zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen zwar erwünscht sind, die aber entweder gar nicht oder nur unzureichend umgesetzt werden. Diese Art von Hindernissen resultiert daraus, dass europäische Regelungen oder die Vorschriften des Mitgliedstates nur unzureichend eingehalten werden (16).

3.8.5.   Spezifische Hindernisse, die hier Erwähnung finden sollten, sind unter anderem auf die Unterscheidung zwischen Mitgliedstaaten, die der Eurozone angehören und solchen, die ihr nicht angehören, die obligatorischen Arbeitsssprachen in den Mitgliedstaaten sowie die unterschiedlichen Steuersysteme und Besteuerungsgrundlagen.

3.9.   Einige der oben genannten Hindernisse sind auf die einzelstaatlichen Verwaltungs- und Gesetzgebungssysteme zurückzuführen. Bei der Behandlung von Problemen bei grenzübergreifenden Aktivitäten sollte deshalb die Konvergenz deutlich im Mittelpunkt stehen.

3.10.   Durch spezifische finanzielle Anreize können bei unzureichender Koordinierung und insbesondere bei unzureichender Einhaltung der EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen neue Hindernisse geschaffen werden. Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin, dass der gemeinschaftliche Besitzstand sowohl hinsichtlich seiner Vorschriften als auch seiner Instrumente beachtet werden muss.

3.11.   Spezifische Netze zwischen der EU und nationalen Verwaltungen, wie etwa das Enterprise Europe Network, SOLVIT, das Europäische Wettbewerbsnetz sowie Online-Plattformen zum Austausch bewährter Verfahren, die sich mit der Beseitigung unangemessener Hindernisse befassen, sind sehr zu begrüßen.

3.12.   Der Umstand, dass die nationalen Verwaltungen bei der Umsetzung von EU-Recht nicht genügend kooperieren und sich gegenseitig nicht ausreichend informieren, ist ein sehr ernstes Problem. In diesem Zusammenhang erarbeitet der EWSA derzeit eine Stellungnahme zu der Initiative des Internal Market Information Systems IMI (17).

3.13.   Außerdem dürften sich potenzielle (versteckte) Hindernisse, die sich aus nationalen Vorschriften und Verpflichtungen in bestimmten Bereichen ergeben, auch durch mehr Kommunikation zwischen nationalen Verwaltungen abbauen lassen.

3.14.   Ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist die Schulung und Vorbereitung von Beamten, die mit EU-Vorschriften zu tun haben. Hierfür sind angemessene Mittel notwendig, um die Kenntnisse auf dem aktuellen Stand zu halten. Dies ist besonders wichtig im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung und den verstärkten Einsatz von evidenzbasierten Politikinstrumenten, wie etwa Folgenabschätzungen und die Bemessung von Verwaltungsaufwand.

3.15.   Der EWSA hat in mehreren Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht, dass eine wirksame Überwachung der Anwendung von EU-Vorschriften und Vereinbarungen in den Mitgliedstaaten unerlässlich ist.

3.16.   Für eine gute Governance des Binnenmarktes sollten außer den Akteuren auf Regierungsebene auch die Unternehmen und Unternehmensorganisationen, die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft ihren Beitrag leisten und sich für die Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen in Europa mitverantwortlich und zuständig zeigen. Entsprechende Instrumente sind: praktische Erfahrungen, Austausch bewährter Verfahren, Selbstregulierung, sozialer Dialog auf verschiedenen Ebenen, Kommunikation und Information u.a.

4.   Spezifische Themen

4.1.   Bessere Rechtsetzung

4.1.1.   Bessere Rechtsetzung ist eine zentrale Strategie für ein stabiles Unternehmensumfeld. Die Agenda zur besseren Rechtsetzung, wie sie unter Ziffer 2.7 beschrieben wird, ist das Kernstück dieser Strategie.

4.1.2.   Für eine bessere Rechtsetzung müssen sowohl die Bereiche ausgewählt werden, die auf EU-Ebene harmonisiert werden sollen, als auch die Methode der Rechtsetzung festgelegt werden, z.B. mittels Verordnung, ausführliche Richtlinie oder Rahmenrichtlinie. Wenn Richtlinien zu vage formuliert sind oder nur Mindestanforderungen festlegen, können rechtliche Hindernisse zwischen Mitgliedstaaten bestehen bleiben.

4.1.3.   Der EWSA hat bereits mehrfach die gezielte Überprüfung des Gemeinschaftsrechts durch die Kommission begrüßt. Eine solche Überprüfung könnte zu Anpassungen an veränderte Gegebenheiten und zur Beseitigung bestehender rechtlicher Hindernisse beitragen.

4.1.4.   Bestimmte Bereiche eignen sich indes aufgrund unterschiedlicher Rechtsrahmen in den Mitgliedstaaten nicht für eine Harmonisierung. In diesem Fällen ist eine spezifische Prüfung auf potenzielle rechtliche Hindernisse hin erforderlich.

4.1.5.   Erwähnt werden sollte, dass die Europäische Kommission mit Erfolg Folgenabschätzungen durchführt, während auf Mitgliedstaatsebene diesbezüglich noch erhebliche Defizite zu verzeichnen sind. Dadurch werden gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für Unternehmen und die Mobilität im Allgemeinen beeinträchtigt.

4.1.6.   Folgenabschätzungen sind sowohl zur Bekämpfung von Überregulierung als auch im Hinblick auf neue Vorschriften sehr nützliche Instrumente. Sie bringen ein größeres Problembewusstsein in der Kommission, dem Europäischen Parlament und Rat mit sich. Der EWSA fordert nachdrücklich, dass der Rat und das EP Folgenabschätzungen und deren jeweilige Aktualisierungen während des gesamten Rechtsetzungsprozesses berücksichtigen.

4.1.7.   Für Folgenabschätzungen ist ein umfassender und integraler Ansatz erforderlich, bei dem nicht nur technische Aspekte von Waren und Dienstleistungen berücksichtigt werden, sondern auch Nebenaspekte wie ökologische Fragen und Verbraucherinteressen. Andererseits sollte auch im Umwelt- und Verbraucherrecht die Notwendigkeit einer wettbewerbsfähigen Industrie immer mit berücksichtigt werden. Bei erfolgreichen Folgenabschätzungen werden alle betroffenen Kreise mit einbezogen.

4.2.   Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts (18)

4.2.1.   Eine sachgemäße und fristgerechte Durchführung und Durchsetzung vor Ort ist unverzichtbarer Aspekt einer besseren Rechtstetzung. Die Praxis zeigt, dass sowohl eine unzureichende als auch eine überzogene Umsetzung („Goldplating“: Beifügen zusätzlicher nationalstaatlicher Regeln oder „Cherrypicking“: Auswahl einzelner Teile) Hauptursachen für rechtliche Hindernisse, Probleme bei grenzübergreifenden Aktivitäten und Protektionismus sind. Die Mittel und Instrumente zur Überwachung und Durchsetzung von EU-Recht in den Mitgliedstaaten sollten deshalb auch sorgfältig überprüft werden.

4.2.2.   Das Subsidiaritätsprinzip ist einzuhalten, darf aber nicht absolut gesetzt werden. Die EU ist zwar nicht befugt, in nationale Verfahren und Verwaltungssysteme einzugreifen, aber durch den Vertrag ist die EU jedoch auch gehalten, die Ziele der Union und ein Funktionieren des Marktes gemäß den vereinbarten Regelungen zu gewährleisten. Nur unter dieser Voraussetzung können Probleme, denen Unternehmen, andere Organisationen und Bürger vor Ort begegnen, zufriedenstellend gelöst werden.

4.2.3.   Mit anderen Worten: die Beziehung zwischen den Gemeinschaftsvorschriften und dem Subsidiaritätsprinzip ist differenziert zu betrachten. Der EWSA vertritt die Ansicht, dass im Prozess der weiteren Integration entsprechend den vereinbarten Zielen ein Gleichgewicht zwischen dem notwendigen Respekt vor Verwaltungstraditionen und -systemen einerseits und der Überwachung durch die EU andererseits definiert und hergestellt werden sollte.

4.2.4.   Unter diesem Gesichtspunkt sind die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die in zahlreichen Mitgliedstaaten für die Umsetzung von EU-Recht zuständig sind, wichtige Faktoren. Diese Körperschaften müssen auf eine ordnungsgemäße Umsetzung von EU-Recht achten.

4.2.5.   Ein anderes weites und wichtiges Feld ist das öffentliche Beschaffungswesen. Ungeachtet der Umsetzung der Richlinien von 2004 sind noch immer überkommene Praktiken und Verwaltungsverfahren, darunter auch rechtliche Hindernisse, die den grenzübergreifenden Wettbewerb bei öffentlichen Aufträgen behindern, in Kraft. Das öffentliche Beschaffungswesen muss unter Berücksichtigung der Kollektivverhandlungen zwischen den Sozialpartnern fortlaufend im Auge behalten werden.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Governance im Hinblick auf die Beseitigung von rechtlichen Hindernissen in der EU deutlich verbessert werden muss:

4.2.6.1.   Die bestehenden Rückmeldungen über die praktische Anwendung von Vorschriften sind noch immer unzureichend (19).

4.2.6.2.   Als unverzichtbarer Bestandteil der Rechtssicherheit sollte die Überwachung durch die Kommission systematisch auf die Durchführung und Durchsetzung von EU-Recht ausgeweitet werden. Dieses Thema bedarf besonderer Aufmerksamkeit und einer politischen Diskussion.

4.2.6.3.   Ferner wäre es sinnvoll, in den nationalen Verwaltungen (20), sofern noch nicht vorhanden, Evaluierungsnetzwerke einzurichten, und die Verwaltungskompetenzen in den Mitgliedstaaten zu stärken.

4.2.6.4.   In diesem Zusammenhang unterstützt der EWSA voll und ganz die Einrichtung des Netzes für Subsidiaritätskontrolle durch den Ausschuss der Regionen, mit dem der Informationsaustausch zwischen der EU und den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften erleichtert werden soll.

4.2.6.5.   Die Kommission muss sicherstellen, dass die nationalen Regulierungsbehörden die EU-Vorschriften gleich und koordiniert anwenden.

4.2.6.6.   Die unter Ziffer 4.2.6. genannte anzustrebende Governance muss auch im Falle nicht-rechtlicher Hindernisse, die sich häufig aus bestehenden Verwaltungsverfahren ergeben, Anwendung finden.

4.3.   Der Binnenmarkt für Dienstleistungen

Europa steht in Hinblick auf den Binnenmarkt für Dienstleistungen vor einer Wende. Der Stand der für Ende 2009 vorgesehenen Umsetzung und Durchführung der Dienstleistungsrichtlinie sollte genau überwacht werden, um sicherzustellen, dass keine neuen Hindernisse und Diskrepanzen auf nationaler Ebene entstehen. Dabei darf es jedoch nicht zu einer Absenkung der Sozial-, Qualitäts-, Umwelt- und Sicherheitsstandards kommen. Für die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie muss das Verwaltungspersonal ausreichend geschult (Sprachen, interkulturelle Kompetenz) werden.

4.3.1.1.   Die derzeitige Vorgehensweise der Europäischen Kommission zur Unterstützung der Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene scheint wirksam zu sein und sollte weiter gefördert werden.

Bezüglich einzelner Aspekte der Dienstleistungsrichtlinie sind die Niederlassungsfreiheit und grenzübergreifende Tätigkeiten als zentrale Elemente für die Schaffung eines richtigen Umfelds für europäische Unternehmen zu nennen (21).

4.3.2.1.   Aus Rückmeldungen betroffener Kreise geht hervor, dass trotz der Ad-hoc-Maßnahmen, die die Niederlassung von Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten erleichtern sollen, weitere Verbesserungen erforderlich sind.

Des Weiteren stellt sich die Frage, welcher Ansatz für die Bereiche gewählt werden soll, die zurzeit nicht durch die Dienstleistungsrichtlinie abgedeckt sind.

4.3.3.1.   Für einige Branchen, wie etwa Finanzdienstleistungen, elektronische Kommunikation und audiovisuelle Medien gelten gesonderte Regelungen, während andere Bereiche gar nicht auf EU-Ebene geregelt sind.

4.3.3.2.   Durch letztgenannten Fall können sich beträchtliche Unterschiede unter den Mitgliedstaaten und somit unerwartete potenzielle Hindernisse ergeben. Die nationalen Regierungen müssen daher ihr Vorgehen besser koordinieren, um zu vermeiden, dass bei spezifischen Fragen, die unmittelbar das Unternehmensumfeld der EU betreffen, einander widersprechende Ansätze gewählt werden.

Ferner ist hervorzuheben, dass die Grenze zwischen Waren und Dienstleistungen heute immer unschärfer wird. Von einer korrekten Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit und der Ermöglichung grenzübergreifender Aktivitäten im Bereich Dienstleistungen wird daher auch die verarbeitende Industrie in hohem Maße profitieren.

4.3.4.1.   Sogar im Fall einer vollständigen und korrekten Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie sollten die europäischen Institutionen und EU-Mitgliedstaaten die Branche weiterhin genau beobachten, um noch ausstehende Themen anzugehen und zu verhindern, dass neue Hindernisse entstehen. Da die Schaffung von gleichen Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt für Waren am weitesten fortgeschritten ist, lassen sich aus den Erfahrungen in diesem Bereich wertvolle Einsichten darüber gewinnen, wie die noch bestehenden Hindernisse im Dienstleistungssektor beseitigt werden können.

4.4.   Das neue Konzept und das Binnenmarktpaket für Waren 2008 und Normung

4.4.1.   Das neue Konzept auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (22) und seine fortlaufende Überarbeitung gehört zu den konkretesten Erfolgen bei der Beseitigung von Wettbewerbshindernissen im Binnenmarkt.

4.4.2.   Unter den gegebenen Umständen ist es von größter Bedeutung, dass an der Methode des neuen Konzepts festgehalten und ein Rückgängigmachen der erzielten Erfolge durch protektionistische Maßnahmen vermieden wird.

4.4.3.   Es wäre auch sinnvoll, bezüglich der Anwendung und Durchführung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung Bilanz zu ziehen. Insbesondere ist hierbei zu untersuchen, inwieweit eine nachhaltige Entwicklung auf wirtschaftlichem, sozialem und ökologischem Gebiet gewährleistet werden könnte. Darüber hinaus sind die Folgen des Binnenmarktpakets für Waren 2008, mit dem die tatsächliche gegenseitige Anerkennung sichergestellt werden soll, zu überwachen.

4.4.4.   Ein weiterer Bereich ist die Normung, die in der Regel auf Freiwilligkeit und nicht auf Rechtsvorschriften beruht. Der deutliche Beitrag der Normung zur wirtschaftlichen Integration in Europa verweist auf noch anstehende Fragen, die sowohl Aktivitäten auf dem Binnenmarkt behindern als auch die Wettbewerbsposition der EU auf globaler Ebene beeinträchtigen.

4.4.5.   In anderen Fällen wiederum werden (rechtliche) Hindernisse durch fehlende Normen in einem bestimmten Bereich verursacht: dies ist zum Beispiel im öffentlichen Beschaffungswesen der Fall, bei dem sich ein mangelnder Konsens zwischen den Akteuren der Industrie negativ auf den Wettbewerb in der EU auswirkt. Dies zeigt sich zum Beispiel dann, wenn Unternehmen auf Kosten des Wettbewerbs und der Wahlmöglichkeiten der Verbraucher einen „Normenkampf“ anzetteln, um eine Monopolstellung auf dem Markt zu erlangen oder zu verteidigen. In solchen Fällen sollte die Möglichkeit eines Eingreifens auf EU-Ebene vorgesehen werden, um eine Übereinkunft zwischen den betroffenen Parteien zu erleichtern.

4.4.6.   Der EWSA betont deshalb, dass die Bemühungen um Normung in bestimmten Bereichen - wie etwa dem öffentlichen Beschaffungswesen, IT und Kommunikationsdienstleistungen - verstärkt werden müssen. Um jedoch Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, müssen bei der Aufstellung einer Norm alle einschlägigen betroffenen Kreise einbezogen werden. Unter diesem Gesichtspunkt sollten bereits bestehende Initiativen wie die Arbeit des Europäischen Büros des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe für die Normung (NORMAPME) weiter gefördert werden.

4.5.   Reduzierung von ungerechtfertigtem Verwaltungsaufwand

Zu den zentralen Vorhaben der Europäischen Kommission gehört das Aktionsprogramm zur Bemessung von Verwaltungsaufwand aus dem Jahr 2007, mit dem das Regelungsumfeld für Unternehmen vereinfacht werden soll.

4.5.1.1.   Unter Verwendung des Standardkostenmodells, das ursprünglich aus den Niederlanden stammt, schließt die EU derzeit ihre Arbeiten zur Bemessung des sich aus EU-Recht ergebenden Verwaltungsauwands ab (23).

4.5.1.2.   Die Einsetzung der mit der Vorlage konkreter Vorschläge beauftragten Stoiber-Gruppe - einer hochrangig besetzten Gruppe aus 15 Sachverständigen - ist ein weiterer Schritt hin zur Konkretisierung dieser Initiative.

Das Programm zur Reduzierung von Verwaltungsaufwand findet auf nationaler Ebene immer mehr Zuspruch und die meisten Mitgliedstaaten haben sich bereits verpflichtet, den Verwaltungsaufwand in ihren Ländern zu bemessen und zu reduzieren.

4.5.2.1.   Für den Erfolg dieser Aktion ist es von allergrößter Bedeutung, dass nationale Maßnahmen und Reduzierungsstrategien in allen Mitgliedstaaten sowie zwischen EU-Ebene und nationaler Ebene aufeinander abgestimmt werden.

4.6.   Anerkennung beruflicher Qualifikationen

4.6.1.   Im Sinne eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes muss zusätzlich zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr auch die Freizügigkeit der Berufstätigen gefördert werden. Im Einklang mit dem Beschluss des Rates (Forschung) über die Mobilität von Forschern ist eine breitere Anwendung auch für andere Berufsfelder erforderlich.

4.6.2.   Die Anerkennung beruflicher Qualifikationen in der EU ist ein komplexes Problem, dass über die Frage rechtlicher Hindernisse hinausgeht und einer Lösung zugeführt werden muss, weil es in vielfältiger Weise mit dem Problem (unsichtbarer) Hindernisse im Binnenmarkt direkt verbunden ist.

4.6.3.   Erst kürzlich gelang auf diesem Gebiet mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen ein wichtiger Durchbruch, der die sogenannte fünfte Binnenmarktfreiheit, d.h. die Mobilität für Wissenschaftler ermöglicht. Der EWSA begrüßt diesen wichtigen Schritt ausdrücklich.

4.7.   Weitere Initiativen

Angesichts der Dauer und Kosten von Rechtsverfahren bieten alternative Verfahren zur Streitbeilegung einen sinnvollen Beitrag zur Lösung von Konflikten im Rahmen grenzüberschreitender Aktivitäten.

4.7.1.1.   Andererseits ist über den aktuellen Stand bezüglich der Verwendung und des Zugangs zu diesen Verfahren in der Wirtschaft und unter den Bürgern wenig bekannt. Es ist bedauerlich, dass rechtlich nicht verbindliche Empfehlungen der Kommission nur in einer begrenzten Anzahl von Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

4.7.1.2.   Es wäre nützlich, das Thema gründlicher zu untersuchen und zu sehen, wie dieser Bereich im Sinne einer zusätzlichen Maßnahme zur Reduzierung bestehender Hindernisse und Probleme unterstützt und gefördert werden könnte.

4.7.2.   Bei reibungslosem Funktionieren wird das SOLVIT-Netz zu Recht dafür gelobt, dass es Probleme rasch lösen und die Entstehung weiterer Probleme verhindern kann. Jeder Mitgliedstaat sollte eine dem aktuellen Bedarf (24) entsprechende finanzielle und personelle Ausstattung der nationalen Zentren gewährleisten sowie dafür Sorge tragen, dass interessierte Parteien über die Existenz und Funktionsweise des Netzwerkes informiert sind.

Das Enterprise Europe Network (in der Nachfolge des früheren Netzwerks von Euro Info Centres (EIC)), spielt ebenfalls eine zentrale Rolle bei der Unterstützung insbesondere von KMU und der Verbesserung des Umfelds, in dem sie agieren. De facto verkörpert das Enterprise Europe Network für die lokalen Wirtschaftsakteure häufig die EU.

4.7.3.1.   Frühere Studien (25) belegen, dass das Qualitätsniveau der Dienstleistungen des ehemaligen EIC-Netzwerkes zwar im Allgemeinen gut ist, indes die Rückmeldungsmechanismen zwischen den Zentren und der Europäischen Kommission nicht immer reibungslos funktionieren. Dieser Aspekt sollte aufgegriffen und anhaltende Probleme entsprechend angegangen werden.

4.7.4.   Beschwerden in Bezug auf rechtliche Hindernisse können auch direkt an die Europäische Kommission gerichtet werden. Dieser zusätzliche Kommunikationskanal sollte angemessen bekannt gemacht werden.

4.7.5.   Der gegenwärtige Stand der Initiativen im Bereich der Selbst- und Koregulierung ist ebenfalls für das Unternehmensumfeld von Bedeutung und kann zur Beseitigung bestehender Hindernisse beitragen. Es ist wünschenswert, das Wissen über Selbst- und Koregulierung zu vertiefen und bewährte Verfahren bekannt zu machen (26).

Brüssel, den 14. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Einen Überblick über die verbleibenden Hindernisse im Binnenmarkt bietet die Studie der BBS des EWSA unter: http://www.eesc.europa.eu/smo/news/index_en.asp.

(2)  Auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates in Göteborg im Juni 2001 wurde die Lissabon-Agenda um Umweltschutzziele erweitert.

(3)  ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 39.

(4)  Siehe die jüngste Studie der OECD, in dem in Zusammenhang mit der derzeitigen Krise für eine fortgesetzte Reform der Rechtsetzung und des Wettberbsumfeldes plädiert wird (Going for Growth 2009).

(5)  Siehe insbesondere die Mitteilung „Dritte Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union“, KOM(2009) 15 endg.

(6)  Siehe in diesem Zusammenhang die aufschlussreiche Broschüre „When will it really be 1992“ [Wann ist wirklich 1992?] der niederländischen Arbeitgebervereinigung (VNO- NCW, MKB - veröffentlicht im Dezember 2008). Für 1992 war die Vollendung des Binnenmarktes angekündigt worden.

(7)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 14.

(8)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Ermittlung der verbliebenen Mobilitätshemmnisse auf dem Binnenarbeitsmarkt“, ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 14.

(9)  Siehe Artikel 87 Absatz 3 Buchstabe b des EG-Vertrages. Es handelt sich hierbei um eine bewusste Abkehr von dem üblicherweise angewandten Artikel 87 Absatz 3 Buchstabe c als Rechtsgrundlage. Dieser Artikel lässt mehr Spielraum für finanzielle Unterstützung von Mitgliedstaaten und kann zu Wettbewerbsverzerrungen führen. „Diese bewusst und billigend in Kauf genommenen Wettbewerbsverzerrrungen müssen [daher] von der Kommission strengstens überwacht und unverzüglich korrigiert werden, sobald sich die Wirtschaftslage wieder normalisiert“, ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 47.

(10)  ABl. C 16, 22.1.2009, S. 1.

(11)  ABl. C 270, 25.10. 2008, S. 8, ABl. C 10, 15.1.2009; S. 2, ABl. C 72, 26.3.2009, S. 1.

(12)  „Überwachung“ ist hier sowie unter Ziffer 4.2.1 und 4.2.6.2 im allgemeinen Sinn zu verstehen, d.h. ohne dass die Rolle und Aufgaben der Kommission genau definiert werden. Diese unterscheiden sich entsprechend den in den konkreten Fällen eingesetzten Rechtsinstrumenten.

(13)  ABl. C 224 vom 30.8. 2008, S. 11.

(14)  Siehe Larosière-Bericht zu Finanzaufsichtsfragen in der EU, 25. Februar 2009.

(15)  Diese Methode gibt einen Rahmen vor für die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgleidstaaten in Politikbereichen, für die sie die Zuständigkeit haben (z.B. Beschäftigung, Sozialschutz, soziale Eingliederung, Bildung, Jugend und Ausbildung). Dieses politische Instrument kommt in der Regel bei der Regierungszusammenarbeit zum Einsatz. Weitere Informationen unter: http://europa.eu/scadplus/glossary/open_method_coordination_de.htm.

(16)  ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 3.

(17)  Siehe KOM(2008) 703 endg. sowie ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 3.

(18)  ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 52.

(19)  Die Europäische Kommission schlägt eine Reihe von Informationsquellen vor, unter anderem auch für Beschwerden: hierzu zählen das EuropeDirect-Kontaktzentrum, der juristische Bürgerservice Eurojus, die nationalen SOLVIT-Zentren, die europäischen Verbraucherzentren, das Enterprise Europe-Netzwerk und das Portal „Europa für Sie“.

(20)  Der EWSA weist auf das Internal Market Information System IMI hin, das die Kommission entwickelt hat, um die wechselseitige Information zwischen einzelstaatlichen Verwaltungen über EU-Rechtsetzung zu erleichtern.

(21)  ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 11.

(22)  Das 1985 lancierte neue Konzept auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung stellt einen Wendepunkt für das EU-Binnenmarktrecht dar. Es wurde angenommen als Reaktion auf das komplexe rechtliche Umfeld, das sich aus der Umsetzung einer Reihe detaillierter Vorschriften zur Schaffung und Vollendung des Binnenmarks für Waren ergeben hatte.

(23)  Ziel dieses Ansatzes, der oft mit dem Schlagwort „Bürokratieabbau“ bezeichnet wird, ist es, jeglichen Verwaltungsaufwand, der sich für Unternehmen aus dem EU-Recht ergibt, festzustellen und zu bemessen, um so Möglichkeiten zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands um 25 % aufzuzeigen.

(24)  ABl. C 77 vom 31.3. 2009, S. 15.

(25)  Renda A., Schrefler L. und Von Dewall F. (2006), Ex post evaluation of the MAP 2001-2005 initiative and suggestions for the CIP 2007-2013, CEPS Studies.

(26)  Der EWSA hat zusammen mit dem Generalsekretariat der Europäischen Kommission eine Datenbank über europäische Initiativen im Bereich der Selbst- und Koregulierung erarbeitet: http://eesc.europa.eu/self-and-coregulation/index.asp.


ANHANG

zu der Stellungnahme

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Textstelle, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurde zugunsten eines vom Plenum angenommenen Änderungsantrags der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 3.1

„Der Binnenmarkt ist ein dynamisches Konzept. Sein Inhalt und die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Wirtschaftsakteure in Europa sind als entsprechende politische Ziele der EU festgelegt und durch das europäische Recht garantiert. Die Ziele und Vorschriften werden bei veränderten Bedingungen zu gegebener Zeit angepasst.“

Begründung

Siehe EWSA-Stellungnahme SOC/315.

Abstimmungsergebnis

Änderungsantrag mit 125 gegen 76 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen angenommen


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bildungs- und Schulungsbedarf im Hinblick auf eine Gesellschaft mit kohlenstofffreier Energieversorgung“

(Sondierungsstellungnahme)

(2009/C 277/03)

Berichterstatter: Edgardo Maria IOZIA

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2008 ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

Bildungs- und Schulungsbedarf im Hinblick auf eine Gesellschaft mit kohlenstofffreier Energieversorgung.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. April 2009 an. Berichterstatter war Edgardo Maria IOZIA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 161 gegen 7 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der EWSA ist sich der zentralen Rolle der Bildung in jedem Lebensalter und der Schulung von Fachleuten und Hochschulabsolventen für die Entstehung einer tendenziell treibhausgasfreien Gesellschaft bewusst. Die Regierungen und die Wissenschaft haben die Priorität der Bekämpfung der zunehmenden Erderwärmung anerkannt. Die Länder mit dem höchsten Entwicklungsstand, die zugleich auch die Emissionen zum Großteil verursachen, haben die Verantwortung, die Entwicklungsländer bei der Durchführung ökologisch und sozial nachhaltiger Entwicklungspolitiken zu unterstützen.

1.2.   Trotz feierlicher Verpflichtungen (Erklärung von Kiew aus dem Jahr 2003, UN-Weltdekade Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005-2014)) sind die Initiativen der Regierungen und der lokalen Behörden auf dem Gebiet der Bildung und Schulung — von wenigen, aber wichtigen Beispielen abgesehen — völlig unzureichend.

1.3.   Die Europäische Kommission ist damit beschäftigt, in den Mitgliedstaaten die Energieeffizienz zu fördern und den Energieverbrauch zu senken, die Energieabhängigkeit von Drittstaaten zu verringern, die grenzüberschreitende Verknüpfung von Netzen zu realisieren und die Verbindungsprotokolle zu vereinfachen. Sie versucht beharrlich, ein energiepolitisch geeintes Europa zu schaffen, das mit einer Stimme spricht. In den vergangenen Jahren wurden bemerkenswerte Fortschritte erzielt, aber es fehlt eine wirkliche Einbeziehung der Zivilgesellschaft, und im Bereich der Bildung und Schulung wurden nur sehr bescheidene Erfolge verbucht. Der EWSA begrüßt ausdrücklich die Wiedereinrichtung einer GD Energie und hofft auf eine wirkungsvollere Koordinierung der Aktivitäten der EU zur Bekämpfung des Klimawandels, indem die verschiedenen Befugnisse in einer Hand gesammelt werden.

1.4.   In einigen Ländern haben sich die Initiativen zur Verbreitung von Informationen und Kenntnissen vervielfacht, vor allem aufgrund der Aktivitäten von NGO, die genau dieses Ziel verfolgen. Auf der vom EWSA veranstalteten Anhörung, an der das für Energie zuständige Kommissionsmitglied, Andris Piebalgs, teilnahm, wurden einige dieser Initiativen vorgestellt, wie z.B.: Terra Mileniul III, Eurec, Stiftung Collodi (Pinocchio könnte ein guter Aufhänger für die Umwelterziehung des Kindes sein), Arene/Ile-de-France und KITH (Kyoto in the home). Auch Berufsverbände wie der Europäische Dachverband für Handwerker und KMU des Bauwesens (EBC), des sozialen Wohnungsbaus (z.B. Europäischer Verbindungsausschuss zur Koordinierung der sozialen Wohnungswirtschaft - CECODHAS) sowie Hersteller von Brennstoffzellen wie Fuel Cell Europe leisten einen sehr wichtigen Beitrag für die Verbreitung von Information über Marktchancen.

1.5.   Der EWSA ist davon überzeugt, dass besser gehandelt und mehr getan werden und ein breites Spektrum zentraler gesellschaftlicher Akteure einbezogen werden muss:

Die Lehrer und Ausbilder. Es muss in Lehrer und Ausbilder investiert werden, damit sie den jüngeren Generationen ökologisches Wissen und Bewusstsein vermitteln. Umwelterziehung sollte nicht nur als Fach Gegenstand der Lehrpläne sein, sondern auch im Rahmen des lebenslangen Lernens vermittelt werden.

Die Verwaltungsspitzen lokaler Gebietskörperschaften. Sie können sowohl auf städtebauliche Entscheidungen wie auf Lehrpläne für die jungen Generationen Einfluss nehmen, und ihre Verwaltungsprogramme um diejenigen Aspekte ergänzen, die für eine Gesellschaft mit geringem CO2-Ausstoß notwendig sind. Die Resonanz der europäischen Initiative „Covenant of Mayors“ (Konvent der Bürgermeister), bei der sich über 300 Bürgermeister dazu verpflichtet haben, in ihren Städten und Gemeinden Energieeinsparungen und die Energieeffizienz zur fördern, verdeutlicht die Bedeutung und die Möglichkeiten dieser Initiative.

Die Unternehmensverbände, insbesondere von KMU. Jeder Territorialverband sollte über eine Dienstleistung für Unternehmen verfügen, um die Durchführung von Bildungs- und Schulungsmaßnahmen zu erleichtern. In Spanien wurden mit Erfolg „mobile Klassenzimmer“ erprobt. Dabei handelt es sich um speziell ausgerüstete Busse, die von den Unternehmen für „mobile“ Schulungen am Firmensitz angemietet werden. Das Projekt, bei dem 5 600 Beschäftigte der Branche der erneuerbaren Energien geschult wurden, wurde von einem Unternehmenskonsortium unter Beteiligung der Regionalregierung der autonomen Gemeinschaft Kastilien-León durchgeführt.

Die Gewerkschaften. Der britische „Trade Union Congress“ (TUC) hat bspw. ein Pilotprojekt mit der Bezeichnung „Greening work places“ begonnen, das bereits begrüßenswerte Ergebnisse zeitigte und zum Abschluss von Übereinkommen und Vereinbarungen mit einigen Unternehmen und Institutionen zur Senkung des Verbrauchs und der Emissionen führte. Die Aufnahme von Programmen zur Energieeffizienz in die Verhandlungen mit gemeinsamen — und im Falle erreichter Zielwerte — prämierten Zielen kann ein intelligenter Ansatz zur Steigerung von Einkünften und Gewinnen sein.

Die NGO. Die Kompetenz von Umweltverbänden, zusammen mit dem didaktischen Erfahrungsschatz von Dozenten und Wissenschaftlern, stellt einen unverzichtbaren Mehrwert dar. Weiterbildungsmaßnahmen für Dozenten, Unternehmen und Verwaltungsbeamte könnten gemeinsam mit lokalen Behörden durchgeführt werden.

Architekten und Bauingenieure, die sowohl bei Neubauten als auch bei der Renovierung bestehender Wohngebäude einen äußerst wichtigen Beitrag leisten können.

Die öffentlichen Verwaltungen. Sie können mittels „Green Public Procurement“, d.h. einer in zunehmendem Maße an Kriterien zur Verbesserung der Umweltqualität orientierten Auftragsvergabe, zu einer entsprechenden Ausrichtung des Marktes beitragen.

Die Regierungen der Mitgliedstaaten, die ihren feierlichen Verpflichtungen im Bereich der Förderung der Umwelterziehung endlich handfeste Tatsachen folgen lassen.

1.6.   Investitionen in treibhausgasarme Technologien sind in jeder Hinsicht ein Geschäft. Es sind mehrere Millionen neuer Arbeitsplätze nötig, um folgende Ziele erreichen zu können: Eindämmung der Emissionen, Reduzierung der Abhängigkeit von Lieferanten aus Drittstaaten, Entwicklung innovativer Technologien sowie Forschung.

1.7.   Da die Inhalte der Lehrpläne auf europäischer Ebene nicht festgelegt werden können, sollte ein Qualitätsbenchmarking konzipiert werden.

1.8.   Die Entwicklung von Fertigkeiten und das Wecken des Interesses der Kinder für Aktivitäten im Zusammenhang mit der Umweltproblematik — auch außerhalb der Schule und indem ihnen die Wahl der Initiativen überlassen wird — wird zu einer Änderung der Lebensweisen und somit auch zur Wiederentdeckung von Werten wie Gemeinschaft führen. Die Kinder können, wenn sie den Fernseher ausschalten, zusammen mit ihren Freunden Kinderspiele entdecken.

1.9.   Der Großteil der durchzuführenden Aktivitäten liegt im Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten, der lokalen Gebietskörperschaften, der Institutionen, der Wirtschaft und Gesellschaft und ganz allgemein der Bürger. Für Europa könnte jedenfalls eine wichtige Aufgabe darin bestehen, ein breites Spektrum erforderlicher Aktionen anzuregen und zu fördern.

1.10.   Verbraucherbildung. Die Richtlinie 2006/32 muss ganz allgemein und insbesondere in puncto Verbreitung von Verbraucherinformationen über die Energieeffizienz der verschiedenen Güter und Dienstleistungen verstärkt und ausgebaut werden, damit die Bürger verantwortungsbewusst handeln können. Die Kommission sollte die Initiativen im Bereich Bildung, Ausbildung und Information, die jeder Mitgliedstaat durchzuführen gedenkt, in den Modellen, die Informationen zu den nationalen Energieplänen enthalten, berücksichtigen.

1.11.   Die Bedeutung des Bausektors. Mit dem neuen Richtlinienvorschlag der Kommission wird die Energieeffizienz des Gebäudebestands verbessert. Die Kommission könnte ein europäisches Förderprogramm auflegen, um eine ganz entscheidende Verbesserung des Fachwissens der Techniker zu bewirken.

1.12.   Öffentliches Auftragswesen. Öffentliche Aufträge können bei der Verbesserung der Energieeffizienz eine sehr wichtige Rolle spielen. Bei allen Aufträgen im Baubereich sollten maßgebliche und zwingende Voraussetzungen in puncto Energieeffizienz vorgesehen werden, damit Energieeinsparung zu einem der wichtigsten Kriterien bei der Bewertung der Angebote eines Ausschreibungsverfahrens wird. Für die betreffenden öffentlichen Bediensteten ist eine spezifische Schulung vorzusehen.

1.13.   Angesichts des interdisziplinären Charakters der Thematik müssen spezifische Kurse für die Unterrichtenden angeboten werden. Der Aufbau eines europäischen Netzes nationaler Foren für die Bildung im Bereich sauberer Energien könnte die Aufnahme dieses Themas in die Lehrpläne fördern. Dieses Netz könnte auf bereits bestehenden Initiativen und Organisationen zur Förderung der sauberen Energien basieren, die in den Mitgliedstaaten mit geeigneten Programmen und Materialien als Verbreitungskanäle fungieren. Der EWSA unterstützt den Aufbau dieses Netzes.

2.   Einleitung

2.1.   Die Umweltminister erklärten auf der Konferenz in Kiew 2003 feierlich, dass sie Bildung als ein grundlegendes Instrument für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung anerkennen. Sie forderten alle Länder auf, die Thematik der nachhaltigen Entwicklung in allen Bildungssystemen und auf allen Stufen vom Vorschulalter bis zur Hochschulbildung zu berücksichtigen, um Bildung als Dreh- und Angelpunkt für eine Veränderung zu etablieren.

2.2.   Im Dezember 2002 wurde auf der 57. UN-Vollversammlung die Weltdekade der Vereinten Nationen 2005-2014 „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in Zusammenarbeit mit der UNESCO und anderen einschlägigen Organisationen ausgerufen.

2.3.   Kommissionsmitglied Piebalgs bekräftigte: „Wir müssen eine Gesellschaft werden, die die Ressourcen unserer Erde dergestalt nutzt, dass das langfristige Überleben der kommenden Generationen sichergestellt ist, und wir müssen gewährleisten, dass dies mit Gesundheit, Frieden und Wohlstand einhergeht. Das ist eine gewaltige Herausforderung, die einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel — eine regelrechte dritte industrielle Revolution — erforderlich macht.“

2.4.   Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, die über Jahrtausende konstant ca. 260 ppm (Teile pro einer Million Teile Luft) betrug, liegt heute bei 390 ppm, wobei eine jährliche Zunahme von etwa 2 ppm zu verzeichnen ist. Werden keine erheblichen Anstrengungen zur Eindämmung der Emissionen unternommen, wird dieser Wert im Jahr 2050 bei 550 ppm liegen. Die internationalen Einrichtungen und der Weltklimarat (IPCC) halten bei diesem Konzentrationsniveau einen Anstieg der durchschnittlichen Temperatur der Erde im Laufe des 21. Jahrhunderts um bis zu 6 Grad Celsius für möglich.

2.5.   Europa ist in der Lage — wenngleich es sich seiner Verantwortung als einer der größten „Verschmutzer“ bewusst ist —, auf der Konferenz von Kopenhagen ein ebenso substanzielles Engagement der anderen großen internationalen Partner erreichen zu können. Die jüngst erfolgte Schaffung einer GD Energie ist von großer Bedeutung, es wäre aber sinnvoll, die Zuständigkeit für Fragen des Klimawandels in einer einzigen Behörde zusammenzufassen.

2.6.   Es liegt auf der Hand, dass die angestrebten Ziele nur mit einem Engagement der gesamten Gesellschaft und eines jeden einzelnen Bürgers erreicht werden können. Schon im Schulalter, besser noch im Vorschulalter, müssen sich ein entsprechendes Bewusstsein und eine entsprechende Nutzung herausbilden. Das Problem der Erderwärmung muss im Zusammenhang mit dem übergreifenden Problem der Endlichkeit der Ressourcen und der nachhaltigen Entwicklung gesehen werden.

2.7.   Der Vertreter von KITH hat seine Ausführungen auf der Anhörung wirkungsvoll mit einem Zitat J.F. Kennedys geschlossen: „Frage nicht, was die Erde für dich tun kann, sondern frage dich, was du für die Erde tun kannst“. Ein solcher Mentalitätswandel ist für die Zukunft der Menschheit ausschlaggebend.

3.   Bedeutung von Bildung und Ausbildung in einer Gesellschaft mit geringem CO2-Ausstoß

3.1.   Das Ziel der Schaffung einer Gesellschaft mit geringen CO2-Emissionen macht den zügigen Aufbau vernetzter Infrastrukturen erforderlich. Diese sind insbesondere von Bedeutung, um erstens sicherzustellen, dass die Bürger über die Thematik der CO2-Emissionen korrekt informiert werden, zweitens eine ausreichende Zahl von Fachleuten für den neuen Bereich kohlenstofffreier Technologien auf den verschiedenen Ebenen auszubilden, und dass drittens in Forschung und Entwicklung in diesem Bereich investiert wird. Oftmals stellen hergebrachte Verhaltensmuster eine Barriere für CO2-verträglichere Verhaltensweisen dar. Deshalb müssen Bildungsmaßnahmen auch hier ansetzen. Darüber hinaus ist eine technisch-wissenschaftliche Bildung der Bürger ist erforderlich, und die Ausbildung von Fachleuten ist eine offensichtliche Voraussetzung, damit die Entfaltung dieser Branche nicht durch einen Mangel an entsprechend qualifizierten Fachleuten unterbunden wird. Unter den kohlenstoffarmen Technologien, für die in ausreichendem Maße Fachkräfte und Ingenieure ausgebildet werden müssen, darf nicht die Kernkraft vergessen werden, die für lange Zeit eine Energieressource mit schwachen THG-Emissionen bleiben wird. In diesem Bereich ist es von zentraler Bedeutung, dass die Bürger vollständige und transparente Informationen über das Für und Wider der Kernkraft erhalten.

3.2.   Initiativen, bei denen die Schüler auf spielerische Art und Weise Umweltbewusstsein entwickeln, z.B. mittels kleiner Wettbewerbe bezüglich der Umweltauswirkungen häuslicher Aktivitäten, sind besonders nützlich. Bei einem solchen Wettbewerb bringen die Kinder eine Auflistung täglicher häuslicher Aktivitäten in die Schule mit und lernen, die mit der Summe zahlreicher kleiner täglicher Gesten verbundenen Einsparungen in puncto Energie oder CO2-Emissionen einzuschätzen. Dabei werden auch die Erwachsenen bei der Information und Sensibilisierung bezüglich der Annahme vorbildlicher Verhaltensweisen einbezogen.

3.3.   Diese Bildung muss bereits in der Grundschule einsetzen. Sie ist sicherlich dafür geeignet, die Jugendlichen für Umweltfragen und neue CO2-sparende Verhaltensweisen zu sensibilisieren. Dieses Bewusstsein sollte aber sodann in allen höheren Bildungseinrichtungen — insbesondere mit technisch-naturwissenschaftlicher Ausrichtung — Schritt für Schritt bis zum technisch größtmöglichen Niveau weiterentwickelt werden. Dabei sollte zum einen das gesellschaftliche Bewusstsein verstärkt werden, zum anderen sollten zahlreiche Jugendliche mit einer spezifischen Wissensgrundlage ausgestattet werden, die sie zur Wahl eines Berufs im Bereich der CO2-Emissionskontrolle bewegen könnte.

3.4.   Europa wird gegenwärtig von einer globalen Wirtschaftskrise erfasst. Die Entwicklung von Hochtechnologiebranchen im Umweltschutzbereich stellt eine Möglichkeit zur Überwindung dieser Krise dar. Zweifellos ist die Senkung der CO2-Emissionen eine dieser Sparten, die in zahlreichen Schlüsselbranchen hochentwickelter Wirtschaftssysteme wie Automobilindustrie, öffentlicher Personen- und Güterverkehr, Bauwesen sowie Energieerzeugung zum Tragen kommen kann und häufig mit Energieeinsparmöglichkeiten im Zuge verbesserter Energieeffizienz verbunden ist.

3.5.   Die Schnelligkeit, mit der es dem europäischen Produktionssystem im Vergleich zu den anderen maßgeblichen Akteuren der Weltwirtschaft gelingt, sich auf die neuen Technologien auszurichten, könnte für die wirtschaftliche Zukunft Europas entscheidend sein.

3.6.   In vielen Technologiebereichen im Zusammenhang mit Energieeinsparung und geringem CO2-Ausstoß sind einige europäische Länder derzeit weltweit führend. Aber die unlängst in anderen Teilen der Welt getätigten Investitionen (z.B. der amerikanischen Regierung in der Automobilbranche) könnten Europa rasch in einen recht bedrohlichen Rückstand geraten lassen.

3.7.   Die großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten — sowohl in Bezug auf die Produktions- und Innovationskapazitäten in diesem Bereich als auch hinsichtlich des diesbezüglichen Qualitätsniveaus von Bildung und Ausbildung im Schul- und Hochschulbereich — müssen verringert werden, indem der innergemeinschaftliche Austausch bei der Ausbildung im Hochtechnologiebereich gefördert wird.

3.8.   Die Schwierigkeit, auf europäischer Ebene einheitliche Standards für die Umwelterziehung einzuführen, darf der Verbreitung der Kenntnisse und der Nutzung der Möglichkeiten der fortgeschrittensten europäischen Länder nicht im Wege stehen. Es sollte ein Qualitätsbenchmarking eingeführt werden, um den europäischen Durchschnitt zu heben.

3.9.   Die EU-Programme ManagEnergy, Intelligent Energy Europe, Comenius und Leonardo da Vinci — mit unterschiedlichen Ausrichtungen in puncto Bildung, Beratung und Erziehung — sind wichtige Beiträge für eine Entwicklung hin zur optimalen Nutzung der Human- und Umweltressourcen Europas.

3.10.   Die Schaffung eines europäischen Netzes für nationale Foren für Erziehung im Bereich sauberer Energien auf der Grundlage bereits bestehender Organisationen und Initiativen, das als Verbreitungskanal auf nationaler Ebene fungiert und Ausbildern Zugang zu geeigneten Programmen und Materialien gibt, könnte die Aufnahme der Thematik der sauberen Energien sowie der Umwelt in die Lehrpläne in den Mitgliedstaaten erleichtern.

3.11.   Folglich ist es angezeigt, dass die EU rasch kohärente und koordinierte Maßnahmen für die Entwicklung der kohlenstoffarmen Technologien ergreift. Dabei muss unbedingt eine „kritische Masse“ von Fachleuten herangebildet werden, die die Entwicklung dieses Bereichs in den nächsten Jahrzehnten voranbringen kann.

3.12.   Die Fachhochschul- und Hochschulbildung kann und muss dank der Überwindung sprachlicher Barrieren auf europäischer Ebene koordiniert werden. Es gibt bereits Beispiele für diese Koordinierung zwischen europäischen Universitäten: das EUREC-Konsortium, das einen europäischen Master für erneuerbare Energien in Zusammenarbeit von Hochschulen in Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Griechenland und Spanien organisiert, und den internationalen Masterstudiengang in Technologien zur Senkung der Treibhausgasemissionen, der gemeinsam von der Universität Perugia/Italien, der Universität Lüttich/Belgien und der Mälardalen Universität Västerås/Schweden angeboten wird (www.masterghg.unipgg.it). Diese Beispiele sollten aber von der EU — die die Programmplanung im Rahmen eines koordinierten Plans auf spezifische Themen ausrichten könnte — bekannt gemacht und finanziert werden, um die Ausbildung einer Generation von Fachleuten mit Spitzenkompetenzen in allen wirtschaftlich relevanten Sektoren zu gewährleisten.

3.13.   Im tertiären Bildungsbereich müssen speziell der nachhaltigen Entwicklung (CO2-Problematik, aber auch Energieeinsparung, Erzeugung „sauberer“ Energie etc.) gewidmete Bachelor- und Diplomstudiengänge eingerichtet werden, die mit einer erheblichen Aufstockung der Forschungsmittel in diesen Bereichen einhergehen müssen. Ein hohes Niveau in der Lehre ist nur möglich, wenn die Dozenten auch an internationalen Forschungsprogrammen in den Bereichen ihrer Lehrtätigkeit beteiligt sind.

4.   Bildung: Gute Beispiele

4.1.   In Europa und weltweit gibt es hervorragende Beispiele für Unterrichtsaktivitäten im Zusammenhang mit der Verbreitung des Umweltschutzes, die sich mitunter speziell auf die Senkung der CO2-Emissionen beziehen.

4.2.   Das Institut für Geowissenschaften „Jackson School of Geosciences“ der Universität von Texas in Austin/USA hat vor einigen Jahren ein Programm zur Zusammenarbeit mit den Grund- und weiterführenden Schulen in Texas gestartet (GK-12-Programm). Mit öffentlichen Mitteln werden Kurse für Dozenten und Studierende finanziert (die Professoren erhalten auch einen kleinen finanziellen Anreiz von 4 000 USD pro Jahr).

4.3.   In Europa gibt es eine Vielzahl solcher Initiativen, wie z.B. die Website der britischen Regierung, die zur Berechnung des eigenen CO2-Fußabdrucks einlädt und Ratschläge zur Verringerung des Konsums gibt (http://actonco2.direct.gov.uk/index.html).

4.4.   Der Regionalrat von Île-de-France hat unlängst (2007) ein integriertes Projekt zur Umwelterziehung und nachhaltigen Entwicklung (EEDD) organisiert und finanziert, das spezifische pädagogische Initiativen und den Zusammenschluss von Verbänden zwecks Koordinierung dieser Initiative auf dem Gebiet der Region fördert.

4.5.   Beim EU-Projekt „Young Energy Savers“ werden unter der Regie renommierter Zeichentrickfilmer einige unterhaltsame Zeichentrickfilme produziert, die den Kindern auf angenehme und interessante Weise zeigen, dass auch sie — wie die Figuren in den Zeichentrickfilmen — mit kleinen, aber wirksamen Maßnahmen ihren CO2-Fußabdruck verringern können.

4.6.   Schule, Familie und Arbeitsplatz bieten die besten Gelegenheiten zur Wissensverbreitung und Sensibilisierung mit pädagogischen Mitteln. Die ehrgeizigen und notwendigen Ziele können nur durch die Verbreitung und Verinnerlichung kollektiver Verhaltensweisen und die Umstellung auf neue Lebensgewohnheiten erreicht werden.

4.7.   Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, um den Jugendlichen die Realisierung eigener außerschulischer Initiativen zu ermöglichen. Die Jugendlichen verfügen über Innovationskompetenz und sie sind für Veränderungen zu begeistern, wollen aber häufig alles alleine machen. Viele Jugendlichen finden keinen Bezug zu Aktivitäten, die in der Welt der Erwachsenen konzipiert wurden, aber ihre Haltung wird dadurch in vielerlei Hinsicht beeinflusst.

5.   Die Berufsbildung für Fach- und Führungskräfte

5.1.   Mehrere Millionen Arbeitsplätze werden in Europa und weltweit entstehen.

5.2.   Im September 2008 wurde gemeinsam vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Internationalen Arbeitgeberorganisation (IOE) und dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) die Studie über „grüne Arbeitsplätze“ herausgegeben: „Green Jobs: Towards decent work in a sustainable, low-carbon world“. Bezüglich der EU wird in dieser höchst interessanten Untersuchung davon ausgegangen, dass bis 2010 zwischen 950 000 und 1 700 000 Arbeitsplätze und bis 2020 zwischen 1 400 000 und 2 500 000 Arbeitsplätze geschaffen werden - je nach Art der gewählten Strategie, normal oder fortschrittlich. Zwischen 60 und 70 % dieser Arbeitsplätze dürften in der Industriebranche der erneuerbaren Energien entstehen, und mindestens ein Drittel des Zuwachses betrifft hochqualifizierte Beschäftigung.

5.3.   Betrachtet man den gesamten Bereich der Technologien und der Aktivitäten im Zusammenhang mit Energieeinsparung, Abfallbewirtschaftung und Recycling, effiziente Wasserversorgung und -bewirtschaftung sowie nachhaltiger und innovativer Verkehr, dann wird von Investitionen von insgesamt mehreren 100 Mrd. USD ausgegangen, die ein umfangreiches Beschäftigungswachstum auslösen werden.

5.4.   Diesen Vorbemerkungen lässt sich entnehmen, dass die wissenschaftliche und berufliche Ausbildung bei der Vorbereitung der Arbeitnehmer auf künftige Aktivitäten eine zentrale Rolle spielt.

5.5.   Um rasch eine Trendwende herbeizuführen, sind trotz der schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte massive Finanzhilfen für „grüne Jobs“ erforderlich. Bildungs- und Ausbildungsgänge für Jugendliche und Weiterbildungseinheiten für Beschäftigte des Sektors sollten von der öffentlichen Hand nachhaltig gefördert werden.

5.6.   Industrie, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und staatliche Behörden sollten sich gemeinsam engagieren und nationale Konferenzen einberufen, um die für die einzelstaatlichen Gegebenheiten am besten geeigneten Lösungen zu finden, die erforderlich sind für die Unterstützung der Aus- und Weiterbildung in den durch Innovation gekennzeichneten Branchen im Allgemeinen und in den Branchen für eine kohlenstoffarme Gesellschaft im Besonderen.

5.7.   In der öffentlichen Anhörung wurde unterstrichen, welche Bedeutung insbesondere für den öffentlichen Dienst die Informationstätigkeit und technische Unterstützung für leitende Angestellte und Beamte haben. Auf diesem Wege wird eine effiziente Organisation der Arbeitsabläufe erleichtert, über CO2-arme Produkte und Technologien informiert und die Festlegung von Vorschriften vertretbaren Umfangs für die Durchführung einer umweltbewussten Auftragsvergabe ermöglicht.

5.8.   Im Bauwesen können erhebliche Energieeinsparungen und eine entsprechende Reduzierung der Emissionen erzielt werden. 40 % der Energie wird in Gebäuden verbraucht, wovon 22 % eingespart werden könnten. 41,7 % der Arbeitnehmer haben — bei erheblichen Unterschieden je nach Mitgliedstaat — nur geringe Qualifikationen, und die Kosten einer Fortbildung sind für Kleinunternehmen nicht tragbar. Deshalb sollten Initiativen wie in Spanien gefördert werden, wo Arbeitnehmer in mobilen Bildungseinrichtungen über umweltfreundliche Technologien im Bauwesen unterrichtet werden, ohne für längere Zeit vom Arbeitsplatz fernzubleiben. Im sozialen Wohnungsbau wurden zahlreiche Informationsmaßnahmen für Verwalter und Bewohner der Gebäude durchgeführt. Bei dem Projekt „Energy Ambassadors“ geht es um die Ausbildung sogenannter „Energiebotschafter“. Diese werden unter den Bediensteten kommunaler Behörden und gemeinnütziger und sozialer Organisationen rekrutiert, um in einem ersten Schritt Energiereferenten in ihren eigenen Organisationen zu werden und dann dieses Wissen in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

5.9.   Auch Architekten gehören zu den Berufsgruppen, die zur Senkung der Emissionen beitragen können. Unter ihnen ist ein kultureller Wandel hin zu einer Lebensweise und Raumgestaltung festzustellen. Diese macht sich in einer Planung bemerkbar, die sich eher an natürlichen Lebensrhythmen anstatt an einer künstlichen Lebensweise unter massivem Einsatz von Technik und Strom orientiert. Ferner ist es wichtig, spezifische technische Kenntnisse über die Eigenschaften innovativer Materialien zu verbreiten, mit denen sich Energieeinsparungen erzielen lassen.

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine umweltfreundliche See- und Binnenschifffahrt“

(Sondierungsstellungnahme)

(2009/C 277/04)

Berichterstatterin: Anna BREDIMA

Mit Schreiben vom 3. November 2008 ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema:

Eine umweltfreundliche See- und Binnenschifffahrt.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. April 2009 an. Berichterstatterin war Anna BREDIMA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 182 gegen 3 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1.   In dieser Sondierungsstellungnahme wird der Frage nachgegangen, wie im Einklang mit der Lissabon-Strategie der Umweltzustand der Meere und Binnengewässer verbessert werden kann, ohne dabei die Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsindustrie zu beeinträchtigen. Dieses Ziel kann durch ein ganzheitliches Konzept zur Förderung „grüner“ Investitionen und zur Schaffung „grüner“ Arbeitsplätze erreicht werden. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hält eine „grüne Wirtschaft“ nicht für einen Luxus, und befürwortet daher einen derartigen Ansatz.

1.2.   Der Seeverkehr ist das Rückgrat der Globalisierung, werden doch 90 % des Welthandels und 45 % des innergemeinschaftlichen Handels (in Bezug auf den Transportumfang) über ihn abgewickelt. Die Binnenschifffahrt ist für den innereuropäischen Transport von großer Bedeutung, da 5,3 % des gesamten Binnenverkehrs in der EU auf die Binnenschifffahrt entfallen. Beide Verkehrsträger sind wettbewerbsfähig, nachhaltig und umweltfreundlich.

1.3.   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, in künftigen Befassungen differenzierter zu verfahren und die Binnenschifffahrt als Landverkehrsträger einzustufen.

1.4.   Nach Meinung des Ausschusses sollte die Umweltleistung der See- und Binnenschifffahrt im Vergleich zur Umweltleistung des Landverkehrs und der Verschmutzung durch landseitige Quellen bewertet werden. Er bekräftigt seine Forderung, dass EU-Umweltschutzmaßnahmen für Freizeitschiffe und nach Möglichkeit auch für Marineschiffe gelten sollten. Derartige Maßnahmen sollten auf alle Schiffe (ungeachtet der Flagge, unter der sie fahren) Anwendung finden, so praxistauglich und kosteneffizient wie möglich sein und auf einer zuverlässigen ökologischen, technischen und sozioökonomischen Folgenabschätzung beruhen.

1.5.   Im Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation (2009) sollte die europäische Industrie zum Vorreiter innovativer Forschung für Schiffs- und Hafentechnologie und -betrieb werden. Die Europäische Kommission sollte die Vermarktungsmöglichkeiten für die in Europa entwickelten grünen Technologien in anderen Teilen der Welt untersuchen. Diese Initiative wird außerdem zur Schaffung neuer („grüner“) Arbeitsplätze in der EU beitragen. Intelligente Investitionen in umweltfreundlichere Systeme für Schiffe und Häfen sowie zur Verbesserung der Energieeffizienz werden den Konjunkturaufschwung nach der weltweiten Wirtschaftskrise beschleunigen.

1.6.   Nach Meinung des Ausschusses können durch eine ausgewogene Mischung aus Rechtsvorschriften und Industrieinitiativen bessere Ergebnisse erzielt werden. Er fordert die Europäische Kommission auf, die Frage aufzugreifen, wie bewährte Verfahren auf EU-Ebene zielführend genutzt werden können. Der Umstieg auf ein ökologisches Konzept zum Schutz der Umwelt lohnt sich und kann neue Arbeitsplätze schaffen. Außerdem steht eine nachhaltige See- und Binnenschifffahrt nicht im Widerspruch zu Rentabilität.

1.7.   Der Ausschuss könnte als offizieller Multiplikator für diese neuen umweltfreundlichen Maßnahmen zur Schaffung einer echten „grünen Kultur“ in der organisierten Zivilgesellschaft in Europa auftreten. Er kann als europäisches Forum zur Stärkung des Umweltbewusstseins in der organisierten Zivilgesellschaft dienen. Umweltfreundliche Schiffe, Kraftstoffe und Häfen sind noch Zukunftsmusik, doch sollten wir bereits jetzt umdenken und unsere Verhaltensweisen im Alltag anpassen und umweltbewusster handeln.

1.8.   Die See- und Binnenschifffahrt sind anerkanntermaßen die Verkehrsträger im gewerblichen Verkehr mit dem geringsten CO2-Ausstoß. Die Förderung der Binnenschifffahrt kann zur Verwirklichung der wichtigsten ökologischen Ziele der EU-Politik beitragen. Eine stärkere Nutzung der Binnenschifffahrt ist ein wichtiger Faktor für die Verringerung der CO2-Emissionen des Verkehrssektors insgesamt.

1.9.   Das Seeverkehrsvolumen wird in absehbarer Zukunft weiter steigen, um einen wachsenden Welthandel zu bedienen; folglich werden auch mehr Emissionen verursacht, was wiederum einen Anstieg der Gesamtemissionen bedingt. Der CO2-Ausstoß kann durch eine Vielzahl technischer und operationeller Maßnahmen erheblich gesenkt werden.

1.10.   Eine etwaige Anwendung eines Emissionshandelssystems (ETS) auf den Seeverkehr darf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Schifffahrt auf dem Weltmarkt nicht beeinträchtigen. Eine Senkung der CO2-Emissionen der internationalen Schifffahrt könnte wirksamer in einem internationalen System als auf europäischer oder regionaler Ebene erreicht werden.

1.11.   Die Anwendung eines derartigen Systems auf den Seeverkehr, insbesondere bei Trampdiensten, ist jedoch weitaus komplexer als auf die Luftfahrt. Eine Kohlenstoffsteuer (Bunkeröl) bzw. eine andere Art von Abgabe könnte hier genauso „wirksam“ und weitaus einfacher zu handhaben sein, sofern sie weltweit eingeführt wird.

1.12.   Die Standardisierung von Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepten für die Besatzung von Binnenschiffen, vergleichbar mit den Standards im Seeverkehr, ist sinnvoll, vor allem im Zusammenhang mit dem Transport gefährlicher Güter.

2.   Empfehlungen

2.1.   Obwohl See- und Binnenschifffahrt wettbewerbsfähige, nachhaltige und umweltfreundliche Verkehrsträger sind, sollte die Europäische Kommission Möglichkeiten für weitere Verbesserungen durch Synergien zwischen Regelungsmaßnahmen und Industrieinitiativen unter die Lupe nehmen.

2.2.   Die Hafen- und Kanalinfrastruktur muss verbessert werden, um größere Schiffe aufzunehmen, eine Überlastung der Häfen zu vermeiden und einen zügigen Hafenumschlag zu ermöglichen.

2.3.   Die Mitgliedstaaten sollten jeder für sich, aber auch gemeinsam angemessene Vorkehrungen in Bezug auf Einsatzbereitschaft, Mittel und Ausrüstungen treffen, um im Bedarfsfall eingreifen und eine Verschmutzung europäischer Gewässer bekämpfen und ihre Folgen eindämmen zu können.

2.4.   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, Initiativen des Industriesektors und sonstige Umweltinitiativen im Hinblick darauf zu prüfen, wie die am besten bewährten Verfahren nutzbringend zur Verringerung der Schiffsschadstoffemissionen auf EU-Ebene eingesetzt werden können.

2.5.   Zur Verwirklichung einer „grünen Schifffahrt“ und zum Aufbau „grüner Häfen“ sollte die Europäische Kommission die europäische Industrie in ihren Bemühungen unterstützen, in der Erforschung innovativer Schiffs- und Hafentechnologie eine Vorreiterrolle zu übernehmen.

2.6.   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, sich mit der Vermarktung der in Europa entwickelten grünen Technologien in anderen Teilen der Welt zu befassen. Diese Initiative wird außerdem zur Schaffung neuer („grüner“) Arbeitsplätze in der EU beitragen.

2.7.   Der Ausschuss schlägt eine effizientere Logistik vor, d.h. kürzere Routen, weniger Leerfahrten (Ballastfahrten) und Anpassungen für optimierte Ankunftszeiten als Mittel zur Senkung der Schiffsemissionen.

2.8.   Die EU muss die Bemühungen der IMO unterstützen, weltweite Regelungen für die internationale Schifffahrt zu konzipieren und den Kapazitätenaufbau zur Sicherstellung der Erfüllung der Flaggenstaatenpflichten anzugehen.

2.9.   Die meisten Verkehrsunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Das Wohlergehen der Seeleute an Bord (Lebens- und Arbeitsbedingungen) muss unbedingt sichergestellt werden. Daher sollte alles daran gesetzt werden, eine Kultur der Sicherheit und der sozialen Verantwortung zu fördern.

2.10.   Die Qualität der Schiffskraftstoffe hat Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Nach Meinung des Ausschusses sollten die betroffenen Branchen im Rahmen der sozialen Verantwortung der Unternehmen freiwillig weiterreichende Maßnahmen für den Umweltschutz und die Verbesserung der Lebensqualität der Gesellschaft insgesamt treffen.

2.11.   Der Ausbau der weltweiten mit Flüssiggas (LNG) betriebenen Flotte bringt erhebliche Herausforderungen mit sich, da es entsprechend ausgebildeter und technisch geprüfter Schiffsoffiziere bedarf. Aufgrund des Mangels an qualifizierten Offizieren müssen verstärkt Anstrengungen in den Bereichen Anwerbung und Ausbildung unternommen werden.

2.12.   Tätigkeiten und Unfälle auf hoher See können die EU-Gewässer beeinträchtigen. Der Ausschuss schlägt die Nutzung der Dienste der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) zur Vorsorge gegen und Bekämpfung von Verschmutzungen (Pollution Preparedness and Response), zur Bereithaltung von Schiffen für Ölauffangleistungen (Stand-by Vessel Oil Recovery) sowie zur Satellitenüberwachung und -verfolgung (Satellite Monitoring and Surveillance) vor. Diese Dienste bieten umfangreiche Kapazitäten, um Zwischenfälle zu orten und umgehend Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Mit einer angemessenen Mittelausstattung könnten die Koordinierungskapazitäten der EMSA gestärkt werden.

2.13.   Es gilt, Programme zur Anwerbung, Aus-, Fort- und Weiterbildung von Seeleuten in der Binnenschifffahrt, insbesondere im Gefahrguttransport, zu konzipieren, um junge Menschen für eine Berufslaufbahn in diesem Sektor zu gewinnen und das erforderliche Fach- und Sachwissen weiterhin sicherzustellen.

3.   Allgemeine Einleitung

3.1.   Diese Sondierungsstellungnahme ist auf zwei Aspekte ausgerichtet: Wie kann der Umweltzustand der Meere und Binnengewässer verbessert werden, ohne dabei die Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsindustrie zu beeinträchtigen? Die Frage wird in Verbindung mit den Mitteilungen zur Ökologisierung des Verkehrs (1) und zur Strategie zur Internalisierung externer Kosten (2) erörtert. Dieses Maßnahmenpaket beinhaltet eine Strategie, mit der die tatsächlichen Kosten des Verkehrs für die Gesellschaft besser in den Preisen erkennbar sein sollen, damit die Umweltverschmutzung und die Verkehrsüberlastung schrittweise verringert und dadurch gleichzeitig die Effizienz des Verkehrs und letztlich der Wirtschaft insgesamt erhöht werden können. Diese Initiativen stehen im Einklang mit der Umweltdimension der Lissabon- und der Göteborg-Strategie und werden vom Ausschuss befürwortet.

3.2.   Für die Binnenschifffahrt wird die Internalisierung aller externen Kosten des Sektors angekündigt. Im Seeverkehr, wo es bislang noch zu keiner Internalisierung gekommen ist, hat sich die Europäische Kommission vorgenommen, 2009 tätig zu werden, falls die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) bis dahin keine konkreten Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen vereinbart hat. Die Strategie für den Seeverkehr wird auf die neue integrierte Meerespolitik der EU abgestimmt.

3.3.   Sowohl das Europäische Parlament als auch der Europäische Rat haben betont, wie wichtig eine nachhaltige Verkehrspolitik ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Klimawandels. Sie bekräftigen, dass das Verkehrswesen zur Verringerung der Klimagasemissionen beitragen muss.

3.4.   Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Seeverkehr einschl. des Kurzstreckenseeverkehrs ein Verkehrsträger ist, der in wirtschaftlicher, sozialer, technischer und nautischer Hinsicht strikt von der Binnenschifffahrt zu trennen ist. Es gibt erhebliche und grundlegende Unterschiede zwischen den Märkten, auf denen diese Verkehrsträger agieren, den Sozialvorschriften und -bedingungen, die auf sie Anwendung finden, den Vorschriften für Gewicht und Maschinen, den Beförderungskapazitäten sowie den Schiffsrouten und der Beschaffenheit der Wasserwege. Der See- und der Luftverkehr sind eindeutig weltweite Verkehrsträger, wohingegen die Binnenschifffahrt in Europa ganz allgemein als Landverkehr angesehen wird, zu dem auch der europäische Straßen- und Schienenverkehr (3) zählt. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, in ihren Dokumenten und Befassungen differenzierter zu verfahren und die Binnenschifffahrt als Landverkehrsträger einzustufen.

4.   Hintergrund: Klimawandel

4.1.   Die Erderwärmung, die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit und die begrenzten internationalen Erdölvorräte sind wesentliche Anreize für die EU, die Abhängigkeit des Verkehrssektors von fossilen Brennstoffen zu verringern. Beim Verbrauch von fossilen Brennstoffen wird Kohlendioxid (CO2), das vorherrschende Treibhausgas, freigesetzt. Daher ist die aktuelle Umweltpolitik fast ausschließlich auf die Verringerung des CO2-Ausstoßes ausgerichtet. Das wichtigste Nicht-CO2-Treibhausgas ist jedoch Methangas (CH4), das in der Viehzucht freigesetzt wird.

4.2.   Nach Meinung des Ausschusses sollte die Umweltleistung der See- und Binnenschifffahrt im Vergleich zur Umweltleistung des Landverkehrs und der Verschmutzung durch landseitige Quellen bewertet werden. Der Ausschuss bekräftigt (4), dass es eines ganzheitlichen Konzepts bedarf, in dem u.a. folgende Aspekte berücksichtigt werden: Verfügbarkeit von Technologien zur Senkung der Treibhausgasemissionen, Notwendigkeit der Innovationsförderung, wirtschaftliche Aspekte des Welthandels, Vermeidung negativer Auswirkungen eines höheren CO2-Ausstoßes im Zuge der Verringerung anderer Schadstoffemissionen usw., um unerwünschte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Maßnahmen möglichst auszuschließen.

4.3.   Die Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen in der See- und Binnenschifffahrt sollten praxistauglich und kosteneffizient sein und für alle Schiffe (ungeachtet der Flagge, unter der sie fahren) gelten, einschl. Freizeit- und nach Möglichkeit auch Marineschiffe (5). Sie müssen sich auf eine zuverlässige ökologische, technische und sozioökonomische Analyse stützen. Rechtsvorschriften, mit denen auf kostenintensive Weise lediglich eine geringe Senkung der Treibhausgasemissionen erzielt wird, könnten durchaus zu einer Verlagerung auf weniger umweltfreundliche Verkehrsträger führen. Die Folge wären umfassende negative Auswirkungen auf die Erderwärmung.

4.4.   Ein oftmals übersehener Aspekt der Maßnahmen zur Ökologisierung ist ihr wirtschaftlicher Nutzen. Eine „grüne Wirtschaft“ ist eine Möglichkeit zur Bewältigung der weltweiten Krise. Diese neu entstehende umweltgerechte Wirtschaft schafft neue Beschäftigungsmöglichkeiten (6). Kommissionsmitglied Dimas betonte, dass „grüne Investitionen“ in den nächsten zehn Jahren für 2 Millionen neue Arbeitsplätze in der EU sorgen werden. Eine „grüne Wirtschaft“ ist also kein Luxus.

4.5.   Der CO2-Ausstoß in der See- und Binnenschifffahrt kann zwar noch weiter verringert werden, jedoch nur in geringem Ausmaß, da Güter ungeachtet etwaiger zusätzlicher Kosten, die in jedem Fall den Verbrauchern angelastet werden, transportiert werden müssen.

5.   Ökologisierung des Seeverkehrs

5.1.   Die zunehmende Industrialisierung und Liberalisierung der Wirtschaft haben den Welthandel wachsen und die Nachfrage nach Verbrauchsgütern steigen lassen. In dem Aktionsplan zur integrierten Meerespolitik der EU (7) wird dem Seeverkehr als wettbewerbsfähigem, nachhaltigem, umweltfreundlichem Verkehrsträger besonderes Augenmerk beigemessen.

5.2.   Die Umweltleistung der Schifffahrt hat sich seit vielen Jahren stetig verbessert. Die betriebsbedingte Verschmutzung durch Schiffe konnte auf ein unbedeutendes Ausmaß zurückgeschraubt werden. Dank erheblicher Verbesserungen in Bezug auf Motoreffizienz und Hüllenbauweise konnten die Emissionen gesenkt und die Kraftstoffeffizienz erhöht werden. Gemessen an dem auf Schiffen beförderten Gütervolumen ist der Anteil des Seeverkehrs am weltweiten CO2-Ausstoß gering (2,7 %) (8).

5.3.   Der Schwund der arktischen Eiskappe öffnet schrittweise neue Möglichkeiten für die Schifffahrt, Passagen durch den Arktischen Ozean zu nutzen (9). Durch die Nutzung dieser kürzeren Routen von Europa zum Pazifik können Energieeinsparungen erzielt und die Emissionen verringert werden. Der Ausschuss hat die Bedeutung der arktischen Schiffsroute in seiner Stellungnahme zur integrierten Meerespolitik für die Europäische Union (10) betont. Gleichzeitig muss die Meeresumwelt der Arktis in Abstimmung mit ihrer Bevölkerung geschützt und erhalten und ihre multilaterale Governance verbessert werden. Bis zur Vorlage einer ökologischen Folgenabschätzung durch die Vereinten Nationen sollte die Erschließung neuer Wasserstraßen durch diese Region mit großer Vorsicht angegangen werden. Der Ausschuss schlägt vor, die Arktis kurz- und mittelfristig als Naturschutzgebiet einzustufen. Daher wäre es zweckdienlich, auf EU- und UN-Ebene die verschiedenen Parameter des arktischen Seewegs sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Die Ausweitung des Panamakanals, die 2015 abgeschlossen sein soll, sollte sich ebenfalls positiv auswirken.

5.4.   Der Seeverkehr ist ein durch mehr als 25 wichtige internationale Übereinkommen und Kodizes streng geregelter Bereich. Das MARPOL-Übereinkommen 73/78 ist das wichtigste internationale Übereinkommen zur Verhütung der betriebs- oder unfallbedingten Meeresverschmutzung durch Schiffe (11). Außerdem bestehen auch auf EU-Ebene umfassende Rechtsvorschriften, insbesondere die Maßnahmenpakete ERIKA I und ERIKA II sowie das dritte Maßnahmenpaket für die Sicherheit im Seeverkehr (2009). All diese Vorschriften haben die Sicherheit im Seeverkehr, die Überwachung der Umweltverschmutzung und - wo erforderlich - das Eingreifen zur Verhütung oder Begrenzung von Unfallfolgen erheblich verbessert.

5.5.   In dem vor Kurzem überarbeiteten Anhang VI des MARPOL-Übereinkommens zur Verhütung der Luftverunreinigung durch Schiffe wurden strengere Grenzwerte für Schadstoffemissionen festgelegt, und zwar für Schwefeloxide (SOx), Partikelmasse (PM) und Stickoxide (NOx). Der CO2-Ausstoß von Schiffen kann durch eine Vielzahl technischer und operationeller Maßnahmen verringert werden, wobei einiger dieser Maßnahme nur auf freiwilliger Grundlage Anwendung finden können. Das Drosseln der Fahrgeschwindigkeit („slow steaming“) ist die effizienteste Maßnahme, die unmittelbar deutliche Wirkung zeigt. Allerdings unterliegt die Durchführung dieser Maßnahme den Handelserfordernissen.

5.6.   Nach Überzeugung des Ausschusses können durch eine ausgewogene Mischung aus Rechtsvorschriften und Industrieinitiativen bessere Ergebnisse erzielt werden; zu diesen Initiativen zählen beispielsweise die wegweisenden Ziele der griechischen Vereinigung zum Schutz der Meeresumwelt HELMEPA (12), der Intertanko für die Vergabe des „Poseidon Challenge Award“ (13), der „Floating Forest“-Organisation (14) und der „Green Award“-Stiftung (15).

5.7.   Eine etwaige Anwendung eines Emissionshandelssystems (ETS) auf den Seeverkehr darf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Schifffahrt auf dem Weltmarkt nicht beeinträchtigen, da sie sonst im Widerspruch zur Lissabon-Strategie stünde. Vor jedwedem Beschluss muss die Europäische Kommission klare Antworten auf die folgenden Fragen geben: Welchen ökologischen Nutzen hätte die Einführung eines derartigen Systems in der internationalen Schifffahrt? Wie wird dieses System in der Praxis in einem so international agierenden Industriezweig wie der Schifffahrt funktionieren? Vor diesem Hintergrund könnte die Verringerung der CO2-Emissionen der Schifffahrt möglicherweise wirksamer in einem internationalen System im Rahmen der IMO als auf europäischer oder regionaler Ebene erreicht werden.

5.8.   Der politische Druck, die Schifffahrt bis 2013 in das Emissionshandelssystem der EU aufzunehmen, ist nicht zu übersehen. Die Anwendung dieses Systems auf die Schifffahrt, insbesondere auf Trampdienste, ist jedoch weitaus komplexer als auf die Luftfahrt; aufgrund der praktischen Handhabe des weltweiten Seehandels sind ETS-Berechnungen sehr schwierig. Die internationale Schifffahrt ist in erster Linie in der Frachtbeförderung unter ständig wechselnden Handelsmustern in der ganzen Welt tätig. Die meisten Schiffe unter EU-Flagge laden bzw. löschen ihre Ladungen in Nicht-EU-Häfen, die vom Charterer festgelegt werden. Schiffe sind nicht einheitlich, daher ist Benchmarking nur sehr schwer umsetzbar. Da in der Schifffahrt zahlreiche kleine Unternehmen operieren, wäre ein ETS mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Viele Schiffe, vor allem im Trampsektor, in dem die Mehrheit der Schiffe tätig ist, laufen nur gelegentlich EU-Häfen an. Die Betankung von Schiffen während der Fahrten kann in Nicht-EU-Häfen stattfinden, und der Kraftstoffverbrauch zwischen Häfen lässt sich nur schätzen. Bei der Zuteilung von ETS-Zertifikaten müssten also mehrere Länder berücksichtigt werden, z.B. das Land des Reeders, des Schiffsbetreibers, des Charterers, des Frachteigentümers und des Frachtempfängers. Außerdem müsste ein europäisches Emissionshandelssystem für den Seeverkehr auf alle Schiffe Anwendung finden, die EU-Häfen anlaufen. Dabei besteht die reale Gefahr, dass Nicht-EU-Länder, die dem ETS nicht beitreten, Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.

5.9.   Eine Kohlenstoffsteuer (Bunkeröl) bzw. eine andere Art von Abgabe könnte im Seeverkehr genauso „wirksam“ und weitaus einfacher zu handhaben sein. Außerdem könnte leichter sichergestellt werden, dass die so generierten Mittel auch wirklich für Initiativen zur Ökologisierung des Verkehrs aufgewendet werden.

5.10.   Schiffsantriebssysteme werden auch in absehbarer Zukunft in erster Linie mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Gas als Alternativkraftstoff wird erst dann stärker eingesetzt werden, wenn die entsprechende Vertriebsinfrastruktur zur Verfügung steht. In Machbarkeitsstudien für Erdgasbrennstoffzellen wurde eine erhebliche Verringerung des CO2-Ausstoßes nachgewiesen. Die IMO wird sich in künftigen Arbeiten auch mit der Verringerung der Lärmbelästigung durch Schiffe befassen.

5.11.   Es ist unwahrscheinlich, dass eine ausreichende Menge an nachhaltigem Biokraftstoff für die Schifffahrt zur Verfügung stehen wird. Ebenso wenig werden Wasserstoff und Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (CCS) in den kommenden zwanzig Jahren signifikante Auswirkungen auf die Schifffahrt haben. Windkraft wie Skysails oder Solarenergie allein werden für den Schiffsantrieb nicht ausreichen, sie können aber als Zusatzoption zu den Motoren genutzt werden. Die Nutzung von Landstromversorgung (Cold ironing) wird einen umweltfreundlichen Betrieb in den Häfen ermöglichen. Da für einen Nuklearantrieb eine spezielle Notfall-Infrastruktur erforderlich ist, ist dies keine brauchbare Alternative für Handelsschiffe.

6.   Ökologisierung der Binnenschifffahrt

6.1.   Die Binnenschifffahrt ist für den innereuropäischen Transport von großer Bedeutung, da 5,3 % des gesamten Binnenverkehrs in der EU — in Regionen mit großen Binnenwasserstraßen manchmal sogar mehr als 40 % — auf die Binnenschifffahrt entfallen. Sie ist ein zuverlässiger, kosten- und energieeffizienter sowie sicherer Verkehrsträger. Durch die Förderung der Binnenschifffahrt können die wichtigsten Ziele der EU-Umweltpolitik erreicht werden. Eine stärkere Nutzung der Binnenschifffahrt ist ein wesentlicher Faktor für die Verringerung des CO2-Ausstoßes des Verkehrssektors. Sie spielt auch eine Rolle bei den Maßnahmen der EU zur Lösung der massiven Überlastung im Straßenverkehr.

6.2.   Die Binnenschifffahrt wird seit jeher von den Vorschriften der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) geregelt, die strenge technische und Sicherheitsnormen festgelegt hat. Aufgrund der Mannheimer Akte erlassene Vorschriften gelten für alle Rhein-Anrainerstaaten. Diese Akte enthält Bestimmungen für Sicherheit, Haftung und Vermeidung von Umweltverschmutzung. Dank dieser hohen Normen zeichnet sich die Binnenschifffahrt durch eine sehr einheitliches Qualitäts- und Sicherheitsniveau in Bezug auf die Schiffsausrüstung und die Ausbildung der Besatzung aus. Auf der Grundlage der Bestimmungen der Mannheimer Akte nahm die EU mit der Richtlinie 2006/87/EG vor Kurzem umfassende technische und betriebliche Vorschriften für Binnenschiffe an.

6.3.   In Gemeinschaftsvorschriften (16) wurden Emissionsgrenzen für die Qualität der für Binnenschiffe gebrauchten Kraftstoffe festgesetzt. Die Europäische Kommission wollte mit ihrem Vorschlag über den Schwefelgehalt in Kraftstoffen (17) die Senkung des Schwefelgehalts in den in See- und Binnenschiffen gebrauchten Kraftstoffen erreichen. Die Binnenschifffahrt stimmte einer Senkung des Schwefelgehalts in Kraftstoffen in einem einzigen Schritt von 1 000 ppm auf 10 ppm zu. Das Europäische Parlament billigte vor Kurzem diesen Vorschlag der Binnenschifffahrt und beschloss, ab 2011 in einem einzigen Schritt einen Schwefelhöchstgehalt von 10 ppm einzuführen. In nicht allzu ferner Zukunft könnte die Binnenschifffahrt von emissionsfreien Technologien wie Brennstoffzellen profitieren. Das neue Binnenschiff „CompoCaNord“, das unlängst in Deutschland fertiggestellte „Futura“-Tankschiff und der niederländische fast völlig emissionsfreie Hybrid-Wasserstoff-Hafenschlepper sind konkrete Beispiele hierfür. Die Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, der Schiene oder Binnenwasserstraßen innerhalb bzw. zwischen den Mitgliedstaaten ist Gegenstand einer neuen Gemeinschaftsvorschrift (18).

6.4.   Seit der letzten Erweiterungsrunde erstreckt sich das Binnenwasserstraßennetz nunmehr von der Nordsee über Rhein und Donau bis zum Schwarzen Meer. Das europäische Binnenwasserstraßennetz bietet ein großes Potenzial für einen verlässlichen Gütertransport und schneidet im Vergleich mit anderen Verkehrsträgern, die oftmals mit Überlastungs- und Kapazitätsproblemen zu kämpfen haben, gut ab.

6.5.   Die Binnenschifffahrt kann realistischerweise nicht als eine nationale Angelegenheit angesehen werden, die durch einzelstaatliche oder regionale Gesetzgebung geregelt wird. Schiffe unter kroatischer, ukrainischer, serbischer und moldauischer Flagge fahren bereits auf Binnenwasserstraßen (Flüsse und Kanäle) in der EU; die Liberalisierung der russischen Binnenschifffahrt und der Zugang europäischer Betreiber zu den russischen Binnenwasserstraßen und umgekehrt werden die EU-Binnenschifffahrt um eine internationale Dimension bereichern.

6.6.   Eine der wichtigsten Bedingungen und Herausforderungen für die Zuverlässigkeit der Binnenschifffahrt ist die Verbesserung der Infrastruktur, d.h. der Abbau von Engpässen und die erforderliche Wartung. Der Ausschuss verweist auf seine frühere Stellungnahme (19) und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Maßnahmen im Rahmen des NAIADES-Aktionsprogramms (20) der Binnenschifffahrt neue Impulse geben und die Finanzierung von Infrastrukturvorhaben ermöglichen werden.

6.7.   Als relativ selten genutzter Verkehrsträger sollte die Binnenschifffahrt nicht als Versuchsballon für die Internalisierung der externen Kosten herhalten. Jedwede Maßnahme zur verpflichtenden Einführung einer Kohlenstoffsteuer in der Binnenschifffahrt wird auf rechtliche Schwierigkeiten treffen, da gemäß der Mannheimer Akte (1868) keinerlei Steuern für die Rheinschifffahrt erhoben werden dürfen. Derzeit werden 80 % der Binnenschifffahrt auf dem Rhein abgewickelt. Der Ausschuss hält fest, dass die Unvereinbarkeit zwischen der Mannheimer Akte für die Rhein- und dem Belgrader Übereinkommen für die Donauschifffahrt in Bezug auf die Umweltvorschriften auf der Donau problematisch ist. Er schlägt daher vor, die Bemühungen der EU zur Vereinheitlichung der (ökologischen, sozialen und technischen) Rechtsvorschriften im Interesse der Förderung der Binnenschifffahrt voranzubringen.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2008) 433 endg., SEK(2008) 2206.

(2)  KOM(2008) 435 endg.

(3)  Der Begriff „Schiffsverkehr“, der für beide Verkehrsträger angewendet werden kann, verweist nur auf das Transportmittel, macht jedoch keinerlei Unterscheidung zwischen den Verkehrsträgern und den Umweltauswirkungen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die GD TREN den Straßen- und Schienenverkehr unter dem Oberbegriff „Landverkehr“ aufgenommen hat, nicht jedoch die Binnenschifffahrt.

(4)  ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 50; ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 31.

(5)  Vgl. Fußnote 4.

(6)  Siehe die Initiative „Green Job“ des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP).

(7)  SEK(2007) 1278.

(8)  Siehe aktualisierte Studie der IMO aus dem Jahr 2000 zu den durch Schiffe verursachten Treibhausgasemissionen „Updated 2000 Study on Greenhouse Gas Emissions from Ships“.

(9)  KOM(2008) 763 endg.

(10)  ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 31.

(11)  Die Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe wird durch die Umsetzung der in den letzten Jahren angenommenen internationalen Übereinkommen über Verbots- und Beschränkungsmaßnahmen für schädliche Bewuchsschutzsysteme von Schiffen (AFS), zur Regelung und Kontrolle von Ballastwasser und Rückständen von Schiffen (BWM), zur Wrackbeseitigung und über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bunkerölverschmutzung („Bunkeröl-Übereinkommen“) sowie des Übereinkommens über das sichere und umweltverträgliche Recycling von Schiffen (Annahme voraussichtlich 2009) gestärkt.

(12)  Dies seit 1981 bestehende HELMEPA diente als Vorbild für die Einrichtung von CYMEPA, TURMEPA, AUSMEPA, NAMEPA, UKRMEPA, URUMEPA und INTERMEPA.

(13)  Dieser Preis wird seit 2005 vom Internationalen Verband der unabhängigen Tankschiffeigner (International Association of Independent Tanker Owners - Intertanko) vergeben.

(14)  Organisation mit Sitz im Vereinigten Königreich (info@flyingforest.org).

(15)  Organisation mit Sitz in den Niederlanden (www.greenaward.org).

(16)  Richtlinie 2004/26/EG, ABl. L 225 vom 25.6.2004, S. 3.

(17)  KOM(2007) 18 endg.

(18)  Richtlinie 2008/68/EG, ABl. L 260 vom 30.9.2008, S. 13.

(19)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 218.

(20)  KOM(2006) 6 endg.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/25


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Straßenverkehr im Jahr 2020: Erwartungen der organisierten Zivilgesellschaft“

(Sondierungsstellungnahme)

(2009/C 277/05)

Berichterstatter: Jan SIMONS

Der tschechische EU-Ratsvorsitz ersuchte den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags in einem Schreiben vom 24. November 2008 um eine Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

Straßenverkehr im Jahr 2020: Erwartungen der organisierten Zivilgesellschaft.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. April 2009 an. Berichterstatter war Jan SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 89 gegen 33 Stimmen bei 17 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat in Bezug auf die Reichweite dieser Stellungnahme eine Einschränkung vorgenommen. In dieser Stellungnahme wird nur der Straßengüterverkehr behandelt, da dieser Wunsch aus näheren Informationen des tschechischen Ratsvorsitzes hervorging. Zum Thema gewerblicher Personenstraßenverkehr müsste eine gesonderte Stellungnahme erstellt werden.

1.2.   Aus allen Szenarien für den Straßengüterverkehr geht hervor, dass bis zum Jahr 2020 von einem starken Wachstum im zweistelligen Prozentbereich auszugehen ist. Aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise wird zwar erwartet, dass das Wachstum in den kommenden Jahren stagnieren wird, doch wird dies keine spürbaren Auswirkungen auf die Lage im Jahr 2020 haben.

1.3.   Falls das endgültige Bild im Jahr 2020 ein Wachstum erkennen lässt, so bedeutet dies u.a., dass der verkehrspolitische Ansatz, der in der Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch festgelegt wurde, um zu einer integrierten Verkehrspolitik zu gelangen, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Grundsätzen Rechnung trägt, nämlich die Ko-Modalität, die auch vom Ausschuss in seiner Stellungnahme vom 15. März 2007 begrüßt wurde, energisch angestrebt werden muss.

1.4.   Das erwartete Wachstum geht einher mit einigen Problemen, mit denen internationale Regierungsorganisationen, Regierungen, Interessenvertretungen und die Bürger bereits jetzt zu kämpfen haben, wie etwa der zunehmende CO2-Ausstoß, die Abhängigkeit des Verkehrssektors von fossilen Brennstoffen, der Mangel an ausreichend sicherer Infrastruktur und die Gewährleistung guter (Arbeits-)Bedingungen für Kraftfahrer.

1.5.   Der Ausschuss hält es für die Lösung dieser Probleme für grundlegend wichtig, dass die Dringlichkeit dieser Problematik ins allgemeine Bewusstsein gerückt wird, wodurch die dringend erforderliche tragfähige Basis geschaffen werden kann.

1.6.   Mit Blick auf die dringend erforderlichen Maßnahmen denkt der Ausschuss im Bereich des CO2-Ausstoßes an intensivere Bemühungen, um diese Emissionsquelle an ihrem Ursprung anzugehen, und zwar u.a. durch die beschleunigte Entwicklung von sparsamen Motoren der neuen Generation.

1.7.   Mit Blick auf die Abhängigkeit des gewerblichen Kraftverkehrs von fossilen Brennstoffen hält der Ausschuss es für erforderlich, dass ein finanziell gut ausgestattetes Forschungs- und Entwicklungsprogramm aufgelegt wird, das auf den Einsatz nachhaltiger Energieträger im Verkehrssektor ausgerichtet ist.

1.8.   Auch die Schaffung von Anreizen durch steuerliche Maßnahmen für Produkte und/oder Maßnahmen, die auf alternative Antriebsmöglichkeiten und die Verringerung des CO2-Ausstoßes ausgerichtet sind, sind nach Auffassung des Ausschusses ein Schritt in die richtige Richtung. Eine dieser Maßnahmen könnte der schnellere Austausch älterer Nutzfahrzeugmodelle sein.

1.9.   Neben technischen Innovationen und ähnlichen Investitionen muss der Ausbau der erforderlichen Infrastruktur, wie etwa die Einrichtung ausreichend ausgestatteter, sicherer und bewachter Parkplätze und Rastanlagen, zum Auffangen des erwarteten Wachstums rasch in Angriff genommen werden. Diese müssen so beschaffen sein, dass das Lkw-Fahrpersonal seine gesetzlichen Pausen- und Ruhezeiten einhalten und als wirksame Erholungszeit nutzen kann. Insbesondere muss das Fahrpersonal vor Beraubung, Überfällen und anderen kriminellen Übergriffen sicher sein. Es müssen zügig allgemeinverbindliche Standards (bauliche Ausgestaltung, Dienstleistungsangebot, Parkleitsysteme) für Rast- und Parkanlagen – nicht nur an Autobahnen – entwickelt und umgesetzt werden. Die Verbesserung der Park- und Rastanlagen kann über die Einnahmen der Lkw-Maut finanziert werden. Ein erfreulicher Nebeneffekt solcher Maßnahmen ist, dass diese Investitionen in der aktuellen wirtschaftlichen Krisensituation die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln können.

1.10.   Für die Fahrer muss die Attraktivität des Berufs aufrecht erhalten werden, und zwar durch die Gewährleistung guter (Arbeits-)Bedingungen, wie etwa geregelte Arbeitszeiten, vereinheitlichte Lenk- und Ruhezeiten, die nicht nur auf dem Papier gesetzlich vorgeschrieben sind, sondern in der Praxis konsequent durchgesetzt werden. Auch die Kontrollen der Einhaltung der Sozialvorschriften in diesem Sektor sollten nach Auffassung des Ausschusses in der EU auf hohem Niveau harmonisiert und gegebenenfalls sanktioniert werden. Der Aufbau eines sozialen Dialogs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf nationaler und europäischer Ebene stellt für den Ausschuss eine notwendige Voraussetzung für das gute Funktionieren des Sektors dar.

1.11.   Der Ausschuss macht nachdrücklich darauf aufmerksam, dass die in dieser Stellungnahme enthaltenen Vorschläge nicht nur einer gewissen Dringlichkeit Ausdruck verleihen sollen, sondern dass auch dringend und rasch Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das erwartete Wachstum nachhaltig bewältigen zu können.

2.   Einleitung

2.1.   Am 24. November 2008 richtete der tschechische Verkehrsminister Aleš Řebíček mit Blick auf den künftigen EU-Ratsvorsitz der Tschechischen Republik während des ersten Halbjahrs 2009 ein Schreiben an den Generalsekretär des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, Herrn Westlake.

2.2.   In diesem Schreiben erklärt der tschechische Minister für Verkehr, dass er den Aufbau einer guten Zusammenarbeit zwischen dem tschechischen Ministerium für Verkehr und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss für grundlegend wichtig halte, um die Agenda des tschechischen Ratsvorsitzes so gut wie möglich umzusetzen.

2.3.   In diesem Zusammenhang ersuche der tschechische Ratsvorsitz den EWSA um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Straßenverkehr im Jahr 2020: Erwartungen der organisierten Zivilgesellschaft“. Dieses Thema sei von politischer Bedeutung und sowohl mit der weiteren Entwicklung des „Eurovignette“-Dossiers als auch mit der kurz vor der Veröffentlichung stehenden TEN-V-Agenda eng verknüpft.

2.4.   Um die Ansichten der verschiedenen einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft kurzfristig in Erfahrung bringen zu können, hielt der Ausschuss die Veranstaltung einer Anhörung für erforderlich, in der Vertreter dieser Organisationen ihre Ansichten zu Gehör bringen sollten.

2.5.   Die Ansichten der Vertreter der einzelnen einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die im Rahmen der Anhörung zur Sprache kamen, sind im Anhang zu dieser Stellungnahme enthalten (1).

2.6.   Das Thema „Straßenverkehr“ wird in dieser Sondierungsstellungnahme als Straßengüterverkehr verstanden, da dieser Wunsch aus näheren Informationen des tschechischen Ratsvorsitzes hervorging. Zum Thema gewerblicher Personenstraßenverkehr müsste eine gesonderte Stellungnahme erstellt werden.

2.7.   Diese Einschränkung bringt jedoch auch mit sich, dass Schlussfolgerungen, die beispielsweise im Infrastrukturbereich gezogen werden, mit der nötigen Vorsicht gehandhabt werden müssen, da die nicht berücksichtigte Dimension - der motorisierte Individualverkehr, der den Flächenbedarf bei der Infrastruktur dominiert - nicht inbegriffen ist.

2.8.   Die Bedeutung des Ersuchens des tschechischen Ratsvorsitzes um ein Bild des Straßenverkehrsmarktes bis 2020 wird deutlich, wenn man sieht, dass in der Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission von 2001 für die EU-25 eine Zunahme des Güterverkehrsaufkommens um 50 % (in Tonnen/km) bis 2020 erwartet wird und dass festgestellt wurde, dass in den 27 EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2006 im Binnenverkehr ca. drei Viertel (73 %) der Anzahl Tonnen/km vom Straßengüterverkehr transportiert wurde.

2.9.   Der Schienengüterverkehr steht für 17 % der Anzahl Tonnen/km, während über die Binnenschifffahrt und Pipelines jeweils 5 % transportiert werden. Eine Steigerung der Verkehrsanteile dieser Verkehrsträger und des Kurzstreckenseeverkehrs sollte deshalb angestrebt werden.

2.10.   Sollte sich die für das Jahr 2020 prognostizierte Zunahme, der zufolge sich der internationale Straßenverkehr zweimal so schnell wie der nationale Straßenverkehr verdoppeln soll, bewahrheiten, wird sich dies auf einige Bereiche erheblich auswirken. Hier ist z.B. an mangelhafte Infrastruktur und hierdurch bedingte Staubildung zu denken. Falls keine drastischen Maßnahmen ergriffen werden, werden der CO2-Ausstoß, die Lärmbelästigung und der Energieverbrauch stark zunehmen. Ohne Änderungen der Politik werden sich die Arbeits- und sonstigen Bedingungen für Kraftfahrer verschlechtern, wodurch der Kraftfahrerberuf weniger attraktiv wird.

2.11.   Es liegt auf der Hand, dass diese Bereiche als Engpässe angesehen werden müssen, bei denen grundlegende Entscheidungen zu treffen sind, die für das gute Funktionieren des Binnenmarktes im Bereich des Straßengüterverkehrs von wesentlicher Bedeutung sind.

2.12.   Ein Faktor, der erschwerend hinzukommt, ist die Fragmentierung des Straßengüterverkehrsmarktes. In der Europäischen Union geht es hier um ca. 900 000 Unternehmen, darunter mehr als die Hälfte KMU. Zwar konsolidiert sich die Anzahl der Unternehmen, doch werden sie immer größer. Zudem ist der Straßengüterverkehrsmarkt durch ein geringes Maß an Kohäsion gekennzeichnet. Vor allem kleine, individuell tätige Betriebe mit geringer Bereitschaft zur Zusammenarbeit, wodurch logistische Prozesse nicht optimal ablaufen und im Sektor noch großer Spielraum für qualitative Verbesserungen besteht.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.   Angaben von Eurostat zufolge betrug 2006 in 25 der 27 EU-Mitgliedstaaten der Anteil des Straßentransports im Vergleich zu den anderen Binnenverkehrsträgern Schiene, Binnenschifffahrt und Pipelines mehr als 50 % (in Tonnen/km). In Estland und Lettland belief sich der prozentuale Anteil, der über die Schiene transportiert wurde, auf mehr als 60 %. Nach der gleichen Eurostat-Untersuchung betrug in der Schweiz der Anteil der Schiene ebenfalls über 60 %.

3.2.   Ebenfalls bekannt ist, dass beim Straßengüterverkehr 85 % der Anzahl transportierter Tonnen über eine Entfernung von weniger als 150 km transportiert wird. 15 % der Zahl transportierter Tonnen wird über Entfernungen von mehr als 150 km transportiert.

3.3.   Diese Feststellung führt die Bedeutung des Straßengüterverkehrs, insbesondere die Flexibilität dieses Verkehrsträgers, plastisch vor Augen, da es bei kurzen Entfernungen wenige Alternativen gibt.

3.4.   Mit Blick auf die Binnenverkehrsträger können Schiene und Binnenschifffahrt vor allem bei längeren Entfernungen und je nach Art der zu transportierenden Güter eine Alternative zum Straßengüterverkehr sein, wenn die Qualität der Dienstleistung mindestens gleichwertig ist und die Kosten für den unvermeidlichen Umschlag der Güter akzeptabel sind. In diesem Zusammenhang könnte die Internalisierung externer Kosten eine Rolle spielen.

3.5.   Bei am Meer gelegenen Transportstrecken kann der Kurzstreckenseeverkehr eine Alternative sein, wenn die zolltechnischen und administrativen Hemmnisse für diesen Verkehrszweig beseitigt worden sind und auch hier die Umschlagskosten in Grenzen gehalten werden können.

3.6.   Betrachtet man die erwartete Entwicklung bis zum Jahr 2020, so kann aufgrund von Untersuchungen, die von der Europäischen Kommission in „Europäische Energie und Verkehr“ und dem Institut NEA durchgeführt wurden, festgestellt werden, dass das Bruttoinlandsprodukt und somit auch das Transportaufkommen stark zunehmen werden, wenn keine Entkopplung erreicht wird, wie bereits in der Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch erkannt wurde.

3.7.   Die Prognosen für die internationalen Güterströme für das Jahr 2020 im Vergleich zu 2005 lassen Folgendes erkennen:

der Transport innerhalb Westeuropas wird um 33 % zunehmen,

der Transport innerhalb Osteuropas wird um 77 % zunehmen,

der Transport von West- nach Osteuropa wird um 68 % und

der Transport von Ost- nach Westeuropa um 55 % zunehmen.

Diese erwartete Zunahme des Straßengüterverkehrs bis 2020 wird angesichts der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen dieses Sektors die Energievorräte stark in Anspruch nehmen.

3.8.   Insgesamt wird also eine Zunahme der Güterströme erwartet. Durch die Kreditkrise und die damit einhergehende Rezession der Wirtschaft wird das Wachstum auf jeden Fall in den kommenden Jahren zwar geringer als prognostiziert ausfallen, doch immer noch so stark, dass Maßnahmen getroffen werden müssen, um diese Zunahme aufzufangen. Bis zum Jahr 2020 wird jedoch noch mehr als ein Jahrzehnt verstreichen, daher wird die Gefahr, dass diese Rezession bis dahin anhalten wird, als gering angesehen.

3.9.   Das erwartete Wachstum im Verkehrsbereich ergibt sich aus dem Wirtschaftswachstum in der EU und muss auf einem weiter integrierten Markt geschehen, in dem auch harmonisierte Maßnahmen wie eine vereinheitlichte und konsequente Kontroll- und Sanktionspolitik verankert sind.

3.10.   Die Politik, die der Europäischen Kommission vorschwebt, die Abkehr von der forcierten Verkehrsverlagerung und die Umsetzung der Ko-Modalität (2), d.h. die Optimierung der einzelnen Verkehrsträger und die möglichst umfassende Zusammenarbeit aller Verkehrsträger, ist nach Auffassung des Ausschusses neben der Entwicklung von Alternativen und Investition ein notwendiger Ansatz, um langfristig gleichzeitig ein hohes Niveau sowohl an Mobilität als an Umweltschutz zu erhalten.

3.11.   Der Ausschuss hat sich auf seiner Plenartagung am 15. März 2007 (3) für die Ziele des überarbeiteten Weißbuchs ausgesprochen, nämlich die Optimierung aller Verkehrsträger als Ganzes und im Einzelnen sowie die optimale Nutzung der spezifischen Möglichkeiten jedes Verkehrsträgers, dabei jedoch auch betont, dass die Verkehrsträger Seeverkehr, Binnenschifffahrt und Schiene wettbewerbsfähiger werden müssen.

3.12.   Um das erwartete Wachstum auffangen zu können, sind eine tragfähige Grundlage und die Mitarbeit der einschlägigen Akteure erforderlich. Aus diesem Grund wurde eine Anhörung mit den einschlägigen internationalen Dachorganisationen der Zivilgesellschaft abgehalten, um ihre Ansichten in diese Sondierungsstellungnahme einfließen zu lassen.

3.13.   Eine Schlussfolgerung, die aus dem zu erwartenden Anstieg der Güterströme bis 2020 gezogen werden kann, lautet, dass die physische Infrastruktur für alle Binnenverkehrsträger ausgebaut werden muss. Für den Kurzstreckenseeverkehr müssen vor allem die zolltechnischen und administrativen Hemmnisse beseitigt werden.

3.14.   Als weiteres Fazit kann gefolgert werden, dass, wenn die zu erwartende Zunahme des Straßengüterverkehrs eintritt, Lösungen für die mit dieser Zunahme einhergehenden Folgen gefunden werden müssen, z.B. in den Bereichen CO2-Emissionen, Verkehrsunfälle, Energieverbrauch und soziale Folgen, wie etwa der Mangel an ausreichend bewachten und mit ausreichender Infrastruktur ausgestatteten Parkplätzen und Rastanlagen.

3.15.   Zudem sollten „Leerfahrten“, die Harmonisierung von Kontrollen und Geldbußen, die echte Integration des Binnenmarktes, Effizienzsteigerungen u.a. ggf. durch den Einsatz des modularen Systems, raschere Grenzkontrollen, logistische Konzepte für den eigentlichen Transport und Studien über die Handhabung von Geschwindigkeiten und eine bessere Bereifung gefördert werden.

3.16.   Der Ausschuss ist sich zugleich bewusst, dass für die Zeit nach 2020 eine visionärere Politik erforderlich sein wird. Er fordert daher Kommission, Rat, Parlament und den Sektor selbst dazu auf, dies in der künftigen Debatte über die Zukunft des Verkehrssektors, die von dem für Verkehr zuständigen Kommissionsmitglied Tajani für 2010 angekündigt wurde, zu berücksichtigen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Aus der prognostizierten Zunahme des internationalen Straßengüterverkehrs und der - nur in geringem Maße vorhandenen - Möglichkeit, diese Zunahme durch andere Verkehrsträger aufzufangen, ergibt sich nach Auffassung des Ausschusses die Notwendigkeit einer Politik auf internationaler und nationaler Ebene, die die für die Verwirklichung des Wachstums notwendigen Voraussetzungen schafft.

4.2.   Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene muss am Auf- bzw. Ausbau (Beseitigung von Engpässen) der physischen Straßen- und Verkehrsinfrastruktur gearbeitet werden. Hierbei muss auch dem Mangel an ausreichend bewachten und ausgestatteten sicheren Parkplätzen und Rastanlagen Rechnung getragen bzw. dieser behoben werden.

4.3.   In diesem Zusammenhang wird auf die Mitteilung der Kommission „Strategie zur Internalisierung externer Kosten“ und die künftige diesbezügliche Stellungnahme des Ausschusses verwiesen (4).

4.4.   Für die Fahrer muss die Attraktivität des Berufs aufrecht erhalten werden, und zwar durch die Gewährleistung guter (Arbeits-)Bedingungen, wie etwa geregelte Arbeitszeiten, vereinheitlichte Lenk- und Ruhezeiten, die nicht nur auf dem Papier gesetzlich vorgeschrieben sind, sondern konsequent praktisch durchgesetzt werden. Auch die Kontrollen der Einhaltung der Sozialvorschriften in diesem Sektor sollten nach Auffassung des Ausschusses in der EU harmonisiert werden. Bei Nichteinhaltung der Vorschriften sollten insbesondere ökonomisch abschreckende Sanktionen eingeführt und durchgesetzt werden. Der Aufbau eines sozialen Dialogs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf nationaler und europäischer Ebene stellt für den Ausschuss eine notwendige Voraussetzung für das gute Funktionieren des Sektors dar.

4.5.   In den vergangenen Jahren wurden Tochtergesellschaften westeuropäischer Kraftverkehrsunternehmen in Ländern wie Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn gegründet. Diese ausgeflaggten Unternehmen übernehmen gemeinsam mit den seit altersher ansässigen nationalen Straßentransportunternehmen den größten Teil des internationalen Straßengüterverkehrs zwischen West- und Osteuropa. Von einer Fortsetzung dieses Trends wird ausgegangen.

4.6.   Der Ausschuss spricht sich auch aufgrund des prognostizierten Wachstums für eine Beseitigung der administrativen und physischen Engpässe aus, die dem Einsatz intermodaler Techniken im Wege stehen. Er hält es für erforderlich, dass alle Verkehrsträger optimal eingesetzt werden können, immer unter Berücksichtigung gleicher Ausgangsbedingungen für alle.

4.7.   Ferner hält es der Ausschuss für wichtig, dass durch das Auffangen des erwarteten Wachstums im Verkehrsbereich die Ziele im Energie- und Klimabereich intensiviert werden. Wie der Ausschuss in seiner Stellungnahme zur Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch bereits ausgeführt hat, müssen sich die Bemühungen vorrangig auf eine geringere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen sowie auf die Senkung des CO2-Ausstoßes richten. Das letztgenannte Ziel sollte vor allem durch Maßnahmen erreicht werden, die an der Quelle ansetzen, wie etwa die Verbesserung von Motoren, damit weniger CO2 ausgestoßen wird (Euro V, VI und sparsame Motoren der neueren Generation).

4.8.   Hinsichtlich des CO2-Ausstoßes weisen Untersuchungsergebnisse darauf hin, dass - wenn die Volumenzunahme anhält - der Ausstoß bis 2020 noch um 17 % bis 55 % (abhängig vom jeweiligen Szenario für das Wirtschaftswachstum) zunehmen wird. Ab 2040 wird der CO2-Ausstoß insgesamt zurückgehen. Diese Prognosen bereiten dem Ausschuss Sorge. Mit aller Kenntnis und aller Macht müssen Maßnahmen - auch indirekte - ersonnen werden, um den CO2-Ausstoß auch vor 2020 zu senken. Eine dieser Maßnahmen könnte der schnellere Austausch älterer Nutzfahrzeugmodelle und die Bereitstellung von Mitteln, die durch die Internalisierung externer Kosten gewonnen werden, sein.

4.9.   Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Abhängigkeit des Straßengüterverkehrs als Sektor von fossilen Brennstoffen zwar auf kurze Sicht nicht verringert werden kann, dass jedoch zusätzliche Bemühungen erforderlich sind, um langfristig Alternativen zu finden. In der oben genannten Stellungnahme hat der Ausschuss betont, dass ein finanziell gut ausgestattetes Forschungs- und Entwicklungsprogramm aufgelegt werden muss, um einen Impuls für den Einsatz nachhaltiger Energieträger zu geben.

4.10.   In ihrem Aktionsplan für Energieeffizienz (5) schätzt die Kommission das Einsparpotenzial für den Verkehr im Bereich von Energieeinsparungen für das Jahr 2020 auf 26 %.

4.11.   Aber wie können die schädlichen Auswirkungen des Straßengüterverkehrs verringert werden? Der Ausschuss hält eine bessere Organisation der logistischen Abläufe für sehr wichtig, da hierdurch die Leistungsfähigkeit des Straßengüterverkehrs gesteigert werden kann.

4.12.   Ferner liegt für den Ausschuss in der Schaffung einer tragfähigen Basis und der Sensibilisierung für diese Problematik ein Schlüssel zum Erfolg. Sowohl Zuckerbrot wie Peitsche sollten hier eingesetzt werden. Belohnung durch Prämien oder Beihilfen für Investitionen in nachhaltige Nutzfahrzeuge und Busse, eine Differenzierung bei Mauttarifen und/oder anderen Gebühren, die Förderung von Produkten, die auf alternative Fortbewegungsmittel ausgerichtet sind, durch steuerliche Anreize, umweltfreundliche Nutzfahrzeuge und Busse, aber auch konsequente ordnungspolitische Maßnahmen sollten angewandt werden.

4.13.   Schließlich empfiehlt der Ausschuss, dass der Straßenverkehrssektor im Bereich der technischen Entwicklung und der Managemententwicklung Benchmark-Untersuchungen durchführen sollte, um so auf Anwendungen aus anderen Bereichen zurückgreifen zu können.

4.14.   Dem Ausschuss ist bewusst, dass keine Zeit zu verlieren ist. Er macht daher nachdrücklich darauf aufmerksam, dass die in dieser Stellungnahme enthaltenen sowie weitere einschlägige Vorschläge nicht nur einer gewissen Dringlichkeit Ausdruck verleihen sollen und energisch umgesetzt werden müssen; aus diesem Grund müssen auch dringend und rasch Maßnahmen ergriffen werden, um das erwartete Wachstum nachhaltig bewältigen zu können.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Anhänge zu Stellungnahmen werden nicht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Dieser Anhang ist über die Website des EWSA unter folgender Adresse abrufbar: www.eesc.europa.eu.

(2)  Mit der Ko-Modalität kann der in der von der Europäischen Kommission in der Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch aus dem Jahr 2001 (KOM(2006) 314 endg.) verwendeten Definition zufolge mit der „effizienten Nutzung der einzelnen Verkehrsträger oder ihrer Kombinationen eine optimale und nachhaltige Nutzung der Ressourcen erreicht werden“.

(3)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Für ein mobiles Europa - Nachhaltige Mobilität für unseren Kontinent - Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission von 2001“ (KOM(2006) 314 endg.), ABl. C 161 vom 13.7.2007.

(4)  KOM(2008) 435 endg. vom 8.7.2008 und TEN/357 „Internalisierung externer Kosten“.

(5)  Mitteilung der Kommission „Aktionsplan für Energieeffizienz: Das Potenzial ausschöpfen“ KOM(2006) 545.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/30


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Östliche Partnerschaft“

(Sondierungsstellungnahme)

(2009/C 277/06)

Berichterstatter: Ivan VOLEŠ

In ihrem Schreiben vom 12. Januar 2009 ersuchte Milena Vicenová, Botschafterin und Ständige Vertreterin der Tschechischen Republik bei der Europäischen Union, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema

Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die ÖstP.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 16. April 2009 an. Berichterstatter war Ivan VOLEŠ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 160 gegen 15 Stimmen bei 18 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt und unterstützt den Vorschlag zur Einrichtung einer östlichen Partnerschaft (ÖstP) - als qualitativ höher stehender Form der Zusammenarbeit mit den östlichen Staaten im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik. Diese Partnerschaft muss auf gemeinsamen demokratischen Werten und der Achtung der Menschenrechte gegründet sein, zu denen auch der soziale und der zivilgesellschaftliche Dialog zählen sowie die Anerkennung der wichtigen Rolle, die in Demokratien den zivilgesellschaftlichen Organisationen zukommt.

1.2.   Das Programm für die Zusammenarbeit im Rahmen der ÖstP muss an konkreten Hilfeleistungen für die Partnerländer ausgerichtet werden, besonders in der gegenwärtigen Situation mit schwerwiegenden Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise auf deren Volkswirtschaft und den daraus resultierenden sozialen Folgen. Mit der ÖstP sollte zugleich ein Beitrag zur Stärkung der Institutionen und zur friedlichen Beilegung verbleibender Konflikte geleistet werden.

1.3.   Mit der ÖstP wird die Frage der EU-Mitgliedschaft, wie sie einige der betreffenden Länder anstreben, nicht gelöst. Für den Fall, dass Letztere ihr Recht an das Gemeinschaftsrecht in den betroffenen Branchen anpassen, sollten die Partnerländer die Möglichkeit erhalten, einen privilegierten Status zu erreichen, aufgrund dessen sie an der Gestaltung des gemeinschaftlichen Besitzstandes in der jeweiligen Branche ohne Stimmrecht mitwirken können, wie dies auch für die Mitgliedsländer des Europäischen Wirtschaftsraums gilt.

1.4.   Bei der Verwirklichung der ÖstP sind die fünf Jahre Erfahrung mit der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu berücksichtigen:

Die Zusammenarbeit zwischen der EU und den Partnerländern könnte bei der Ausarbeitung von Umsetzungsmaßnahmen für die Aktionspläne auf einzelstaatlicher Ebene verbessert werden;

bei der Ausarbeitung der Aktionspläne und der Überwachung ihrer Umsetzung ist die Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner, zu beteiligen;

die Sitzungstermine der gemeinsamen Unterausschüsse für die Zusammenarbeit in sektorspezifischen Fragen aufgrund der Partnerschafts- und Kooperationsabkommen sollten eingehalten und die Umsetzung ihrer Beschlüsse unter Beteiligung der Zivilgesellschaft überwacht werden;

die Einbindung in die entsprechenden Gemeinschaftsprogramme und Agenturen sollte klar festgelegt werden, um zur Übernahme des entsprechenden Gemeinschaftsrechts zu motivieren;

bei der Auswahl der Fragen, die in den thematischen Plattformen besprochen werden, sollte die Zivilgesellschaft einbezogen werden; dabei könnte es sich vorrangig um folgende Themen handeln: verantwortungsvolle Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft und deren ordnungspolitischer Rahmen, sozialer und ziviler Dialog, Migration, Schutz des geistigen Eigentums, Sicherheit in der Energieversorgung, Beseitigung von Armut, Hindernisse für den freien Handel, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Umweltschutz, Kontakte zwischen den Menschen usw.

1.5.   Voraussetzung für die Beteiligung der Partnerländer an der ÖstP sollte ihr Wille und ihre Bereitschaft sein, die gemeinsamen Werte der EU zu teilen, nämlich die Menschenrechte und die Freiheit zu wahren, sowie einen sozialen und zivilen Dialog zu entwickeln und zu fördern. Dies betrifft insbesondere Weißrussland.

1.6.   Die ÖstP darf nicht zu neuen Trennlinien in Osteuropa führen, sie sollte vielmehr eine Einbeziehung von Drittstaaten in den Bereichen ermöglichen, in denen sie gemeinsame Interessen mit der EU und der ÖstP haben, etwa der Energiepolitik, der Migration, dem Umweltschutz usw. Zahlreiche Prioritäten der ÖstP sind auch Gegenstand der strategischen Partnerschaft der EU mit Russland. Der EWSA schlägt vor, im Rahmen des Forums der Zivilgesellschaft und der thematischen Plattformen die Organisationen der Zivilgesellschaft Russlands, der Türkei und ggf. weiterer Länder in die multilaterale Zusammenarbeit bei Fragen gemeinsamen Interesses einzubeziehen.

1.7.   Um die Ziele der ÖstP erfolgreich umzusetzen, ist die Förderung von Mobilität und persönlichen Kontakten unabdingbar. Der Ausschuss unterstützt eine Erleichterung der Visa-Regelungen für bestimmte Gruppen aus den Partnerländern mit der Absicht einer stufenweisen Abschaffung der Visapflicht unter Rücksichtnahme auf die Sicherheit beider Seiten.

1.8.   Der Ausschuss ist bereit, zur Umsetzung der ÖstP durch die Förderung der Zivilgesellschaft in den Partnerländern beizutragen und seine Erfahrungen, die er durch die Vernetzung der Zivilgesellschaften in einer Reihe Länder und Regionen einschließlich der östlichen Nachbarstaaten gewonnen hat, weiterzugeben. Er ruft die Europäische Kommission und den Rat dazu auf, ihn mit der bedeutenden Aufgabe der Gründung des Forums der Zivilgesellschaft im Rahmen der ÖstP zu betrauen. Dieses Forum soll ein flexibles und offenes Netz der Zivilgesellschaften der EU und der Länder der ÖstP werden. Es soll einmal im Jahr zusammentreten und die alltägliche Arbeit mittels Arbeitsgruppen und Unterausschüssen durchführen, die jeweils an einem bestimmten Thema arbeiten, um Vorschläge zu den Programmen und Projekten im Hinblick auf die Umsetzung der Ziele der ÖstP auszuarbeiten. Die umfassende und wirksame Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Arbeit dieses Forums sollte durch eine angemessene Finanzierung unterstützt werden.

1.9.   Auf bilateraler Ebene wird der EWSA die Einrichtung von Gremien unterstützen, die eine Einbeziehung der Sozialpartner und weiterer Organisationen der Zivilgesellschaft in den Partnerländern in den Konsultationsprozess bei der Umsetzung der bilateralen Programme der EU und der Partnerländer ermöglichen, einschließlich der Aufstellung nationaler Umsetzungspläne, ihrer Realisierung und der Überwachung der erreichten Ergebnisse.

1.10.   Damit die Zivilgesellschaft ihrer Aufgabe gerecht werden kann, ruft der Ausschuss die Europäische Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft in das umfassende Programm für den Institutionenaufbau und in die Partnerschaftsprogramme im Rahmen der Finanzierung durch die entsprechenden Kapitel des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) einbezogen werden.

1.11.   Der Ausschuss ist bereit, sich gemeinsam mit den Organisationen der Zivilgesellschaft der Partnerländer an allen vier thematischen Plattformen zu beteiligen, da diese Problembereiche behandeln, mit denen sich der Ausschuss intensiv auseinander gesetzt hat und zu denen er bereits eine Vielzahl Stellungnahmen und Empfehlungen ausgearbeitet hat.

2.   Einführung und Inhalt des Vorschlags auf Einrichtung einer ÖstP

2.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt das Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme über Möglichkeiten und Formen der Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die ÖstP auf Grundlage eines Vorschlags der Europäischen Kommission, wie er in ihrer Mitteilung vom 3. Dezember 2008 formuliert wurde (1).

2.2.   Die nach der EU-Erweiterung 2004 ins Leben gerufene Europäische Nachbarschaftspolitik hatte zur Folge, dass die Beziehungen der EU mit den benachbarten Ländern östlich der Außengrenzen (2) auf eine höhere Stufe gestellt und die gegenseitigen Beziehungen durch eine Reihe von Erfolgen weiter gefestigt wurden. Dabei haben sich allerdings nicht alle Erwartungen erfüllt, insbesondere nicht jener Länder, die gegenüber der EU die größten Ambitionen hegen.

2.3.   Polen und Schweden ergriffen die Initiative und schlugen am 26. Mai 2008 auf dem Treffen der EU-Außenminister die Einrichtung einer so genannten östlichen Partnerschaft als qualitativ höherer Form der ENP vor. Der Vorschlag fand die Unterstützung des tschechischen Ratsvorsitzes, der dieses Thema zu einer seiner Prioritäten machte.

2.4.   Die Europäische Kommission veröffentlichte am 3. Dezember 2008 eine Mitteilung zur östlichen Partnerschaft. Nach der Verabschiedung durch den Europäischen Rat auf seiner Frühjahrstagung im März (3) wird das erste, konstituierende Gipfeltreffen der ÖstP mit den Partnerländern am 7. Mai 2009 in Prag stattfinden.

2.5.   Die ÖstP zielt darauf ab, die Partnerländer stärker als bisher in ihren Bemühungen um eine Annäherung an die EU zu unterstützen und ihnen die erforderliche Hilfestellung für die Durchführung der demokratischen und marktorientierten Reformen zu bieten – insbesondere im Hinblick auf den Rechtsstaat, eine gute Regierungsführung, die Einhaltung der Menschenrechte, die Respektierung und den Schutz von Minderheiten, den Grundsatz der Marktwirtschaft und eine nachhaltige Entwicklung.

2.6.   Die ÖstP wird insbesondere auf bilateraler Ebene umgesetzt – und zwar mit dem Ziel, Assoziierungsabkommen unter der Voraussetzung abzuschließen (4), dass die Partner in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte Fortschritte machen (5). In jedem Assoziierungsabkommen ist die Bildung einer tief greifenden und umfassenden Freihandelszone vorgesehen.

2.7.   Auf multilateraler Ebene ist die Einrichtung von vier thematischen Plattformen zu folgenden Themen vorgesehen: 1) Demokratie, verantwortungsvolle Regierungsführung und Stabilität; 2) wirtschaftliche Integration und Konvergenz mit der EU-Politik; 3) Energieversorgungssicherheit sowie 4) direkte persönliche Kontakte. Der multilaterale Rahmen wird die Bindungen unter den Partnerländern stärken und einen Ausblick auf eine nachbarschaftliche Wirtschaftsgemeinschaft eröffnen. Zu den konkreten Ergebnissen der Zusammenarbeit könnten so genannte Vorreiterinitiativen  (6) beitragen. Für diese Initiativen könnten Mittel durch internationale Finanzinstitutionen sowie Investitionen aus der Privatwirtschaft und verschiedene Geber bereitgestellt werden.

2.8.   Alle zwei Jahre sollte ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU und der ÖstP stattfinden, die Außenminister sollten einmal im Jahr und, hochrangige Beamte im Rahmen der einzelnen Plattformen zweimal im Jahr zu Sitzungen zusammenkommen, schließlich werden noch Treffen von Sachverständigen im Form von Arbeitsgruppen stattfinden.

2.9.   Die Europäische Kommission und der Ministerrat rechnen mit der Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Verwirklichung der Ziele der ÖstP und schlagen die Einrichtung eines zivilgesellschaftlichen Forums für den Dialog mit den Behörden vor. Die Kommission fordert den Ausschuss der Regionen und den EWSA auf, sich an den Sitzungen der thematischen Plattformen zu den Themen Demokratie, verantwortungsvolle Regierungsführung und Stabilität sowie persönliche Kontakte zu beteiligen.

2.10.   Die Finanzmittel für die ÖstP werden aufgestockt. Von 450 Millionen Euro im Jahr 2008 werden die Mittel auf 600 Millionen Euro im Jahr 2013 aufgestockt werden. Das erfordert erhebliche zusätzliche Mittel, die aus den Reserven des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) bereitzustellen sind.

3.   Wie das Instrument der ÖstP ein Instrument zur bestmöglichen Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik werden kann

3.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begreift die ÖstP als einen neuen strategischen Rahmen für eine östliche Dimension der ENP und ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Osteuropa. Diese muss gestützt sein auf gemeinsame Werte, auf die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit, verantwortungsvolles Regieren sowie die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft, deren fester Bestandteil die Zivilgesellschaft ist. Der politische Wille der Regierungen in den Partnerländern, den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu entwickeln und den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu unterstützen, sollte einer der Indikatoren für die Nutzung der im Rahmen der ÖstP bereits vorhandenen Instrumente und Programme für die Zusammenarbeit sein.

3.2.   Die sich verschlimmernde globale Finanz- und Wirtschaftskrise gefährdet die wirtschaftliche Entwicklung und die Stabilität in den östlichen Nachbarstaaten der EU. Der Ausschuss hält es für unabdingbar, dass das Programm für die Zusammenarbeit der ÖstP und die im Rahmen der ENPI zur Verfügung gestellten Finanzmittel nicht nur zur Unterstützung langfristiger Strukturreformen dienen, sondern so ausgerichtet werden, dass sie den Regierungen der Partnerländer helfen, die wirtschaftliche und soziale Situation zu stabilisieren und negative Auswirkungen der Krise auf die schwächsten Bevölkerungsgruppen zu verhindern.

3.3.   Ziel der ÖstP ist, die Länder Osteuropas bei der Modernisierung entsprechend der EU-Standards zu unterstützen, ohne ihnen dabei eine unmittelbare Beitrittsperspektive zu geben, was allerdings nicht die Ambitionen einzelner Länder in Bezug auf ihre künftigen Beziehungen zur EU einschränken sollte. Der Ausschuss empfiehlt zur Erhöhung der Motivation der Partnerländer für eine aktive Durchsetzung der Reformen und der EU-Standards, diesen Ländern einen privilegierten Status anzubieten, sofern sie in den konkret vereinbarten Bereichen den gemeinschaftlichen Besitzstand übernommen haben. Dies könnte ihnen ermöglichen, sich wie die Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes (7) am Binnenmarkt zu beteiligen, an Gemeinschaftsprogrammen und Agenturen teilzuhaben sowie sich ohne Stimmrecht auf Sachverständigenebene in die Ausarbeitung neuer EU-Rechtsvorschriften einzubringen.

3.4.   Die ÖstP sollte als ein Instrument angesehen werden, mit dessen Hilfe Aserbaidschan und langfristig auch Weißrussland darin unterstützt werden können, die Bedingungen für eine Mitgliedschaft in der WTO zu erfüllen. Die Tatsache, dass bereits alle anderen Partnerländer der ÖstP Mitglieder der WTO wurden, bildet eine gute Grundlage für einen mehrseitigen Dialog, der sich nicht nur auf die bilaterale Liberalisierung des Handelsaustausch zwischen der EU und den einzelnen Ländern beschränkt, sondern sich auch auf die regionale Liberalisierung des Handels zwischen den ÖstP-Ländern untereinander erstreckt. Die Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Nachbarländern nach dem Vorbild des EWR (8) sollte von Beginn der Realisierung der ÖstP an eine Priorität der EU sein.

Der Ausschuss empfiehlt, bei der Umsetzung der Politik der östlichen Nachbarschaft die bei der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik in den Jahren 2004-2008 (9) gemachten Erfahrungen hinzuzuziehen, die wie folgt zusammengefasst werden können:

3.5.1.   Bei den bevorstehenden Verhandlungen über die Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den Partnerländern muss die Zivilgesellschaft konsultiert werden, insbesondere wenn es um die Rolle der Zivilgesellschaft und um die Möglichkeit geht, im Rahmen dieser Abkommen Gemeinsame beratende Ausschüsse der Zivilgesellschaft in den Partnerländern und der EU zu bilden.

3.5.2.   Die Planung und Umsetzung der Prioritäten aus den nationalen Aktionsplänen sollten durch die Regierungen der Partnerländer in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und anderen Interessenträgern (politische Kräfte, Sozialpartner, Zivilgesellschaft sowie lokale und regionale Gebietskörperschaften) durchgeführt werden, so dass die Umsetzung dieser Pläne größtmögliche Unterstützung genießt. Die Aktionspläne sollten Maßnahmen enthalten, die eine wirksamere Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den Konsultationsprozess sowie die Übersetzung der EU-Dokumente in die jeweiligen Amtssprachen ermöglichen.

3.5.3.   Gemeinsame Unterausschüsse für die Zusammenarbeit in bereichsspezifischen Fragen, die durch die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen eingerichtet wurden, die als Informationskanäle im Rahmen der ENP in beide Richtungen fungieren sollten, konnten diese Funktion nur teilweise erfüllen, denn sie traten nur selten und unregelmäßig zusammen. Die Sitzungen der Unterausschüsse und ihre Kontrolle müssten einen verbindlichen Charakter annehmen. Die Vertreter der institutionellen Plattformen, die in der ÖstP einzurichten sind (Euronest, Forum der Zivilgesellschaft sowie die Versammlung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften), sollten dazu aufgerufen werden, die Arbeit der Unterausschüsse und die Tätigkeiten der einzelstaatlichen Organe bei der Umsetzung von Prioritäten aus den Aktionsplänen zu überwachen. Die Bewertung der erreichten Fortschritte sollte auf Grund klarer, gemeinsam aufgestellter sowie transparenter und messbarer Referenzkriterien geschehen, und die Zivilgesellschaft sollte Gelegenheit erhalten, an den Verhandlungen über diese Kriterien und an der Bewertung ihrer Umsetzung mitzuwirken.

3.5.4.   Bei der Konzipierung der ÖstP sollten die sektorspezifischen Instrumente genauer definiert werden. Die Kriterien für den Zugang der Partnerländer zu einem bestimmten sektorspezifischen Programm bzw. einer Agentur sollten genau festgelegt werden, damit das betreffende Land weiß, welche Bedingungen es erfüllen muss, um an den europäischen Programmen und Agenturen beteiligt zu werden.

3.5.5.   Die thematischen Plattformen sollten einen regelmäßigen Austausch bewährter Verfahrensweisen zwischen der EU, den Mitgliedstaaten und den Partnerländern ermöglichen, um auf den betreffenden Gebieten gemeinsame multilaterale Projekte zu entwickeln. In den thematischen Plattformen könnten unter anderem folgende Themen erörtert werden:

Grundsätze des Rechtsstaates,

Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft und deren ordnungspolitischer Rahmen,

verantwortungsvolle Regierungsführung,

Kampf gegen Korruption und Schattenwirtschaft,

soziale Probleme einschließlich der Gleichstellung der Geschlechter,

Migration und Kontakte zwischen den Menschen,

Förderung des sozialen Dialogs und des zivilen Dialogs,

Abbau von Handelshemmnissen,

Schutz der Rechte am geistigen Eigentum,

Beseitigung der Armut,

Sicherheit der Energieversorgung und Energieeffizienz,

Einhaltung von Standards in der Lebensmittelsicherheit,

Schutz vor gefährlichen Wareneinfuhren aus Drittländern,

Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Schutz von Tieren und Pflanzen,

grenzübergreifende Zusammenarbeit etc.

An der Auswahl dieser Themen und ihrer Erörterung sollten die im zivilgesellschaftlichen Forum zusammengeschlossenen Organisationen der Zivilgesellschaft beteiligt werden. Damit die Organisationen der Zivilgesellschaft diese Rolle ausfüllen können, müssen sie die erforderlichen Finanzmittel erhalten.

3.6.   Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Voraussetzung für eine Teilnahme der Partnerländer an den Programmen der Zusammenarbeit im Rahmen der ÖstP die Übernahme und umfassende Anerkennung der gemeinsamen Werte sein muss; dies sind die Menschenrechte und Grundfreiheiten, eine verantwortungsvolle Regierungsform und der Dialog mit der unabhängigen Zivilgesellschaft und mit den Sozialpartnern. Der EWSA verweist darauf, dass dies insbesondere Weißrussland und seine Einbindung in die ÖstP betrifft.

3.7.   Der EWSA hält es für wichtig, dass durch die ÖstP keine neuen Trennlinien in Osteuropa entstehen, und auch Vertreter von Drittstaaten daran teilnehmen können, wenn es um gemeinsame Interessen geht. Zahlreiche Prioritäten der ÖstP sind Teil der strategischen Partnerschaft mit Russland. Ein Beispiel dafür ist der Dialog über Themen wie Energieversorgungssicherheit, Migration, Umwelt und weitere regionale oder globale Probleme, der nur unter Beteiligung Russlands, der Türkei und ggf. auch der Vertreter mittelasiatischer Länder zu konkreten Ergebnissen führen kann. Der EWSA schlägt vor, Vertreter der Zivilgesellschaft aus den angeführten Drittstaaten in die Verhandlungen über die genannten Fragen im Rahmen der Foren der Zivilgesellschaft einzubinden, bzw. auch im Rahmen weiterer Plattformen.

3.8.   Die ÖstP sollte eine ergänzende Initiative zur Schwarzmeersynergie bilden. Mit beiden Initiativen werden unterschiedliche Ziele verfolgt, und die eingesetzten Instrumente sind nicht gleich. Mehrere wichtige Tätigkeitsbereiche stimmen jedoch überein. Daher ist es unerlässlich, die Koordinierung der Konzepte in beiden Initiativen zur verstärken, damit unnötige Doppelarbeit bzw. eine Redundanz gewisser Tätigkeiten vermieden werden können.

3.9.   Die Intensivierung der Kontakte zwischen den Menschen ist eine wichtige Voraussetzung, um die Ziele der ÖstP zu erreichen. Mobilität ist sowohl in den bilateralen, als auch in den multilateralen Beziehungen von großer Bedeutung. Letztendlich soll ein visafreier Reiseverkehr mit diesen Ländern eingeführt werden, und um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Visabestimmungen für Studenten, Geschäftsleute, für Personen, die regelmäßig in die EU einreisen, und Familienangehörige Schritt für Schritt erleichtert sowie die Visagebühren gesenkt werden. Voraussetzung dafür ist der Abschluss einschlägiger Abkommen mit den Partnerländern.

3.10.   Der EWSA schlägt vor, mit den Partnerländern, den Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft einen Dialog über Fragen des Arbeitsmarktes zu führen, u.a. zur Entwicklung und Mobilität der Arbeitnehmer sowie darüber, wie gemeinsam gegen illegale Beschäftigung und den Verstoß gegen die wichtigsten Übereinkommen der IAO vorgegangen werden kann.

4.   Die Merkmale der organisierten Zivilgesellschaft in den Ländern der ÖstP

4.1.   Obwohl die historische, politische und sozioökonomische Situation in jedem der sechs an der ÖstP beteiligten Länder unterschiedlich ist, weist die Zivilgesellschaft in den Partnerländern dennoch zahlreiche Gemeinsamkeiten auf, die aus der gesellschaftlichen Entwicklung zur Zeit der Sowjetunion resultieren, in der die Organisationen der Zivilgesellschaft lediglich ein „Transmissionsriemen“ der herrschenden kommunistischen Parteien waren.

4.2.   Der Zerfall der Sowjetunion hat die Unabhängigkeit dieser Staaten ermöglicht, gleichzeitig jedoch auch zu einem bedeutenden Niedergang ihrer Volkswirtschaften geführt. Die Reformen, durch die die zentrale Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft umgestaltet werden sollte, wurden nur zögerlich und inkonsequent durchgeführt, wobei die politische Instabilität und der Kampf um die Macht in diesen Ländern die Lage noch komplizierter machte. In mindestens vier Staaten (Republik Moldau, Armenien, Aserbaidschan, Georgien) führten kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarn oder abtrünnigen Gebieten zu einer Verschlechterung der Lage.

4.3.   Nach einem wirtschaftlichen Aufschwung Ende der neunziger Jahre und kurz nach dem Jahr 2000 wurde die Lage in diesen Ländern sehr instabil, und sie verschlechtert sich durch die negativen Auswirkungen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise noch weiter. Es gibt tief greifende soziale Unterschiede, und ein Großteil der Bevölkerung verdient sich seinen Lebensunterhalt in der Schattenwirtschaft oder durch Arbeit im Ausland. Nach wie vor stehen der Modernisierung und Entwicklung große Hindernisse im Weg - Bürokratie, eine aufgebauschte Regulierung und die damit einhergehende Korruption.

4.4.   In den letzten Jahren hat sich der Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft in allen diesen Ländern erweitert. Selbst in Weißrussland kommt es unter dem Druck der EU und der internationalen Öffentlichkeit zu einer zögerlichen Besserung. Die Europäische Nachbarschaftspolitik ENP und ihre Instrumente sowie die Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation ILO tragen dazu bei, in den Partnerländern nach und nach einen sozialen Dialog aufzubauen und zu institutionalisieren. Die in der EU geltenden Standards im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Justiz, die Aufteilung der Befugnisse und Zuständigkeiten zwischen den zentralen und kommunalen Behörden, die korrekte Auslegung und Anwendung der Bürgerrechte und -freiheiten sowie die Unabhängigkeit der Medien sind jedoch bei weitem noch nicht erreicht. Die Regierungen zögern, den Pluralismus in der Gesellschaft, die Unabhängigkeit der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie ihr Recht auf einen sozialen und zivilen Dialog zu akzeptieren, durch den die ganze Gesellschaft eine Stärkung erfahren könnte.

4.5.   In den vergangenen fünf Jahren hat sich der EWSA mit der Lage der Zivilgesellschaft in allen Partnerländern im Hinblick auf die Vereinigungsfreiheit, die Melde- und Steuerbestimmungen und -verfahren, die Meinungsfreiheit und die Funktionsweise der dreiseitigen Konsultationen befasst und einschlägige Stellungnahmen mit einer Reihe von Empfehlungen erarbeitet (10).

4.6.   Auf der Konferenz zum Thema „Sozialer und ziviler Dialog in der Synergie des Schwarzmeerraums und der ÖstP“, die der EWSA gemeinsam mit der ILO am 2./3. März 2009 veranstaltete, bekräftigten die Teilnehmer, dass formell in allen Partnerländern ein dreiseitiger Dialog zwar existiert, er inhaltlich jedoch der zu erfüllenden Aufgabe bei weitem noch nicht genügt. Es gelingt auch nicht, auf regionaler Ebene einen sozialen oder sektorspezifischen Dialog ins Leben zu rufen. Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in diese beiden regionalen Initiativen wurde von allen Teilnehmern als unabdingbar eingestuft.

4.7.   Die Lage der einzelnen Teile der Zivilgesellschaft

4.7.1.   Arbeitgeberverbände

In allen Partnerländern gibt es traditionell Akteure, die die Arbeitgeber vertreten und die benötigten Dienstleistungen für sie erbringen, wie Handelskammern und Unternehmerverbände. Im Zuge der fortschreitenden Reformen und infolge der Notwendigkeit, seitens der Unternehmer Vertreter in den Dialog der Sozialpartner zu entsenden, wurden Arbeitgeberorganisationen als Zusammenschluss großer Unternehmen sowie Branchenverbände eingerichtet. Diese Organisationen stehen auch weiterhin einer Reihe von Schwierigkeiten gegenüber, viele von ihnen sind nicht ausreichend repräsentativ, untereinander zerstritten oder sehen sich als Konkurrenten. In einigen Ländern, insbesondere dort, wo in der Wirtschaft immer noch der Staat das Sagen hat, wie in Weißrussland, der Republik Moldau und Aserbaidschan, sind sie eng an die Machtzentrale gebunden und verfügen damit nur über eingeschränkte Möglichkeiten, die Regierungspolitik unabhängig zu kritisieren oder ihr zu widersprechen. Dadurch werden ihr Interesse und ihre Bereitschaft, am sozialen Dialog teilzunehmen, erheblich geschmälert.

4.7.2.   Gewerkschaften

4.7.2.1.   In den meisten Partnerländern leiteten die traditionellen Gewerkschaften sowjetischen Typs einen Reformprozess ein, und sie übernahmen mit mehr oder weniger großem Erfolg die Grundsätze der Demokratie, Unabhängigkeit und Freiheit, für die sich die internationale und europäische Gewerkschaftsbewegung einsetzen. In Weißrussland und der Ukraine wurden neue Gewerkschaften gegründet. Das Prinzip der Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertretungen ist jedoch von einer allgemeinen Anerkennung noch weit entfernt, wie zahlreiche Einmischungsversuche seitens der Regierungen in bestimmten Ländern zeigen, die zum Gegenstand von bei der ILO eingereichten Beschwerden wegen Verletzung der gewerkschaftlichen Freiheiten wurden.

4.7.2.2.   Obwohl in allen Partnerländern die grundlegenden ILO-Übereinkommen ratifiziert wurden, werden insbesondere die Konvention über das Recht auf Tarifverhandlungen und die Konvention über die Vereinigungsfreiheit verletzt, was in Schwierigkeiten bei der Registrierung und in einer Einschränkung des Streikrechts deutlich zum Ausdruck kommt. In den Unternehmen kommt es zur Verletzung grundlegender Rechte und zur Entlassung von Gewerkschaftsfunktionären.

4.7.2.3.   Insgesamt jedoch sind Fortschritte zu verzeichnen, so dass die Gewerkschaften nunmehr in der Lage sind, einen positiven Beitrag zur Konsolidierung der demokratischen Prozesse in den Partnerländern zu leisten.

4.7.3.   Nichtstaatliche Organisationen

4.7.3.1.   In allen Partnerländern ist die Zahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen stark angestiegen. Diese Organisationen befassen sich mit der europäischen Integration und sozialen Themen wie beispielsweise Migration, Bildung, Gesundheit, Sozialwirtschaft, Bekämpfung der Armut, Umweltschutz, Menschen- und Bürgerrechte, Korruptionsbekämpfung, Verbraucherschutz und Interessenvertretung für die Landwirte und Handwerker. Sie sind in europäische und internationale Netze eingebunden und haben sich in den revolutionären Bewegungen in der Ukraine und Georgien aktiv für den Schutz der demokratischen Werte eingesetzt.

4.7.3.2.   In allen Partnerländern sind die nichtstaatlichen Organisationen mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, die auf dem Misstrauen der Regierungen gegenüber der Zivilgesellschaft beruhen. Die Regierungen können diese Organisationen nicht kontrollieren und bemühen sich daher, ihren Spielraum für unabhängiges Handeln auf gesetzlichem Wege einzugrenzen. Ein großes Problem für die unabhängigen nichtstaatlichen Organisationen ist die Finanzierung. Daher werben sie um internationale Unterstützung und setzen sich damit der Kritik aus, nicht die nationalen, sondern ausländische Interessen zu vertreten. In einigen Partnerländern gibt es nichtstaatliche Organisationen, die der Regierung sehr nahe stehen und an verschiedenen Plattformen für den zivilen Dialog beteiligt sind.

4.7.3.3.   Schritt für Schritt jedoch verbessert sich die Lage, und die Sensibilisierung für die Bedeutung des zivilen Dialogs nimmt zu, vor allem durch den Informations- und Erfahrungsaustausch sowie den Aufbau verschiedener Netze der Zivilgesellschaft. In der Ukraine wurden auf dem Gebiet des Dialogs zwischen der Regierung und nichtstaatlichen Organisationen, die sich aktiv für die europäische Integration einsetzen, bedeutende Fortschritte erzielt.

5.   Die Rolle des EWSA in der ÖstP

5.1.   Der EWSA beabsichtigt, weiter seiner Rolle gerecht zu werden und sich um eine Verbesserung der Lage der zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Partnerländern, den Ausbau ihrer Kapazitäten und die Entwicklung ihrer regionalen und nationalen Netze zu bemühen, damit sie in die Lage versetzt werden, sich im Interesse einer erfolgreichen Verwirklichung der Zielsetzungen der ÖstP möglichst tatkräftig an den bilateralen und multilateralen Programmen und Instrumenten zu beteiligen.

5.2.   Der EWSA hat in den vergangenen Jahren wertvolle Erfahrungen im Aufbau zivilgesellschaftlicher Netze auf regionaler und nationaler Ebene sammeln können: in den Euromed- und AKP-Staaten, in der Karibik, in Mittelamerika und im Mercosur, in China, Indien und Brasilien. Darüber hinaus vertritt er die EU in den Gemischten Beratenden Ausschüssen, die durch die Assoziierungsabkommen mit der Türkei und Kroatien ins Leben gerufen wurden, sowie künftig mit der Ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Durch die Tätigkeit des EWSA hat die Zivilgesellschaft in allen erwähnten Regionen und Ländern eine Stärkung erfahren.

5.3.   Der EWSA hat sich um eine ähnliche Rolle in den Beziehungen zu Osteuropa und dem Südkaukasus bemüht. Im Jahr 2004 bildete der Ausschuss eine Kontaktgruppe „Östliche Nachbarn der EU“, er führte grundlegende Analysen der Stellung der Organisationen der Zivilgesellschaft und ihrer Möglichkeiten in den Partnerländern durch und bahnte direkte Kontakte zu ihnen an. Der EWSA organisierte gemeinsame Veranstaltungen einschließlich der Konferenz über den sozialen Dialog und die Zivilgesellschaft in der Schwarzmeersynergie und der Östlichen Partnerschaft.

5.4.   Der EWSA ruft die Europäische Kommission und den Rat dazu auf, ihn mit der bedeutenden Aufgabe der aktiven Einbindung der Zivilgesellschaft in die institutionelle Struktur der ÖstP zu betrauen. Für die Gründung des zivilgesellschaftlichen Forums der ÖstP können die bedeutenden Erfahrungen und das Know-how des EWSA in diesem Bereich sowie seine Kontakte zu Organisationen der Zivilgesellschaft und zu Sozialpartnern und ihren nationalen und regionalen Netzen in den Partnerländern und in der EU genutzt werden. Dieses Forum der ÖstP sollte möglichst zeitnah nach der offiziellen Vorstellung der Initiative im Laufe des zweiten Halbjahres des Jahres 2009 eingerichtet werden.

5.5.   Das zivilgesellschaftliche Forum der ÖstP sollte konkret tätig werden und flexibel sein und repräsentative, demokratische und unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen sowohl der EU als auch der Partnerländer vereinen, die die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer sowie weitere nichtstaatliche Organisationen vertreten, die der Durchführung dieser Initiative einen konkreten Mehrwert verleihen könnten. Das Forum der Zivilgesellschaft sollte mindestens einmal pro Jahr abwechselnd in der EU und in einem der Partnerländer zusammentreten. Es könnten Arbeitsgruppen und Teams gebildet werden, die sich auf der vierten operationellen Ebene der ÖstP durch die Einrichtung spezifischer Gremien mit konkreten Fragestellungen befassen (siehe Ziffer 3.5.5) sowie Vorschläge und Empfehlungen für die Vertreter der EU und der Regierungen der Partnerstaaten erarbeiten. Das Sekretariat des EWSA könnte mit finanzieller Unterstützung aus den einschlägigen Kapiteln des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) die Organisation und Verwaltung übernehmen.

5.6.   Der EWSA wird weiterhin in den Partnerländern die Schaffung von Gremien unterstützen, in denen die Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter auch die Sozialpartner, vereinigt sind, damit diese wirksam einbezogen werden in die Konsultationen für die Erarbeitung gemeinsamer Prioritäten für die Aktionspläne und für das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument, in die Festlegung der erforderlichen Maßnahmen auf nationaler Ebene sowie in die Überwachung, Interpretation und abschließenden Bewertung der erzielten Fortschritte. Das Forum der Zivilgesellschaft könnte die geeignete Plattform für den Austausch der besten Erfahrungen über die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Entscheidungsfindung auf nationaler Ebene und bei der Entwicklung des sozialen Dialogs sein.

5.7.   Die Gemischten Beratenden Ausschüsse, die auf der Grundlage der Assoziierungsabkommen aus zivilgesellschaftlichen Vertretern der EU und der Partnerländer gebildet werden, könnten ebenfalls an diesem Prozess beteiligt werden.

5.8.   Damit die zivilgesellschaftlichen Organisationen die erwähnten anspruchsvollen Herausforderungen bewältigen können, muss ihnen die unerlässliche Hilfe und Unterstützung gewährt werden. Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission daher, in das umfassende Programm für den Institutionenaufbau neben staatlichen Behörden auch zivilgesellschaftliche Organisationen einzubeziehen, die im Rahmen von Partnerschaftsprogrammen von den Erfahrungen der Partnerorganisationen aus den EU-Mitgliedstaaten profitieren könnten.

5.9.   Die Europäische Kommission hat den EWSA aufgefordert, sich an den thematischen Plattformen Demokratie, verantwortungsvolle Regierungsführung und Stabilität sowie Kontakte zwischen den Menschen zu beteiligen. Der EWSA ist davon überzeugt, dass er über die nötigen Kapazitäten und Erfahrungen verfügt, um auch zur Teilnahme an den beiden übrigen Plattformen Wirtschaftliche Integration und Energieversorgungssicherheit aufgefordert zu werden, und empfiehlt, an der Arbeit dieser Plattformen auch die Zivilgesellschaft der Partnerländer und das Forum der Zivilgesellschaft zu beteiligen.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – ÖstP, KOM(2008) 823 endg. vom 3. Dezember 2008.

(2)  Mit Partner im Osten (oder einfach „Partner“) sind in dieser Stellungnahme die Staaten Osteuropas und des südlichen Kaukasus (Armenien, Aserbaidschan, Georgien, die Republik Moldau, die Ukraine und Weißrussland) gemeint, auf die die Europäische Nachbarschaftspolitik abzielt.

(3)  Schlussfolgerungen des Rates der EU vom 19./20. März 2009, 7880/09.

(4)  Mit der Ukraine sind bereits Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen im Gange, das für die übrigen Partnerländer Beispiel gebend werden könnte.

(5)  Das betrifft in erster Linie Weißrussland, wo die Fortschritte auf diesen Gebieten bislang unzureichend sind.

(6)  Möglich wäre ein Integriertes Grenzverwaltungsprogramm, eine Fazilität für kleine und mittlere Unternehmen, die Förderung regionaler Strommärkte, der Energieeffizienz und erneuerbarer Energieträger, die Entwicklung des südlichen Energiekorridors und die Zusammenarbeit bei der Vorbereitung auf Naturkatastrophen.

(7)  Norwegen, Liechtenstein und Island.

(8)  KOM(2008) 823 endg., s. 10.

(9)  Vergleiche die Schlussfolgerungen aus dem durch die slowakische Gesellschaft für Außenpolitik in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführten Projekt: Duleba, Najšlová, Benč und Bilčík: The Reform of the European Neighbourhood Policy: Tools, Institutions and a Regional Dimension (Die Reform der Europäischen Nachbarschaftspolitik: Werkzeuge, Institutionen und die regionale Dimension), 2009.

(10)  Stellungnahmen des EWSA: „Größeres Europa – Nachbarschaft: Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn“, ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 148-155; „Die Zivilgesellschaft in Weißrussland“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 123-127; „Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau: Welche Rolle kommt der organisierten Zivilgesellschaft zu?“, ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 89-95; „Beziehungen EU-Ukraine: eine neue dynamische Rolle für die Zivilgesellschaft“, ABl. C 77, vom 31.3.2009, S. 157-163; „Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Schwarzmeerraum“, ABl. C 27 vom 27.3.2009, S. 144-151; REX/241: „Zivilgesellschaftliche Beteiligung an der Umsetzung der ENP-Aktionspläne in den Ländern des Südkaukasus: Armenien, Aserbaidschan und Georgien“, Berichterstatter: Andrzej ADAMCZYK, Mai 2009, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/37


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Zivilgesellschaftliche Beteiligung an der Umsetzung der ENP-Aktionspläne in den Ländern des Südkaukasus: Armenien, Aserbaidschan und Georgien“

(2009/C 277/07)

Berichterstatter: Andrzej ADAMCZYK

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 15./16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Zivilgesellschaftliche Beteiligung an der Umsetzung der ENP-Aktionspläne in den Ländern des Südkaukasus: Armenien, Aserbaidschan und Georgien.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 16. April 2009 an. Berichterstatter war Herr ADAMCZYK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 14. Mai) mit 151 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1.   Der südliche Kaukasus ist hinsichtlich der Volkszugehörigkeit, Sprache, Geschichte, Religion und Politik äußerst heterogen. Diese Tatsache sowie die anhaltenden Territorialkonflikte und die Jahrhunderte der Fremdherrschaft haben dazu geführt, dass der Aufbau eines unabhängigen Staats und einer nationalen Identität und die Verteidigung der Unabhängigkeit einen erheblichen Einsatz an Energie erfordern, nicht zuletzt auch von den Organisationen der Zivilgesellschaft.

1.2.   Bei der Ausarbeitung und Umsetzung der 1999 in Kraft getretenen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen und der für 2007-2011 geltenden Aktionspläne im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik haben seit Beginn der entsprechenden Verhandlungen weder die Sozialpartner noch andere zivilgesellschaftlichen Organisationen einen angemessenen Part übernehmen können.

1.3.   Sowohl die Umsetzung dieser Aktionspläne und die geplanten Verhandlungen über bilaterale Assoziierungsabkommen als auch die multilaterale Initiative „Östliche Partnerschaft“ bieten Chancen für eine Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft. Dafür ist allerdings ein Engagement sowohl der EU-Institutionen als auch der Mitgliedstaaten selbst erforderlich.

1.4.   Die Europäische Kommission sollte die Regierungen der Länder im Südkaukasus bestärken, bei der Umsetzung der Aktionspläne und der Partnerschafts- und Kooperationsabkommen aktiv mit den Sozialpartnern und Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten.

1.5.   Zugleich sollten die EU-Institutionen bei den Verhandlungen über die Aktionspläne auf die Einhaltung der Menschenrechte, der demokratischen Standards und der Grundsätze des sozialen Dialogs sowie der Prinzipien des zivilgesellschaftlichen Dialogs dringen. Die jährlichen Fortschrittsberichte über die Umsetzung der Aktionspläne sollten eine Bewertung dieser Fragen beinhalten. Das würde die Bedeutung der Zivilgesellschaft und die Unabhängigkeit ihrer Organisationen stärken und sich zudem positiv auf die Gewährleistung grundlegender Arbeitnehmerrechte und die Gleichberechtigung von Frauen auswirken.

1.6.   Die Einrichtung eines zivilgesellschaftlichen Forums, wie es im Rahmen der Östlichen Partnerschaft vorgesehen ist, könnte den Dialog zwischen Organisationen aus diesen Partnerländern sowie zwischen diesen Organisationen und den Behörden erleichtern. Dabei sollten jedoch Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass die an diesem Forum teilnehmenden Organisationen auch wirklich repräsentativ und unabhängig sind. Der EWSA könnte hierbei einen wichtigen Part spielen und sicherstellen, dass diese Kriterien eingehalten werden und das Forum funktioniert.

1.7.   Es sollten umfassende Kontakte zwischen einzelnen Vertretern und Organisationen aus den Ländern dieser Region und aus EU-Mitgliedstaaten gefördert werden, was nicht zuletzt auf bilateraler Grundlage erfolgen könnte. Zu diesem Zweck sollte es für Menschen aus den Südkaukasusländern Visaerleichterungen geben.

1.8.   Den EU-Institutionen kommt auch bei den Bemühungen zur Lösung von Konflikten zwischen Ländern des südlichen Kaukasus möglicherweise eine Rolle zu; sie sollten dabei die Einbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Friedensprozess anstreben, da diese Organisationen den Prozess der Aussöhnung positiv beeinflussen können.

2.   Einleitung

2.1.   Die Südkaukasusregion erstreckt sich auf die drei Länder Armenien, Aserbaidschan und Georgien. Sie ist zwar flächenmäßig nicht besonders groß, hinsichtlich der Volkszugehörigkeit, Sprache, Geschichte, Religion und Politik aber äußerst heterogen.

2.2.   Noch komplizierter wird die Lage dadurch, dass zwei Länder dieser Region — Armenien und Aserbaidschan — seit 20 Jahren einen Konflikt über Bergkarabach austragen und Georgien seit langem die Kontrolle über zwei seiner Provinzen, nämlich Abchasien und Südossetien, verloren hat. Der jüngste Krieg Georgiens mit Russland hat die Situation zusätzlich kompliziert.

2.3.   Obwohl die Länder des südlichen Kaukasus sich in ihren Traditionen, ihrer Geschichte und ihren Wegen zur Entwicklung unterscheiden, verbindet sie eine gemeinsame Vergangenheit, nämlich die Zugehörigkeit zur Sowjetunion, die viele Sphären des Lebens, vor allem des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, nachhaltig geprägt hat.

2.4.   Aufgrund der multiethnischen Zusammensetzung des Südkaukasus sowie der anhaltenden bewaffneten Konflikte sind die Stärkung der nationalen Identität, der Aufbau eines Staates mit eigenen Institutionen und die Verteidigung der Unabhängigkeit nach wie vor für alle drei Länder und nicht zuletzt auch für ihre zivilgesellschaftlichen Organisationen Prioritäten.

2.5.   Die politische Lage in der Region ist durch ein schweres Demokratiedefizit gekennzeichnet. In dem kurzen Zeitraum der Unabhängigkeit, d.h. seit knapp zwei Jahrzehnten, gab es nicht nur Staatsstreiche und Bürgerkriege, sondern auch Revolutionen, die im Großen und Ganzen zum Ziel geführt haben. Die verschiedenen Regierungen haben versucht, die Tätigkeit der politischen Opposition einzuschränken, die Medien zu kontrollieren und die zivilgesellschaftlichen Organisationen und insbesondere die Sozialpartner zu beeinflussen. In Georgien kam es erst nach der Rosenrevolution zu einer demokratischen Umgestaltung, wobei allerdings unabhängige Organisationen und externe Beobachter auf die zahlreichen Defizite in der georgischen Demokratie hinweisen.

2.6.   Die wirtschaftliche Situation ist nach wie vor schwierig. Die Hauptgründe für die schwache Wirtschaft liegen in der fehlenden modernen Infrastruktur, überholten Technik, dem Mangel an inländischem Kapital für Investitionen, den Ausgaben für Rüstung und Militäranlagen und dem Zusammenbruch des Marktes in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Aserbaidschan befindet sich dank seiner Erdöl- und Erdgasvorkommen in einer anderen Lage. Da jedoch die Wirtschaft von einem Sektor abhängt und zudem der Verlust Bergkarabachs einschließlich des aserbaidschanischen Umlands verkraftet werden musste, kämpft das Land weiter mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen.

2.7.   Die soziale Situation ist ebenfalls äußerst schwierig. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung lebt immer noch unterhalb der Armutsgrenze, die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich nehmen drastisch zu, und es gibt riesige soziale Probleme besonderer bei älteren und kranken Menschen. Die hohe Arbeitslosigkeit und die große Zahl der Kriegsflüchtlinge, insbesondere in Georgien und Aserbaidschan, machen die Dinge nicht einfacher. Schätzungen zufolge werden zudem 60 % des Einkommens im Südkaukasus in der Schattenwirtschaft erzielt, was ernsthafte soziale Probleme nach sich zieht. Diese trostlose Situation wird durch die derzeitige Weltwirtschaftskrise noch verschärft. Obendrein gibt es das Problem der weit verbreiteten Korruption.

2.8.   Die geopolitische Lage der Südkaukasusländer ist aufgrund ihrer schwierigen Beziehungen untereinander und zu den Nachbarstaaten äußerst kompliziert. Ihre geographische Isolierung kann nur überwunden werden, wenn sich die großen Nachbarstaaten der Region wie die Türkei und Russland aktiv dafür engagieren. Eine Normalisierung und Verbesserung der Beziehungen zu diesen Nachbarn liegt daher im Interesse der Südkaukasusländer. Die Tatsache, dass alle drei Länder des südlichen Kaukasus gemeinsam mit Russland und der Türkei an der Schwarzmeersynergie-Initiative zur multilateralen regionalen Zusammenarbeit teilnehmen, könnte hier hilfreich sein.

2.9.   Einer der möglichen Aktivposten für die Länder des südlichen Kaukasus ist die Landwirtschaft. Diese ist allerdings rückständig und liegt wegen der unvernünftigen Politik der Vergangenheit und des Mangels an Investitionen in der Gegenwart darnieder. Von einer vollständigen Öffnung des Handels zwischen diesen drei Ländern und ihrem traditionellen Markt Russland könnten daher wichtige Impulse für die Entwicklung der Landwirtschaft ausgehen.

3.   Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) in den Ländern des Südkaukasus

3.1.   Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) erstreckte sich ursprünglich nicht auf den Südkaukasus. Erst als diese Region Interesse an engeren Beziehungen zu Europa signalisierte, und vor allem erst nach der Rosenrevolution in Georgien, entstand eine neue Perspektive für die Zusammenarbeit.

3.2.   Die Aktionspläne für die drei Länder wurden im November 2006 nach zwei Jahre währenden Verhandlungen verabschiedet und bilden die Grundlage die Zusammenarbeit im Zeitraum 2007-2011. Die Schwerpunktsetzung ist in den Aktionsplänen für Armenien, Aserbaidschan und Georgien ähnlich und umfasst u.a. folgende Bereiche:

Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere durch die Reform der Justiz gemäß den Standards des Europarats,

Stärkung der Demokratie und Gewährleistung der Einhaltung der Menschenrechte, u.a. durch Förderung der lokalen Gebietskörperschaften,

Schaffung der Voraussetzungen für unabhängige Medien,

Verbesserung der Wirtschaftslage durch Schaffung besserer Bedingungen für Unternehmen und Unternehmertum, Reform des Steuersystems und Bekämpfung von Korruption,

mehr Stabilität durch Unterstützung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts, Verringerung der Armutsbrennpunkte und Maßnahmen des Umweltschutzes,

Stärkung der regionalen Zusammenarbeit im südlichen Kaukasus,

Maßnahmen für eine friedliche Lösung von Territorialkonflikten.

3.3.   Die ENP steht in keinerlei Zusammenhang mit einer eventuellen EU-Mitgliedschaft der Länder des Südkaukasus. Sie legt jedoch Bereiche für eine engere Zusammenarbeit fest, durch die diese Länder stärker in Übereinstimmung mit den Standards des EU-Rechts gebracht werden können. Die Nachbarschaftspolitik könnte potenziell auch zu einem Beitritt dieser Länder zum Europäischen Wirtschaftsraum führen, sofern das die Länder wünschen.

3.4.   Bei den Verhandlungen über die Grundsätze für die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen und die Aktionspläne sowie bei deren Umsetzung haben weder die Sozialpartner noch andere zivilgesellschaftliche Organisationen bislang eine nennenswerte Rolle gespielt, wobei sich dies jedoch von Land zu Land und in Abhängigkeit vom Engagement der einzelnen Organisationen unterschiedlich darstellt. Organisationen, die sich um eine Beteiligung an diesem Prozess bemüht haben, taten dies mitunter auf eigene Initiative und eher gegen den Willen der Behörden als auf deren Betreiben.

3.5.   Sowohl die Umsetzung der Aktionspläne, die ein wichtiges Instrument für den bilateralen Ansatz sind, als auch die multilaterale Initiative „Östliche Partnerschaft“ bieten den zivilgesellschaftlichen Organisationen Chancen, stärker an den laufenden Arbeiten und den damit verbundenen Maßnahmen beteiligt zu werden. Erforderlich sind jedoch Initiativen und die Kontrolle seitens der EU-Institutionen und Unterstützung durch die Partnerorganisationen in den EU-Mitgliedstaaten, damit man diese Organisationen wirklich mitarbeiten lässt.

4.   Arbeitgeber

4.1.   Die Arbeitgeberorganisationen in den drei Ländern des Südkaukasus sind offensichtlich einer starken Beeinflussung seitens der Behörden ausgesetzt, nicht zuletzt aufgrund des beträchtlichen Anteils des öffentlichen Sektors an der Wirtschaftstätigkeit. Die drei Länder unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Gründe für diesen Einfluss und der Art und Weise, wie er ausgeübt wird.

4.2.   Ein gemeinsames Merkmal der Unternehmerverbände ist die große Bedeutung der Industrie- und Handelskammern. Dabei handelt es sich zwar nicht um Arbeitgeberorganisationen im eigentlichen Sinne, und das Spektrum ihrer Aufgaben und Tätigkeitsbereiche umfasst auch mehr als die bloße Vertretung der Unternehmer als Sozialpartner. Diese Organisationen sind in ihrer Funktionsweise aufgrund ihrer engen Beziehungen zur Regierung und ihres fast mit einer Regierungsbehörde vergleichbaren Status sehr autoritativ und nicht besonders unabhängig.

Aufgrund ihrer Schwäche, ihrer geringen Repräsentativität und ihrer zumeist einer Abhängigkeit gleichkommenden Verflechtung mit den Behörden sind die Arbeitgeberorganisationen nicht in der Lage, in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften als vollwertige Sozialpartner aufzutreten, wodurch die Arbeitnehmerseite gezwungen ist, zahlreiche Angelegenheiten direkt mit der Regierung zu verhandeln. Die einzelnen Merkmale der Arbeitgeberorganisationen sind jedoch von Land zu Land unterschiedlich.

4.3.1.   Ungeachtet des von der marktwirtschaftlich orientierten Regierung in Georgien ausgehenden großen Privatisierungsdrucks befindet sich ein beträchtlicher Teil der Wirtschaft nach wie vor in Staatshand und die Mehrzahl der privatisierten Unternehmen in der Hand von Investoren aus Russland oder Kasachstan. Daher ist die Regierung noch mehr bestrebt, sich in Arbeitgeberangelegenheiten einzumischen, und vergrößert auch den Spielraum dafür.

4.3.2.   Die wichtigsten Branchen der armenischen Wirtschaft befinden sich in der Hand von Bergkarabach-Kriegsveteranen, die eine privilegierte Gruppe von Unternehmern bilden. Gleichzeitig werden die bestehenden Verflechtungen finanzieller, geschäftlicher und politischer Art zwischen Geschäftsleuten, Abgeordneten und Regierungspolitikern weiter gepflegt. Nun, da die Generation der Bergkarabach-Kämpfer allmählich abtritt, könnten die Unternehmerverbände - auch im Ergebnis der Zusammenarbeit mit den Arbeitgeberorganisationen aus Europa - beginnen, ihrer traditionellen Aufgabe als Sozialpartner gerecht zu werden.

4.3.3.   Der Energiesektor steht für 90 % der Wirtschaftsleistung Aserbaidschans und wird direkt vom Präsidenten des Landes kontrolliert. Dies und die Tatsache, dass die Wirtschaftselite in den anderen Wirtschaftszweigen vorwiegend aus jungen, dem Staat gegenüber loyalen und zumeist in Westeuropa und den USA gut ausgebildeten und geschulten Managern besteht, führt dazu, dass die Arbeitgeberorganisationen beginnen, eine wichtige Rolle als Sozialpartner zu spielen.

5.   Gewerkschaften

5.1.   Die Gewerkschaften in den drei Staaten des Südkaukasus unterscheiden sich sehr stark voneinander, was weitgehend der Tatsache geschuldet ist, dass sie in einem unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umfeld arbeiten. Allen gemeinsam sind ein signifikanter Mitgliederschwund in den letzten Jahren sowie mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, überkommene Strukturen und Organisationsmodelle zu reformieren. Trotz mehrmaliger Anläufe ist es nicht gelungen, eine echte gewerkschaftliche Alternative aufzubauen, so dass die Arbeitnehmervertretung ausschließlich von Organisationen wahrgenommen wird, die bereits zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärung existierten.

Was diese Organisationen voneinander unterscheidet, ist der Grad ihrer Unabhängigkeit von staatlichen Stellen und ihrer Nähe zu Arbeitgeberverbänden, mit denen sie in Partnerschaften verbunden sind.

5.2.1.   Die georgischen Gewerkschaften sind relativ unabhängig von der Regierung und dem Präsidialamt, mit dem sie in Konflikt stehen. Dies ist insofern eine schwierige Situation, als Anschuldigungen bezüglich unpatriotischen Verhaltens und sogar Sabotage in Kriegszeiten erhoben werden. Andererseits ist ein solcher Konfrontationskurs angesichts der Arroganz der Behörden und ihrer Weigerung, den Standpunkt der Sozialpartner zu berücksichtigen, unausweichlich. Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechte wurden wiederholt missachtet, und die neue Arbeitsgesetzgebung wurde ohne Konsultation verabschiedet.

5.2.2.   Die armenischen Gewerkschaften, die von den Gewerkschaften in den drei Südkaukasusländern als letzte mit ihren Reformbemühungen begannen, nehmen nur sehr selten einen kritischen bzw. unabhängigen Standpunkt gegenüber den Behörden ein und haben auch lange Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Verband der Sowjetrepubliken keinerlei größere Reformen durchgeführt. Dies ist auf die Kriegssituation und die landestypische politische Korrektheit zurückzuführen, aufgrund deren die Unterstützung der Behörden als patriotische Pflicht gilt. Der 2007 erfolgte Wechsel an der Spitze des Gewerkschaftsverbands wird zu einer Dynamisierung der Gewerkschaftsaktivitäten und größerer Unabhängigkeit führen.

5.2.3.   Der aserbaidschanische Staat hat dem sozialen Dialog und der Sicherstellung des sozialen Friedens seit dem Amtsantritt der derzeitigen Machthaber starkes Augenmerk geschenkt. Die Gewerkschaften, die diese Politik unterstützen, wollen möglichst viel für die Arbeitnehmer erreichen, gleichzeitig aber ernsthafte Konflikte vermeiden und die nationale Einheit nicht in Gefahr bringen. Dies hat insbesondere im florierendsten Wirtschaftszweig (Energiebranche) und im staatlichen Dienstleistungssektor zur Entstehung eines besonderen Gewerkschaftsmodells geführt. Die recht unabhängigen Gewerkschaften setzen sich aktiv für die sozialen Rechte und das Wohlergehen ihrer Mitglieder ein, gehen dabei aber einer direkten Konfrontation mit der Regierung aus dem Weg, was derzeit der einzig gangbare Weg zu sein scheint.

6.   Nichtstaatliche Organisationen zur Vertretung verschiedener Interessen

6.1.   Die NGO in den Ländern des südlichen Kaukasus lassen sich auf der Grundlage ihrer Finanzierungsform in drei Gruppen unterteilen:

unabhängige NGO, die ihre Aktivitäten mittels Mitgliedsbeiträgen, extern erbrachten Dienstleistungen oder selbst aufgebautem bzw. ererbten Eigenkapital finanzieren;

NGO, die von der Regierung eingerichtet, finanziert und kontrolliert werden;

NGO, die auf – üblicherweise aus dem Ausland stammende – Spenden angewiesen sind.

6.2.   Charakteristisch für die NGO des Südkaukasus ist die breite Palette ihrer Zielsetzungen und Aufgaben sowie ihr häufig nur vorübergehendes Bestehen. Oftmals werden nichtstaatliche Organisationen nur für einen bestimmten Zweck gegründet und nach dessen Erfüllung bzw. nach Versiegen der Geldmittel wieder aufgelassen.

6.3.   Wegen des Fehlens einer Kultur zivilgesellschaftlicher Organisationen, wegen der bewaffneten Konflikte und der Finanzierungsschwierigkeiten ist die Schaffung tatsächlich unabhängiger NGO schwierig.

Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und der daraus resultierenden sozialen Notlage kurz nach der Selbstauflösung der Sowjetunion konzentrierte sich ein großer Teil der Organisationen der Zivilgesellschaft auf die Armutsbekämpfung und die Verbesserung der Lebensbedingungen.

6.4.1.   Am dynamischsten scheint sich die organisierte Zivilgesellschaft in Georgien zu entwickeln. Dort gibt es rund 100 NGO, die von unabhängigen Beobachtern anerkannt sind und sich im Bereich der Korruptionsbekämpfung, der Förderung der Rechtsstaatlichkeit, der Menschen- und Minderheitenrechte, der Pressefreiheit, des Umweltschutzes und der Energieversorgungssicherheit betätigen.

6.4.2.   In Armenien bestehen die nichtstaatlichen Organisationen hauptsächlich aus Gruppen, die direkt von der Regierung bzw. von internationalen Organisationen mit der Erstellung politischer Analysen oder der Erarbeitung von Strategiedokumenten sowie der Durchführung von Projekten in Bereichen wie Bildung, Gesundheitswesen oder Sozialschutz beauftragt werden. Ein interessantes Phänomen ist die Umwandlung von NGO in kleine gewinnorientierte Dienstleistungsbetriebe nach Abschluss eines Projekts.

6.4.3.   In Aserbaidschan vertritt das 1999 mit Unterstützung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen gegründete NGO-Forum etwa 400 nichtstaatliche Organisationen aus verschiedenen Bereichen, von denen ein Teil von der Regierung, ausländischen Sponsoren oder Oppositionsparteien abhängig ist. Die wenigen anderen NGO finanzieren sich, in dem sie ihre Dienstleistungen in Rechnung stellen. Nichtsdestoweniger gibt es zumindest eine kleine Zahl von Organisationen, die sich ihre politische Neutralität bewahrt haben und künftig bei der Meinungsbildung eine Schlüsselrolle spielen könnten.

7.   Ausblick und Empfehlungen

Die Umsetzung der Aktionspläne der Europäischen Nachbarschaftspolitik stellt eine bislang ungenützte Chance zur Stärkung des sozialen und des zivilen Dialogs im Rahmen der Zusammenarbeit der EU mit den Ländern des Südkaukasus dar.

7.1.1.   Die Europäische Kommission sollte die Regierungen der Länder des Südkaukasus dazu ermutigen, die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Organisationen zu den Aktionsplänen zu konsultieren und diese in die gemeinsamen Anstrengungen zu deren Umsetzung, Überwachung und Evaluierung einzubinden. Dies kann selbst durch ausgezeichnete persönliche Kontakte zwischen Vertretern der EU und ausgewählten Organisationen nicht ersetzt werden und käme sowohl der Umsetzung der Aktionspläne als auch einer Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft zugute.

7.1.2.   Im Zuge der Verhandlungen über die Aktionspläne und die Partnerschafts- und Assoziierungsabkommen sollte die Europäische Kommission der Wahrung der Menschenrechte, der demokratischen Standards und der Prinzipien des sozialen Dialogs sowie der Grundsätze des zivilgesellschaftlichen Dialogs einschließlich der Vereinigungsfreiheit und des Rechts auf Tarifverhandlungen größeres Augenmerk schenken. Es wäre wünschenswert, diese Fragen auch im Rahmen der jährlichen Berichte über die Umsetzung der Aktionspläne eingehend zu erörtern.

7.1.3.   Die Regierungen der Länder des Südkaukasus sollten neben ihrer engen Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen und den zivilgesellschaftlichen Organisationen eine umfassende Informationskampagne über die EU, ihre Institutionen und den gemeinschaftlichen Besitzstand sowie über die Nachbarschaftspolitik und die Umsetzung der Aktionspläne durchführen. Zu diesem Zweck sollten die entsprechenden Instrumente und Finanzmittel geschaffen werden. Ein solches Instrument könnte etwa in der Vergabe kleiner, speziell für diesen Zweck bereitzustellender EU-Förderungen für zivilgesellschaftliche Organisationen bestehen.

7.2.   Die neue Initiative für eine Östliche Partnerschaft bietet eine neue Chance zur Stärkung der Beziehungen zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft in den Ländern des Südkaukasus und in der EU und vor allem zur Förderung des zivilen Dialogs vor Ort.

Der im Rahmen der Initiative für eine Östliche Partnerschaft unterbreitete Vorschlag bezüglich der Errichtung eines Forums der Zivilgesellschaft zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen und des Dialogs mit den Behörden ist sicherlich ein wertvolles Unterfangen, sollte jedoch von den europäischen Institutionen überwacht werden, um sicherzustellen, dass ein echter Dialog gewährleistet ist.

7.3.1.   In diesem Zusammenhang ist sicherzustellen, dass die Auswahl der in das Forum bestellten Vertreter nach demokratischen Prinzipien erfolgt und im Forum demokratische und unabhängige Organisationen mit der größtmöglichen Repräsentativität vertreten sind. Der EWSA könnte bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle übernehmen, indem er die Einhaltung dieser Kriterien und das gute Funktionieren des Forums gewährleistet.

7.3.2.   Darüber hinaus könnte das Forum durch die Einbindung von Mitgliedern aus anderen Staaten der Östlichen Partnerschaft dazu beitragen, das Prinzip der multilateralen Zusammenarbeit der Organisationen der Zivilgesellschaft auch auf Länder außerhalb des Südkaukasus auszuweiten.

7.4.   Im Rahmen der Östlichen Partnerschaft sollen die unmittelbaren Kontakte zwischen Menschen und Organisationen gestärkt werden, die in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Bekämpfung von Diskriminierung und Intoleranz sowie Förderung des wechselseitigen Respekts tätig sind. Zu diesem Zweck sollte es für die Bürgerinnen und Bürger der Staaten des Südkaukasus Visaerleichterungen geben.

7.5.   Sowohl die Europäische Nachbarschaftspolitik als auch die Östliche Partnerschaft ermöglichen es der Zivilgesellschaft der Südkaukasusländer nicht nur, Kontakte zu den EU-Institutionen zu knüpfen, sondern auch eine bilaterale Zusammenarbeit mit den jeweils eigenen Partnerorganisationen einzugehen. Die Schaffung eines Mechanismus zur Unterstützung einer solchen Zusammenarbeit mit Partnern in den EU-Mitgliedstaaten wäre daher überaus nützlich.

7.6.   Eines der Probleme, mit denen die Staaten des Südkaukasus zu kämpfen haben, sind bewaffnete Konflikte. Abgesehen von der nahe liegenden Rolle der EU-Institutionen bei der Lösung dieser Konflikte können auch die Organisationen der Zivilgesellschaft eine unterstützende Rolle im Friedensprozess spielen, insbesondere indem sie sich bei der eigenen Bevölkerung für diesen Frieden einsetzen. Gemeinsame Initiativen auf regionaler Ebene, in deren Rahmen Kontakte zu Partnerorganisationen in den am Konflikt beteiligten Ländern geknüpft würden, könnten hier als Ausgangspunkt eines langwierigen Versöhnungsprozesses besonders viel bewirken.

Brüssel, den 14. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ostseeregion: Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei der Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit und der Festlegung einer regionalen Strategie“

(2009/C 277/08)

Berichterstatterin: Marja-Liisa PELTOLA

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 10. Juli 2008, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Ostseeregion: Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei der Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit und der Festlegung einer regionalen Strategie.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 16. April 2009 an. Berichterstatterin war Frau PELTOLA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 171 gegen 6 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Nach Auffassung des EWSA sind die vier Ziele der Ostseestrategie der EU – 1) Umweltschutz 2) Wohlstand 3) Zugänglichkeit und Attraktivität und 4) Schaffung eines Raums der Sicherheit – wichtig, wohlbegründet und einander ergänzend.

1.2.   Der EWSA betont die zentrale Bedeutung der organisierten Zivilgesellschaft für die Umsetzung der Ostseestrategie. Der EWSA schlägt der Kommission die Einrichtung eines beratenden „Zivilgesellschaftlichen Forums für die Ostseeregion“ vor, um so die Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft in die Ostseestrategie sicherzustellen.

1.3.   Die externe Dimension der Ostseestrategie sollte mit der Zusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension verknüpft werden, die den Weg für eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen der EU und Drittländern öffnet.

1.4.   Nach Auffassung des EWSA muss für die Umsetzung der Strategie ein gesonderter Haushalt geschaffen werden, da ansonsten die Gefahr besteht, dass die Strategie eine bloße politische Absichtserklärung bleibt und ihre Ziele nicht erreicht werden.

1.5.   Die Förderung von Wirtschaftswachstum und Wohlstand erfordert von Seiten der EU institutionalisiertes Handeln und insbesondere eine Stärkung der internationalen Vertragsgrundlage, durch die die verschiedenen Akteure - Unternehmen wie auch Einzelpersonen - besser als bisher in der Lage wären, die wirtschaftliche Integration und das Wachstum in der Region voranzubringen. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Stärkung der Wirtschaft im Ostseeraum wesentlich zur Steigerung der Attraktivität der Region beitragen und helfen würde, ein „Ostsee-Markenzeichen“ zu etablieren. Von dem Wirtschaftswachstum würde auch die EU im weiteren Sinne profitieren, und zwar über die Effizienzsteigerung des Binnenmarktes und die wirtschaftliche Integration.

1.6.   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Umwelt des Ostseeraums am besten durch die Umsetzung des Ostsee-Aktionsplans der HELCOM, an dem die Anrainerstaaten und die EU beteiligt sind, geschützt werden kann.

1.7.   Nach Einschätzung des EWSA wird das aktive Engagement der Bürger künftig auch in solchen Gebieten und Bereichen eine immer größere Rolle spielen, die zuvor von der öffentlichen Hand verwaltet wurden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Umweltschutz im Ostseeraum.

2.   Einführung

2.1.   Die Europäische Union erarbeitet derzeit eine Ostseestrategie. Die Initiative dazu ergriff das Europäische Parlament im November 2006 durch die Verabschiedung einer Entschließung zur Erarbeitung einer Ostseestrategie. Der Europäische Rat ersuchte daraufhin die Kommission im Dezember 2007, bis Juni 2009 eine Strategie vorzulegen, die für die kommenden Jahre die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit in der Ostseeregion schafft. Die Kommission erarbeitet die Strategie im Zeichen der der Regionalpolitik. An den Arbeiten sind 19 Generaldirektionen der Europäischen Kommission beteiligt.

2.2.   Durch diese Strategie sollen vier Hauptziele verfolgt werden. Die Ostseeregion (1) soll zu einem Raum werden, der 1) unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes nachhaltig, 2) durch Wohlstand geprägt, 3) leicht zugänglich und attraktiv sowie 4) ein Raum der Sicherheit ist. Nach Auffassung des EWSA sind derartige Ziele für die Ostseeregion wichtig, wohlbegründet und einander ergänzend. Auch die Bildung einer klaren „Ostseeidentität“ ist begründet. Durch Empfehlungen für eine bessere Verwaltung sollen im Rahmen der Ostseestrategie auch die Verfahren vereinfacht und ein Bürokratieabbau erzielt werden.

2.3.   Die inhaltlichen und perspektivischen Aspekte für die Ostseestrategie hat die Europäische Kommission aus öffentlichen Diskussionen und umfassenden Anhörungen von Interessengruppen gewonnen. Neben diesen Diskussionsrunden wurden Ansichten und Ausblicke auch über eine öffentliche Konsultation im Internet eingeholt (2). Der EWSA unterstützt die Herangehensweise der Europäischen Kommission.

2.4.   Die Ostseestrategie wird dem Europäischen Rat am 19. Juni 2009 vorgelegt. Der Plan für die Umsetzung der Strategie soll ein sehr konkretes Dokument sein, in dem Verantwortliche benannt und der Zeitplan sowie bei Bedarf eventuell auch ergänzende Maßnahmen festgelegt werden. Die Umsetzung der Strategie wird während des schwedischen Ratsvorsitzes eingeleitet und während der Ratsvorsitze der übrigen Ostseeanrainerstaaten – zuerst während des polnischen Ratsvorsitzes 2011 und später während des dänischen und litauischen Ratsvorsitzes 2012 bzw. 2013 – weiterverfolgt werden.

2.5.   Die externe Dimension der EU-Ostseestrategie wird mit der Zusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension verknüpft (3). Die Nördliche Dimension ist ein Instrument, um Kooperationsthemen, die von der EU und Russland gemeinsam beschlossen wurden, umzusetzen; auch Norwegen und Island wirken daran mit. Die Zusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension ermöglicht eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen der EU und Drittländern. Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Einbindung sämtlicher Ostseeanrainerstaaten in die Ostseezusammenarbeit. Dabei kommt es darauf an, dass Russland schon von Anfang an beteiligt und eingebunden wird. Darüber hinaus fordert der EWSA die Staaten der Ostseeregion, Norwegen und Island, die durch ihre Geschichte, Wirtschaft und Kultur eng miteinander verbunden sind, zur weiteren Zusammenarbeit auf.

2.6.   Für die Umsetzung der Ostseestrategie sind keine neuen Geldmittel vorgesehen. Die verfügbaren Finanzierungskanäle sind die EU-Strukturfonds (für den Ostseeraum ca. 55 Mrd. EUR für die Jahre 2007-2013), nationale Mittel des jeweiligen Ostseeanrainerstaates und der internationalen Finanzinstitutionen (EIB, NIB, EBRD etc.). Der EWSA ist der Auffassung, dass die verschiedenen Finanzierungskanäle der EU stärker für die Zwecke der Ostseestrategie genutzt werden sollten.

2.7.   Nach Ansicht des EWSA muss für die Umsetzung der Strategie ein gesonderter Haushalt geschaffen werden, da die Strategie ansonsten über rein politische Absichtserklärungen nicht hinauskommen und ihre Ziele verfehlen wird. Der EWSA wird sich in einer künftigen Stellungnahme näher mit dem Thema Finanzierung befassen.

3.   Die Rolle der organisierte Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Ostsee-Strategie

3.1.   Der EWSA zeigt sich zufrieden, dass die Europäische Kommission die Akteure der Zivilgesellschaft aktiv in die Gestaltung der Ostseestrategie einbinden möchte. Auch die Umsetzung des Handlungsplans der Ostseestrategie setzt die aktive Teilnahme der Zivilgesellschaft voraus. Der EWSA unterstreicht, dass es ohne das echte Engagement von Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft nicht möglich sein wird, die Maßnahmen der Ostseestrategie umzusetzen und ihre Ziele zu erreichen.

3.2.   Derzeit kommt die Arbeit der zahlreichen verschiedenen Akteure, darunter zum Beispiel der Nichtregierungsorganisationen, der Verbraucher-, Wirtschafts- und Naturschutzverbände, oft über die Stufe von Empfehlungen nicht hinaus. Ihre Tätigkeiten sind den anderen Akteuren wenig bekannt, und praktische Maßnahmen bleiben oft schon in den Anfangsschwierigkeiten stecken.

3.3.   Neben den staatlichen Akteuren übernehmen auch die Regionen, Städte und Akteure der organisierten Zivilgesellschaft wichtige Funktionen im Ostseeraum. Der EWSA empfiehlt, die Rolle der verschiedenen Akteure zu klären, ihre Zusammenarbeit zu verstärken und Kooperationsmechanismen zu konzipieren. Ferner besteht ein Bedarf nach einem besseren Überblick über die verwirrende Vielfalt von Initiativen und Projekten in den einzelnen Förderprogrammen; dazu müssten diese Programme effizienter koordiniert und zugleich die Schwerpunkte der Ostseestrategie systematischer berücksichtigt werden.

3.4.   Der EWSA sorgt sich um die konkrete Verwirklichung und die Nachbereitung der Ostseestrategie und des Handlungsprogramms. Der EWSA regt an, dass die Kommission ein beratendes „Zivilgesellschaftliches Forums für die Ostseeregion“ ins Leben ruft. Das Forum sollte folgende Aufgaben haben:

Sicherstellung der Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft in die Ostseestrategie;

Vertretung der Ansichten und Empfehlungen der organisierten Zivilgesellschaft zu aktuellen Themen gegenüber den für die Ostsee-Strategie relevanten Behörden;

Förderung des aktiven Engagements der organisierten Zivilgesellschaft in Ländern, die an der Ostseestrategie beteiligt sind;

Förderung der Teilnahme der organisierten Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Ostseestrategie auf nationaler, regionaler und europäischer Ebene;

Förderung und Stimulierung der öffentlichen Diskussion und des Bewusstseins über die Maßnahmen im Rahmen der Ostseestrategie, ihre Fortschritte und Ziele in der EU und in den anderen an der Strategie beteiligten Ländern;

Vielfältige Vernetzung der organisierten Zivilgesellschaft (sowohl in der EU als auch darüber hinaus), unter anderem durch Besuche, Workshops und die Verbreitung bewährter Praktiken.

3.5.   Der EWSA ist bereit, die Vorarbeiten für das „Zivilgesellschaftliche Forum für den Ostseeraum“ zu übernehmen, vor allem im Hinblick auf das Mandat, die Zusammensetzung und die Tätigkeiten dieses Forums. Der EWSA kann sich bei der Arbeit mit diesem Forum auf seine regionalen Kontakte mit der organisierten Zivilgesellschaft und seine Erfahrungen mit ähnlichen Projekten stützen. Der EWSA verfügt über ausgesprochen positive Erfahrungen und über operative Konzepte zur Sicherung der aktiven Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft, die aus Projekten wie der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum (4) und der vernetzten Zusammenarbeit im Schwarzmeerraum stammen (5).

4.   Der Ostseeraum als Raum des Wohlstands

4.1.   Die effiziente Verwirklichung des Binnenmarkts der Europäischen Union im Ostseeraum bringt einen bedeutenden Nutzen für das Wirtschaftswachstum. Die Europäische Union, die Staaten und die internationalen Organisationen schaffen institutionalisierte Strukturen als Grundlage der Wirtschaftsbeziehungen, auf deren Basis sich die Ostseeregion als Wirtschaftsraum entwickeln kann. Allerdings ist klar, dass es die Wirtschaftsakteure, also die Unternehmen, aber auch Einzelpersonen, sind, die die Wirtschaftsintegration vollziehen. Letztendlich gibt dies den Ausschlag dafür, wie gut sich die wirtschaftliche Integration im Ostseeraum und das Wirtschaftswachstum entwickeln werden. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Stärkung der Wirtschaft im Ostseeraum einen bedeutenden Beitrag dazu leistet, die Region attraktiver zu gestalten und die Ostsee als „Markenzeichen“ zu etablieren. Von einer Stärkung der Wirtschaft im Ostseeraum würde auch die EU als Ganzes profitieren.

Im Folgenden werden die wesentlichen Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Integration und der Beschäftigung im Ostseeraum vorgestellt.

Stärkung der internationalen Vertragsgrundlage

4.2.1.1.   Die Nutzung des Wirtschaftspotenzials des Ostseeraums setzt vor allem eine bedeutende Erweiterung der internationalen Vertragsgrundlage sowie eine Vertiefung der europäischen Integration voraus. Die Mitgliedschaft Russlands in der WTO sowie das neue Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland (neues EU-Russland-Abkommen) haben Auswirkungen nicht nur auf den Ostseeraum. Allerdings sind diese Faktoren für den Ostseeraum insofern von entscheidender Bedeutung, als sie ein Beschleuniger für das Wirtschaftswachstum und ein Katalysator für die Entwicklung in der gesamten Region sind. Die Ostsee ist der wichtigste natürliche Exportweg für russische und asiatische Produkte nach Europa.

4.2.1.2.   Der EWSA zeigt sich besorgt, dass Russland das Programm der Europäischen Union für den Ostseeraum (INTERREG IVB 2007-2013) nicht unterzeichnet hat; Ziel des Programms ist es, die Region für Investitionen attraktiv zu machen und ein gutes Arbeits- und Lebensumfeld zu schaffen.

4.2.1.3.   In die Zuständigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten fallen etliche Vertragssysteme, die den Ostseeraum grundlegend und positiv beeinflussen könnten. So muss beispielsweise ein Unternehmen, das in allen neun Staaten des Ostseeraums operiert, derzeit mit nicht weniger als acht Währungen umgehen. Nur Finnland und Deutschland gehören zur Eurozone. Die Ausdehnung der Wirtschafts- und Währungsunion auf Dänemark, Schweden, Estland, Lettland, Litauen und Polen wäre von sehr großer Bedeutung. Insbesondere der Beitritt von Dänemark und Schweden zur Wirtschafts- und Währungsunion würde der Nutzung des gesamten Potenzials der Wirtschaftsraums Ostsee Nachdruck und Glaubwürdigkeit verleihen.

Für ein besseres Funktionierens des Binnenmarktes

4.2.2.1.   Das Funktionieren des Binnenmarktes im Ostseeraum muss besser als bisher gewährleistet werden. Im Zuge der Spezialisierung arbeiten immer mehr Unternehmen in internationalen Netzen, die sich aus ihrer jeweiligen Branchenzugehörigkeit ergeben. Die Unternehmen sind über ihre Kunden, Zulieferer und Kooperationspartner mit den verschiedenen Märkten und Produktionsfaktoren des Ostseeraums in Verbindung. Bei der Zunahme der grenzübergreifenden Unternehmenstätigkeit im Ostseeraum ist es ganz besonders wichtig, auf einen möglichst einheitlichen Wirtschaftsraum hinzuarbeiten, in dem der Handel mit Waren und Dienstleistungen, öffentliche Aufträge und Investitionen kaum auf Hindernisse stoßen und der Kapital- und Arbeitsmarkt gut funktioniert.

4.2.2.2.   Für die EU-Mitgliedstaaten im Ostseeraum wäre es besonders wichtig, wenn der neue Lissabon-Vertrag der Europäischen Union 2010 in Kraft treten würde. Durch den Vertrag wird die Zuständigkeit der Europäischen Union in Angelegenheiten, die für die Wirtschaft von Bedeutung sind, darunter Zollunion, Wettbewerbsrecht sowie Handelspolitik, gestärkt.

4.2.2.3.   Besonders wichtig ist auch die möglichst einheitliche Anwendung des EU-Rechts. So ist beispielsweise die Dienstleistungsrichtlinie, die in den Mitgliedstaaten der Union bis zum 28. Dezember 2009 umgesetzt sein soll, ein zentraler Bestandteil der erneuerten Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Aus einer von Eurochambres (6) im Februar 2009 veröffentlichten Studie (7) geht unter anderem hervor, dass es zwischen den Ländern des Ostseeraums bedeutende Unterschiede hinsichtlich der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie gibt, und das betrifft sowohl ihren zeitlichen als auch inhaltlichen Vollzug. Den Mitgliedstaaten der EU im Ostseeraum böte sich eine hervorragende Möglichkeit, für Dienstleistungsanbieter ein standardisiertes zentrales Abwicklungssystem zu schaffen. Ein zentrales Abwicklungssystem würde für Klarheit bei den Genehmigungsverfahren im Zusammenhang mit dem Angebot von Dienstleistungen sorgen, die Formalitäten erleichtern, den Informationsfluss mit Blick auf den Verbraucherschutz verbessern und die Schwelle für Dienstleistungsanbieter bei grenzüberschreitendem Agieren in der EU senken.

4.2.2.4.   Wichtige Bereiche, wie zum Beispiel ein Teil der Dienstleistungen im Verkehrsbereich, die Dienstleistungen von Leiharbeitsfirmen, Finanzierungs- und Gesundheitsdienstleistungen, werden von der Dienstleistungsrichtlinie nicht erfasst. Auch diese Dienstleistungen erfordern einen funktionierenden Binnenmarkt, besonders wenn Unternehmen aktive Dienstleistungsanbieter sein sollen.

4.2.2.5.   Verschiedene Handelshemmnisse machen es für die Unternehmen immer noch schwer, im Ostseeraum effizient zu agieren. Bei der Festigung der Rechtstaatlichkeit und insbesondere bei der Korruptionsbekämpfung im Ostseeraum bleibt für die EU und andere Akteure noch viel zu tun.

4.2.2.6.   Nach Auffassung des EWSA ist das am 1. Januar 2009 in Angriff genommene Pilotprojekt zum elektronischen Austausch von Zollinformationen ein hervorragendes Beispiel für Handelserleichterungen zwischen der EU und Russland. Von Anfang an dabei waren Russland und acht EU-Länder, darunter drei Länder des Ostseeraums (Lettland, Schweden und Finnland). Im Laufe des Jahres 2009 stoßen noch drei weitere Ostseeanrainer hinzu (Litauen, Estland und Polen). Der elektronische Austausch von Zollinformationen markiert den Beginn der Modernisierung der Zollformalitäten zwischen der EU und Russland. Eine weitergehende Harmonisierung wird benötigt, um die Zollformalitäten zu erleichtern. So soll ausgeschlossen werden, dass es im Zusammenhang mit der Verzollung zu kriminellen Aktivitäten kommt. Die Harmonisierung sorgt für eine effizientere Logistik und senkt die damit verbundenen Kosten für die Unternehmen.

Infrastruktur

4.2.3.1.   Die Infrastruktur erfordert eine grenzüberschreitende Vernetzung des Verkehrs zur See, auf Flüssen, zu Lande und in der Luft. Dabei sind sowohl Wettbewerb als auch die gemeinsame Planung für nahtlose Streckengestaltung unerlässlich. Auch der Qualität muss mehr Aufmerksamkeit als bislang gewidmet werden. Bei der Entwicklung kostengünstiger und effizienter Transportketten sowie der Beseitigung von Flaschenhälsen, die diesen im Wege stehen, wird die Zusammenarbeit der EU-Länder untereinander als auch mit Russland benötigt. In der Praxis könnte dies durch die Erneuerung und die Abstimmung des Ostseeautobahnkonzepts, der EU-Transportnetze (TEN-Politik) (8) sowie durch die Verkehrs- und Logistikpartnerschaft, die im Rahmen der Nördlichen Dimension ausgearbeitet wird, geschehen. Die Überprüfung müsste auch bis auf die EU-Nachbarländer ausgedehnt werden und die transeuropäischen Verkehrskorridore umfassen. Dabei handelt es sich um eine zentrale Voraussetzung zur Förderung der Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen und Arbeitskraft.

Förderung des Wirtschaftswachstums

4.2.4.1.   Zahlreiche Untersuchungen belegen eine positive Korrelation zwischen dem Wirtschaftswachstum und einem funktionierenden Rechtssystem (9). Ein schwacher Schutz des Eigentums, Korruption und Vertragsunsicherheit, die fehlende Unabhängigkeit der Gerichte und eine schwankende Rechtsumsetzung und -auslegung sind hingegen Bremsklötze für das Wirtschaftswachstum. Die Risiken für Investoren nehmen zu, die Investitionsbereitschaft nimmt ab. Die Länder des Ostseeraums könnten gemeinsame Maßnahmen vereinbaren, um in diesem Bereich auftretende Missstände zu beheben. Die Ostseestrategie böte eine ausgezeichnete Grundlage für derartige Maßnahmen.

4.2.4.2.   Die neun Länder des Ostseeraums sind in vielerlei Hinsicht sehr heterogen. In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Staaten der Ostseeregion und ihre wirtschaftlichen Beziehungen maßgeblich verändert. Ihre Volkswirtschaften sind unterschiedlich weit entwickelt, und auch die Produktionsstrukturen unterscheiden sich voneinander. Die Vielfalt sowie die Unterschiede in den Nachfrage- und Angebotsstrukturen eröffnen neue wirtschaftliche Möglichkeiten, die besser als bisher genutzt werden sollten. Der Ostseeraum unterliegt Megatrends: die europäische Integration, die sich wandelnde internationale Stellung Russlands sowie die weltweiten Veränderungen auf den Energie-, Güter- und Dienstleistungsmärkten, die kommerziell und wirtschaftlich auf nachhaltige Weise genutzt werden sollten. Dies setzt voraus, dass die Akteure der Zivilgesellschaft gute Grundvoraussetzungen und Anreize für ein aktives Vorgehen haben.

4.2.4.3.   Der EWSA betont, dass Wirtschaftswachstum und Produktionseffizienz nicht im Widerspruch zu den Umweltaspekten stehen müssen. Im Gegenteil, es wäre wichtig zu betonen, welche positiven Möglichkeiten sich aus dem Wechselspiel einer wachsenden und immer vielfältigeren Wirtschaft und einer saubereren Umwelt ergeben.

Zusammenarbeit für Forschung und Innovation

4.2.5.1.   Im Ostseeraum gibt es interessante internationale Innovationsprojekte auf Clusterbasis. So betreut das Nordic Innovation Centre (NICe) mehr als hundert verschiedene Projekte und länderübergreifende Netze, die unter verschiedene Themengebiete fallen. Es handelt sich um kreative Gebiete, Umwelttechnologie, Mikro- und Nanotechnologie, innovatives Bauen, funktionale Lebensmittel und Lebensmittelsicherheit.

4.2.5.2.   Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der sog. „fünften Freiheit“ und die Zusammenarbeit zwischen Forschern, Studenten und Lehrkräften sowie zwischen den Unternehmen und dem öffentlichen Sektor. Der Austausch von Forschern zwischen den verschiedenen Forschungseinrichtungen und Universitäten muss gefördert werden. So erfordert zum Beispiel die Schaffung von Handlungsvoraussetzungen für Cluster die Beseitigung nationaler Grenzen bei der Forschungsfinanzierung, indem ein für die Ostseeanrainerstaaten gemeinsames System geschaffen wird, mit dessen Hilfe die für die Forschung aufzuwendenden nationalen Mittel gebündelt werden können. Jedes Land des Ostseeraums sollte im Einklang mit der erneuerten Lissabon-Strategie den Anteil der FuE-Mittel auf drei Prozent des Bruttonationalprodukts anheben.

4.2.5.3.   Die Wissenschafts- und Forschungsgemeinschaften der acht EU-Mitgliedstaaten im Ostseeraum haben sich aktiv am BONUS ERA-NET-Projekt beteiligt. Als Teil des 7. Forschungsrahmenprogramms genehmigte die Europäische Kommission 2008 das gemeinsame Ostseeforschungsprojekt BONUS+, das mit EU-Geldern und nationalen Forschungsmittel der Ostseeanrainer finanziert wird. Der EWSA hält das neue ständige Ostseeforschungsprogramm, BONUS+, für besonders begrüßenswert. Der EWSA hofft, dass die Arbeitsergebnisse des Forschungsprogramms sich stärker als in der Vergangenheit auf den Schutz der Ostsee und die nachhaltige Entwicklung auswirken.

Freizügigkeit der Arbeitskräfte

4.2.6.1.   Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU ist noch nicht hergestellt, obwohl seit der EU-Erweiterung bereits fünf Jahre vergangen sind. Alle EU-Länder des Ostseeraums unterliegen jedoch seit dem 30. März 2008 den Schengen-Bestimmungen zur Erleichterung der Freizügigkeit. Die Übergangszeit für die Arbeitnehmerfreizügigkeit sollte nach Ansicht des EWSA auslaufen. Die Freizügigkeit von Arbeit und Wissen von einem Land ins andere, die sog. „Zirkulation der klugen Köpfe“, nützt allen Beteiligten. Die Sicherung der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte setzt die kräftige Förderung einer beschäftigungsorientierten Migrationspolitik im gesamten Ostseeraum voraus. Dies geschieht auch ungeachtet der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die vorübergehend zu einem größeren Arbeitskräfteangebot in der Region führen dürfte. Zugleich müssten auch Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitskräftepotenzial besser aufeinander abgestimmt werden. Die Arbeitskulturen und die Kernarbeitsnormen müssen harmonisiert werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und die Grundrechte der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Ziel einer auf den Arbeitsmarkt ausgerichteten Bildung muss eine einheitliche Struktur der Berufsbildung und der Berufsbezeichnungen sein. Zur Förderung der Arbeitsanreize, um leichter von einem Ort zum anderen und von einem Land zum anderen zu ziehen, muss viel unternommen werden.

4.2.6.2.   Im Rahmen des Arbeitsmarktnetzes Baltic Sea Labour Network (BSLN) wurde unlängst ein dreijähriges Kooperationsprojekt gestartet, an dem dutzende Teilnehmer aus verschiedenen Ländern beteiligt sind. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Ostseeregion im Hinblick auf die grenzübergreifende Beschäftigungspolitik zu einem Vorbild in Europa zu machen; die Ostseeregion soll zu einer Region gemacht werden, in der man gerne wohnt, arbeitet und investiert. Das gewerkschaftliche Netzwerk BASTUN ist ein bedeutender Partner bei der Umsetzung des BSLN-Vorhabens (10).

5.   Den Ostseeraum zu einer Region der nachhaltigen Umwelt machen

5.1.   Aus dem Ostseeraum soll ein ökologisch nachhaltiges Gebiet werden. Die Ostsee ist ein relativ kleines und flaches Brackwasserbassin, das ökologisch gesehen besonders verletzlich ist.

5.2.   Der Zustand der Ostsee hat sich in den letzten zwanzig Jahren in besorgniserregender Weise verschlechtert, da sich die Schadstoffeinleitungen auf einem unhaltbar hohen Niveau bewegen. Die Belastung durch die Überdüngung der Ostsee und eine hohe Konzentration von Umweltgiften lässt den Nährstoffgehalt und die Algenkonzentration immer weiter ansteigen. Das Algenwachstum ist direkt abhängig von der Konzentration ihrer Hauptnährstoffe - Stickstoff und Phosphor.

5.3.   Im Einzugsbereich der Ostsee leben mehr als 85 Millionen Menschen, die sich immer stärker über den schlechten Zustand der Ostsee im Klaren sind. Eine Herausforderung ist der Schutz der Ostsee aber auch deswegen, weil es neun Anrainerstaaten gibt, die sich in verschiedenen Phasen der Entwicklung befinden; nimmt man das gesamte Einzugsgebiet, zum dem auch Weißrussland und die Ukraine gehören, dann hat man es sogar mit mehr als zehn Staaten zu tun. Die Koordination der zahlreichen Akteure hat sich als schwierig erwiesen. Aufgrund des alarmierenden Zustands der Ostsee sind grenzüberschreitende, effiziente und kraftvolle Maßnahmen nach Ansicht des EWSA unumgänglich (11).

5.4.   Der schnellste und kosteneffizienteste Weg zur Verbesserung des Zustands der gesamten Ostsee besteht nach Auffassung des EWSA in der Behebung der schlimmsten punktuellen Belastungsquellen. So geht beispielsweise im finnischen Meerbusen von St. Petersburg die größte Umweltbelastung aus, denn noch immer wird das Abwasser der Stadt unzureichend von Nährstoffen gereinigt. Allerdings sind auch bedeutende Fortschritte zu verzeichnen. Die chemische Entfernung von Phosphor wird in der größten Kläranlage von St. Petersburg seit 2007 betrieben. Im finnischen Meerbusen verringerten sich dadurch die Phosphorbelastung und das Blaualgenwachstum spürbar. An allen Ostseeküsten muss effizienter gegen die diffuse Verschmutzung vorgegangen werden, die vor allem von der Landwirtschaft herrührt. Durch die Verringerung der punktuellen Verschmutzung kann der Zustand der Küstengewässer bedeutend verbessert werden.

5.5.   Das wichtigste Instrument zur Bremsung der Überdüngung im Ostseeraum ist nach Ansicht des EWSA der Ostsee-Aktionsplan der HELCOM (12), auf den sich alle Ostseeanrainerstaaten und die Kommission im Jahre 2007 geeinigt haben.

6.   Energie- und Meeressicherheit

6.1.   Der EWSA hat eine gesonderte Stellungnahme zu den Energieaußenbeziehungen der EU erarbeitet (13), in der hinsichtlich der Energiefragen die besondere Bedeutung der Anknüpfung an die Ostseestrategie festgestellt wird. Zur Energiezusammenarbeit in der Region gehören in der Hauptsache Energie verbrauchende Länder und Energietransitländer. Dreh- und Angelpunkt ist die Verbindung mit Russland. Ein besonderes Ziel für die Region sollte die Herstellung eines gemeinsamen Verständnisses zwischen der EU und Russland sowie ein neues Abkommen im Geiste der Gegenseitigkeit (neues EU-Russland-Abkommen) sein, das auch die Energiefragen abdeckt. Russland sollte die Durchleitung von Gas in seinem Netz gestatten und europäischen Unternehmen Investitionen in die Entwicklung der russischen Energienetze und -quellen ermöglichen.

Aufgrund des empfindlichen und stark belasteten Ökosystems muss die in der Planung befindliche nordeuropäische Gasleitung strenge Umwelt- und Sicherheitsauflagen erfüllen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beispielsweise wurden Munition, Kriegsgerät und chemische Waffen in der Ostsee versenkt, und niemand weiß, wo genau sich diese befinden und in welchem Zustand sie sind. Der EWSA unterstützt die Entschließung des Europäischen Parlament (14) vom 8. Juli 2008 und empfiehlt nachdrücklich, dass die an dem Gasleitungsprojekt Nord Stream beteiligten Parteien gründlich prüfen, ob es alternative Möglichkeiten gibt, diese Pipeline zu verlegen, vor allem über das Festland. Unabhängig von der Zukunft der nordeuropäischen Gasleitung wird auch Russland auf die unbedingte Einhaltung des für den EU-Gasmarkt geltenden Regelwerks verpflichtet werden müssen, wozu auch die Möglichkeit zur Nutzung durch Dritte gehört.

6.2.1.   Besondere Sorge bereitet den Ostseeanrainerstaaten die Meeressicherheit. Ein kritischer Umstand für die Umwelt ist die Menge des auf der Ostsee beförderten Öls, dass sich in den letzten 15 Jahren versiebenfacht hat. Im Jahre 2007 wurden 145 Mio. Tonnen Öl befördert, und für 2015 werden 240 Mio. Tonnen prognostiziert. Als Ergebnis der Zusammenarbeit ihrer Anrainerstaaten wird die Ostsee nunmehr durch die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) als besonders sensibles Meeresgebiet (Particularly Sensitive Sea Area, PSSA) ausgewiesen. Mögliche Ölunfälle sollen durch Schiffe mit Doppelhüllen verhindert werden, die ab 2010 vorgeschrieben sind. Der EWSA befürwortet für den Ostseeraum jedoch ein gemeinsames System der Überwachung und des Informationsaustausches zur Verbesserung der Meeressicherheit.

6.2.2.   Die Nährstoffeinträge von Schiffen können durch einige die Abwässer betreffende Anforderungen in Anlage IV des MARPOL-Übereinkommens verringert werden. Zweck der Richtlinie 2000/59/EG ist es, in den Häfen mehr Hafenauffangeinrichtungen für Bilge und Schiffsabwässer zu schaffen. Auch die freiwillige Verringerung der Abwassereinleitungen wäre weiterhin zu unterstützen, beispielsweise dadurch, dass in den Häfen mehr Hafenauffangeinrichtungen und –kapazitäten geschaffen werden. Zudem sollen in den Häfen des Ostseeraums auch ausreichend schnell und flexibel mit großen Kreuzfahrtschiffen umgegangen werden können (15).

6.3.   Obwohl die Bedeutung der Schiffsabwässer für die Überdüngung der Ostsee nicht besonders groß ist, ist ihre Verringerung gegenüber den diffusen Verschmutzungsquellen einfacher und daher wichtig.

7.   Verringerung der Schadstoffbelastung durch die Landwirtschaft

7.1.   Der Ostsee-Aktionsplan der HELCOM enthält für die einzelnen Länder des Ostseeraums klare Mindestziele für die Verringerung der Nährstoffbelastung. Damit diese Ziele erreicht werden können, müssen bestimmte Bereiche der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU derart gestaltet werden, dass auch die besonderen Umstände des Ostseeraums bei der landwirtschaftlichen Erzeugung und die Umweltbelange im Ostseeraum Beachtung finden (16).

In diesem Zusammenhang ist als es als konstruktiv zu werten, dass die Kommission in ihrem Entwurf eines Aktionsplans die Vorschläge der Landwirtschaftsorganisationen des Ostseeraums in Bezug auf Nachhaltigkeit, Umwelt und Landwirtschaft umfassend berücksichtigt hat. Hierzu zählen u.a. gezieltere Maßnahmen in Bezug auf Umwelttechnologie, Beratung und Düngewirtschaft sowie die Durchführung und Handhabung der EU-Rechtsvorschriften zu Pestiziden, Futter- und Nahrungsmitteln. Hierbei ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure und Nichtregierungsorganisationen, darunter die Zusammenarbeit der Landwirte, der Umweltschutzorganisationen und der Verbraucher in den einzelnen Mitgliedstaaten von besonderer Bedeutung. Die Ermittlung, Anwendung und Verbreitung bewährter Praktiken zwischen den Ländern der Region ist entscheidend. Praktiken, die die verschiedenen Akteure systematisch einsetzen können, könnten zum Beispiel dem Entwicklungsprogramm für die ländlichen Gebiete für den neuen Programmplanungszeitraum entnommen werden.

Auch solche Mittel und Wege, mit denen der Einsatz von Dünger und Energie effizienter gestaltet werden kann, sollten vorgestellt werden (17).

8.   Verringerung der Phosphor- und Stickstoffeinträge durch effizientere Abwasserbehandlung

8.1.   Der EWSA sieht in der lückenlosen Umsetzung der EU-Richtlinie über kommunales Abwasser (18) einen wichtigen Schritt zur Verringerung der Phosphor- und Stickstoffbelastung. Eine weitere wichtige Maßnahme zur effizienteren Entfernung von Phosphor ist die Befolgung der HELCOM-Empfehlung 28E/5. Die jetzige zeitliche Frist - angepeilt ist 2015 - liegt in Anbetracht des schlechten Zustands der Ostsee zu weit in der Zukunft. Es sind ehrgeizigere Ziele gefragt. Der EWSA verweist auf die Bedeutung einer wirkungsvolleren chemischen Klärung. Sie ermöglichen schnelle Resultate mit einem vertretbaren Mittelaufwand.

8.2.   Ein gutes Beispiel für das Handeln der organisierten Zivilgesellschaft im Umweltschutz des Ostseeraums ist die John-Nurminen-Stiftung. Ziel des Projekts „Saubere Ostsee“, hinter dem diese Stiftung steht, ist die Verminderung der Überdüngung der Ostsee und die Schärfung des Umweltbewusstseins im Hinblick auf den Zustand des Meeres (19). Der Schwerpunkt liegt bei Maßnahmen, die den Umwelt- und Nutzwert der Ostsee am schnellsten und kostengünstigsten heben. Die Verbesserung der chemischen Phosphorentfernung aus kommunalen Abwässern, die in die Ostsee eingeleitet werden, wird unter anderem mit Spendenmitteln finanziert. Der Vorteil eine Stiftung, die sich im Umweltschutz engagiert, ist auch, dass sie flexibel und unbürokratisch agieren kann und nicht am Gewinnstreben orientiert ist.

8.3.   Nach Auffassung des EWSA wird das aktive Handeln der Bürger künftig auch in solchen Gebieten und Bereichen eine immer größere Rolle spielen, die bisher als Aufgabe der öffentlichen Hand betrachtet wurden. Private Akteure und Akteure des dritten Sektors verfügen klar über solches Können, Wissen und Herangehensweisen, die das Handeln des öffentlichen Sektors ergänzen.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Unter Ostseeregion werden in dieser Stellungnahme die Ostseeanrainerstaaten Finnland, Schweden, Dänemark, Deutschland, Polen, Estland, Lettland, Litauen und Russland zusammengefasst. Bis auf Russland sind sie alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

(2)  Die erste Diskussionsrunde fand am 30. September 2008 in Stockholm statt, die zweite wurde am 5./6. Februar 2009 in Rostock veranstaltet. Zudem wurden Diskussionsrunden am 18./19. September 2008 in Kaunas, am 13. November 2008 in Danzig, am 1./2. Dezember 2008 in Kopenhagen sowie am 9. Dezember 2008 in Helsinki veranstaltet. Die Konsultation im Internet fand vom 3. November bis zum 31. Dezember 2008 statt.

(3)  ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 91.

(4)  Der EWSA schuf 1995 ein Kooperationsnetz der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbaren Einrichtungen auf Grundlage des Mandats, das ihm durch die Barcelona-Erklärung erteilt wurde.

(5)  ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 144.

(6)  Eurochambers ist der Verband der europäischen Industrie- und Handelskammern.

(7)  The 4th edition of survey on the implementation of the Services Directive. www.eurochambres.eu.

(8)  http://ec.europa.eu/transport/infrastructure/consultations/2009_04_30_ten_t_green_paper_en.htm.

(9)  Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE): Transition report 2005: Business in transition and World Bank (2008), Macroeconomics and Growth Research Program/Investment Climate and the Microeconomics of Growth/Institutions and Governance. Siehe auch: http://www.enterprisesurveys.org/ über das Unternehmensklima in verschiedenen Ländern.

(10)  Dazu gehören die Zentralorganisationen der Arbeitnehmer, die internationalen Dachorganisationen der Arbeitnehmer, der Ostseerat (CBSS), die Zentralorganisationen der Arbeitgeber und das Institut für sozial- und Bildungspolitik (Deutschland).

(11)  http://www.wwf.fi/wwf/www/uploads/pdf/balticseascorecard2008.pdf-.

(12)  www.helcom.fi.

(13)  ABl. C 182 vom 4.8.2009, S. 8.

(14)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Juli 2008 zu den Umweltauswirkungen der geplanten Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland (Petitionen 0614/2007 und 0952/2006) (2007/2118(INI)).

(15)  Auch die Helcom-Empfehlung 28E10 über die Anwendung eines No-special-fee-Systems in der Ostsee sollte voll und ganz umgesetzt werden.

(16)  Die effiziente Umsetzung des Handlungsplans der EU-Wasser-Rahmenrichtlinie muss sichergestellt werden. Der Gewässerschutz in der Landwirtschaft kann verbessert werden, indem in erster Linie umweltempfindliche Gebiete geschützt werden.

(17)  Damit die durch die Landwirtschaft verursachte Überdüngung der Ostsee verringert werden kann, werden in der landwirtschaftlichen Umweltpolitik Innovationen bei der Planung und der Umsetzung der Maßnahmen benötigt. Freiwillige Ausschreibungen landwirtschaftlicher Umweltschutzprogramme könnten ein mögliches Beispiel für neue Verfahren sein. Hintergrund: Ausschreibungen sind auf Freiwilligkeit basierende Maßnahmen, die gerade für jene Anbauflächen eingesetzt werden, bei denen die Gefahr der Ausschwemmung von Nährstoffen am größten und die Schutzwirkung unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt am besten ist. Bei einer Ausschreibung wird der Landwirt an Stelle der derzeitigen pauschalen Beihilfen für den Umweltschutz in der Landwirtschaft in dem Maße vergütet, wie ein Umweltnutzen je Fläche und Programm entsteht.

(18)  Richtlinie 91/271/EWG des Rates vom 21. Mai 1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser.

(19)  http://www.johnnurmisensaatio.fi/?lang=en.


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

453. Plenartagung 13./14.Mai 2009

17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/49


453. PLENARTAGUNG 13./14. MAI 2009

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Richtlinien 71/317/EWG, 71/347/EWG, 71/349/EWG, 74/148/EWG, 75/33/EWG, 76/765/EWG, 76/766/EWG und 86/217/EWG des Rates über das Messwesen“

(KOM(2008) 801 endg. — 2008/0227 (COD))

(2009/C 277/09)

Berichterstatter: Valerio SALVATORE

Der Rat beschloss am 19. Dezember 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Richtlinien 71/317/EWG, 71/347/EWG, 71/349/EWG, 74/148/EWG, 75/33/EWG, 76/765/EWG, 76/766/EWG und 86/217/EWG des Rates über das Messwesen

KOM(2008) 801 endg. - 2008/0227 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 24. April 2009 an. Berichterstatter war Valerio SALVATORE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 14. Mai) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der EWSA billigt den Vorschlag der Kommission, die Richtlinien 71/317/EWG, 71/347/EWG, 71/349/EWG, 74/148/EWG, 75/33/EWG, 76/765/EWG, 76/766/EWG und 86/217/EWG über das Messwesen aufzuheben, und teilt die dafür vorgebrachten Gründe. Diese Richtlinien sind mittlerweile veraltet und im Hinblick auf das Erreichen des Ziels, für das sie konzipiert wurden, nämlich Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der verschiedenen Kategorien von Messgeräten, nicht mehr geeignet.

1.2.   Der EWSA nimmt die Ergebnisse der von der Kommission durchgeführten Konsultation der Öffentlichkeit und der von ihr in Auftrag gegebenen externen Studie zur Kenntnis, wonach:

a)

es in den Bereichen, die unter die acht Richtlinien fallen, keine Behinderungen des Handels gibt;

b)

die Richtlinien immer seltener zum Einsatz kommen, da sie mittlerweile veraltete Geräte betreffen;

c)

dem technischen Fortschritt durch internationale Normen und einzelstaatliche Rechtsvorschriften Rechnung getragen wird, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhen.

1.3.   Die in diesem Bereich bestehenden nationalen Rechtsvorschriften gewährleisten in ausreichender Weise, dass keine Hindernisse für den Handel entstehen, weshalb auf die Anwendung der hier behandelten Richtlinien verzichtet werden kann. Nach Ansicht des EWSA sollten die Mitgliedstaaten nach Aufhebung der Richtlinien ihre nationalen Rechtsvorschriften unverändert beibehalten.

2.   Einleitung

2.1.   Die Vereinfachung des Rechtsvorschriften ist eine in der Gemeinschaftsinitiative „Bessere Rechtsetzung“ festgeschriebene vorrangige Maßnahme der Europäischen Union und als solche in der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung verankert. Damit angestrebt wird eine Rechtsetzung, die sowohl auf Gemeinschafts- wie auf nationaler Ebene weniger aufwändig, leichter anwendbar und damit im Hinblick auf ihre Ziele wirksamer ist.

2.2.   Das allgemeine Ziel besteht darin, auf Gemeinschaftsebene ein rechtliches Umfeld zu schaffen, dass den höchsten Standards der Rechtsetzung unter Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gerecht wird.

2.3.   Diesen Grundsätzen zufolge muss die Überarbeitung des acquis zu einem kontinuierlichen und systematischen Prozess werden, der es dem Gesetzgeber ermöglicht, die Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung aller rechtmäßigen Interessen der beteiligten Akteure zu überprüfen.

2.4.   Die Kommission hebt im Zuge der Vereinfachung immer dann Rechtsakte auf, wenn diese aufgrund des technischen bzw. technologischen Fortschritts, der Weiterentwicklung der Gemeinschaftspolitik in den einzelnen Bereichen, der veränderten Anwendung der Bestimmungen der Verträge oder der Ausarbeitung internationaler Normen ihre Bedeutung verloren haben oder mittlerweile überholt sind.

3.   Kontext

3.1.   Das von den Richtlinien über das Messwesen 71/317/EWG, 71/347/EWG, 71/349/EWG, 74/148/EWG, 75/33/EWG, 76/765/EWG, 76/766/EWG und 86/217/EWG gebildete Regelwerk wurde in den 1970er Jahren mit dem Ziel formuliert, Hindernisse für den freien Warenverkehr im Binnenmarkt, die aufgrund der unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften in diesem Bereich bestehen, zu beseitigen.

3.2.   Die Kommission betont, dass das von den acht EWG-Richtlinien zum Messwesen gebildete Regelwerk insofern überholt ist, als mittlerweile nationale Rechtsvorschriften in diesem Bereich erlassen wurden, um die erforderlichen Anpassungen an den technologischen Fortschritt und die von den internationalen Normen vorgegebenen Standards (1) vorzunehmen. Durch die Aufnahme von Klauseln zur gegenseitigen Anerkennung konnte sichergestellt werden, dass Messgeräte mit einem vergleichbaren Leistungsniveau zugelassen werden, auch wenn sie gemäß den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaates entwickelt wurden.

3.3.   Ausgehend von einer öffentlichen Konsultation und einer externen Studie hat die Kommission festgestellt, dass in den Bereichen, die unter die hier behandelten Richtlinien fallen, derzeit keine Hindernisse für den Handel bestehen. Überdies hat sich gezeigt, dass die Richtlinien Geräte betreffen, die immer seltener zum Einsatz kommen.

3.4.   Der Vorschlag der Kommission zur Aufhebung der acht fraglichen Richtlinien gehorcht der Notwendigkeit, zwei verschiedene Ziele miteinander in Einklang zu bringen: Zum einen soll die Zahl der EU-Rechtsvorschriften gesenkt werden und zum anderen darf der Binnenmarkt dadurch nicht beeinträchtigt werden.

4.   Bemerkungen

4.1.   Der Vorschlag der Kommission ist stichhaltig in Anbetracht des erklärten Ziels, die Zahl der EU-Rechtsvorschriften zu senken, ohne dadurch den Binnenmarkt zu beeinträchtigen. In dem Bereich, der durch diese Richtlinien geregelt wird, gibt es einzelstaatliche Regelungen, die auf den in den internationalen Normen vorgesehenen Standards sowie auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung beruhen und auf der Höhe des technologischen Fortschritts sind. Diese Regelungen erzielen die gleiche Wirkung wie das von den acht aufzuhebenden Richtlinien gebildete Harmonisierungsregelwerk.

4.2.   Die Aufhebung der acht Richtlinien über das Messwesen steht im Einklang mit der Gemeinschaftsstrategie zur Vereinfachung der EU-Rechtsvorschriften durch Aufhebung jener Rechtsakte, die aufgrund ihrer geringfügigen Wirkung ihre Bedeutung verloren haben und folglich überholt sind.

4.3.   Der EWSA hält es für zweckmäßig, dass nach Aufhebung der Richtlinien regelmäßige Kontrollen der nationalen Rechtsvorschriften betreffend neue wie alte Technologien eingeführt werden, um die Wirksamkeit eines auf Freiwilligkeit basierenden Standardisierungssystems zu gewährleisten.

4.4.   Der EWSA anerkennt und begrüßt die von der Kommission unternommenen Anstrengungen zur Einbeziehung aller Interessenträger des von dem Vorschlag betroffenen Bereichs. Ausdruck dieser Bemühungen war eine umfassende Konsultation der Öffentlichkeit im Zeitraum zwischen Mai und Juli 2008, bei der die Reaktionen der Messgerätehersteller, der Käufer, der Verbraucher und der Behörden erfasst wurden.

Brüssel, den 14. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Internationale Standardbestimmungen und Empfehlungen, die für die Mitgliedsländer ein gemeinsames internationales Fundament bilden, auf dessen Grundlage sie ihre jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften formulieren können. Es handelt sich insbesondere um die Empfehlungen der Internationalen Organisation für das gesetzliche Messwesen (OIML). Diese Organisation wurde 1955 auf der Grundlage eines Übereinkommens mit dem Ziel gegründet, die weltweite Vereinheitlichung der gesetzlichen Messverfahren zu fördern. Es handelt sich um eine zwischenstaatliche Organisation, die über eine weltweite technische Struktur messtechnische Empfehlungen an die Mitgliedsländer formuliert, die als Leitlinien für die Ausarbeitung regional und national gültiger Anforderungen für die Herstellung und Verwendung von Messgeräten im Rahmen des gesetzlichen Messwesens dienen.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“

(KOM(2008) 543 endg. — 2008/0211 (COD))

(2009/C 277/10)

Berichterstatter: Richard ADAMS

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 12. Januar 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere

(KOM(2008) 543 endg. - 2008/0211 (COD)).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. April 2009 an. Berichterstatter war Richard ADAMS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 173 gegen 14 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt diese längst überfällige Richtlinie, die die Auswahl, die Verwendung und die Behandlung für wissenschaftliche Zwecke verwendeter Tiere normen und regulieren soll. Allerdings ist er skeptisch in der Frage, inwieweit die Richtlinie in der Praxis zur Vermeidung, Verminderung und Verbesserung der Verwendung von Versuchstieren führen wird. Daher hebt der Ausschuss neben den im Hauptteil des Textes enthaltenen Bemerkungen die folgenden Empfehlungen hervor.

1.2.   Die Kommission sollte die Zahl der zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tiere strenger überwachen. Dazu könnten neue, sektorspezifische Ansätze zur Datenerfassung und -überwachung nötig sein, von denen einige außerhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinie liegen.

1.3.   Die Richtlinie soll eine Harmonisierung von Forschungsüberprüfungen in allen Mitgliedstaaten erforderlich machen und vorschreiben, dass eine Datenbank über vorhandene Tierversuche eingerichtet wird, auf die die zuständigen Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten bei der Genehmigung von Projekten und Verfahren zugreifen können.

1.4.   Die Rolle des Europäischen Zentrums zur Validierung alternativer Methoden (ECVAM) sollte von seiner unterstützenden Forschungsfunktion auf eine zentrale Koordinationsfunktion ausgeweitet werden. Es sollte ein europäisches Exzellenzzentrum eingerichtet werden, um die Entwicklung des 3R-Prinzips in allen derzeitigen Tierversuchen, einschließlich der medizinischen Grundlagenforschung, voranzutreiben. Dieser allgemeine, nach der englischen Abkürzung als 3R-Prinzip bezeichnete Ansatz („replace, reduce and refine - vermeiden, vermindern und verbessern“) wurde erstmals 1958 definiert.

1.5.   Als „schwer“ eingestuften Versuchen sollte bei den Bemühungen, humane Alternativen zu finden, besondere Aufmerksamkeit gelten. Verfahren, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu übermäßigen Schmerzen, Qualen oder Ängsten führen, sollten nur dann angewandt werden, wenn es keine alternativen und effizienten Methoden zur Erforschung bestimmter, für Menschen bedrohlicher Krankheiten gibt. „Übermäßig“ wird hier definiert als ein Ausmaß an Schmerzen oder Angst, das über dem in der Richtlinie festgelegten Schweregrad „schwer“ liegt.

1.6.   Darüber hinaus sollte die Richtlinie vorschreiben, dass nichtmenschliche Primaten in Tierversuchen sobald wie möglich nur noch dann verwendet werden dürfen, wenn sie Nachkommen eines Tieres sind, das in Gefangenschaft gezüchtet wurde.

1.7.   In der Richtlinie sollte explizit erwähnt werden, dass das Recht der Mitgliedstaaten, strengere Maßnahmen im Hinblick auf die Unterbringung und Pflege von Versuchstieren zu ergreifen, nicht einschränkt wird.

1.8.   Der Ausschuss fordert die Wissenschaftler auf anzuerkennen, dass ihre Forschungsprogramme sowohl in der Theorie als auch in der Praxis völlig mit den Zielen des 3R-Prinzips in Einklang gebracht werden können, und sich für diesen dynamischen Ansatz einzusetzen.

2.   Einleitung

2.1.   In zahlreichen EU-Richtlinien, Beschlüssen und Verordnungen geht es um das Wohlergehen und den Schutz von Tieren, seien es Haustiere oder landwirtschaftliche Nutztiere. In dem Protokoll Nr. 33 über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere (1), das dem Vertrag von Amsterdam beigefügt ist, heißt es: „In dem Wunsch sicherzustellen, dass der Tierschutz verbessert und das Wohlergehen der Tiere als fühlende Wesen berücksichtigt wird […]“. Auf diese Weise erkannte die EU an, dass Tiere über einen höheren Status verfügen als Eigentum oder Gegenstände und dass der Umgang mit ihnen von ethischen Überlegungen geleitet und durch Vorschriften geregelt werden sollte. Höhere Säugetiere verfügen über diesen Status, da sie genau wie Menschen Schmerzen und Freude empfinden können, sich ihrer eigenen Existenz bewusst sind und ein langes und angenehmes Leben führen möchten. Einige dieser Tierarten haben ein dem Menschen vergleichbares Nervensystem, weshalb sie zu vielerlei Zwecken in Laborversuchen verwendet werden. Die Ergebnisse dieser Versuche haben einen unterschiedlich großen Nutzen für die Menschen, die Tiere selbst oder die Umwelt, können jedoch in einigen Fällen zu Qualen oder sogar zum Tod der betroffenen Tiere führen.

2.2.   Diese Richtlinie, durch die die Rechtsvorschriften aus dem Jahr 1986 (2) überarbeitet werden, gehört zu einer Reihe von Rechtsakten, in denen sich der Einstellungswandel bezüglich der Verwendung von Versuchstieren widerspiegelt. Kürzlich sind die Richtlinien zum Schlachten und Transport von Tieren überarbeitet und der Aktionsplan der Gemeinschaft für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren eingeführt worden, mit denen sich der Ausschuss gerade erst befasst hat (3). Ein nahezu vollständiges EU-weites Verbot des Verkaufs von Kosmetika, die in Tierversuchen getestet wurden, sowie ein Verbot aller Tierversuche für die Kosmetikindustrie sind in diesem Jahr in Kraft getreten (4).

2.3.   Die vorgeschlagene Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere wird Teil dieses Regelwerks sein. Sie unterstützt das allgemeine, von Wissenschaftlern grundsätzlich mitgetragene Ziel, die Verwendung von Versuchstieren zu vermeiden, zu vermindern und zu verbessern (3R-Prinzip). Der Ausschuss wird sich in dieser Stellungnahme daher mit der Frage befassen, ob der Richtlinienvorschlag zur Verwirklichung dieses Ziels beitragen wird und in welchem Maße ein Gleichgewicht zwischen Tierschutz, Nutzen für den Menschen und wissenschaftlichem Fortschritt hergestellt worden ist.

3.   Zusammenfassung der vorgeschlagenen Richtlinie

3.1.   Umfang und zulässige Forschungszwecke

3.1.1.   Die Richtlinie gilt für Tiere (hauptsächlich Wirbeltiere), die für wissenschaftliche Zwecke gezüchtet oder verwendet werden. Die Landwirtschaft und Tierhaltung sowie veterinärmedizinische Praktiken sind davon ausgenommen. Zu den zulässigen Forschungszwecken gehören die Grundlagenforschung zum Ausbau des Wissens in den Bio- und Verhaltenswissenschaften; die Forschung zur Verhütung, Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von Krankheiten oder der Beurteilung, Feststellung, Regulierung oder Veränderung physiologischer Merkmale; die Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln, Lebensmitteln und anderen Produkten zu einem der oben genannten Zwecke; der Schutz der Umwelt im Interesse des Wohlbefindens der Menschen; die Forschung im Hinblick auf die Erhaltung der Artenvielfalt; die Hochschul- oder Berufsbildung sowie forensische Untersuchungen.

3.2.   Tierarten

3.2.1.   Primaten müssen speziell zu Forschungszwecken gezüchtet worden sein und dürfen ausschließlich in Verfahren eingesetzt werden, die „zur Verhütung, Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von klinischen Zuständen durchgeführt [werden], die für Menschen lebensbedrohend sind oder zu Invalidität führen“. Die Verwendung von Menschenaffen ist verboten. Allerdings ist eine „Schutzklausel“ vorhanden, die es den Mitgliedstaaten mit Zustimmung der Europäischen Kommission erlaubt, Menschenaffen zu Forschungsmaßnahmen zu verwenden, die zur Erhaltung einer Art oder im Zusammenhang mit dem unerwarteten Ausbruch einer lebensbedrohenden Krankheit von wesentlicher Bedeutung sind. Gefährdete Tierarten dürfen ausschließlich in der translationalen oder angewandten Forschung und den entsprechenden Versuchen verwendet werden, nicht jedoch für die Grundlagenforschung. Streunende und verwilderte Haustiere dürfen nicht verwendet werden. Dies gilt auch für Tiere aus freier Wildbahn, es sei denn, es wird eine wissenschaftliche Begründung vorgelegt. Darüber hinaus müssen die üblichen, für Tierversuche verwendeten Tierarten (Mäuse, Ratten, Meerschweinchen, Hamster, Wüstenrennmäuse, Kaninchen, Frösche, Hunde und Katzen) speziell zu Versuchszwecken gezüchtet worden sein.

3.3.   Schweregrad der Verfahren

3.3.1.   Es werden vier Schweregrade definiert: gering, mittel, schwer oder „keine Wiederherstellung der Lebensfunktion“ (d.h. unter Vollnarkose getötet). Die Kommission wird Kriterien für die Einstufung der Verfahren festlegen, die von einem Regulierungssausschuss angenommen werden sollen. Diese Kriterien, für die bestimmte Beschränkungen gelten, sind für die Ergreifung von Maßnahmen zum Wohlergehen und der Pflege der Tiere sowie für die erneute Verwendung von Tieren in Versuchen von Bedeutung.

3.4.   Genehmigung

3.4.1.   Einzelpersonen benötigen Genehmigungen zur Beaufsichtigung und Durchführung von Verfahren, zum schmerzfreien Töten von Tieren und zur Überwachung des Tierpflegepersonals. Einrichtungen benötigen eine Genehmigung zur Züchtung, Lieferung oder Verwendung von Versuchstieren. Namentlich benanntes Personal muss die Verantwortung für die Projekte tragen sowie Maßnahmen im Falle einer Nichteinhaltung der Vorschriften ergreifen. Jede Einrichtung muss über ein ständiges Gremium verfügen, das ethische Überprüfungen vornimmt. Projektgenehmigungen von bis zu vier Jahren können von der zuständigen Behörde vergeben werden, die von dem jeweiligen Mitgliedstaat mit dieser Aufgabe betraut wurde. Diese stützt sich dabei auf eine transparente ethische Bewertung, die die wissenschaftliche oder juristische Begründung des Projekts beinhaltet; die Anwendung des 3R-Prinzips bei der Projektgestaltung; den Schweregrad der entsprechenden Verfahren sowie auf eine Schaden-Nutzen-Analyse (in deren Rahmen bewertet wird, ob die Verwendung und das Leiden der Tiere durch die erwarteten wissenschaftlichen Fortschritte, die letztlich Menschen, Tieren oder der Umwelt zugute kommen, gerechtfertigt sind).

3.4.2.   Nichttechnische Projektzusammenfassungen müssen im Antrag für alle genehmigungspflichtigen Projekte öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Die Mitgliedstaaten können bei Projekten, in denen keine Primaten verwendet werden und deren Schweregrad als „gering“ eingestuft wurde, ein vereinfachtes Antragssystem anwenden (das solche Zusammenfassungen beinhaltet).

3.5.   Pflege und Kontrolle

3.5.1.   Die Leitlinien des Europäischen Übereinkommens zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere (Europarat, Sammlung der europäischen Verträge Nr. 123) über die Unterbringung und die Pflege von Versuchstieren werden überwiegend bindenden Charakter erhalten. Alle Mitgliedstaaten müssen über eine angemessene Infrastruktur mit einer ausreichenden Anzahl geschulter Inspektoren verfügen. Jede Einrichtung soll mindestens zweimal im Jahr von der zuständigen nationalen Behörde inspiziert werden; mindestens eine dieser Inspektionen wird unangekündigt erfolgen. In größeren Einrichtungen sollen häufiger Inspektionen stattfinden. Die Kommission soll die Infrastruktur und die Durchführung der nationalen Inspektionen kontrollieren. Detaillierte Aufzeichnungen zu der Herkunft, Verwendung, privaten Unterbringung und der Beseitigung der Tiere sind erforderlich, wobei zusätzliche Bestimmungen für Hunde, Katzen und nichtmenschliche Primaten gelten.

3.6.   Alternativen zur Verwendung von Tieren

3.6.1.   Die Daten zu den in einem bestimmten Mitgliedstaat gesetzlich vorgeschriebenen Versuchsmethoden werden von allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt, um die doppelte Durchführung von Versuchen zu vermeiden. Jeder Mitgliedstaat soll die Entwicklung alternativer Ansätze ohne Versuchstiere unterstützen und muss ein nationales Referenzlaboratorium für die Validierung alternativer Methoden bestimmen. Die Kommission legt in Absprache mit den Mitgliedstaaten die Prioritäten für diese nationalen Referenzlaboratorien fest und koordiniert diese. Gibt es eine Versuchsmethode, bei der keine Tiere verwendet werden und die anstelle eines Tierversuchsverfahrens zum Einsatz kommen kann, müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die alternative Methode angewandt wird. Die Mitgliedstaaten müssen darüber hinaus sicherstellen, dass die Anzahl der in Projekten verwendeten Versuchstiere auf ein Minimum reduziert wird, ohne dass die Ziele des Projekts beeinträchtigt werden.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.   Obwohl es mehr und mehr Daten zu Tierversuchen gibt, ist bei der Zahl der zu Versuchszwecken verwendeten Tiere in letzter Zeit ein Aufwärtstrend zu verzeichnen; Schätzungen zufolge liegt sie in Europa nun bei etwa 12 Millionen. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass „überzählige“ Tiere, d.h. Tiere, die gezüchtet, aber nicht verwendet werden und anschließend entsorgt werden müssen, sowie Tiere, die gezüchtet und getötet werden und deren Gewebe anschließend für Versuche verwendet wird, nicht in den Zahlen berücksichtigt sind (Daten zu der Zahl der verwendeten Tiere, die auf freiwilliger Basis zur Verfügung gestellt wurden, sind von der Europäischen Kommission in dem Fünften Bericht über die statistischen Angaben zur Anzahl der in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union für Versuchs- und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere vom 5.11.2007 veröffentlicht worden. So machen z.B. Nager und Kaninchen zusammen 77,5 %, Vögel 5,4 % und nichtmenschliche Primaten 0,1 % der insgesamt verwendeten Tiere aus). Zum Teil lässt sich dies durch die allgemeine Tendenz erklären, dass Forscher für ihre Experimente zunehmend auf genetisch veränderte Tiere zurückgreifen, sowie durch die neuen Rechtsvorschriften für Versuche, wie z.B. die REACH-Verordnung (5). Tierschutzorganisationen sind besorgt über die allgemeinen Auswirkungen der REACH-Verordnung auf Tierversuche, die zu einer Zunahme der Anzahl der zu Forschungszwecken verwendeten Tiere führen werden. Andere, wie z.B. der WWF (http://www.wwf.org.uk/filelibrary/pdf/aniamltesting03.pdf, nur in Englisch verfügbar), wiesen darauf hin, dass der ökologische Nutzen für die Fauna langfristig bedeutende Vorteile mit sich bringen wird.

4.2.   Biomedizinische Forschungsstellen haben zahlreiche Punkte des Richtlinienentwurfs angesprochen, die geklärt werden müssten. Zu den hauptsächlichen Bedenken gehören offenbar, dass der Verwaltungsaufwand und die Bürokratie zunehmen, das Recht zum Schutz vertraulicher Forschungsprojekte geschwächt sowie militanten Gruppen der Zugang zu Informationen und Verfahren erleichtert werden könnte. Die Verwender von Versuchstieren äußern häufig ihre Frustration darüber, dass die Öffentlichkeit und militante Gruppen oftmals nicht verstehen, dass Tierversuche aufgrund ihrer hohen Kosten und ihrer ethischen Fragwürdigkeit häufig nur als letzte Möglichkeit zur Anwendung kommen. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass sich die Forschungsindustrie zwar in gewissem Umfang bei allen genannten Punkten auf Argumente stützen kann, dass diese Fragen jedoch bei der Konzipierung der Richtlinie bereits voll und ganz berücksichtigt wurden.

4.3.   Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Vermeidung der Verwendung von Versuchstieren letztendlich einen kommerziellen Nutzen für die Unternehmen bedeutet. Da Tierversuche kostspielig und zeitaufwändig sind, werden Alternativen nämlich zu künftigen kommerziellen Vorteilen führen.

4.4.   Der Ausschuss ist der Ansicht, dass in dem Richtlinienvorschlag nicht ausreichend auf die Fortschritte bei der Entwicklung alternativer Versuchsmethoden ohne Versuchstiere eingegangen wird. Da die Kommission über keine Rechtsgrundlage verfügt, auf der sie eine Harmonisierung von Forschungsüberprüfungen in allen Mitgliedstaaten vorschreiben kann, bezweifelt der EWSA, dass es möglich sein wird, dass die zuständigen Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten eine Datenbank über vorhandene Tierversuche einrichten und bei der Genehmigung von Projekten und Verfahren effektiv anwenden. Die Kommission sollte alles in ihrer Macht stehende tun, um sicherzustellen, dass die nationalen Genehmigungsbehörden und nationalen Zentren zur Validierung alternativer Methoden umfassend über die Tätigkeiten ihrer entsprechenden Partnereinrichtungen informiert und in der Lage sind, gemeinsame Ansätze zu entwickeln, um Wettbewerbsverzerrungen auf dem Binnenmarkt zu vermeiden.

4.5.   In einigen Mitgliedstaaten besteht ein reges öffentliches Interesse an Tierversuchen und eine gewisse Sensibilität in Bezug auf dieses Thema. Der EWSA sieht sich ganz auf einer Linie mit der öffentlichen Meinung, wenn er darauf dringt, dass das Leiden der Tiere möglichst gering zu halten ist, gleichzeitig aber auch akzeptiert werden sollte, dass Tierversuche in einigen Fällen zum Wohl der Allgemeinheit nötig sind.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.   Der Ausschuss erkennt an, dass der Richtlinienvorschlag einen Einfluss darauf haben könnte, dass die Zahl der Versuchstiere verringert und der Schutz der Tiere verbessert wird. Auch wenn das langfristige Ziel in einer deutlichen Verringerung der Zahl von Versuchstieren bestehen sollte, könnte es kontraproduktiv sein, Zielvorgaben festzulegen, da die reglementierte Verwendung dadurch in Nicht-EU-Länder gedrängt werden könnte. Allerdings sollte die Kommission versuchen, Wege zu finden, um die Zahl der Versuchstiere zu überwachen, und den von ihr gewählten Ansatz gegebenenfalls überdenken. Dazu könnten neue, sektorspezifische Ansätze zur Datenerfassung und -überwachung nötig sein, von denen einige außerhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinie liegen.

5.2.   Die derzeitigen Aktivitäten der EU zur Entwicklung von Alternativen konzentrieren sich insbesondere auf den Bereich der Toxikologie, der zurzeit einen Anteil von unter 10 % der Tierversuche ausmacht. Ein EU-weiter Ansatz zur Entwicklung von Alternativen in allen Forschungsgebieten, in den Tiere verwendet werden (Artikel 44-47), ist sehr erwünscht, wobei die Aufsicht über die Koordination eine wichtige Aufgabe sein wird. Um die Verwendung alternativer Verfahren deutlich zu steigern, sind beträchtliche Anstrengungen von Seiten der multidisziplinären Forschungsgruppen und Rechtsetzungsakteure erforderlich, und es wird eine stärkere Unterstützung des 1991 von der EU eingerichteten Europäischen Zentrums für die Validierung alternativer Methoden (ECVAM) und anderer europäischer und nationaler Zentren nötig sein. Die Rolle des ECVAM sollte von seiner unterstützenden Forschungsfunktion zu einer zentralen Koordinationsfunktion ausgeweitet werden, um Alternativmethoden stärker zu verbreiten. Darüber hinaus empfiehlt der Ausschuss, ein europäisches Exzellenzzentrum einzurichten, um die Entwicklung von Methoden, die mit dem 3R-Prinzip in Einklang stehen, in allen derzeitigen Verfahren, einschließlich der medizinischen Grundlagenforschung, zu fördern und ihr Vorrang zu geben. Dieser Aufgabenbereich wäre deutlich umfassender als der des ECVAM.

5.3.   Die REACH-Verordnung ist eine große Herausforderung sowohl für die Industrie als auch für die Regulierungsbehörden, sofern der Zeitplan eingehalten werden soll. Sie bietet aber auch eine Gelegenheit zur Erarbeitung progressiver Versuchsstrategien, die nicht nur zur Entwicklung von Alternativen und der Verringerung des Leidens der Tiere, sondern auch zu einer Verbesserung der Daten und einer Reduzierung der Kosten für die Industrie aufgrund effizienterer Methoden führen werden. Mehrstufige Versuchsansätze auf Grundlage der Arbeiten des ECVAM sind bereits von zahlreichen Autoren angesprochen worden und sollten in Betracht gezogen werden. Solche Ansätze kommen, insbesondere in Nordamerika, bereits zur Anwendung.

5.4.   Der Ausschuss teilt die mehrheitliche wissenschaftliche Meinung, dass Tierversuche einen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung geleistet haben und dies auch in Zukunft tun werden. Allerdings müssen die Wissenschaftler, die an Tierversuchen beteiligt sind, auch in der Lage sein, die Beschränkungen der derzeitigen Ansätze zu akzeptieren und alle vorhandenen Methoden in Betracht zu ziehen, wenn sie prüfen, ob spezielle Experimente sinnvoll sind. Forschungsprogramme, in denen der Nutzen von Tierversuchen als zweifelhaft betrachtet wird, sollten bei der Entwicklung von Alternativen Vorrang haben. Der Ausschuss begrüßt die geplante rückwirkende Bewertung des Nutzens von Tierversuchen und ist der Ansicht, dass diese Bewertung – wenn sie auf alle Verfahren angewendet wird – die Aussicht bietet, die mehrfache Verwendung von Tieren zu verhindern und den Anliegen einiger Interessengruppen im Hinblick auf den Nutzen einiger Tierversuche Rechnung zu tragen.

5.5.   Der Ausschuss begrüßt die kommende Einstufung von Verfahren im Hinblick auf das Ausmaß an Schmerzen, das sie für die Tiere verursachen. Als „schwer“ eingestuften Versuchen sollte bei den Bemühungen, humane Alternativen zu finden, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Verfahren, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu übermäßigen Schmerzen, Qualen oder Ängsten führen, sollten nur dann angewandt werden, wenn es keine alternativen und effizienten Methoden zur Erforschung bestimmter, für Menschen bedrohlicher Krankheiten gibt.

5.6.   In der Richtlinie ist vorgesehen, dass jeder Mitgliedstaat die Entwicklung und Verwendung von Verfahren und Ansätzen unterstützen soll, die das 3R-Prinzip fördern, um die Verwendung und das Leiden der Tiere zu verringern. Dies kann zum Teil durch eine verbesserte Versuchsgestaltung geschehen oder aber dadurch, dass die doppelte Durchführung von Verfahren vermieden und keine unnötig umfangreichen Sondierungsstudien durchgeführt werden. Methoden zur Verringerung, Verbesserung und letztlich zur Vermeidung von Tierversuchen als Teil integrierter Versuchsstrategien, wie In-vitro-Tests, quantitative Struktur-Wirkungs-Beziehungen (QSAR), Expertensysteme, Computersimulation und statistische Methoden, müssen unterstützt werden. Die Mitgliedstaaten sollten des Weiteren dazu angehalten werden, eine Stelle zu benennen, die über solche Initiativen Bericht erstattet, um sicherzustellen, dass Alternativen entwickelt und angewandt werden.

5.7.   Der Ausschuss begrüßt die in der Richtlinie vertretene Meinung, die Verwendung von Menschenaffen nahezu vollständig zu verbieten.

5.8.   Der Ausschuss erkennt an, dass nichtmenschliche Primaten weiterhin in speziellen Forschungskontexten verwendet werden dürfen, ist jedoch der Auffassung, das das langfristige Ziel darin bestehen sollte, in Versuchen auf alle Arten von Primaten zu verzichten, sobald ausreichende Alternativen vorhanden sind. In der Zwischenzeit sollte die Richtlinie vorschreiben, dass nichtmenschliche Primaten nur noch dann in Tierversuchen verwendet werden dürfen, wenn sie Nachkommen von Tieren sind, die in Gefangenschaft gezüchtet wurden. Die zuständigen Behörden dürfen Ausnahmen genehmigen unter der Voraussetzung, dass eine wissenschaftliche Begründung vorgelegt wird (Artikel 10). Angesichts der Ungewissheit schlägt der Ausschuss vor, dass die Kommission fünf Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie eine Tierschutzbewertung und eine Durchführbarkeitsprüfung über die Umsetzung dieser Anforderungen durchführen sollte.

5.9.   Zurzeit wird in der Richtlinie gefordert, dass die Mitgliedstaaten die Mindestnormen für die Pflege und Unterbringung der Tiere anwenden, die in Anhang IV festgelegt sind. Die Kommission kann diese Normen gemäß dem vorgeschlagenen Ausschussverfahren an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt anpassen und verbindlich machen (Artikel 32). Artikel 95 des Vertrags, die Rechtsgrundlage dieser Richtlinie, gesteht den Mitgliedstaaten, die höhere Standards anwenden wollen, dies nur nach sehr strengen Verfahren zu. Um Ungewissheiten auszuräumen, spricht sich der Ausschuss für die Aufnahme einer expliziten Bestätigung in Artikel 32 aus, dass die Richtlinie nicht das Recht der Mitgliedstaaten beschneiden wird, strengere Maßnahmen in Bezug auf die Unterbringung und die Pflege von Versuchstieren anzuwenden oder zu ergreifen.

5.10.   In ihrer derzeitigen Fassung erfordert die Richtlinie, dass die Entscheidung über die Erteilung einer Projektgenehmigung binnen 30 Tagen nach der Einreichung des Antrags getroffen und der Einrichtung mitgeteilt wird. Sollte ein Mitgliedstaat innerhalb dieser Frist keine Entscheidung treffen, so gilt die Genehmigung als erteilt, wenn bei dem Projekt nur als „gering“ eingestufte Verfahren und keine nichtmenschlichen Primaten verwendet werden (Artikel 43). Der Ausschuss hält dies für nicht gerechtfertigt und ist der Auffassung, dass dies nicht gelten sollte, wenn die ethische Bewertung Bestandteil des Genehmigungsverfahrens ist.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  ABl. C 340 vom 10.11.1997.

(2)  ABl. L 358 vom 18.12.1986.

(3)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 25, ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 13, ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 54, ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 18, ergänzende Stellungnahme CESE 879/2009 (NAT/431) vom 13. Mai 2009.

(4)  ABl. L 262 vom 27.9.1976, ABl. L 66 vom 11.3.2003.

(5)  ABl. L 396 vom 30.12.2006.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/56


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Durchführung einer Gemeinschaftsregelung zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik“

(KOM(2008) 721 endg. — 2008/0216 (CNS))

(2009/C 277/11)

Berichterstatter: Richard ADAMS

Der Rat beschloss am 15. Dezember 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Durchführung einer Gemeinschaftsregelung zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik

KOM(2008) 721 endg. - 2008/0216 (CNS).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. April 2009 an. Berichterstatter war José María ESPUNY MOYANO.

Auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) lehnte der Ausschuss die Stellungnahme der Fachgruppe ab und verabschiedete mit 98 gegen 75 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen die folgende, von Richard ADAMS verfasste Gegenstellungnahme:

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die grundlegende Reform des Fischereikontrollsystems durch die Kommission und würdigt diese sowohl als Kernstück der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) als auch als eine äußerst wichtige und dringende Umstrukturierungsmaßnahme, mit der die Effizienz der GFP bereits im Vorfeld der vorgeschlagenen großen Reform verbessert wird.

1.2.   Der EWSA ist der Auffassung, dass das gegenwärtige Fischereikontrollsystem in der EU beträchtliche Unzulänglichkeiten aufweist: Es ist ineffizient, teuer, kompliziert und führt zu keinerlei Ergebnissen. Diese Mängel haben erhebliche Folgen für die Nachhaltigkeit der Fischereiressourcen, die Fischereiwirtschaft, die von Fischerei abhängigen Regionen und die Umwelt. Der EWSA weist darauf hin, dass auch die Kommission diese Ansicht teilt.

1.3.   Insbesondere hat die GFP bei einigen Beteiligten eine Haltung des Verzögerns, des Ausweichens, der widerstrebenden Umsetzung oder der Nichteinhaltung hervorgerufen. Die Reform des Kontrollsystems soll eine Änderung dieses ablehnenden, auf Nichteinhaltung bedachten Denkens bewirken. Sie ist Ausdruck des neuen Ansatzes, der im April 2009 im Grünbuch zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik skizziert wurde, und wird somit die Bereitschaft der Beteiligten zu einem Wandel auf die Probe stellen.

1.4.   Über 75 % der weltweiten Fischereiressourcen sind erschöpft oder überfischt. 88 % der EU-Bestände werden über ihren höchstmöglichen Dauerertrag hinaus befischt.

1.5.   Das derzeitige Kontrollsystem in der EU ist inadäquat und stellt die Vertrauenswürdigkeit der Basisdaten, auf deren Grundlage wissenschaftliche Gutachten erstellt werden, in Frage. Aufgrund der Unzuverlässigkeit der Daten sind weiterhin nicht-nachhaltige Fangmengen möglich. Betrügerische Praktiken sind schwer aufzudecken, und die auferlegten Strafzahlungen sind oft niedriger als die möglichen Gewinne aus der Überfischung. Des Weiteren fehlen der Kommission die rechtlichen Mittel, um schnell und wirkungsvoll eingreifen zu können, wenn sie ein Problem in der Durchführung der nationalen Kontrollsysteme feststellt. Zugleich bieten neue Technologien ein Potenzial, das nicht voll ausgeschöpft wird.

1.6.   Der EWSA ist der Überzeugung, dass mit dem neuen System ein umfassender und integrierter Ansatz für die Kontrolle eingeführt werden würde, der alle Aspekte der Gemeinsamen Fischereipolitik umfasst und die gesamte Kette aus Fang, Anlandung, Transport, Verarbeitung und Vertrieb - vom Meer bis auf den Tisch - abdeckt.

1.7.   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission ihrer Aufgabe, wichtige Interessenträger anzuhören, nachgekommen ist, eine fundierte Folgenabschätzung vorgelegt hat und zu Recht auf eine rasche Reform drängt und nicht warten möchte, bis die Weichen für die Gemeinsame Fischereipolitik nach 2012 gestellt sind.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


ANHANG

Die folgende Stellungnahme der Fachgruppe wurde zugunsten der vom Plenum verabschiedeten Gegenstellungnahme abgelehnt, hat aber mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen erhalten.

1.   Schlussfolgerungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erkennt an, dass es notwendig ist, die Kontrollregelung der Gemeinsamen Fischereipolitik zu vereinfachen, und ist mit den Grundsätzen der vorgeschlagenen Reform einverstanden.

1.2.   Der Ausschuss ist jedoch der Ansicht, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für die Durchführung der Reform ist, da gerade erst die Diskussion über die Zukunft der Gemeinsamen Fischereipolitik nach 2012 eröffnet wurde und sehr wahrscheinlich noch Veränderungen eintreten, die die Kontrollregelung umfassend beeinflussen werden. Der EWSA empfiehlt daher, zunächst eine eingehende Untersuchung der grundlegenden Elemente der Gemeinsamen Fischereipolitik und der verschiedenen einschlägigen Managementmodelle durchzuführen und auf deren Grundlage anschließend die neuen Kontrollmaßnahmen festzulegen.

1.3.   Der Ausschuss bedauert, dass die Kommission in dem Bestreben einer zügigen Inangriffnahme der Reform die notwendige vorherige Anhörung der Beteiligten nicht angemessen durchgeführt hat. Wenn die Reform Erfolg haben soll, müssen die beteiligten wirtschaftlichen und sozialen Akteure nach Ansicht des EWSA stärker eingebunden werden.

1.4.   Der Ausschuss vertritt zudem die Auffassung, dass die Kontrollregelung durch die vorgeschlagenen Änderungen der Kontrollmechanismen nicht vereinfacht wird, sondern sich vielmehr der Umfang der Verpflichtungen für die Fischereifahrzeuge und die Fischereibehörden verglichen mit der heutigen Situation beträchtlich erhöht, und empfiehlt daher, einen ausreichend langen Übergangszeitraum vorzusehen.

1.5.   Der EWSA ist der Meinung, dass die sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieser Maßnahmen nicht gebührend abgeschätzt wurden.

1.6.   Um die Einhaltung der Vorschriften zu erleichtern, fordert der EWSA die Kommission auf, einen Anhang zu veröffentlichen, in dem die Fristen und Verpflichtungen der einzelnen Arten von Fischereifahrzeugen aufgeführt sind.

1.7.   Bezüglich der spezifischen technischen Fragen ersucht der EWSA die Kommission, den Rat und das Europäische Parlament, seine Kommentare in dem Abschnitt „Besondere Bemerkungen“ zu berücksichtigen.

2.   Einleitung

2.1.   Die Europäische Kommission veröffentlichte am 14. November 2008 drei Dokumente für die Reform der Kontrollregelung der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP): die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Durchführung einer Gemeinschaftsregelung zur Überwachung der Einhaltung der GFP-Vorschriften (1), den eigentlichen Vorschlag für eine Verordnung (2) sowie die Folgenabschätzung (3).

2.2.   Nach Ansicht der Kommission weist die 2002 eingeführte Kontrollregelung erhebliche Mängel auf, die ihre Wirksamkeit insgesamt beeinträchtigen, ist ineffizient, kostspielig und komplex und liefert nicht die gewünschten Ergebnisse. Sie schlägt daher vor, die GFP-Kontrollregelung tiefgreifend zu reformieren.

Die Kommission sieht das Hauptziel der Reform darin, eine gemeinschaftliche Regelung für die Aufsicht, Verfolgung, Kontrolle, Überwachung und Einhaltung des Regelwerks zu gewährleisten, das die Voraussetzungen für eine wirksame Umsetzung der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik schafft.

2.3.1.   Konkret strebt die Kommission mit ihrem Reformvorschlag Verbesserungen an durch

die Vereinfachung des Rechtsrahmens. In dem Vorschlag werden gemeinsame Kontrollstandards für sämtliche Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik festgelegt. Er stellt Grundsätze auf und überlässt die Regelung der Einzelheiten einer Durchführungsverordnung;

die Ausweitung des Kontrollbereichs. In dem Vorschlag werden Bereiche behandelt, die bisher außer Acht gelassen wurden (Verkehr, Märkte, Rückverfolgung), und andere Bereiche angesprochen, in denen der Kontrollbedarf gestiegen ist (Rückwürfe, Freizeitfischerei, Meeresschutzgebiete);

die Einführung gleicher Bedingungen für die Kontrollen. Durch die Einführung von harmonisierten Inspektionsverfahren sowie abschreckenden und vereinheitlichten Bußgeldern soll die gerechte Behandlung von Fischern unabhängig vom Ort ihrer Fischereitätigkeit gewährleistet und das Vertrauen in das gesamte System erhöht werden;

die Rationalisierung des Kontroll- und Inspektionsschwerpunkts. Der systematische Rückgriff auf das Risikomanagement soll es den Mitgliedstaaten und der Kommission ermöglichen, ihre Kontrollressourcen auf die Bereiche zu konzentrieren, in dem das Risiko von Verstößen am größten ist;

die Verringerung des Verwaltungsaufwands;

eine effizientere Anwendung der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik. Die Kommission wird einen Makromanagement-Ansatz verfolgen und den Schwerpunkt auf die Kontrolle und Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften seitens der Mitgliedstaaten legen.

2.4.   Der Vorschlag für eine Verordnung ergänzt die Verordnung über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei (4) und die Verordnung über die Genehmigung der Fischereitätigkeiten von Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft außerhalb der Gemeinschaftsgewässer (5). Die drei Verordnungen werden den neuen Kontrollrahmen bilden.

2.5.   Die Kommission möchte, dass die Verordnung am 1. Januar 2010 in Kraft tritt.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.   Der EWSA erkennt an, dass der Erfolg der Gemeinsamen Fischereipolitik auf der Anwendung eines effizienten, umfassenden, integrierten und diskriminierungsfreien Kontrollsystems „von der Reling bis ins Regal“ beruht, das eine nachhaltige Nutzung lebender aquatischer Ressourcen gewährleistet.

3.2.   Der Ausschuss ist ebenfalls der Ansicht, dass die Gemeinschaftsregelung reformiert werden muss, um das derzeitige System zu verbessern. Zudem ist er mit den Grundprinzipien einverstanden, auf denen der Vorschlag beruht.

3.3.   Der EWSA vertritt jedoch die Meinung, dass ernsthaft zu überlegen ist, ob diese umfassende Reform gerade jetzt durchgeführt werden sollte. Die Kommission hat erst 2008 die Diskussion über die künftige Gemeinsame Fischereipolitik nach 2012 eröffnet. In den kommenden Jahren werden die grundlegenden Elemente dieser Politik überprüft. Nach Ansicht des EWSA sollte die Reform der Kontrollregelung daher vom Inhalt der neuen Gemeinsamen Fischereipolitik abhängig gemacht werden.

3.4.   Das wichtigste Fischereimanagementinstrument der derzeitigen Gemeinsamen Fischereipolitik ist das TAC (6)- und Quotensystem. Dieses System ist in verschiedenen Foren in Frage gestellt worden (7). Da die Einhaltung der TAC und der den Mitgliedstaaten zugewiesenen Quoten eines der Hauptziele dieser Verordnung ist und die Institutionen anerkannt haben, dass dieses System eindeutig verbesserungsbedürftig ist, wäre es doch angemessener, vor einer Reform der Kontrollregelung zunächst diese Managementsysteme zu überprüfen. Der EWSA empfiehlt, zunächst eine strenge, eingehende Revision der grundlegenden Elemente der GFP und eine Analyse der verschiedenen einschlägigen Managementmodelle durchzuführen und die neuen Kontrollmaßnahmen dann daran anzupassen.

3.5.   Der Ausschuss bedauert, dass die Kommission das Legislativpaket, d.h. die Mitteilung, den Vorschlag für eine Verordnung und die Folgenabschätzung, gleichzeitig vorlegt. Gewöhnlich stellt die Kommission zunächst die Mitteilung vor, damit sie als Leitrahmen für die Diskussion über den Vorschlag dienen kann. Wenn die Reform Erfolg haben soll, ist es nach Ansicht des EWSA unabdingbar, die beteiligten Wirtschaftsakteure einzubeziehen und ausführlich mit ihnen zu diskutieren. Eine Reform von dieser Tragweite darf nicht auf die Schnelle vorgenommen werden.

3.6.   Durch den Vorschlag für eine Verordnung werden den Fischereifahrzeugen und den Fischereibehörden wesentlich mehr Verpflichtungen auferlegt. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass dies zu ernsten praktischen Problemen führen kann, da weder die Mitgliedstaaten noch die Kommission über die angemessenen strukturellen und personellen Voraussetzungen verfügen, um alle in dem Vorschlag vorgesehenen Informationen zu sammeln und zu verarbeiten. Ferner nehmen auch die Verpflichtungen für die Wirtschaftsakteure zu. Der Ausschuss hält eine Erhöhung des Verwaltungsaufwands der Mitgliedstaaten und der Wirtschaftsakteure in diesen Krisenzeiten für unangemessen, da die Folgen für Unternehmen und Arbeitsplätze (insbesondere auf Schiffen der Größenklasse von 10 bis 15 m) äußerst negativ sein können.

3.7.   Nach dem Dafürhalten des EWSA muss sich der Prozess der Vereinfachung aufgrund der Komplexität seiner Analyse und späteren Anwendung, der hohen wirtschaftlichen Kosten der eingeführten Regelungen sowie aus Gründen, die mit dem anfänglichen Mangel an Erfahrung und Orientierung zusammenhängen, schrittweise vollziehen. Die vorgeschlagenen Veränderungen sind sehr umfassend, weshalb der Ausschuss der Meinung ist, dass sie eine längere und eingehendere Diskussion erfordern. Um eine Anpassung an die Veränderungen zu ermöglichen, die letztlich in die Kontrollregelung eingebracht werden, sollte nach Ansicht des Ausschusses daher ein ausreichender Übergangszeitraum in Artikel 16 vorgesehen werden.

3.8.   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Kultur der Rechtstreue auf der Zusammenarbeit, dem Verständnis und der Bereitschaft aller Beteiligten basieren sollte, nicht auf schärferen Maßnahmen und Verfahren für Kontrolle und Sanktion. Einfachere und für die beteiligten Akteure verständlichere Vorschriften würden die Einhaltung erleichtern.

3.9.   Die Kommission beabsichtigt, wesentliche Zuständigkeiten im Kontrollbereich zu übernehmen. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass das Gleichgewicht zwischen Rat und Kommission berücksichtigt werden muss, um Kompetenzstreitigkeiten künftig zu vermeiden.

3.10.   Nach Ansicht des EWSA sollte in der Verordnung die Möglichkeit erwogen werden, die überschüssigen Fangquoten, die ungefischt bleiben, zu nutzen und anderen Mitgliedstaaten anzubieten, damit diese die Rentabilität ihrer Fischereien verbessern können.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die einem Fischereifahrzeug der Gemeinschaft erteilte Fangerlaubnis nicht auf die Gemeinschaftsgewässer beschränkt sein sollte, und empfiehlt daher, den Passus „in Gemeinschaftsgewässern generell“ in Artikel 4 Absatz 8 zu streichen.

4.2.   In Bezug auf Artikel 4 Absatz 10 ist der EWSA der Auffassung, dass die Begriffsbestimmung „Meeresschutzgebiet“ ein Gemeinschaftsverfahren für die Schaffung, Nutzung, Kontrolle und Überwachung solcher Gebiete umfassen sollte, sofern sich diese in Gemeinschaftsgewässern befinden und Auswirkungen auf die Fangtätigkeit haben.

4.3.   Die in Artikel 4 Absatz 17 festgelegte Bestimmung des Begriffs „Verarbeitung“ beinhaltet auch Verfahren zur Säuberung und Ausweidung, Kühlung und Einfrierung. Nach Auffassung des Ausschusses sollte bei der Definition des Begriffs „Verarbeitung“ auf die Veränderung der organoleptischen Eigenschaften der Meeresressourcen abgestellt werden und nicht auf die Verfahren zur eigentlichen Produktkonservierung, die dazu dienen, dem Verbraucher Fischereierzeugnisse mit besseren Gesundheitsgarantien zu bieten. Daher schlägt der Ausschuss vor, solche Tätigkeiten aus der Definition der Verarbeitung auszuschließen.

4.4.   Nach Ansicht des EWSA sollten unter Artikel 7 Buchstabe f auch Gebiete „auf hoher See“ erwähnt werden, die nicht in die Zuständigkeit regionaler Fischereiorganisationen fallen.

4.5.   Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass das in Artikel 9 beschriebene Schiffsüberwachungssystem, das eine regelmäßige Übermittlung von Daten zur Positionsbestimmung und Schiffsidentifizierung vorsieht, für Fahrzeuge mit einer Länge über alles zwischen 10 und 15 m nicht verpflichtend sein sollte. Solche Fischereifahrzeuge sind bauartbedingt in ihrer Tätigkeit eingeschränkt und fischen in leicht kontrollierbaren, küstennahen Gebieten. Zudem ist der Einbau eines solchen Systems mit erheblichen und unverhältnismäßigen Kosten für diese Teilflotte verbunden, die aus einer Vielzahl kleiner und mittelgroßer Unternehmen mit hohem Beschäftigungsniveau besteht.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die in Artikel 14 vorgesehenen Bestimmungen zum Logbuch für Fischereifahrzeuge der Gemeinschaft zu weitgehend sind, ihre Überprüfung einen erheblichen Verwaltungsaufwand verursacht und sie sich nur auf Fischereien beschränken sollten, bei denen dies ausreichend gerechtfertigt ist.

4.6.1.   Gemäß Artikel 14 Absatz 1 soll im Logbuch festgehalten werden, welche Mengen von jeder Art ins Meer zurückgeworfen wurden. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass diese Fänge erst ab einer bestimmten Menge, wie etwa 50 kg, erfasst werden sollten.

4.6.2.   In Artikel 14 Absatz 3 ist festgelegt, dass die erlaubte Toleranzspanne bei den im Logbuch eingetragenen Schätzungen der eingeholten Fangmengen (in Kilogramm) 5 % beträgt. Der EWSA weist darauf hin, dass der bereits aktuelle Wert, der in den Wiederauffüllungsplänen im restriktivsten Fall auf 8 % festgelegt wurde, schwer einzuhalten ist. Der hohe Verwaltungsaufwand, der mit einer zu niedrigen Toleranzspanne verbunden ist, und die Schwierigkeiten, die eine solche Regelung für Fischer mit sich bringt, die sie nicht einhalten können und denen eine Vielzahl von Sanktionsmaßnahmen droht, stehen im Widerspruch zu dem Ziel einer Vereinfachung der Kontrollsysteme; daher wird von einer Anwendung dieser Bestimmung abgeraten.

4.6.3.   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Umrechnungskoeffizienten, die zur Umrechnung des Gewichts von gelagertem Fisch in Lebendgewicht festgesetzt werden und die sich je nach Mitgliedstaat unterscheiden und somit die Berechnung der Fangmengen der einzelnen Staaten beeinflussen, nicht nur auf der Grundlage eines arithmetischen Durchschnittswerts der in den Mitgliedstaaten geltenden Werte festgelegt werden sollten, sondern dass dabei auch die Eigenheiten und besonderen Merkmale der jeweiligen Fischerei berücksichtigt werden sollten. Auch muss bedacht werden, wie sich die Umstellung der nationalen Umrechnungskoeffizienten auf gemeinschaftliche auf den Grundsatz der relativen Stabilität auswirken kann.

4.7.   In der Verordnung zum elektronischen Logbuch (8) ist nicht festgelegt, dass diese Maßnahme auf Fischereifahrzeuge mit einer Länge von weniger als 15 m anwendbar ist. Nach Ansicht des EWSA sollten Fischereifahrzeuge mit einer Länge zwischen 10 und 15 m nicht erfasst werden, solange die Behörden der Mitgliedstaaten nicht abschätzen können, wie diese Maßnahme bei Fischereifahrzeugen über 15 m Länge funktioniert und welche Folgen sie für sie hat, und solange nicht im Vorfeld praktische Erfahrungen gesammelt wurden. Es ist daran zu erinnern, dass das elektronische Logbuch erst ab dem 1. Januar 2010 für Fischereifahrzeuge mit einer Länge von mehr als 24 m und ab dem 1. Juli 2011 für Fischereifahrzeuge mit einer Länge von mehr als 15 m verpflichtend ist. Gleichzeitig sieht Artikel 15 des Verordnungsvorschlags nicht die geltenden Ausnahmeregelungen von den elektronischen Verfahren für Fischereifahrzeuge von über 15 m Länge vor. Daher dringt der Ausschuss auf Kohärenz zwischen den beiden Bestimmungen.

4.8.   Der EWSA ist der Auffassung, dass die in Artikel 17 vorgesehene Anmeldung ausschließlich in berechtigten Fällen verpflichtend sein sollte, wie dies gegenwärtig der Fall ist, da eine solche Anmeldung nur für Fischereifahrzeuge erforderlich ist, die Fänge von Arten an Bord haben, die unter Wiederauffüllungspläne fallen. Auf diese Weise wird ein zusätzlicher Arbeitsaufwand vermieden, der in vielen Fällen keine nützlichen Informationen bringt, wie etwa bei Nullfängen. Nach Ansicht des Ausschusses sollten Fangmengen erst ab einer repräsentativen Mindestmenge anzumelden sein.

4.9.   Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die vorherige Anmeldung durch die Kapitäne der Fischereifahrzeuge bzw. ihre Vertreter stets an den Flaggenstaat und nicht die Küsten- oder Anlandestaaten gerichtet werden sollte. Nach der derzeitigen Regelung muss die von dem Fischereifahrzeug ausgehende Benachrichtigung stets dem Zentrum für Datenkommunikation seines Flaggenstaats übermittelt werden, und es ist Aufgabe dieser Kommunikationszentren, die Daten den übrigen Mitgliedstaaten weiterzuleiten (9).

4.10.   Nach Auffassung des EWSA kann das in Artikel 18 vorgesehene Verbot von Umladungen auf See bestimmten Fischereiarten ernsthafte Probleme verursachen, da es die wirtschaftliche Rentabilität der betreffenden Flotten erschwert. Überdies kann das Verbot der Umladung von Fisch im Hinblick auf seine spätere Verarbeitung und Einfrierung auf See oder in der Nähe der Fanggründe zur Beeinträchtigung der Qualität der Fischereierzeugnisse für den Verbraucher führen.

4.11.   In Bezug auf Artikel 21 ist der EWSA der Ansicht, dass die nach Abschluss der Anlandung vorgesehene Frist von zwei Stunden zur elektronischen Übermittlung der Angaben der Anlandeerklärung zu kurz ist und Schwierigkeiten mit der Einhaltung verursachen kann. In Anbetracht der gegenwärtig geltenden Frist von 48 Stunden schlägt der Ausschuss vor, sie auf 24 Stunden festzulegen.

4.12.   Nach Ansicht des Ausschusses sollten in Artikel 28 die notwendigen Verfahren vorgesehen werden, damit die überschüssigen Quoten eines Mitgliedstaats, der seine Fangmöglichkeiten nicht ausschöpfen kann, unter bestimmten Bedingungen von anderen Mitgliedstaaten genutzt und die Quoten eines Mitgliedstaats auf das folgende Jahr übertragen werden können. Sind Ausgleichsmaßnahmen erforderlich, muss der einem Mitgliedstaat gewährte Ausgleich für die Schließung einer Fischerei zudem im Wege rascher und leicht anwendbarer Verfahren erfolgen.

4.13.   Nach Auffassung des EWSA könnte Artikel 33 bestimmten Flotten Probleme bereiten, die kleine pelagische Fischarten fangen und ihre Fänge im Hafen umladen, damit sie in Kühlschiffen weiterverarbeitet werden können. Auch können durch diese Bestimmung Flotten beeinträchtigt werden, die ihre Fänge in einem anderen als dem eigenen Mitgliedstaat anlanden, von wo aus sie per Lkw in Häfen anderer Mitgliedstaaten transportiert werden, wo sie schließlich vermarktet werden.

4.14.   In Bezug auf die in Artikel 35 geregelte Getrenntlagerung von Arten, die unter Wiederauffüllungspläne fallen, begrüßt der EWSA, dass sie in gesonderten Kisten getrennt vom Rest der Fänge verstaut und durch eine entsprechende Etikettierung kontrolliert werden sollen. Nach Ansicht des Ausschusses wird durch eine zusätzliche räumliche Trennung bei der Lagerung jedoch keine bessere Kontrolle der Fangmengen ermöglicht, zumal die Kisten mit den Arten, für die Wiederauffüllungspläne gelten, in jedem Fall mit einem Etikett mit dem FAO-Code der betreffenden Art versehen sein müssen.

4.15.   Hinsichtlich der in Artikel 41 geregelten Erfassung der Rückwürfe ist der EWSA der Auffassung, dass diese für die Erhaltung der Bestände und zur qualitativen Verbesserung wissenschaftlicher Bewertungen von wesentlicher Bedeutung ist, insbesondere in gemischten Fischereien. Er plädiert für eine Reduzierung der Rückwürfe als Grundlage der Nachhaltigkeit. Er ist jedoch der Ansicht, dass die Anforderungen betreffend die Erfassung der Rückwürfe unverhältnismäßig und mit der Fischereitätigkeit an sich unvereinbar sind, da sie einen übermäßigen Arbeitsaufwand verursachen, der die Sicherheit des Schiffes, das Wohlergehen der Fischer und die Hygienebedingungen gefährden kann. Auch ist der Begriff „unverzüglich“ zu vage und schafft Rechtsunsicherheit.

4.16.   Die in den Artikeln 43 bis 46 geregelte Echtzeit-Schließung von Fischereien hält der EWSA für eine heikle Maßnahme, die vor ihrer Einführung eingehend geprüft werden sollte. Da der spezifische Rechtsrahmen in der Verordnung über technische Maßnahmen (10) festgelegt wird, hält es der EWSA für konsequenter abzuwarten, bis die Bewertung dieser Verordnung abgeschlossen ist. In jedem Fall sollten die Verfahren sowohl zur Schließung als auch zur Wiedereröffnung einer Fischerei flexibel und leicht anwendbar sein. In diesem Sinne ist der Ausschuss der Ansicht, dass das Verfahren, das zur Wiedereröffnung bestimmter vorübergehend geschlossener Gebiete vorgesehen ist und bei dem ein wissenschaftlicher Beobachter an Bord benötigt wird, schwer einzuhalten ist, wenn es so rasch durchgeführt werden soll, dass den Fischern keine unnötigen Nachteile entstehen.

4.17.   Der Ausschuss hält die in Artikel 47 Absatz 3 vorgesehene Bestimmung, wonach die durch Freizeitfischerei eingeholten Fänge von Arten, für die Mehrjahrespläne gelten, auf die betreffenden Quoten des Flaggenmitgliedstaats angerechnet werden, nicht für sinnvoll, da dies den Berufsfischern, die von der Fischerei leben, zum Nachteil gereichen würde. Weiterhin ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Freizeitfischerei zum Schutz der Fischereiressourcen in allen Mitgliedstaaten angemessen reguliert und kontrolliert werden sollte.

4.18.   Mit Artikel 84 wird ein Strafpunktesystem zur Ahndung von Verstößen der Fischer gegen die Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik eingeführt. Der Ausschuss hält dieses System für unangemessen, einerseits weil es diskriminierend ist, da Flotten aus Drittländern, die mehr als 60 % des internen Verbrauchs der Europäischen Union liefern, diesem System nicht unterworfen sind, und andererseits wegen der geringen Berücksichtigung oder Nichtbeachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die in dem vorgeschlagenen Entzug der Fanglizenz zum Ausdruck kommt, was die Schließung des betreffenden Fischereiunternehmens und somit den Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge hat.

4.19.   Der Ausschuss hält die in Artikel 95 vorgesehenen finanziellen Maßnahmen für zu restriktiv. So würde die Aussetzung und Streichung der einem Mitgliedstaat gewährten Gemeinschaftsfinanzhilfen aufgrund von Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Verordnungsbestimmungen schwerwiegende Auswirkungen auf die Akteure des Fischereisektors haben, die dadurch gestraft würden.

4.20.   Artikel 96 sieht die Schließung von Fischereien wegen Nichterfüllung der Ziele der Gemeinsamen Fischereipolitik durch einen Mitgliedstaat vor. Nach Ansicht des Ausschusses werden in dem Artikel sehr vage Formulierungen verwendet, die zu Fehlinterpretationen führen können. Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass eine Fischerei nur in Ausnahmefällen und ausschließlich bei Vorliegen triftiger und nachgewiesener Gründe geschlossen werden sollte. Die Grenzen für die Anwendung einer solchen Maßnahme sollten eindeutig festgelegt werden.

4.21.   Der EWSA zeigt sich darüber besorgt, dass es angesichts der häufig notwendigen elektronischen Datenübermittlung, der zahlreichen Informationssender und -empfänger und der vielen erforderlichen Instrumente zur Kommunikation, Positionsbestimmung und Identifizierung schwierig sein wird, die Vertraulichkeit und die Wahrung des Berufs- oder Geschäftsgeheimnisses zu gewährleisten.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 75

Nein-Stimmen: 98

Stimmenthaltungen: 11


(1)  KOM(2008) 718 endg.

(2)  KOM(2008) 721 endg.

(3)  SEK(2008) 2760.

(4)  Verordnung (EG) Nr. 1005/2008 des Rates vom 29. September 2008 über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei (ABl. L 286 vom 29.10.2008).

(5)  Verordnung (EG) Nr. 1006/2008 des Rates vom 29. September 2008 über die Genehmigung der Fischereitätigkeiten von Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft außerhalb der Gemeinschaftsgewässer und den Zugang von Drittlandschiffen zu Gemeinschaftsgewässern (ABl. L 286 vom 29.10.2008).

(6)  Zulässige Gesamtfangmenge (total allowable catch).

(7)  Sonderbericht Nr. 7/2007 des Europäischen Rechnungshofs.

(8)  Verordnung (EG) Nr. 1966/2006 des Rates über die elektronische Erfassung und Übermittlung von Daten über Fangtätigkeiten und die Fernerkundung (ABl. L 409 vom 30.12.2006).

(9)  Verordnung (EG) Nr. 1077/2008 der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1966/2008 (ABl. L 295 vom 4.11.2008).

(10)  Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erhaltung der Fischereiressourcen durch technische Maßnahmen, KOM(2008) 324 endg.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/62


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Bekämpfung der Entwaldung und der Waldschädigung zur Eindämmung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt“

(KOM(2008) 645 endg.)

(2009/C 277/12)

Berichterstatter: Lutz RIBBE

Die Kommission beschloss am 17. Oktober 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Bekämpfung der Entwaldung und der Waldschädigung zur Eindämmung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt

KOM(2008) 645 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. April 2009 an. Berichterstatter war Lutz RIBBE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 14. Mai) mit 153 gegen 5 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der EWSA begrüßt die Vorlage der Kommissionsmitteilung und teilt die darin beschriebenen Zielsetzungen, die Entwaldung bzw. Schädigung der tropischen Wälder bis 2020 zumindest zu halbieren und 2030 zu stoppen. Er erwartet von der EU ein weitaus energischeres Handeln als in der Vergangenheit.

1.2.   Auch wenn ein Teil der beschriebenen Entwicklung in einigen Fällen auf Eigeninitiative der lokalen Bevölkerung - z.B. zur Subsistenzlandwirtschaft - zurückgeführt werden kann, beruht doch der Kern der Schädigungen auf anderen Gründen: Zumeist sind es wenige Personen bzw. teilweise global agierende Konzerne, die zum Teil exorbitante Profite zu Lasten der Umwelt, des Klimas, der Biodiversität und der Menschen vor Ort einstreichen und im wahrsten Sinne des Wortes verbrannte Erde hinterlassen.

1.3.   Die Tatsache, dass es zu der Situation kommen konnte, hat nicht nur die von der Kommission richtig beschriebenen direkten ökonomischen Gründe in Verbindung mit ungeklärten Grundbesitzverhältnissen und korrupten bzw. ineffektiven Verwaltungssystemen. Auch die Länder, in die die Produkte exportiert werden, tragen eine große Mitschuld, die EU gehört hierzu. Der EWSA begrüßt deshalb, dass die Kommission den entsprechenden direkten und indirekten Beitrag der EU analysieren und daraus Konsequenzen ziehen will.

1.4.   Dass die EU eine Führungsrolle bei der Bekämpfung der Entwaldung einnehmen wird, ist eine gute Entscheidung. Dass dabei die globale Staatengemeinschaft auch finanzielle Beiträge leisten muss, liegt auf der Hand. Der EWSA appelliert allerdings an alle Politiker, bestimmte Prinzipien zu wahren. Im Grundsatz sollte immer das „polluter pays principle“ gelten. Dieses bedeutet: jeder, der - legal - eine umweltschädigende Maßnahme vornimmt, muss für die damit verbundenen Kosten aufkommen. Die bereits häufig vom EWSA geforderte „Internalisierung der externen Kosten“ muss deshalb endlich global voran gebracht und mit den WTO-Prinzipien kompatibel gemacht werden. Das „polluter pays principle“ darf nicht durch ein „public pays principle“, aufgeweicht werden, nachdem der Steuerzahler/die öffentliche Hand Geld für die Unterlassung von Umweltbelastungen bezahlen würde.

1.5.   Länder, die in den Genuss von Finanzierungsinstrumenten kommen wollen, die für den Rückgang der Entwaldung bzw. Waldschädigung eingesetzt werden, sollten deutlich machen müssen, dass sie nicht an einem „Ablasshandel“, sondern an nachhaltigen Entwicklungen interessiert sind. Die Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags und -handels muss ein erster Prüfstein dafür sein. Es macht keinen Sinn, an und in die Länder, die nicht einmal bereit sind, mit oder ohne Unterstützung der EU die illegalen Holzeinschläge aktiv zu bekämpfen, Geldmittel zu transferieren.

1.6.   Auch wenn die einzelnen Maßnahmen, die die EU zur Lösung dieses globalen Problems einsetzen will, noch nicht endgültig entwickelt sind, so wird schon jetzt deutlich, dass es vornehmlich freiwillige Maßnahmen sein werden, die man nutzen will (1). Es zeigt sich allerdings, dass die Weltgemeinschaft, die auf Liberalisierung und Globalisierung setzt, schnell an Grenzen stößt, wenn es um die globale Bekämpfung von ökologischer und sozialer Ausbeutung geht. Hier fehlen global wirksame Instrumente, die EU ist aufgerufen, zumindest dafür zu sorgen, dass im Rahmen der WTO entsprechende Initiativen nicht länger als „Handelshemmnisse“ begriffen werden.

1.7.   Der EWSA kann dem „Freiwilligkeitsansatz“ zunächst folgen, erwartet aber von der EU, dass in spätestens 3 Jahren in einer Zwischenbilanz geprüft wird, ob die Maßnahmen auch tatsächlich wirken und die Zielsetzungen erreicht werden. Sollte sich zeigen, dass die Entwaldung und Waldschädigung weiter voranschreitet, sollten „härtere“ Maßnahme erwogen werden.

1.8.   Zertifizierungssysteme sind eine erste Möglichkeit, Verbesserungen zu erreichen. Sie sollten nicht nur für alle importierten Hölzer und Holzprodukte, sondern auch für andere Produkte gelten, die aus den entsprechenden Regionen stammen (z.B. Futtermittel oder Biomasse zur Energienutzung).

1.9.   Das Beispiel der Entwaldung und Waldschädigung zeigt nach Auffassung des EWSA leider auch, dass die Entwicklungspolitik zumindest in den hier zur Debatte stehenden Regionen weitgehend gescheitert ist. Es wurden keine innovativen und zukunftsfähigen, regional angepassten Modelle entwickelt, die eine andere Entwicklung zur Folge gehabt hätten als die jetzige Plünderung der natürlichen Ressourcen. Es ist allerdings nie zu spät, entsprechende Ansätze mit der und für die lokale Bevölkerung zu fördern. Die EU sollte entsprechende Initiativen zur Entwicklung demokratischer Strukturen und zur Unterstützung der Zivilgesellschaft in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen. Der EWSA bietet für solche Ansätze abermals seine Mithilfe an.

2.   Die Mitteilung der Europäischen Kommission

2.1.   In der Kommissionsmitteilung geht es nicht um die Waldflächen innerhalb der EU. Es wird vielmehr die Frage behandelt, wie jene Waldflächen, für die bislang keine internationalen Übereinkommen, z.B. im Rahmen des Klimaschutzabkommens, existieren, zukünftig besser geschützt werden können.

2.2.   Nach FAO-Schätzungen gehen jedes Jahr rund 13 Mio. ha Wald verloren; das entspricht etwa der Fläche Griechenlands. 96 % der Entwaldung findet in tropischen Regionen statt, der größte Nettoverlust an Waldfläche von 2000 bis 2005 wurde in zehn Ländern (2) festgestellt.

2.3.   Die Gründe für die ungebrochene Entwaldung sind auf der einen Seite komplex und vielfältig, auf der anderen Seite wiederum relativ simpel. Feststellungen in der Kommissionsmitteilung wie: „Wälder werden zerstört, weil die Nutzung des Bodens für andere Zwecke auf kurze Sicht profitabler ist als ihre Erhaltung“ oder „Profitable alternative Landnutzungen mit hohem Marktwert, wie die Gewinnung von Rohstoffen, sind wichtige Anreize“ machen deutlich, dass absolut nicht nachhaltige Nutzungen betriebswirtschaftlich durchaus hohe Profite abwerfen können. „Es sollte ausdrücklich anerkannt werden, dass wirtschaftliche Interessen zu den Hauptursachen der Entwaldung gehören.“

2.4.   Als weitere Faktoren für den bislang ungebremsten Waldverlust werden Infrastrukturentwicklungen genannt. Darüber hinaus schreibt die Kommission: „Die wichtigsten Gründe sind ineffektive Staatsführungen in Verbindung mit einer schlecht durchgesetzten Bodennutzungspolitik und unsicheren Grundbesitzregelungen.“

2.5.   Die Folgen dieser Entwicklung sind vielfältig:

Die beschriebene Entwaldung ist für rund 20 % der weltweiten Emissionen von CO2 verantwortlich, ohne dass es bislang Mechanismen gäbe, mit denen dieser extremen Klimabelastung Einhalt geboten werden könnte. Genau hierauf zielt das Kommissionsdokument, auch im Hinblick auf die Klimaschutzkonferenz von Kopenhagen Ende dieses Jahres, ab.

Die Kommission macht aber auch deutlich, dass es nicht nur um den globalen Klimaschutz geht. Ungefähr die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten der Welt sind in den Tropenwäldern zu finden! Mit dem Stopp der Entwaldung würde auch ein wichtiger Beitrag geleistet, um einem weiteren Ziel, dem sich die Weltstaatengemeinschaft verpflichtet hat, nämlich den Verlust der Biodiversität zu stoppen, näher zu kommen.

Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Entwaldung und Waldschädigung vielfältige nachteilige soziale Auswirkungen, v.a. auf arme Bevölkerungsschichten, haben kann und dass indigene Völker ihre unmittelbare Lebensgrundlage verlieren.

2.6.   Die Kommission legt in ihrer Mitteilung Berechnungen über den ökonomischen Wert der Tropenwälder vor. Sie verweist u.a. auf Prognosen, wonach eine anhaltende Entwaldung bis 2050 zu einem Wertverlust von 5 % des globalen BIP führen wird (3), und verweist auf das bedeutende Treibhausgaseinsparpotenzial, das zu vergleichsweise geringen Kosten pro Tonne CO2-Einsparung erschlossen werden könnte.

2.7.   Die EU-Kommission stellt unmissverständlich klar, dass „entschlossenes Handeln geboten ist“. Sie formuliert das Ziel, „den weltweiten Verlust an Waldflächen bis spätestens 2030 aufzuhalten und die Abholzung der Tropenwälder bis 2020 um mindestens 50 % gegenüber den derzeitigen Werten zu verringern“. Sie will dieses Ziel in die Kyoto-Nachfolge-Verhandlungen einbringen.

2.8.   Kurzum: Der Schutz der globalen Waldbestände wird von der Kommission als unverzichtbar angesehen, Europa sollte hier eine „führende Rolle übernehmen, um die globale politische Antwort auf die Entwaldung zu gestalten“.

2.9.   Hinsichtlich des möglichen Beitrags der EU werden in der Kommissionsmitteilung im Rahmen der bestehenden Politik verschiedene Handlungsfelder aufgezeigt. Im Rahmen der bestehenden Politik

werden einerseits mögliche Maßnahmen dargestellt, die zu einer stärkeren Verwendung von Holz und Holzerzeugnissen aus nachhaltiger Erzeugung führen können. Dies wird als sehr bedeutsam angesehen, da die EU einer der größten Verbraucher von Holz und Holzerzeugnissen ist. Allein 2005 wurden 83 Mio. m3 Holz und Holzerzeugnisse in die EU eingeführt, Zellstoff und Papier nicht eingerechnet. Die Kommission schätzt, dass mehr als 19 % der Einfuhren von illegal eingeschlagenem Holz stammen;

wird andererseits angeregt, jene EU-Politikbereiche, die mit nicht aus Holz gefertigten Erzeugnissen zusammenhängen, hinsichtlich ihrer „Waldverträglichkeit“ genauer zu untersuchen. U.a. wird darauf hingewiesen, dass ein „Zusammenhang zwischen der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Grunderzeugnissen und dem Druck auf die Landnutzung besteht“. Deshalb werden u.a. „Untersuchungen der Auswirkungen des EU-Verbrauchs von eingeführten Nahrungsmitteln und nicht zur Nahrungsproduktion dienenden Rohstoffen (z.B. Fleisch, Sojabohnen, Palmöl, Metallerze), die wahrscheinlich zur Entwaldung beitragen“, angekündigt. Solche Untersuchungen könnten dazu führen, politische Optionen zur Verringerung dieser Auswirkungen in Betracht zu ziehen.

2.10.   Über die bestehende Politik hinaus richtet die Kommission in ihrer Mitteilung das Augenmerk auf die Frage nach der Größenordnung und den Quellen der Finanzierung von Maßnahmen gegen die Entwaldung sowie von Mechanismen, die zur Bewältigung der Entwaldungspolitik genutzt werden könnten.

Die Folgenabschätzung, die die Kommission vorgenommen hat, weist auf jährliche Kosten in Höhe von schätzungsweise ca. 15 bis 25 Mrd. EUR hin, die benötigt werden, um die Entwaldung bis 2020 auf die Hälfte zu reduzieren. Die EU geht davon aus, dass „die Industrieländer erhebliche Ressourcen bereitstellen müssen“.

Es werden verschiedene Überlegungen angestellt, welche Finanzierungsmechanismen entwickelt werden könnten. Einer Anerkennung forstwirtschaftlicher Gutschriften im EU-Emissionshandelssystem wird dabei zurzeit als nicht realistisch angesehen, da die durch die Entwaldung verursachten Emissionen etwa dreimal höher sind als die unter das EU-Emissionshandelssystem fallenden Emissionen. Sobald allerdings auf globaler Ebene neben dem EU-Handelssystem weitere Handelssysteme eingerichtet und diese dann miteinander verbunden werden, könnte die Verwendung entsprechender Gutschriften zur Finanzierung des Waldschutzes durchaus möglich werden.

Ein Großteil der EU-Finanzierung könnte jedoch aus den Einkünften der Versteigerung von Emissionszertifikaten resultieren. Würden 5 % der zu erwartenden Einkünfte (in Höhe von geschätzten 30 bis 50 Mrd. EUR) hierfür verwendet, so könnten 2020 rund 1,5 bis 2,5 Mrd. EUR aufgebracht werden.

2.11.   Im Kontext des Klimarahmenabkommens verfolgt die EU das Ziel, für den Zeitraum 2013-2020 eine Anreizregelung mit internationaler Unterstützung einzurichten, um die Entwaldung und Waldschädigung in Entwicklungsländern einzudämmen.

Dazu könnte die Einrichtung eines globalen Waldkohlenstoffmechanismus gehören, der die Entwicklungsländer in die Lage versetzen würde, mit Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen aufgrund von Entwaldung und Waldschädigung zum global vereinbarten Emissionssenkungsziel beizutragen; die institutionellen und operativen Details eines solchen Mechanismus „müssen noch ausgearbeitet werden“.

Als längerfristige Perspektive wird die Aufnahme der Entwaldung in die Kohlenstoffmärkte angesehen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.   Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission und damit verbunden die Tatsache, dass sich die EU verpflichtet fühlt, eine Führungsrolle bei der Lösung eines seit Jahrzehnten bekannten und vielfach diskutierten Problems einzunehmen. Die anstehenden Verhandlungen über ein Klimaschutzabkommen sind ein guter Rahmen hierfür.

3.2.   Der EWSA möchte zunächst durchaus kritisch darauf hinweisen, dass es bedauerlich ist, dass die Weltgemeinschaft bislang der Waldzerstörung mehr oder weniger tatenlos zugesehen hat. Gründe, sich schon früher dagegen zu engagieren, gab es mehr als genug. Der mit der Waldzerstörung bzw. Waldschädigung verbundene Artenrückgang oder aber die Zerstörung der unmittelbaren Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerungsgruppen, die zu beobachtende Ausbeutung der Arbeiter oder die Vertreibung von Kleinbauern von ihren angestammten Produktionsflächen sind ja keineswegs neue Erkenntnisse. Der Klimaschutz ist also nur ein neuer und zusätzlicher Anlass, ein altes Problem mit hoffentlich neuem Schwung anzugehen.

3.3.   Der EWSA hat noch ein gewisses Verständnis dafür, wenn die Kommission ausführt, dass die vorgelegte Mitteilung „nicht den Anspruch (erhebt), endgültige Antworten auf die zahlreichen Fragen in Zusammenhang mit der Entwaldungsproblematik zu geben“. Sie erwartet aber von der Kommission, dass das Thema nicht weiter auf die lange Bank geschoben wird. Es muss endlich gehandelt werden.

3.4.   Der Ausschuss begrüßt die klaren Aussagen der Kommission hinsichtlich der Gründe für die Waldzerstörung. Die Kommission macht deutlich, dass es kurzfristige ökonomische Interessen sind, die diese absolut nicht nachhaltigen Landnutzungsformen stattfinden lassen. Gepaart mit teilweise völlig ungeklärten Grundbesitzverhältnissen, nicht existierenden, durchsetzungsschwachen oder z.T. völlig korrupten Verwaltungssystemen finden Zerstörungen statt, die nicht nur aus globaler Sicht höchst problematisch sind, sondern die auch oft an den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung völlig vorbeigehen.

3.5.   Der EWSA erkennt selbstverständlich an, dass den Menschen in allen Regionen unseres Planeten wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven geboten werden müssen. Er selbst versucht seit Jahren, im engen Dialog mit Gruppen der Zivilgesellschaft, z.B. in Mittel- und Lateinamerika, Indien und China, entsprechende Lösungen zu finden. Das, was allerdings im Rahmen der globalen Waldschädigung und -zerstörung abläuft und was Gegenstand der Kommissionsmitteilung ist, hat nichts mit einer angepassten Regionalentwicklung zu tun. Es ist inakzeptable Ausbeutung von Mensch und Umwelt, ohne den Hauch eines nachhaltigen Entwicklungsansatzes.

3.6.   In den Ländern, die unter einer massiven Entwaldung leiden, gibt es ein wiederkehrendes Phänomen: Eine große Zahl von Landwirten rodet Wälder oder setzt sie in Brand, um Agrar- und Viehland zu gewinnen. Die ungerechte Landverteilung und das Fehlen einer Agrarpolitik in den betroffenen Gebieten führen zu dieser nicht nachhaltigen Verschwendung natürlicher Ressourcen.

3.7.   Die dort stattfindenden Nutzungen nutzen häufig nur einer verschwindend geringen Zahl von Personen bzw. von teilweise global agierenden Unternehmen, die zum Teil exorbitante Profite zu Lasten der Umwelt, des Klimas, der Biodiversität und der Menschen vor Ort einstreichen und im wahrsten Sinne des Wortes verbrannte Erde hinterlassen. Dass es auch anders geht, dass die vorhandenen lokalen Ressourcen nachhaltig genutzt und damit der lokalen Bevölkerung neue Einkommens- und Entwicklungsperspektiven entwickelt werden können, zeigen zahlreiche positive Beispiele (4), die es zu fördern gilt.

3.8.   Auch wenn die Auswirkungen dieses Raubbaus primär vor Ort unmittelbar und spektakulär sichtbar werden, so haben sie - siehe Klimawandel und Biodiversitätsrückgang - aber eine globale Dimension. Das heißt: Wir alle sind von den Zerstörungen betroffen. Und wir alle müssen dazu beitragen, die Probleme zu lösen.

3.9.   Es macht aus Sicht der entwickelten Länder wenig Sinn, mit erhobenem Finger die dramatische Situation in den Entwicklungsländern zu kommentieren. Denn wir sind auch Teil des Problems: Ein bedeutender Teil der gewonnenen Produkte - meist unverarbeitete Rohstoffe bzw. Produkte mit geringer Verarbeitungstiefe - findet nicht vor Ort, sondern meist weit entfernt, oft in den entwickelten Ländern, seinen Absatz. Es gibt also eine Nachfrage nach diesen „billigen“ Produkten, auch aus Europa.

3.10.   Es ist deshalb völlig richtig, dass die Kommission insgesamt drei Fragen nachgeht:

1.

Wie hoch ist der „Anteil“ der EU an diesen dort stattfindenden Zerstörungen (und wie kann dieser Anteil reduziert werden)?

2.

Wie kann die EU (und deren Mitgliedstaaten) dazu beitragen, einerseits die illegalen Eingriffe, also jene Zerstörungen, von denen man annehmen sollte, dass sie nicht im Interesse des jeweiligen Staates sind, zu verhindern? Wie können andererseits Nutzungsformen entwickelt werden, die sich an Nachhaltigkeitsprinzipien orientieren und an den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung ausgerichtet sind?

3.

Wie können Finanzierungsmechanismen entwickelt werden, die den Druck von der Waldzerstörung nehmen?

3.11.   Der EWSA begrüßt, dass die Kommission - gemeinsam mit anderen Institutionen - intensiv daran arbeitet, die Debatte um Klima- und Biodiversitätsschutz mit ökonomischen Fakten zu bereichern. Der Stern-Report, der deutlich macht, dass unterlassener Klimaschutz uns teurer zu stehen kommen wird als ein ambitioniertes Umsteuern, oder der in der Kommissionsmitteilung zitierte Sukhdev-Bericht, der Auskunft über die ökonomischen Werte, die einer intakten Biodiversität zuzuordnen sind, gibt, sind Beispiele dafür.

3.12.   Diese Studien und Berechnungen sind aber auch gute Beispiele dafür, dass die darin beschriebenen volkswirtschaftlichen Werte derzeit nicht mehr sind als Papier. Denn sie bereichern nicht das BIP, sie finden keinen Einklang in Wirtschaftsbilanzen von Unternehmen und sie lassen sich an der Börse nicht handeln. Im Gegenteil: Das Beispiel der Waldzerstörung zeigt mehr als deutlich, dass extreme Diskrepanzen zwischen kurzfristigem Gewinnstreben (= Ursache für die Waldzerstörung) und langfristigen volkswirtschaftlichen Gesamtinteressen (= Walderhaltung aus Klima- und Biodiversitätsgründen) gibt.

3.13.   Der Raubbau an unseren Ressourcen geschieht zu Lasten der Allgemeinheit. Wir stehen deshalb zuallererst vor der großen Herausforderung, endlich die „Internalisierung externer Kosten“ tatsächlich zu vollziehen und so dem immer wieder propagierten Verursacherprinzip tatsächlich zum Durchbruch zu verhelfen. Die genannten Studien und weitere, im Kommissionsbericht genannten Zahlen, geben gute Hinweise darauf, um was für Summen es sich dabei handelt.

3.14.   Der EWSA ist sich im Klaren darüber, dass — wie im Kommissionsdokument geschehen — auch über Anreizkomponenten nachgedacht werden muss, die der Waldzerstörung Einhalt gebieten. Dem EWSA ist es aber sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass dabei ein wichtiges Prinzip gewahrt werden muss: ein öffentlicher Geldtransfer, ein „Anreiz“, an Unternehmen oder Privatpersonen darf nicht dafür gewährt werden, dass eine die Allgemeinheit schädigende Maßnahme nicht vollzogen wird. Es ist immer darauf hinzuwirken, dass die Rahmenbedingungen global so gesetzt werden, dass entsprechend schädigende Maßnahmen ausgeschlossen bzw. vermieden werden. Dieser wichtige Grundsatz muss auch die EU leiten, auch bei den Verhandlungen in Kopenhagen. Wir haben bei Eingriffen das „polluter pays principle“ konsequent anzuwenden und nicht durch ein „public pays principle“, das für die Unterlassung von Zerstörungen bezahlt, aufzuweichen.

3.15.   Staaten, die zukünftig in den Genuss von entsprechenden Finanzinstrumenten kommen wollen, sollten deshalb deutlich machen müssen, dass sie nicht an einem „Ablasshandel“ interessiert sind, sondern an langfristigen nachhaltigen Entwicklungen. Im Bereich der Entwaldung könnte die Frage der Bekämpfung der illegalen Entwaldung und Waldschädigung eine Art „erster Prüfstein“ sein. Die betroffenen Länder sollten deutlich machen, dass sie - mit oder ohne Hilfe der Staatengemeinschaft - ernsthaft daran arbeiten, diesen illegalen Praktiken ein Ende zu bereiten. Dem EWSA ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass es nicht darum geht, die illegalen Handlungen zu legalisieren, sondern sie abzustellen! Dies allein würde eine erhebliche Verbesserung der Situation bedeuten.

3.16.   Auf der anderen Seite sollten die betroffenen Staaten ihr Interesse an innovativen nachhaltigen, regional angepassten Entwicklungen deutlich machen, die einer Entwaldung bzw. Waldschädigung entgegenwirken.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Die Kommissionsmitteilung ist in vielen Fällen noch ziemlich unkonkret, was zum Teil auf eine mangelnde Wissens- und Datengrundlage, zum Teil aber auch auf noch nicht endgültig durchdachte Konzepte zurückzuführen ist.

4.2.   Die EU läuft langsam Gefahr, dass ihr mangelndes Interesse vorgeworfen werden kann, wenn sie nicht anfängt, viel intensiver an Gegenkonzepten zur Waldzerstörung zu arbeiten.

4.3.   Viel zu lange haben die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik bereits zugesehen, wie die Wälder zerstört werden, und dass auch illegal gewonnene Produkte in den europäischen Häfen anlanden. Obwohl es z.B. aufgrund der Verarbeitung zu anderen Produkten oder geänderter Codes oft schwierig sein kann, Lieferungen rückzuverfolgen, scheint auch der wirkliche Wille zu fehlen, Abhilfe zu schaffen. Der EWSA erwartet, dass bei dieser global zentralen Frage die EU viel massiver auftritt. Gerade kürzlich hat der EWSA begrüßt, dass die EU auf Robbenprodukte völlig verzichten will; obwohl die kanadische Regierung die Robbenjagd legal ermöglicht. Die Zivilgesellschaft erwartet unter solchen Vorzeichen, dass beim Schutz der Wälder ähnlich stringent verfahren wird.

4.4.   Unkonkret ist die Mitteilung beispielsweise bezüglich der Frage, wie stark Futtermittelimporte, die in großen Mengen in die EU eingeführt werden, für Waldzerstörungen direkt bzw. indirekt verantwortlich sind (5). Immer und immer wieder wird diese Frage kontrovers debattiert, auch im Kommissionspapier (s. Ziffer 2.9) sind hierzu Aussagen gemacht worden. Der EWSA bittet die Kommission, die angekündigte „Untersuchung der Auswirkungen des EU-Verbrauchs von eingeführten Nahrungsmitteln und nicht zur Nahrungsproduktion dienenden Rohstoffen (z.B. Fleisch, Sojabohnen, Palmöl, Metallerze), die wahrscheinlich zur Entwaldung beitragen“, mit großer Dringlichkeit voranzutreiben, damit Klarheit herbeigeführt wird.

4.5.   So, wie die EU Nachhaltigkeitskriterien für die Produktion von Ausgangsmaterialien von „Agrokraftstoffen“ entwickelt hat, sollten nach Meinung des Ausschusses schnellstens Nachhaltigkeitskriterien für Futtermittel, Holz oder Holzerzeugnisse etc. erstellt werden. Auch wenn sich noch zeigen wird, wie angesichts unklarer Grundbesitzverhältnisse und schlechter Verwaltungen eine durchgängige Kontrolle solcher Kriterien aufgebaut und vollzogen werden kann, sind dies wichtige und richtige Ansätze. Damit entsprechende Nachhaltigkeitskriterien dann dauerhaft wirksam werden, wird es allerdings nötig werden, diese verbindlich in die Spielregeln des Welthandels zu integrieren!

4.6.   Das Beispiel der Entwaldung ist ein guter Beleg dafür, dass die Weltgemeinschaft, die auf Liberalisierung und Globalisierung setzt, schnell an Grenzen stößt, wenn es um die globale Bekämpfung von ökologischer und sozialer Ausbeutung geht. Hier fehlen global wirksame Instrumente, die EU ist aufgerufen, zumindest dafür zu sorgen, dass im Rahmen der WTO entsprechende Initiativen nicht länger als „Handelshemmnisse“ begriffen werden.

4.7.   Der EWSA hat auch Verständnis dafür, dass noch keine klaren Konzepte hinsichtlich der Finanzierung von Maßnahmen auf dem Tisch liegen. Hier wird es darum gehen, die Klimaschutzverhandlungen entsprechend zu nutzen.

4.8.   Es geht aber zukünftig nicht nur darum, unter bestimmten Kriterien (siehe oben) einen Geldtransfer zu organisieren. Noch bevor entsprechende Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden können, müssen in den betroffenen Ländern wichtige Voraussetzungen zur Lösung der Problematik geschaffen werden: Ohne funktionierende demokratische Mitspracherechte der Menschen vor Ort über die Entwicklung ihrer Region, ohne Anerkennung der Rechte der indigenen Bevölkerungsgruppen (immerhin rund 60 Mio. Menschen!) bzw. der Kleinbauern und ohne funktionierende (korruptionsfreie) Verwaltungen werden weder der oft illegal betriebene Raubbau gestoppt noch angepasste Entwicklungskonzepte erarbeitet werden können. Die Kommissionsmitteilung macht hierzu quasi keine Anmerkungen, was als große Schwäche angesehen werden muss.

4.9.   Das Beispiel der Entwaldung und Waldschädigung zeigt nach Auffassung des EWSA leider auch, dass die Entwicklungspolitik zumindest in den hier zur Debatte stehenden Regionen weitgehend gescheitert ist. Es wurden keine innovativen und zukunftsfähigen, regional angepassten Modelle entwickelt, die eine andere Entwicklung zur Folge gehabt hätten als die jetzige Plünderung der natürlichen Ressourcen. Es ist allerdings nie zu spät, entsprechende Ansätze mit der und für die lokale Bevölkerung zu fördern. Die EU sollte entsprechende Initiativen zur Entwicklung demokratischer Strukturen und zur Unterstützung der Zivilgesellschaft in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen. Der EWSA bietet für solche Ansätze abermals seine Mithilfe an.

Brüssel, den 14. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verpflichtungen von Marktteilnehmern, die Holz und Holzerzeugnisse in Verkehr bringen“, Stellungnahme dazu NAT/420 APA R/CESE 543/2009.

(2)  Brasilien, Indonesien, Sudan, Myanmar, Sambia, Tansania, Nigeria, Kongo, Simbabwe, Venezuela.

(3)  Zwischenbericht „Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität“, Herr Pavan Sukhdev.

(4)  Z.B. das Kooperationsprojekt „Rainforestation farming“ der Universität Hohenheim (Deutschland) und der Leyte State University (Philippinen), siehe: http://troz.uni-hohenheim.de/innovations/InnovXtr/RFFS/.

(5)  Gleiches gilt natürlich für Agrokraftstoffe etc.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/67


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - EU-Strategie für eine Verbesserung des Abwrackens von Schiffen“

(KOM(2008) 767 endg.)

(2009/C 277/13)

Berichterstatterin: Anna BREDIMA

Die Europäische Kommission beschloss am 19. November 2008 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - EU-Strategie für eine Verbesserung des Abwrackens von Schiffen

KOM(2008) 767 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. April 2009 an. Berichterstatterin war Anna BREDIMA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 187 gegen 2 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung und befürwortet die vorgeschlagenen Maßnahmen, mit denen die EU zu einer weltweit sichereren und umweltgerechteren Behandlung von Altschiffen beitragen könnte.

1.2.   Der Ausschuss hält fest, dass Schiffsrecycling einen wertvollen Beitrag zur weltweiten Erhaltung von Energie- und Rohstoffquellen leistet und bei entsprechender Gestaltung sogar zu einem „grünen“ und nachhaltigen Industriezweig werden kann.

1.3.   Der Ausschuss befürwortet die rasche Ratifizierung und Anwendung des Schiffsrecyclingübereinkommens der IMO (2009). Die EU-Mitgliedstaaten und die Recyclingstaaten sollten dazu angehalten werden, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das ehestmögliche Inkrafttreten des Übereinkommens sicherzustellen.

1.4.   Der Ausschuss befürwortet die Aufnahme von Vorschriften zur umweltgerechten Abwrackung von Kriegsschiffen und anderen Schiffen im Staatsbesitz in die Schiffsrecyclingmaßnahmen.

1.5.   Nach Meinung des Ausschusses müssen Maßnahmen getroffen werden, um den beklagenswerten ökologischen und sozialen Bedingungen in vielen südasiatischen Recyclinganlagen durch die Verbesserung ihrer Betriebsweise abzuhelfen, allerdings müssen dabei die Einkünfte erhalten bleiben, die die Bevölkerung vor Ort aus Arbeitsplätzen und Dienstleistungen bezieht.

1.6.   Abwrackkapazitäten müssen erhöht werden, um die steigende Nachfrage decken zu können; dabei gilt es, Sicherheit und Umweltfreundlichkeit sicherzustellen. Die erheblich höheren Arbeitskosten für das Abwracken in europäischen Anlagen können durch eine Mischung aus Rechtsvorschriften und Industrieinitiativen wettgemacht werden.

1.7.   Der Ausschuss hält fest, dass die Strandung auch in absehbarer Zukunft die bevorzugte Schiffsabwrackmethode bleiben wird. Daher müssen die derzeitigen Bedingungen in den Recyclinganlagen verbessert werden, um deren sicheren und umweltgerechten Betrieb zu gewährleisten. Übermäßiger Druck zur Verbesserung der Bedingungen in den südasiatischen Abwrackanlagen darf allerdings auch keine gegensätzliche Wirkung zeitigen, sprich die Verlagerung des Problems auf die Strände anderer Entwicklungsländer. Dies würde eine unkontrollierte Ausbreitung von Anlagen in Asien und Afrika, die die Standardauflagen nicht erfüllen, nach sich ziehen.

1.8.   Der Ausschuss schlägt vor, dass die EU den Abwrack- und Recyclingbedingungen in ihren bilateralen Seeverkehrs- oder Handelsabkommen mit den betreffenden asiatischen Ländern besonderes Gewicht beimisst. So sollte beispielsweise das derzeitige Seeverkehrsabkommen zwischen der EU und Indien Schiffsrecyclingbestimmungen enthalten. Er fordert die Europäische Kommission auf, diese Frage auf politischer Ebene zu erörtern.

1.9.   Aus Sicht des Ausschusses sind Abwrackung und Recycling eine Frage der sozialen Verantwortung von Unternehmen. Er fordert die Europäische Kommission auf, die Schiffbauwerften in die Verantwortungskette für die Entsorgung von Schiffen einzubinden; Schiffsbetreiber sollten ihrerseits gemeinsam mit den Werften dafür sorgen, dass den Recyclinganlagen Informationen zu potenziell gefährlichen Stoffen bzw. Bedingungen an Bord ihrer Schiffe zur Verfügung stehen.

1.10.   Der Ausschuss befürwortet die Konzipierung eines Modells für ein integriertes Verwaltungssystem für die international unabhängige Zertifizierung von Schiffsrecyclinganlagen, um ein sicheres und umweltgerechtes Schiffsrecycling im Einklang mit dem künftigen Schiffsrecyclingübereinkommen zu belegen.

1.11.   Der Ausschuss empfiehlt, dass in der Studie der Europäischen Kommission zur Einrichtung eines „Abwrackfonds für Schiffe“ das Verursacherprinzip und der Grundsatz der Herstellerverantwortung, die beide in europäischem Recht verankert sind, sowie die Vereinbarkeit dieses Fonds mit den Rechtsvorschriften für staatliche Beihilfen berücksichtigt werden. Außerdem sollte näher untersucht werden, wie ein derartiger Fonds zur Verwirklichung der Zielsetzungen des Schiffsrecyclingübereinkommens beitragen könnte.

1.12.   Der Ausschuss anerkennt, dass die Errichtung von Schiffsrecyclinganlagen in der EU von den betroffenen Kommunen aus Umweltgründen abgelehnt werden könnte. Wenn jedoch bestehende Werften zu diesem Zweck umgewidmet werden und - wie vorgeschrieben - die EU- sowie die internationalen und nationalen Normen einhalten, könnte dies für die Bevölkerung akzeptabel sein, da so zahlreiche neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Diese Parameter müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

1.13.   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, politische Anreize und Auszeichnungen zu konzipieren, wie etwa die Verleihung der Umweltauszeichnung „Sauberer Seeverkehr“ an Schiffseigner und Werften für mustergültiges Schiffrecycling.

2.   Einleitung

2.1.   Ökologische und soziale Aspekte der Schiffsabwrackung an den südasiatischen Stränden geben nach wie vor weltweit, insbesondere auch in Europa Anlass zu Bedenken. So forderte das für Umwelt zuständige Kommissionsmitglied Stavros Dimas erst vor Kurzem bessere Verfahren und Kontrollen für Schiffe, die an Abwrackwerften in Südasien verbracht werden, um deren ordnungsgemäße Abwrackung sicherzustellen. Laut jüngsten Schätzungen stehen 2009 über 1 000 Schiffe zur Abwrackung an, d.h. mehr als dreimal so viel wie 2008. Der Druck auf die Abwrackkapazitäten wird entsprechend größer. Die Abwrackkapazitäten müssen erhöht werden, um die steigende Nachfrage decken zu können; dabei gilt es, Sicherheit und Umweltfreundlichkeit sicherzustellen.

2.2.   Die Kommissionsmitteilung „EU-Strategie für eine Verbesserung des Abwrackens von Schiffen“ (1) beruht auf den Ergebnissen einer öffentlichen Konsultation zu dem „Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen“ (2) (aus dem Jahr 2007). Der Ausschuss hat dieses Grünbuch seinerzeit als lang erwartete Initiative begrüßt (3). Das Europäische Parlament wiederum hat die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten unlängst aufgefordert, umgehend Maßnahmen für das Abwracken von Schiffen zu treffen (4).

2.3.   Auch auf internationaler Ebene werden konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht, um dieses Problem anzugehen. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organisation - IMO) hat ein neues „Internationales Übereinkommen über das sichere und umweltverträgliche Recycling von Schiffen“ (das so genannte „Schiffsrecyclingübereinkommen“) ausgearbeitet, das im Mai 2009 angenommen werden soll. In diesem Übereinkommen wird der gesamte Lebenszyklus eines Schiffes berücksichtigt. Ziel ist ein sicherer und umweltgerechter Betrieb von Schiffsrecyclinganlagen ohne Beeinträchtigung der Sicherheit und Betriebsleistung der Schiffe. Durch einen geeigneten Kontroll- und Durchsetzungsmechanismus soll ein dem Basler Übereinkommen (5) gleichwertiges Kontrollniveau erreicht werden.

2.4.   Die Einrichtung der gemeinsamen Arbeitsgruppe von ILO, IMO und Basler Übereinkommen zur Schiffsabwrackung ist Ausdruck der internationalen Zusammenarbeit. Diese drei Organisationen haben gemeinsam das „Global Programme for Sustainable Ship Recycling“, ein globales Programm für nachhaltiges Schiffsrecycling, ausgearbeitet, mit dem die Nachhaltigkeit dieses Industriezweigs durch die Verbesserung der Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen der Arbeitnehmer und der Umweltbedingungen in den südasiatischen Recyclinganlagen sichergestellt werden soll.

3.   Mitteilung zu einer EU-Strategie für eine Verbesserung des Abwrackens von Schiffen

3.1.   In der Mitteilung zu einer EU-Strategie für eine Verbesserung des Abwrackens von Schiffen wird kein konkreter Legislativvorschlag unterbreitet; es werden vielmehr eine ganze Reihe von Maßnahmen zur zügigen Verbesserung der Bedingungen für die Schiffsabwrackung vorgeschlagen und zwar auch schon während der Übergangsphase bis zum Inkrafttreten des neuen IMO-Übereinkommens.

3.2.   Gemäß der vorgeschlagenen Strategie soll die Europäische Kommission die Durchführbarkeit einiger Optionen prüfen, um die Verwirklichung der Zielsetzungen des IMO-Übereinkommens voranzubringen.

3.3.   In der der Mitteilung beigelegten Folgenabschätzung (6) kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass eine integrierte Gesamtstrategie mit einem ausgewogenen Mix aus legislativen und nicht-legislativen Maßnahmen zu bevorzugen ist, da sie die einzige Option ist, mit der sich sowohl kurz- und mittelfristig als auch auf lange Sicht insgesamt positive ökologische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen erzielen lassen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.   Der Ausschuss begrüßt die Mitteilung und befürwortet die vorgeschlagenen Maßnahmen, mit denen die EU zu einer weltweit sichereren und umweltgerechteren Behandlung von Altschiffen beitragen könnte. Diese Mitteilung kommt zum richtigen Zeitpunkt und ist angemessen, da rund 19 % der Weltflotte unter der Flagge eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraums EWR fahren.

4.2.   Für die Herstellung von Neustahl aus Recyclingstahl ist nur ein Drittel der für die Stahlerzeugung aus Rohstoffen notwendigen Energie erforderlich. Schiffsrecycling leistet daher einen wertvollen Beitrag zur weltweiten Erhaltung von Energie- und Rohstoffquellen; bei entsprechender Gestaltung kann dieser Sektor sogar zu einem „grünen“ und nachhaltigen Industriezweig werden.

4.3.   Die Tendenz zur Abwrackung Hunderter von Schiffen jährlich wird sich mit der Ausmusterung von Einhüllentankschiffen bis 2010 (bzw. 2015) fortsetzen. Darüber hinaus und infolge der derzeitigen Finanz- und Schiffskrise werden ältere Massengutfrachter rasch ausrangiert. Derzeit werden 157 Schiffe mit einem Gesamtbeförderungsvolumen von 5,5 Mio. Tonnen auf eine mögliche Abwrackung bewertet. Das heißt, dass sich auch in naher Zukunft nichts an den gegenwärtigen sozialen und ökologischen Auswirkungen ändern wird; diese könnten sich sogar noch verschlimmern.

4.4.   Mehr als 80 % der Schiffe werden an den Stränden Indiens, Bangladeschs, Pakistans und der Türkei abgewrackt. Bangladesch ist Marktführer in Sachen Schiffsabwrackung. Die meisten Anlagen in diesen Ländern nutzen die billigste, gleichzeitig aber auch umweltschädlichste Schiffsabwrackmethode: die Strandung. Diese Methode fordert einen erheblichen Tribut in Bezug auf Menschenleben und verursacht zahlreiche Krankheiten aufgrund der Exposition gegenüber toxischen Substanzen. Der Ausschuss hält fest, dass die Strandung auch in absehbarer Zukunft die bevorzugte Schiffsabwrackmethode bleiben wird. Deshalb müssen die derzeitigen Bedingungen in den Recyclinganlagen verbessert werden, um deren sicheren und umweltgerechten Betrieb zu gewährleisten.

4.5.   Die niedrigen Umwelt- und Sozialstandards in den südasiatischen Recyclinganlagen ermöglichen diesen einen unlauteren Wettbewerb mit ihren europäischen Konkurrenten. Die hohe Nachfrage nach Recyclingstahl in diesen Ländern ist ein weiteres Problem für die europäische Wettbewerbsfähigkeit.

4.6.   Die Schiffsabwrackung ist ein sehr komplexes Verfahren, das eine breite Palette an Tätigkeiten der Demontage der gesamten Ausrüstung bis zum Zerschneiden und Recyceln der Schiffsstruktur umspannt. Während es Vorschriften für die Trockendock-Abwrackung in den Industrieländern gibt, sind derartige Tätigkeiten auf den asiatischen Stränden weitaus seltener Gegenstand von Kontrollen und Untersuchungen. Laut einer vor Kurzem veröffentlichen Studie sind schätzungsweise 20 % der Arbeitnehmer auf den Schiffsabwrackungsstränden in Bangladesch Kinder unter 15 Jahren. Mehrere ILO-Übereinkommen über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer finden in diesen Ländern kaum Anwendung. Diese Situation wird noch dadurch verschärft, dass weder das Schiffsrecycling noch die anschließende Abfallbehandlung umweltgerecht erfolgt.

4.7.   Der Ausschuss bekräftigt, dass strukturelle Armut sowie andere soziale und rechtliche Probleme im südasiatischen Raum eng mit dem Fehlen oder der Missachtung von Mindestnormen für die Sicherheit am Arbeitsplatz und den Umweltschutz zusammenhängen. Darüber verweigern diese Länder die Anhebung ihrer Standards und intervenieren bei den Recyclingpreisen, aus Angst vor dem Verlust einer wichtigen Einnahmequelle. Sie sollten jedoch die Anlagenbetreiber dazu verpflichten, in die Verbesserung der Anlagen zu investieren und ihren Arbeitskräften die gebührenden Schutz- und Arbeitsbedingungen zu bieten. In künftigen Verhandlungen mit diesen Ländern sollte jedwede EU-Entwicklungshilfe von der Anwendung und wirksamen Durchsetzung dieser internationalen Normen sowie Anstrengungen zum Kapazitätenaufbau abhängig gemacht werden.

4.8.   Der Ausschuss seinerseits hat in seiner Stellungnahme zur Mitteilung „Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union“ (7) bekräftigt, dass weltweit ein großer Mangel an Schiffsabwrackkapazitäten herrscht, die dem Grundsatz der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit gerecht werden. Daher müssen die Bemühungen der EU und der internationalen Staatengemeinschaft auf Maßnahmen seitens der südasiatischen Recyclingstaaten ausgerichtet sein, ihre Anlagen auf ein international „akzeptables“ Niveau zu bringen.

4.9.   Der Ausschuss hält fest, dass mit dem Schiffsrecyclingübereinkommen und den Leitlinien für seine Durchführung ein dem Basler Übereinkommen gleichwertiges Kontroll- und Durchsetzungsniveau erreicht wird; dies ist ausdrücklich zu befürworten.

4.10.   Im Rahmen des Konzepts der Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus eines Schiffes für die Schiffsabwrackung fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, die Werften in die Verantwortungskette für die Entsorgung der von ihnen gebauten Schiffe einzubinden. Die überwältigende Mehrheit der weltweiten Handelsflotte wird in japanischen, koreanischen und chinesischen Werften gebaut. Gemäß der Verantwortungskette für qualitätsorientierte Schifffahrt trägt jeder Akteur seinen Teil der Verantwortung. In diesem Konzept wird die Verantwortung von Werften nach dem Vorbild der Fahr- und Flugzeughersteller hervorgehoben, die ähnlich in die Pflicht genommen werden und für ihre Erzeugnisse verantwortlich sind.

4.11.   Bei der Behandlung dieser Frage muss der Ausschuss einander gegenläufige Parameter unter einen Hut bringen. Einerseits sind die beklagenswerten ökologischen und sozialen Bedingungen in Erwägung zu ziehen, die in den meisten der asiatischen Recyclinganlagen noch immer vorherrschen. Andererseits darf die drohende Arbeitslosigkeit für die Bevölkerung vor Ort in den asiatischen Ländern nicht außer Acht gelassen werden, die von den Einkünften aus den Recyclinganlagen lebt. Daher sollte eine Verbesserung der Bedingungen auch keine gegensätzliche Wirkung zeitigen, sprich eine Verlagerung des Problems auf die Strände anderer Entwicklungsländer.

4.12.   Die Frage einer effizienteren Schiffsabwrackung wurde auch von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) aufgegriffen. Mit den künftigen internationalen Normen (ISO 30000 and ISO 30003) für ein weltweites Zertifizierungs- und Auditsystem für Schiffsrecyclinganlagen soll die Arbeit von IMO und ILO sowie des Basler Übereinkommens unterstützt und ergänzt werden, wobei Überschneidungen sorgsam vermieden werden müssen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.   Zeitige Umsetzung des IMO-Schiffsrecyclingübereinkommens

5.1.1.   Die Europäische Kommission geht davon aus, dass das Schiffsrecyclingübereinkommen nicht vor 2015 in Kraft tritt. Der Ausschuss befürwortet seine rasche Ratifizierung und Anwendung. Die EU-Mitgliedstaaten und die Recyclingstaaten sollten dazu angehalten werden, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das ehestmögliche Inkrafttreten des Übereinkommens sicherzustellen. Nach Ansicht des Ausschusses sollten die Regierungen dazu aufgefordert werden, die technischen Normen dieses Übereinkommens während des Übergangszeitraums so bald wie operationell machbar freiwillig anzuwenden.

5.1.2.   Der Ausschuss begrüßt die Übertragung des Schiffsrecyclingübereinkommens in Gemeinschaftsrecht mittels einer Verordnung nach Vorbild des AFS-Übereinkommens der IMO (8). Die Europäische Kommission sollte gleichzeitig Mittel und Wege prüfen, wie die Recyclingstaaten zu ähnlichen Maßnahmen angehalten werden können, d.h. das Schiffsrecyclingübereinkommen so schnell wie möglich zu ratifizieren und umzusetzen.

5.2.   Sauberes Abwracken von Kriegsschiffen und anderen Schiffen (in Staatsbesitz)

5.2.1.   Der Ausschuss merkt an, dass nicht alle Schiffe, insbesondere Kriegsschiffe und Schiffe in Staatsbesitz, Gegenstand des Schiffsrecyclingübereinkommens sind. Allerdings ist vorgesehen, dass diese Schiffe im Einklang mit diesem Übereinkommen betrieben werden sollten. Der Ausschuss schlägt daher die Einbeziehung dieser Schiffe in künftige Recyclingmaßnahmen der EU vor. Auf diese Weise werden neue Arbeitsplätze in den europäischen Werften geschaffen und gleichzeitig einige der größten Verschmutzer aus dem Verkehr gezogen. Der Ausschuss schlägt des Weiteren vor, auch die Umweltverschmutzung durch Kriegsschiffe zu thematisieren. Nach Meinung des Ausschusses sollten kleine Schiffe unter 500 BRZ in EU-Anlagen abgewrackt werden.

5.2.2.   Derzeit verfügen die Schiffsabwrackanlagen in der EU und in den übrigen OECD-Staaten nicht über ausreichend Abwrackungskapazitäten für die in den nächsten 10 Jahren außer Dienst zu stellenden Kriegsschiffe und andere Schiffen in Staatsbesitz. Der Ausschuss erachtet den Eintritt von Harland & Wolff Heavy Industries (9) auf den Markt für Schiffsabwrackungen als ermutigendes Beispiel, wie stillgelegte Werften und Reparaturwerften zu Abwrackanlagen umgewidmet werden können. Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die Errichtung von Abwrackanlagen trotz der weltweiten Rezession und der aktuellen Arbeitslosenquote von den betroffenen Kommunen aus Umweltgründen abgelehnt werden könnte. Werden jedoch bestehende Anlagen gemäß den Vorschriften des Schiffsrecyclingübereinkommens genutzt, könnte dies für die Bevölkerung akzeptabel sein und gleichzeitig neue Arbeitsplätze schaffen.

5.2.3.   Auf absehbare Zeit werden die südasiatischen Abwrackunternehmen ihren Wettbewerbsvorteil wahren können, wohingegen Europa weiterhin mit dem Problem der Entsorgung von Kriegsschiffen und Schiffen in Staatsbesitz zu kämpfen haben wird. Die EU sollte Maßnahmen zur Abwrackung derartiger Schiffe in OECD-Ländern oder zur Aufnahme einer vertraglichen Bestimmung über die Altschiffabwrackung beim Verkauf von Kriegsschiffen an Nicht-EU-Staaten treffen.

5.3.   Was kann die Industrie in der Zwischenzeit tun?

5.3.1.   Der Ausschuss teilt die Bedenken der Europäischen Kommission bezüglich der Perspektiven für den Übergangszeitraum bis zum Inkrafttreten und zur vollständigen Umsetzung des Schiffsrecyclingübereinkommens. Der Ausschuss stimmt dem Standpunkt der Europäischen Kommission zu, dass eine freiwillige Verpflichtung der Interessenträger der einfachste und schnellste Weg ist, um die Praktiken zu ändern.

5.3.2.   Aus Sicht des Ausschusses ist Recycling eine Frage der sozialen Verantwortung von Unternehmen. Er fordert die Europäische Kommission auf, politische Anreize zu konzipieren, wie etwa die Verleihung der Umweltauszeichnung „Sauberer Seeverkehr“ an Schiffseigner und Werften für mustergültiges Schiffrecycling. Diese Anreizmaßnahmen sollten beträchtliche Vorteile bringen, die sich wirklich lohnen.

5.3.3.   Der Ausschuss begrüßt die positive Mitwirkung von Industrieverbänden und Nichtregierungsorganisationen sowie ihre Unterstützung bei der Formulierung des Schiffsrecyclingübereinkommens. Er begrüßt außerdem, dass die Industrieverbände einen Maßnahmenkatalog (10) erstellt haben, der von den Schiffseignern zur Gewährleistung einer sicheren und umweltgerechten Schiffsabwrackung erfüllt werden sollte. Es steht zu erwarten, dass mehr Schifffahrtsunternehmen sich für eine „grüne“ Abwrackung ihrer Schiffe entscheiden bzw. sich zu einer derartigen Entscheidung veranlasst sehen. In die Schiffsabwrackung sind jedoch noch weitere Interessenträger eingebunden, die ihrerseits zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen; so sollten sich insbesondere Werften vertraglich zum Bau „grüner Schiffe“ verpflichten. Diesbezüglich wären die Nutzung von Standardan- und -verkaufverträgen wie der von der BIMCO (11) erstellte DEMOLISHCON-Vertrag und die vertragliche Verpflichtung seitens der Werften, schon während des Übergangszeitraums die Vorschriften des Schiffsrecyclingübereinkommens anzuwenden, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

5.4.   Bessere Durchsetzung der Abfallverbringungsvorschriften

5.4.1.   Der Ausschuss befürwortet das Vorhaben der Europäischen Kommission, eine Anleitung zur Verbesserung der Anwendung der geltenden Abfallverbringungsvorschriften im Fall von Altschiffen auszuarbeiten, die multilaterale Zusammenarbeit zu fördern und die Möglichkeit zu prüfen, Regeln für die Aufstellung eines Verzeichnisses der Schiffe festzulegen, die verschrottet werden sollen.

5.4.2.   Im internationalen Abfallverbringungsrecht wird anerkannt, dass ein Schiff nach Artikel 2 des Basler Übereinkommens als Abfall eingestuft und gleichzeitig gemäß anderen internationalen Rechtsvorschriften als Schiff definiert sein kann. Daher gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ab wann ein Schiff als „Abfall“ gilt bzw. ob ein Schiff vor Beginn der Abwrackung als „verschmutzend“ und der Schiffseigner als „Verschmutzer“ angesehen werden können. Schifffahrtsunternehmen verkaufen ihre Schiffe an „Barkäufer“, die diese häufig ausflaggen und sie anschließend an Recyclinganlagen verbringen, die pro Leertonne (LDT) zwischen 150 und 700 USD für Recyclingstahl bezahlen. In der Praxis treten Schiffsbetreiber nur selten direkt oder indirekt mit Abwrackanlagen in Kontakt. Sie sollten jedoch gemeinsam mit den Werften dafür sorgen, dass Informationen zu potenziell gefährlichen Stoffen bzw. Bedingungen an Bord ihrer Schiffe zur Verfügung stehen, und den Allgemeinzustand des Schiffes bei der Übergabe bestimmen.

5.4.3.   In der Regel werden Schiffe zur Abwrackung ausrangiert, wenn sich ihr gewerblicher Einsatz nicht mehr lohnt. Das Alter eines Schiffes sagt jedoch nichts über seinen Wartungszustand noch seine wirtschaftliche Rentabilität aus, die von den Schwankungen auf dem Frachtmarkt abhängt. Die Führung einer Liste von Schiffen über einem gewissen Alter wäre kein Problem; gleichzeitig wäre es jedoch ungleich schwerer festzulegen, wann Schiffe für die Abwrackung ausrangiert werden müssen, und Kontrollmaßnahmen vor Inkrafttreten des Schiffsrecyclingübereinkommens einzuführen. Altschiffe und Hochrisikoschiffe sollten auf alle Fälle streng überwacht werden, um die Einhaltung der im Vorfeld ihrer Abwrackung bestehenden Verpflichtungen zu gewährleisten.

5.5.   Audit und Zertifizierung von Abwrackanlagen

5.5.1.   Mit dem Schiffsrecyclingübereinkommen wird die Verantwortung auf die Flaggen-, Hafen- und Recyclingstaaten übertragen. Dieses Übereinkommen wird keinerlei gesonderte Bestimmungen für den Audit und die Zertifizierung von Abwrackanlagen enthalten. In ergänzenden Leitlinien wird jedoch ein derartiger Mechanismus unter Kontrolle der Recyclingstaaten festgelegt. Die Verwirklichung der Zielsetzungen der IMO-Leitlinien kann durch die gleichzeitige Anwendung der einschlägigen ISO-Normen, die derzeit entwickelt werden, weiter vorangebracht werden.

5.5.2.   Der Ausschuss verweist darauf, dass die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) eine Studie (12) in Auftrag gegeben hat, in der ein Modell für ein integriertes Verwaltungssystem für die Zertifizierung von Schiffsrecyclinganlagen konzipiert werden soll, um ein sicheres und umweltgerechtes Schiffsrecycling zu belegen. Dieses europäische integrierte Verwaltungssystem sollte als Mittel zur Verbesserung der Anwendung des Schiffsrecyclingübereinkommens dienen. Eine derartige Zertifizierung muss über internationale Glaubwürdigkeit verfügen. Diese kann nur durch ein unabhängiges Zertifizierungssystem sichergestellt werden.

5.6.   Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung

5.6.1.   Die Europäische Kommission hat 2007 (13) festgehalten, dass die Frage, ob umweltgerechte Abwrackanlagen in der EU oder Schiffseigentümer, die ihre Schiffe in umweltgerechten Anlagen abwracken oder reinigen lassen, mit direkten Finanzhilfen unterstützt werden sollten, besondere Aufmerksamkeit verdient.

5.6.2.   Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission eine Bewertung der möglichen Einführung eines obligatorischen internationalen Finanzierungssystems für ein sauberes Abwracken von Schiffen („Abwrackfonds für Schiffe“) auf der Grundlage der Ergebnisse einer Studie vornehmen will. Der Ausschuss geht davon aus, dass in dieser Studie das Verursacherprinzip und der Grundsatz der Herstellerverantwortung, die beide in europäischem Recht verankert sind, berücksichtigt werden, und ist der Ansicht, dass das Problem der Finanzierung der sicheren und umweltgerechten Schiffsabwrackung erst dann gelöst sein wird, wenn entsprechende Übereinkommen erzielt werden, in denen die Verantwortung der betreffenden Akteure über die gesamte Lebensdauer der Schiffe hinweg angemessen dargelegt wird.

5.6.3.   Die IMO hat bereits einen freiwilligen internationalen Schiffsrecyclingfonds eingerichtet, um ein sicheres und umweltgerechtes Schiffsrecycling über die technische Zusammenarbeit im Rahmen der IMO zu fördern. Schiffseigner sollten zur Unterstützung dieses Fonds angehalten werden. Außerdem sollte die Frage aufgegriffen werden, wie ein derartiger Fonds zur Verwirklichung der Zielsetzungen des Schiffsrecyclingübereinkommens beitragen könnte. Ein EU-Fonds für die gleichen Zwecke würde vor einem Finanzierungsdilemma stehen, da die Gewährung von staatlichen Beihilfen für umweltgerechte Schiffsabwrackung gegen EU-Recht verstößt.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2008) 767 endg.

(2)  KOM(2007) 269 endg.

(3)  ABl. C 120 vom 16.5.2008.

(4)  Angenommene Texte P6_TA(2008)0222.

(5)  Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung.

(6)  SEK(2008) 2847 - Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen.

(7)  ABl. C 211 vom 19.8.2008.

(8)  Übereinkommen über Verbots- und Beschränkungsmaßnahmen für schädliche Bewuchsschutzsysteme von Schiffen (Verordnung (EG) Nr. 782/2003 über das Verbot zinnorganischer Verbindungen auf Schiffen).

(9)  Harland & Wolff in Belfast erhielt vor Kurzem eine Genehmigung zur Abfallbewirtschaftung für das Abwracken von Wasserfahrzeugen und Meereskonstruktionen; das Unternehmen arbeitet derzeit an der Abwrackung und dem Recycling der MSC Napoli.

(10)  „Interim measures for shipowners intending to sell ships for recycling“ (Übergangsmaßnahmen für Schiffseigner beim Verkauf von Schiffen zum Recycling) (BIMCO, IACS, ICS, INTERCARGO, INTERTANKO, IPTA, OCIMF).

(11)  BIMCO = Baltic and International Maritime Council (Baltische und internationale Schifffahrtskonferenz).

(12)  „Study on the Certification of Ship Recycling Facilities“, Schlussbericht, September 2008.

(13)  KOM(2007) 269 endg.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Phase II der Benzindampf-Rückgewinnung beim Betanken von Personenkraftwagen an Tankstellen“

(KOM(2008) 812 endg. — 2008/0229 (COD))

(2009/C 277/14)

Berichterstatter: Francis DAVOUST

Der Rat beschloss am 20. Januar 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Phase II der Benzindampf-Rückgewinnung beim Betanken von Personenkraftwagen an Tankstellen

KOM(2008) 812 endg. – 2008/0229 (COD)

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. April 2009 an. Berichterstatter war Francis Davoust.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 194 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Richtlinienvorschlag, mit dem Zusagen aus folgenden Vortexten eingelöst werden:

der thematischen Strategie zur Luftreinhaltung;

dem Vorschlag der Kommission zur Änderung der Richtlinie 98/70/EG über die Qualität von Otto- und Dieselkraftstoffen, mit dem der Übergang zu Biokraftstoffen und Bioethanol insbesondere durch die Entschärfung der Dampfdruckauflagen für Benzin erleichtert werden soll. Da klar war, dass dies zu einer Zunahme der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen führen könnte, hat die Kommission mitgeteilt, dass sie zum Ausgleich dieser Zunahme eine zweite Phase der Benzindampf-Rückgewinnung vorschlagen würde;

der einer neuen Richtlinie über die Luftqualität beigefügten Erklärung, in der die Kommission anerkennt, dass es zur Erreichung der Luftqualitätsziele wichtig ist, das Problem der Luftverschmutzung an der Quelle zu bekämpfen, und diesbezüglich verschiedene neue Gemeinschaftsmaßnahmen vorschlägt, u.a. die Phase II der Benzindampf-Rückgewinnung.

1.2.   Der EWSA weist darauf hin, dass die Richtlinie 94/63/EG die Rückgewinnung von Benzindämpfen betrifft, die bei der Lagerung von Ottokraftstoff und seiner Verteilung von den Auslieferungslagern bis zu den Tankstellen in die Atmosphäre freigesetzt werden („Phase I der Benzindampf-Rückgewinnung“). Benzindämpfe, die austreten, wenn eine Tankstelle eine neue Lieferung erhält, werden in den Tankwagen oder das bewegliche Tankbehältnis zurückgeleitet und für eine spätere Neuauslieferung zum Auslieferungslager zurückbefördert.

1.3.   Der EWSA begrüßt es, dass die Kommission die folgenden Optionen für den Einbau von Ausrüstungen für Phase II der Benzindampf-Rückgewinnung geprüft hat:

a.

an allen neuen und von Grund auf renovierten Tankstellen mit einem Jahresdurchsatz von über 500 m3 Benzin;

b.

an allen neuen und von Grund auf renovierten Tankstellen mit einem Jahresdurchsatz von über 500 m3 Benzin und an allen bestehenden Großtankstellen (d.h. Tankstellen mit einem Jahresdurchsatz von über 3 000 m3 Benzin);

c.

an den Tankstellen gemäß Option b) sowie an Tankstellen mit angrenzendem oder darüberliegendem Wohnraum;

d.

an den Tankstellen gemäß Option c) mit automatischer Überwachung aller Phase-II-Ausrüstungen, die die Benzinausgabe beschränken würde, wenn die Ausrüstung nicht ordnungsgemäß funktioniert.

1.4.   Eine ausführliche Prüfung dieser Optionen enthält die Folgenabschätzung zu diesem Vorschlag, die auf der Website abrufbar ist (1).

1.5.   Der EWSA empfiehlt folglich die Annahme dieser Richtlinie mit den Änderungen, die er für die Artikel 3, 4 und 5 vorschlägt.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.   Dieser Legislativvorschlag betrifft die Rückgewinnung von Benzindämpfen (petrol vapour recovery, PVR), die beim Betanken von Personenkraftwagen an Tankstellen freigesetzt werden (sog. „zweite Phase der Benzindampf-Rückgewinnung“ oder „PVR-Phase II“).

2.2.   Dem EWSA ist klar, dass die Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen im Benzin zu örtlichen und regionalen Problemen mit der Luftqualität beitragen (Benzol und Ozon), wofür auf Gemeinschaftsebene Qualitätsnormen und -ziele festgesetzt wurden. Bodenozon ist ein grenzüberschreitender Schadstoff und zudem das drittwichtigste Treibhausgas. Benzol ist für den Menschen krebserregend. Kohlenwasserstoffe lassen sich anhand ihrer Molekülstruktur in verschiedene Untergruppen einteilen: so gibt es kettenförmige und ringförmige Kohlenwasserstoffe. Aromatische Kohlenwasserstoffe haben eine ringförmige, ungesättigte Struktur, deren Grundbausteine sechs Kohlenstoffatome bilden. Ihr einfachster Vertreter ist das Benzol mit der Summenformel C6H6. Zum Schutz der Gesundheit wurde dafür vom Europäischen Parlament und von der Kommission 2006 für die EU ein Expositionsgrenzwert von 9 µg/m3 als Jahresmittelwert festgelegt, der bis 2010 auf 5 µg/m3 gesenkt werden soll. Dem EWSA geht es vor allem darum, zum einen den Verbraucher zu schützen, der regelmäßig sein Auto an einer Tankstelle betankt, aber natürlich auch die Arbeitnehmer, die ständig ihren Dienst an den Tankstellen verrichten.

2.3.   Die wichtigste Quelle dieser Emissionen sind Benzindämpfe, die aus dem Kraftstoffbehälter von Kraftfahrzeugen oder während des Befüllungsvorganges entweichen. Die jüngsten Änderungen an der Richtlinie über die Kraftstoffqualität, aufgrund derer dem Benzin ein höherer Ethanolanteil beigemischt werden darf, verschärfen das Emissionsproblem, weil sich dadurch der Dampfdruck in den Lagertanks erhöht. Daher ist es an der Zeit, nach neuen Wegen zur Verminderung dieser Emissionen zu suchen.

2.4.   Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, unverzüglich die Möglichkeit von Änderungen an den Fahrzeugen zu prüfen, so dass die Benzindämpfe in den Tanks der Fahrzeuge selbst zurückgehalten oder zurückgewonnen werden, wie es in den USA bereits gesetzlich vorgeschrieben ist, und so rasch wie möglich diesbezügliche Vorschläge vorzulegen.

2.5.   Einstweilen unterstützt der EWSA die aktuellen Vorschläge der Kommission zur Verminderung der Benzindampfemissionen beim Betanken der Fahrzeuge.

2.6.   Der EWSA unterstreicht, dass die gegenwärtige Praxis der Benzindampf-Rückgewinnung beim Betanken von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat sehr unterschiedlich ist. Daher befürwortet er den Vorschlag der Kommission, Artikel 175 als Rechtsgrundlage zu nehmen, um EU-weite Mindestanforderungen an die Benzindampf-Rückgewinnung beim Betanken festzulegen, gleichzeitig aber den Mitgliedstaaten die Freiheit zu lassen, schärfere Normen festzulegen, wenn sie dies wünschen.

2.7.   Die Benzindampf-Rückgewinnung bei der Lagerung von Kraftstoff und seiner Verteilung zu den Tankstellen ist bereits effektiv durch die Richtlinie 94/63/EG geregelt (Phase I der Benzindampf-Rückgewinnung).

2.8.   Für den EWSA besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem Bestreben um eine bessere Luftqualität und der Phase II der Benzindampf-Rückgewinnung.

2.9.   Darüber hinaus stellt der EWSA fest, dass dieser Vorschlag nicht nur dem Sechsten Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft entspricht, sondern auch den drei Pfeilern der Lissabon-Strategie. Es passt nämlich zu ihrer Ausrichtung, dass die für die zweite Phase der Rückgewinnung notwendige Technik nachgefragt und bereitgestellt wird.

3.   Besondere Bemerkungen

Artikel 3

Tankstellen

3.1.   Absatz 1

3.1.1.   Im ersten Satz verlangt der Ausdruck „geplant“ nach einer Klarstellung. Der EWSA meint, dass man bei der Eröffnung einer Tankstelle kaum mit Gewissheit sagen kann, dass der Durchsatz genauso hoch sein wird, wie im Projekt geplant.

3.1.2.   Nach Ansicht des EWSA sollte der Text nach „mehr als 500 m3 beträgt“ durch folgenden Wortlaut ergänzt werden: „Die Tankstelle meldet ihren Durchsatz binnen drei Monaten nach ihrer Eröffnung“.

3.1.3.   Der Ausschuss hält es für erforderlich, dass jede neu gebaute Tankstelle, deren Abgabemenge weniger als 500 m3 beträgt, eine Durchsatzerhöhung auf über 500 m3 jährlich zu melden hat. Diese Meldung hat spätestens drei Monate nach Beginn des Jahres zu erfolgen, das auf das Jahr folgt, in dem diese Schwelle effektiv überschritten wurde. In diesem Fall muss die Ausrüstung innerhalb von sechs Monaten desselben Jahres installiert werden.

3.1.4.   Im zweiten Satz sollte nach „Wohn- oder Arbeitsräume“ eingefügt werden: „außer Räumlichkeiten des Unternehmens“. Es ist nämlich durchaus möglich, dass es in das Gebäude integrierte Büroräume gibt, die für den Betrieb der Tankstelle notwendig sind.

3.1.5.   Damit erhielte Absatz 1 folgenden Wortlaut:

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass jede neue Tankstelle mit einem System zur Benzindampf-Rückgewinnung - Phase II ausgerüstet wird, wenn ihr tatsächlicher oder geplanter Jahresdurchsatz mehr als 500 m3 beträgt. Die Tankstelle meldet ihren Durchsatz binnen drei Monaten nach ihrer Eröffnung. Jede neue Tankstelle, deren Abgabemenge weniger als 500 m3 beträgt, hat eine Durchsatzerhöhung auf über 500 m3 jährlich zu melden. Diese Meldung hat spätestens drei Monate nach Beginn des Jahres zu erfolgen, das auf das Jahr folgt, in dem diese Schwelle effektiv überschritten wurde. In diesem Fall muss die Ausrüstung innerhalb von sechs Monaten desselben Jahres installiert werden . Alle neuen Tankstellen, die in ein Gebäude integriert sind, das ständige Wohn- oder Arbeitsräume außer Räumlichkeiten des Unternehmens beherbergt, sind jedoch in jedem Fall, d.h. ungeachtet ihres tatsächlichen oder geplanten Durchsatzes, mit einem System zur Benzindampf-Rückgewinnung - Phase II auszurüsten.

3.2.   Absatz 2

3.2.1.   Nach Ansicht des EWSA bedarf die Formulierung „die von Grund auf renoviert wird“ der Klarstellung. Er steht auf dem Standpunkt, dass es sich um einen beträchtlichen Umbau handeln muss, beispielsweise eine Erhöhung des Durchsatzes der Zapfsäulen und Befülleinrichtungen um mehr als 20 % im Vergleich zu dem entsprechenden anfänglichen Durchsatz oder die Umstellung von einer Anlage mit beaufsichtigter Selbstbedienung auf eine mit unbeaufsichtigter Selbstbedienung.

3.2.2.   Der EWSA spricht sich dafür aus, folgende Fälle nicht als „Renovierung von Grund auf“ und somit als beträchtliche Umbauten anzusehen: den Wechsel der Firmenbeschilderung einer Tankstelle, die Umstellung von einer Tankstelle herkömmlicher Art auf eine beaufsichtigte Selbstbedienungstankstelle und Nachrüstungen zur Sicherung der Gesetzeskonformität einer Tankstelle.

3.2.3.   Damit erhielte Absatz 2 folgenden Wortlaut:

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass jede bestehende Tankstelle mit einem Jahresdurchsatz von über 500 m3, die von Grund auf renoviert wird, im Rahmen dieser Renovierung mit einem System zur Benzindampf-Rückgewinnung - Phase II nachgerüstet wird. Unter einer „Renovierung von Grund auf“ ist ein beträchtlicher Umbau zu verstehen, beispielsweise eine Erhöhung des Durchsatzes der Zapfsäulen und Befülleinrichtungen um mehr als 20 % im Vergleich zu dem entsprechenden anfänglichen Durchsatz oder die Umstellung von einer Anlage mit beaufsichtigter Selbstbedienung auf eine mit unbeaufsichtigter Selbstbedienung. Nicht als „Renovierung von Grund auf“ und somit als beträchtliche Umbauten gelten hingegen der Wechsel der Firmenbeschilderung einer Tankstelle, die Umstellung von einer Tankstelle herkömmlicher Art auf eine beaufsichtigte Selbstbedienungstankstelle und Nachrüstungen zur Sicherung der Gesetzeskonformität einer Tankstelle .

3.3.   Absatz 3

3.3.1.   Der EWSA empfiehlt die folgende Hinzufügung: „Tankstellen mit einem Durchsatz von weniger als 3 000 m3 jährlich haben es zu melden, wenn sich der Durchsatz im Laufe des Kalenderjahres auf über 3 000 m3 erhöht.“ In diesem Fall muss die Ausrüstung innerhalb von sechs Monaten desselben Jahres installiert werden.

3.3.2.   Damit erhielte Absatz 3 folgenden Wortlaut:

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass bestehende Tankstellen mit einem Jahresdurchsatz von über 3 000 m3 bis spätestens 31. Dezember 2020 mit einem System zur Benzindampf-Rückgewinnung - Phase II nachgerüstet werden. Tankstellen mit einem Durchsatz von weniger als 3 000 m3 jährlich haben es zu melden, wenn sich der Durchsatz im Laufe des Kalenderjahres auf über 3 000 m3 erhöht. In diesem Fall muss die Ausrüstung innerhalb von sechs Monaten desselben Jahres installiert werden .

Artikel 4

Zulässiges Mindestniveau der Benzindampf-Rückgewinnung

3.4.   Absatz 1

3.4.1.   Der EWSA schlägt vor, „85 %“ durch „90 %“ zu ersetzen. Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat diesen Prozentsatz bereits festgeschrieben.

3.4.2.   Damit erhielte Absatz 1 folgenden Wortlaut:

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Kohlenwasserstoffabscheidungseffizienz eines Systems zur Benzindampf-Rückgewinnung - Phase II bei mindestens 85 % 90 % liegt.

3.5.   Neuer Absatz

3.5.1.   Der EWSA empfiehlt, Ausrüstungen zur Benzindampf-Rückgewinnung - Phase II eindeutig zu definieren.

Artikel 5

Regelmäßige Inspektionen und Konformität

3.6.   Absatz 1

3.6.1.   Der EWSA hält die jährliche Kontrolle von Tankstellen, die über ein automatisches Überwachungssystem verfügen, für umso notwendiger, als niemand zugegen ist, der auftretende Störungen feststellen könnte.

3.6.2.   Damit erhielte Absatz 1 folgenden Wortlaut:

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Kohlenwasserstoffabscheidungseffizienz mindestens einmal jährlich getestet wird, soweit ein automatisches Überwachungssystem installiert wurde .

3.7.   Absatz 2

3.7.1.   Der EWSA schlägt vor, den ersten Satz zu streichen.

3.7.2.   Im zweiten Satz empfiehlt er, den Teilsatz „und den Benzinfluss aus der defekten Zapfanlage automatisch stoppen, wenn die Störung nicht binnen sieben Tagen behoben wird“ durch „die Störungsanzeige des Phase-II-Rückgewinnungssystems stoppt die Kraftstoffausgabe, sofern die Störung nicht binnen 72 Stunden behoben wird“ zu ersetzen.

3.7.3.   Die bisher angesetzte Frist von sieben Tagen ist viel zu lang. Dieses System sollte auch in beaufsichtigten Tankstellen eingesetzt werden.

3.7.4.   Damit erhielte Absatz 2 folgenden Wortlaut:

Soweit ein automatisches Überwachungssystem installiert wurde, tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Kohlenwasserstoffabscheidungseffizienz mindestens einmal alle drei Jahre getestet wird . Das automatische Überwachungssystem muss automatisch Funktionsstörungen der Ausrüstung für die Benzindampf-Rückgewinnung und des automatischen Überwachungssystems selbst feststellen, und sie dem Tankstellenbetreiber Störungen anzeigen und den Benzinfluss aus der defekten Zapfanlage automatisch stoppen, wenn die Störung nicht binnen sieben Tagen behoben wird. Die Störungsanzeige des Phase-II-Rückgewinnungssystems stoppt die Kraftstoffausgabe, sofern die Störung nicht binnen 72 Stunden behoben wird .

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  http://ec.europa.eu/environment/air/transport/petrol.htm.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/75


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“ (Neufassung)

(KOM(2008) 780 endg./2 (1) — 2008/0223 (COD))

(2009/C 277/15)

Berichterstatter: Algirdas ŠIUPŠINSKAS

Der Rat beschloss am 27. Januar 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung)

KOM(2008) 780 endg./2 - 2008/0223 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. April 2009 an. Berichterstatter war Herr ŠIUPŠINSKAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 14. Mai) mit 147 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1.   Der EWSA befürwortet die von der Kommission vorgeschlagene Verbesserung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (GEEG), jedoch mit gewissen Vorbehalten: In der Richtlinie müssen Renovierungen an die Auflage geknüpft werden, dass die Energieeffizienz von Gebäuden erhöht wird, um nicht nur den Energieverbrauch zu verringern, sondern auch die Energiekosten zu senken.

1.2.   Die Mitgliedstaaten müssen im Einklang mit den politischen Zielen der EU sicherstellen, dass durch die Renovierung von Gebäuden zur Erhöhung ihrer Energieeffizienz nicht nur der Energieverbrauch, sondern auch die Energiekosten sinken.

1.3.   Die nach dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften müssen den architektonischen und baulichen Besonderheiten Rechnung tragen, d.h. dem Energiebedarf für Heizung, Kühlung, Lüftung, Beleuchtung, mechanische Anlagen (z.B. Aufzüge), Warm- und Kaltwasserbereitung sowie Entsorgungsanlagen.

1.4.   Der EWSA befürwortet die Empfehlung, vor Baubeginn die Machbarkeit folgender technischer Möglichkeiten zu prüfen:

Wärme- und Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern,

Kraft-Wärme-Kopplung (Kogeneration) und möglicherweise Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung (Trigeneration),

Fernheizung und Fernkühlung,

Wärmepumpen,

Erdwärmesonden und Erdwärmekollektoren.

1.5.   Der EWSA hält es für wichtig, dass die Mitgliedstaaten sich verstärkt und aktiv um eine Verbesserung der beruflichen Bildung im Baugewerbe unter dem Aspekt nachhaltiges Bauen und Nutzung erneuerbarer Energieträger bemühen.

1.6.   Der Ausschuss heißt insbesondere gut, dass in dem Richtlinienvorschlag die führende Rolle des öffentlichen Sektors für Fortschritte im gesamten Bausektor herausgestellt wird.

1.7.   Die Mitgliedstaaten und lokalen Behörden werden aufgefordert, aktiver und effizienter die Mittel der Europäischen Investitionsbank zur Förderung der „Drittfinanzierung“ (2) durch Energiedienstleistungsunternehmen (ESCO) zu nutzen.

1.8.   Eine Inspektion von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen sollte wiederholt in regelmäßigen Abständen im Einklang mit den einzelstaatlichen Vorschriften und unter Berücksichtigung des damit verbundenen Kostenaufwands durchgeführt werden. Die Inspektionsberichte sollten neben Empfehlungen für Verbesserungsmöglichkeiten auch Betriebssicherheitsanforderungen enthalten.

1.9.   In der Neufassung der Richtlinie werden die Mitgliedstaaten außerdem aufgefordert, Sanktionen und Strafen festzulegen und anzuwenden. Nach Meinung des EWSA sollte dabei nach den Betroffenen — öffentlich oder privat — unterschieden und das Ausmaß der Sanktion bzw. die Höhe der Strafe im Rahmen der Subsidiarität festgelegt werden. Wird der Verstoß gegen die Gemeinschaftsvorschrift als Vergehen eingestuft, sollte er auch als Vergehen auf Gemeinschaftsebene angesehen und in der Richtlinie festgelegt werden.

1.10.   Nach Auffassung des EWSA sollten die Mitgliedstaaten ihren Bürgern bei der Wohnungssanierung technische Unterstützung gewähren.

1.11.   In den für alle neuen EU-Mitgliedstaaten charakteristischen Großwohnsiedlungen mit einheitlich gestalteten Wohnplattenbauten wäre es für die Wohnungseigentümergemeinschaften schwierig, Energieausweise für alle typisierten Wohnplattenbauten auszustellen. Durch die Ausstellung der Energieausweise auf der Grundlage der Bewertung (3) eines anderen vergleichbaren Geschosswohnungsbaus könnten Renovierungskosten eingespart und der bürokratische Aufwand reduziert werden.

1.12.   Außerdem könnten den Bewohnern der einzelnen Geschosswohnungsbauten in der Stadtverwaltung nach dem Prinzip einer einzigen Anlaufstelle Lösungen in Bezug auf Renovierungsfinanzierung, Bauverträge, Instandhaltung, Ausstellung von Energieausweisen u.a. angeboten werden.

1.13.   Der EWSA ist der Meinung, dass die Neufassung der Richtlinie in einer relativ kurzen Zeit zur Verringerung der CO2-Emissionen beitragen und auch positive soziale Auswirkungen haben wird, u.a. durch

die Verringerung des Energiebedarfs,

die Verbesserung des Lebensstandards benachteiligter Familien,

die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen.

1.14.   Der EWSA empfiehlt, die neue Kennzeichnung für Fensterrahmen und Bauprodukte und die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden vollständig aufeinander abzustimmen.

1.15.   Der EWSA ist der Auffassung, dass beim Abriss von Geschosswohnungsbauten, bei denen eine energetische Sanierung nicht mehr möglich ist, die Betroffenen von den Behörden kontaktiert und den Bewohnern neue Unterbringungsmöglichkeiten angeboten werden müssten. Ganz allgemein sollte die Anhörung der Organisationen der Zivilgesellschaft in der Leistungsbeschreibung für jedwede Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie vorgeschrieben werden bzw. ihre Anhörung in den Ländern, in denen eine derartige Einrichtung besteht, zumindest im Zuge einer systematischen Konsultation der nationalen WSR stattfinden (4).

2.   Einführung

2.1.   Der EWSA hat bereits mehrere wichtige Stellungnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen und zu Energiesparmaßnahmen im Zusammenhang mit der gemeinsamen EU-Politik sowie zur Energiequalität von Gebäuden und Gebäudeausrüstung abgegeben. In Neubauten werden aufgrund der Anforderungen von EU-Regelwerken greifbare Ergebnisse erzielt, die in erster Linie die Verbraucher spüren und die gleichzeitig dem ganzen Land zugute kommen. Unter anderen ist auf die Stellungnahmen TEN/227, 263, 283, 274, 286, 309, 269, 299, 311, 332, 341 (5) zu verweisen.

2.2.   Die zwölf neuen Mitgliedstaaten haben nach ihrem EU-Beitritt jedoch erheblich später mit der Umsetzung der Rechtsvorschriften in die Praxis begonnen, so dass diese Staaten in Sachen Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden hinter den alten Mitgliedstaaten zurückliegen, und der Wohn- und Verwaltungsgebäudebestand bei weitem nicht den Mindestanforderungen der Richtlinie entsprechen.

2.3.   Zu der Richtlinie selbst hat sich der EWSA bereits in seiner Stellungnahme vom 17. Oktober 2001 geäußert (6). Somit befasst sich die vorliegende Stellungnahme nur mit dem Vorschlag für eine Neufassung der Richtlinie 2002/91/EG (KOM(2008) 780 endg.), und es sollen die Besonderheiten der neuen Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den in dieser Richtlinie erörterten Aspekten hervorgehoben werden.

2.4.   Es ist erfreulich, dass als Ziele der EU-Politik auch ein höherer Komfort für die Bürger und eine Senkung ihrer Energiekosten genannt werden.

2.5.   In der geltenden Richtlinie wird bereits Folgendes beschrieben:

die Methode zur Berechnung der Energieeffizienz bezogen auf neue Gebäude und bestehende Gebäude, die renoviert werden,

die Festlegung von Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz,

die Ausstellung von Energieausweisen,

die Inspektion von Heizkesseln und Heizungsanlagen,

die Inspektion von Klimaanlagen.

2.6.   In der Neufassung wird nun nach Anhörung einschlägiger Akteure aufgezeigt, auf welche Weise durch zielgerichtetes Vorgehen welche Verbesserungen erreicht werden können.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.   Auf den Gebäudesektor (Wohn- und Gewerbegebäude) entfallen rund 40 % des Endenergieverbrauchs und der Kohlendioxidemissionen in der EU. Dieser Sektor erwirtschaftet ca. 9 % des BIP (ungefähr 1 300 Mrd. EUR) und stellt ca. 7-8 % (Zusammenfassung der Folgenabschätzung) der Arbeitsplätze in der EU (für etwa 15-18 Mio. der nach Eurostat insgesamt 225,3 Mio. Erwerbstätigen). 40 % der Gebäude sind in öffentlicher Hand und 74 % der Gebäude haben eine Fläche von weniger als 1 000 m2.

3.2.   Die heutige Gesellschaft richtet ihr Augenmerk zunehmend auf:

Umweltschutzanliegen,

die Verbrauchergesundheit (z.B. Raumluftqualität, Zugänglichkeit für ältere Menschen),

den Wohnkomfort,

die Effizienz von Elektrogeräten und Heizungsanlagen. Der Sektor ist durch zahlreiche Vorschriften geregelt, die einander oft widersprechen (7).

3.3.   Die Zivilgesellschaft sollte die wirtschaftliche Wirkung der Richtlinie, die Tauglichkeit und die künftigen Auswirkungen der Vorschläge aus der Sicht verschiedener Betroffener und gesellschaftlicher Gruppen einer konkreten Region ausgehend von einer langfristigen Perspektive bewerten.

3.4.   Die Ausstellung von Energieausweisen für Gebäude ist nicht nur ein Mittel, um ein Gebäude einer bestimmten Energieeffizienzklasse zuzuordnen, sondern auch ein Impuls zur Suche nach neuen Planungslösungen.

Aufgrund der erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen birgt der Bausektor ein großes Beschäftigungspotenzial.

3.5.1.   Aufgrund der Richtlinie 2002/91/EG und deren vorgeschlagenen Neufassung können jährlich im Schnitt 60 000 neue Arbeitsplätze in den 15 alten Mitgliedstaaten und etwa 90 000 Arbeitsplätze in den 12 neuen Mitgliedstaaten geschaffen werden.

3.5.2.   Durch die Umsetzung der Maßnahmen zur Sicherstellung einer hohen Energiequalität (Gebäude mit einem jährlichen Verbrauch von bis zu 50 kWh/m2) könnten in der EU jährlich 1 000 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden (8) (dies entspräche 10 % der Beschäftigung in diesem Bereich).

3.5.3.   Derzeit sind zu wenig Beschäftigte des Gebäudesektors für die Anwendung von Technologien zur Erreichung hoher Energieeffizienzniveaus qualifiziert. In der Richtlinie wird vorgeschlagen, über Berufsbildungsmaßnahmen die Qualifikation von Fachkräften sicherzustellen, die im Bereich nachhaltige Gebäude eingesetzt werden können.

3.6.   Gerade der Blick in die Zukunft ist für uns wichtig, denn in Ziffer 3.4 der Stellungnahme INT/415 (9)hat der EWSA einen auf alle Rechtsakte abzielenden Gedanken formuliert: Rechtsakte müssen folgenden Anforderungen genügen: Verständlichkeit, Zugänglichkeit, Annehmbarkeit und Durchsetzbarkeit. In Bezug auf die technischen Aspekte der Richtlinie können die Merkmale Rechtzeitigkeit, Durchführbarkeit und Realitätsbezug ergänzend hinzugefügt werden.

3.7.   In Ziffer 2.1.3 der Stellungnahme TEN/299 (10) wird aufgeführt, dass in herkömmlichen Wohnungen der Verbrauch allein für die Heizung im Jahr bei 180 kWh/m2 liegt. Nach Angaben, die dem Berichterstatter und dem Sachverständigen vorliegen, beträgt der durchschnittliche jährliche Energieverbrauch für Heizung in typisierten Wohnungen der baltischen Staaten sowie in etwa gleichalten Wohnungen der Nachbarländer ca. 150 kWh/m2. Die Erfahrung zeigt, dass der Energiebedarf nach Renovierung und Wärmedämmung der Gebäude bei unveränderten Klimabedingungen um die Hälfte reduziert werden kann.

3.8.   Auf einschlägige Gemeinschaftsvorschriften, die sich auf die derzeitige Situation in der EU beziehen, wird unter Ziffer 3.1 der Stellungnahme TEN/299 (10) verwiesen.

3.9.   Die GD Umwelt und die GD Unternehmen und Industrie arbeiten zurzeit wichtige Rechtsvorschriften zur Kennzeichnung von Bauelementen aus, die - auch wenn sie selber keine Energie erzeugen - zur Senkung des Energieverbrauchs beitragen (Fenster, Wände, bauteilintegrierte Haustechnik-Systeme).

3.10.   Eine Neufassung bzw. Überarbeitung der geltenden Bestimmungen kann erheblich zur Senkung des Energieverbrauchs in Gebäuden beitragen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   In der Neufassung der Richtlinie sind folgende wichtige Änderungen vorgesehen:

Ein erweiterter Anwendungsbereich der Richtlinie. Energieausweise werden für alle Gebäude verpflichtend. Es ist festzustellen, dass 74 Prozent aller in der EU bestehenden Gebäude eine Gesamtnutzfläche von weniger als 1 000 m2 haben.

Ausweitung und Förderung der Ausstellung von Energieausweisen im öffentlichen Sektor.

Stärkung der Rolle der Sachverständigen, die die Energieausweise ausstellen.

Die Mitgliedstaaten müssen neue konkrete Maßnahmen festlegen, um günstigere Finanzierungsbedingungen für Investitionen zur Verbesserung der Energieeffizienz zu schaffen.

Stärkere Aufmerksamkeit für Probleme im Zusammenhang mit Klimaanlagen.

Regelmäßige Aktualisierung der Energieeffizienznormen des CEN.

4.2.   Der in Erwägung 6 der Richtlinie angeführte Anteil der Gebäude am Energieverbrauch liegt in Ländern mit einem kalten Klima spürbar höher und darum wird vorgeschlagen, in der Neufassung der Richtlinie in der Erwägung (8) den klimatischen und örtlichen Bedingungen angemessen Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Zuteilung von Investitionen.

4.3.   Der EWSA begrüßt die Bestimmungen von Artikel 10, gemäß derer Energieausweise im Fall von Gebäudekomplexen mit einer gemeinsamen Heizungsanlage auf der Grundlage eines gemeinsamen Energieausweises für das gesamte Gebäude oder auf der Grundlage der Bewertung einer anderen vergleichbaren Wohnung in demselben Gebäudekomplex ausgestellt werden können, obwohl die EU-Staaten das Verfahren zur Ausstellung von Energieausweisen für typisierte Wohnbauten weiter vereinfachen könnten.

4.4.   Wohnungen werden für künftige Eigentümer oder Mieter attraktiver, wenn die Angaben in den Ausweisen über die Gesamtenergieeffizienz nach Artikel 10 - ob verbindlich oder freiwillig – verlässlich sind. Der Vorschlag der Option B1, stichprobenartige Kontrollen der Ausweise durchzuführen, um deren Zuverlässigkeit zu gewähren, ist nach Auffassung des EWSA akzeptabel und empfehlenswert; dies sollte jedoch nicht zur Verhängung von Sanktionen nach Artikel 22 führen. Es ist wünschenswert, dass der neue Energieausweis für Wohngebäude zu einem Dokument wird, das eine langfristige Energiequalität garantiert. Den Ausweis für eine neue installierte Heizungsanlage sollte das unabhängige Fachpersonal (Artikel 16) zusammen mit dem Installateur ausstellen.

4.5.   Der EWSA begrüßt die in der Richtlinie festgelegten Schwellenwerte von 20 kW Nennleistung für Heizungsanlagen (Artikel 13) und 12 kW Nennleistung für Klimaanlagen (Artikel 14). Je nachdem, ob fossile Brennstoffe oder erneuerbare Energieträger verwendet werden, könnten die Mitgliedstaaten der EU in ihren Regionen unterschiedliche Grenzwerte und verschiedene Inspektionsintervalle für Heizungssysteme festlegen. Die Qualität der Inspektionsberichte sollte immer wieder stichprobenartig gemäß Artikel 17 kontrolliert werden, es ist jedoch unklar, ob die Empfehlungen des Sachverständigen zur Verbesserung des Systems verbindlichen Charakter haben sollen oder unbeachtet bleiben können, oder ob die „finanziellen Folgen“ gemäß Artikel 19 als Sanktionen betrachtet werden. In den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften sollte vorgesehen werden, dass Inspektoren der Zugang zu Privatbesitz zur Inspektion von Heizungsanlagen gestattet werden muss.

4.6.   Die Energieeffizienz eines Heizkessels, den ein Hersteller auf den Markt bringt, wird in einem spezialisierten Labor nach den Standardanforderungen zertifiziert und auf dem Etikett des Heizkessels vermerkt. So wird irreführende Werbung vermieden und Qualität garantiert. Empfehlungen für eine spätere regelmäßige oder freiwillige Überprüfung des Kessels unter Betriebsbedingungen würden den Eigentümer motivieren, einen effizienten Betrieb des Kessels anzustreben, der sich an dessen maximalen technischen Leistungsparametern orientiert.

4.7.   Ein Vergleich aller in der Neufassung der Richtlinie enthaltenen Bestimmungen lässt den Schluss zu, dass sie alle Beachtung verdienen, sinnvoll sind und dass die vorgeschlagenen Wege zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden einander nicht widersprechen und parallel umgesetzt werden können.

4.8.   EU-weite Orientierungswerte zum Energieverbrauch und eine Methode nach Artikel 5 der Richtlinie und nach Option D1 (Zusammenfassung der Folgenabschätzung) sind erforderlich, denn derzeit sind die in verschiedenen Ländern gemessenen jährlichen Verbrauchswerte in kWh/m2 aufgrund der klimatischen Besonderheiten schwer vergleichbar. Mithilfe regionaler Orientierungswerte sollte der Energieverbrauch für Heizung und Kühlung differenziert erkennbar sein. Es wäre zweckmäßig, die Orientierungsgrößen nicht nach der Außentemperatur, sondern nach der für die Mitgliedstaaten charakteristischen Zahl der Heiz- und Kühlgradtage (engl. heating degree-days, cooling degree-days) festzulegen, die den Einfluss des Klimas auf den Energieverbrauch besser widerspiegeln als die durchschnittliche Außentemperatur.

4.9.   Selbstverständlich müssen die grundlegenden Parameter zur Berechnung der Energieeffizienz (und nicht die konkreten Zahlenwerte) in allen EU-Staaten einheitlich sein, außerdem ist eine einheitliche Berechnungsmethode anzuwenden. Allerdings wird durch derartige Berechnungen kaum das tatsächliche Niveau eines Landes erkennbar: Es bleibt unklar, ob das kostenoptimale Niveau erreicht wird oder nicht, denn das Niveau wird von vielen anderen (klimaunabhängigen) Parametern der freien Marktwirtschaft bestimmt.

4.10.   Bei der Renovierung von Gebäuden mit veralteten, provisorischen oder sehr schlechten Energieindikatoren nach Artikel 4 (und Option D3) sind die Ergebnisse am deutlichsten sicht- und spürbar. Allerdings sind Gebäude mit den größten Mängeln meist auch alt und abgewohnt. Es lohnt sich nicht, die Renovierung solcher Gebäude mit staatlichen Beihilfen zu fördern, wenn die Amortisationsdauer der investierten Mittel offensichtlich über der voraussichtlichen Nutzungsdauer des Gebäudes liegt. Ein derartiges Vorgehen bei den Renovierungen hätte negative Auswirkungen. Bei den Gebäuden mit den größten Mängeln sollte sehr sorgfältig ausgewählt werden, welche von ihnen für eine Renovierung in Frage kommen.

4.11.   Da es keine Nullemissions-Häuser gibt (Artikel 9), sollte der Bogen nicht überspannt werden; und nach Ansicht des EWSA sollte flexibler verfahren und den Mitgliedstaaten ein Improvisationsspielraum bei der Wahl der optimalen Lösungen eingeräumt werden. Ein Nullwert bei den Emissionen sollte nur als Zukunftsideal angestrebt werden.

4.12.   Gegenwärtig ist in diesem Zusammenhang auf die sogenannten Passivhäuser hinzuweisen, deren Jahresheizwärmebedarf höchstens 15 kWh/m2 beträgt, sowie auf Häuser der Kategorie A, deren Jahresheizwärmebedarf bei höchstens 30 kWh/m2 liegt.

5.   Schlussfolgerungen

5.1.   Gemäß den Schlussfolgerungen der Folgenabschätzung bietet die überarbeitete Richtlinie eine gute Erfolgsaussichten für Energieeinsparungen und der EWSA ist zuversichtlich, dass die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie dazu beitragen wird, das Potenzial für Energieeinsparungen in Gebäuden auszuschöpfen.

5.2.   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass mit den veranschlagten Investitionen von 8 Mrd. EUR jährlich das in der neugefassten Richtlinie anvisierte Ziel und die finanzielle Wirkung kaum zu erreichen sind, denn allein am Beispiel der neuen Mitgliedstaaten lässt sich ermessen, dass der Renovierungsaufwand weitaus höher ist. Auf die Kosten und den Umfang der Renovierungen haben gewisse Faktoren Einfluss, die nicht von den Bestimmungen der Richtlinie abhängen.

5.3.   Der in Litauen erforderliche Umfang und Bedarf wird durch folgende Zahlen deutlich: Es gibt ungefähr 40 000 alte, unter dem Gesichtspunkt der Energieeffizienz unwirtschaftliche Wohngebäude. Bei etwa 600 bestehenden Gebäuden wurden verschiedene Verbesserungen zur Senkung der Energiekosten durchgeführt (meist durch Austausch der Fenster), und etwa 60 Gebäude wurden umfassend saniert. Auch wenn sich die Angaben verschiedener Quellen unterscheiden, so zeigen sie alle, dass man weit hinter den Planungen zurückliegt. Bei dieser Geschwindigkeit würden sich die Renovierungsarbeiten über 100 Jahre hinziehen, zumal die Renovierungen im Einklang mit der geltenden Richtlinie noch nicht einmal begonnen haben.

5.4.   Finanzielle Gründe. Ein typisches Beispiel: Nach Angaben des Unternehmens „Vilniaus energija“, das die litauische Hauptstadt Vilnius mit Fernwärme versorgt, verbraucht eine 60 m2 große Wohnung jährlich für Heizung und Warmwasserbereitung etwa 200 kWh/m2, davon ca. 140 (11) kWh/m2 für die Heizung. Durch die Wärmedämmung eines Gebäudes und Einsparung von 50 % des Heizwärmebedarfs, würden die Bewohner bei einem Preis von 0,072 € pro kWh jährlich 5,07 € pro Quadratmeter, d.h. insgesamt 304,20 € einsparen. Nach Angaben der Stadtverwaltung Vilnius kostet eine gründliche Sanierung eines Hauses mit mehreren Wohneinheiten durchschnittlich 165 € pro Quadratmeter (12). Wenn die für die Renovierung aufgenommenen Darlehen innerhalb von 20 Jahren zurückzuzahlen sind, müssten die Bewohner eines solchen Hauses mindestens 41,30 € monatlich zahlen.

Umfragen zufolge wären nur 5 % der Bewohner dazu bereit. Die öffentliche Hand ist nicht in der Lage, die Wärmesanierung von Gebäuden mitzufinanzieren: Seit der Verabschiedung des Programms zur Modernisierung von Häusern mit mehreren Wohneinheiten im Jahr 2004 bis zum November 2008 wurden für diese Zwecke 37,3 Millionen EUR bereitgestellt, dies entspricht 0,5 % des Jahreshaushalts (13). Daher soll durch die Verabschiedung der Neufassung der Richtlinie im EP gemäß dem dem Parlament vom MdEP Silvia-Adriana Ţicău (RO) vorgelegten Vorschlag eine bessere Umverteilung der Strukturfondsmittel dem Renovierungsprozess neuen Schwung geben.

5.5.   Psychologische und rechtliche Gründe. Eine grundlegende Senkung der Energiekosten erfolgt nur durch Wärmedämmung, die Amortisationszeit dieser Maßnahme beträgt aber mehrere Jahrzehnte. Dies ist aus Sicht der Lebenserwartung eines Menschen ein unvorhersehbar langer Zeitraum. Junge Menschen wissen nicht, wo sie in 20 Jahren leben werden, Menschen, die auf die 60 zugehen, sind sich nicht sicher, dass sie in 20 Jahren überhaupt noch leben, folglich sind diese beiden Bevölkerungsgruppen (also insgesamt ca. 20 % der Bevölkerung (14)) nicht an einer Renovierung interessiert. Hinzu kommen die mittellosen Einwohner, denen Heizkostenzuschüsse gewährt werden. Das Argument, dass eine Renovierung den Wert des Wohnraums erhöht, verliert in diesem Fall an Kraft. Wenn das Gebäude veraltet ist und abgerissen wird, bleibt der Wohneigentümer ohne Unterkunft und häufig auch ohne Anspruch auf das Grundstück, auf dem das Gebäude stand, es sei denn, er hat es bereits vorher gekauft. Diese Situation wird durch Artikel 19 der Neufassung der Richtlinie verbessert, der sogar Maßnahmen vorsieht, die Besitzer und Mieter durch Informationskampagnen im Rahmen von Gemeinschaftsprogrammen aufzuklären.

5.6.   Ungünstig für die Wärmesanierung ist die unter den Verbrauchern verbreitete Meinung, dass eine Renovierung die Wohnungseigentümer mit einem langjährigen Darlehen belastet, das bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage unter Umständen nicht zurückgezahlt werden kann, wogegen sich die Einnahmen der Energielieferanten für ein renoviertes Gebäude nicht ändern oder nach einer von illegalem Lobbyismus und Korruption beeinflussten Anpassung der Tarife sogar noch ansteigen. Dass sich eine solche Meinung herausbilden konnte, liegt zum Teil daran, dass die Lieferanten von Fernwärme, mit der in den neuen Mitgliedstaaten der EU überwiegend geheizt wird, in dem Streben nach übermäßigem Profit bei sinkendem Wärmeverbrauch die Wärmepreise für alle erhöhen, darunter auch für renovierte Gebäude. Insgesamt ein schwer zu lösendes Problem. Wenn nach Umsetzung der erweiterten Neufassung der Richtlinie durch die vorgeschriebene Ausstellung von Energieeffizienzausweisen für Ausrüstungen die Abrechnungen verbessert und Verstöße gemäß Artikel 22 geahndet werden, könnten die Befürchtungen der Verbraucher durch technische und administrative Maßnahmen zerstreut werden.

5.7.   Aufgrund von Renovierungen in großem Stil wird es zu Einsparungen von Wärmeenergie für Gebäude kommen, die erwartete Verringerung der CO2-Emissionen könnte jedoch ausbleiben. Bei der Bereitstellung von Wärmeenergie aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen wird die bei der Stromerzeugung anfallende Abwärme genutzt. Bei einer Senkung des Wärmeverbrauchs kann ein Teil der ungenutzten Abwärme zur Beheizung neu errichteter Gebäude verwendet werden, wodurch der Kohlendioxidausstoß gebremst wird.

5.8.   Ohne staatliche Sicherheiten, Unterstützung und Perspektiven sind die Verbraucher pessimistisch gestimmt. Hinzu kommt, dass weder die geltende noch die überarbeitete Richtlinie sicherstellt, dass das Prinzip einer von allen Interessenträgern und Verbrauchern erhofften einzigen Anlaufstelle für den Renovierungsprozess befolgt wird. Gegenüber der Forderung in Artikel 11 Absatz 3 und 4, dass beim Verkauf oder der Vermietung einer Wohnung in einem Haus mit mehreren Wohneinheiten ein Energieausweis vorzulegen ist, haben die Verbraucher Vorbehalte, wenn die Energiekosten aus bezahlten Rechnungen ersichtlich sind und beide Vertragsparteien ihr Einverständnis erklären. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten.

5.9.   Es gibt zahlreiche von Menschenhand geschaffene Bauprodukte (15)  (16), unter denen man die am besten geeigneten auswählen kann. Wenn aber plötzlich riesige für Renovierungen bestimmte Investitionsströme zur Wiederbelebung der Bauindustrie auf den Markt fließen, besteht die Gefahr, dass bei den Bemühungen um einen schnellen Zugriff auf diese Mittel die Eignung der Produkte aus den Augen verloren wird. Andererseits würden die Bestimmungen der Richtlinie (Artikel 16 und 17) betreffend das unabhängige Fachpersonal und Kontrollsystem die Verwendung qualitativ minderwertiger Produkte verhindern, wenn die Kompetenzen dieses Fachpersonals entsprechend erweitert würden.

Brüssel, den 14. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Betrifft nur die deutsche Sprachfassung.

(2)  Siehe Richtlinie 93/76/EWG, ABl. L 237 vom 22.9.1993, S. 28-30.

(3)  Erweiterung der Bestimmungen von Artikel 10 Absatz 5 Buchstabe b (der Neufassung).

(4)  Damit würde die Einhaltung von Artikel 1 (Würde des Menschen) und Artikel 34 Absatz 3 (Recht auf eine Unterstützung für die Wohnung) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sichergestellt.

(5)  Broschüre der Fachgruppe TEN: What Energy Policy for Europe? Key points of recent EESC opinions (Welche Energiepolitik für Europa? Kernaussagen aus den jüngsten EWSA-Stellungnahmen) (und andere Quellen des EWSA).

(6)  Stellungnahme zum Thema „Energieprofil von Gebäuden“, ABl. C 36 vom 8.2.2002, S. 20.

(7)  Eine Leitmarktinitiative für Europa, KOM(2007) 860.

(8)  Studie der Generaldirektion Umwelt (Agentur für soziale Entwicklung).

(9)  „Proaktives Recht“, ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 26.

(10)  Stellungnahme zum Thema „Energieeffizienz in Gebäuden - Beitrag der Endnutzer“, ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 62.

(11)  K. Nėnius, Programm der Stadtverwaltung Vilnius „Zeit zur Erneuerung der Wohnhäuser und zur Erneuerung der Stadt“ (in Litauisch), http://www.krea.lt/uploads/Busto_progr_bendrijos_EAIP.ppt#22.

(12)  E. Levandraitytė, Politik der harten Faust ist unvermeidlich, Statyba ir architektūra (Zeitschrift „Bauwesen und Architektur“, in Litauisch), 2008/12, S. 26-29.

(13)  V. Martinaitis, Energiebedarf litauischer Häuser mit mehreren Wohneinheiten und Herausforderungen für die Wirtschaft Litauens (in Litauisch), 22.10.2008, Material eines Workshops zum Thema „Die teuerste Heizsaison“).

(14)  Amt für Statistik, Einwohner der Stadt Vilnius und Wohnraum (in Litauisch), http://www.stat.gov.lt/uploads/docs/Vilniaus_saviv.pdf.

(15)  „Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten“, ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 15.

(16)  Damit würde die Einhaltung von Artikel 1 und Artikel 34 Absatz 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union über die Würde des Menschen und die Unterstützung für die Wohnung sichergestellt.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/81


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten“

(KOM(2008) 775 endg./2 — 2008/0220 (CNS))

(2009/C 277/16)

Berichterstatter: Carmelo CEDRONE

Der Rat beschloss am 10. Dezember 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß den Artikeln 100 und 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten

KOM(2008) 775 endg./2 - 2008/0220 (CNS).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. April 2009 an. Berichterstatter war Carmelo CEDRONE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 182 gegen 3 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1.   Nach Auffassung des EWSA hat der Vorschlag — neben seinen inhaltlichen Aspekten — den großen Vorteil, dass er die geltenden Vorschriften in diesem Bereich vereinfacht, da er drei derzeitige Rechtsakte durch einen einzigen ersetzt. Darüber hinaus werden mit dem Vorschlag die Verwaltungsverfahren der Mitgliedstaaten gestrafft, da die allgemeinen Bevorratungsverpflichtungen der Mitgliedstaaten denen der Internationalen Energieagentur (IEA) angeglichen werden (wobei jedoch die Anpassung an sich eigentlich nicht so relevant ist).

1.2.   Das Subsidiaritätsprinzip wird in dem Vorschlag berücksichtigt und ordnungsgemäß auf ein öffentliches Gut angewandt; im Rahmen des Binnenmarktes muss gewährleistet werden, dass im Falle einer weltweiten Krise alle in Verkehr gebrachten Vorräte von allen betroffenen Ländern — unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur Internationalen Energieagentur — frei erworben werden können.

1.3.   Die Koordinierung ist derzeit die beste Methode zur Gewährleistung eines hohen Niveaus der Erdölversorgungssicherheit in der Europäischen Union und zur Annahme gemeinsamer Kriterien.

1.4.   Der Richtlinienvorschlag erleichtert rasche und wirksamere Maßnahmen im Falle einer Krise, und zwar auch im Vergleich zu dem bisherigen Verhältnis zwischen den Systemen der EU und der IEA, da er den tatsächlichen Notwendigkeiten, die Notfälle mit sich bringen können, Rechnung trägt.

1.5.   Der EWSA ist der Auffassung, dass eine umfassende Strategie erforderlich ist, die darauf abzielt, eine möglichst hohe Energieautarkie der Europäischen Union zu gewährleisten.

1.6.   Der Richtlinienvorschlag geht zwar in diese Richtung, ist jedoch noch unzureichend, um das angestrebte Ziel zu erreichen.

1.7.   Der EWSA ist der Meinung, dass das Hauptproblem nicht so sehr in der Inhaberschaft bzw. den Eigentumsrechten an den Vorräten liegt, die mit schwerwiegenden finanziellen Belastungen zumindest für einige EU-Mitgliedstaaten einhergehen könnte(n), sondern vielmehr in der Kontrolle, die überaus streng und öffentlich sein muss und vorzugsweise auf europäischer Ebene durchgeführt werden sollte.

1.8.   Aus diesem Grund könnten die spezifischen Vorräte und die Sicherheitsvorräte auch von Unternehmen gehalten werden, vorausgesetzt die Kontrolle bleibt in den Händen der Mitgliedstaaten oder — was wünschenswerter wäre — der Europäischen Union. Nur falls sich diese Kontrollen als unwirksam erweisen sollten, könnte im Einklang mit dem Kommissionsvorschlag die Verpflichtung eingeführt werden, dass die spezifischen Sicherheitsvorräte öffentliches Eigentum sein müssen.

1.9.   Der EWSA hält die Bildung von Vorräten, die 70 Verbrauchstagen entsprechen, zweckmäßiger als das Kriterium der Vorräte in Höhe von 90 Tagen an Nettoeinfuhren.

1.10.   Es kann auch das Ziel verfolgt werden, Teile der kommerziellen Vorräte in Sicherheitsvorräte umzuwandeln. Im Hinblick auf eine wirksame innereuropäische Solidarität könnte ein Grundsatz zum Tragen kommen, wonach im Falle einer Krise die Vorräte unverzüglich der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden; zu untersuchen und einzuführen wäre beispielsweise der Grundsatz „use it or lose it“, der auf dem europäischen Energiemarkt bereits angewandt wird.

1.11.   Der EWSA fordert die Kommission auf, die Möglichkeit einer Vereinheitlichung der Steuern (Verbrauchsteuern) auf die Erdölvorräte der verschiedenen Mitgliedstaaten zu prüfen.

2.   Vorschläge

2.1.   Der EWSA spricht sich für ein stärkeres Engagement der Kommission im Bereich der Erdölvorräte aus, wobei auf die Koordinierung und Kontrolle ein besonderer Schwerpunkt zu legen ist. Ein ähnliches Engagement ist auch im Bereich der Erdgasvorräte erforderlich.

2.2.   Dies bedeutet, dass die Europäische Union, auch im Hinblick auf ihre Bemühungen zur Schaffung eines Energiebinnenmarktes, eine wichtigere Rolle übernehmen muss.

2.3.   Jeder Mitgliedstaat sollte die entsprechenden Unternehmen dazu verpflichten, eine für die Bewältigung eventueller Krisen notwendige Menge an Vorräten anzulegen, und dies entsprechend kontrollieren.

2.4.   Anschließend muss die Kommission die Situation auf gemeinschaftlicher Ebene überwachen. Sollte ein Mitgliedstaat seiner Pflicht nicht nachkommen, muss ihm die Bildung spezifischer, in seinem Besitz befindlicher Vorräte vorgeschrieben werden. In jedem Fall ist bei der Finanzierung dieser Vorräte die größtmögliche Transparenz zu gewährleisten.

2.5.   Die Handhabung der Vorräte sollte vorzugsweise privatwirtschaftlich erfolgen und im Inneren gegebenenfalls durch einen revolvierenden Fonds unterstützt werden (der das Inverkehrbringen der Vorräte durch die vom Staat ermächtigten Unternehmen erleichtert, ohne dass es zu übermäßiger Geldverschwendung kommt), jedoch auch einer sorgfältigen Überwachung durch die öffentlichen Behörden unterliegen.

2.6.   Der Ausschuss hält die Beteiligung der Europäischen Union jedoch für ausschlaggebend, damit gewährleistet werden kann, dass die Mitgliedstaaten unter gleichen Voraussetzungen handeln, und dass folglich der Pflicht, Vorräte anzulegen, zu halten und bei Bedarf vonseiten eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zur Verfügung zu stellen, effektiv nachgekommen wird.

2.7.   Es muss ein Koordinierungsausschuss oder eine Agentur eingerichtet werden, die mit echten Handlungsbefugnissen ausgestattet wird, oder verstärkt auf die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden zurückgegriffen werden.

2.8.   Der EWSA fordert die Kommission auf, dem Europäischen Parlament jährlich einen Bericht über den Bestand an Vorräten vorzulegen.

3.   Einleitung

3.1.   In den vergangen Jahren und insbesondere in der jüngsten Vergangenheit hat sich das Risiko einer Unterbrechung der Energieversorgung erhöht. Diesem wurde mit dem Inverkehrbringen von Erdölsicherheitsvorräten begegnet. In den letzten vierzig Jahren gab es weltweit mehrere Versorgungsunterbrechungen. Mithilfe der Vorräte aus verschiedenen Ländern konnte dieses Problem in geordneter Weise entschärft werden. Da Europa über einen einheitlichen Markt für Ölerzeugnisse verfügt, wird jegliche Unterbrechung wahrscheinlich alle Länder im gleichen Ausmaß treffen, weshalb es zweckmäßig und nützlich ist, dass Europa koordinierte Maßnahmen für die Anlage von Ölvorräten und für die Handhabung ihres Inverkehrbringens im Falle künftiger Unterbrechungen festlegt.

3.2.   Dies setzt eine Erhöhung der Versorgungssicherheit in der Europäischen Union und in den einzelnen Mitgliedstaaten voraus, wobei die besten und für die Bewältigung von Krisen geeignetsten Mechanismen zu ermitteln sind.

3.3.   Seit vielen Jahren gelten in Europa Vorschriften, nach denen die EU-Mitgliedstaaten eine Mindestmenge an Erdölvorräten halten müssen - Grundlage hierfür ist die allgemeine Empfehlung der IEA, dass stets Vorräte im Umfang von 90 Verbrauchstagen vorhanden sein sollten. Im März 2007 allerdings forderte der Rat bei der Erörterung von Fragen der Energieversorgungssicherheit, die Erdöl-Bevorratungssysteme der EU insbesondere im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Öl im Krisenfall zu prüfen und dabei der Komplementarität mit dem Krisenmechanismus der Internationalen Energieagentur besonderes Augenmerk zu schenken.

3.4.   Angesichts der Mängel, die das derzeitige System aufweist, ist dies ausgesprochen wichtig. Diese Mängel könnten eine ordnungsgemäße Versorgung im Bedarfsfall verhindern, was wiederum schwerwiegende Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem hätte.

3.5.   Da das Erdöl nach wie vor die Hauptenergiequelle der Europäischen Union ist, muss das Vorratssystem verlässlicher werden, wobei berücksichtigt werden muss, dass der Energiesektor noch NICHT Teil des Binnenmarktes ist. Mehr noch: Es fehlt auch an Verfahren für eine koordinierte Vorgehensweise und an einer Verknüpfung zwischen dem System der EU und jenem der IEA.

3.6.   In der EU macht praktisch jeder das, was er will. Es gibt eine Vielfalt an Systemen und Praktiken, was u.a. auch zu Formen der Wettbewerbsverzerrung zwischen den Wirtschaftsakteuren führen kann.

4.   Zusammenfassung des Vorschlags

4.1.   Vor der Erarbeitung des Richtlinienvorschlags hat die Kommission zahlreiche Konsultationen durchgeführt und — auch mithilfe von Sachverständigen — eine Folgenabschätzung ausgearbeitet.

4.2.   In der Folgenabschätzung wurden vier Optionen untersucht:

Option 0: keine Veränderungen gegenüber der derzeitigen Situation, die gänzlich unbefriedigend ist;

Option 1: Stärkung der Kontroll- und Koordinierungsmechanismen des derzeitigen Systems, wobei die geltenden Vorschriften unverändert bleiben. Dadurch blieben die derzeitigen Mängel erhalten, ohne dass beträchtliche Verbesserungen erzielt würden;

Option 2: Schaffung eines zentralisierten Gemeinschaftssystems und Einführung der Vorschrift, dass Sicherheitsvorräte, die 90 Tagen entsprechen, öffentliches Eigentum sein müssen (und von den kommerziellen Vorräten getrennt sind). Dies würde eine bessere Bewältigung von Notsituationen ermöglichen, jedoch auch mit hohen Kosten einhergehen;

Option 3: Bildung spezifischer Sicherheitsvorräte im Rahmen einer überarbeiteten Version des derzeitigen Systems. Diese Option würde im Bedarfsfall die Verfügbarkeit zusätzlicher Vorratsmengen gewährleisten, weshalb sie am sinnvollsten erscheint.

4.3.   Die Kommission legt ihrem Vorschlag die dritte Option zugrunde. Den Mitgliedstaaten wird jedoch lediglich die Verpflichtung auferlegt, Sicherheitsvorräte anzulegen, die insgesamt mindestens 90 Tagen an Nettoeinfuhren oder 70 Verbrauchstagen entsprechen (je nachdem, welche Menge größer ist). Die Mitgliedstaaten müssen keine spezifischen Vorräte anlegen, können dies aber freiwillig tun. Es werden Bestimmungen zur Verstärkung der Kontrollen eingeführt und es ist vorgesehen, dass jeder Mitgliedstaat einen jährlichen Bericht erstellt, in dem der Standort und der Eigentümer der Sicherheitsvorräte vermerkt sind.

4.4.   Es ist vorgesehen, die allgemeinen Bevorratungsverpflichtungen stärker mit den Maßnahmen der IEA in Einklang zu bringen.

4.5.   Die Mitgliedstaaten sollen bei der Festlegung der Modalitäten für die Erfüllung ihrer Bevorratungsverpflichtungen über einen größeren Spielraum verfügen, so dass sie die entsprechenden Aufgaben einem anderen Mitgliedstaat übertragen könnten.

4.6.   Mit dem Vorschlag werden für Fälle, in denen die IEA bereits Maßnahmen ergriffen hat (wirksamer internationaler Beschluss zum Inverkehrbringen von Vorräten), Regeln und Verfahren festgelegt. Die Maßnahmen von Ländern, die nicht Mitglied der IEA sind, werden von der Europäischen Union koordiniert.

4.7.   Darüber hinaus ist vorgesehen, dass die Kommission nach Ablauf von drei Jahren vorschlagen kann, dass ein Teil der spezifischen Sicherheitsvorräte jedes Mitgliedstaats vom Staat oder von einer staatlichen Stelle gehalten werden muss.

5.   Allgemeine Bemerkungen

Der Ausschuss teilt die Präferenz der Kommission für Option 3 der Folgenabschätzung, da sie einen größeren Spielraum lässt als Option 2, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt, vor allem in finanzieller Hinsicht, überzogen erscheint. Ebenfalls auf der Grundlage der durchgeführten Untersuchungen, auf die in den dem Kommissionsvorschlag beigefügten Dokumenten verwiesen wird, vertritt er außerdem den Standpunkt, dass die Anlage spezifischer Vorräte — vom Staat als Eigentümer gehaltene Mengen an Erdölerzeugnissen — es unmöglich machen könnte, die Sicherheitsvorräte und die kommerziellen Vorräte gemeinsam - und unter Umständen sogar in den gleichen Vorratsbehältern - zu lagern, was zweckmäßig wäre.

5.1.1.   Aus technischer Sicht scheint diese Option die beste zu sein, wobei natürlich unbedingt die ständige Verfügbarkeit der für Sicherheitszwecke vorgesehenen Vorräte, die gemeinsam mit den Vorräten für kommerzielle Zwecke gelagert werden, sichergestellt werden muss. In jedem Fall müssen für alle aufgeführten Maßnahmen die möglichen sozialen und ökologischen Folgen berücksichtigt werden.

5.2.   Der EWSA billigt das Ziel der vorgeschlagenen Richtlinie, Krisensituationen bei der Versorgung mit Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu bewältigen.

5.3.   Die Verfügbarkeit von Vorräten ist — wie die Kommission richtig feststellt — die beste Lösung, um den akutesten Folgen eventueller Krisen auf dem Ölmarkt zu begegnen (wobei jedoch nicht die zentrale Rolle vernachlässigt werden darf, die heutzutage dem Gasmarkt zukommt, obgleich dieser im Richtlinienvorschlag nicht behandelt wird).

5.4.   Der EWSA ist mit der vorgeschlagenen physischen Trennung zwischen Sicherheitsvorräten und kommerziellen Vorräten nicht einverstanden. Die Vorräte können in den gleichen Anlagen oder Vorratsbehältern gelagert werden.

Nach Auffassung des Ausschusses müssen die drei anderen von der Kommission genannten Strategien weiterverfolgt und verstärkt werden, für die die Internationale Energieagentur bereits seit 1974 eintritt.

5.5.1.   Steigerung der einheimischen Erdölförderung (von der in einigen Mitgliedstaaten abgesehen wird mit dem Ziel, strategische Reserven im Boden zu lassen oder den Rohölpreis hoch zu halten).

5.5.2.   Ausweitung alternativer Technologien bei der Energienutzung mit dem Ziel, eine breitere Palette von Alternativen zur Verwendung primärer Brennstoffe bei der Stromerzeugung zur Verfügung zu haben. Dies kann erreicht werden, indem Heizöl — soweit technisch, ökologisch und finanziell möglich — vor allem durch Erdgas, Kohle (deren „saubere“ Nutzung vielversprechende Aussichten bietet) und Kernbrennstoffe (auch hier unter Verwendung von Technologien der neuesten Generation) ersetzt wird.

Begrenzung des Verbrauchs, was nicht so sehr die Wohnungsbeheizung oder die chemische Industrie betreffen sollte als vielmehr den Individualverkehr im Rahmen einer auf die Bevorzugung öffentlicher Verkehrsmittel ausgerichteten Gesamtstrategie.

5.5.3.1.   Abgesehen von der Tatsache, dass die Energieversorgung in Europa kurzfristig gefährdet sein kann (obgleich diese Gefahr einstweilen nicht so unmittelbar droht, wie es im letzten Sommer aussah), ist eine solche Strategie auch deshalb gerechtfertigt, weil der Individualverkehr in vielerlei (und vor allem in ökologischer) Hinsicht Ausmaße erreicht hat, die ein gründliches Nachdenken über mögliche Korrekturmaßnahmen erfordern.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1.   Im Richtlinienvorschlag sollte deutlicher zwischen den spezifischen Vorräten (Artikel 9) und den Sicherheitsvorräten (Artikel 3) unterschieden werden. Es sollte klargestellt werden, ob der Unterschied zwischen den beiden Kategorien einzig und allein darin besteht, dass die Mitgliedstaaten zur Anlage der betreffenden Vorräte verpflichtet sind oder nicht, oder ob sich die Definition auch auf die Kategorien der gelagerten Erdölerzeugnisse erstreckt, wobei es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleibt, die Verpflichtung zum Anlegen von Vorräten bei den anderen Erdölerzeugnissen zu übernehmen, bei denen es sich in diesem Fall nicht um Sicherheitsvorräte handelt. Es ist nicht klar, weshalb einige Ölerzeugnisse und Qualitätsmerkmale in der Liste der Vorräte aufgeführt, die anderen jedoch ausgeklammert werden.

6.2.   Aus der verwendeten Formulierung „auf dem Hoheitsgebiet der Gemeinschaft“ (Artikel 3) geht nicht klar hervor, wo die Sicherheitsvorräte zu lagern sind. Es könnte zweckmäßig sein, außerdem die geografischen und klimatischen Anforderungen für die Lagerstätten festzulegen neben den Anbindungen an die TEN-E, wenn diese künftig auch das Erdöl betreffen sollen, um bei Bedarf allen Ländern einen angemessenen Zugang zu den Vorräten zu ermöglichen. Die Aufgabe der Lagerhaltung sollte mehreren Mitgliedstaaten, möglicherweise im Rotationsverfahren, übertragen werden.

6.3.   Artikel 5 muss klarer formuliert werden, da er in der derzeitigen Fassung missverständlich sein könnte. Genauer gesagt scheinen sich die Absätze 1 und 2 zu widersprechen. Gemäß Absatz 1 müssen die Mitgliedstaaten fortlaufend die physische Zugänglichkeit und die Verfügbarkeit der auf ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Sicherheitsvorräte und spezifischen Vorräte gewährleisten, während sie gemäß Absatz 2 über die Verwendung und das Inverkehrbringen der betreffenden Vorräte entscheiden können, und zwar auch in unterschiedlicher Weise.

6.4.   Es könnte zweckmäßig sein, einheitliche Anforderungen vorzugeben, an die sich alle zentralen Bevorratungsstellen halten müssen, wenn sie die Bedingungen festlegen, zu denen sie die Vorräte anbieten (Art. 7 Abs. 4).

6.5.   Die der Koordinierungsgruppe übertragenen Aufgaben (Art. 18) sind nicht sehr bedeutend, da sie sich auf einen Beitrag zu Analysen der Lage in der Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit bei Erdöl und Erdölerzeugnissen (während die Kontrolle der Kommission obliegt) sowie zur Koordinierung und Durchführung von Maßnahmen in diesem Bereich beschränken. Dieser Gruppe sollte ein ausgeprägteres Mandat z.B. bei der Überprüfung und Kontrolle der Vorräte und Verfahren erteilt werden (möglicherweise sollte sie zu einer echten Agentur werden).

6.6.   Die „erforderlichen“ Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten im Falle einer bedeutenden Versorgungsunterbrechung treffen müssen (Art. 21), sind nicht genau spezifiziert. Es wäre zweckmäßig, im Voraus die Prozentsätze an Rohöl und Erdölerzeugnissen, die die einzelnen Mitgliedstaaten in Verkehr bringen müssen, oder die von ihnen vorzunehmenden Einschränkungen im Verbrauch festzulegen, und zwar vorzugsweise äquivalent oder zumindest proportional zur Menge der verfügbaren oder verbrauchten Vorräte. Da der Zweck der Vorräte darin besteht, in der Gemeinschaft Solidarität zu schaffen, sollten die verschiedenen Formen der Solidarität und des Ausgleichs zwischen den Mitgliedstaaten im Krisenfall genauer definiert werden, insbesondere die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten mit eigener Erdölförderung. Außerdem sollte die europäische Öffentlichkeit über so wichtige Fragen informiert werden, damit die Union näher an die Bürger heranrückt.

6.7.   Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass der öffentliche Personenverkehr und der Güterverkehr im Krisenfall nicht von der Verringerung der Lieferungen betroffen sein darf: die Energieversorgung zur Deckung des Heizbedarfs muss für die Bevölkerung generell, aber vor allem für öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser sichergestellt werden. Auch die Versorgung der petrochemischen Industrie muss sichergestellt werden.

6.8.   Um die im IEA-Übereinkommen vorgesehene Harmonisierung der Verfahren (Art. 21 Abs. 3) zu gewährleisten, können diejenigen Staaten, die Mitglied sowohl der Europäischen Union als auch der IEA sind, ihre spezifischen Vorräte (soweit angelegt) und ihre Sicherheitsvorräte zur Erfüllung der internationalen Verpflichtungen verwenden. In diesem Fall könnte sich jedoch eine Situation ergeben, in der nur diejenigen Staaten intervenieren, die gleichzeitig Mitglied der EU und der IEA sind. Um dies zu vermeiden, könnte es sinnvoll sein, die Anlage von spezifischen Vorräten für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich vorzuschreiben oder die bereits vorgesehenen Vorräte zu verwenden, die — gemäß dem Subsidiaritätsprinzip und verwaltet von der Koordinierungsgruppe — der Kommission zur ausschließlichen Verfügung gestellt werden müssen.

6.9.   Es wird nicht sehr klar, für wen die Sanktionen bestimmt sind (Art. 22); sofern sie nur für die Unternehmen gedacht sind, ist es korrekt, dass die Mitgliedstaaten sie festlegen und verhängen. Falls jedoch auch gegen die Staaten selbst Geldbußen verhängt werden können, müssen diese auf Gemeinschaftsebene festgelegt und geregelt werden.

6.10.   Die Einsetzung eines speziellen Ausschusses (Art. 24) zur Unterstützung der Kommission ist nicht sinnvoll, sofern es sich nicht um die bereits vorgesehene Koordinierungsgruppe handelt. Außerdem werden in Artikel 24 weder die diesem Ausschuss zu übertragenden Aufgaben noch die Modalitäten für seine Besetzung oder die Zahl seiner Mitglieder aufgeführt, wie auch in keiner Weise auf seine Finanzierung eingegangen wird. In dem hier erörterten Vorschlag werden die Unterschiede zwischen den für die Kontrollmaßnahmen zuständigen Kommissionsdienststellen (Art. 19), der „Koordinierungsgruppe“ (Art. 19) und dem „Ausschuss“ (Art. 24) nicht klar dargelegt. Der EWSA bedauert dies, da dies keinesfalls zu Transparenz und Demokratie beiträgt.

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/85


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern“

(KOM(2008) 887 endg. — 2008/0263 (COD))

(2009/C 277/17)

Berichterstatter: Josef ZBOŘIL

Der Europäische Rat beschloss am 29. Januar 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern

KOM(2008) 887 endg. - 2008/0263 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. April 2009 an. Berichterstatter war Herr ZBOŘIL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 183 gegen 3 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission und erachtet die Gewährleistung eines zuverlässigen, funktionalen, effizienten und sicheren Verkehrssystems für den Straßenverkehr (einschl. der in diesem Bereich erbrachten Dienste) als unerlässlich.

1.2.   Im Hinblick auf die Durchführung des Aktionsplans für intelligente Verkehrssysteme (IVS) stimmt der Ausschuss der Annahme dieses Richtlinienvorschlags zu, da in ihm der für die Koordinierung intelligenter Verkehrssysteme erforderliche Rechtsrahmen festgelegt, gleichzeitig aber auch die notwendige Flexibilität für die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten wird.

1.3.   Zur Sicherstellung der Befahrbarkeit der Verkehrswege und des störungsfreien Verkehrsablaufs müssen kontinuierlich und unterbrechungsfrei die aktuellsten Straßeninformationen und -daten über Ereignisse und Vorfälle zur Verfügung stehen, die den freien Verkehr an einem bestimmten Punkt bzw. in einem bestimmten Streckenabschnitt vollständig oder teilweise behindern. IVS müssen genaue, zuverlässige und einheitliche Straßenverkehrsdaten in Echtzeit bieten, um den Nutzern eine freie Wahl zu ermöglichen.

1.4.   Nach Meinung des Ausschusses müssen eine gemeinsame Standardkategorisierung der Ereignisse und Vorfälle, die den störungsfreien Verkehrsablauf, die Befahrbarkeit der Verkehrswege, die Sicherheit oder den Verkehrsfluss beeinträchtigen (z.B. ALERT-C-Standard), eingerichtet und für den Austausch von Verkehrsdaten und -informationen ein gemeinsames XML-Datenübertragungsformat festgelegt werden. Außerdem müssen Regeln für den Aufbau eines genormten georeferenzierten Straßenverkehrsnetzes ausgearbeitet werden, um eine einheitliche digitale Lokalisierung der Ereignisse und Vorfälle zu ermöglichen, sowie für die Erfassung der Informationen über das Straßennetz, den Straßenkörper und das Zubehör.

1.5.   Die Erhebung der erforderlichen Daten sowie ihre Verarbeitung und ihre Weiterleitung an die Endnutzer-Zielgruppe sollten in einem System erfolgen, das die Fahrer nicht über Gebühr noch zusätzlich belastet, sondern ihnen ganz im Gegenteil den größten Komfort bietet, wodurch wiederum die Straßenverkehrssicherheit erhöht wird.

1.6.   Der Ausschuss empfiehlt den raschen Aufbau einer IVS-Struktur auf nationaler Ebene gekoppelt an die Festlegung konkreter Funktionen für IVS sowie die Konzipierung von Mindestnormen, um die zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen (TEN-T) zählenden Strecken zur Gewährleistung der erforderlichen konkreten Funktionen mit den entsprechenden Telematiksystemen auszurüsten.

1.7.   Der Ausschuss weist darauf hin, dass EU, Mitgliedstaaten und Privatwirtschaft für den Bau der Infrastruktur auch die entsprechenden Finanzmittel bereitstellen müssten. Die Betriebskosten sollten über die Einnahmen aus bereits bestehenden Abgaben, Steuern oder Mautgebühren finanziert werden. Es gilt, die Bestimmungen und Anforderungen an die Verkehrszentralen in den Mitgliedstaaten zu präzisieren, die für die Erhebung, Verarbeitung, Übertragung, Veröffentlichung und Verbreitung sowie den grenzüberschreitenden Austausch der Verkehrsdaten und -informationen verantwortlich sind.

1.8.   IVS beruhen auf der zunehmenden Nutzung eines enormen Datenvolumens. Für ihre Verwirklichung muss daher eine langfristige Perspektive konzipiert werden, für die nicht nur die derzeitigen Anwendungen, sondern auch die mögliche künftige Entwicklung der Systeme sowie die Rolle und Verantwortung der verschiedenen Akteure berücksichtigt werden müssen. In bestehenden IVS muss der Schutz personenbezogener Daten ordnungsgemäß gewährleistet werden. In der Richtlinie wie auch in dem Aktionsplan müssen Vorschriften verankert werden, um Datenmissbrauch durch den Einsatz technischer, technologischer, organisatorischer und rechtlicher Mittel im Einklang mit den europäischen und nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen (1).

1.9.   Der Ausschuss empfiehlt, in den Aktionsplan geeignete Instrumente zur Förderung des Einsatzes moderner Informationstechnologien im Verkehrswesen aufzunehmen, beispielsweise in Form eines Wettbewerbs zur Auszeichnung intelligenter Fahrzeuge.

2.   Einleitung — Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1.   Wie in der Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission dargelegt, werden Innovationen eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht, für mehr Nachhaltigkeit im Straßenverkehr (Sicherheit, Effizienz, Umweltfreundlichkeit, nahtlose Anbindung) zu sorgen. Dabei wird es insbesondere auf die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien, also von intelligenten Verkehrssystemen (IVS), ankommen.

2.2.   Die zunehmende Überlastung unseres Verkehrssystems (bis 2020 wird im Straßengüterverkehr ein Anstieg um 55 % und im Straßenpersonenverkehr um 36 % erwartet) und der damit verbundene Energieverbrauch wie auch die daraus erwachsenden negativen Folgen für die Umwelt (bis 2020 werden die verkehrsbedingten CO2-Emissionen um weitere 15 % steigen) erfordern einen innovativen Ansatz, wenn man dem zunehmenden Bedarf und den wachsenden Anforderungen an Beförderung und Mobilität gerecht werden will. Herkömmliche Maßnahmen wie der Ausbau der bestehenden Verkehrsnetze werden nicht in erforderlichem Umfang durchführbar sein. Somit gilt es, neue Lösungen zu finden.

2.3.   Allerdings vollzieht sich die Einführung von IVS-Lösungen langsamer als erwartet, und im Allgemeinen erfolgt ihre Einführung eher bruchstückhaft. So ist ein Flickenteppich nationaler, regionaler und lokaler Lösungen entstanden, ohne dass eine wirkliche Harmonisierung stattgefunden hätte. Eine Folge davon ist, dass IVS auf ineffiziente Weise eingesetzt werden, so dass sie nicht wirksam zur Verwirklichung der (verkehrs)politischen Ziele und zur Bewältigung der wachsenden Herausforderungen beitragen können, vor denen der Straßenverkehr steht.

2.4.   Zu den spezifischen Zielen gehören die Verbesserung der System-Interoperabilität, die Gewährleistung eines nahtlosen Zugangs, die Förderung der Kontinuität der Dienste und die Schaffung eines effizienten Kooperationsmechanismus zwischen allen IVS-Akteuren. Entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip gilt eine (Rahmen-)Richtlinie als das am besten geeignete Mittel zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks.

2.5.   Die technischen Einzelheiten der Durchführung, also Verfahren und Spezifikationen, werden jedoch von der Kommission mit Unterstützung eines aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden Ausschusses festgelegt. Unbeschadet der Aufgaben dieses Ausschusses wird die Kommission eine Europäische IVS-Beratergruppe einsetzen, zu deren Sitzungen Vertreter der relevanten IVS-Akteure (IVS-Diensteanbieter, Nutzerverbände, Verkehrs- und Anlagenbetreiber, Industrie, Sozialpartner, Berufsverbände) eingeladen werden. Aufgabe der Gruppe wird es sein, die Kommission in wirtschaftlichen und technischen Aspekten der Implementierung und Verbreitung von IVS in der EU zu beraten. Die IVS-Beratergruppe wird Beiträge bereits bestehender Foren (eSaftey-Forum, ETRAC usw.) zusammentragen.

2.6.   Gegenstand dieses Richtlinienvorschlags sind IVS-Anwendungen und -Dienste für den Straßenverkehr, einschließlich Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern. Für den Straßenverkehr gibt es eine Reihe von Vorschriften, insbesondere die Richtlinie 2004/52/EG über die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme in der Gemeinschaft, die Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr und die Richtlinie 2007/46/EG zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge. Für die Kohärenz mit den Arbeiten der einschlägigen Ausschüsse wird Sorge getragen.

2.7.   Die vorgeschlagene Richtlinie untermauert mehrere der (mikroökonomischen) Ziele der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Vor allem wird sie der Verbreitung und effektiven Nutzung von IVS förderlich sein. Darüber hinaus wird sie zur Verwirklichung folgender Ziele beitragen:

Förderung aller Formen von Innovation: grenzüberschreitender Wissenstransfer zum effektiven Einsatz von IVS;

Ausbau, Verbesserung und Vernetzung der Teile der europäischen Infrastruktur sowie Vollendung der vorrangigen grenzüberschreitenden Projekte, Prüfung der Zweckdienlichkeit geeigneter Entgeltregelungen für die Nutzung der Infrastruktur;

Förderung einer nachhaltigen Ressourcennutzung und Stärkung der Synergien zwischen Umweltschutz und Wachstum, insbesondere Förderung der Entwicklung von Konzepten für die Internalisierung externer Kosten;

Verstärkung und Optimierung der FuE-Investitionen, insbesondere seitens der Privatwirtschaft: Schaffung besserer Rahmenbedingungen für den Einsatz innovativer IVS-Lösungen.

2.8.   In der von der Kommission im Juli 2008 angenommenen Mitteilung zur Ökologisierung des Verkehrs (KOM(2008) 433 endg.) ist in Kapitel 4 ein Aktionsplan für intelligente Verkehrssysteme im Straßenverkehr vorgesehen. Der Aktionsplan soll von einer Legislativinitiative begleitet werden und ein gemeinsames Konzept dafür darlegen, wie vorhandene Technologien auf den Markt und zum Einsatz gebracht werden können. Im Übrigen bedeutet eine effizientere Nutzung der vorhandenen Infrastruktur, dass weniger neue Infrastruktur benötigt wird, so dass die Zersplitterung von Lebensräumen und Bodenversiegelung vermieden werden.

2.9.   Der vorliegende Vorschlag fügt sich des Weiteren in die EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung ein, da einige der zentralen Probleme angegangen werden, bei denen im Zuge der Überprüfung der Agenda im Jahr 2005 klar geworden war, dass es stärkerer Impulse bedürfe. Das gemeinsame Anliegen besteht im Wesentlichen darin, den Verkehr nachhaltiger zu machen, um beispielsweise das Ziel einer Verbesserung des Verkehrsnachfragemanagements zu verwirklichen und — was die Straßenverkehrssicherheit anbelangt — dem Ziel näher zu kommen, die Zahl der Straßenverkehrstoten bis 2010 (gegenüber dem Jahr 2000) zu halbieren. Weitere Aspekte, die indirekt thematisiert werden, sind die Reduzierung des Energieverbrauchs in der EU und — damit verbunden — die Begrenzung der Auswirkungen des Klimawandels. Darüber hinaus unterstützt die vorgeschlagene Richtlinie die Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen (Navigationssysteme).

2.10.   Mit diesem Richtlinienvorschlag wird ein Rahmen für die Durchführung des IVS-Aktionsplans vorgegeben. Die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie auferlegten Verpflichtungen werden von der Kommission unterstützt, indem diese — mit Blick auf eine EU-weite koordinierte Einführung interoperabler IVS — im Wege des Ausschussverfahrens gemeinsame Spezifikationen festlegt. Die entsprechenden Arbeiten werden von der Kommission mit Unterstützung eines Europäischen IVS-Ausschusses durchgeführt. Damit wird auch ein Rahmen für den Informationsaustausch mit den Mitgliedstaaten geschaffen. Im vorgeschlagenen IVS-Aktionsplan wird dargelegt, welche Bereiche im Hinblick auf eine beschleunigte und koordinierte EU-weite Einführung von IVS-Anwendungen und -Diensten für vorrangig erachtet werden.

2.11.   Der IVS-Aktionsplan stützt sich auf eine Reihe laufender Initiativen der Kommission, u.a. den Aktionsplan für die Güterverkehrslogistik (2), den Aktionsplan zur Mobilität in der Stadt (3), den Aufbau des Galileo-Systems (4), das Maßnahmenpaket zur Ökologisierung des Verkehrs (5), die Initiative i2010 „Intelligentes Fahrzeug“ (6), die Initiative eSafety (7), das 7. Forschungsrahmenprogramm (8), den Dienst eCall (9), die Europäischen Technologieplattformen und ihre strategischen Forschungspläne (10) sowie die Initiative CARS 21 (11).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.   Der Ausschuss befürwortet die Initiative der Europäischen Kommission und erachtet die Gewährleistung eines zuverlässigen, funktionalen, effizienten und sicheren Verkehrssystems für den Straßenverkehr (einschl. der in diesem Bereich erbrachten Dienste) als unerlässlich. Mit der koordinierten Einführung intelligenter Verkehrssysteme können der störungsfreie Verkehrsablauf und die Befahrbarkeit der Verkehrswege in den einzelnen Mitgliedstaaten wie auch in der gesamten EU so rasch und umfassend wie möglich sichergestellt werden.

3.2.   Im Hinblick auf die Durchführung des Aktionsplans für intelligente Verkehrssysteme (IVS) stimmt der Ausschuss der Annahme dieses Richtlinienvorschlags zu, da in ihm der für die Koordinierung intelligenter Verkehrssysteme erforderliche Rechtsrahmen festgelegt, gleichzeitig aber auch die notwendige Flexibilität für die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten wird.

3.3.   Die Verwirklichung der in dem Richtlinienvorschlag dargelegten Ziele, d.h. die Sicherstellung einer höheren Funktionalität, Zuverlässigkeit, Effizienz und Sicherheit des Straßenverkehrs, ist für eine größere wirtschaftliche und soziale Stabilität in den einzelnen Mitgliedstaaten wie auch in der EU insgesamt von grundlegender Bedeutung. Die Einführung von IVS wirkt sich auch auf die Entwicklung der Regionen aus, insbesondere derjenigen, in denen das Straßenverkehrsaufkommen über das Aufnahmevolumen des bestehenden Straßennetzes hinausgeht. Die Regionen sollten bei der Umsetzung der Richtlinie und der Durchführung des Aktionsplans eine wichtige Rolle für den Austausch von Erfahrungen und bewährter Verfahren spielen.

3.4.   In dem Richtlinienvorschlag sind keinerlei detaillierten Bestimmungen enthalten, um die effiziente Verbreitung der IVS im Straßenverkehrsnetz der einzelnen Mitgliedstaaten durch konkrete Kontrollmechanismen sicherzustellen, ungeachtet der Finanzhilfen der Europäischen Kommission und der oben genannten Vorhaben (wie EasyWay).

3.5.   Zur Sicherstellung der Befahrbarkeit der Verkehrswege und des störungsfreien Verkehrsablaufs müssen kontinuierlich und unterbrechungsfrei die aktuellsten Straßeninformationen und -daten über Ereignisse oder Vorfälle zur Verfügung stehen, die den freien Verkehr an einem bestimmten Punkt bzw. in einem bestimmten Streckenabschnitt vollständig oder teilweise behindern.

3.6.   IVS müssen zuverlässige, einheitliche und ausreichend genaue Straßenverkehrsdaten in Echtzeit bieten sowie Informationen über den Intermodalverkehr enthalten, um den Nutzern die freie Wahl zwischen den anderen verfügbaren Verkehrsträgern zu lassen.

3.7.   IVS beruhen auf der zunehmenden Nutzung eines enormen Datenvolumens. Für ihre Verwirklichung muss daher eine langfristige Perspektive konzipiert werden, für die nicht nur die derzeitigen Anwendungen, sondern auch die mögliche künftige Entwicklung der Systeme sowie die Rolle und Verantwortung der verschiedenen Akteure berücksichtigt werden müssen. Zum Schutz der Privatsphäre sollte die Verarbeitung der Daten der identifizierten Personen rechtlich und technisch dahingehend geregelt werden, dass eine Übermittlung der ermittelten personenbezogenen Daten nur zu rechtlich genau festgelegten Zwecken im Einklang mit den Rechtsvorschriften der EU und ihrer Mitgliedstaaten erfolgen darf.

3.8.   Grundvoraussetzung hierfür ist die Gewährleistung einer konsequenten Datenanonymisierung beim ursprünglichen Datenlieferanten. Die IVS-Beratergruppe muss mit dem Europäischen Datenschutzbeauftragten zusammenarbeiten und ihn zu diesen Fragen konsultieren; eine unmittelbare Vertretung des Datenschutzbeauftragten in der IVS-Beratergruppe sollte erwogen werden.

3.9.   Das europäische Satellitennavigationssystem Galileo sollte keine Alleinstellung erhalten; vielmehr gilt es, die Zusammenarbeit mit sämtlichen verfügbaren Satellitennavigationssystemen zu suchen.

3.10.   Zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Verkehrsinformationen und -daten über zeitlich begrenzte oder unbegrenzte Einschränkungen des störungsfreien Verkehrsablaufs und der Befahrbarkeit der Verkehrswege und deren Austausch müssen eine gemeinsame Standardkategorisierung der Ereignisse und Vorfälle im Straßennetz, die den störungsfreien Verkehrsablauf, die Befahrbarkeit der Verkehrswege, die Sicherheit oder den Verkehrsfluss beeinträchtigen, sowie ein einheitliches XML-Datenübertragungsformat festgelegt werden.

3.11.   Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Vereinheitlichung der Parameter für den Aufbau eines genormten georeferenzierten Straßenverkehrsnetzes, um eine einheitliche digitale Lokalisierung der Ereignisse und Vorfälle zu ermöglichen, sowie für die Erfassung der Informationen über das Straßennetz, den Straßenkörper und das Zubehör. Hierfür sollten die besten bewährten Verfahren der Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen. Diesbezüglich sind auch Systeme zur Straßenbewirtschaftung von Bedeutung, um kontinuierlich einen guten Straßenzustand zu gewährleisten.

3.12.   Die Erhebung der erforderlichen Daten sowie ihre Verarbeitung und ihre Weiterleitung an die Endnutzer-Zielgruppe sollten in einem System erfolgen, das die Fahrer nicht über Gebühr noch zusätzlich belastet, sondern ihnen ganz im Gegenteil den größten Komfort bietet, wodurch wiederum die Straßenverkehrssicherheit erhöht wird, auch im Hinblick auf die Alterung der Bevölkerung. In der Richtlinie sollte daher auch die Art des Informationsträgers für die IVS-Nutzer festgelegt werden, um die Funktionalität, Effizienz und Sicherheit im Straßenverkehr zu optimieren und gleichzeitig die Unfallquote so weit wie möglich zu senken.

3.13.   Zu den IVS zählen auch die verkehrsbezogenen Informationssysteme von Polizei, Feuerwehr und Rettung, von Infrastrukturbetreibern und Wetterdiensten sowie Informationssysteme, in die die Autofahrer Daten eingeben. Die Verkehrsinformationen und -daten aus all diesen Systemen müssen grundlegender Bestandteil des Inhalts von Verkehrsinformationen sein.

3.14.   Neben den Verfahren zur Sicherstellung eines reibungsloseren Verkehrsablaufs und einer besseren Befahrbarkeit der Verkehrswege muss auch das Straßennetz weiterentwickelt werden, und zwar durch den Neubau von Straßen (vor allem dort, wo das Straßennetz noch nicht vollständig ausgebaut ist) sowie durch die Instandsetzung und -haltung bestehender Straßen, um ausreichende Straßenkapazitäten unter Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort und der Umweltbedingungen sicherzustellen. IVS müssen nicht nur in die neu errichteten TEN-T, sondern auch in das vorhandene Straßennetz integriert werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Mit der Richtlinie und dem Aktionsplan sollten folgende konkrete Ziele verwirklicht werden, die von allen Mitgliedstaaten in der ersten Phase erreicht werden können:

Gewährleistung der Erhebung und Verarbeitung von Verkehrsinformationen und -daten über die aktuelle Verkehrslage auf dem Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaates auf nationaler Ebene;

Gewährleistung des grenzübergreifenden Austauschs von Verkehrsinformationen und -daten über die aktuelle Verkehrslage in den TEN-T in Echtzeit;

Gewährleistung der Verfügbarkeit grundlegender unentgeltlicher Informationsdienste für die Autofahrer in Form einer öffentlichen Dienstleistung.

4.2.   Im Rahmen dieser Verfahren dienen Verkehrsinformationen und -daten über zeitlich begrenzte oder unbegrenzte Einschränkungen des störungsfreien Verkehrsablaufs und der Befahrbarkeit der Verkehrswege an einem bestimmten Punkt bzw. in einem bestimmten Streckenabschnitt:

der Überprüfung und Kontrolle der Mechanismen zur Beseitigung der Gründe für die Einschränkung des störungsfreien Verkehrsablaufs und der Befahrbarkeit der Verkehrswege bis zu deren endgültigen Aufhebung;

der Unterrichtung aller Verkehrsteilnehmer (alle Autofahrer einschl. der Fahrer von Notfallfahrzeugen usw.) über Ort, Dauer, Ausmaß und Gründe der Einschränkung des störungsfreien Verkehrsablaufs und der Befahrbarkeit der Verkehrswege;

dem Straßenverkehrsmanagement zur Sicherstellung des störungsfreien Verkehrsablaufs und der Befahrbarkeit der Verkehrswege ausgehend von Informationen über Verkehrsbehinderungen (Verkehrsmanagement an dem betroffenen Punkt des Verkehrsnetzes, Umleitung auf Alternativstrecken usw.);

der Analyse wiederkehrender Ursachen für Einschränkungen des störungsfreien Verkehrsablaufs und der Befahrbarkeit der Verkehrswege an einem bestimmten Punkt bzw. in einem bestimmten Streckenabschnitt mit dem Ziel, Maßnahmen für deren Begrenzung bzw. Beseitigung vorzuschlagen und umzusetzen.

4.3.   Bei den vorgelegten Vorschlägen werden die Funktionen ausgeklammert, die intelligente Verkehrssysteme übernehmen sollten; es gibt nicht einmal einen Hinweis darauf, wann diese auf Expertenebene festgelegt werden. Es handelt sich lediglich um zu allgemein gefasste Rahmendokumente; dies könnte zu einem uneinheitlichen Vorgehen in Bezug auf Verantwortungs- und Aufgabenbereiche führen.

Der Ausschuss schlägt daher vor, u.a. folgende IVS-Funktionen festzulegen:

4.4.1.   Operative Informationssysteme: Datenerfassung und -verarbeitung durch diese Systeme im Rahmen der Tätigkeit von Behörden, Organisationen und Einrichtungen (Polizei, Feuerwehr, Rettung); mehrere Elemente dieser Rohdaten können als Verkehrsinformationen über die aktuelle Verkehrslage herangezogen werden;

4.4.2.   Daten- und Informationserfassung mittels Telematikanwendungen: Gewährleistung der Überwachung bestimmter Merkmale einzelner Teile des Verkehrssystems in über Sensoren erfassten Streckenabschnitten durch den Einsatz von Telematiksystemen (IVS);

4.4.3.   Verkehrsmanagement und -steuerung: Ausgehend von der Bewertung konkreter Verkehrsinformationen und automatisch über Sensoren oder auf Grund der Intervention des Betreibers gewonnener Daten steuern intelligente Verkehrssysteme den Verkehr in einem bestimmten Streckenabschnitt mittels geeigneter Instrumente (elektronische Gebots- oder Verbotsverkehrsanzeigen mit wechselndem Text, LED-Pfeile oder -Anzeigen usw.);

4.4.4.   Überwachung: Dank gemeinsam genutzter Überwachungskamerasysteme können Straßenverkehrsbehörden, -organisationen und -einrichtungen den Verkehr auf dem Bildschirm überwachen;

4.4.5.   Bereitstellung von Informationen: Verkehrsinformationen und -daten über zeitlich begrenzte oder unbegrenzte Einschränkungen des Verkehrsflusses und der Befahrbarkeit der Verkehrswege werden veröffentlicht und an alle Kunden und Nutzer des Verkehrsnetzes weitergeleitet. Die Informationen werden von Behörden oder privaten Unternehmen über traditionelle und allgemein zugängliche Medien und Informationstechnologien in Form von Informationsdiensten vor (pre-trip) oder während der Fahrt (on-trip) verbreitet;

4.4.6.   Kontrolle und Sanktionen: Über Telematiksysteme wird überprüft, ob einschlägige Verpflichtungen (z.B. Entrichtung von Mautgebühren) und die Straßenverkehrsordnung eingehalten werden, wobei im Falle der schwersten Verstöße (wie Geschwindigkeitsüberschreitung, Rotlichtverstoß, Überschreitung des zulässigen Höchstgewichts und Fahrzeugdiebstahl) im Einklang mit den Straßenverkehrsordnungen der Mitgliedstaaten und ihrer etwaigen harmonisierten Fassung auf EU-Ebene anschließend Sanktionen verhängt werden können (12).

4.4.7.   Technische Kontrolle während des Betriebs: Die Telematiksysteme gewährleisten auch die Betriebszuverlässigkeit der einzelnen Bestandteile des Systems, insbesondere die automatische Ermittlung von Problemen und das Einleiten von Deeskalations- oder Sicherungsverfahren.

4.5.   Der Ausschuss empfiehlt daher die Festlegung europäischer Mindestnormen (oder eines Beispielkatalogs), um die zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen (TEN-T) zählenden Strecken mit grundlegenden „Standard“-Telematiksystemen zur Datenerhebung, zur Verkehrsüberwachung und zum Verkehrsmanagement auszurüsten:

Überwachungskamerasysteme;

Systeme zur Überwachung des Verkehrsflusses, zur Ermittlung von Staus und zur Verkehrszählung;

Systeme für Verkehrsanzeigen mit wechselndem Text und Anlagen für betriebsbezogene Informationen;

im Straßennetz integriertes Wetterinformationssystem;

dynamische Verkehrssteuerung;

Notrufsystem.

4.6.   Auf der Grundlage derartiger Systeme und der Informationen aus den Verkehrsmanagementsystemen können der Verkehrsablauf und die Befahrbarkeit der Verkehrswege in Echtzeit einschl. der Berechnung der Fahrzeit zu wichtigen Fahrzielen bewertet werden.

4.7.   Der Ausschuss warnt vor etwaigen Problemen in Bezug auf die Nachrüstung der Fahrzeuge mit der für IVS erforderlichen Spezialausrüstung; bei der Konzipierung der Systemarchitektur muss die erforderliche Kompatibilität sichergestellt werden. Die Infrastruktur und die Fahrzeugsysteme müssen auf offenen Plattformen beruhen. Dies gilt nicht nur für die Systeme und die Technologie, sondern auch für die über sie angebotenen Dienste.

4.8.   Intelligente Verkehrssysteme werden zweifelsohne auf eine ganze Reihe verfügbarer Informations- und sonstiger Technologien zugreifen. Im Rahmen einer koordinierten Vorgehensweise für IVS sollte die EU auch die Zielbereiche nennen, die bis zur Praxistauglichkeit entwickelt werden müssen. Außerdem müssten EU, Mitgliedstaaten und Privatwirtschaft für den Bau der Infrastruktur auch die entsprechenden Finanzmittel bereitstellen. Die Investitions- und Betriebskosten sollten über Einnahmen aus bestehenden Abgaben, Steuern bzw. Mautgebühren finanziert werden.

4.9.   Die Kommissionsvorschläge enthalten auch zahlreiche praktische Bestimmungen für die Einführung von IVS in den wichtigsten Bereichen des Aktionsplans; in diesen Fahrplänen muss auch der Zeitaufwand berücksichtigt werden, der für die Schulung der Endnutzer, d.h. der Fahrer erforderlich ist, um sie mit den verschiedenen Bestandteilen des Systems vertraut zu machen. Dies sollte mittels Werbung und Sensibilisierung für diese neuen Technologien erfolgen, wobei auch auf unkonventionelle Methoden gesetzt werden sollte (z.B. über die Förderung der Entwicklung intelligenter Fahrzeuge in Form eines Wettbewerbs zur Auszeichnung intelligenter Fahrzeuge).

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Siehe Stellungnahme 4/2004 der Artikel-29-Datenschutzgruppe zum Thema Verarbeitung personenbezogener Daten aus der Videoüberwachung, WP 89 vom 11.2.2004 (http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/docs/wpdocs/2004/wp89_de.pdf) sowie Entschließung der Artikel-29-Datenschutzgruppe zum Thema Rechtsdurchsetzung, WP 101 vom 25.11.2004 (http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/docs/wpdocs/2004/wp101_de.pdf).

(2)  KOM(2007) 607 endg.

(3)  Die Europäische Kommission wird dieses Dokument im Laufe des Jahres 2009 vorlegen.

(4)  Siehe http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/galileo.

(5)  KOM(2008) 433 endg.

(6)  KOM(2007) 541 endg.

(7)  Siehe www.esafetysupport.org.

(8)  Siehe http://cordis.europa.eu/fp7/home_de.html.

(9)  Siehe www.esafetysupport.org/en/ecall_toolbox.

(10)  Siehe http://cordis.europa.eu/technology-platforms.

(11)  KOM(2007) 22 endg.

(12)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erleichterung der grenzübergreifenden Durchsetzung von Verkehrssicherheitsvorschriften“ (TEN/348) vom 17.9.2008, Berichterstatter: Herr SIMONS., ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 70-72.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/90


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm zur Konjunkturbelebung durch eine finanzielle Unterstützung der Gemeinschaft zugunsten von Vorhaben im Energiebereich“

(KOM(2009) 35 endg. — 2009/0010 (COD))

(2009/C 277/18)

Hauptberichterstatter: Daniel RETUREAU

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 10. Februar 2009, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 156 und Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm zur Konjunkturbelebung durch eine finanzielle Unterstützung der Gemeinschaft zugunsten von Vorhaben im Energiebereich

KOM(2009) 35 endg. – 2009/0010 (COD).

Am 24. Februar 2009 beauftragte das Ausschusspräsidium die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit der Vorbereitung der einschlägigen Arbeiten.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 14. Mai), Herrn RETUREAU zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 129 gegen 5 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorschläge

1.1.   Ende Januar 2009 schlug die Kommission vor, als Beitrag zur Bewältigung der Auswirkungen der Krise auf die Wirtschaft 5 Milliarden Euro aus dem Haushalt 2008 (nicht ausgegebene Mittel aus den Strukturfonds für die Landwirtschaft) umzuwidmen. Durch diesen Vorschlag sollten Investitionen in „nachhaltige“ Energien sowie in den Breitbandzugang in ländlichen Gebieten angestoßen werden.

1.2.   Die Debatten im Rat und die Forderungen verschiedener EP-Abgeordneter haben dazu geführt, dass die Liste der zu finanzierenden Projekte Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten wurde, während auf Parlamentsebene das Fehlen von Investitionen in Energieeinsparungen bedauert wurde.

1.3.   Mitte April scheint eine informelle Einigung zwischen der Kommission und den beiden gesetzgebenden Organen über den Bereich Energie erzielt worden zu sein, und zwar über einen Betrag in Höhe von 3,98 Mrd. EUR; im Verordnungsvorschlag waren 3,5 Mrd. EUR vorgesehen. Die Vereinbarung sieht vor, dass diese Mittel in Höhe von 3,98 Mrd. EUR für Projekte im Energiebereich (Strom- und Gasverbindungsleitungen; Offshore-Windenergie; Kohlenstoffabscheidung und -speicherung), wenn sie bis Ende 2010 nicht zur Gänze ausgegeben sind, für andere Projekte, insbesondere zur Steigerung der Energieeffizienz, eingesetzt werden können.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.   Der Ausschuss begrüßt die Umwidmung nicht ausgeschöpfter Mittel aus dem Haushalt 2008 für Projekte zur Belebung der europäischen Konjunktur, die aufgrund der Systemkrise der Weltwirtschaft und der mangelnden Bereitschaft von Finanzinstituten, mit niedrig verzinslichen Krediten zur Finanzierung von Unternehmen, insbesondere von KMU, und zur Gründung neuer Unternehmen beizutragen, ins Schwächeln geraten ist.

2.2.   Vor dem aktuellen Hintergrund ist unverzügliches Handeln angesagt, wobei konkreten Projekten Vorrang eingeräumt werden sollte, die ab sofort mittel- und langfristig die nachhaltige Entwicklung fördern, wie etwa erneuerbare Energien und die Schaffung von Breitbandnetzen in Gebieten, die bislang noch nicht über ausreichend effiziente Techniken an das weltweite Netz angeschlossen sind.

2.3.   Der Ausschuss unterstützt daher den allgemeinen Ansatz der Verordnung, ist sich aber bewusst, dass die Äußerung unterschiedlicher nationaler Interessen und die Besorgnisse im Hinblick auf die Bekämpfung des Klimawandels gewisse Änderungen am ursprünglichen Vorschlag zur Folge haben könnten.

2.4.   Nun geht es darum, die geplanten Maßnahmen so rasch wie möglich umzusetzen, da die Zeit ein wichtiger Faktor bei der Abfederung der Krise ist. Wenn der politische Wille nicht zum Ausdruck kommt und die Maßnahmen zu zögerlich umgesetzt werden, besteht die Gefahr, dass dies die verfolgten Ziele beeinträchtigt.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Der Ausschuss bedauert indes, dass die von der Kommission zur Krisenbewältigung vorgeschlagenen Maßnahmen angesichts der sehr bald erwarteten allgemeinen Folgen für die Beschäftigung und die Unternehmen generell nicht weit genug gehen und dass in den bereits verstrichenen Monaten als sichtbarere Signale keine kraftvolleren Vorschläge gemacht wurden.

3.2.   Der Ausschuss wird sicherlich um eine Stellungnahme zu weiteren Vorschlägen gebeten, wie etwa bezüglich der Regulierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs oder der Trockenlegung von Steueroasen. Er wird sich zu gegebener Zeit hierzu äußern, erwartet aber energische und wirksame Vorschläge zur Bewältigung einer Krise, die bereits jetzt schwerwiegendere Auswirkungen als alle vorangegangenen Krisen zeitigt.

Brüssel, den 14. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/92


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Die Rohstoffinitiative - Sicherung der Versorgung Europas mit den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gütern“

(KOM(2008) 699 endg.)

(2009/C 277/19)

Berichterstatter: Dumitru FORNEA

Die Europäische Kommission beschloss am 4. November 2008 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Die Rohstoffinitiative - Sicherung der Versorgung Europas mit den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gütern

KOM(2008) 699 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 23. April 2009 an. Berichterstatter war Dumitru FORNEA.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 194 gegen 4 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen (1)

Der EWSA spricht folgende Empfehlungen aus:

1.1.   Die EU sollte eine Überprüfung der nationalen Analysen der strategisch wichtigen und kritischen Rohstoffe vornehmen und einen EU-weiten Überblick erstellen, ähnlich wie dies der Nationale Forschungsrat der Vereinigten Staaten und der Nationale Forschungsrat Japans getan haben. Insbesondere sollten die Mitgliedstaaten ihre Rohstoffversorgungspolitik dahingehend überprüfen, was die Kritikalität für jeden einzelnen EU-Mitgliedstaat und für die EU insgesamt bedeutet. Die Kritikalität einzelner Rohstoffe muss regelmäßig, möglicherweise alle zwei bis drei Jahre, geprüft werden, um Änderungen zu überwachen.

1.2.   Ein Workshop des OECD/BIAC (Beratender Ausschuss der Wirtschaft bei der OECD) zum Thema Zugang zu Rohstoffen böte zwar möglicherweise einen Ausgangspunkt, würde aber den Spielraum der EU von Anfang an einschränken. Nachdem eine Reihe von kritischen Rohstoffen festgestellt wurden, sollten die Länder, die diese Rohstoffe bereits liefern oder in Zukunft möglicherweise liefern könnten, auf ihr Potenzial für eine nutzbringende Zusammenarbeit hin bewertet werden. Anschließend sollten diplomatische Schritte unternommen werden.

1.3.   Der EWSA unterstützt nachdrücklich diesbezügliche, von dem tschechischen, schwedischen und spanischen Ratsvorsitz 2009-2010 organisierte Konferenzen zu der Frage von Angebot und Nachfrage bei mineralischen Rohstoffen, Zugang zu Land, beste verfügbare Technologien und Aufbau von Kapazitäten, an denen er gerne teilnehmen möchte.

1.4.   Die Kommission sollte ihre Bemühungen um die Unterstützung effizienter Verhandlungen auf internationaler Ebene verstärken, nicht nur mit Blick auf die Beseitigung unfairer Handelsschranken und –verzerrungen, sondern auch um zur Gestaltung bi- und multilateraler Investitionsabkommen beizutragen.

1.5.   Die Kommission sollte die entsprechenden Schritte einleiten, um bei Verstößen von Drittstaaten gegen die WTO-Regeln Beschwerde einzulegen (z.B. Ausfuhrzölle/Beschränkungen Rohstoffe).

1.6.   Bei der Festlegung der Außenzölle der EU sollte sichergestellt werden, dass nachhaltig erzeugte Rohstoffe nicht vom EU-Markt ausgeschlossen werden. Es ist eine Überprüfung der bestehenden Zölle durchzuführen, um festzustellen, bei welchen Zolltarifpositionen eine Änderung vorgenommen werden sollte.

1.7.   Die EU sollte zur Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen eine aktive Rohstoffdiplomatie verfolgen und dabei zur Schaffung von Fonds und Programmen beitragen, die auf den Aufbau von Kapazitäten abzielen und die nachhaltige Rohstoffgewinnung sowie den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in den Entwicklungsländern unterstützen.

1.8.   Die Kommission sollte sich aktiv an den Jahrestagungen des „World Mining Ministers Forum“ und des „Intergovernmental Forum on Mining and Metals“ beteiligen und bessere Beziehungen zu einigen der weltweit zuständigen Stellen knüpfen, um Investitionsmöglichkeiten für die EU auszumachen und zu stärken.

1.9.   Es sollte eine Bestandsaufnahme der bewährten Regulierungsverfahren in der EU für den Zugang der Rohstoffindustrien zu den vorhandenen Flächen erarbeitet werden, um die Verfahren zu vereinfachen und die Unzugänglichkeit mineralischer Ressourcen aufgrund unangemessener Methoden der Flächennutzungsplanung zu verringern.

1.10.   Die Kommission sollte ihre Unterstützung für die europäische Technologieplattform für nachhaltige Gewinnung mineralischer Rohstoffe fortführen und deren Themen in die bevorstehenden Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen für 2009-2013 aufnehmen. Darüber hinaus ist es wichtig, unter den prioritären Aktionsbereichen des 8. Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung rohstoffbezogene Themen wie zum Beispiel die Förderung der Ressourcen- und Energieeffizienz voranzutreiben.

1.11.   Die Kommission sollte eine objektive Methode fördern, die auf einer den gesamten Lebenszyklus umfassenden Analyse beruht, um die Stichhaltigkeit von Maßnahmen zur Verbesserung der Ressourceneffizienz sowie von jeglicher auf den Ersatz von Rohstoffen gerichteten Politik zu bewerten.

1.12.   Die Dienststellen der Kommission sollten für den Ausbau des Recycling sorgen, die Verwendung von Sekundärrohstoffen in der EU erleichtern und durch die Förderung bewährter Verfahrensweisen auf internationaler Ebene auf ordnungsgemäße Recycling- und Wiederverwendungsstrategien in Drittländern hinwirken.

1.13.   Es bedarf weiterer Beratungen und Untersuchungen, um besser einschätzen zu können, inwieweit das auf nichtenergetische mineralische Rohstoffe angewandte methodische Vorgehen für die spezifische Situation erneuerbarer nichtenergetischer Rohstoffe wie zum Beispiel Holz, Häute und Felle geeignet ist. (Die Kommissionsmitteilung ist in erster Linie auf Themen im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit bei nichtenergetischen mineralischen Rohstoffen gerichtet. Es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, dasselbe Verfahren auch für andere Rohstoffe anzuwenden. Durch eine starke Zusammenarbeit zwischen den Fachabteilungen der Kommission wird es jedoch möglich sein, ein integriertes Instrument zur Bewertung aller für die EU-Unternehmen und zu Verteidigungszwecken strategisch wichtigen und kritischen Rohstoffe zu schaffen.)

2.   Hintergrund

2.1.   Der Trend zu immer höheren Rohstoffpreisen ist zumindest vorübergehend zum Stillstand gekommen. In der Mitteilung der Kommission wird davon ausgegangen, dass der Trend wieder einsetzen wird und dass „wegen der zu erwartenden Wachstumsraten der Schwellenländer der Nachfragedruck hoch bleiben [dürfte]“. In diesem Zusammenhang spielen zwei Faktoren eine maßgebliche Rolle. Das ist erstens die Frage, ob die Schwellenländer, vor allem China, in der Lage sein werden, reibungslos von einem Wachstumsmodus, der weitgehend auf Anlageinvestitionen beruht, die durch Geschäftschancen im exportorientierten verarbeitenden Sektor vorangetrieben werden, zu einem stärker auf den Binnenverbrauch gestützten Wachstumsmodus überzugehen, und zweitens die Frage, ob dieser letztgenannte Wachstumsmodus zu einem gleichermaßen raschen Anstieg der Rohstoffnachfrage führen wird.

2.2.   Wie in der Mitteilung dargelegt, ist die EU Selbstversorger bei mineralischen Baustoffen (wo Zulieferer aus Drittländern durch die im Verhältnis zum Wert der Rohstoffe hohen Transportkosten benachteiligt sind), während sie andererseits abhängig ist von Einfuhren wirtschaftsstrategisch wichtiger Rohstoffe. Die strategische Bedeutung dieser Rohstoffe beruht darauf, dass sie für die Industrieproduktion in einem Maße wichtig sind, das durch ihren wirtschaftlichen Wert viel zu niedrig angesetzt wird, und dass sie nur von einer kleinen Zahl kommerzieller Anbieter und Länder geliefert werden, von denen einige mit hohen politischen Risiken behaftet sind.

2.3.   Die Kommission äußert eine Reihe von Bedenken hinsichtlich der Rohstoffversorgung. Je nach dem Blickwinkel und dem Ursprung der Versorgungsprobleme lassen sich vier Arten von Risiken unterscheiden, die Anlass zur Sorge geben:

Der verstärkte Wettstreit um die Rohstoffe unter den Verarbeitern, der in Form von Preisanstieg und der Umleitung von Rohstoffen zu neuen Bestimmungsorten für Primär- und Sekundärressourcen zum Ausdruck kommt.

Das „Horten“ von Rohstoffen mittels Ausfuhrbeschränkungen wie Ausfuhrabgaben und Preisdifferenzierungen (in der Mitteilung werden einige Beispiele genannt).

Der Wettstreit um rohstoffproduzierende Anlagen in Drittländern (Beispiel: Wettstreit um Investitionsmöglichkeiten und Zugang zu Minerallagerstätten in Afrika).

Die Gefahr der Unterbrechung der Lieferung von wirtschaftsstrategisch wichtigen Rohstoffen. (Beispiel: die mögliche Unterbrechung der Lieferung von seltenen Erdmetallen (SEM - Alle umweltfreundlichen und energieeffizienten Technologien basieren auf dem zunehmenden Verbrauch von seltenen Erdmetallen. (So werden zum Beispiel für den Bau eines Hybridfahrzeugs etwa 20 kg SEM benötigt.) China ist der weltweit bedeutendste Lieferant, aber auch der weltweit größte Verbraucher von SEM. Bislang gibt es sehr wenig wirtschaftlich brauchbare Alternativen zu den chinesischen Lieferungen von SEM.), bei denen auf der Angebotsseite eine starke Konzentration vorherrscht und die für eine Reihe von Anwendungen von Bedeutung sind.) Kritische mineralische Rohstoffe können ein mächtiges Verhandlungsinstrument darstellen und sogar als Waffen in der wirtschaftlichen Kriegführung dienen.

2.4.   Die ersten zwei Risikoarten haben unmittelbare Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen rohstoffverarbeitenden Industrie, und insoweit sie aus wettbewerbsfeindlichen Praktiken oder handelspolitischen Maßnahmen resultieren, müssen ihre Folgen im Rahmen der Handels- und Wettbewerbspolitik angegangen werden.

2.5.   Das dritte Risiko ist für die rohstoffverarbeitende Industrie möglicherweise von geringerem Belang, da es per se keinen Grund für die Annahme gibt, dass die Eigentümer natürlicher Ressourcen ein Interesse an einer Diskriminierung von Kunden zum Nachteil der EU-Industrie haben, aber es gibt Gründe zur Besorgnis, sowohl was die Auswirkungen auf die langfristige Wettbewerbsposition der in Europa ansässigen Bergbauindustrie als auch was die Auswirkungen auf die Stellung Europas als Schaltstelle für Bergbaufinanzierung, Technologieentwicklung und Vernetzung zwischen Unternehmen betrifft. Die jüngsten Entwicklungen in dieser Hinsicht wecken auch Befürchtungen in Bezug auf die Aussichten für eine nachhaltige Entwicklung in den Entwicklungsländern, die von Ausfuhren auf der Grundlage natürlicher Ressourcen abhängig sind.

2.6.   Die vierte Risikoart schließlich kann zu einer schweren Schädigung des Wirtschaftsgefüges der Europäischen Union und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen, indem die Produktion in Ermangelung der erforderlichen Rohstoffe zum Stillstand kommt. Dieses Risiko muss direkt angegangen werden, möglicherweise auch mit Maßnahmen, die bislang nicht in Betracht gezogen wurden. Im Übrigen ist das Risiko sowohl in den USA (Siehe Minerals, Critical Minerals and the US Economy, report of the National Research Council, www.nap.edu/catalog.php?record_id=12034.) als auch in Japan (Siehe Guidelines for Securing National Resources, www.meti.go.jp/english/press/data/nBackIssue200803.html.) so ernst genommen worden, dass es als Rechtfertigung für neue politische Initiativen herangezogen wurde. In Presseberichten hieß es außerdem, dass China damit begonnen hat, zur Linderung der Auswirkungen von Lieferunterbrechungen Rohstoffvorräte anzulegen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission (KOM(2008) 699 endg., Die Rohstoffinitiative der Kommission) als wichtigen Faktor zu Sicherung der dauerhaften Versorgung der EU mit nichtenergetischen Rohstoffen, insbesondere mit mineralischen Rohstoffen (Siehe KOM(2008) 699 endg., S. 4) zur Sicherung unserer Versorgung mit den für Entwicklung und Beschäftigung notwendigen Gütern. Der EWSA ist darauf bedacht, dass die erforderliche Struktur und die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden, die zur Umsetzung der genannten Maßnahmen beitragen.

3.2.   Die Vertreter der Zivilgesellschaft fordern seit langem ein integriertes Konzept für diese Problematik, in dem verschiedene Maßnahmen und Programme der EU zusammengefasst werden. Es ist das Verdienst der Kommission, mit dieser Initiative aufgezeigt zu haben, wie sich die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Sicherstellung einer nachhaltigen Versorgung mit nichtenergetischen Rohstoffen für die EU-Unternehmen lösen lassen, indem die Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung aus Drittländern und der einheimischen europäischen Versorgung mit Maßnahmen für eine effizientere Nutzung der Ressourcen und Recyclingaktivitäten gekoppelt werden.

3.3.   Insbesondere haben die internationalen Entwicklungen klar gezeigt, dass unbeschadet des Subsidiaritätsprinzips, das in der EU für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Ressourcen- und Flächennutzungsplanung gilt, ein stärker koordinierter Ansatz auf EU-Ebene erforderlich ist.

3.4.   Der EWSA nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die Kommission in dieser Mitteilung einen entsprechenden Ansatz angenommen und beinahe dieselben Herausforderungen und Lösungen aufgezeigt hat, wie sie in der jüngsten Initiativstellungnahme des EWSA zu diesem Thema dargelegt wurden (2). Dieses Dokument war erstellt worden, um der Kommission vorab den Standpunkt der Zivilgesellschaft als Hilfe an die Hand zu geben, und wurde nach einem umfassenden Konsultationsprozess, der von der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel des EWSA eingeleitet worden war, zu einer Antwort auf das Informationspapier der Kommission „Sicherung der Rohstoffversorgung der EU-Industrie“ (IP/07/767 vom 5. Juni 2007), das als vorbereitendes Dokument zu der derzeitigen Rohstoffinitiative gedacht war.

3.5.   Im Zusammenhang mit der von der EU übernommenen Verpflichtung, durch Verbesserung der Technologien für eine höhere Energieeffizienz, Förderung der verantwortungsvollen Nutzung der natürlichen Ressourcen und Ökologisierung der Industrie einen Gesamtansatz zur Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels zu schaffen, weist der EWSA nochmals darauf hin, dass der Versorgungssicherheit bei mineralischen nichtenergetischen Rohstoffen neben der Europäischen Energiepolitik ebenfalls eine strategische Bedeutung zukommt, und betont insbesondere, dass zwischen diesen Sektoren aufgrund des technologischen Faktors eine gegenseitige Abhängigkeit besteht.

3.6.   Die EU ist bei „Hochtechnologiemetallen“ hochgradig importabhängig und wird ohne den sicheren Zugang zu diesen Hochtechnologiemetallen und zu seltenen Rohstoffen (in Anbetracht des Wettbewerbs, der Risiken, der geografischen Konzentration der Ressourcen und der Produktionsstätten) die Umstellung auf nachhaltige Produktionsweisen und umweltfreundliche Technologien nicht schaffen (3).

3.7.   Die vorliegende Mitteilung entspricht einer SWOT-Analyse (Stärke-Schwächen-Analyse) der derzeitigen Fragen im Zusammenhang mit der Rohstoffversorgung und bedarf daher nunmehr der koordinierten Unterstützung seitens der EU-Mitgliedstaaten sowie koordinierter Maßnahmen der zuständigen Kommissionsdienststellen (DEV, ENTR, ENV, EUROSTAT, REGIO, RELEX, RTD) zwecks Umsetzung einer Reihe von Schritten, an denen nicht nur die Kommission, sondern auch die zentralen Interessenvertreter beteiligt sind (nachgelagerte mineralgewinnende Industrien (Der International Council on Mining and Metals (ICMM) sollte aufgefordert werden, sich zu beteiligen und als Vertreter führender mineralgewinnender Unternehmen der Welt eine Entwicklungsvision sowie Fachkompetenz als Ergänzung der spezifischeren auf die EU ausgerichteten Vision von EUROMINES beizusteuern.), Unternehmen, geologische Dienste, organisierte Zivilgesellschaft), um die Versorgungssicherheit der EU im Einklang mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung zu verbessern.

3.8.   Die derzeit für diese Fragen zuständigen EU-Strukturen sind zu schwach und müssen durch höherrangige Entscheidungsträger und eine verstärkte technische und wirtschaftliche Analyse des künftigen Rohstoffbedarfs sowie verstärkte Maßnahmen konsolidiert werden, die darauf ausgerichtet sind, den Bedarf im Rahmen der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten weitgehend aus europäischen Quellen zu decken und die nachhaltige Versorgung aus nichteuropäischen Quellen zu verbessern. Eine längerfristige Strategie und ein Mechanismus zur regelmäßigen Überprüfung sind notwendig, da Investitionen in die Rohstoffgewinnung sehr oft erst über längere Zeiträume wirtschaftlich tragfähig sind.

3.9.   Die Vorschläge basieren auf folgenden Grundsätzen:

3.9.1.   Die Sicherheit der Rohstoffversorgung für die EU bedeutet in erster Linie, dass die Wirtschaft der Europäischen Union nicht durch Schocks bei der Rohstoffversorgung in Mitleidenschaft gezogen wird, aber auch, dass die Interessen der Verbraucher, der von Rohstoffimporten abhängigen und der rohstofferzeugenden EU-Industrie gewahrt werden und dass der Notwendigkeit Rechnung getragen wird, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. All diese Erfordernisse müssen berücksichtigt und im Hinblick auf die Verpflichtungen und Maßnahmen der EU bezüglich der internationalen Entwicklung sowie der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit umgesetzt werden. Die Nutzung von Rohstoffen sollte unter Berücksichtigung der Wechselbeziehungen mit der Umwelt, den Bedürfnissen der Gesellschaft und der nachhaltigen Energienutzung optimiert werden.

3.9.2.   Angesichts der Tatsache, dass die Politik der EU im Bereich der Rohstoffversorgung auf eine solide analytische Basis gestellt werden muss, ist die Verfügbarkeit einschlägiger Sachkenntnisse zu sichern, und für die Analyse müssen die bestmöglichen Methoden zum Einsatz kommen.

3.10.   Die ordnungspolitische Praxis im Rohstoffbereich unterscheidet sich innerhalb der EU von Land zu Land sehr stark, wobei in einzelnen Mitgliedstaaten noch erheblicher Spielraum für Verbesserungen durch Information über bewährte Verfahrensweisen besteht.

4.   Bemerkungen zu der vorgeschlagenen politischen Antwort (4)

4.1.   Erstes Ziel: Diskriminierungsfreier Zugang zu Rohstoffen auf dem Weltmarkt

4.1.1.   Die Kommission schlägt in der Mitteilung vor, dass die EU a) zur Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen eine aktive Rohstoffdiplomatie verfolgen sollte, b) sich für die Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit einsetzen muss und c) den Zugang zu Rohstoffen zu einem vorrangigen Ziel der EU-Handels- und Ordnungspolitik machen sollte.

4.1.2.   Nach der Klärung der Frage, welche Länder besonders rohstoffreich sind, sollten Fragen im Zusammenhang mit dem Zugang zu den dort vorhandenen Rohstoffen mit Vertretern der betreffenden Staaten erörtert werden. Im Rahmen der EU-Entwicklungspolitik sollten Fonds eingerichtet und Programme aufgelegt werden, die die nachhaltige Rohstoffgewinnung und die Entwicklung in diesen Ländern unterstützen.

4.1.3.   Die EU sollte ihre Finanzierungsregelungen für bereits der EU angehörende Länder oder Nachbarländer überprüfen, da die Beförderung der Ressourcen aus diesen Ländern nachhaltiger wäre. Vor allem die zuletzt beigetretenen Staaten, die Balkanstaaten, die nordafrikanischen Staaten und die Türkei sollten unterstützt werden. Die „Resource Endowment Initiative“ des International Council on Mining and Metals (ICMM) (Diese Initiative wurde 2004 vom International Council on Mining and Metals (ICMM) initiiert, um bewährte Verfahren für Investitionen in den Bergbau und die Metallindustrie auf nationaler/regionaler und Unternehmensebene in den Entwicklungsländern zu ermitteln) könnte ein nützliches Modell für Ressourcen- und Entwicklungsstrategien darstellen.

4.1.4.   Mehrere konkrete Empfehlungen fallen in die Kategorie einer besseren Ausrichtung der EU-Entwicklungspolitik auf den diskriminierungsfreien Zugang der EU zu Rohstoffen. Die Vorschläge zur Stärkung der Governance, zur Förderung eines günstigen Investitionsklimas und zur Förderung der nachhaltigen Bewirtschaftung von Rohstoffen sind durchweg sachdienlich und konstruktiv.

4.1.5.   Bei der Festlegung der Außenzölle der EU sollte sichergestellt werden, dass nachhaltig gewonnene Rohstoffe nicht vom EU-Markt ausgeschlossen werden. Die bestehenden Zölle sollten überprüft werden, um festzustellen, welche Zolltarifpositionen geändert werden müssen.

4.1.6.   Die Hilfe für Entwicklungsländer im Zusammenhang mit Rohstoffen sollte auf den Aufbau von Kapazitäten gerichtet sein und darauf abzielen, die Entwicklung und Durchführung von Maßnahmen zu unterstützen und zu erleichtern, die den Beitrag der Rohstoffgewinnung und -ausfuhr zur Entwicklung maximieren. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, Maßnahmen und Konzepte zu fördern, die integrativ und partizipativ sind und vorrangig den Bedürfnissen und Interessen der Bevölkerung dieser Länder Rechnung tragen.

4.1.7.   Entwicklungshilfe im Rohstoffbereich muss darüber hinaus auf breiten Koalitionen und Partnerschaften beruhen, die das Engagement aller Beteiligten, einschließlich und in erster Linie der Rohstoffindustrie, der zivilgesellschaftlichen Organisationen und aller Regierungsebenen gewährleisten.

Die Hilfe für Entwicklungsländer sollte als wesentlichen Bestandteil die Unterstützung für den Aufbau der Infrastruktur umfassen, die von den rohstoffgewinnenden Unternehmen, von kleineren Unternehmen, Agrargemeinden und im Rahmen sonstiger Wirtschaftstätigkeiten auf dem Land genutzt werden kann. Wenngleich diese besondere Art der Zusammenarbeit kritisiert wird, weil sie weniger zur Entwicklung beiträgt, als dies möglich wäre, sollte doch anerkannt werden, dass sie einem starken Bedürfnis seitens der Entwicklungsländer entspricht, die Entwicklung durch eine verbesserte Infrastruktur zu fördern, und dass sich andere Mechanismen zur Finanzierung solcher Investitionen als unzureichend erwiesen haben.

4.1.8.   In der Mitteilung wird deutlich auf die schwierigen Fragen im Zusammenhang mit Handelsstatistiken hingewiesen, in denen Aussagen zu mineralischen Rohstoffen getroffen werden. Diese Statistiken beruhen auf Zollberichten nach dem Internationalen Warenverzeichnis für den Außenhandel (SITC), dem Harmonisierten System (HS) bzw. nach der UN Classification by Broad Economic Categories (BEC), und ihre Aussagekraft leidet unter der unzureichenden Übermittlung statistischer Angaben einiger Länder. Darüber hinaus können Handelsstatistiken nicht die so dringend erforderlichen sachgerechten Informationen über den tatsächlichen Mineralverbrauch der Volkswirtschaften der Welt liefern, da sie den Mineral- oder Metallgehalt der gehandelten Konzentrate, Vorerzeugnisse und Industrieerzeugnisse nicht ausweisen. Es wären Untersuchungen erforderlich, und man müsste einen internationalen Konsens darüber erzielen, wie das derzeitige statistische System zu verbessern ist, um den tatsächlichen Mineral- und Metallverbrauch besser zu erfassen, möglicherweise durch die Verwendung von Ersatzwerten für den Mineral- und Metallgehalt eines Standardfahrzeugs, einer Standardtonne Papier usw.

4.1.9.   In der Mitteilung wird auf Einzelheiten im Zusammenhang mit der Handels- und Ordnungspolitik eingegangen. Die Vorschläge betreffen Bereiche, die für die EU von grundlegender Bedeutung sind, und sind es offenbar wert umgesetzt zu werden. Eines der Argumente sollte besonders hervorgehoben werden: Die EU sollte „auch das EU-Zolltarifsystem im Auge behalten, dafür sorgen, dass es der Entwicklung des Rohstoffbedarfs der EU Rechnung trägt und insbesondere prüfen, ob und wie Importbeschränkungen für Rohstoffe gelockert werden können“.

4.1.10.   Die Ziele für die nachhaltige Entwicklung sollten unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen außerhalb des Gebiets der EU umgesetzt werden, und sie sollten keine Entschuldigung und keinen Vorwand für Praktiken bieten, die durch eine Beschränkung des Handels dem Interesse der Verbraucher und der Umwelt entgegenlaufen. Die Versorgungssicherheit und die Ziele der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs durch privilegierten Zugang zu Rohstoffen dürfen nicht dazu genutzt werden, den Protektionismus zu fördern oder für Produzenten aus Entwicklungsländern den Handel und den Zugang zum EU-Markt zu beschränken.

4.2.   Zweites Ziel: Dauerhafte Versorgung mit Rohstoffen aus europäischen Quellen

4.2.1.   Die nachhaltige lokale und regionale Entwicklung in der EU wird durch die künftige Entwicklung der Wirtschaftssektoren, die in der Lage sind, das Potenzial des jeweiligen Bereichs gewinnbringend zu nutzen, direkt beeinflusst. Nach Ansicht des EWSA kann die Bergbauwirtschaft — berücksichtigt man die Berechnung der Reserven für die einzelnen Minerallagerstätten — zur lokalen Entwicklung und durch die Versorgung mit Ressourcen auch zur Entwicklung der EU-Mitgliedstaaten beitragen. So kann sie einen Beitrag leisten zur:

Entwicklung der Industrieproduktion und zur Bereitstellung der Rohstoffe, die für die Industrietätigkeiten erforderlich sind;

Verringerung der Abhängigkeit von Einfuhren und Gewährleistung einer besseren Ressourcennutzung;

Aufrechterhaltung einer angemessenen Zahl qualifizierter Arbeitskräfte in diesem Sektor, um eine Weiterführung der Erkundungs- und mineralgewinnenden Tätigkeiten in der EU zu ermöglichen;

Schaffung von mehr und sichereren Arbeitsplätzen;

Förderung des sozialen Zusammenhalts und der regionalen Entwicklung;

Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen.

4.2.2.   In Anbetracht seiner langen Geschichte der Mineralgewinnung muss Europa eine Vorreiterrolle übernehmen, wenn es zum Beispiel um die Frage geht, wie der Abbau und die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen sowie die Nachsorge in Bezug auf die betreffenden Flächen auf eine für die Gesellschaft nutzbringende Weise zu handhaben sind.

4.2.3.   Die Mitgliedstaaten sollten überprüfen, inwieweit bei ihren Verfahren der Flächennutzungsplanung eventuell vorhandene Rohstoffe berücksichtigt werden, und ob die Festlegung der Prioritäten im Fall von konkurrierenden Landnutzungen in Anbetracht der Notwendigkeit, Rohstoffe nachhaltig zu beziehen, noch angemessen ist, d.h. wo immer dies möglich und rentabel ist, den Grundsatz der Versorgungsnähe anzuwenden.

4.2.4.   Der Stand des geologischen Wissens ändert sich kontinuierlich, deshalb müssen die Verfahren hinreichend flexibel sein, um den künftigen Zugang zu bislang noch nicht entdeckten natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.

4.2.5.   Eine Bestandsaufnahme der besten Praktiken zur Regulierung des Zugangs der Rohstoffindustrien zu den vorhandenen Flächen in der Europäischen Union wäre hilfreich, um

die Verfahren zu vereinfachen, sie einander stärker anzugleichen und zugleich sicherzustellen, dass konkurrierenden Flächennutzungsinteressen, die Erhaltung eingeschlossen, in angemessener Weise Rechnung getragen wird.

die Unzugänglichkeit mineralischer Ressourcen durch unangemessene Methoden der Flächennutzungsplanung zu verringern. Besonders wichtig ist es, dass die Bestimmungen zur Sicherung des Zugangs zu den betreffenden Flächen sich nicht nur auf Gebiete erstrecken, in denen bekanntermaßen Mineralien vorkommen.

4.2.6.   Nach Ausarbeitung der Leitlinien zur Kompatibilität von Natura 2000 mit der Rohstoffgewinnung sollten die Mitgliedstaaten die eigenen nationalen Leitlinien überprüfen und sicherstellen, dass den zuständigen Behörden bekannt ist, dass Natura 2000 die Gewinnung von Rohstoffen nicht verbietet (Artikel 6 der Habitatrichtlinie ist ein hervorragendes Instrument, mit dem sichergestellt werden kann, dass die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung durch die mineralgewinnenden Industrien eingehalten werden).

4.2.7.   Um die Wissensgrundlage in Bezug auf die Versorgung mit wirtschaftsstrategisch wichtigen Rohstoffe und die Nutzung von Rohstoffen innerhalb der EU zu verbessern, sollte eine ähnliche Analyse, wie sie der Nationale Forschungsrat für die USA durchgeführt hat, auch für die EU erstellt werden. Die Analyse sollte darauf abzielen, die potenziellen Risiken für die Rohstoffversorgung der EU-Industrie und die Kritikalität der verschiedenen Rohstoffe in den verschiedenen Endanwendungen festzustellen. (Folgende Aspekte sollten in Betracht gezogen werden: physische Verfügbarkeit einiger Mineralien, die in EU-Ländern abgebaut werden können, Substitutionsgrad, geopolitische Risiken in Bezug auf den internationalen Handel mit strategischen und kritischen Rohstoffen, Verteidigungserfordernisse der EU.)

Die Mitteilung enthält eine Reihe von Empfehlungen, die die Wissensgrundlage in Bezug auf Rohstoffe verbessern sollen. Sie enthält jedoch keine Vorschläge, die darauf gerichtet sind, den Wissensstand über die Nutzung der Rohstoffe innerhalb der EU zu erhöhen. Dies scheint jedoch eine der obersten Prioritäten zu sein und stünde im Einklang mit der Notwendigkeit, eine kohärente Politik zu entwickeln und die Wirksamkeit der Maßnahmen zu maximieren. Der in den USA vorgelegte Bericht über kritische Rohstoffe enthält eine Methodik, die auf die Gegebenheiten in Europa angewandt werden könnte.

4.2.8.   Insbesondere wären eine erschöpfende Bewertung des Potenzials an geologischen Ressourcen mit modernen Technologien sowie eine Bewertung der Fähigkeiten der nationalen geologischen Anstalten, erstklassige Daten, Informationen und Gutachten über mineralische Ressourcen bereitzustellen, wünschenswert. Es sollten spezifische Unterstützungsmaßnahmen für die Erfassung geologischer Daten (so wie er hier verwendet wird, schließt der Terminus alle geologiebezogenen thematischen Daten wie geochemische oder geophysikalische Daten ein) ausgearbeitet und im Rahmen der künftigen Ausweitung der GMES-Landdienste und/oder des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung umgesetzt werden. Die Kommission sollte eine formale Überprüfung der Lage in den Mitgliedstaaten durchführen.

4.2.9.   Die Organe der Europäischen Union sollten den tschechischen, schwedischen und spanischen Ratsvorsitz bei einschlägigen Veranstaltungen unterstützen, insbesondere in Bezug auf folgende Konferenzen:

Unter dem schwedischen EU-Ratsvorsitz sollte eine Konferenz durchgeführt werden, um bewährte Verfahrensweisen für die Flächennutzungsplanung und die nachhaltige Flächenbewirtschaftung nach dem Abbau von Rohstoffen zu ermitteln.

Die Konferenz über Exploration und Bergbau, die im Dezember 2009 in Rovaniemi (Finnland) stattfinden wird und auf der voraussichtlich bewährte Verfahrensweisen bei der Förderung der Lagerstättenerkundung in Europa vorgestellt werden.

Mit Unterstützung des TAIEX-Instruments der EU sollte eine Konferenz zum Thema Exploration in Südosteuropa und den Balkanländern vorbereitet werden.

4.2.10.   Der Forschung und technologischen Entwicklung im Rohstoffbereich sollte unter besonderer Berücksichtigung von Technologien, die mit aktiven Erhaltungsmaßnahmen vereinbar sind, Vorrang eingeräumt werden. Bewährte Verfahren auf dem Gebiet der Exploration, der umweltverträglicheren Produktion und des Recycling sollten gefördert werden, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung von Verfahren, bei denen wirtschaftlich tragfähige marktbasierte Anreize zur Anwendung kommen. Die strategische Forschungsagenda und der Umsetzungsplan, die von der Europäischen Technologieplattform für nachhaltige Gewinnung mineralischer Rohstoffe erstellt wurden, könnten hierfür als Grundlage dienen.

4.3.   Drittes Ziel: Optimierung des Primärrohstoffverbrauchs in der EU

4.3.1.   Nach Meinung der Öffentlichkeit sind vor allem juristische Personen, d.h. Bergbau- und Handelsunternehmen für die Umweltbedingungen verantwortlich. In Wirklichkeit trägt jedoch die Gesellschaft insgesamt die Verantwortung für den Verbrauch von Gütern, zu denen die betreffenden Ressourcen zählen.

Die EU-Bürger müssen sich darüber im Klaren sein, dass unsere Existenz von der Gewinnung von mineralischer Ressourcen abhängt, dass es aber zugleich sehr wichtig ist, die Umwelt zu schützen und einen verantwortungsvollen Verbrauch von Rohstoffen zu fördern.

4.3.2.   Die Konzeption von Politiken und praktischen Maßnahmen zur Optimierung der Nutzung von Rohstoffen kann nicht von den legitimen Interessen außerhalb der EU getrennt werden und muss den tatsächlichen Fähigkeiten in den Entwicklungsländern bezüglich der Regulierung und der Nutzung der Technologie Rechnung tragen. Die REACH-Verordnung wurde von mehreren afrikanischen Ländern stark kritisiert, da sie darüber besorgt sind, dass sie zu einer unzulässigen Diskriminierung ihrer Mineralienexporte führen kann. In ähnlicher Weise hat das Baseler Übereinkommen über gefährliche Abfälle in einigen asiatischen Ländern zu unbeabsichtigten Folgen geführt, einschließlich der Verbreitung von informell tätigen Unternehmen im Bereich der Wiederaufbereitung von Metallen, die gefährliche Verfahren anwenden, da sie von der legalen Rohstoffversorgung abgeschnitten wurden.

4.3.3.   Die europäische Forschung und Industrie sollten ermutigt werden, Ersatzstoffe für kritische Rohstoffe zu entwickeln. Zu diesem Zweck sollte die Liste wichtiger Metalle/Rohstoffe Gegenstand einer von der Europäischen Kommission im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms eingeleiteten eingehenden Untersuchung sein, um einen Hintergrund für die neuen umweltfreundlichen Technologien und ökologisch sicheren Produkte bereitzustellen.

4.3.4.   Der Wiederaufbereitungsprozess sollte nicht nur als eine reine Verwaltungsaufgabe, sondern vielmehr als ein ordnungspolitischer Rahmen gesehen werden, der durch ein unternehmerisches Konzept auf kommerzieller Basis unterstützt wird. Zur Umsetzung dieses Grundsatzes ist Folgendes erforderlich:

ein Rechtsrahmen für die Sammlung, Sortierung, Behandlung und stoffliche Verwertung von Industrie- und Haushaltsabfällen;

Anreize für die Verbraucher zur Beteiligung am Recycling;

geeignete nationale und internationale Netzwerke, die auf die Sammlung, Lagerung und industrielle Wiederverwertung spezialisiert sind;

eine ordnungsgemäße Abfallbewirtschaftung auf kommerzieller Basis, die von der Kommunalverwaltung/den regionalen Behörden organisiert wird.

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Weitere detaillierte Empfehlungen des EWSA finden sich in der Stellungnahme zum „Abbau nichtenergetischer Bodenschätze in Europa“, die am 9. Juli 2008 angenommen und im Amtsblatt der EU unter der Nummer 2009/C27/19 veröffentlicht wurde. Die vorliegenden Empfehlungen sind als Ergänzung zu den in dieser früheren Stellungnahme des EWSA vorgelegten Empfehlungen zu betrachten.

(2)  Stellungnahme zum Thema „Abbau nichtenergetischer Bodenschätze in Europa“, ABl. C 27 vom 3.2.2009.

(3)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu dem Thema „Abbau nichtenergetischer Bodenschätze in Europa“, ABl. C 27 vom 3.2.2009, Ziffer 2.5.

(4)  Siehe Stellungnahme EWSA, ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 82.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/98


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission: „Maßnahmen zur Bewältigung der Krise in der europäischen Automobilindustrie“

(KOM(2009) 104 endg.)

(2009/C 277/20)

Hauptberichterstatter: Herr ZÖHRER

Die Europäische Kommission beschloss am 25. Februar 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Maßnahmen zur Bewältigung der Krise in der europäischen Automobilindustrie

KOM(2009) 104 endg.

Am 23. März 2009 beauftragte das Präsidium die Beratende Kommission für den industriellen Wandel mit den Vorarbeiten zu diesem Thema. Berichterstatter war Herr ZÖHRER, Ko-Berichterstatter Herr GLAHE.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) Herrn Zöhrer zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 141 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Hintergrund, Inhalt des Kommissionsdokuments

Schneller und heftiger als die meisten anderen Industriezweige wurde die Automobilindustrie von der Krise erfasst. Aus diesem Anlass haben die Kommission und die Mitgliedstaaten in den letzten Monaten mehrere Initiativen ergriffen, um der Industrie in dieser schwierigen Situation beizustehen. In ihrer Mitteilung vom 25.2.2009 weist die Kommission auf die Bedeutung einer dynamischen und wettbewerbsfähigen Kfz-Industrie hin. Neben dem Einbruch der Nachfrage nach Pkw und Nutzfahrzeugen und dem nun erschwerten Zugang zu Finanzmitteln geht die Kommission auch auf die langfristigen strukturellen Probleme ein, deren Ursprung vor der Krise liegt.

1.1.1.   Mit der Hochrangigen Gruppe zu CARS 21, dem Restrukturierungsforum im Oktober 2007 und zahlreichen kleinen Arbeitsgruppen beschäftigt sich die Kommission schon über längere Zeit mit den Herausforderungen des Automobilsektors. Der Ausschuss hat mit dem im Dezember 2007 verabschiedeten Informationsbericht zum Thema „Lage und Aussichten der europäischen Kraftfahrzeugindustrie“ (CCMI/046 - Stellungnahme über „Die Kraftfahrzeugindustrie in Europa: gegenwärtige Situation und Aussichten“ (CESE 1065/2007 fin rev.)) bereits einen wichtigen Beitrag zu dieser Debatte geleistet und arbeitet zurzeit noch an einer Stellungnahme über die Zulieferer und nachgelagerten Märkte der Automobilindustrie (CCMI/059 - Stellungnahme über die „Zulieferer und nachgelagerten Märkte der Automobilindustrie“).

1.2.   Im zweiten Teil der Mitteilung beschreibt die Kommission, welche Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene und in den Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Konjunkturprogramms und für die Kraftfahrzeugindustrie im Speziellen ergriffen wurden und noch geplant sind.

2.   Bemerkungen und Schlussfolgerungen

2.1.   Der Ausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission. Sie zeigt, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten bereit sind, die Automobilindustrie in dieser dramatischen Situation zu unterstützen. Er unterstreicht die Notwendigkeit eines kohärenten und abgestimmten Rahmens, um einerseits protektionistische Tendenzen zu unterbinden und andererseits gemeinsame Zielsetzungen zu formulieren.

In der gegenwärtigen Krise ist rasches Handeln angesagt. Einige Maßnahmen müssen beschleunigt umgesetzt werden, um vor allem KMU in der Zulieferindustrie vor einem Kollaps zu bewahren und dringend nötige Investitionen zu ermöglichen.

2.2.1.   In erster Linie muss der Zugang zu Finanzmitteln schnell, in ausreichender Höhe und zielgerichtet durch die Banken, die EIB oder durch Beihilfe sowie Garantien und Bürgschaften der Mitgliedstaaten sichergestellt werden.

2.2.2.   Dennoch sind Insolvenzen wahrscheinlich nicht auszuschließen. Der Ausschuss fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten daher auf, die Bestimmungen des Insolvenzrechts darauf zu überprüfen, inwiefern die Fortführung der Betriebe gefördert wird.

Die wohl größte Herausforderung in der Krise ist es aber, Beschäftigung zu sichern. Es geht darum, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und Know-how in der Industrie zu halten. In den Mitgliedstaaten stehen unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung, um zeitlich begrenzte Einbrüche bei den Auftragseingängen zu überbrücken (z.B. Kurzarbeit). In einigen Mitgliedstaaten gibt es solche Möglichkeiten allerdings nicht mit der Konsequenz des massiven Abbaus von Arbeitsplätzen. Der Ausschuss regt daher an, dass durch den Austausch von best practice und gezielten Förderungen die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer forciert wird. Zeiten geringer Auslastung müssen jetzt für Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitnehmer genutzt werden.

2.3.1.   Der Ausschuss begrüßt die Anstrengungen, die im Rahmen des ESF getroffen wurden, um die Finanzierung beschäftigungssichernder Maßnahmen zu ermöglichen. Er unterstützt den Vorschlag, den Europäischen Fonds zur Anpassung an die Globalisierung im Lichte der Krise zu adaptieren. Da die vorgesehenen Mittel in Höhe von 500 Mio. EUR möglicherweise nicht ausreichen, schlägt der Ausschuss vor, diese auf 1 Mrd. EUR zu erhöhen (siehe Stellungnahme CCMI/063).

2.3.2.   Die von der Krise und dem damit verbundenen Jobabbau am stärksten betroffenen Gruppen sind Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen und Leiharbeiter. Der Ausschuss regt an, besondere Maßnahmen für diese Arbeitnehmergruppen zu ergreifen und den Rechtsrahmen vor allem für Leiharbeiter rasch anzupassen.

2.4.   Anreize, die die Nachfrage erhöhen sind notwendig. Dabei ist darauf zu achten, dass alle finanziellen oder steuerlichen Initiativen (z.B. Abwrackprämien) die technologische Umrüstung der Branche unterstützen und beschleunigen (Energieeffizienz von Maschinen, Verringerung der Emissionen). Darüber hinaus fordert der Ausschuss die Mitgliedstaaten, die Kommission, die EZB und auch die Sozialpartner auf, makroökonomische Rahmenbedingungen zu schaffen, die auf die Sicherung der Einkommen abzielen und so die Binnennachfrage stärken.

Im Zusammenhang mit den langfristigen Strukturproblemen verweist der Ausschuss auf den Informationsbericht seiner Beratenden Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) zum Thema „Die Kraftfahrzeugindustrie in Europa: gegenwärtige Situation und Aussichten“ vom November 2007. Darin wird klar beschrieben, vor welchen Herausforderungen die Industrie steht und dass ein weitreichender Wandel des Sektors absehbar ist, der durch die gegenwärtige Krise wohl beschleunigt vollzogen wird.

2.5.1.   Zunächst zeigt sich bedingt durch die Krise und die staatlichen Fördermaßnahmen vor allem eine Verschiebung der Marktanteile hin zu kleineren, umweltfreundlicheren und kostengünstigeren Modellen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Wertschöpfung der Hersteller und Zulieferer und wird die Branche nachhaltig beeinflussen.

2.5.2.   Will der Sektor letztendlich gestärkt aus der Krise gehen, müssen die Anstrengungen im Bereich der Forschung und Entwicklung, der Innovation und Qualifizierung der Arbeitskräfte gerade jetzt erhöht werden. Dies fällt sowohl in die Verantwortung der Unternehmen als auch in die der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft. Der Ausschuss unterstützt daher die von der Kommission beschriebenen Initiativen.

2.5.3.   Vorsicht ist angezeigt, wenn die Strukturprobleme auf die Frage von Überkapazitäten reduziert werden. In Europa hat es in den vergangenen Jahren einen erheblichen Abbau von Kapazitäten gegeben (vor allem in Spanien, Portugal, VK). In dieser Frage gibt es große Unterschiede bei den einzelnen Herstellern und unterschiedliche Philosophien. Zum Teil sind Überkapazitäten systemimmanent (z.B. Modellwechsel, interner Wettbewerb). Gerade jetzt besteht aber die Gefahr, dass es bedingt durch die Krise zu einem „Kahlschlag“ kommt, der später, wenn die Nachfrage wieder steigt, auch zu Unterkapazitäten und damit zu vermehrten Importen führen kann. Der Ausschuss regt daher an, diese Frage im Rahmen der Hochrangigen Gruppe CARS 21 anzusprechen.

2.5.4.   Vor allem die amerikanischen Hersteller stecken in einer tiefen strukturellen Krise. Der Ausschuss begrüßt die Bemühungen der Kommission um eine wirksame politische Antwort auf die damit verbundenen Schwierigkeiten von GM Europe und seinen Zulieferern, indem sie die Aktivitäten der betroffenen Mitgliedstaaten koordiniert. Die EU muss nachdrücklich darauf drängen, dass die USA und General Motors dem europäischen Unternehmensteil (OPEL/Vauxhall/Saab) eine Überlebenschance geben.

2.5.5.   Zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen werden nach Ansicht des Ausschusses weitere Anstrengungen der Unternehmen aber auch der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union insgesamt erforderlich sein. Der Ausschuss unterstützt daher die Vorschläge der Kommission zur Umsetzung der Ergebnisse der Konsultation im Rahmen von CARS 21 sowie zum weiteren Vorgehen. Er spricht sich für eine Fortführung des Prozesses aus, der im Sinne der Lissabon-Strategie eine längerfristige europäische Industriepolitik unterstützt.

2.5.6.   Der Ausschuss verweist außerdem auf die Bedeutung der nachgelagerten Märkte (eine diesbezügliche Stellungnahme ist in Arbeit und wird demnächst verabschiedet). Er regt an, aufbauend auf die Erfahrungen von CARS 21 eine Hochrangige Gruppe einzusetzen, die sich mit den spezifischen Herausforderungen der Akteure im nachgelagerten Sektor befasst.

2.5.7.   Die von der Kommission initiierte Partnerschaft für die Antizipierung des Wandels in der Automobilindustrie ist ein wichtiger Schritt, auch die sozialen Auswirkungen der Umstrukturierungen zu thematisieren. Der Ausschuss fordert angesichts der dramatischen Entwicklung die beteiligten Sozialpartner und die Kommission auf, einen echten, wirksamen sozialen Dialog einzurichten.

2.6.   Grundlage für den weiteren Erfolg der europäischen Automobilindustrie ist ein freier Zugang zu den Weltmärkten und fairer Wettbewerb. Der Ausschuss begrüßt daher die Absicht der Kommission, den Dialog mit den Handelspartnern zu vertiefen. Insbesondere müssen die Entwicklungen in den USA und Asien verfolgt werden, um gleiche Bedingungen und den Verzicht auf protektionistische und diskriminierende Maßnahmen sowie einen effektiven Schutz geistigen Eigentums zu gewährleisten. Aktuell betont der Ausschuss, dass gerade im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Südkorea darauf gedrängt werden muss, einen für die europäische Automobilindustrie ausgewogenen Rahmen zu schaffen. Der derzeitige Stand der Verhandlungen reflektiert das Ziel eines Abbaus nichttarifärer Handelshemmnisse für europäische Produzenten nicht.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/100


Stellungnahme des Europäischen- Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“

(KOM(2008) 869 endg. — 2008/0252 (CNS))

(2009/C 277/21)

Alleinberichterstatter: Thomas JANSON

Der Rat beschloss am 3. Februar 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten

KOM(2008) 869 endg. - 2008/0252 (CNS).

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 6. April 2009 an. Berichterstatter war Thomas Janson.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 193 gegen 7 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Gemäß Artikel 128 Absatz 2 EG-Vertrag muss die Gültigkeit der beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2009 durch einen Beschluss des Rates nach Anhörung des Europäischen Parlaments, des Ausschusses der Regionen und des EWSA bestätigt werden.

1.2.   Der EWSA befürwortet den Vorschlag, die Gültigkeit der beschäftigungspolitischen Leitlinien 2008-2010 unter Berücksichtigung der aufgeführten Anmerkungen für das Jahr 2009 zu bestätigen.

1.3.   Die nationalen Reformprogramme sollten hinsichtlich der Beschäftigungspolitik und der Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer ehrgeiziger werden.

1.4.   Eine viel stärkere Gewichtung der Eingliederung Jugendlicher in den Arbeitsmarkt ist notwendig und die Bekämpfung von Diskriminierungen muss weiterhin mit Nachdruck angegangen werden.

1.5.   Der Übergang zur wissensbasierten Wirtschaft bedarf eines viel entschlosseneren Engagements, das auf Berufsbildung und lebenslanges Lernen ausgerichtet ist. Es ist wichtig, die Investitionen in Forschung, Entwicklung und Innovation konsequenter einzubeziehen.

1.6.   Nach Auffassung des Ausschusses kommen Fragen zur Gleichbehandlung der Geschlechter sowie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den beschäftigungspolitischen Leitlinien nicht ausreichend stark zum Tragen.

1.7.   Die Wirtschaftskrise wird mit steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Beschäftigungsquote einhergehen und die EU indirekt davon abhalten, ihre beschäftigungspolitischen Ziele zu erreichen.

1.8.   Es ist wichtig, dass die Mitgliedstaaten jenen Leitlinien Vorrang geben, die für die Beschäftigung und das Wachstum von Bedeutung sind: (1) Die Beschäftigungspolitik auf Vollbeschäftigung, Steigerung der Arbeitsplatzqualität und Arbeitsproduktivität sowie Stärkung des sozialen und territorialen Zusammenhalts ausrichten; (2) Integrative Arbeitsmärkte schaffen, Arbeit attraktiver und für Arbeitssuchende — auch für benachteiligte Menschen — und Nichterwerbstätige lohnend machen; und (3) die Investitionen in Humankapital steigern und optimieren (1).

1.9.   Der EWSA betont, dass die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft an allen Phasen der Ausarbeitung und Umsetzung der Leitlinien beteiligt werden sollten.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1.   Die Leitlinien sind auf EU-Ebene eingegangene nationale Verpflichtungen und legen allgemeine Ziele für die Mitgliedstaaten fest, die im Rahmen ihrer nationalen Reformprogramme umzusetzen sind. Die Gültigkeit der integrierten Leitlinien läuft am Ende des ersten Dreijahreszyklus aus und muss für den nächsten Zyklus bestätigt werden.

2.2.   Der Kommission zufolge waren die Mitgliedstaaten im ersten Dreijahreszyklus (2005-2008) um eine beschleunigte Umsetzung der Strukturreformen bemüht. Reformen im Sinne der Lissabon-Strategie haben dazu beigetragen, das Wachstumspotenzial der europäischen Volkswirtschaften zu steigern. Dadurch konnte die europäische Wirtschaft auch externe Schocks wie die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise sowie Wechselkursschwankungen besser verkraften.

2.3.   Die Neuausrichtung der Lissabon-Strategie mit ihrer Betonung der Partnerschaft zwischen der europäischen und der einzelstaatlichen Ebene hat sich der Kommission zufolge bewährt. Nach Auffassung der Kommission erfüllen die integrierten Leitlinien ihre Aufgabe und bedürfen somit zurzeit keiner Überarbeitung.

3.   Frühere Feststellungen des EWSA

3.1.   Letztes Jahr hat der EWSA in einer Stellungnahme die Leitlinien und deren Unzulänglichkeiten analysiert (2). Diese Analyse trifft nach wie vor zu.

3.2.   Der Ausschuss vertrat die Ansicht, dass die nationalen Reformprogramme in Bezug auf die Beschäftigungspolitik und die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer nicht ehrgeizig genug sind. Dies hängt damit zusammen, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der derzeitigen Leitlinien ihre eigenen Ziele festlegen können, weshalb zu befürchten ist, dass die beschäftigungspolitischen Maßnahmen nicht mehr anhand klarer und quantifizierbarer Zielsetzungen beurteilt werden können.

3.3.   Eine viel stärkere Gewichtung der Eingliederung Jugendlicher in den Arbeitsmarkt ist notwendig und die Bekämpfung von Diskriminierung auf Grund von Alter, Behinderung oder ethnischer Herkunft muss weiterhin mit Nachdruck angegangen werden.

3.4.   Wenn die EU ein wissensbasierter Wirtschaftsraum werden soll, dann bedarf der Übergang zur wissensbasierten Wirtschaft eines viel entschlosseneren Engagements, das auf Berufsbildung und lebenslanges Lernen ausgerichtet ist, um sich an neue Technologien anzupassen und dabei die industrielle Grundlage neu zu strukturieren und den Einzelnen in die Lage zu versetzen, übertragbares Wissen zu erwerben. Hierzu muss bei der Einbeziehung von Investitionen in die Forschung, die Entwicklung und die Innovation konsequenter vorgegangen werden, um sowohl die Wirtschaft anzukurbeln als auch neue Arbeitsplätze zu schaffen (3).

3.5.   In den beschäftigungspolitischen Leitlinien werden Fragen zur Gleichbehandlung der Geschlechter sowie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur unzureichend beachtet. Dies ist im Hinblick auf die Bewältigung der Probleme im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel und der älter werdenden Arbeitnehmer von Bedeutung.

3.6.   Darüber hinaus betonte der Ausschuss die Bedeutung entsprechender Finanzmittel auf nationaler und europäischer Ebene, um beschäftigungspolitische Maßnahmen erfolgreich umsetzen zu können.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.   Kurz- und mittelfristig wird die Wirtschaftskrise mit steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Beschäftigungsquote einhergehen und die EU indirekt daran hindern, die Ziele im Rahmen des Lissabon-Prozesses zu erreichen.

4.2.   Selbst wenn vor der Krise gewisse Fortschritte zu verzeichnen waren, sind die innerhalb der und zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede bei der Erreichung der Ziele und der Umsetzung verschiedener Maßnahmen nach wie vor ein großes Problem, das durch die Wirtschaftskrise weiter verschärft wird.

4.3.   Wenn die Mitgliedstaaten die tiefe Rezession der 30er Jahre vermeiden wollen, ist es nach Auffassung des Ausschusses wichtig, dass sie vorzugsweise jene Leitlinien umsetzen, die für Beschäftigung und Wachstum von Bedeutung sind. Am härtesten wird die Krise jene Länder treffen, in denen sich die Regierung nicht für die Förderung der Beschäftigung in der Wirtschaft eingesetzt hat, sondern die gleiche Politik verfolgte wie bei guter Wirtschaftslage.

4.4.   Gemeint sind in diesem Zusammenhang folgende Leitlinien: (1) Die Beschäftigungspolitik auf Vollbeschäftigung, Steigerung der Arbeitsplatzqualität und Arbeitsproduktivität und Stärkung des sozialen und territorialen Zusammenhalts ausrichten; (2) Integrative Arbeitsmärkte schaffen, Arbeit attraktiver und für Arbeitssuchende — auch für benachteiligte Menschen — und Nichterwerbstätige lohnend machen; und (3) die Investitionen in Humankapital steigern und optimieren (4).

4.5.   In diesem Zusammenhang ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Kommission und andere Akteure die Bestimmungen für die Verwendung der Strukturfonds, des Sozialfonds und des Globalisierungsfonds für die Finanzierung der Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien rasch vereinfachen. Der EWSA hebt erneut die Bedeutung entsprechender Finanzmittel auf nationaler und europäischer Ebene hervor, damit der Beschäftigungsinitiative Vorrang gegeben werden kann.

4.6.   Der EWSA würde eine bedeutendere Rolle der Kommission bei der Ausarbeitung der europaweiten und einzelstaatlichen Ziele sowie im Beobachtungs- und Bewertungsprozess begrüßen. Dadurch würden die jährlichen Berichte im Rahmen der nationalen Reformprogramme in den einzelnen Mitgliedstaaten an Relevanz gewinnen.

4.7.   Der EWSA betont, dass die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft an allen Phasen der Ausarbeitung und Umsetzung der Leitlinien beteiligt werden sollten.

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen- Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Integrierte Leitlinien Nr. 17, 19 und 23 (KOM(2007) 803 endg./3, Teil V).

(2)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag)“ vom 13. Februar 2008 (ABl. C 162 vom 25.6.2008), Berichterstatter: Wolfgang Greif.

(3)  Der EWSA hat sich diesem Thema bereits gewidmet. Siehe u.a. EWSA-Stellungnahmen

zum Thema „Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie)“ vom 12.7.2007, Berichterstatter: Gerd WOLF (ABl. C 256 vom 27.10.2007) und

zum Thema „Zusammenarbeit und Wissenstransfer zwischen Forschungsorganisationen, Industrie und KMU - eine wichtige Voraussetzung für Innovation“ vom 26.2.2009, Berichterstatter: Gerd WOLF (ABl. C. 218 vom 11.09.2009, S. 8).

(4)  Siehe Fußnote 1.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/102


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz“

(KOM(2008) 637 endg. — 2008/0193 (COD))

(2009/C 277/22)

Berichterstatterin: Mária HERCZOG

Der Europäische Rat beschloss am 7. November 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz

KOM(2008) 637 endg. - 2008/0193 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 6. April 2009 an. Berichterstatterin war Frau HERCZOG.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 82 gegen 37 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt den Vorschlag der Kommission für eine neue Richtlinie, mit der ein besserer Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen sowie von Wöchnerinnen und/oder stillenden Arbeitnehmerinnen erreicht werden soll.

1.2.   Der Ausschuss sieht diese Initiative als Gelegenheit zur Stärkung einer Rechtsetzung, die es Frauen nicht nur ermöglicht, sich nach der Entbindung angemessen zu erholen, sondern sie auch zum Stillen ermutigt und dazu beiträgt, dass sie eine enge Bindung zu ihrem Neugeborenen aufbauen können.

1.3.   Aus Sicht des Ausschusses sind unsichere Arbeitsbedingungen während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht tolerierbar. In diesem Sinne sollten Frauen ermutigt werden, ihre Schwangerschaft bekannt zu geben, sobald sie davon wissen, damit alle gesundheits- und sicherheitsrelevanten Gefahren bemessen und beseitigt werden können. Besondere Aufmerksamkeit sollte Gefahren für die Fruchtbarkeit von Frauen und Männern sowie für den Embryo gelten.

1.4.   Überdies spricht sich der Ausschuss dafür aus, zusätzliche Unterstützung für Eltern und Säuglinge bereitzustellen, die besondere Bedürfnisse haben oder sich in besonderen Umständen befinden, wie z.B. frühgeborene, behinderte oder kranke Säuglinge, bei Mehrlingsgeburten oder stationärem Krankenhausaufenthalt sowie im Fall von Adoptionen und der Annahme von Pflegekindern.

1.5.   Der Ausschuss stimmt mit der Kommission überein, dass allen schwangeren Arbeitnehmerinnen ein bezahlter Mutterschaftsurlaub von mindestens 18 Wochen gewährt werden sollte. Der EWSA fordert die Kommission jedoch auf, die Empfehlungen der Sozialplattform (1) — zu der auch die Europäische Frauenlobby gehört — sowie der Weltgesundheitsorganisation (2) und UNICEF (3) zu berücksichtigen, denen zufolge ausschließliches Stillen während der ersten sechs Lebensmonate als präventive Gesundheitsmaßnahme sowohl für die Mutter als auch für das Kind von Vorteil ist. Daher empfiehlt der Ausschuss, nach weiteren rechtlichen und praktischen Lösungen zu suchen, die das Stillen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht erleichtern können.

1.6.   Zudem ist der Ausschuss der Ansicht, dass sich Krankheitsurlaub während der Schwangerschaft nicht auf die Gesamtdauer des Mutterschaftsurlaubs auswirken sollte, und ersucht die Kommission nachdrücklich, zu präzisieren, welcher genaue Zeitraum vor der Entbindung gemeint ist.

1.7.   Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen sollten, um schwangere bzw. stillende Arbeitnehmerinnen im Sinne von Artikel 2 (4) der ursprünglichen Richtlinie vor den Folgen einer unrechtmäßigen Kündigung zu schützen.

1.8.   Der Ausschuss stimmt zu, dass Frauen das Recht haben, ihre Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen und unter den ursprünglichen Bedingungen an denselben oder an einen gleichwertigen Arbeitsplatz zurückzukehren sowie jegliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in Anspruch zu nehmen, die während ihrer Abwesenheit eingeführt wurden.

1.9.   Der Ausschuss spricht sich nachdrücklich dafür aus, dass die Bezüge während des Mutterschaftsurlaubs dem vorherigen Arbeitsentgelt entsprechen sollten. Eine solche Bestimmung ist nicht nur unbedingt notwendig, sondern auch eine Möglichkeit der Anerkennung für den Wert der Mutterschaft.

1.10.   Im Einklang mit den gemeinsamen Flexicurity-Grundsätzen und dem lebenszyklusbezogenen Ansatz ist der Ausschuss der Auffassung, dass der Vorschlag vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Betreuungs- und Pflegebedürfnissen von Kleinkindern unter zwei Jahren betrachtet werden muss (5). In diesem Rahmen hat sich die Inanspruchnahme von für Eltern von sämtlichen Partnern ausgehandelten flexiblen Arbeitszeiten bewährt.

1.11.   Mutterschaftsurlaub als Instrument zum Schutz von Schwanger- und Mutterschaft ist klar vom Elternurlaub zu unterscheiden. Der vorgeschlagene Zeitraum von 18 Wochen soll in erster Linie dazu dienen, Frauen die Möglichkeit zu geben, sich nach der Entbindung zu erholen, und gewährleisten, dass ein Mindestzeitraum für das Stillen und den Aufbau einer Bindung zwischen der Mutter und dem Neugeborenen zur Verfügung steht. Der Ausschuss betont die Bedeutung des Elternurlaubs als Möglichkeit für beide Elternteile, eine angemessene Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, vertritt jedoch die Ansicht, dass sich der Elternurlaub an den Mutterschaftsurlaub anschließen sollte, um somit auch Vätern die Chance zu geben, diese Möglichkeit in Anspruch zu nehmen.

1.12.   Der Ausschuss schlägt bei dieser Gelegenheit vor, Initiativen zu erwägen, die es Großeltern und anderen engen Familienmitgliedern ermöglichen, sich um die Kinder zu kümmern, wenn die berufstätigen Eltern dies ebenfalls wünschen und es den Interessen des Kindes entspricht. Eine solche Maßnahme würde dazu beitragen, den Arbeitsmarkterfordernissen besser gerecht zu werden und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Diese zeitweilige zusätzliche Betreuung durch Familienmitglieder enthebt die öffentliche Hand nicht ihrer Verantwortung, für eine quantitativ und qualitativ angemessene Tagesbetreuung zu sorgen.

1.13.   Der Ausschuss erkennt die Bedeutung eines ganzheitlichen und umfassenden Ansatzes in diesen Fragen an, um eine Gesamtsicht zu ermöglichen und wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu erreichen. In diesem Zusammenhang sollten die politischen Entscheidungsträger verschiedene Bedürfnisse, konkurrierende Werte und Interessenkonflikte in folgenden Bereichen berücksichtigen:

demografische Fragen (u.a. niedrige Geburtsraten und schnelle Zunahme der Rentnerzahlen);

Arbeitsmarkterfordernisse;

Bildung und lebenslanges Lernen;

Chancengleichheit für Frauen und Männer;

Vereinbarkeit von Berufs-, Familien- und Privatleben;

allgemein zugängliche, erschwingliche und qualitativ hochwertige Betreuungsmöglichkeiten;

aktive Bürgerbeteiligung;

Solidarität zwischen Generationen;

Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung

sowie das Interesse des Kindes (6).

Daher ruft der Ausschuss die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten auf zu bedenken, dass eine integrierte Herangehensweise an diesen Legislativvorschlag erforderlich ist und dass vermieden werden muss, den Vorschlag in seinem Anwendungsbereich und seiner Wirkung einzugrenzen.

1.14.   Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der Mutterschaftsurlaub nicht getrennt von den anderen in den oben genannten Bereichen bestehenden Instrumenten betrachtet werden darf, wenn mit dem Vorschlag die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt werden soll.

1.15.   Die Rolle der Sozialpartner als Hauptakteure auf dem Arbeitsmarkt ist in dieser Hinsicht entscheidend. Nach Auffassung des Ausschusses muss auch die Zivilgesellschaft eine aktive Rolle in diesem Prozess übernehmen, und zwar indem sie gewährleistet, dass die Richtlinie in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird, und indem sie den oben erwähnten umfassenden Ansatz bestmöglich unterstützt.

2.   Hintergrund

2.1.   Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG soll ein besserer Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen sowie von Wöchnerinnen und/oder stillenden Arbeitnehmerinnen erreicht werden. Ein solcher Schutz ist aus verschiedenen Gründen erforderlich. Die Länge des Mutterschaftsurlaubs wird durch viele Faktoren beeinflusst, die bei der Regulierung berücksichtigt werden sollten. Die ursprüngliche Richtlinie sieht einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung vor und beinhaltet überdies Bestimmungen zum Gesundheitsschutz und zur Sicherheit von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz. Während des Mutterschaftsurlaubs darf einer Frau nicht gekündigt werden. Nach Artikel 2 Absatz 7 eines älteren Rechtsinstruments — der Richtlinie 76/207/EWG — haben Frauen nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs Anspruch darauf, an ihren früheren oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz zurückzukehren. Die ungünstigere Behandlung einer Frau gilt als Diskriminierung.

Mit dem Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2006-2010  (7) wurde die Verpflichtung eingegangen, die bestehenden EU-Rechtsvorschriften zu überarbeiten. Die Richtlinie 92/85/EWG gehörte nicht zu den neu gefassten Texten und soll daher nun überarbeitet werden.

2.2.   Der Europäische Rat betonte im März 2006 die Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Privatleben, damit Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden können, und billigte den Europäischen Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter  (8). Das Europäische Parlament forderte mehrfach Verbesserungen der bestehenden Rechtsvorschriften in Bezug auf schwangere Arbeitnehmerinnen und die Gewährung von Elternurlaub sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben. So wurden die Mitgliedstaaten in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Februar 2008 zu der demografischen Zukunft Europas (9) aufgefordert, sich an bewährten Praktiken zu orientieren, die die Dauer des Mutterschaftsurlaubs betreffen, und auf die Möglichkeit hingewiesen, die Geburtenraten durch eine geeignete Politik zu beeinflussen, indem ein in materieller und emotionaler Hinsicht familien- und kinderfreundliches Umfeld geschaffen wird. In einer früheren Entschließung vom 27. September 2007 (10) hatte das Parlament die Mitgliedstaaten bereits aufgefordert, die Kosten für Mutterschutz und Elternurlaub umzulegen, und die Anhörung der Sozialpartner begrüßt. Das EP rief die Mitgliedstaaten dazu auf, die Diskriminierung schwangerer Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu bekämpfen und ein hohes Schutzniveau für Mütter zu gewährleisten. Im März 2008 betonte der Europäische Rat noch einmal, dass weitere Anstrengungen zugunsten der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit sowie Privat- und Familienleben für Frauen und Männer unternommen werden sollten (11).

Die Richtlinie ist die zehnte Einzelrichtlinie unter Artikel 16 Absatz 1 der Rahmenrichtlinie 89/391/EWG zu Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz. Ihre nun vorgeschlagene Überarbeitung umfasst eine Erweiterung der Rechtsgrundlage auf Artikel 141 EG-Vertrag zur Gleichbehandlung.

2.3.   Die von der Kommission angehörten Bürgerinnen, Bürger und Vertreter der Zivilgesellschaft zeigten sich darüber besorgt, dass die Berufsaussichten von Müttern sehr viel stärker beeinträchtigt werden als die von Vätern. Die Beschäftigungsquote von Frauen mit unterhaltsberechtigten Kindern liegt bei nur 65 % im Vergleich zu 91,7 % bei den Männern. Auch haben Frauen mit Vorurteilen über ihre häuslichen Pflichten und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu kämpfen (12). Dies kann dazu führen, dass weniger Frauen nach der Geburt ihres Kindes auf den Arbeitsmarkt zurückkehren.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.   In einer Mitteilung aus dem Jahr 2006 (13) macht die Kommission deutlich, dass Kinderrechte für die EU ein vorrangiges Anliegen sind und dass die Mitgliedstaaten zur Einhaltung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (UNKRK) und der dazugehörigen Fakultativprotokolle sowie zur Verwirklichung der Millennium-Entwicklungsziele verpflichtet sind. Im März 2006 ersuchte der Europäische Rat die Mitgliedstaaten, „die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Kinderarmut rasch in erheblichem Maße zu verringern und damit allen Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die gleichen Chancen zu bieten (14). Im Zusammenhang mit dem hierzu behandelnden Thema bedeutet dies, dass allen Kindern die Möglichkeit gegeben werden sollte, gestillt und entsprechend ihren Entwicklungsbedürfnissen angemessen von ihrer primären Pflegeperson betreut zu werden oder gegebenenfalls Zugang zu allgemein offenstehenden, flexiblen, qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Betreuungseinrichtungen zu erhalten.

3.2.   Im Rahmen der Beschäftigungspolitik der EU wird ein lebenszyklusbezogener Ansatz in Bezug auf das Arbeitsleben verfolgt, bei dem anerkannt wird, dass die Arbeitnehmer in verschiedenen Phasen ihres Lebens unterschiedliche Bedürfnisse und Prioritäten haben. Die Richtlinie über den Schutz während der Schwangerschaft, des Mutterschaftsurlaubs und der Stillzeit muss diesem lebenszyklusbezogenen Ansatz Rechnung tragen.

3.3.   Wie die Europäische Frauenlobby erklärte, „sind Mutterschutzbestimmungen speziell auf Frauen zugeschnitten. Die körperlichen Anstrengungen, die mit der Geburt, postnatalen Prozessen und dem Stillen verbunden sind, sollten von den politischen Entscheidungsträgern, den Arbeitgebern und der Gesellschaft insgesamt gewürdigt und unterstützt werden (15). Wie weiter oben festgestellt, verbietet der Rechtsrahmen der EU durch eine Reihe legislativer Maßnahmen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Häufig reduzieren Frauen jedoch ihre Arbeitszeiten oder unterbrechen ihre Berufstätigkeit für längere Zeit, um sich um ihre Kinder zu kümmern, was zu einer geringeren Bezahlung und niedrigeren Renten führt. Daher ist eine konsequentere Durchsetzung der bestehenden Rechtsvorschriften in Gleichstellungsfragen erforderlich.

3.4.   Frauen sollten wählen können, wann sie ihren Mutterschaftsurlaub nehmen. Andererseits sollte der Arbeitgeber seinen Bedarf an Humanressourcen zum Ausgleich für die Abwesenheit der Frauen planen können. Bei seiner Planung sollte er einem Mindesturlaub (von mindestens sechs Wochen nach der Geburt) Rechnung tragen (16).

3.5.   Der Vorschlag würde Frauen, die aus dem Mutterschaftsurlaub zurückkommen, das Recht einräumen, eine flexible Arbeitszeitgestaltung zu beantragen, wobei der Arbeitnehmer gehalten wäre, den Antrag unter Berücksichtigung der Bedürfnisse sowohl des Arbeitgebers als auch der Arbeitnehmerin zu prüfen. Der Ausschuss ist mit dieser Bestimmung einverstanden.

3.6.   Hierfür müssen die verschiedenen Ziele der EU-Strategien für die Umsetzung der Lissabon-Strategie, die in Barcelona formulierten Zielsetzungen, aber auch die demografische Situation, die Solidarität zwischen Generationen, die Chancengleichheit für Männer und Frauen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben weiter geklärt und harmonisiert werden.

3.7.   Die EU sollte bei ihrem Bestreben, die Zahl der berufstätigen Frauen (17) zu erhöhen, Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Privatleben fördern, so dass die unterschiedlichen Bedürfnisse, konkurrierenden Werte und Interessenkonflikte transparent gehandhabt und überwacht werden.

3.8.   Damit Beruf, Privatleben und Familie besser vereinbart werden können, hat ein Großteil der Mitgliedstaaten Maßnahmenpakete entwickelt, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelstaatlichen Arbeitsmärkte sowie die Vielfalt der in Europa bestehenden Traditionen und Kulturen widerspiegeln. Wenn mit dem Vorschlag die Vereinbarkeit unterstützt werden soll, darf Mutterschaftsurlaub nicht getrennt von anderen Instrumenten in diesem Bereich gesehen werden. Zu diesen gehören Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeitregelungen, Elternurlaub und andere Urlaubsformen, die häufig wichtiger für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben sind.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Die wichtigste Rechtsgrundlage für diesen Vorschlag sind Gesundheit und Sicherheit schwangerer und stillender Frauen. Es besteht jedoch eine logische Verbindung zwischen Gesundheits- und Sicherheitsfragen und i) dem Recht des Kindes auf angemessene Betreuung, ii) der Vereinbarkeit von Familien- und Arbeitsleben und iii) Beschäftigungs- und Karrierechancen. Außerdem erfordert die demografische Situation in Europa eine Politik, die höhere Geburtenraten fördert und unterstützt. Die in diesem Richtlinienvorschlag behandelten Fragen stehen nicht für sich allein. Sie sind — wie in den Empfehlungen dargelegt — als komplexer Sachverhalt zu sehen.

4.2.   Besondere Aufmerksamkeit sollte Gefahren für die Fruchtbarkeit sowohl von Frauen als auch von Männern gelten. Männer wie Frauen sollten vor Faktoren geschützt werden, die bei genetischen Veränderungen eine Rolle spielen, die zu Unfruchtbarkeit oder — noch schlimmer — Fehlbildungen beim Embryo führen können.

4.3.   Mutterschaftsurlaub als Instrument zum Schutz von Schwanger- und Mutterschaft ist klar vom Elternurlaub zu unterscheiden. In dem vorgeschlagenen Zeitraum von 18 Wochen sollen sich die Frauen in erster Linie von der Geburt erholen und während eines bestimmten Mindestzeitraums stillen können. Der Ausschuss befürwortet diesen Ansatz zwar, empfiehlt jedoch, nach weiteren rechtlichen und praktischen Lösungen zu suchen, die Müttern das Stillen oder Abpumpen von Milch am Arbeitsplatz erleichtern, um ihnen einen angemessenen Zeitraum für ausschließliches Stillen gemäß den Empfehlungen von WHO und UNICEF (18) zu gewähren (z.B. das Recht auf eine Stillpause während der Arbeitszeit).

4.4.   In besonderen Fällen — wie Frühgeburten, behinderte oder kranke Babys, Mehrlingsgeburten oder Krankenhausaufenthalt — schlägt die Kommission vor, dass die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung des besonderen Betreuungsbedarfs einen längeren bezahlten Urlaub vorsehen können. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass diese Einzelfallauflistung nicht erschöpfend sein darf und den einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, auch andere Fälle zu berücksichtigen, wie z.B. Kaiserschnitt oder postnatale Komplikationen. Im Falle der Adoption oder Pflege von Neugeborenen sollte der Elternurlaub ebenfalls garantiert sein.

4.5.   Im Einklang mit der ILO-Konvention 183 (19) befürwortet der Ausschuss den Vorschlag, dass mindestens sechs Wochen Mutterschaftsurlaub nach der Geburt genommen werden müssen, unterstreicht jedoch, dass das der Mindestzeitraum sein sollte. Dieser Mindestzeitraum ist unabdingbar, damit sich die Frauen nach der Entbindung angemessen erholen können, zum Stillen ermutigt und dabei unterstützt werden, eine enge Bindung zu ihrem Neugeborenen aufzubauen.

4.6.   Die Kommission sollte mit Blick auf die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (20) eine Parallelstudie durchführen, in der untersucht wird, welche Folgen die vorgeschlagenen Maßnahmen für die Kinder haben. Das Kind muss gut versorgt und sein persönliches Wohlbefinden gesichert werden. Das Wohlbefinden von Kindern und der Wert der Kindheit in diesem äußerst wichtigen Lebensabschnitt sind für sich genommen von entscheidender Bedeutung, aber gleichzeitig stellen Kinder die Arbeitskräfte der Zukunft dar, und mangelnde Pflege und Unterstützung in diesem frühen Lebensabschnitt können zu Schulversagen und später zu mangelnder gesellschaftlicher Integration führen.

4.7.   Der Ausschuss befürwortet die neue Bestimmung, laut der sich Krankheitsurlaub während der Schwangerschaft wegen schwangerschaftsbedingter Erkrankungen oder Komplikationen nicht auf die Länge des Mutterschaftsurlaubs auswirken sollte, ersucht die Kommission aber dringend zu präzisieren, welcher Zeitraum vor der Entbindung gemeint ist. Die Bestimmung in der Richtlinie zu dieser Frage darf nicht mehrdeutig sein (21).

4.8.   Der Ausschuss stimmt zu, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen sollten, um schwangere bzw. stillende Arbeitnehmerinnen im Sinne von Artikel 2 (22) des Vorschlags vor den Folgen einer unrechtmäßigen Kündigung zu schützen.

4.9.   Dem Ausschuss ist zwar bewusst, dass in einigen Staaten eine dem Krankengeld entsprechende Obergrenze für die Bezahlung während des Mutterschaftsurlaubs besteht, er weist aber darauf hin, dass sich eine geringere Bezahlung als das vorherige Gehalt negativ auswirkt, Frauen aufgrund ihrer biologischen Rolle als Mutter benachteiligt und den Wert der Mutterschaft missachtet. Eine geringere Bezahlung hat auch längerfristige Folgen, nämlich für die Rentenansprüche.

4.10.   Der Beschäftigungsschutz ist eine Möglichkeit, eine höhere Geburtenzahl, eine angemessene Länge des Mutterschaftsurlaubs und eine verstärkte Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt sicherzustellen. In diesem Zusammenhang sind auch flexible Arbeitszeiten und flexible Arbeitszeitgestaltung erforderlich. Laut der Begründung zu der Richtlinie ist „es möglich […], die Kurven bei den Geburtenraten durch eine geeignete Politik ansteigen zu lassen, die ein günstiges Umfeld für die Familie und die Schwangerschaft schafft (23).

4.11.   Der Rolle von Großeltern und entfernteren Verwandten, die berufstätige Eltern bei der Versorgung und Betreuung der Kinder unterstützen, sollte mehr Beachtung geschenkt werden. Die Rolle anderer Familienmitglieder könnte zum Erhalt von Familienstrukturen, der Einbeziehung der älteren Familienmitglieder und der Verringerung des Stresses der berufstätigen Eltern beitragen sowie den Erfordernissen des Arbeitsmarktes Rechnung tragen und einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten. Positive Elterninitiativen und -programme, die von allen EU-Mitgliedstaaten unterstützt werden, nach dem Muster der zahlreichen bestehenden einzelstaatlichen Programme (24), sollten in dieser Hinsicht ebenfalls ins Auge gefasst werden. Diese zeitweilige zusätzliche Betreuung durch Familienmitglieder enthebt die öffentliche Hand nicht ihrer Verantwortung, für eine quantitativ und qualitativ angemessene Tagesbetreuung zu sorgen.

4.12.   Kinderbetreuung bietet Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen, aber es müssen Qualität und Standards garantiert werden. Entsprechend den in Barcelona formulierten Zielsetzungen sollen bis 2010 mindestens für 33 % der Kinder unter 3 Jahren und für 90 % der Kinder zwischen 3 Jahren und dem schulpflichtigen Alter Tagesbetreuungsplätze zur Verfügung stehen, aber es gibt keine einschlägigen Bestimmungen für die verschiedenen Formen der Kinderbetreuung. Zudem stellt sich die Frage: Selbst wenn 33 % der Kinder in Tagesbetreuungsstätten untergebracht werden könnten, was passiert mit den anderen zwei Dritteln?

4.13.   Zur Qualität der inoffiziellen Kinderbetreuung, die zu Hause von Kindermädchen, „Au-pairs“ und Babysittern geleistet wird, von denen viele unqualifiziert, nicht offiziell gemeldet und durch anerkannte Kontrollsysteme nicht erfasst sind, liegen nur wenige Informationen vor. Diese Arbeitnehmer fallen nicht unter die offiziellen Beschäftigungsstrukturen und genießen somit keinen ordnungsgemäßen Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Die Mitgliedstaaten und lokalen Gebietskörperschaften sollten sich verpflichten, für hochwertige Betreuung in jeglicher Form zu sorgen. Die Sozialpartner sollten sich für Bestimmungen und Transparenz nicht nur für die professionelle Kinderbetreuung, sondern für alle nicht offiziellen Formen der Betreuung zu Hause einsetzen, indem sie Ausbildungen und Kontrolle unterstützen und fordern. Steueranreize könnten zur Schaffung von mehr qualitativ hochwertigen Betreuungseinrichtungen beitragen. Angesichts der hohen Zahl von Frauen, die im Pflegebereich tätig sind, wäre die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Qualifikationen auch der Gesamtstrategie der EU auf diesem Gebiet förderlich.

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Am 19. Februar 2009 angenommener gemeinsamer Standpunkt der Lenkungsgruppe der Sozialplattform zu den Änderungen bezüglich der Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG über Mutterschaftsurlaub.

(2)  „Als allgemeine Gesundheitsempfehlung sollten Säuglinge in den ersten sechs Lebensmonaten ausschließlich gestillt werden, um in Bezug auf Wachstum, Entwicklung und Gesundheit optimal zu gedeihen.“ [Global Strategy on Infant and Young Child Feeding („Globale Strategie zur Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern“) – A55/15, Ziffer 10; Anm. d. Übers.: Das Dokument liegt nicht auf Deutsch vor, siehe http://www.who.int/nutrition/topics/infantfeeding_recommendation/en/index.html]; siehe auch Michael S. Kramer, Ritsuko Kakuma: The optimal duration of exclusive breastfeeding — A systematic review („Die optimale Dauer des ausschließlichen Stillens — eine systematische Untersuchung“, Anm. d. Übers.: Die Veröffentlichung liegt nur auf Englisch vor.), Weltgesundheitsorganisation, 2002, abrufbar unter: http://www.who.int/nutrition/topics/optimal_duration_of_exc_bfeeding_review_eng.pdf.

(3)  Siehe http://www.unicef.org.

(4)  Siehe Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992, Artikel 2, „Definitionen“: Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a)

„schwangere Arbeitnehmerin“ jede schwangere Arbeitnehmerin, die den Arbeitgeber gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Schwangerschaft unterrichtet;

b)

„Wöchnerin“ jede Arbeitnehmerin kurz nach einer Entbindung im Sinne der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die den Arbeitgeber gemäß diesen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten von ihrer Entbindung unterrichtet;

c)

„stillende Arbeitnehmerin“ jede stillende Arbeitnehmerin im Sinne der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, die den Arbeitgeber gemäß diesen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten darüber unterrichtet, dass sie stillt.

(5)  Siehe: Lamb, M. E.; Ahnert, L. (2006): Nonparental child care: Context, concepts, correlates and consequences („Außerelterliche Kinderbetreuung: Kontext, Konzepte, Zusammenhänge und Folgen“, Anm. d. Übers.: Die Veröffentlichung liegt nicht auf Deutsch vor.), in: W. Damon, R. M. Lerner, K. A. Renninger, T. E. Sigel (Hrsg.): Handbook of Child Psychology (Vol. 4) Child Psychology in Practice („Handbuch der Kinderpsychologie (Bd. 4) - Kinderpsychologie in der Praxis“, Anm. d. Übers.: Das Werk liegt nicht auf Deutsch vor.), S. 950-1016, Hoboken, N. J. und Chichester, Willey.

(6)  Vor dem Hintergrund der am 4. Juli 2006 veröffentlichten Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie (siehe http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/r12555.htm).

(7)  Ein Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2006-2010 (KOM(2006) 92 endg.)

(8)  Siehe Anlage II zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates am 23. März 2006/24. März 2006 in Brüssel, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/89030.pdf.

(9)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Februar 2008 zu der demografischen Zukunft Europas (2007/2156 (INI), A6-0024/2008), abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P6-TA-2008-0066+0+DOC+XML+V0//DE.

(10)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. September 2007 zu der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union - 2007 (2007/2065 (INI), P6_TA(2007)0423), abrufbar unter:

http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P6-TA-2007-0423+0+DOC+XML+V0//DE.

(11)  Siehe Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates am 13./14. März 2008 in Brüssel, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/99429.pdf.

(12)  Mitteilung der Kommission „Bürgerinfo – Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch bessere Vorschriften für den Mutterschaftsurlaub“ (http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=611&langId=de); Gemeinsamer Standpunkt der Sozialplattform in Bezug auf die Überarbeitung der Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, Januar 2009.

(13)  Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie, KOM(2006) 367 endg.

(14)  Siehe Ziffer 72 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Tagung des Europäischen Rates vom 23./24. März 2006 (Referenz s.o. unter Fußnote 8).

(15)  Vorschläge der Europäischen Frauenlobby zu dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG, Januar 2009, S. 2 (Anm. d. Übers.: Die Vorschläge liegen nicht auf Deutsch vor.).

(16)  Siehe Ziffer 4.5 der „Besonderen Bemerkungen“.

(17)  Und zwar durch die weiter oben genannte Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung.

(18)  Siehe Fußnoten 2 und 3.

(19)  Siehe: http://www.ilo.org/ilolex/cgi-lex/convde.pl?C183.

(20)  Convention on the Rights of the Child, von der Vollversammlung im Rahmen der Resolution 44/25 am 20. November 1989 verabschiedet und am 2. September 1990 gemäß Artikel 49 in Kraft getreten. Siehe: http://www2.ohchr.org/english/law/crc.htm.

(21)  In Artikel 8 Absatz 5 heißt es „bis vier Wochen vor der Entbindung“ (KOM(2008) 637 endg., S. 15).

(22)  Vgl. Fußnote 4.

(23)  KOM(2008) 637 endg., S. 2.

(24)  Siehe: http://www.coe.int/t/dg3/youthfamily/enfance/parenting_en.asp.


ANHANG 1

zu der Stellungnahme

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgenden Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt (Art.54 Abs. 3 GO):

Ziffer 1.5

Ändern wie folgt:

Der Ausschuss stimmt mit der Kommission überein, dass allen schwangeren Arbeitnehmerinnen ein bezahlter Mutterschaftsurlaub von mindestens 18 Wochen gewährt werden sollte. Der EWSA fordert die Kommission jedoch auf, die Empfehlungen der Sozialplattform1 — zu der auch die Europäische Frauenlobby gehört — sowie der Weltgesundheitsorganisation und UNICEF zu berücksichtigen, denen zufolge ausschließliches Stillen während der ersten sechs Lebensmonate als präventive Gesundheitsmaßnahme sowohl für die Mutter als auch für das Kind von Vorteil ist. Daher empfiehlt der Ausschuss, nach weiteren rechtlichen und praktischen Lösungen zu suchen, die das Stillen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht erleichtern können . Der Ausschuss empfiehlt der Europäischen Kommission, ihren Vorschlag für einen bezahlten Mindest-Mutterschaftsurlaub von über 14 Wochen auf konkrete Statistiken zu stützen. Es gibt keine konkreten Belege dafür, dass unter dem Gesundheits- und Sicherheitsaspekt der nach der geltenden Regelung vorgesehene 14-wöchige Mutterschaftsurlaub nicht ausreicht .“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 40

Nein-Stimmen: 83

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 1.9

Ändern wie folgt:

Der Ausschuss spricht sich nachdrücklich dafür aus, dass die Bezüge während des Mutterschaftsurlaubs dem vorherigen Arbeitsentgelt entsprechen sollten. Eine solche Bestimmung ist nicht nur unbedingt notwendig, sondern auch eine Möglichkeit der Anerkennung für den Wert der Mutterschaft . Der Ausschuss betont, dass die Bezüge während des Mutterschaftsurlaubs dem vorherigen Arbeitsentgelt entsprechen sollten, und fordert zugleich die Europäische Kommission auf, die erheblichen Zusatzkosten nicht nur für Mitgliedstaaten, sondern auch für Unternehmen zu bedenken; dies gilt insbesondere für KMU, deren Überleben in der heutigen Wirtschaftslage von grundlegender Bedeutung ist .“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 39

Nein-Stimmen: 79

Stimmenthaltungen: 3

Ziffer 1.11

Ändern wie folgt:

Mutterschaftsurlaub als Instrument zum Schutz von Schwanger- und Mutterschaft ist klar vom Elternurlaub zu unterscheiden. Der vorgeschlagene Zeitraum des Mutterschaftsurlaubs von 18 Wochen soll in erster Linie dazu dienen, Frauen die Möglichkeit zu geben, sich nach der Entbindung zu erholen, und gewährleisten, dass ein Mindestzeitraum für das Stillen und den Aufbau einer Bindung zwischen der Mutter und dem Neugeborenen zur Verfügung steht. Der Ausschuss betont die Bedeutung des Elternurlaubs als Möglichkeit für beide Elternteile, eine angemessene Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, vertritt jedoch die Ansicht, dass sich der Elternurlaub an den Mutterschaftsurlaub anschließen sollte, um somit auch Vätern die Chance zu geben, diese Möglichkeit in Anspruch zu nehmen.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 41

Nein-Stimmen: 79

Stimmenthaltungen: 3

Ziffer 4.3

Ändern wie folgt:

Mutterschaftsurlaub als Instrument zum Schutz von Schwanger- und Mutterschaft ist klar vom Elternurlaub zu unterscheiden. In dem vorgeschlagenen Im Zeitraum von 18 Wochen des Mutterschaftsurlaubs sollen sich die Frauen in erster Linie von der Geburt erholen und während eines bestimmten Mindestzeitraums stillen können. Der Ausschuss befürwortet diesen Ansatz zwar, empfiehlt jedoch, nach weiteren rechtlichen und praktischen Lösungen zu suchen, die Müttern das Stillen oder Abpumpen von Milch am Arbeitsplatz erleichtern, um ihnen einen angemessenen Zeitraum für ausschließliches Stillen gemäß den Empfehlungen von WHO und UNICEF zu gewähren (z.B. das Recht auf eine Stillpause während der Arbeitszeit).“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 41

Nein-Stimmen: 79

Stimmenthaltungen: 3

Ziffer 4.9

Ändern wie folgt:

Dem Ausschuss ist zwar bewusst, dass in einigen Staaten eine dem Krankengeld entsprechende Obergrenze für die Bezahlung während des Mutterschaftsurlaubs besteht, er weist aber darauf hin, dass sich eine geringere Bezahlung als das vorherige Gehalt negativ auswirkt, Frauen aufgrund ihrer biologischen Rolle als Mutter benachteiligt und den Wert der Mutterschaft missachtet. Eine geringere Bezahlung hat auch längerfristige Folgen, nämlich für die Rentenansprüche. Andererseits sollte die Europäische Kommission die erheblichen zusätzlichen Kosten nicht nur für Mitgliedstaaten, sondern auch für Unternehmen bedenken; dies gilt insbesondere für KMU, deren Überleben in der heutigen Wirtschaftslage von grundlegender Bedeutung ist.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 39

Nein-Stimmen: 79

Stimmenthaltungen: 3


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/109


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/48/EG im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen“

(KOM(2008) 727 endg. — 2008/0215 (CNS))

(2009/C 277/23)

Berichterstatter: Umberto BURANI

Der Rat beschloss am 2. Dezember 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 94 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2003/48/EG im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen

KOM(2008) 727 endg. - 2008/0215 (CNS).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 1. April 2009 an. Berichterstatter war Umberto BURANI.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 193 gegen 3 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1.   Ziel des von der Kommission vorgelegten Richtlinienvorschlags ist die Ausweitung des derzeit auf Zinserträge beschränkten Anwendungsbereichs der Richtlinie 2003/48/EG auf eine Reihe neuer Finanzprodukte, die zwar Erträge abwerfen, aber nicht unter die geltenden Bestimmungen fallen.

1.2.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bringt seine volle Zustimmung zu dieser Initiative zum Ausdruck, äußert sich jedoch skeptisch zu bestimmten, mit den neuen Vorschriften verbundenen administrativen und rechtlichen Komplikationen. Die Kommission hat dies zwar erkannt und sich nach Kräften bemüht, die entsprechenden Pflichten auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Angesichts der Komplexität der vorgesehenen neuen Verpflichtungen und der schwierigen Anwendung der Bestimmungen stoßen diese — durchaus lobenswerten — Anstrengungen jedoch an ihre Grenzen.

1.3.   Ein wichtiger Aspekt sind die Kosten, die nicht nur für die Marktteilnehmer und damit für den Markt insgesamt, sondern aufgrund des Verwaltungsaufwands und der Notwendigkeit genauerer und umfassenderer Prüfungen auch für die Finanzbehörden entstehen. Die Vereinfachungen sind nicht immer einfach durchzusetzen, bleiben jedoch notwendig. Der EWSA weist im Übrigen darauf hin, dass man sich nicht nur über die Kosten, sondern vielmehr auch über die Qualität der damit gewonnenen Daten Gedanken machen sollte. Schwierige oder komplizierte Vorschriften führen nämlich häufig zu schlechten Daten.

1.4.   Der EWSA macht zudem darauf aufmerksam, dass die neuen Vorschriften nicht einseitig und ausschließlich von der EU angewandt werden dürfen, denn ohne Vereinbarungen mit Drittländern bzw. Unterzeichnerstaaten des Abkommens könnte es zu einer umfassenden Verlagerung von Transaktionen aus Europa in andere Regionen der Welt kommen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass der Europäischen Union erhebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber der restlichen Welt entstehen. Die EU sollte daher Verhandlungen einleiten, um zu erreichen, dass auf den wichtigsten Finanzplätzen der Welt parallel vergleichbare Maßnahmen verabschiedet werden.

2.   Einleitung

2.1.   In der Richtlinie 2003/48/CE wurden die erforderlichen Modalitäten zur Besteuerung von in einem Mitgliedstaat erzielten Zinserträgen, deren Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, festgelegt. Im September 2008 legte die Kommission dem Rat einen Bericht über die Auswirkungen der Richtlinie auf der Grundlage der von den Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten in den ersten beiden Jahren erhaltenen Meldungen vor.

2.2.   Das positive Fazit dieses Berichts hat die Kommission in ihrem Bestreben bestärkt, die schrittweise Feinabstimmung der ursprünglichen Richtlinie fortzusetzen und gleichzeitig deren Anwendungsbereich auszuweiten. So wurden die Begriffe „wirtschaftlicher Eigentümer“ und „Zahlstelle“ neu definiert, die Palette von Finanzprodukten, deren Erträge unter die Richtlinie fallen, vergrößert und zahlreiche Verfahrensfragen überprüft bzw. abgeändert.

3.   Allgemeine Erwägungen

3.1.   Der EWSA anerkennt die von der Kommission unternommenen umfangreichen Anstrengungen zur Erarbeitung dieses Vorschlags, dem er in den Grundzügen voll und ganz zustimmt. Die Mitgliedstaaten und die beteiligten Akteure wurden konsultiert, wodurch neue Vorschriften formuliert werden konnten, welche die bestehenden verbessern, eine wirksame Besteuerung von Zinserträgen zum Vorteil der Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten sicherstellen und mittelbar auch Verzerrungen im Kapitalverkehr korrigieren. Der EWSA kann jedoch nicht umhin, zu bestimmten Aspekten Vorbehalte zu äußern.

3.2.   Insgesamt gehorcht der Vorschlag der Kommission dem Bestreben nach einer schrittweisen Anpassung der Steuervorschriften an die Realitäten auf den Finanzmärkten, auf denen vor dem Ausbruch der gegenwärtigen Krise eine Reihe von innovativen Produkten mit schwer einzustufenden und in der Richtlinie von 2003 nicht vorgesehenen Merkmalen eingeführt wurden. Einige dieser Produkte ermöglichen eine absolut legale Umgehung der Steuervorschriften. Es ist daher nur zu verständlich, dass mit der neuen Richtlinie versucht wird, diese Gesetzeslücke zu schließen, indem unter den Begriff Zinserträge (Zinsen) auch eine Reihe anderer Erträge von innovativen Finanzprodukten oder von bestimmten Typen von Lebensversicherungen gefasst werden, wobei diese jedoch besser präzisiert werden sollten. Der EWSA erklärt sich mit diesem Ansatz einverstanden, merkt jedoch an, dass der Geltungsbereich nicht auf allgemeine Lebensversicherungen, Renten und Ruhegehälter ausgedehnt werden sollte, da diese Produkte klar zur langfristigen Risikodeckung dienen. Überdies wird es angesichts der Vielfalt und Komplexität der innovativen Finanzprodukte nicht immer einfach sein, die Höhe des zu veranlagenden Betrags bzw. die Steuerbemessungsgrundlage zu berechnen.

Im Einleitungsteil versichert die Kommission, dass sie bei der Abfassung des Richtlinienvorschlags dem Verwaltungsaufwand Rechnung getragen habe, der durch die Änderungen an der ursprünglichen Richtlinie für die Marktteilnehmer entsteht, und dass sie dazu sowohl die Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten als auch die seinerzeit eingesetzte Expertengruppe im Einklang mit den in Artikel 5 EG-Vertrag verankerten Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit konsultiert habe.

3.3.1.   Der EWSA vertritt jedoch Auffassung, dass ungeachtet der guten Vorsätze die Schwächen dieses Vorschlags gerade in dem damit verbundenen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Marktteilnehmer sowie in der Notwendigkeit einer Änderung der bestehenden elektronischen Verfahren oder einer Einführung gänzlich neuer Verfahren liegen. Hinzu kommt die in einigen Fällen unsichere bzw. schwierige Anwendung der neuen Vorschriften. Es besteht der allgemeine Eindruck, dass sich die Interessen der nationalen Steuerverwaltungen, die natürlich für die Änderungen sind, da sie davon profitieren, gegen die Auffassung durchgesetzt haben, wonach jeder zusätzliche Aufwand für die Marktteilnehmer unweigerlich und letztendlich zulasten der Verbraucher und des Marktes insgesamt geht. Zudem führen Vorschriften, deren Anwendung schwierig ist, häufig zu Daten von geringer Qualität.

3.3.2.   Der EWSA ist der Ansicht, dass unter Beibehaltung der grundlegenden Aspekte des Vorschlags nur die Änderungen vorgenommen werden sollten, die bei unverändertem Geltungsbereich der Bestimmungen im Hinblick auf eine Vereinfachung der Verwaltungsverfahren und eine Reduzierung des entsprechenden Aufwands zweckmäßig sind, und zudem dort, wo erforderlich, Klärungen vorzunehmen sind. Dies gilt insbesondere für die vorgesehenen Verfahren zur Feststellung der Identität und des Wohnorts der Anleger. Die von der Kommission hierfür vorgeschlagenen Änderungen sind mit zu starren und aufwändigen Formalitäten verbunden. Nach Ansicht des EWSA sollten sich die Änderungen in diesem Bereich an den jüngsten Empfehlungen der FISCO-Expertengruppe (Fiscal Compliance Expert Group) orientieren, welche die Kommission eigens als beratendes Gremium eingesetzt hat. Diese Gruppe hat in Bezug auf Anträge auf Steuerbefreiung vorgeschlagen, dass eine Erklärung des Anlegers über seinen Wohnsitz als Beleg für die Erhebung der Quellensteuer gelten sollte.

3.3.3.   Auf jeden Fall muss in der Richtlinie ausdrücklich ein sehr wichtiges Grundprinzip verankert werden, nämlich, dass sämtliche neue Verfahren, Bestimmungen und Pflichten erst mit Inkrafttreten der neuen Richtlinie, d.h. nicht rückwirkend, gelten. Denn die elektronischen Abläufe wurden auf der Grundlage der geltenden Richtlinie programmiert, weshalb neue, rückwirkend geltende Pflichten langwierige und komplizierte Modifikationen erfordern würden.

3.4.   Die Kommission ist sich sicherlich der Komplexität der den Marktteilnehmern auferlegten Pflichten bewusst. So soll die Richtlinie drei Jahre nach ihrer Veröffentlichung in Kraft treten, was ein angemessener Zeitraum ist. Die Erfahrungen mit der vorhergehenden Richtlinie haben jedoch gezeigt, dass einzelne Mitgliedstaaten die entsprechenden Vorschriften erst mit großem Verzug erlassen haben, was verwaltungstechnische Probleme für die Marktteilnehmer zur Folge hatte. Im Vorschlag sollte daher vorgesehen sein, dass die Mitgliedstaaten die Durchführungsvorschriften mindestens zwei Jahre vor Inkrafttreten der Richtlinie veröffentlichen müssen .

3.5.   Die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen (level playing field) gegenüber den Unterzeichnerstaaten des Abkommen (agreement countries), die im Erwägungsgrund (24) der Richtlinie von 2003 eingeführt wird, wurde nur teilweise erreicht und kann in jedem Fall nicht auf die Länder angewendet werden, die dem Abkommen nicht beigetreten sind. Der vorliegende Vorschlag sieht keine Möglichkeit vor, die Anwendung der neuen Richtlinie auf Drittländer auszudehnen. Die Möglichkeit von Verhandlungen, die in ein neues Abkommen münden, kann zwar nicht ausgeschlossen werden, doch angesichts der gegenwärtigen Krise der Märkte ist es zweifelhaft, dass eine solche Initiative kurzfristig Erfolg hat. Nicht nur die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen würde beeinträchtigt, viel schwerwiegendere Konsequenzen ergäben sich aus einer Kapitalflucht. Entsprechende Befürchtungen wurden zwar im oben angeführten Erwägungsgrund geäußert, kommen aber im neuen Richtlinienvorschlag nicht mehr zur Sprache. Nach Ansicht des EWSA ist es nicht ratsam, neue Unterschiede zwischen den Pflichten der Zahlstellen in den Mitgliedstaaten und denen der Zahlstellen in anderen Ländern - Unterzeichnerstaaten des Abkommens, Drittländern oder anderen abhängigen oder assoziierten Gebieten - zu schaffen. Dieser Standpunkt gilt auch im Hinblick auf die angekündigte Ausdehnung der Richtlinie auf andere Einnahmen.

4.   Besondere Bemerkungen

Der Vorschlag enthält eine Reihe von Bestimmungen über die Unterlagen, die zur Feststellung der Identität und des Steuerwohnsitzes der wirtschaftlichen Eigentümer vorgelegt werden müssen. In Artikel 3 Absatz 2 ist insbesondere festgelegt, dass neben dem Geburtsdatum und -ort auch die Steuer-Identifikationsnummer (1) angegeben werden muss, die in jedem Land eine eigene Struktur aufweist, während in der bisher geltenden Richtlinien nur eine dieser Angaben verlangt wurde. Eine eventuelle Vereinfachung bestände darin, die Steuer-Identifikationsnummer im Rahmen des Möglichen durch die Angabe von Geburtsdatum und -ort zu ersetzen, was in jedem Mitgliedstaat zur Ermittlung der Identität der Steueransässigen ausreicht.

4.1.1.   Weitere aufwändige Formalitäten ergeben sich aus der Pflicht, die ursprünglich vorgelegten Unterlagen ständig zu aktualisieren. Der EWSA hält diese Bestimmung für kaum umsetzbar und überdies sehr aufwändig. Er schlägt daher vor, die Unterlagen als fortdauernd gültig anzusehen und dabei von den Standards hinsichtlich der besten verfügbaren Informationen auszugehen.

4.1.2.   Aus einer Reihe von Einzelbestimmungen des Vorschlags wird jedoch offenbar deutlich, das sowohl die Angabe der Steuer-Identifikationsnummer als auch die Aktualisierung der Unterlagen insoweit fakultativ sind, als die nur dann gemeldet werden müssen, wenn sie der Zahlstelle vorliegen. Sollte dem so sein, fiele der Hauptgrund für die vorgebrachten Einwände — nämlich die aufwändigen Formalitäten — weg.

Im neuen Artikel 4 Absatz 1 wird die Definition des wirtschaftlichen Eigentümers ausgedehnt und mit der in der Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche (2005/60/EG) enthaltenen Definition in Einklang gebracht sowie für die Einrichtungen und Rechtsvereinbarungen in Drittländern gemäß Anhang I zum Richtlinienvorschlag eine Nachforschungspflicht eingeführt. Folglich gilt eine Zahlung an solche Einrichtungen und Rechtsvereinbarungen als Zahlung an den wirtschaftlichen Eigentümer im Sinne der Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche.

4.2.1.   Der EWSA betont die Unterschiede zwischen den Zielen der Richtlinie über die Besteuerung von Zinserträgen und denen der genannten Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche. In der zuerst genannten Richtlinie wird von den Zahlstellen verlangt, dass sie die Identität der Steuerpflichtigen, die ihre Zinserträge in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat versteuern müssen, feststellen. In der zuletzt genannten Richtlinie dagegen wird von den Zahlstellen verlangt, dass sie neben der Identität der Gesellschaft oder Rechtsvereinbarung, die Inhaber des Kontos ist, auch die Identität der Person feststellen müssen, die die Gesellschaft oder Rechtsvereinbarung als wirtschaftlicher Eigentümer innehat, sie kontrolliert oder von ihr profitiert. Zudem lässt man in der Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche die notwendige Strenge nur in Verdachtsfällen walten, während sie im vorliegenden Vorschlag für alle Empfänger gilt. Der Unterschied liegt im erforderlichen Maß an Vertiefung, den die Geldwäsche-Fälle erfordern und der weit über die in den Steuervorschriften vorgesehene Sorgfaltspflicht hinausgeht. Die vorgeschlagenen Bestimmungen sind daher nicht nur schwer einhaltbar, sondern auch aufwändig und willkürlich.

Artikel 4 Absatz 2 klärt, was mit „Zahlstelle kraft Vereinnahmung“ gemeint ist, nämlich eine nicht steuerpflichtige Einrichtung im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften des Landes der tatsächlichen Verwaltung für die Erträge dieser Einrichtung bzw. den auf ihre nichtansässigen Mitgliedern entfallenden Anteil dieser Erträge (die von Land zu Land unterschiedlichen Kategorien werden im Anhang III zum Richtlinienvorschlag aufgeführt). Unter dem Land der tatsächlichen Verwaltung ist das Land zu verstehen, in dem die Person ansässig ist, die Haupteigentümer ist und die Geschäfte führt. An die Zahlstelle kraft Vereinnahmung geleistete oder dieser zugeschriebene Zahlungen gelten als direkt an den wirtschaftlichen Eigentümer und Empfänger der Zinserträge geleistete Zahlungen.

4.3.1.   Die Ausweitung der Definition der „Zahlstelle kraft Vereinnahmung“ ist in der Praxis nur schwer mit den Vorschriften der geltenden Richtlinie zu vereinbaren und könnte trotz der Bemühungen in Form des in Anhang III enthaltenen Verzeichnisses administrative und systembedingte Probleme für die ansässigen Marktteilnehmer verursachen. Zudem lässt sich der Ort der tatsächlichen Kontrolle möglicherweise nur schwer vom ansässigen Marktteilnehmer ermitteln. Diese Neuerungen rufen daher große Besorgnis hinsichtlich der operativen und verwaltungstechnischen Aspekte hervor. Im Vorschlag werden nämlich nicht nur der „Zahlstelle kraft Vereinnahmung“ neue aufwändige Pflichten und Verantwortungen auferlegt, sondern auch den Steuerverwaltungen komplizierte und aufwändige Verfahren aufgeladen. Die Betroffenen haben bereits die Probleme angesprochen, die sich bei einer Annahme der vorgeschlagenen Maßnahmen ergeben würden, und dabei mit Gründen argumentiert, welche für Nichtfachleute allerdings zu spezifisch sind. Der EWSA hält es nicht für seine Aufgabe, hierzu Stellung zu beziehen, fordert allerdings die Kommission und die Gesetzgeber auf, die von den Marktteilnehmern angesprochenen Probleme sorgfältig abzuwägen. Sehr oft werden die Ziele einer Rechtsvorschrift nicht erreicht, weil die Schwierigkeiten der praktischen Umsetzung unterschätzt wurden.

Artikel 6 macht die Bemühungen der Kommission deutlich, unter dem Begriff Zinsen Erträge jeglicher Art aus Geldanlagen zu erfassen. Das lange und ausführliche Verzeichnis der darunter fallenden Fälle soll für eine Besteuerung der Erträge auch aus innovativen Finanzprodukten sorgen, die von der Norm abweichen oder von den derzeitigen Vorschriften nicht erfasst werden. Der EWSA begrüßt in dieser Hinsicht die Bemühungen der Kommission um Durchsetzung des Prinzips der Steuergleichheit aller Steuerpflichtigen unabhängig von der Art, Definition oder Komplexität ihrer Geldanlagen. Er hält es jedoch zugleich für notwendig, die Wettbewerbsfähigkeit der Finanz- und Versicherungsmärkte in der EU zu schützen. Vor Inkrafttreten der neuen Vorschriften sollte daher als wesentliche Bedingung ausgehandelt werden, dass die Bestimmungen der neuen Richtlinie auch von den Unterzeichnerstaaten des Abkommens und von Drittstaaten angewandt werden. Eine Verschiebung des Gleichgewichts zu Ungunsten Europas ist mit Sicherheit keine optimale Lösung.

4.4.1.   In mehreren Absätzen des genannten Artikels werden die Modalitäten festgelegt, die von der Zahlstelle einzuhalten sind, wobei diese oft weder der Emittent der Finanzprodukte noch der Datenanbieter ist. Die Modalitäten umfassen im Wesentlichen Prüfungen, Nachforschungen und Bewertungen, die in einigen Fällen die Möglichkeiten einer Zahlstelle fast übersteigen. Nach dem Grundsatz der Billigkeit sollte ausdrücklich festgelegt werden, dass die Zahlstelle, welche ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen ist und nach Treu und Glauben gehandelt hat, nicht gegenüber der Steuerverwaltung haftet, wenn die übermittelten Daten von Dritten stammen und mit normalen Mitteln der Nachforschung nicht überprüfbar sind. Ebenso deutlich sollte die Haftung von Mittlern oder direkt Beteiligten vorgesehen werden, die unrichtige, lückenhafte oder falsche Daten liefern.

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Englisch: TIN (Tax Idenfication Number); Französisch: NIF (Numéro d'Identification Fiscale).


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/112


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem zur Bekämpfung des Steuerbetrugs bei der Einfuhr und anderen grenzüberschreitenden Umsätzen“

(KOM(2008) 805 endg. — 2008/0228 (CNS))

(2009/C 277/24)

Berichterstatter: Herr BURANI

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 28. Januar 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 93 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem zur Bekämpfung des Steuerbetrugs bei der Einfuhr und anderen grenzüberschreitenden Umsätzen

KOM(2008) 805 endg. - 2008/0228 (CNS).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 1. April 2009 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 192 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   In der Mitteilung (1), die zeitgleich mit dem in dieser Stellungnahme behandelten Richtlinienvorschlag vorgelegt wurde, schlägt die Kommission einen Aktionsplan für kurzfristige Maßnahmen vor, der im Vergleich zu früheren Plänen zur Bekämpfung des Steuerbetrugs vielleicht realistischer und eher durchführbar ist. Die Vorläuferpläne waren auf umfassende, langfristige Strategien ausgerichtet, wurden aber von verschiedenen Mitgliedstaaten nicht entschlossen genug unterstützt. In dem Aktionsplan für kurzfristige Maßnahmen sind vorgesehen: gemeinsame Bestimmungen für die An- und Abmeldung von Steuerpflichtigen im Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem (MIAS); bessere Kontrollinstrumente im Rahmen einer optimierten Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie die kommende Einrichtung von EUROFISC als Gremium zur Betrugsermittlung und -bekämpfung, und schließlich die Beitreibung der Steuern. Gleichzeitig mit der Mitteilung wird ein Richtlinienvorschlag veröffentlicht, der eine erste konkrete Maßnahme im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans darstellt.

1.2.   Der EWSA begrüßt die Mitteilung, in der die Anwendung des MwSt-Systems nicht als durchweg unbefriedigend dargestellt wird, wobei dieses Systems nach mehreren Jahrzehnten immer noch als „provisorisch“ bezeichnet wird. Das System ist jedenfalls immer noch zu kompliziert und zu kostspielig, vor allem aber ermöglicht es Betrug in erheblichem Umfang. Die elektronischen Verfahren stellen eine unabdingbare Voraussetzung für die Bekämpfung des Betrugs dar, aber ihre Wirksamkeit hängt davon ab, dass sie von den Mitgliedstaaten einheitlich eingeführt werden. Davon ist man derzeit noch ziemlich weit entfernt. Es zeichnet sich die Gefahr getrennter oder unterschiedlicher nationaler Lösungen ab.

1.3.   Es werden einige Empfehlungen zu Aspekten, die im Aktionsplan Berücksichtung finden könnten, vorgebracht: eine Überprüfung des SCAC-Modells (Standing Committee for the Administrative Cooperation), eine bessere Zugänglichkeit der Datenbanken und der Verwertbarkeit der Informationen sowie eine Rechtsetzung, die ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des Datenschutzes und der Zusammenarbeit zwischen den Behörden findet; die Einsetzung von Referenzgremien der beteiligten Akteure als Schnittstellen zwischen den verschiedenen Verwaltungen und die Zertifizierung der Zuverlässigkeit der Wirtschaftsbeteiligten.

1.4.   In dem Richtlinienvorschlag werden zunächst einige Bestimmungen der Basisrichtlinie in Bezug auf die Befreiung von der Steuer geklärt, deren Auslegung Spielraum für Missbrauch gibt. Es wird festgestellt, dass die Anwendung der Vorschrift, nach der die Befreiung für importierte Gegenstände gewährt wird, die innerhalb der Gemeinschaft verkauft werden, in der Praxis nur schwer zu kontrollieren ist. Die neuen Bestimmungen sehen eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen vor, wie z.B. die Verpflichtung für den Importeur, die Daten über die Identität des Endempfängers zum Zeitpunkt der Einfuhr zu übermitteln.

1.5.   Der EWSA ist mit diesen Bestimmungen voll und ganz einverstanden, ebenso wie mit der gesamtschuldnerischen Haftung von Verkäufer und Käufer, wenn diese in verschiedenen Staaten ansässig sind und eine der beiden Seiten ihren Pflichten im Bereich der MwSt nicht nachkommt. Im Übrigen handelt es sich um keine neue oder innovative Bestimmung: sie existiert bereits und wird innerhalb der Mitgliedstaaten strikt angewandt. Allerdings wird sie weitgehend ignoriert, wenn es um die Zusammenarbeit zwischen den Behörden verschiedener Mitgliedstaaten geht.

1.6.   In Bezug auf die Haftung möchte der EWSA auf einen Aspekt aufmerksam machen, der bislang noch nie berücksichtigt wurde: Die Haftung der Behörden gegenüber den Steuerpflichtigen und gegenüber anderen Behörden in den Fällen, in denen Fehler oder Verzögerungen Schäden in finanzieller oder rechtlicher Hinsicht verursachten. Wegen des Grundprinzips der Gerechtigkeit und der Transparenz sollte dieser Bereich einer Regelung zugeführt werden.

2.   Einleitung

2.1.   Dem Richtlinienvorschlag und der Mitteilung der Kommission gingen zwei Mitteilungen zu diesem Thema voraus: Die Kommissionsmitteilung aus dem Jahr 2006, mit der eine Debatte über das Erfordernis einer „koordinierten Strategie“ zur Bekämpfung des Steuerbetrugs im Allgemeinen angestoßen wurde, und die Mitteilung aus dem Jahr 2007, mit der die Aufmerksamkeit auf den MwSt-Betrug gelenkt und Kernpunkte einer solchen Strategie konzipiert wurden. Im Februar 2008 fand eine weitere Mitteilung über „weitergehende“ Maßnahmen zur Änderung des MwSt-Systems für die Betrugsbekämpfung die Zustimmung des Rates, und zwar die Einführung eines Systems zur Besteuerung innergemeinschaftlicher Umsätze sowie eines Systems zur generellen Verlagerung der Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge). In Bezug auf den zweiten Vorschlag hatte die Kommission angeboten, ein Pilotprojekt zu lancieren. Der Rat (Wirtschaft und Finanzen) konnte in der Frage allerdings keine Einigung erzielen.

2.2.   Da offensichtlich der politische Wille fehlt, zu einer tiefgreifenden gemeinsamen Politik zu gelangen, hat sich die Kommission darauf beschränkt, einen Vorschlag für einen Aktionsplan für kurzfristige Maßnahmen mitsamt einem Zeitrahmen vorzulegen: eine „konventionelle“ Lösung, die bessere Chancen haben könnte, angenommen zu werden.

2.3.   Eine gemeinschaftsweite Strategie ist sowohl auf legislativer Ebene wie auch in Bezug auf die operative Umsetzung erforderlich, zumal letztere bislang ausschließlich den Mitgliedstaaten überlassen war. Unterschiedliche Verfahren der verschiedenen Behörden haben dazu geführt, dass Betrüger ihre Umsätze in diejenigen Länder verlegen, die keine angemessenen Maßnahmen ergriffen haben. Andererseits besteht auch das Problem der Befolgungskosten für die Unternehmen, die gezwungen sind, je nach Land, in dem sie operieren, unterschiedliche Verfahren anzuwenden.

2.4.   Der zusammen mit der Mitteilung veröffentlichte Richtlinienvorschlag stellt eine erste Initiative im Rahmen der konventionellen Maßnahmen dar. Die spezifische MwSt-Befreiung bei der Einfuhr ist bereits in der MwSt-Basisrichtlinie (2006/112/EG) geregelt, aber ihre ursprüngliche Formulierung ermöglichte indes Auslegungen, die zu Betrugsfällen führten. Mit dem Vorschlag werden die Voraussetzungen und Grenzen für die Gewährung der Befreiung geklärt, und gleichzeitig wird den Mitgliedstaaten ein Instrument geboten, gegebenenfalls hinterzogene Mehrwertsteuern beizutreiben.

3.   Der Inhalt der Kommissionsmitteilung

3.1.   Die von der Kommission im Rahmen der Expertengruppe für die Strategie zur Bekämpfung des Steuerbetrugs (ATFS) durchgeführte Prüfung der in der Vergangenheit angenommenen Maßnahmen ermöglichte, drei Kernbereiche auszumachen, auf die sie sich bei der Umsetzung eines Aktionsplans für kurzfristige Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung konzentrieren muss: ein weniger durchlässiges MwSt-System, optimierte Kontroll- und Untersuchungsinstrumente sowie verbesserte Möglichkeiten für die Beitreibung der Steuern.

3.2.   In Anbetracht der Durchlässigkeit des Systems sind präzise gemeinsame Bestimmungen für Aufnahme und Löschung der Daten erforderlich, auf denen das Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem (MIAS) basiert. In einigen Mitgliedstaaten bleiben MwSt-Identifikationsnummern auch dann gültig, wenn der Steuerpflichtige sich des Betrugs schuldig gemacht hat, wodurch ihm fortgesetzter Betrug ermöglicht wird. Die Kommission wird in Kürze einen Legislativvorschlag für gemeinschaftliche Vorschriften für die An- und Abmeldung von Steuerpflichtigen im MIAS vorlegen. Der Vorschlag wird auch Bestimmungen bezüglich des Rechts der Wirtschaftsbeteiligten vorsehen, elektronischen Zugang zu den Angaben über Name, Anschrift und MwSt-Identifikationsnummern ihrer Geschäftspartner zu erhalten, ein Recht, das in einigen Mitgliedstaaten derzeit vorenthalten oder eingeschränkt wird. Weitere Vorschriften betreffen die vereinfachte und aktualisierte Rechnungsstellung. Schließlich sind Bestimmungen zum Informationsaustausch vorgesehen, die unterschiedliche Auslegungen zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich des Mehrwertsteueranspruchs beseitigen und gewährleisten sollen, dass die Meldungen zwischen den betreffenden Verwaltungen gleichzeitig erfolgt.

3.3.   Die Kontrollinstrumente stellen den heikelsten und vielleicht den mit den meisten Mängeln behafteten Teil des Systems dar. Das Augenmerk wird auf seit langem bekannte Schwachstellen gerichtet: Kommunikation, Zusammenarbeit und Informationszugang. Derzeit werden mehrere Legislativvorschläge geprüft. Ein vielversprechendes operatives Instrument scheint die Einrichtung von EUROFISC zu sein, ein europäisches Frühwarnsystems nach dem Vorbild von EUROCANET, einem von der belgischen Steuerverwaltung geschaffenen und von der Kommission und dem Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) unterstützten System.

3.4.   Im dritten Kapitel des Aktionsplans, das sich mit den Mitteln für die Beitreibung der Steuern befasst, werden verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen. Zunächst werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Rechtsvorschriften gegen Steuerbetrüger anzunehmen, die in ihrem Hoheitsgebiet operieren und deren Aktivitäten MwSt-Ausfälle in einem anderen Mitgliedstaat verursacht haben. Der wichtigste Teil betrifft jedoch den Grundsatz der gesamtschuldnerischen Haftung der in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Akteure. Dieser Grundsatz hat bereits eine rechtliche Grundlage, die aber von jedem Mitgliedstaat bislang nur im eigenen Hoheitsgebiet und nur auf Akteure angewandt wird, die ihrer Rechtsprechung unterliegen. Ferner soll ein Vorschlag für einheitliche Systeme in puncto Vollstreckungstitel und Sicherungsmaßnahmen vorgelegt werden, um die Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Steuereinziehung zu verbessern. Schließlich soll das Problem des grenzüberschreitenden Schutzes der MwSt-Einnahmen — unabhängig davon, welchem Mitgliedstaat die Steuer geschuldet ist — endgültig gelöst werden. Diese Frage wird derzeit allerdings erst in einigen Mitgliedstaaten untersucht.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.   Die Kommission fährt fort, die Vorschriften über Anwendung, Verwaltung und Einziehung der Mehrwertsteuern, die seit nunmehr 40 Jahren nach ihrer Entstehung immer noch provisorischen Charakter haben, weiter zu verfeinern. Die Umwandlung in ein endgültiges System erfordert eine Angleichung der MwSt-Sätze und die Möglichkeit für die Steuerpflichtigen, die Steuer direkt im eigenen Land zu bezahlen und Rechnungen einschließlich MwSt auszustellen, wie dies derzeit innerhalb der Staaten praktiziert wird: Ein Ziel, das noch in weiter Ferne liegt. Die Gründe dafür sind weder technischer noch rechtlicher, sondern vielmehr politischer Natur, weshalb dieses Problem auch kaum lösbar ist. Die Vorschläge befinden sich deshalb im Rahmen „konventioneller Maßnahmen“, um die Wirksamkeit eines Systems zu erhöhen, das nur dem Namen nach „provisorisch“ ist.

4.2.   Nach diesen Vorbemerkungen muss gesagt werden, dass das MwSt-System nicht als durchweg unbefriedigend bezeichnet werden kann, wenngleich es zahlreiche verbesserungswürdige Aspekte aufweist. Aber es ist kompliziert, teuer und — was am schlimmsten ist — es eignet sich immer noch zum massiven Steuerbetrug auf internationaler Ebene. Die Mängel liegen in einer provisorischen Regelung begründet, die nur mit einem — derzeit nicht vorhandenen — politischen Willen in eine einfachere und wirksamere endgültige Regelung umgewandelt werden könnte.

4.3.   Die Kommission setzt sich nach Kräften dafür ein, die größten und augenfälligsten Nachteile des Systems deutlich zu machen. Sie wird dabei aber eingeengt einerseits durch den Rat, der keine einstimmigen Entscheidungen treffen kann, und andererseits durch die Vorgehensweisen der Mitgliedstaaten, die ihre Probleme im Alleingang mit eigenen Mitteln lösen wollen. Ein erstes, von der Kommission angeführtes Beispiel sind die elektronischen Verfahren in den Beziehungen zwischen Steuerpflichtigen und Steuerbehörden. Einige Mitgliedstaaten und einige Drittstaaten befinden sich auf der Höhe der Zeit, andere wiederum sind zurückgeblieben. Die Kommission nimmt eine Gesamtbewertung vor, der der Ausschuss nur beipflichten kann: „Die Verwaltung des MwSt-Systems in der EU (hat) nicht mit den Entwicklungen der Informationstechnologie Schritt gehalten (…)“ (2).

4.4.   Es überrascht folglich nicht, dass verschiedene Mitgliedstaaten — vor allem die am weitesten fortgeschrittenen, aber auch andere — zusammen mit ihren Wirtschaftsakteuren nach besseren Verwaltungslösungen suchen. Die Kommission ist darüber besorgt, da sie die Gefahr getrennter und unterschiedlicher nationaler Lösungen sieht und empfiehlt den Mitgliedstaaten, „ihre IT-Entwicklungen zu koordinieren“. Der EWSA möchte an dieser Stelle zu Realismus auffordern: Wenn es um die Koordinierung von Tätigkeiten mit gemeinschaftlicher Tragweite geht, hat die Kommission die Befugnis, regulierend einzugreifen - eine von ihr in Vergangenheit und Gegenwart beispielhaft ausgeübte Rolle. Wenn die Probleme hingegen in den einzelnen Mitgliedstaaten innenpolitischer Natur sind und sich der Zuständigkeit der Kommission entziehen, sind Empfehlungen nur von begrenzter Wirkung: Jeder Mitgliedstaat führt gute Gründe an, um ein eigenständiges Vorgehen zu rechtfertigen. Nur wenn gemeinsame Interessen von zwei oder mehr Ländern gegeben sind, kommt es zu koordinierten Lösungen.

4.5.   In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die von der Kommission mit Vorsicht als „Anregung“ bezeichnete Initiative, eine Ad-hoc-Gruppe aus Vertretern von Steuerbehörden und Unternehmen (die zertifizierten Marktteilnehmer werden indes nicht erwähnt) einzusetzen. Ihre Aufgabe wäre es, einen gemeinsamen Ansatz für unterschiedliche Probleme zu finden, die in den Beziehungen zwischen Steuerbehörden und Unternehmen auftreten. Die Kommission ruft die beteiligten Akteure dazu auf, „die erforderlichen Kenntnisse und Ressourcen zu mobilisieren, damit dieses Vorhaben ein Erfolg wird“. Der EWSA hofft, dass diese Empfehlung beherzigt wird.

5.   Bemerkungen zu noch ungelösten Problemen

5.1.   Der EWSA empfiehlt bei dieser Gelegenheit, in dem Aktionsplan einige wichtige, obgleich nicht unmittelbar mit der Betrugsbekämpfung verbundene Aspekte zu berücksichtigen: wirkungsvolle Strukturen und wirksame Regeln tragen per se zur Entstehung eines Systems bei, dass gegen Betrug gefeit ist, diesen verhüten und — sollte der Fall eingetreten sein — ihn abstellen kann.

5.2.   Im Bereich der elektronischen Verfahren hat die Kommission mit der „Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92“ bereits alles in ihrer Macht stehende getan. Mit Blick auf die Praxis betont der Ausschuss, dass das SCAC-Modell (Standing Committee for the Administrative Cooperation), das für den Austausch von Informationen und Interventionsanträgen eingesetzt wird, überprüft werden sollte, damit die Verfahren den Anforderungen in puncto Unverzüglichkeit und Pünktlichkeit der Antworten besser entsprechen.

5.3.   Bezüglich Datenbanken ist das Problem etwas heikler. Dabei geht es nicht nur um das Problem der Verwertbarkeit, sondern vor allem auch der Zugänglichkeit und der Vollständigkeit der Informationen. Vor allem für die MwSt muss teilweise noch ein Gleichgewicht zwischen Datenschutz und Verwaltungszusammenarbeit gefunden werden, was nur mittels Rechtsvorschriften erfolgen kann, die die Grenzen der jeweiligen Anforderungen präzisieren: welche Daten müssen geschützt werden und welche nicht, unter welchen Umständen und auf welche Art und Weise ist der Zugang zu den Informationen gestattet? Empfehlungen oder Übereinkommen reichen hier nicht aus: die Thematik bedarf einer soliden Rechtsgrundlage, die ohne Beeinträchtigung der Grundrechte dem öffentlichen Interesse Vorrang gibt.

5.4.   Ein praktisches Problem, das gelöst werden muss, ist das der Informationsbeschaffung vor Ort: die Mitgliedstaaten sollten Referenzgremien der beteiligten Akteure einsetzen, die für den anfragenden Mitgliedstaat relevante Informationen beschaffen könnten und befugt sind, diese mit vergleichbaren Gremien in anderen betroffenen Mitgliedstaaten auszutauschen. Eine Gemeinschaftsmaßnahme könnte zur Schaffung eines echten Interventionsnetzwerks beitragen, das die Möglichkeit böte, über spezielle Informationskanäle — eventuell in Zusammenarbeit mit anderen Ermittlungsbehörden — direkt zu kommunizieren.

5.5.   Der EWSA betont, dass ein reibungsloses Funktionieren von MIAS unabdingbare Voraussetzung für jedwede gemeinsame Lösung ist. Dieses System ermöglicht den Verwaltungen, in Echtzeit über die Daten einer Transaktion zu verfügen. Von grundlegender Bedeutung ist die Zuverlässigkeit der Steuerpflichtigen, denen eine MwSt-Identifikationsnummer zugeteilt wurde, wobei diese Zuverlässigkeit vorab geprüft werden muss. Sofern und sobald es möglich ist, diese beiden Voraussetzungen (Funktionieren in Echtzeit und Vorab-Zertifizierung) zu erfüllen, werden die Fälle von Karussellbetrug (missing trader fraud) schlagartig zurückgehen.

5.6.   In Erwartung umfassender Lösungen, die wohl noch in weiter Ferne liegen, könnte vorrangig die Möglichkeit einer Zertifizierung der Zuverlässigkeit der Branchenakteure gemäß in allen EU-Staaten einheitlichen Regeln geprüft werden. Kann jeder MwSt-Identifikationsnummer ein von der zuständigen Steuerverwaltung ausgestelltes Zertifikat zugeordnet werden, hätte dies den doppelten Vorzug, dass die Interessen der Mitgliedstaaten zum einen und die wirtschaftlichen Interessen der Wirtschaftsbeteiligten in der Gemeinschaft zum anderen geschützt werden. Die Vernetzung von Informationen würde es ermöglichen, von jeder Aufhebung oder Aussetzung der Zertifizierung unmittelbar Kenntnis zu erhalten.

6.   Der Richtlinienvorschlag: Präzisierungen und neue Vorschriften

6.1.   Wie in der Einleitung von der Kommission dargelegt, betrifft „der vorliegende Vorschlag (…) das erste Bündel der in der Mitteilung angekündigten Vorschläge“. Es werden zwei Änderungen der Basisrichtlinie (2006/112/EG) vorgeschlagen: zum einen sollen einige Bestimmungen für die MwSt-Befreiung bei der Einfuhr geklärt werden, deren Auslegung bislang Spielraum für Missbrauch gab und eine Hinterziehung der MwSt ermöglichte. Zum anderen wird in einigen Fällen innergemeinschaftlicher Lieferungen von Gegenständen die Anwendung der gesamtschuldnerischen Haftung, die bislang fakultativ war, obligatorisch.

Die Befreiung von der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr (Artikel 143 Buchstabe d) wird gewährt, wenn im Anschluss an diese Einfuhr eine innergemeinschaftliche Lieferung oder Versendung der eingeführten Gegenstände an einen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt. Anders ausgedrückt: die Befreiung wird gewährt, wenn die Gegenstände vom Importeur an einen anderen Steuerpflichtigen innerhalb der EU verkauft werden. Die Betrugsermittler haben auf massiven Betrug aufgrund unzureichender Umsetzung der gemeinschaftlichen Vorschriften in nationales Recht hingewiesen. Nach Ansicht der Kommission hat dies zur Folge, „dass die Weiterverfolgung der materiellen Beförderung der eingeführten Gegenstände durch die Zoll- und Steuerbehörden innerhalb der Gemeinschaft nicht gewährleistet ist“. Die Steuerbehörden sprechen von „innergemeinschaftlichem Karussellbetrug“ (MTIC - „missing trader in intra-Community fraud“).

6.2.1.   Im Vorschlag ist vorgesehen, dass Unterlagen eingereicht werden müssen, die belegen, dass der Antragsteller auf Steuerbefreiung tatsächlich die — bereits in der MwSt-Basisrichtlinie vorgesehenen — Anforderungen erfüllt: eine individuelle MwSt-Identifikationsnummer oder Ernennung eines Steuervertreters im Mitgliedstaat der Einfuhr; Erklärungspflicht, dass die importierten Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat versendet oder befördert werden; Verpflichtung des Importeurs, zum Zeitpunkt der Einfuhr die MwSt-Identifikationsnummer des in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Empfängers der Gegenstände mitzuteilen.

6.2.2.   Der EWSA hat dazu keine besondere Bemerkung vorzubringen, da der Grund für die Vorschriften in der Verbesserung der Verwaltungsverfahren zur Vermeidung möglicher Betrugsfälle liegt. Es bleibt lediglich ein gewisser Zweifel in Bezug auf die sogenanntenDrittgebiete“. Der Begriff „Mitgliedstaat“ im Zusammenhang mit der MwSt-Richtlinie ist in Artikel 5 Absatz 2 der Basisrichtlinie enthalten. Im nachfolgenden Artikel 6 wird verfügt, dass die Richtlinie nicht fürDrittgebiete (3) gilt, die gemäß Artikel 143 Buchstabe c) und d) von der Zahlung von MwSt bei der Einfuhr ausgenommen sind. Die Bestimmung ist ziemlich eindeutig, aber es wäre zu klären, ob und in welchem Maße diese Befreiung nicht anfällig für MwSt-Betrug ist.

Die neue Bestimmung des Richtlinienvorschlags (Artikel 1 Absatz 2) ersetzt Artikel 205 der Basisrichtlinie, wonach eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch mit dem Exporteur zu entrichten hat. Kurz zusammengefasst heißt dies, dass der Verkäufer seine innergemeinschaftlichen Umsätze meldet, damit der Mitgliedstaat des Käufers in die Lage versetzt wird, Kenntnis zu erhalten von den steuerpflichtigen Umsätzen in seinem Hoheitsgebiet.

6.3.1.   Der Verkäufer soll mit dem Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung nicht nur dazu angehalten werden, seinen Meldepflichten nachzukommen, sondern dieses Prinzip impliziert auch, dass er seinen Kunden gut wählt und ihn und seine Zahlungsfähigkeit gut kennt: Sollte dieser nicht seinen Pflichten nachkommen, so kann dessen Mitgliedstaat den Betrag der nicht entrichteten MwSt sowie eventuelle Strafgelder beim Verkäufer beitreiben. Die Mitgliedstaaten haben die Vorschrift gewissenhaft umgesetzt, beschränken sich aber auf innerstaatliche Umsätze. Sie haben die Anwendung des Grundsatzes auf internationale Umsätze vernachlässigt und offenbar vergessen, dass sie zur Mitwirkung und dem Schutz auch der behördlichen Interessen der Bestimmungsmitgliedstaaten verpflichtet sind.

6.3.2.   Mit dem neuen Vorschlag soll diese Lücke geschlossen werden, indem das Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung ausdrücklich auf die internationalen Umsätze ausgedehnt wird. Es sei übrigens darauf verwiesen, dass laut Kommission dieses Prinzip zwar bereits in Artikel 205 der MwSt-Richtlinie enthalten ist, dass „die Mitgliedstaaten ihre Anwendung aber bisher auf inländische Umsätze beschränkt [haben]“ (4).

6.3.3.   Der EWSA ist mit dem Vorschlag der Kommission voll und ganz einverstanden. Er möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Beitreibung der Forderung seitens der Behörden eines Mitgliedstaates bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen geregelt und praktikabel gemacht werden muss. Eine gerichtliche Lösung bedeutet den Rückgriff auf die Vorschriften über die Rechtshilfe; die Beitreibung auf dem Verwaltungsweg über die Steuerbehörden macht präzise Vereinbarungen und die Lösung ihnen zugrunde liegender rechtlicher Probleme erforderlich.

6.3.4.   Schließlich soll eine letzte Bemerkung allgemeinen Charakters vorgebracht werden, die aber für die Thematik des Vorschlags relevant ist, mit dem in erster Linie die Interessen der Steuerverwaltungen gewahrt werden sollen. An keiner Stelle des Textes ist die Rede von finanzieller und rechtlicher Haftung der Behörden gegenüber den Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit falsch oder verspätet übermittelten Steuernummern des Geschäftspartners, noch von der Haftung der Behörden eines Landes gegenüber den Behörden eines anderen Landes. Eine auf Gerechtigkeit und Transparenz bedachte Rechtsetzung muss aber angesichts des viel stärkeren staatlichen Einflusses immer auch die Rechte des Steuerzahlers berücksichtigen.

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2008) 807 endg.: „Mitteilung über eine koordinierte Strategie zur wirksameren Bekämpfung des MwSt-Betrugs in der Europäischen Union“.

(2)  Mitteilung der Kommission, KOM(2008) 807 endg., Ziffer 4 Absatz 1.

(3)  Gebiete, die Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft sind: Berg Athos, Kanarische Inseln, französische überseeische Departements, Åland-Inseln; Kanalinseln. Gebiete, die nicht Teil des Zollgebiets der Gemeinschaft sind: Insel Helgoland, Gebiet von Büsingen, Ceuta, Melilla, Livigno, Campione d’Italia, der zum italienischen Gebiet gehörende Teil des Luganer Sees.

(4)  Mitteilung der Kommission, KOM(2008) 807 endg., Ziffer 3.3.1 Absatz 2.


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/117


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ratingagenturen“

KOM(2008) 704 endg. – 2008/0217 (COD)

(2009/C 277/25)

Berichterstatter: Peter MORGAN

Der Rat beschloss am 1. Dezember 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen

KOM(2008) 704 endg. – 2008/0217 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 1. April 2009 an. Berichterstatter war Peter Morgan.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 157 gegen 4 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Hintergrund dieser Stellungnahme ist die schlimmste Wirtschaftskrise in Friedenszeiten seit achtzig Jahren. Sie fügt den Interessen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und allen anderen vom EWSA vertretenen Gruppen sowie der Zivilgesellschaft im Allgemeinen schweren Schaden zu. Unternehmen gehen in Konkurs, die Beschäftigungsrate sinkt, Häuser werden gepfändet, Ruhegehälter geraten in Gefahr, Unruhen breiten sich aus und Regierungen stürzen. Eine Grundursache dieser Krise ist die Arbeit der nicht regulierten Kreditbewertungsagenturen (CRA). Diese Ratingagenturen spielen eine zentrale Rolle für das Funktionieren des Finanzsystems und dürfen deshalb nicht unbeaufsichtigt bleiben. Die Selbstregulierung ist auf dramatische Weise gescheitert, und die Branche hat sich skandalös verhalten. Der EWSA unterstützt den Plan der Regulierung und Registrierung der Ratingagenturen vorbehaltlos.

1.2.   Aus historischen Gründen ist die Tätigkeit des Ratings heute ein globales Oligopol, in dem drei große Ratingagenturen, nämlich Fitch, Moody’s und S&P, tätig sind. Diese Firmen haben zwar ihren Sitz in den USA, erbringen aber auch das Gros der Ratingdienstleistungen in der Europäischen Union. Ratingagenturen müssen in den USA seit 2007 bei der Wertpapieraufsichtsbehörde (SEC) registriert sein. In der Europäischen Union besteht bisher keine Registrierungspflicht. Die Registrierung ist offenkundig eine Vorstufe der Regulierung.

1.3.   Seit 2007 ist ein drastischer Anstieg bei Zahlungsverzügen und Zwangsvollstreckungen für Subprime-Hypotheken (zweitklassige Hypotheken) in den USA zu verzeichnen, was auf den Märkten für durch Wohnimmobilien hypothekengedeckte Wertpapiere (RMBS) und CDO (Collateralised Debt Obligations), die mit diesen Wertpapieren verknüpft sind, Turbulenzen ausgelöst hat. Als sich das Ergebnis dieser Wertpapiere weiter verschlechterte, senkten die drei bei der Bewertung dieser Instrumente aktivsten Ratingagenturen das Rating für eine große Zahl der Fälle, in denen sie eine Bewertung vorgenommen hatten. Die Leistung der Ratingagenturen bei der Bewertung dieser strukturierten Finanzierungsprodukte warf Fragen hinsichtlich der Genauigkeit ihrer Bewertungen im Allgemeinen sowie zur Integrität des Ratingprozesses insgesamt auf.

1.4.   Im Jahre 2006 legte die Kommission ihren Regulierungsansatz für Ratingagenturen fest und erklärte, dass sie die Entwicklungen in diesem Bereich sehr genau verfolgen werde. Im Oktober 2007 einigten sich die EU-Finanzminister auf Schlussfolgerungen zur Krise, die einen Vorschlag zur Bewertung der Rolle der Ratingagenturen und zur Behebung etwaiger Mängel umfassten. Nach einer breit angelegten Anhörung und unter Berücksichtigung des Geschehens in anderen Ländern hat die Kommission diesen Entwurf einer Verordnung vorgelegt.

1.5.   Mit dem Vorschlag sollen vier Hauptziele verfolgt werden:

Erstens Gewährleistung, dass Ratingagenturen Interessenkonflikte im Ratingprozess vermeiden oder zumindest angemessen handhaben;

zweitens Verbesserung der Qualität der von den Ratingagenturen angewandten Methoden und der von ihnen abgegebenen Ratings;

drittens Erhöhung der Transparenz durch die Festlegung von Angabepflichten für die Ratingagenturen;

viertens Schaffung eines effizienten Registrierungs- und Aufsichtsrahmens, mit dem eine Ausnutzung der Unterschiede zwischen den EU-Rechtsordnungen verhindert wird.

1.6.   Nachdem die Kommission ihre Regulierungsvorschläge veröffentlicht hatte, hat auch die De-Larosière-Gruppe ihren Bericht vorgelegt. Zu den Ratingagenturen gibt sie folgende Empfehlungen:

In der Europäischen Union sollte eine stärker mit Kompetenzen ausgestattete europäische Wertpapierregulierungsbehörde (CESR) für die Registrierung und Beaufsichtigung von Ratingagenturen zuständig sein.

Das Geschäftsmodell, die Finanzierung und der Grad der Trennung der Rating- von den Beratungstätigkeiten der Ratingagenturen sollte einer grundlegenden Prüfung unterzogen werden.

Die Verwendung von Ratings in Finanzvorschriften sollte mit der Zeit deutlich reduziert werden.

Das Rating für strukturierte Produkte sollte durch die Einführung gesonderter Kodi¬zes für diese Produkte umgestaltet werden.

Diese Empfehlungen werden in den entsprechenden Abschnitten der Stellungnahme erörtert.

Darüber hinaus zog die Gruppe folgenden Schluss: „Diese regulatorischen Änderungen müssen mit einer sorgfältigeren Prüfung und Beurteilung durch die Anleger und einer besseren Aufsicht einhergehen“. Der EWSA schließt sich dieser Feststellung nachdrücklich an.

1.7.   Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) hat die Regulierungsvorschläge der Kommission ebenfalls geprüft. Der EWSA unterstützt den Vorschlag, in Drittländern erstellte Ratings bestätigen zu lassen.

1.8.   Generell befürwortet der EWSA die Vorschläge der Kommission. Die Ratingagenturen haben bei der Entwicklung und Glaubwürdigkeit strukturierter Produkte, die sich als „vergiftet“ erwiesen und Vermögen im Wert von Hunderten Milliarden Dollar vernichtet haben, eine maßgebliche Rolle gespielt. Die Bestimmungen der vorgeschlagenen Verordnung sind das Mindeste, was unter diesen Umständen notwendig ist. Ferner ist der EWSA der Auffassung, dass die Vorschriften für eine gut geführte Ratingagentur keine ungebührliche Belastung darstellen werden.

1.9.   Ratingagenturen nehmen in der Finanzdienstleistungsbranche eine privilegierte Stellung ein, weil regulierte Unternehmen in diesem Sektor erstklassige Wertpapiere halten müssen. Auf beiden Seiten des Atlantiks haben die Behörden entschieden, nur sehr wenige Ratingagenturen zu regulatorischen Zwecken anzuerkennen. Der EWSA fordert die Kommission auf, den neuen Registrierungsprozess zu nutzen, um das Ratinggeschäft für neue Ratingagenturen zu öffnen und insbesondere die Gründung einer unabhängigen europäischen Agentur zu fördern, und die Finanzregulierung so zu fassen, dass Ratings von allen in der EU registrierten Ratingagenturen zu regulatorischen Zwecken anerkannt werden. Für neue Ratingagenturen wird es nicht einfach sein, sich zu etablieren und Glaubwürdigkeit zu erlangen. Der Aufstieg des Unternehmens Fitch Ratings in den vergangenen zehn Jahren, finanziert von einer französischen Holding, zeigt jedoch, dass es möglich ist.

1.10.   Hauptgrund für das Oligopol der Ratingagenturen ist die Regulierung der Finanzdienstleistungen, durch die Vertrauen in die Bewertung der Kapitalrücklagen gesetzt wird. Der EWSA fordert die Regulierungsbehörden der EU auf, sich nicht über Gebühr auf Ratings zu stützen, insbesondere angesichts der jüngsten Erfahrungen mit einigen Ratings, die sich als wertlos herausstellten. Dies entspricht der Empfehlung der De-Larosière-Gruppe, dass die Nutzung von Ratings für die Finanzregulierung mit der Zeit deutlich reduziert werden sollte.

1.11.   In diesem Zusammenhang ersucht der EWSA die Kommission auch, sich mit der Frage des Haftungsausschlusses von Ratingagenturen zu befassen. Da wegen des Haftungsausschlusses die Ratings tendenziell wertlos sind, können solche Ratings keine echte Grundlage für die Festlegung der gesetzlichen Kapitalanforderungen sein. Hier sind Schritte zu unternehmen, damit die Ratingagenturen für ihre Bewertungen die Verantwortung übernehmen. Echte Irrtümer können toleriert werden, mangelnde Sorgfalt nicht.

1.12.   Der EWSA hat nichts gegen den Vorschlag, dass Ratingagenturen eine juristische Person mit Sitz in der Gemeinschaft sein müssen und dass die Zuständigkeit für sie bei der Regulierungsbehörde des Herkunftsmitgliedstaats liegen soll. Die Kommission hat ihre Auffassung dargelegt, warum die Regulierung und Aufsicht nicht an ein zentrales Gremium übertragen werden sollten. Dies steht zwar im Widerspruch zur Empfehlung der De-Larosière-Gruppe, aber der EWSA lehnt nicht von vornherein die Schaffung einer neuen Aufsichtsbehörde auf EU-Ebene ab, sofern sich die Regelungen für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten als nicht ausreichend erweisen sollten.

1.13.   Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass es sich nicht um eine „zahnlose“ Verordnung handeln soll. Zu den Aufsichtsmaßnahmen, die den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen, gehören der Widerruf der Registrierung und die Einleitung eines Strafverfahrens. In Fällen groben beruflichen Fehlverhaltens und mangelnder Sorgfalt müssen Strafen verhängt werden können, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Sie müssen in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewendet werden. Nach Meinung des EWSA sollte dies durch den Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) koordiniert werden.

1.14.   Organisatorisch spielen unabhängige, nicht geschäftsführende Direktoren eine entscheidende Rolle. Der EWSA ist der Auffassung, dass verbindlich vorgeschrieben sein muss, dass jede Besetzung einer nicht geschäftsführenden Stelle vorab von der zuständigen Behörde zu genehmigen ist. Eine solche Zustimmung ist für den vorgeschlagenen Rahmen unabdingbar.

1.15.   Der EWSA fordert die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten auf, im Rahmen ihrer organisationsbezogenen Überwachung den Zusammenhang zwischen dem Ratinggeschäft und den Erwartungen von Anteilseignern aufmerksam zu beobachten. Das Geschäftsmodell einer Ratingagentur lässt sich nicht ohne weiteres mit dem Ethos eines öffentlichen Unternehmens vereinbaren. Besonderes Augenmerk sollte der Struktur von Prämien für die Geschäftsführung gelten. Die De-Larosière-Gruppe hat sich ebenfalls in diesem Sinne geäußert und eine weitere Überprüfung des Geschäftsmodells von Ratingagenturen gefordert. Dieser Forderung schließt sich der EWSA an.

1.16.   Der EWSA begrüßt die Bestimmungen von Artikel 7. Die Veröffentlichung der Methoden wird deutlich machen, ob Ratings über abgekürzte Verfahren oder Umgehungen zustande gekommen sind. Außerdem ist die Ratingagentur jetzt verpflichtet, ihre Informationsquellen zu prüfen und sicherzustellen, dass diese für die Erstellung eines Ratings hinreichend zuverlässig sind. Ebenso wichtig ist, dass die Vorschriften, die für die Änderung von Methoden und Annahmen gelten, wären sie in Kraft gewesen, die RMBS-Fehlbewertungen bereits lange vor 2007 zu Tage gebracht hätten.

1.17.   Was die Offenlegung anbelangt, so nimmt der EWSA mit besonderer Genugtuung zur Kenntnis, dass die EU bei strukturierten Produkten weiter geht als die USA, indem sie verlangt, dass mögliche Anleger auf die eine oder andere Art auf die potenziell „toxischen“ Merkmale dieser Produkte hingewiesen werden. Die De-Larosière-Gruppe hat die Anwendung eines gesonderten Kennzeichnungssystems empfohlen. Diesen Weg würde auch der EWSA bevorzugen.

1.18.   Einwände gegen gesonderte Ratingsymbole für strukturierte Produkte richten sich vor allem dagegen, dass Anleihen mit dieser speziellen Kennzeichnung nach den erfolgten massiven Herabstufungen als minderwertige Anlagen angesehen werden könnten. Dies wäre aus Sicht des EWSA nichts Schlechtes, bis das Ratingansehen solcher Anleihen wieder hergestellt ist.

1.19.   Den unterschiedlichen generellen Offenlegungsvorschriften für regulatorische und für marktpolitische Zwecke kann mit zwei Vorbehalten zugestimmt werden. Aus Sicht des EWSA sollte in der EU-Regelung die Bestimmung zu halbjährlichen Offenlegungen von Ausfallquoten sehr konkret gefasst sein und die 5 %-Offenlegungsregel sollte vom CESR überprüft werden.

1.20.   Auf beiden Seiten des Atlantiks wurde die Sorge laut, dass die Regulierungssysteme der USA und der EU einander widersprechende Vorschriften enthalten könnten. Man regte sogar ein weltweit einheitliches System an. Der EWSA ist mit dem vorgeschlagenen EU-System zufrieden und erwartet nicht, das es mit dem US-amerikanischen System in Konflikt gerät. Wenn Unternehmen unterschiedliche Normen unterschiedlicher Systeme erfüllen müssen, werden üblicherweise Maßnahmen auf der Grundlage des „größten gemeinsamen Teilers“ festgelegt. Es besteht kein Grund, warum im vorliegenden Fall nicht ebenso vorgegangen werden kann.

2.   Einleitung

2.1.   Durch private Wohnimmobilien besicherte Anleihen (RMBS) werden durch einen „Arrangeur“ oder Konsortialführer eingerichtet, im Allgemeinen eine Investmentbank, die ein Portfolio von Hypothekarkrediten — in der Regel Tausende von Einzelkrediten — zu einem Fonds schnürt. Der Fonds gibt durch das Portfolio verbriefte Wertpapiere aus. Der Fonds verwendet die Einnahmen aus den Wertpapieren, um das Kreditportfolio zu erwerben. Der Gesamtbetrag der monatlichen Zins- und Tilgungszahlungen in das Portfolio von den einzelnen Hypthekarkrediten wird verwendet, um monatliche Zins- und Tilgungszahlungen an RMBS-Investoren zu leisten. Die Umwandlung dieser Bündel unsicherer Subprime-Kredite in Produkte mit AAA-Rating geschieht im Wesentlichen auf drei Wegen: (i) Aufteilung der RMBS in Tranchen geordnet nach Sicherheit und Ertrag; (ii) Übersicherung, so dass der Wert des Hypothekenportfolios den Wert der RMBS überschreitet, (iii) Zinsüberschüsse, so dass die aus dem Portfolio fälligen Hypothekenzinsen die Höhe der auszuzahlenden RMBS-Zinsen überschreiten. Zudem lag die Annahme zugrunde, dass die Immobilienpreise weiter steigen würden.

2.2.   CDO (Collateralized Debt Obligations) beruhen auf einem ähnlichen Konzept, nur mit dem Unterschied, dass nicht Hypotheken, sondern Schuldtitel verwendet werden. Die Verwendung von RMBS in CDO-Sicherheitsportfolios ist von 43,3 % im Jahre 2003 auf 71,3 % im Jahre 2006 gestiegen, wodurch praktisch auf dem ersten Kartenhaus ein zweites errichtet wurde. Die Börsenaufsichtsbehörde der USA (U.S. Securities & Exchange Commission - SEC) fand eine interne E-Mail einer Ratingagentur, in der der CDO-Markt als „Monstrum“ bezeichnet wurde.„Wir können nur hoffen, dass wir alle wohlhabend und im Ruhestand sind, ehe dieses Kartenhaus zusammenfällt“.

2.3.   Ein entscheidender Schritt bei der Schaffung und dem schließlichen Verkauf von zweitklassigen RMBS oder CDO ist die Erstellung eines Ratings für jede aus dem Fonds emittierte Tranche. Im August 2007 leitete die SEC eine Untersuchung der Rolle der Ratingagenturen in den Turbulenzen ein. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Art und Weise, wie Ratingagenturen RMBS und CDO bewerteten. Dazu wurde vor allem Folgendes überprüft:

a)

Ratingmaßnahmen, -abläufe und -praktiken, einschließlich Modelle, Methoden, Annahmen, Kriterien und Protokolle;

b)

Zweckdienlichkeit ihrer Offenlegung;

c)

die Frage, ob die Ratingagenturen ihre eigenen Verfahren einhalten;

d)

die Wirksamkeit von Verfahren bei Interessenkonflikten;

e)

die Frage, ob Ratings durch Interessenkonflikte über Gebühr beeinflusst wurden.

2.4.   Folgende allgemeine Ergebnisse wurden veröffentlicht:

a)

RMBS und CDO haben seit 2002 an Zahl und Komplexität erheblich zugenommen; einige Ratingagenturen hatten Schwierigkeiten, diesen Zuwachs insbesondere der CDO zu bewältigen, was sich auf die Vollständigkeit des Ratings auswirkte.

b)

Maßgebliche Aspekte des Ratingprozesses, wie etwa Ratingkriterien, wurden nicht immer offengelegt; Anpassungen „abseits des Modells“ wurden ohne belegte Begründung vorgenommen.

c)

Keine der Agenturen verfügte über dokumentierte Verfahren für das Rating von RMBS und CDO oder wandte konkrete Maßnahmen und Verfahren zur Ermittlung oder Behebung von Fehlern in ihren Modellen oder Methoden an.

d)

Die Ratingagenturen hatten damit begonnen, neue Praktiken anzuwenden, um die Ratinginformationen zu überprüfen, die sie von Emittenten erhielten, aber bis dahin waren die Ratingagenturen weder verpflichtet, in RMBS-Portfolios enthaltene Informationen nachzuprüfen, noch forderten sie von den Emittenten, bei diesen Portfolios Due-Diligence-Prüfungen vorzunehmen.

e)

Die Ratingagenturen haben wichtige Schritte im Ratingprozess, wie etwa die Begründung für Abweichungen von ihren Modellen und für Handlungen und Entscheidungen der Ratingausschüsse, auch die Anwesenheit wichtiger Akteure in Ratingausschüssen, nicht immer dokumentiert.

f)

Die Verfahren der Ratingagenturen zur Beaufsichtigung laufender Ratings scheinen nicht so tragfähig gewesen zu sein wie die Verfahren der Anfangsbewertung; fehlende Ressourcen wirkten sich auf die Zeitnähe der Beaufsichtigung aus, die durchgeführte Beaufsichtigung war mangelhaft dokumentiert, und es fehlte an schriftlich niedergelegten Verfahren.

g)

Es wurden Probleme bei der Handhabung von Interessenkonflikten und deren Wirkung auf den Ratingprozess festgestellt; maßgebliche Akteure des Ratingprozesses durften an Beratungen über Entgelte teilnehmen.

h)

Die Verfahren der Innenrevision waren sehr unterschiedlich; nur bei einer der drei Agenturen wurden die Kontrollen zur Einhaltung als ausreichend angesehen.

2.5.   Das Geschäftsmodell der Branche birgt zwangsläufig einen Konflikt, weil der Anleiheemittent für die Bewertung bezahlt, aber bei strukturierten Produkten verschärft er sich noch, denn (i) der Arrangeur ist der Gestalter der Anleihe, so dass sie flexibel gestaltet werden kann, um ihre Bewertung zu optimieren. Zudem kann der Arrangeur auch die Ratingagentur wählen, die eine günstige Bewertung abgeben wird, und (ii) es besteht eine hohe Konzentration an Arrangeuren.

2.6.   Bei einer Stichprobe von 642 RMBS-Geschäften wurden 80 % davon von nur zwölf Arrangeuren abgewickelt; bei einer Stichprobe von 368 CDO entfielen 80 % auf elf Arrangeure; zwölf der 13 größten RMBS-Emissionsbanken waren auch die zwölf größten CDO-Emittenten. Der Zusammenhang zwischem dem Einfluss der Arrangeure auf die Wahl der Ratingagentur und der hohen Konzentration von Arrangeuren mit einem solchen Einfluss hat offenbar die Interessenkonflikte noch verstärkt, die mit dem Vergütungsmodell, bei dem der Emittent das Rating bezahlt, zwangsläufig verbunden sind.

2.7.   Die SEC hat ihre Untersuchungsergebnisse im Juli 2008 veröffentlicht und bereits Regulierungsvorschläge zur Konsultation vorgelegt. Am 3. Dezember 2008 wurden in den USA neue Vorschriften veröffentlicht. Die EU-Kommission hat ihren Verordnungsentwurf (KOM(2008) 704 endg.) am 12. November 2008 vorgelegt, und auf diesen bezieht sich die vorliegende Stellungnahme.

2.8.   Die Untersuchungen waren nicht auf die Regulierungsbehörden beschränkt. Am 18. Oktober 2008 druckte die „Financial Times“ (FT) einen Enthüllungsbericht über die Rolle der Firma Moody’s in der Subprime-Krise, den diese nicht widerlegen konnte. Einige Feststellungen aus diesem Artikel sind in den Punkten 2.9 bis 2.12 wiedergegeben.

2.9.   Moody’s ging 2000 an die Börse. Nach der Börseneinführung vollzog sich ein drastischer Wandel. Es kam zu einer plötzlichen Ausrichtung auf den Gewinn. Die Geschäftsführung erhielt Aktienanteile. Der gesamte Schwerpunkt verschob sich. Moody’s meldete die höchsten Gewinnspannen aller Unternehmen im S&P-500-Index. Diese Position hielt die Firma fünf Jahre hintereinander. Ihre Aktien stiegen in den ersten vier Börsenjahren um 500 %, als der übrige Markt am Boden lag. Die Gewinne von Moody’s schnellten innerhalb von zehn Jahren um 900 % nach oben.

2.10.   In den ersten Tagen des neuen Jahrtausends war es für CDO nahezu unmöglich, von Moody’s eine AAA-Bewertung zu erhalten, wenn sie fast vollständig mit Hypotheken besichert waren. Die Agentur verfolgte über Jahre eine Politik der „Fächerung“, die verhinderte, dass homogene Besicherungen die höchste Bewertung erhielten. Dadurch verlor Moody’s Marktanteile, weil die beiden Mitwettbewerber nicht mit derselben Umsicht handelten. Moody’s hob die Vorschrift 2004 auf, und daraufhin schoss ihr Marktanteil in die Höhe.

2.11.   Im Jahre 2006 begann Moody’s mit der Bewertung von CPDO (Constant Proportion Debt Obligations). Sie erhielten die Höchstnote AAA. Die Ratingagentur Fitch, die nicht zur Bewertung von CPDO aufgefordert wurde, erklärte, ihre Modelle würden solche Anleihen knapp oberhalb der Grenze zu Anleihen mit hohem Ausfallrisiko („Junk Grade“) einstufen. CPDO waren Berichten zufolge das lukrativste Instrument, das Moody’s jemals zu bewerten hatte. Anfang 2007 wurde im Computercode für die Simulation der Wertentwicklung von CPDO ein Fehler festgestellt. Wie sich herausstellte, war das Produkt um immerhin vier Noten zu hoch eingestuft worden. Der Fehler wurde den Investoren und Kunden nicht mitgeteilt. Die Codierung wurde danach so geändert, dass sie erneut AAA-Bewertungen ergab. Erst später, nachdem die „Financial Times“ den Fehler enthüllt hatte, wurden interne Disziplinarverfahren eingeleitet.

2.12.   Mitte 2007 war der Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA bereits in vollem Gange. Moody’s sah ein, dass seine Modelle ungeeignet waren. Die Agentur begann im August 2007, mit Hypotheken besicherte Anleihen herunterzustufen, und die Krise nahm ihren Anfang. In den letzten Monaten des Jahres stufte Moody’s mehr Anleihen herunter als in den vorhergehenden 19 Jahren zusammengenommen. Moody’s beharrt darauf, dass es den Beginn der Kreditkrise auf keinen Fall habe vorhersehen können, doch es hatte seine statistischen Grundannahmen über den US-amerikanischen Hypothekenmarkt seit 2002 nicht aktualisiert. Eigene Mitarbeiter diskutierten das Problem 2006, aber es fehlte an den Ressourcen, um die notwendige Überprüfung und Neubewertung vornehmen zu können.

2.13.   Die von der SEC ermittelten Fakten wie auch die Einzelbeispiele, die die „Financial Times“ vorlegte, zeigen, dass viele Veränderungen notwendig sind, wenn die Ratingagenturen die Aufgaben erfüllen und den Standards gerecht werden sollen, die von ihnen erwartet werden.

3.   Wesentlicher Inhalt der vorgeschlagenen Verordnung

Registrierungs- und Aufsichtsrahmen

3.1.   In Artikel 2 heißt es, dass die Verordnung für Ratings gilt, die zu regulatorischen Zwecken verwendet werden, während laut Artikel 4 Finanzinstitute für regulatorische Zwecke nur Ratings von Ratingagenturen verwenden dürfen, die ihren Sitz in der Gemeinschaft haben und gemäß dieser Verordnung registriert sind.

3.2.   Artikel 12 besagt, dass eine Ratingagentur eine Registrierung beantragen kann, um so zu gewährleisten, dass ihre Ratings für regulatorische Zwecke verwendet werden können, sofern es sich dabei um eine juristische Person mit Sitz in der Gemeinschaft handelt. Die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats registriert die Ratingagentur, wenn sie die in der Verordnung festgelegten Voraussetzungen erfüllt. Die Registrierung ist in der gesamten Gemeinschaft gültig.

3.3.   Der Registrierungsantrag ist an den CESR (Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden) zu richten, der ihn an den zuständigen Herkunftsmitgliedstaat übermittelt (Artikel 13), wo er geprüft (Artikel 14) und dann durch den Herkunftsmitgliedstaat in Absprache mit dem CESR zugelassen oder abgelehnt wird (Artikel 15). Die Verordnung enthält auch Vorschriften über einen Widerruf der Registrierung, wenn die Ratingagentur die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt (Artikel 17). Ratingagenturen müssen einen Registrierungsantrag innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung stellen (Artikel 35).

3.4.   In Artikel 20 werden die Befugnisse der zuständigen Behörden genannt. Sie dürfen sich nicht in den Inhalt der Ratings einmischen. Sie dürfen allerdings

Unterlagen aller Art einsehen und Kopien von ihnen machen oder erhalten;

von jeder Person Auskünfte verlangen und, falls notwendig, eine Person vorladen und vernehmen;

angekündigte und unangekündigte Ermittlungen vor Ort durchführen;

Aufzeichnungen von Telefongesprächen und Datenübermittlungen anfordern.

3.5.   In Artikel 21 werden die Aufsichtsmaßnahmen aufgeführt, die den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen. Sie umfassen den Widerruf einer Registrierung, ein vorübergehendes Verbot zur Abgabe von Ratings, die Aussetzung der Verwendung von Ratings der Ratingagentur, die öffentliche Bekanntmachung von Verstößen gegen die Verordnung sowie die Einleitung von Strafverfahren.

3.6.   Die Artikel 22 bis 28 beinhalten Bestimmungen zur Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden, damit die Registrierung und Aufsicht im gesamten Binnenmarkt wirksam sind. Artikel 29 und 30 regeln die Zusammenarbeit mit Drittländern.

3.7.   Artikel 31 betrifft Sanktionen, die von den zuständigen Behörden zu verhängen sind. Dort ist festgelegt, dass Sanktionen zumindest bei Fällen groben beruflichen Fehlverhaltens und mangelnder Sorgfalt anzuwenden sind. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

Unabhängigkeit und Vermeidung von Interessenkonflikten

3.8.   In Artikel 5 Absatz 1 ist festgelegt, dass eine Ratingagentur zu gewährleisten hat, dass die Abgabe eines Ratings nicht von bestehenden oder potenziellen Interessenkonflikten beeinflusst wird. Die Abschnitte A (Organisatorische Anforderungen) und B (Operationelle Anforderungen) des Anhangs 1 der Verordnung schreiben umfassende gegenseitige Kontrollen vor.

3.9.   Organisatorisch liegt die Verantwortung beim Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan. Die Geschäftsleitung muss ausreichend gut beleumundet sein. Es muss mindestens drei unabhängige, nicht geschäftsführende Direktoren geben. Ihre Vergütung hängt nicht vom Erfolg des Geschäfts ab. Ihre Mandatsdauer muss feststehen und darf fünf Jahre nicht übersteigen. Die Bestellung ist nicht erneuerbar, und es bestehen Einschränkungen für den Entzug ihres Mandats während der Mandatsdauer. Alle Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans müssen über einschlägige Erfahrungen verfügen, und zumindest einer der nicht geschäftsführenden Direktoren muss weitreichende Kenntnisse mit strukturierten Verbriefungsmärkten gesammelt haben.

3.10.   Die nicht geschäftsführenden Direktoren müssen speziell für die Aufsicht über die Ratingpolitik und –prozesse sowie für die Vermeidung von Interessenkonflikten verantwortlich sein. Strategien und Verfahren müssen in Einklang mit der Verordnung stehen. Die nicht geschäftsführenden Direktoren müssen dem Verwaltungs- oder Aufsichtsrat auf Anfrage in regelmäßigen Abständen Stellungnahmen zu diesen Fragen vorlegen. Damit die nicht geschäftsführenden Direktoren effektiv arbeiten können, müssen die Ratingsysteme gut durchorganisiert sein, d. h. es müssen interne Kontrollen bestehen, und sie müssen einer unabhängigen Prüfung unterliegen.

3.11.   In ihrer Tätigkeit erkennt und beseitigt die Ratingagentur gegebenenfalls tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte bzw. handhabt sie und legt sie offen. Das gilt sowohl für persönliche als auch für unternehmensbezogene Konflikte. So darf eine Ratingagentur beispielsweise keine Beratungsleistungen für das bewertete Unternehmen oder einen verbundenen Dritten erbringen. Das gilt für die Beratung in Bezug auf die Unternehmens- oder Rechtsstruktur, Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten des bewerteten Unternehmens oder eines verbundenen Dritten. In diesem Sinne stellt eine Ratingagentur auch sicher, dass ihre Analysten weder formell noch informell Vorschläge unterbreiten oder Empfehlungen abgeben, die die Konzeption strukturierter Finanzinstrumente betreffen, zu denen von der Ratingagentur ein Rating erwartet wird.

3.12.   Eine Ratingagentur führt Aufzeichnungen und Prüfungspfade über ihre gesamten Tätigkeiten, auch über ihre geschäftlichen und technischen Beziehungen zu bewerteten Unternehmen. Diese Aufzeichnungen sind aufzubewahren und den zuständigen Behörden auf Anfrage zur Verfügung zu stellen.

Mitarbeiter

3.13.   Artikel 6 schreibt vor, dass am Rating beteiligte Mitarbeiter über angemessene Kenntnisse und Erfahrungen verfügen und nicht an geschäftlichen Verhandlungen mit bewerteten Unternehmen beteiligt sein dürfen; sie müssen mindestens zwei Jahre an den Ratings ein- und desselben Unternehmens arbeiten, dürfen aber nicht länger als vier Jahre daran mitwirken, und ihre Vergütung hängt nicht von den Erlösen aus den bewerteten Unternehmen ab, für die sie zuständig sind.

3.14.   Anhang 1 Abschnitt C enthält konkretere Vorschriften für Mitarbeiter. Danach ist es dem Analysten oder verbundenen Dritten untersagt, die Finanzinstrumente eines Unternehmens, für das er verantwortlich ist, zu besitzen oder damit zu handeln oder Geschenke oder Vorteile von diesem Unternehmen zu akquirieren. Weitere Bestimmungen betreffen die Vertraulichkeit und die Sicherheit von Informationen.

3.15.   Zwei Vorschriften regeln die spätere Anstellung eines Analysten bei einem Unternehmen, an dessen Rating er beteiligt war. Eine weitere Bestimmung besagt, dass die Arbeit eines Analysten, der zu einem bewerteten Unternehmen wechselt, in den vorangegangenen beiden Jahren zu überprüfen ist.

Ratingmethoden

3.16.   Laut Artikel 7 müssen die Ratingagenturen offenlegen, welche Methoden, Modelle und grundlegenden Annahmen sie verwendet. Sie treffen alle notwendigen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass die ihrem Rating zugrunde liegenden Informationen von ausreichend guter Qualität sind und aus zuverlässigen Quellen stammen.

3.17.   Eine Ratingagentur überwacht ihre Ratings und überprüft sie bei Bedarf. Wenn eine Ratingagentur ihre Methoden, Modelle oder grundlegenden Annahmen ändert, leitet sie unverzüglich Schritte ein, um die voraussichtlichen Auswirkungen bekanntzugeben, die betroffenen Ratings zu überprüfen und für diese entsprechend neue Ratings durchzuführen.

Bekanntgabe und Präsentation von Ratings

3.18.   Artikel 8 legt fest, dass eine Ratingagentur alle Ratings sowie jede Entscheidung zum Abbruch eines Ratings unterschiedslos und rechtzeitig bekanntgibt.

3.19.   Gemäß Abschnitt D des Anhangs 1 müssen die Ratingagenturen Folgendes offenlegen:

ob das Rating dem bewerteten Unternehmen vor seiner Publikation mitgeteilt wurde, und, wenn dies der Fall war, ob es nach dieser Offenlegung geändert wurde;

die Hauptmethode(n), die bei der Bestimmung des Ratings verwendet wurde(n);

die Bedeutung jeder Ratingkategorie;

das Datum, an dem das Rating erstmals veröffentlicht wurde, und das Datum seiner letzten Aktualisierung.

Ferner muss die Ratingagentur die entsprechenden Kennzeichen oder Einschränkungen des Ratings klar angeben, insbesondere zur Qualität der verfügbaren Informationen und deren Überprüfung.

3.20.   Für den Fall, dass keine verlässlichen Daten vorliegen oder die Struktur eines neuen Typs von Instrument oder die Qualität der verfügbaren Informationen nicht zufriedenstellend sind oder ernsthafte Fragen dahingehend aufwerfen, ob eine Ratingagentur ein glaubwürdiges Rating erbringen kann, verzichtet die Ratingagentur auf die Abgabe eines Ratings oder zieht ein vorhandenes Rating zurück.

3.21.   Bei der Ankündigung eines Ratings erläutert die Ratingagentur dessen wesentliche Faktoren. Insbesondere legt eine Ratingagentur, wenn sie ein strukturiertes Finanzinstrument bewertet, Ratinginformationen über Verluste sowie eine von ihr durchgeführte Cashflow-Analyse vor.

3.22.   Außerdem muss die Ratingagentur bei strukturierten Finanzinstrumenten ihre Bewertung der vertieften Prüfung der Basiswerte erläutern (etwa des Bestands an Subprime-Hypotheken). Wenn sie sich auf die Bewertung durch Dritte stützt, muss sie offenlegen, wie das Ergebnis dieser Bewertung das Rating beeinflusst hat.

3.23.   Artikel 8 regelt auch die Frage, dass Ratings für strukturierte Finanzinstrumente nicht mit Ratings für herkömmliche Schuldtitel vergleichbar sind. Dementsprechend müssen Ratingagenturen entweder unterschiedliche Symbole anwenden, auf die bekannten Buchstaben verzichten oder alternativ eine ausführliche Erklärung der unterschiedlichen Ratingmethode für diese Instrumente und der Art und Weise, in der sich das Risikoprofil von herkömmlichen Instrumenten unterscheidet, beifügen.

Allgemeine und regelmäßige Bekanntmachungen

3.24.   Die in Artikel 9 und 10 verlangten Offenlegungen sind in Anhang 1 Abschnitt E im Einzelnen aufgeführt. Die allgemeinen Angaben müssen jederzeit öffentlich zugänglich und auf dem aktuellen Stand sein. Die konkreten Angaben betreffen die wichtigsten regulatorischen Faktoren wie Interessenkonflikte, die Strategie in Bezug auf Veröffentlichungen, Grundsätze für die Vergütung ihrer Mitarbeiter, Methoden, Modelle und grundlegende Annahmen des Ratings, Veränderungen bei Strategien und Verfahren usw.

3.25.   Die regelmäßigen Angaben umfassen Daten über Ausfallquoten auf halbjährlicher und Daten über Kunden auf jährlicher Basis.

3.26.   Darüber hinaus ist ein jährlicher Transparenzbericht vorzulegen. Dieser beinhaltet detaillierte Angaben über die Rechtsstruktur und die Besitzverhältnisse der Ratingagentur, eine Beschreibung des internen Qualitätskontrollsystems, Statistiken über die Zuweisung von Personal, Einzelheiten zur Aufzeichnung von Ratings, das Ergebnis der jährlichen internen Überprüfung der Einhaltung des Unabhängigkeitsgebots, eine Beschreibung des Rotationsverfahrens für Personal und Klienten, Informationen über Einnahmequellen und eine Erklärung zur Unternehmensführung.

4.   Standpunkt des EWSA

4.1.   Ratingagenturen nehmen in der Finanzdienstleistungsbranche eine privilegierte Stellung ein, weil beaufsichtigte Unternehmen dieses Sektors erstklassige Wertpapiere halten müssen. Auf beiden Seiten des Atlantiks haben die Behörden beschlossen, für regulatorische Zwecke nur die Ratings sehr weniger Ratingagenturen anzuerkennen. Der EWSA fordert die Kommission auf, den neuen Registrierungsprozess zu nutzen, um das Ratinggeschäft für neue Ratingagenturen zu öffnen und insbesondere die Gründung einer unabhängigen europäischen Agentur zu fördern und die Finanzregulierung so zu fassen, dass Ratings aller in der EU registrierten Ratingagenturen zu regulatorischen Zwecken anerkannt werden.

4.2.   Hauptgrund für das Oligopol der Ratingagenturen ist die Regulierung der Finanzdienstleistungen, durch die Vertrauen in die Bewertung der Kapitalrücklagen gesetzt wird. Aber insbesondere angesichts der jüngsten Erfahrungen mit einigen Ratings, die sich als wertlos herausstellten, fordert der EWSA die Regulierungsbehörden der EU auf, sich nicht über Gebühr auf Ratings zu stützen.

4.3.   Darüber hinaus ersucht der EWSA die Kommission, sich mit der Frage des Haftungsausschlusses von Ratingagenturen zu befassen. Dort heißt es in der Regel, dass „ein Nutzer seine Anlageentscheidungen nicht auf der Grundlage der von Ratings Services veröffentlichten Kreditratings oder sonstiger von Ratings Services veröffentlichten Meinungsäußerungen treffen (sollte)“. Das Argument, Ratings seien nur eine Meinung und sollten nicht als Entscheidungsgrundlage dienen, ist eine Verhöhnung des Konzepts von Eigenkapitalvorschriften, wie die aktuelle Krise zeigt. Die neue Verordnung sollte auch die Bedingung enthalten, dass Ratingagenturen hinter ihren Ratings stehen.

4.4.   Der EWSA hat nichts gegen den Vorschlag, dass Ratingagenturen eine juristische Person mit Sitz in der Gemeinschaft sein müssen und dass die Zuständigkeit für sie bei der Regulierungsbehörde des Herkunftsmitgliedstaats liegen soll. Der EWSA lehnt aber nicht von vornherein die Idee der Schaffung einer neuen Aufsichtsbehörde auf EU-Ebene ab, sofern sich die Regelungen für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten als nicht ausreichend erweisen sollten.

4.5.   Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass es sich nicht um eine „zahnlose“ Verordnung handelt, wie in Artikel 21 und 31 deutlich wird (siehe 3.5 und 3.7). Das Fehlen durchgreifender Sanktionen ist ein großer Kritikpunkt an vergleichbaren Regulierungen in den USA. Wichtig ist, dass Sanktionen in allen Mitgliedstaaten mit der gleichen Durchschlagskraft angewendet werden. Nach Meinung des EWSA sollte dies durch den Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) koordiniert werden.

4.6.   Die vorgeschlagenen organisatorischen und operationellen Regelungen sind zufriedenstellend konzipiert. Die Bedingung, dass drei unabhängige, nicht geschäftsführende Direktoren zu benennen sind, steht im Einklang mit dem im Vereinigten Königreich und andernorts geltenden Kodex für die Unternehmensführung. Die unabhängigen, nicht geschäftsführenden Direktoren werden eine maßgebliche Rolle spielen. Ihr Verhalten und ihre Arbeit wird über den Erfolg der organisatorischen Vorschriften entscheiden. Der EWSA ist der Auffassung, dass verbindlich vorgeschrieben werden sollte, dass jede Besetzung einer nicht geschäftsführenden Stelle vorab von der zuständigen Behörde zu genehmigen ist. Eine solche Zustimmung ist für den vorgeschlagenen Rahmen unabdingbar.

4.7.   Die Ratingagentur Fitch gehört zu 80 % dem Unternehmen Fimalac SA und dieses wiederum zu 73 % Marc de Lacharrière. Bei S&P handelt es sich um eine Tochtergesellschaft der McGraw-Hill-Unternehmensgruppe. Bis zum Jahr 2000 war Moody’s eine Tochter von Dun&Bradstreet. Aus den Recherchen der „Financial Times“ geht hervor, dass die Professionalität von Moody’s nach 2000 möglicherweise durch Börsenzwänge beeinträchtigt wurde. Der EWSA fordert die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten auf, im Rahmen ihrer organisationsbezogenen Überwachung die Verbindung zwischen dem Ratinggeschäft und den Erwartungen von Anteilseignern aufmerksam zu beobachten. Besonderes Augenmerk sollte der Struktur von Prämien für die Geschäftsführung gelten.

4.8.   Im operationellen Bereich sind die unter Punkt 3.11 aufgeführten Verbote von zentraler Bedeutung für die Kontrolle und zur Vermeidung des wichtigsten Faktors bei festgestellten Interessenkonflikten. Eine Ratingagentur darf fortan kein Unternehmen mehr bewerten, für das sie beratend tätig gewesen ist.

4.9.   Auch die Vorschriften zum Mitarbeiterstab stellen darauf ab, Interessenkonflikte auszuräumen. Wie bei externen Prüfern ist auch hier der Zeitraum, in dem ein Analyst mit einem Kunden in Beziehung stehen darf, begrenzt, wenngleich die Vierjahresfrist gelockert und auf fünf Jahre ausgedehnt werden könnte. Ebenfalls wie bei Prüfern und allen Zweigen der Finanzdienstleistungsbranche dürfen Analysten keine Anteile oder Aktien eines Kunden besitzen. Der EWSA ist erfreut darüber, dass diese sinnvollen Regelungen jetzt auch von Ratingagenturen eingehalten werden.

4.10.   Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Bestimmungen von Artikel 7. Mit ihnen wird gegen die in der Untersuchung der US-Wertpapieraufsichtsbehörde (SEC) festgestellten offensichtlichen Missstände vorgegangen. Die Veröffentlichung der Methoden wird deutlich machen, ob Ratings über abgekürzte Verfahren oder Umgehungen zustande gekommen sind. Außerdem ist die Ratingagentur jetzt verpflichtet, ihre Informationsquellen zu prüfen und sicherzustellen, dass diese für die Erstellung eines Ratings hinreichend zuverlässig sind. Ebenso wichtig ist, dass die Vorschriften, die für die Änderung von Methoden und Annahmen gelten, wären sie bereits in Kraft gewesen, die RMBS-Fehlbewertungen schon lange vor 2007 ans Licht gebracht hätten. Der EWSA schlägt vor, die Einhaltung von Artikel 7 genau zu überwachen; erforderlichenfalls könnten seine Bestimmungen strenger gefasst werden.

4.11.   Artikel 8 schließt den Kreis durch die Vorschrift der Offenlegung der Art und Weise, wie die Ratingagentur die Bestimmungen des Artikels 7 bei jedem Geschäft angewendet hat. Was die Offenlegung anbelangt, so nimmt der EWSA mit besonderer Genugtuung zur Kenntnis, dass die EU bei strukturierten Produkten weiter geht als die USA, indem sie verlangt, dass mögliche Anleger auf die eine oder andere Art auf die potenziell „toxischen“ Merkmale dieser Produkte hingewiesen werden.

4.12.   Einwände gegen gesonderte Ratingsymbole für strukturierte Produkte richten sich vor allem dagegen, dass nach massiven Herabstufungen Anleihen mit dieser speziellen Kennzeichnung als minderwertige Anlagen eingestuft werden könnten. Dies wäre aus Sicht des EWSA nichts Schlechtes, bis das Ratingansehen solcher Anleihen wieder hergestellt ist.

4.13.   Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) hat darauf aufmerksam gemacht, dass in Drittländern erstellte Ratings in der vorgeschlagenen Verordnung nicht speziell behandelt werden. Der EWSA unterstützt den Vorschlag des AStV, dass solche Ratings für regulatorische Zwecke in der EU herangezogen werden können, wenn sie von einer bereits in der EU registrierten Ratingagentur bestätigt werden und unter der Voraussetzung, dass

die beiden beteiligten Agenturen derselben Gruppe angehören;

die Agentur des Drittlands sich an Vorschriften hält, die den in der EU geltenden vergleichbar sind;

ein objektiver Grund für die Erstellung eines Ratings in dem Drittland besteht;

bereits eine Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden zuständigen Behörden besteht.

4.14.   Den verschiedenen Offenlegungen sowohl für regulatorische Zwecke als auch zur Unterrichtung des Marktes kann zugestimmt werden, vielleicht mit zwei Vorbehalten.

Ausfallquoten sind wichtig, weil sie ein Maß für die Qualität der Ratingtätigkeit jeder Ratingagentur darstellen. In den USA bestehen spezielle Anforderungen: Die Ratingagenturen müssen für die einzelnen Ratingkategorien Leistungsstatistiken für ein Jahr, drei Jahre und zehn Jahre veröffentlichen, so dass ersichtlich wird, wie gut sie mit ihren Ratings Ausfälle vorhergesehen haben. Der EWSA würde es befürworten, wenn die Bestimmung in der EU-Verordnung in diesem Punkt sehr konkret formuliert würde.

Eine weitere Anforderung lautet, dass Kunden offengelegt werden müssen, deren Anteil am Umsatz über 5 % beträgt. Diese Grenze könnte zu niedrig sein. Der EWSA fordert den Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) auf, dies eingehender zu prüfen.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/125


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan zur Umsetzung der EU-Tiergesundheitsstrategie“

(KOM(2008) 545 endg.)

(Zusätzliche Stellungnahme)

(2009/C 277/26)

Alleinberichterstatter: Leif Erland NIELSEN

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 24. Februar 2009 gemäß Artikel 29 Buchstabe A der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung, eine zusätzliche Stellungnahme zu folgender Mitteilung zu erarbeiten:

Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan zur Umsetzung der EU-Tiergesundheitsstrategie

(KOM(2008) 545 endg.).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 17. April 2009 an. Alleinberichterstatter war Leif Erland NIELSEN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 189 gegen 2 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Umsetzung der EU-Tiergesundheitsstrategie und würdigt, dass die Kommission die Bemerkungen des Ausschusses, die er im Zusammenhang mit der Vorlage des Vorschlags für die neue Strategie geäußert hat, weitgehend berücksichtigt hat. Der EWSA bekräftigt seine Forderung, die Bemühungen der EU um Vorbeugung, Überwachung und Bekämpfung gefährlicher Tierseuchen, von denen ein Großteil nach wie vor eine globale Bedrohung darstellt, zu verstärken. Daher hofft der EWSA weiterhin, dass die künftigen EU-Bestimmungen in möglichst großem Umfang für andere Handelspartner Beispielcharakter erlangen. Die Kommission sollte zu einem klaren Verständnis der neuen EU-Rechtsvorschriften in relevanten Drittstaaten beitragen sowie die Sachkenntnis und die Ressourcen der Mitgliedstaaten bei der Krisenlösung nutzen. In Bezug auf die Entwicklungsländer sollten indes noch mehr Anstrengungen unternommen werden, und als eine der ersten Prioritäten sollten Indikatoren entwickelt werden, da diesen eine fundamentale Bedeutung zukommt. Außerdem ist es wichtig, den Veterinärfonds beizubehalten und die Mitfinanzierung durch die Mitgliedstaaten zu harmonisieren, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

2.   Hintergrund

2.1.   2007 stimmte der EWSA dem Vorschlag der Kommission für eine neue Tiergesundheitsstrategie für den Zeitraum 2007-2013 (1) zu. Der vorliegende Aktionsplan ist eine konkrete Ausgestaltung der Strategie mit einem Zeitplan für die 31 Einzelinitiativen (2), die innerhalb der vier Einsatzbereiche (Festlegung von Prioritäten, Rechtsetzungsrahmen, Prävention und Forschung) bis 2013 durchgeführt werden sollen. Die wichtigsten Elemente sind ein neues EU-Tiergesundheitsrecht sowie eine Überarbeitung der Aufteilung von Kosten und Zuständigkeiten. Hinzu kommen die auf längere Sicht angestrebte Mitgliedschaft der EU in der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE), Maßnahmen gegen Hygieneschranken für den Export, Kategorisierung und Gewichtung von Risiken im Zusammenhang mit Tierkrankheiten und von chemischen Risiken, Leitlinien für Biosicherheit im Viehbestand und an den Grenzen, Entwicklung elektronischer Informationssysteme, Ausbau der Antigen- und Impfstoffbanken der EU, Entwicklung neuer Arzneimittel und Impfstoffe sowie Überwachung der Resistenz von Zoonose-Erregern gegen Antibiotika. Übergeordneter Zweck ist es, die geltenden und neuen Rechtsvorschriften zu vereinfachen und zu verbessern sowie effizientere Bestimmungen zu garantieren. Deshalb will die Kommission die einzelnen Vorschläge systematisch bewerten und mögliche Alternativen abwägen, um bessere bzw. einfachere Rechtsvorschriften zu gewährleisten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.   Der Aktionsplan ist relevant und fundiert und der EWSA schätzt die große Offenheit und den Willen zur Zusammenarbeit, die den Prozess bisher geprägt haben, darunter auch die Berücksichtigung der Bemerkungen des EWSA durch die Kommission. Abgrenzung und Gewichtung der Bereiche, die der Aktionsplan umfassen soll, sollten indes vorangetrieben werden. Dabei sollte gegeneinander abgewogen werden, wie groß das Risikopotenzial dieser Krankheiten für den Menschen ist, welche Leiden sie bei Tieren verursachen und wie die wirtschaftlichen Folgen für Erzeuger und Unternehmen aussehen.

3.2.   Wie der EWSA bereits früher festgestellt hat, ist es für die Glaubwürdigkeit der EU entscheidend, dass die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten ihre selbst gesetzten Fristen für die Vorlage, Annahme und Umsetzung der konkreten Vorschriften einhalten, was leider eher die Ausnahme als die Regel ist. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Kommission zumindest realistische Fristen für die Vorlage eigener Vorschläge und Berichte setzt und diese Fristen in der Praxis einhält.

3.3.   Im Zusammenhang mit den Fristen für die einzelnen Maßnahmen sollte deshalb überdies deutlich gemacht werden, dass der „angegebene vorläufige Zeitplan für die“ gesetzgeberischen Initiativen bzw. die „vorgesehene Frist für den Abschluss“ sich auf die Vorlage des Vorschlags und nicht auf den endgültigen Beschluss bezieht, der das Ergebnis eines nachfolgenden und zeitaufwendigen Beschlussfassungsprozesses sein wird. Besonders unklar ist die Aussage, dass die besonderen Maßnahmen für den Tierschutz, die in dem entsprechenden Aktionsplan von 2006 (3) dargelegt werden, jetzt integraler Bestandteil der Tiergesundheitsstrategie werden, da der Zeitplan für einen Großteil dieser Maßnahmen bereits kurz nach der Vorlage des Aktionsplans überschritten war.

3.4.   Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die einzelnen Maßnahmen zu einem höheren Schutzniveau führen und dass die Maßnahmen effizienter werden. Dabei ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie den Bemühungen um Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds Rechnung zu tragen. Außerdem ist es wichtig, dass die Folgemaßnahmen zur Tiergesundheitsstrategie in offener Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und Interessengruppen ergriffen werden, u.a. über den Kommunikationsplan und den Beratungsausschuss für Tiergesundheit.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Der EWSA unterstützt das übergreifende Ziel, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der die gemeinsamen Grundsätze und Anforderungen für die Tiergesundheit definiert und die Berührungspunkte mit der geltenden Rechtsetzung in Bereichen wie Tierschutz, Lebensmittelsicherheit, Gesundheitswesen oder Agrarpolitik angibt. Die beabsichtigte Vereinfachung und Verbesserung der Effizienz der Rechtssetzung wird auch dazu beitragen, einen überschaubareren und offeneren Politikbereich zu schaffen, setzt jedoch einen bereichsübergreifenden Zugang sowie die Berücksichtigung der Belange von Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit und Seuchenbekämpfung voraus. Die Synergien in diesen Bereichen müssen genutzt werden und der Tierschutz sollte in höherem Maße und zu einem früheren Zeitpunkt dort, wo er relevant ist, als Bestandteil der Tiergesundheit berücksichtigt werden.

4.2.   Die Kategorisierung der Tierkrankheiten und die Definition des „annehmbaren Risikoniveaus“ stellen eine große Herausforderung für die partnerschaftliche Zusammenarbeit dar. Die Arbeit sollte zunächst auf einer wissenschaftlichen Grundlage erfolgen, so dass die Krankheiten nach epidemiologischen Gesichtspunkten und Kontrollmöglichkeiten kategorisiert werden. Gleichzeitig ist es jedoch erforderlich, dass die wirtschaftlichen und kommerziellen Auswirkungen der Krankheiten in die Bewertung einfließen.

4.3.   Die Interventionen und Ressourcen werden sich laut Aktionsplan „auf Tierseuchen mit hoher Relevanz für die Öffentlichkeit konzentrieren“. Das sind naturgemäß Krankheiten, die eine Bedrohung für die menschliche Gesundheit darstellen, aber unter „Relevanz für die Öffentlichkeit“ und die damit verbundene Finanzierung sollten auch Krankheiten fallen, die ernsthafte wirtschaftliche Auswirkungen auf die Branche und damit auf die Wirtschaft der Mitgliedstaaten haben.

4.4.   Außerdem ist es bei einer Vereinfachung und Überarbeitung der bestehenden einschlägigen Rechtsetzung entscheidend, eine größere Harmonisierung der EU-Vorschriften und der Empfehlungen der OIE vorzusehen. Gleichzeitig sind unzweckmäßige Wettbewerbsbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten und gegenüber Drittstaaten zu vermeiden. Bei der Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften für das Veterinärwesen und den Tierschutz muss sich die EU deshalb darum bemühen, diese für Drittstaaten nachvollziehbar zu machen und die Vorschriften weitestgehend zu harmonisieren.

4.5.   Das angestrebte „effektive und verantwortliche Modell zur Kostenteilung“ sollte weiterhin auf einer gemeinsamen Finanzierung durch die EU und die Mitgliedstaaten beruhen, aber auch auf der Verantwortung der Branche sowie der aktuellen Kosten für die Vorbeugung und Bekämpfung von Krankheiten. Die Finanzierung durch die EU über den Veterinärfonds sollte demnach beibehalten, aber die Mitfinanzierung durch die Mitgliedstaaten sollte harmonisiert werden, um Wettbewerbsverzerrungen infolge einer unterschiedlichen Verteilung der Finanzierung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren zu vermeiden. Es sollte Möglichkeiten zur Erstattung direkter und indirekter Kosten geben, so dass der Anreiz, den Ausbruch gefährlicher Tierseuchen zu melden, in der künftigen Tiergesundheitsstrategie unbedingt erhalten bleibt. Wie die Kommission feststellt, wird es erforderlich sein, die bestehenden Möglichkeiten gründlich zu analysieren, bevor Vorschläge für ein harmonisiertes Modell zur Kostenteilung ausgearbeitet werden.

4.6.   Der Futtermittelsektor ist für die Tiergesundheit von großer Bedeutung und der Umgang mit Futtermitteln ist deshalb für die Seuchenbekämpfung wichtig. Der EWSA vermisst indes eine genauere Begründung für den Vorschlag, im Futtermittelsektor Finanzgarantien einzuführen - anscheinend wurde dabei den Schlussfolgerungen des Berichts über die Finanzgarantien im Futtermittelsektor (4) nicht Rechnung getragen.

4.7.   Wie der EWSA bereits früher hervorgehoben hat, sollten Impfungen unter anderem mit Blick auf die Akzeptanz in der Bevölkerung im Rahmen der Bekämpfung von Tierseuchen eingesetzt werden, wenn dadurch die Keulung gesunder Tiere vermieden oder begrenzt werden kann. Wie auch die Kommission feststellt, sollte der Beschluss, ob geimpft wird, allerdings unter Berücksichtigung der konkreten Situation gefasst werden und auf anerkannten Prinzipien und Faktoren aufbauen, u.a. Zugänglichkeit und Wirksamkeit des Impfstoffes, validierte Tests, internationale Leitlinien und mögliche Handelshemmnisse, Kosteneffizienz sowie mögliche Risiken in Verbindung mit dem Einsatz des Impfstoffes.

4.8.   Hier besteht Bedarf nach weiterführender Forschung und Entwicklung, und in diesem Zusammenhang ist es entscheidend, dass sich die Kommission jenseits der Grenzen der EU um allgemeines Verständnis für die Impfpolitik der EU bemüht, um die Zahl der beim Export auftretenden Zweifelsfälle zu mindern.

4.9.   Bisher lag die akute Krisenbewältigung weitgehend in den Händen der einzelnen Mitgliedstaaten und der betreffenden Drittstaaten, und in diesem Zusammenhang ist es ganz entscheidend, dass die Probleme auch in Zukunft von den Beteiligten gemeinsam gelöst werden. Die derzeitige Arbeitsteilung hat gewiss Vorteile, weshalb auch weiterhin die Möglichkeit des individuellen Verhandlungsrechts gegeben sein muss, vorausgesetzt die Kommission wird auf dem Laufenden gehalten.

4.10.   In den meisten landwirtschaftlichen Betrieben werden heutzutage verschiedene Maßnahmen getroffen, die eine Kombination aus konkreten Handlungen, Routine und gesundem Menschenverstand sind. Wenn diese freiwilligen Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung, die zumeist auf Initiative der Erzeuger oder aufgrund eines Ratschlags der Verbände durchgeführt werden, im Zuge der Ausarbeitung eines Modells zur Kostenteilung erfolgen, ist damit jedoch eine große Rechtsunsicherheit verbunden.

4.11.   Selbst wenn es unmittelbar einleuchtend erscheint, zu bewerten, inwieweit ein Tiererzeuger im Einzelfall das Nötige getan hat, um die Einschleppung und Verbreitung einer Tierseuche zu verhindern, ist es problematisch, aufgrund dieser Bewertung über eine wirtschaftliche Entschädigung zu entscheiden. Angesichts des unzureichenden Wissens über die Wirkung von Vorbeugungsmaßnahmen für die verschiedenen Tierarten ist es zurzeit sehr gefährlich, derartige Regeln in der Praxis anzuwenden. Deshalb sind Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig, um entsprechende Möglichkeiten und deren Anwendbarkeit in der Praxis zu finden.

4.12.   Die Grundregeln für Biosicherheit sollten im Wege der Rechtsetzung ausgestaltet werden, die durch spezifischere Regeln in Form von Leitlinien ergänzt werden kann, die den verschiedenen Tierarten bzw. Produktionsformen (z.B. Nebenerwerbslandwirt) angepasst sind. Darüber hinaus ist ständige Aufklärungsarbeit im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Branchenverbänden erforderlich.

4.13.   Forschung, Entwicklung und Beratung sind für die Verwirklichung der Ziele der Strategie entscheidend. Forschung zahlt sich meistens erst zu dem Zeitpunkt aus, zu dem sie in Produktion, Beratung und Kontrolle umgesetzt wird. Deshalb ist der Wissenstransfer ein wichtiger Einsatzbereich. Der „Strategischen Forschungsagenda“ fehlt es demnach an einem Schwerpunkt zur Vorbeugung, in Form von Initiativen, bei denen die Veterinärmedizin keine Rolle spielt. Deshalb sollten die Tierzuchtverbände mehr in die Suche nach Lösungen eingebunden werden als die Kommission das anscheinend beabsichtigt.

4.14.   Bei etlichen Mitgliedstaaten ist zunehmend zu befürchten, dass die Normen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner festgelegt werden. Sofern dies den Interessen der Gemeinschaft nicht schadet, sollten die einzelnen Mitgliedstaaten eine Vorreiterrolle übernehmen können. Dadurch lassen sich Erfahrungen sammeln, die den anderen Mitgliedstaaten später eventuell zugute kommen. So plant die Kommission beispielsweise, erst für 2011 einen Vorschlag für die elektronische Kennzeichnung von Rindern - statt der Kennzeichnung durch Ohrmarken – vorzulegen, an den sich dann ein zeitraubender Beschlussfassungsprozess anschließt. Angesichts der klaren Vorteile in Form von Arbeitsersparnis für die Betriebe, einer verbesserten Registrierung der behandelten Tiere und einer dadurch sichereren Analyse sowie größeren Produktsicherheit sollte die beschleunigte Einführung möglich sein.

Brüssel, den 13. Mai 2009.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Mitteilung der Kommission über eine neue Tiergesundheitsstrategie für die Europäische Union (2007-2013) - „Vorbeugung ist die beste Medizin“ (KOM(2007) 539 endg.) und Stellungnahme des EWSA vom 16.1.2008, ABl. C 151 vom 17.6.2008.

(2)  In der Mitteilung der Kommission (KOM(2008) 545) geht es um 21 Initiativen, aber in der internen Planung wird mit 31 operiert, siehe z.B. http://ec.europa.eu/food/animal/diseases/strategy/pillars/action_en.htm.

(3)  Aktionsplan der Gemeinschaft für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren (KOM(2006) 13 endg.) und Stellungnahme des EWSA vom 26.10.2006, ABl. C 324 vom 30.12.2006.

(4)  Anhang zu dem Dokument KOM(2007) 469 betreffend Finanzgarantien im Futtermittelsektor und Erläuterung der bestehenden Vereinbarungen.