ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 204

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

51. Jahrgang
9. August 2008


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

443. Plenartagung am 12./13. März 2008

2008/C 204/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Die Zukunft des Binnenmarktes — Going global

1

2008/C 204/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission Ein Europa der Ergebnisse — Anwendung des GemeinschaftsrechtsKOM(2007) 502 endg.

9

2008/C 204/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufnahme der Stoffe 2-(2-Methoxyethoxy)ethanol, 2-(2-Butoxyethoxy)ethanol, Methylendiphenyl-Diisocyanat, Cyclohexan und Ammoniumnitrat in die Richtlinie 76/769/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und ZubereitungenKOM(2007) 559 endg. — 2007/0200 (COD)

13

2008/C 204/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung des gemeinsamen Unternehmens 'Brennstoffzellen und Wasserstoff'KOM(2007) 571 endg. — 2007/0211 (CNS)

19

2008/C 204/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (kodifizierte Fassung)KOM(2008) 23 endg. — 2008/0019 (COD)

24

2008/C 204/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (kodifizierte Fassung) KOM(2008) 26 endg. — 2008/0009 (COD)

24

2008/C 204/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne von Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (kodifizierte Fassung) KOM(2008) 39 endg. — 2008/0022 (COD)

25

2008/C 204/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission Transeuropäische Netze: Entwicklung eines integrierten KonzeptsKOM(2007) 135 endg.

25

2008/C 204/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (Neufassung)KOM(2007) 265 endg./3 — 2007/0099 (COD)

31

2008/C 204/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Reduzierung der CO2-Emissionen von Flughäfen durch ein neues Flughafenmanagement

39

2008/C 204/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den Leitlinien für die Anwendung von Artikel 81 des EG-Vertrags auf Seeverkehrsdienstleistungen

43

2008/C 204/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schiffsattesten für Binnenschiffe (kodifizierte Fassung)KOM(2008) 37 endg. — 2008/0021 (COD)

47

2008/C 204/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006KOM(2007) 355 endg. — 2007/0121 (COD)

47

2008/C 204/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Geografische Angaben und Ursprungsbezeichnungen

57

2008/C 204/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Verbesserung des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz — Reaktion auf Naturkatastrophen

66

2008/C 204/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen (Initiativstellungnahme)

70

2008/C 204/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische AsylsystemKOM(2007) 301 endg.

77

2008/C 204/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm zur Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung und zur Förderung des interkulturellen Verständnisses durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten (Erasmus Mundus) (2009-2013)KOM(2007) 395 endg.

85

2008/C 204/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan Erwachsenenbildung — Zum Lernen ist es nie zu spätKOM(2007) 558 endg.

89

2008/C 204/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Die Rolle der Sozialpartner bei der Verbesserung der Lage junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt

95

2008/C 204/21

Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Sicherung des allgemeinen Zugangs zur Langzeitpflege und eine nachhaltige Finanzierung der Langzeitpflegesysteme für ältere Menschen

103

2008/C 204/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/40/EG über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (18. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)KOM(2007) 669 endg. — 2007/0230 (COD)

110

2008/C 204/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Der EU-Haushalt und seine künftige Finanzierung

113

2008/C 204/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung verschiedener Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG vom 28. November 2006 über das gemeinsame MehrwertsteuersystemKOM(2007) 677 endg.

119

2008/C 204/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien: Die Rolle der Zivilgesellschaft

120

DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

443. Plenartagung am 12./13. März 2008

9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Die Zukunft des Binnenmarktes — Going global“

(2008/C 204/01)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Zukunft des Binnenmarktes — Going global“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr CASSIDY.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 39 gegen 9 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Ausschusses

1.1

Die Binnenmarktbeobachtungsstelle wurde vom EWSA eingerichtet, um die Fortschritte bei der Vollendung des Binnenmarktes zu verfolgen. Sie hat im Laufe der Jahre auf Ersuchen anderer Institutionen (des Rates, der Kommission, des Europäischen Parlaments bzw. von EU-Ratsvorsitzen (1)) eine Reihe von Sondierungsstellungnahmen erarbeitet, von denen sich die jüngste mit dem Fortschrittsbericht der Kommission „Überprüfung des Binnenmarktes“ beschäftigt (2). Darüber hinaus hat der EWSA in diesen Jahren eine Reihe von Initiativstellungnahmen vorgelegt.

1.2

Die vorliegende Initiativstellungnahme kommt zeitlich gelegen, da der Europäische Rat auf seiner Tagung am 18./19. Oktober 2007 beschlossen hat, dass die EU in den Bereichen Rechtsetzung und Marktöffnung weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen soll. Die EU kann die Globalisierung mitgestalten, wenn ihr Entwicklungsmodell als Kombination von nachhaltigem Wachstum, sozialer Gerechtigkeit und ökologischen Anliegen mit diesem Prozess verknüpft werden kann. Auf die Globalisierung ist die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung eine bessere Antwort als die Zuflucht zu Protektionismus.

1.3

Arbeitgeber und Gewerkschaften sind sich darin einig, dass das von den Sozialpartnern ausgehandelte „Flexicurity“ (3)-Konzept für beide Seiten, d.h. sowohl für Unternehmen als auch für die Arbeitnehmer, Vorteile zu bieten vermag und somit den geeigneten Rahmen für eine Modernisierung der europäischen Arbeitsmärkte darstellt, die arbeitsrechtliche Aspekte, wirksame Systeme für lebenslanges Lernen und Weiterbilden sowie einen gesicherten und besseren sozialen Schutz umfasst. Außerdem wird ein effektiver sozialer Dialog (insbesondere in Form von Tarifverhandlungen) zu einem reibungslosen Funktionieren der Arbeitsmärkte beitragen.

1.4

Der EWSA nimmt die Mitteilung „Das europäische Interesse: Erfolg im Zeitalter der Globalisierung“ (4) zur Kenntnis, welche die Kommission für die informelle Tagung des Europäischen Rates zum Thema Lissabon-Strategie vorgelegt hat.

1.5

Der Erfolg des Binnenmarktes bei so vielen Aktivitäten innerhalb der EU wird von der Mehrzahl der EU-Bürger als selbstverständlich hingenommen. Der Binnenmarkt ist aber kein abgeschlossener Prozess, sondern eher, um mit den Worten von Kommissionsmitglied McCreevy zu sprechen, eine „Baustelle“ (5). Abgesehen von der Notwendigkeit, den Binnenmarkt weiterzuentwickeln, muss sich die EU nun auch der Globalisierung stellen und für den Grundsatz der offenen Märkte, auf dem die Union beruht, eintreten — d.h. für eine Welt mit unverfälschtem Wettbewerb, in der Protektionismus keinen Platz hat.

1.6

Ein Teil der globalen Mission der EU besteht darin, harmonisierte Standards bei einem freiem Kapital-, Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr zu schaffen. Das bedeutet, dass nicht zugelassen werden darf, dass Drittländer, die in der EU Geschäfte machen wollen, die Vorschriften des Binnenmarkts umgehen, seien es Vorschriften zum Verbraucherschutz, technische Standards, Vorschriften zu Arbeitsbedingungen oder zum Umweltschutz.

1.7

Wichtige Faktoren des schwierigen Prozesses der Globalisierung sind die Rolle der Welthandelsorganisation, die ILO und die immer enger miteinander verflochtenen Finanzmärkte der Welt, deren gegenseitige Abhängigkeit die Finanz- und Börsenkrise in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 deutlich gezeigt hat.

1.8

Der europäische Binnenmarkt alleine ist keine ausreichende Lösung. Die EU muss Handel treiben und ihre Beziehungen zu dem Rest der Welt ausbauen. Außerdem muss sie wettbewerbsfähig bleiben, damit Arbeitnehmer, Arbeitgeber und überhaupt alle Bürger profitieren können. Die Lissabon-Strategie wurde zu dem Zweck entwickelt, dieses Ziel zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt zu erhöhen. Die EU selbst muss dafür Sorge tragen, dass die verbleibenden internen Handelsschranken abgebaut werden.

1.9

Diese Initiativstellungnahme soll die EU dazu anspornen, die Herausforderungen der Globalisierung anzunehmen und die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Der wirtschaftliche Erfolg Europas beruht nicht auf Protektionismus, sondern auf den vier Grundfreiheiten, auf denen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ursprünglich errichtet wurde. (Die EU muss immer noch einige ihrer eigenen Handelsbeschränkungen überwinden.)

1.10

Auch sollte sie sich davor hüten, den gleichen Fehler wie die USA zu begehen und die Erzeugung von Biokraftstoffen zu subventionieren. Wenn solche unwirtschaftlichen Subventionen nicht mit Hilfe der WTO unter Kontrolle gehalten werden, werden sie unvermeidlich zu steigenden Nahrungsmittelpreisen führen und das Problem des Hungers in den Entwicklungsländern verschärfen (6).

1.11

Der EWSA nimmt die Empfehlungen der Sozialpartner zur Kenntnis, die diese in ihrer gemeinsamen Überprüfung und Analyse der wichtigsten Herausforderungen, vor denen die europäischen Arbeitsmärkte stehen, dargelegt haben (7), und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten zu deren Beachtung auf.

1.12

Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission (8) als Beitrag zur informellen Tagung des Europäischen Rates zum Thema Lissabon-Strategie. Dies gilt insbesondere für die vier strategischen Bereiche, die für die EU und ihre Mitgliedstaaten seinerzeit vereinbart wurden: FuE und Innovation, günstiges Unternehmensumfeld, Humaninvestitionen sowie Energie und Klimawandel. Die Reformagenda muss jedoch in allen vier Bereichen tiefer greifen, um das tatsächlich vorhandene Wachstums- und Beschäftigungspotenzial auszuschöpfen.

1.13

Der EWSA fordert die Kommission und den Rat auf, sicherzustellen, dass die Sozialpartner intensiv an der Ausarbeitung und Durchführung politischer Maßnahmen zur Umsetzung des „Flexicurity“-Konzepts auf nationaler Ebene beteiligt werden.

1.14

Die Unternehmen und Arbeitnehmer der EU dürfen im Wettbewerb mit Unternehmen und Arbeitnehmern aus Drittländern nicht benachteiligt werden, nur weil die EU bei der Förderung fortschrittlicher ökologischer Verfahrensweisen Weltspitze sein möchte.

1.15

Die Lösung ist, dass die EU bei internationalen Verhandlungen zum Thema globale Erwärmung nachdrücklich und ausdauernd mit einer Stimme spricht und die Länder, die ökologischen Problemen wenig Beachtung schenken, unter Druck setzt.

2.   Erfolg im Zeitalter der Globalisierung — die Hauptelemente

2.1

Die Mitteilung der Kommission als Beitrag zur Oktober-Tagung der Staats- und Regierungschefs ist eine Folgemaßnahme der informellen Ratstagung in Hampton Court im Oktober 2005, auf der sich die Staats- und Regierungschefs mit den Herausforderungen der Globalisierung in Bereichen wie Innovation, Energie, Migration, Bildung und Demografie auseinander gesetzt haben. Das Jahr 2007 steht für den Konsens, Europa eine Vorreiterrolle im Klimaschutz zu übertragen und eine europäische Strategie für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energieversorgung zu entwickeln — kurz: eine dritte industrielle Revolution in Europa einzuläuten.

2.2

Die Globalisierung und ihre Vor- und Nachteile sind stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Von den einen wird sie begrüßt, von den anderen gefürchtet, und durch sie sind einige der aus der Nachkriegszeit stammenden Grundvorstellungen ins Wanken geraten, etwa über die Weltwirtschaft (z.B. die Dominanz der USA) und darüber, wie der Staat den Bürgern dabei helfen kann, sich auf den Wandel einzustellen. Die Globalisierung stellt nicht nur eine Herausforderung für die EU dar, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten.

2.3

In fünfzig Jahren europäischer Integration sind die wirtschaftlichen Geschicke der Mitgliedstaaten so eng verwoben worden wie nie zuvor, und es sind soziale Fortschritte ungeahnten Ausmaßes ermöglicht worden. In der nächsten Etappe sollte Europa in die Lage versetzt werden, den Prozess der Veränderungen der Weltwirtschaft maßgeblich mitzugestalten und die Schaffung internationaler Standards ausgehend von den Werten der EU herbeizuführen.

2.4

Die Währungsunion und der Erfolg des Euro werden weiterhin Katalysatorfunktion für eine tiefere Marktintegration und eine Stärkung des Binnenmarktes haben. Ein Umfeld, das sich durch niedrige Inflation, geringe Zinssätze, preisgünstige und durchschaubare Transaktionen sowie eine stärkere Finanzintegration auszeichnet, hat eine größere Anziehungskraft für den grenzüberschreitenden Handel und Investitionen in der EU und hilft den Unternehmen der EU, im weltweiten Wettbewerb zu bestehen. Nach außen bietet der Euro Sicherheit gegenüber den aktuellen Marktturbulenzen. Außerdem hilft die Stärke der Währung, einige der Folgen der Preissteigerungen auf den globalen Nahrungsmittel- und Energiemärkten, die vor allem durch die starke Nachfrage bei aufstrebenden Wirtschaftsgiganten entstehen, abzumildern. Gleichwohl sollte die Stärke des Euro den wirtschaftlichen Fundamentaldaten entsprechen. Ein schneller Wertanstieg des Euro, begünstigt durch einen zu hohen Leitzins der EZB und mitverursacht durch eine Währungspolitik in anderen Teilen der Welt, bei der die eigene Währung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit abgewertet wird, gefährdet den Wohlstand in der EU. Diese Aufwertung ist für europäische Unternehmen, die in Euro produzieren und in Dollar verkaufen, ein großer Nachteil und verursacht damit die Gefahr von Unternehmensverlagerungen.

3.   Die Außenwahrnehmung des Binnenmarktes

3.1   Liberalisierung des Handels

Die Welthandelsorganisation ist das wichtigste Instrument zur Liberalisierung des internationalen Handels. Eine erfolgreiche Doha-Runde könnte für die EU die Öffnung der Märkte in über 100 Ländern der Erde bedeuten. Der langsame Fortschritt der Verhandlungen ist äußerst entmutigend. Neben den WTO-Handelsabkommen werden viele bilaterale Handelsabkommen abgeschlossen. Sowohl für Unternehmen als auch für die Arbeitnehmer besteht ein dringender Bedarf, Zugang zu den wachstumsstarken Märkten wichtiger Handelpartner zu bekommen. Die Strategie der EU, Freihandelsabkommen mit Korea, den ASEAN-Ländern und Indien auszuhandeln, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Diese Abkommen müssen so weit gespannt und ehrgeizig wie möglich sein, und sie müssen sich auf Waren (unter Berücksichtigung nichttarifärer Handelshemmnisse), Dienstleistungen, Investitionen, geistiges Eigentum, Handelserleichterungen, Wettbewerbspolitik, Umweltnormen und ILO-Standards erstrecken. Es wäre auch zu überlegen, ob ein SOLVIT-Modell bei diesen Abkommen gewählt werden sollte.

3.2

Neben direkten Freihandelsabkommen sieht der EWSA weitere innovative Möglichkeiten, die anhaltenden praktischen Schwierigkeiten, denen man im bilateralen Kontext gegenübersteht, zu lösen: er verweist diesbezüglich auf die Diskussionen des Transatlantischen Wirtschaftsrats, der nach dem Gipfeltreffen EU/USA am 30. April eingerichtet wurde. Während des ersten Treffens dieses Wirtschaftsrates am 9. November wurden erhebliche Fortschritte beim Ansatz zur Verbesserung der Handels- und Investitionsbedingungen im größten Handelspartnerland der EU erzielt. Die offenen Fragen müssen nicht notwendigerweise auch andere Handelsblöcke betreffen, was solche bilateralen Vereinbarungen zu einem so wichtigen Instrument werden lässt. (Es heißt, dass die beiden Seiten seit April entscheidende Fortschritte bei der Abschaffung von Handels- und Investitionsbarrieren und bei der Lockerung der rechtlichen Auflagen erzielt haben.)

Das Abkommen betrifft folgende Punkte und Bereiche:

Die in den USA akzeptierten Rechnungslegungsstandards (GAAP): Die gemäß den International Financial Reporting Standards erstellten EU-Jahresabschlüsse werden nun bei an den US-Börsen notierten EU-Unternehmen akzeptiert.

Verbesserung der Sicherheit und Handelserleichterungen: Eine konkrete Planung des Wegs zur gegenseitigen Anerkennung von EU- und US-Handelspartnerschaftsprogrammen bis 2009 auf der Grundlage festgelegter wichtiger Leistungsstufen;

Erleichterung der Zulassung neuer Medikamente für seltene Krankheiten durch Annahme eines gemeinsamen Datenformats bei der Beantragung der Ausweisung von Medikamenten als Arzneimittel für seltene Leiden;

Maßnahmen der EU im Hinblick auf einen Gesetzesvorschlag, um Patienten den Zugang zu Informationen über zugelassene Arzneimittel zu ermöglichen;

die Kommission hat vorgeschlagen, dass die EU auch weiterhin den Import von Produkten gestattet, deren Etikett zur Senkung der Kosten des transatlantischen Handels Angaben sowohl nach dem angloamerikanischen als auch nach dem metrischen Maßsystem enthält;

vor dem nächsten Treffen des Wirtschaftsrates wird die Occupational Safety and Health Administration (OSHA) mit ihren Gesprächspartnern bei der Europäischen Kommission zusammentreffen, um die Fortschritte bei der Erleichterung des Handels mit Elektro-Artikeln hinsichtlich der Verfahren zur Konformitätsbewertung der Sicherheit zu besprechen und Bereiche festzulegen, in denen im nächsten Jahr Fortschritte erzielt werden können;

die Federal Communications Commission (FCC) wird die Liste der Produkte, für die eine Zertifizierung durch Dritte obligatorisch ist, überprüfen, um für Waren, die als zuverlässig bei der Einhaltung der entsprechenden Standards bekannt sind, eine Konformitätserklärung des Herstellers zuzulassen;

es ist ein Dialog zur Regulierung der Finanzmärkte in Gang gekommen, um festzustellen, wie und inwieweit sich gegenseitige Anerkennung im Bereich der Wertpapiere erreichen lässt und um andere Ansätze zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Handels im Bereich Finanzdienstleistungen auszumachen. Die Arbeit hat gerade erst begonnen und auf US/EU-Gipfeltreffen wird es eine Zusammenarbeit mit Interessenträgern geben, um weitere Prioritäten zu finden.

3.3

Außerdem sollte die Europäische Union auch ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nachbarländern wie der Ukraine und Russland vertiefen und stärken. Russlands Beitritt zur WTO, der gemeinsame Wirtschaftsraum EU/Russland und der neue Rahmenvertrag zwischen der EU und Russland sind wichtige Schritte zu einer wirklich strategischen Wirtschaftspartnerschaft. Die stärkere Zusammenarbeit sollte den Boden für weitere Verhandlungen über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bereiten, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen, Kapital und Menschen, Wissen und Technologie möglich ist.

3.3.1

Da die umfassenden Fragen einer strategischen Wirtschaftspartnerschaft nur teilweise durch den WTO-Beitritt beantwortet werden, sollten die EU und Russland ihre künftigen wirtschaftlichen Beziehungen soweit wie möglich auf Strukturen aufbauen, die über die WTO hinausgehen, um einen gemeinsamen Wirtschaftsraum für ein größeres Europa zu schaffen. Um ein deutlich größeres und tiefgehenderes Spektrum von Problemen als bei traditionellen Freihandelsabkommen anzugehen, bedarf es des entschiedenen Willens der EU und Russlands.

3.3.2

Das Abkommen zwischen der EU und Russland sollte unter anderem gemeinsame Vorschriften für die folgenden Punkte umfassen: Inländerbehandlung für grenzüberschreitende Investitionen, Abschaffung von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen, Angleichung von Vorschriften, gegenseitige Anerkennung von Normen und Konformitätsbewertung, Handelserleichterung und Zollbehandlung, Zusammenarbeit im Bereich Wettbewerb, Liberalisierung der Dienstleistungen, öffentliches Auftragswesen, gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Fragen, Schutz des geistigen Eigentums, Streitbeilegung und Anwendung internationaler Standards für die Rechnungslegung. Die europäischen Wirtschaftsraumabkommen sind Beispiele solcher umfassenden Vereinbarungen, in denen einige der genannten Bereiche geregelt werden.

3.4   FuE und Innovation

Das erfolgreiche Funktionieren des Binnenmarktes ist eine Voraussetzung, um Europas Innovationsfähigkeit zu steigern. Ein wirklicher Binnenmarkt bietet die größte Hebelwirkung und eine Öffnung für innovative Waren, Produkte und Dienstleistungen. Die FuE-Anstrengungen der „Cluster“ aus KMU und großen Unternehmen, der Forschungsinstitute, Universitäten und des neuen Europäischen Innovations- und Technologieinstituts müssen auf europäischer Ebene koordiniert werden. Dadurch wird die europäische Industrie insgesamt beim technologischen Fortschritt unterstützt, und dieser Fortschritt wird sich in den Produkten widerspiegeln und so dem gemeinsamen Ziel dienen, die Abwanderung von Investitionen aus der EU zu verhindern und die Industrie bei Produkten und Dienstleistungen mit höherem Mehrwert global wettbewerbsfähiger zu machen.

3.5

Die Globalisierung hat den Wandel beschleunigt — nicht nur in technologischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf unsere Ideenwelt, unsere Arbeit und unsere Lebensweise. Der EWSA hat sich wiederholt für entsprechende Zielsetzungen ausgesprochen und vertritt die Ansicht, dass Europa diesen Wandel mitgestalten und dabei seine besonderen europäischen Werte und die kulturelle Vielfalt einbringen kann, wenn es ihm gelingt, sein Innovations- und Kreativitätspotenzial freizusetzen.

3.6   Schutzmaßnahmen für das geistige Eigentum

Europas Anstrengungen im Bereich der Innovation müssen durch geeignete Bedingungen unterstützt werden, um das entsprechende geistige Eigentum, das beträchtliche Finanz- und Humaninvestitionen erfordert, zu schützen. Neben anderen Initiativen ist die Schaffung eines einheitlichen Gemeinschaftspatents erstrebenswert und de facto schon mehr als überfällig (9). Erfolge in diesem Bereich sorgen dafür, dass sich die Produkte aus der EU auf dem globalen Markt besser positionieren können.

Außerdem sind eine entschiedene Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte und ein gezieltes Vorgehen gegen Nachahmungen und Produkt- und Dienstleistungspiraterie von enormer Bedeutung. Dazu ist die Vollendung des rechtlichen Rahmens auf EU-Ebene eine wesentliche Voraussetzung. Eine größere internationale Zusammenarbeit ist ebenfalls erforderlich, um das Problem auf globaler Ebene anzugehen. Die von der Europäischen Kommission mit China, Russland und anderen Regionen geführten bilateralen Gespräche zum gewerblichen Rechtsschutz sind hier ein nützliches Instrument, aber sie müssen konkrete Resultate zeigen. Auch das neu vorgeschlagene Abkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie ist ein Schritt in die richtige Richtung.

3.7   Arbeitsbedingungen

Das Mindeste, was die EU tun kann, um der europäischen Industrie dabei zu helfen, im globalen Wettbewerb unter fairen Bedingungen anzutreten, ist sicherzustellen, dass andere Länder die von der ILO und in anderen internationalen Konventionen für die Arbeitsbedingungen festgelegten Mindeststandards bezüglich der persönlichen Rechte, der Vereinigungsfreiheit, des Rechts auf kollektive Organisierung und Tarifverhandlungen, der Gleichberechtigung und der Abschaffung der Kinder- und Zwangsarbeit einhalten.

3.8   Marktüberwachung importierter Produkte

Jüngste Berichte über minderwertige, gesundheitsgefährdende Importwaren haben das Fehlen einer effektiven Marktüberwachung in der EU gezeigt. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ungleiche Handelsbedingungen die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen der EU schmälern. Eine stärkere Marktüberwachung durch die Mitgliedstaaten sollte sicherstellen, dass die Angaben zu Qualitätsstandards von Herstellern außerhalb der EU überprüft werden, um eine Gleichbehandlung mit den Herstellern innerhalb der EU sicherzustellen und die Verbraucher in der EU vor minderwertigen und gefährlichen Waren zu schützen.

3.9   Sicherung der Energieversorgung — eine gemeinsame Außenpolitik der EU für Energie

Jüngere Entwicklungen im Energiesektor haben eine Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern notwendig gemacht, um eine strategische Energiepolitik zu schaffen, die von bilateralen Abkommen zwischen der EU und anderen Ländern getragen werden muss. Diese Abkommen müssen getroffen werden, um der Industrie die Planbarkeit künftiger Investitionen in der EU zu ermöglichen. Ein weiteres Ziel einer solchen Politik ist die Wahrung des Lebensstandards der Verbraucher in der EU. Die Mitgliedstaaten der Union müssen Energieversorgungsalternativen (z.B. erneuerbare Energien oder Kernenergie (10)) finden und ihre Abhängigkeit von Russland und dem Nahen Osten bei der Gas- und Ölversorgung (11) verringern. Der EWSA ruft die Kommission auf, sicherzustellen, dass ihr jüngst veröffentlichtes Energie- und Klimapaket (12) eine berechenbare Grundlage für die Zukunft bietet, negative wirtschaftliche Folgen — insbesondere auf die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Branchen der EU — vermeidet, die Weiterentwicklung führender europäischer Märkte in diesem Bereich unterstützt und Ökoinnovationen fördert.

3.10   Umweltfragen

Die Unternehmen und Arbeitnehmer der EU dürfen im Wettbewerb mit Unternehmen und Arbeitnehmern aus Drittländern nicht benachteiligt werden, nur weil die EU bei der Förderung fortschrittlicher ökologischer Verfahrensweisen Weltspitze sein möchte. Die Strategie, mit der die EU schneller als andere Länder höhere Standards setzen möchte, ist aus drei Gründen wirtschaftlich bedenklich:

1.

Die globale Erwärmung kann nicht von der EU alleine gebremst werden, und die Erfolge von EU-Maßnahmen werden eindeutig zunichte gemacht, wenn andere Länder nicht auch Schritte unternehmen, um Emissionen und den Verbrauch von Energie einzudämmen.

2.

Die EU sollte sich bemühen, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Hersteller nicht durch eine Steigerung der Produktionskosten aufgrund höherer Umweltsteuern zu schmälern und so deren globale Wettbewerbsposition zu verschlechtern. Außerdem würde das ein Abwandern von für den Binnenmarkt der EU strategisch wichtigen Investitionen aus der EU begünstigen.

3.

Der EWSA kann die Ansicht, dass höhere ökologische Standards den Forschungsbedarf für die Entwicklung umweltfreundlicher Produkte steigern würden, nicht teilen. Bis zur Erforschung und Markteinführung solcher Produkte wird eine lange Zeit vergehen. In der Zwischenzeit können die EU-Hersteller energieintensiver Produkte aufgrund der ungleichen Wettbewerbsbedingungen von Produzenten aus Ländern, die weniger Anstrengungen zur Emissionsreduzierung unternehmen, vom Markt verdrängt werden.

3.10.1

Die Lösung ist, dass die EU bei internationalen Verhandlungen zum Thema globale Erwärmung nachdrücklich und ausdauernd mit einer Stimme spricht und die Länder, die ökologischen Problemen wenig Beachtung schenken, unter Druck setzt. Wenn in der EU die Entscheidung getroffen wird, bestimmte Umweltstandards im Alleingang zu verschärfen, sollte für die Produkte aus Ländern, die für ihr umweltfeindliches Verhalten bekannt sind, über die Einführung von mit der WTO kompatiblen Grenzmaßnahmen nachgedacht werden, um Wettbewerbsnachteile für die europäischen Hersteller zu vermeiden.

3.10.2

Ein offenes globales Handelssystem liegt im Interesse der EU. Früher musste die EU ihre Bürger, Interessen und Werte schützen, in der heutigen Zeit aber kann die Lösung nicht im Protektionismus liegen. Im Handel und bei Investitionen ist die EU weltweit führend, und unsere offene Wirtschaft ermöglicht kostengünstige Produktionsfaktoren, niedrigere Preise für die Verbraucher, Wettbewerbsanreize für Unternehmen und neue Investitionen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die EU ihren Einfluss in internationalen Verhandlungen geltend macht, um auch von anderen Offenheit einzufordern: Offenheit lässt sich politisch nur dann rechtfertigen, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht.

3.10.3

Die Kommission muss dafür sorgen, dass die Exporteure und Investoren der EU in Drittländern ein angemessenes Niveau an Offenheit vorfinden und es Grundregeln gibt, die unsere Fähigkeit nicht beeinträchtigen, unsere Interessen zu schützen und unsere hohen Standards in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, sozialer Schutz, Umwelt und Verbraucherschutz zu sichern.

4.   Förderung von Beschäftigungsfähigkeit und Humaninvestitionen: mehr und bessere Arbeitsplätze schaffen

4.1

Die Globalisierung und der technologische Wandel können zu mehr Ungleichheit führen und die Kluft zwischen qualifizierten und nichtqualifizierten Arbeitskräften, zwischen armen und reichen Ländern vergrößern. Die beste Lösung besteht darin, durch Verbesserung der Qualität und Verfügbarkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung in jeder Lebensphase jeden Einzelnen und jedes Land bei seinem persönlichen Anpassungsprozess zu unterstützen.

4.2

Der EWSA und die Sozialpartner haben sich dazu geäußert, wie das „Flexicurity“-Konzept aussehen sollte, um den Menschen dabei helfen zu können, in Zeiten eines beschleunigten wirtschaftlichen Wandels den Übergang zu anderen Beschäftigungen erfolgreicher zu gestalten.

4.3

Die Annahme gemeinsamer Prinzipien zur Flexicurity durch den Rat „Beschäftigung und Soziales“ am 5. Dezember 2007 (13) ebnete den Weg für die Integration der Flexicurity in die nationalen Reformprogramme der Mitgliedstaaten und für eine anschließende Umsetzung in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Sozialpartnern.

4.4

Der EWSA würde es begrüßen, wenn aktive Maßnahmen zur Eingliederung und Chancengleichheit von Zielgruppen, die auf dem Arbeitmarkt diskriminiert werden (Über-50-Jährige, Frauen, ethnische Minderheiten und unterqualifizierte Schulabbrecher), stärker in den Mittelpunkt gerückt würden.

5.   Ein instabiler weltweiter Finanzmarkt

5.1

In der EU sind momentan die Auswirkungen einer globalen Finanz- und Börsenkrise zu spüren. Die Währungsunion und die schnelle Reaktion der EZB haben positive Folgen gehabt. Indem die EZB kurzfristig mehr Liquidität in die Geldmärkte pumpte, trug sie dazu bei, die Vertrauenskrise im Banksektor abzufangen, und reduzierte damit die Gefahr einer erheblichen Verschärfung der Kreditbedingungen für Unternehmen und Haushalte. Außerdem haben das Fehlen von Währungsrisiken und niedrige länderspezifische Risikoprämien dazu beigetragen, dass die empfindlicheren Wirtschaften der EU die Turbulenzen auf dem Finanzmarkt ohne große Schäden überstanden haben.

5.2

Die Turbulenzen auf dem globalen Finanzmarkt und eine Schwächung des US-Dollars treffen auch Europa: So hat eine spürbare Aufwertung des Euro, verursacht durch einen zu hohen Leitzins der EZB und durch eine Währungspolitik in anderen Teilen der Welt, bei der die eigene Währung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit abgewertet wird, fatale Folgen für die Wirtschaft der EU und ihre mittelfristige Entwicklung.

5.3

Die jüngsten Ereignisse auf den Finanzmärkten der Welt haben gezeigt, dass eine Stärkung vernünftiger Regeln, eine Verbesserung der Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Kontrollbehörden und den Zentralbanken und eine erhöhte Transparenz und Berichterstattung erforderlich sind.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Auf Ersuchen des britischen Ratsvorsitzes erarbeiteteABl. C 24 vom 31.1.2006, Berichterstatter: Herr RETUREAU.

(2)  ABl. C 93 vom 27.4.2007, Berichterstatter: Herr CASSIDY.

(3)  Berichterstatter: Herr JANSON, ABl. C 256 vom 27.10.2007.

Zwischenbericht der Sachverständigengruppe zum Thema „Flexicurity“20.04.2007: „Flexicurity ist eine politische Strategie zur gleichzeitigen und bewussten Verbesserung der Flexibilität der Arbeitsmärkte, Arbeitsorganisationen und Arbeitsbeziehungen auf der einen Seite und der Sicherheit — Beschäftigungssicherheit und soziale Sicherheit — auf der anderen Seite. Die grundlegenden Faktoren der Flexicurity-Strategie, d.h. Flexibilität und Sicherheit, sollten nicht als Gegensätze, sondern als sich gegenseitig unterstützende Faktoren gesehen werden. Die Förderung flexibler Arbeitsmärkte und die Sicherung eines hohen Niveaus an Sicherheit werden nur dann erfolgreich sein, wenn Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben wird, sich Veränderungen anzupassen, in Arbeitsverhältnisse einzutreten, auf dem Arbeitsmarkt präsent zu bleiben und sich im Laufe ihres Arbeitslebens weiterzuentwickeln. Daher wird im Flexicurity-Konzept eine aktive Arbeitsmarktpolitik stark betont und lebenslanges Lernen und lebenslange Weiterbildung unterstützt, aber genauso werden Systeme sozialer Sicherheit hervorgehoben, um Einkommenssicherung zu bieten und Menschen die Möglichkeit zu geben, Arbeit und Fürsorge zu kombinieren. Dies sollte auch zu mehr Chancengleichheit und einer größeren Gleichstellung der Geschlechter führen.“

(4)  KOM (2007) 581 endg. vom 3.10.2007.

(5)  Vgl. das von der Kommission im November 2007 verabschiedete Paket zur Überprüfung des Binnenmarkts: KOM(2007) 724 endg.

(6)  ABl. C 44 vom 16.2.2008 Berichterstatter Herr IOZIA.

(7)  Sozialpartner: EGB, CEEP, UEAPME und BUSINESSEUROPE „Key challenges facing European labour markets: a joint analysis of European social partners“ [Die wichtigsten Herausforderungen für die europäischen Arbeitsmärkte: eine gemeinsame Analyse der europäischen Sozialpartner], Oktober 2007.

(8)  Siehe Fußnote 4.

(9)  Für weitere Informationen zu den Maßnahmen der GD „Unternehmen und Industrie“ auf dem Gebiet des Schutzes des geistigen Eigentums siehe http://ec.europa.eu/enterprise/library/ee_online/art34_en.htm).

(10)  Einige Länder haben sich gegen jegliche Form der Kernenergie ausgesprochen und verbieten den Bau von Kernkraftwerken auf ihrem Staatsgebiet, importieren aber große Mengen mittels Kernenergie erzeugter Elektrizität, so z.B. Italien.

(11)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, Berichterstatter: Frau SIRKEINEN.

(12)  Die Energie- und Klimaaktion der Kommission wurde am 23. Januar 2008 gestartet. Siehe: http://ec.europa.eu/energy/climate_actions/index_en.htm.

(13)  Pressemitteilung des Rates 16139/07, Link: http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/07/st16/st16139.en07.pdf.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgenden Änderungsanträge, über die gemeinsam abgestimmt wurde und auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfielen, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

1.   Ziffer 2.4

Vorletzten Satz wie folgt abändern:

„(....) Ein schneller Wertanstieg des Euro, begünstigt durch einen zu hohen Leitzins der EZB und mitverursacht durch eine Währungspolitik in anderen Teilen der Welt, bei der die eigene Währung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit abgewertet wird, gefährdet den Wohlstand in der EU. (...).“

Begründung

Eine solch offene und schwerwiegende Kritik an der EZB in Form einer „Präzisierung“ kann nicht ohne eine vorangehende ausdrückliche Stellungnahme des EWSA zu diesem speziellen Argument geäußert werden. Die Frage der Zinssätze ist Gegenstand lebhafter Diskussionen und die Standpunkte dazu — alle bedenkenswert — weichen stark voneinander ab, aber es sei daran erinnert, dass die EZB mit der Steuerung der Zinssätze eine Aufgabe erfüllt, die ihr vom Vertrag zugewiesen wurde, nämlich die Bekämpfung der Inflation.

2.   Ziffer 5.2

Wie folgt abändern:

„Die Turbulenzen auf dem globalen Finanzmarkt und eine Schwächung des US-Dollars treffen auch Europa: So hat eine spürbare Aufwertung des Euro, verursacht durch einen zu hohen Leitzins der EZB und durch eine Währungspolitik in anderen Teilen der Welt, bei der die eigene Währung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit abgewertet wird, fatale Folgen für die Wirtschaft der EU und ihre mittelfristige Entwicklung.“

Begründung

Wie zu Ziffer 2.4, aber aus einem noch wichtigeren Grund: zunächst war gesagt worden, dass die Aufwertung des Euro durch die Politik der EZB „begünstigt“ worden sei, nunmehr heißt es: „verursacht“. Ein derart schwerwiegendes Urteil des EWSA kann nicht hingenommen werden, zumal es unter Verfahrensgesichtspunkten auch nicht korrekt ist.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 22 Nein-Stimmen: 29 Stimmenthaltungen: 8


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/9


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission „Ein Europa der Ergebnisse — Anwendung des Gemeinschaftsrechts“

KOM(2007) 502 endg.

(2008/C 204/02)

Die Europäische Kommission beschloss am 5. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission: Ein Europa der Ergebnisse — Anwendung des Gemeinschaftsrechts“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 59 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Kommission legt in ihrer Mitteilung „Ein Europa der Ergebnisse — Anwendung des Gemeinschaftsrechts“ vom 5. September 2007 (KOM(2007) 502 endg.) dar, dass von mehr als 9 000 legislativen Maßnahmen fast 2 000 Richtlinien sind, die jeweils zwischen 40 und 300 Umsetzungsmaßnahmen erfordern, und dass es in Anbetracht der großen Zahl von Europäern, die die Möglichkeit haben, sich darüber zu informieren, welche Rechte ihnen aus den Gemeinschaftsvorschriften erwachsen, erforderlich ist, auf dem Wege zu einer besseren Rechtsetzung das Augenmerk besonders auf die Anwendung des Rechts und die Ermittlung der Gründe für das Fortbestehen der Probleme der Rechtsanwendung und -durchsetzung gerichtet werden muss.

Sie schlägt somit vor, den bisherigen Ansatz zur Behandlung von Problemen mit der Anwendung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu verbessern.

1.2

Die Kommission ermittelt daher vier mögliche Ansätze zur Verbesserung der Rechtsanwendung:

a)

präventiv vorgehen: bessere Folgenabschätzungen, Risikobewertungen in die Kommissionsvorschläge einbeziehen, eine Korrelationstabelle in jeden Vorschlag aufnehmen, die nationalen Behörden in Gemeinschaftsrecht schulen;

b)

effizient und effektiv reagieren: Informationsaustausch mit den Unternehmen und dem Bürger sowie den nationalen Behörden verbessern, wobei der generelle Rückgriff auf „Paketsitzungen“ hier eine besondere Rolle spielt;

c)

Arbeitsmethodik verbessern: in jedem Mitgliedstaat eine zentrale Kontaktstelle benennen, die die Verbindung zwischen der zuständigen nationalen Behörde und der Kommission herstellt, und die Abwicklung von Vertragsverletzungsverfahren insbesondere durch Prioritätensetzung verbessern;

d)

Dialog und Transparenz fördern: den interinstitutionellen Dialog verbessern und allgemeine Informationen über die Effizienz des „neuen Ansatzes“ veröffentlichen.

1.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Absicht der Kommission, die Instrumente zu verbessern, die eine bessere Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten ermöglichen.

Er möchte diesbezüglich folgende Bemerkungen vorbringen:

2.   Problembeschreibung

2.1

Das Problem der fehlerhaften Anwendung und unzureichenden Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts resultiert größtenteils aus Mängeln bei der Umsetzung der Richtlinien. „Umsetzung“ kann hierbei definiert werden als der Vorgang, durch den ein Mitgliedstaat, an den die Richtlinie gerichtet ist, alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die Richtlinie mithilfe der geeigneten Regelungsinstrumente effektiv in die innerstaatliche Rechtsordnung zu übernehmen.

2.2

Die Umsetzung setzt die Erfüllung zweier Verpflichtungen seitens der Mitgliedstaaten voraus:

zum einen die Aufnahme des gesamten Regelungsgehalts der Richtlinie in nationales Recht;

zum anderen die Aufhebung oder Änderung aller vorbestehenden nationalen Rechtsnormen, die mit der Richtlinie nicht konform wären.

2.3

Die gleiche Forderung gilt für die Aufnahme der in Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) vorgesehenen Rahmenbeschlüsse, die — ebenso wie die in Artikel 249 des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft (EGV) erwähnten Richtlinien — „für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich [sind ], … jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel [überlassen]“.

2.4

Auch die Umsetzung der Rahmenbeschlüsse kann Probleme aufwerfen. Im Unterschied zu dem in Artikel 226 und 228 EGV genannten Vertragsverletzungsverfahren sieht der Vertrag über die Europäische Union jedoch keinen derartigen Kontrollmechanismus auf Initiative der Kommission bei fehlender oder mangelhafter Umsetzung vor. Dies ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten die Verpflichtung zur Umsetzung der Rahmenbeschlüsse einhalten müssen.

2.5

Es muss festgestellt werden, dass die Mitgliedstaaten immer noch Probleme mit der Anpassung ihrer Verfahrensweisen zur Erarbeitung der Umsetzungsnormen haben, da diese — obwohl es nicht den Anschein hat — komplexe rechtliche Zwänge bedingen und bisweilen die innerstaatlichen Rechtstraditionen untergraben.

3.   Abriss über die Verpflichtung zur Umsetzung und die diesbezüglichen Probleme der Mitgliedstaaten

3.1

Es obliegt allein den Mitgliedstaaten, über die Form der Umsetzung der Richtlinien zu bestimmen und unter Kontrolle des für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständigen nationalen Richters die Mittel zu wählen, die erforderlich sind, damit die Richtlinie innerstaatliche Rechtswirkung erlangt. In diesem Zusammenhang ist die Verpflichtung der Kommission zu betonen, in ihrer Eigenschaft als Hüterin der Verträge für die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts und das Funktionieren des Binnenmarktes zu sorgen, gegebenenfalls mithilfe der ihr zur Verfügung stehenden, gegen die Mitgliedstaaten gerichteten abgestuften Maßnahmen (begründete Stellungnahme, Klage beim Europäischen Gerichtshof, Zwangsgeld). Durch die verzögerte bzw. fehlerhafte oder unvollständige Umsetzung werden die betroffenen Bürger schließlich nicht der Möglichkeit beraubt, Rechtsmittel einzulegen, um der Richtlinie — entsprechend dem Prinzip des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts — Primat vor dem innerstaatlichen Recht einzuräumen.

3.2

Eine korrekte Umsetzung setzt somit den Erlass verbindlicher nationaler Normen voraus, die amtlich veröffentlicht werden müssen (1), weswegen der Gerichtshof eine bloße allgemeine Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht als Umsetzungsmaßnahme denn auch beanstandet (2).

3.3

Es ist zwar möglich, dass allgemeine Grundsätze des Verfassungs- oder Verwaltungsrechts die Umsetzung im Wege des Erlasses spezifischer Rechtsetzungsmaßnahmen überflüssig machen; dies gilt allerdings nur, sofern diese Grundsätze tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie durch die nationale Verwaltung garantieren.

3.4

Die Umsetzung der Richtlinien muss folglich so genau wie möglich erfolgen. Richtlinien zur Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften müssen möglichst wörtlich umgesetzt werden, um die Einheitlichkeit bei der Auslegung und Durchführung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten (3).

3.5

In der Theorie erscheint dies einfach; in der Praxis kommt es jedoch vor, dass autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe (4) in der innerstaatlichen Rechtsterminologie keine Entsprechung haben oder dass für die Ermittlung des Sinnes und der Bedeutung dieser Art von Begriffen nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird (5).

3.6

Es kommt auch vor, dass die Richtlinie einen Artikel enthält, dem zufolge die innerstaatlichen Bestimmungen, die die Richtlinie umsetzen, eine Bezugnahme auf die Richtlinie enthalten müssen bzw. bei ihrer Veröffentlichung eine Bezugnahme erfolgen muss. Die Unkenntnis dieser so genannten „Bezugsklausel“ wird vom Gerichtshof sanktioniert. Dieser weigert sich, die Einrede der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften seien bereits mit der Richtlinie konform (6).

3.7

Die Schwierigkeit, Richtlinien korrekt umzusetzen, hängt auch mit deren variabler Regelungskraft zusammen, da es in Richtlinien zwei Hauptkategorien von Bestimmungen gibt:

„fakultative“ Bestimmungen, die sich darauf beschränken, allgemeine Ziele zu nennen, und den Mitgliedstaaten bei der Wahl der nationalen Umsetzungsmaßnahmen einen relativ großen Spielraum lassen;

„verfügende/unbedingte“ Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegen, bei der Umsetzung in innerstaatliches Recht für Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Richtlinie zu sorgen, beispielsweise Begriffsbestimmungen, verfügende/unbedingte Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten präzise Verpflichtungen auferlegen, die Anhänge der Richtlinien, die Verzeichnisse oder Tabellen mit Stoffen, Gegenständen und Produkten oder Musterformulare enthalten können, die auf die gesamte Europäische Union anwendbar sind.

3.8

Bei den „fakultativen Bestimmungen“ darf sich die Bewertung der Vollständigkeit, Genauigkeit und Wirksamkeit der Umsetzung nicht auf die Formulierung der nationalen Maßnahmen als solche beziehen; vielmehr muss sie sich auf den Inhalt der nationalen Maßnahmen erstrecken, der die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie ermöglichen muss.

3.9

Im Falle der „verfügenden/unbedingten Bestimmungen“ richten Kommission und Gerichtshof ihr Augenmerk stärker auf die Formulierungsgleichheit der nationalen Vorschriften und der Bestimmungen der Richtlinie.

3.10

Einigen Mitgliedstaaten bereitet es jedoch große Probleme, eine zufrieden stellende Formulierung für die Normen zu finden, mit denen die „verfügenden/unbedingten Bestimmungen“ in ihr Recht übernommen werden. Diese können wie folgt zusammengefasst werden: Der Erlass der neuen Bestimmungen muss um der rechtlichen Klarheit willen von einer systematischen „Bereinigung“ der Texte begleitet sein, um zu vermeiden, dass redundante bzw. sogar widersprüchliche Bestimmungen weiter bestehen. Es muss daher das richtige Gleichgewicht zwischen einer zu lang gefassten Übertragung und einer allzu umfassenden Überarbeitung der betroffenen Bestimmungen gefunden werden, wobei dies eine mögliche Problemquelle sein kann  (7).

4.   Von den Mitgliedstaaten eingesetzte Umsetzungsverfahren

4.1

Die Auswahl der Formulierungstechniken für die Umsetzungsmaßnahmen hängt davon ab, ob es sich um „fakultative Bestimmungen“ oder „verfügende/unbedingte Bestimmungen“ handelt:

Es scheint, als befleißigten sich die Mitgliedstaaten immer häufiger einer „Umsetzung durch Abschrift“ der „unbedingten Bestimmungen“ der Richtlinien. Denn die Umsetzung dieser Art von Bestimmungen lässt den Mitgliedstaaten keinen Spielraum, so dass die Kommission und der Gerichtshof ihre Aufmerksamkeit stärker auf die Übereinstimmung und die redaktionelle Entsprechung zwischen den Umsetzungsvorschriften und den „unbedingten Bestimmungen“ der Richtlinie richten. Dennoch ist der Gerichtshof noch nie so weit gegangen, zu entscheiden, dass die mit der Umsetzung der Richtlinien verbundene Verpflichtung zur sinngetreuen Übernahme zwangsläufig in Form einer reinen Abschrift erfüllt werden muss.

Die Kommission steht diesem Vorgehen der Abschrift eher positiv gegenüber und legt besonderen Wert darauf, dass die in der Richtlinie enthaltenen Begriffsbestimmungen wortgetreu in die Umsetzungsvorschriften übernommen werden, um etwaigen terminologischen oder konzeptionellen Divergenzen vorzubeugen, die einer einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten und seiner praktischen Wirksamkeit abträglich wären.

Die Überwachung der Umsetzung der „fakultativen Bestimmungen“ hingegen ist problematischer. Hier handelt es sich bekanntlich um den Fall, dass sich die Richtlinie gemäß dem Wortlaut von Artikel 249 EG-Vertrag darauf beschränkt, allgemeine Ziele zu formulieren, und den Mitgliedstaaten somit einen Ermessensspielraum in Bezug auf die Form und Mittel zur Erreichung dieser Ziele einräumt. Die Prüfung der Frage, ob die Umsetzung vollständig und sinngetreu erfolgt ist, muss sich also auf den Inhalt der nationalen Maßnahmen und nicht auf deren Wortlaut konzentrieren. Der Gerichtshof fordert daher, dass bei der Überwachung der Umsetzungsmaßnahmen ein an den jeweiligen Fall angepasster pragmatischer Ansatz in Abhängigkeit von den Zielen der Richtlinie und dem Bereich, auf den sie sich bezieht, vorgezogen werden sollte, was für die Kommission jedoch irreführend sein könnte (8).

4.2

Schließlich können die Mitgliedstaaten bei technischen Bestimmungen wie etwa den Anhängen von Richtlinien, die Verzeichnisse mit Gegenständen oder Musterformulare enthalten oder häufig geändert werden, auch eine Umsetzung durch Bezugnahme vornehmen.

4.3

Die Niederlande, die Slowakei, Österreich, Finnland und Estland greifen bei technischen Anhängen von Richtlinien, die häufig durch im Ausschussverfahren verabschiedete Richtlinien geändert werden, auf eine solche durch Bezugnahme erfolgende Umsetzung zurück.

4.4

Es lässt sich unschwer feststellen, dass eine Umsetzung nie so einfach ist, wie es den Anschein hat, was auf den variablen Regelungsgehalt der Richtlinien zurückzuführen ist. Dieser Vielfalt führt zu Unterschieden zwischen den nationalen Umsetzungsverfahren.

4.5

So greift das Vereinigte Königreich etwa auf ein beschleunigtes Verfahren zum Erlass von Umsetzungsgesetzen zurück — die so genannte „negative declaration“ —, in dessen Rahmen die Regierung dem Parlament nach Konsultation der Minister den zur Umsetzung bestimmten Text unterbreitet, der vorbehaltlich eines gegenteiligen Antrags nicht Gegenstand einer Debatte ist.

4.6

Belgien wendet für den Fall, dass aufgrund des Ablaufs der Umsetzungsfrist eine rasche Verabschiedung eines Gesetzes zur Umsetzung erforderlich ist, ein für alle Rechtsvorschriften geltendes Dringlichkeitsverfahren an.

4.7

Dagegen verfügen andere Mitgliedstaaten wie Deutschland, Österreich oder Finnland nicht über derartige beschleunigte Rechtsetzungsverfahren.

4.8

In Frankreich gibt es keine unterschiedliche Regelungspraxis in Abhängigkeit von der Bedeutung der umzusetzenden Richtlinien, ob sie nun auf dem Verordnungsweg oder im vereinfachten Gesetzgebungsverfahren übernommen werden.

5.   Mögliche Lösungsvorschläge für eine bessere Umsetzung der Richtlinien

Vor allem muss die Frage beantwortet werden, wie auf Gemeinschaftsebene Rechtsvorschriften ausgearbeitet werden können, die leichter umsetzbar sind und die für die Tätigkeit der Unternehmen und das Leben der Bürger unerlässliche konzeptionelle Kohärenz und relative Stabilität aufweisen;

die Wahl des Umsetzungsinstruments dadurch antizipieren, dass schon von Beginn der Diskussionen über den Richtlinienvorschlag eine präzise und ständig aktualisierte Korrelationstabelle nach dem Vorbild des Vereinigten Königreichs erstellt wird;

den Umsetzungsprozess schon ab der Veröffentlichung der Richtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union beschleunigen, indem die innerstaatliche Koordinierung einer Kontaktstelle übertragen wird, die eine zu diesem Zweck errichtete Datenbank führt, wie die Kommission dies in ihrer Mitteilung vorschlägt, bzw. diese Kontaktstelle mit einem Frühwarnsystem ausstatten, das sich einige Monate vor Ablauf der Umsetzungsfrist automatisch aktiviert. Belgien, Ungarn und die Niederlande haben schon solche Vorkehrungen getroffen;

der Umsetzung durch Abschrift den Vorzug geben, wenn es sich um präzise „unbedingte Bestimmungen“ oder um Begriffsbestimmungen handelt;

die durch gezielte Verweisung auf die „verfügenden/unbedingten Bestimmungen“ der Richtlinie erfolgende Umsetzung zulassen; dies sind z.B. Verzeichnisse, Tabellen mit unter die Richtlinie fallenden Produkten, Stoffen und Gegenständen, im Anhang enthaltene Musterformulare und Bescheinigungen. Die Verweisung muss unbedingt gezielt sein, da der Gerichtshof der Auffassung ist, dass ein innerstaatlicher Rechtstext, der eine bloße allgemeine Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht enthält, nicht als gültige Umsetzungsnorm erachtet werden kann (9). Die Niederlande, die Slowakei, Österreich, Finnland und Estland sind Anhänger dieser Art der Umsetzung technischer Anhänge von Richtlinien;

die nationalen Umsetzungsverfahren je nach Tragweite der Richtlinie durch den Rückgriff auf beschleunigte Verfahren anpassen, ohne jedoch die mit der Verabschiedung von Regelungstexten zwingend einhergehenden innerstaatlichen Konsultationen zu vernachlässigen.

6.   Fazit

6.1

Die von der Kommission geforderte bessere Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist ein sinnvolles Ziel, dessen Verwirklichung großenteils bei den Mitgliedstaaten liegt; diese sind — wie wir feststellen — mit Problemen konfrontiert, die komplexer sind, als dies zunächst den Anschein hat.

6.2

Die Mitgliedstaaten sollten die Umsetzung der Richtlinien nicht zum Vorwand nehmen, um Teile ihres nationalen Rechts zu überarbeiten, die von den Gemeinschaftsvorschriften nicht unmittelbar betroffen sind (das sog. „gold plating“), oder um einige Anforderungen ihres innerstaatlichen Rechts herunterzuschrauben, wodurch die Rechte der Bürger oder Unternehmen beschnitten würden (man könnte dies „downgrading“ nennen), und die Verantwortung für diese Änderungen „Brüssel“ in die Schuhe schieben.

6.3

Die Mitgliedstaaten sollten systematischer die vom Primärrecht/den Verträgen gebotene Möglichkeit nutzen, Richtlinien — insbesondere solche mit sozialem und wirtschaftlichem Inhalt — per Kollektivverhandlungen umzusetzen. Je nach Thema sollten im Zuge der Umsetzungsvorbereitung (10) die entsprechenden Organisationen der Zivilgesellschaft zu den bei dieser Gelegenheit vorzunehmenden Änderungen oder Ergänzungen der einzelstaatlichen Vorschriften konsultiert werden. Diese Verhandlungs- und Konsultationsverfahren sollten so angelegt sein, dass sie die spätere Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch Einbeziehung der Zivilgesellschaft fördern und erleichtern. Die Anhörung der Zivilgesellschaft vor dem Erlass der nationalen Umsetzungsmaßnahmen erleichtert nämlich die öffentliche Entscheidungsfindung, indem sie der nationalen Verwaltung ermöglicht, Stellungnahmen von den Sozialpartnern, Sachverständigen und Berufsverbänden des von der Anwendung der Umsetzungsmaßnahmen betroffenen Sektors einzuholen. Die Anhörung der Zivilgesellschaft bringt auch Lerneffekte mit sich, da sie den Akteuren ermöglicht, sich besser über den Inhalt der bevorstehenden Reformen zu informieren. Dementsprechend konsultieren das Vereinigte Königreich, Dänemark, Finnland und insbesondere Schweden ihre Sozialpartner und beratenden Organisationen, indem sie ihnen den jeweils zur Umsetzung bestimmten Text zusammen mit einer Reihe präziser Fragen zukommen lassen.

6.4

Die verfassungsrechtliche Ordnung mehrerer Mitgliedstaaten (föderaler Aufbau, regionale Dezentralisierung und sonstige Arten der Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf eine subnationale Ebene) sollte stärker berücksichtigt werden; bei Gemeinschaftsbestimmungen, die speziell die an die Gebietskörperschaften delegierten Befugnisse betreffen (Regionalpolitik, Regionen in äußerster Randlage und Inseln usw.) sollten die Umsetzungsfristen in manchen Fällen verlängert werden.

6.5

Die nationalen Parlamente sowie die Regionalparlamente oder -versammlungen (beispielsweise in Schottland, Belgien oder Deutschland) sind insbesondere für die Umsetzung derjenigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts verantwortlich, die aus dem Rechtsbereich stammen, für den sie sachlich zuständig sind oder Beratungsbefugnis haben. Die Kommissionen oder Ausschüsse, die sie zu diesem Zweck bilden, sollten Anhörungen von Spezialisten und Vertretern der betroffenen Sektoren der Zivilgesellschaft durchführen und mit Sonderbefugnissen zur Planung der Prüfungsverfahren für die Umsetzungs-Gesetzesvorlagen ausgestattet sein, damit vermieden wird, dass sich der Zeitplan für die Prüfung der innerstaatlichen Umsetzungsbestimmungen durch die „Dringlichkeitsfälle“ innerstaatlicher Gesetzgebung über die vorgeschriebenen Fristen hinaus verschiebt. Dahingegen könnten bei einigen im zeitlichen Rückstand befindlichen Vorhaben, über die zwischen den politischen Parteien keine grundlegende Uneinigkeit besteht, Notfallmaßnahmen (Übertragung von Legislativbefugnissen auf die Exekutive) eingesetzt werden, um den „Lagerbestand“ an nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien drastisch reduzieren zu können.

6.6

Einige Mitgliedstaaten haben bereits Systeme eingerichtet, mit denen die Verfahren zur Verabschiedung der Umsetzungsvorschriften beschleunigt werden sollen, andere haben Techniken entwickelt, um die Qualität der Umsetzung zu verbessern, und wieder andere stecken noch in den Anfängen und müssen sich erst noch anpassen. Beispielsweise könnten sich die Ministerien und Parlamente mit einem für die Planung der Umsetzung zuständigen Dienst ausstatten, der mit der Ausrichtung der entsprechenden Arbeiten betraut wird. Es geht hier um eine Chance zur Modernisierung des öffentlichen Handelns und nicht darum, sich einem von den Gemeinschaftsinstitutionen — und an erster Stelle der Kommission — auferlegten Zwang zu beugen. Mit anderen Worten: Es geht hier darum, dass ein jeder seine Aufgaben und seine Verantwortung im europäischen Integrationsprozess in vollem Umfang wahrnimmt (11).

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Studie des französischen Staatsrats „Pour une meilleure insertion des normes communautaires dans le droit national“, am 22. Februar 2007 in der Generalversammlung des Staatsrats angenommen, Documentation française, Paris, 2007.

(2)  Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20. März 1997, Kommission gegen Deutschland, C 96/95, Slg. S. 1653.

(3)  Berichterstatter Herr Van Iersel, ABl. C 24 vom 31.1.2006.

(4)  Siehe auch Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2003, Kommission gegen Frankreich, C-233/00, Slg. S. I-66.

(5)  Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. September 2000, Linster, C-287/98, Slg. S. I-69.

(6)  Ständige Rechtsprechung — Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 23. Mai 1985, Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland, 29/84, Slg. S. 1661, vom 8. Juli 1987, Kommission gegen Italien, 262/85, Slg. S. 3073, und vom 10. Mai 2001, Kommission gegen Niederlande, C-144/99, Slg. S. I-3541.

(7)  Beitrag des französischen Staatsrats zum 19. Kolloquium der Vereinigung der Staatsräte und obersten Verwaltungsgerichte der Europäischen Union, Den Haag, 14./15. Juni 2004.

(8)  EuGH, 15. Juni 2006, Klage der Kommission gegen Schweden, C 459/04: der Gerichtshof hat eine Vertragsverletzungsklage abgewiesen, die von der Kommission eingereicht worden war, da diese der Ansicht war, dass das Königreich Schweden gegen seine Verpflichtungen gemäß der Richtlinie Nr. 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer verstoßen habe. Der Gerichtshof war der Ansicht, dass die Richtlinie als „Rahmenrichtlinie“ zu verstehen sei und als solche keine vollständige Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf das Arbeitsumfeld vorschreibe.

(9)  Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20. März 1997, Kommission gegen Deutschland, C 96/95, Slg. S. 1653, op. cit.

(10)  Berichterstatter Herr Retureau, ABl. C 24 vom 31.1.2006, und Berichterstatter Herr Van Iersel, ABl. C 24 vom 31.1.2006.

(11)  Im Wesentlichen das Fazit der Studie des französischen Staatsrats „Pour une meilleure insertion des normes communautaires dans le droit national“, op. cit.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/13


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufnahme der Stoffe 2-(2-Methoxyethoxy)ethanol, 2-(2-Butoxyethoxy)ethanol, Methylendiphenyl-Diisocyanat, Cyclohexan und Ammoniumnitrat in die Richtlinie 76/769/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen“

KOM(2007) 559 endg. — 2007/0200 (COD)

(2008/C 204/03)

Der Rat beschloss am 23. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufnahme der Stoffe 2-(2-Methoxyethoxy)ethanol, 2-(2-Butoxyethoxy)ethanol, Methylendiphenyl-Diisocyanat, Cyclohexan und Ammoniumnitrat in die Richtlinie 76/769/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr SEARS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 125 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Vorschlag der Kommission für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates sieht vor, die Richtlinie 76/769/EWG des Rates dahingehend zu ändern, dass für fünf weitere, nicht miteinander im Zusammenhang stehende Stoffe Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung aufgenommen werden. Vier dieser Stoffe waren in den ursprünglichen, zwischen 1994 und 2000 aufgestellten Prioritätenlisten enthalten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen ausschließlich die Vermeidung von Risiken für private Verbraucher. Der letzte Stoff — Ammoniumnitrat — ist Gegenstand dieses Entscheidungsvorschlags, um für Landwirte und Händler die Sicherheit von Ammoniumnitratdünger bei normaler Handhabung zu verbessern und als Maßnahme im Kampf gegen den Terrorismus, indem der Zugang zu Ausgangsstoffen für die Herstellung von Explosivstoffen eingeschränkt werden soll. Von letzterem Aspekt wird auch die Abgabe an Einzelhändler und private Verbraucher betroffen sein.

1.2

Der EWSA befürwortet einige, aber nicht alle der gemachten Vorschläge. Die detaillierten Ausführungen zu den einzelnen Stoffen und Zubereitungen, in denen sie enthalten sind, werden in den Ziffern 5 bis 9.9 dargelegt.

1.3

Der EWSA stellt fest, dass es sich hierbei fast um die letzte Änderung der Richtlinie 76/769/EWG des Rates handelt, bevor diese am 1. Juni 2009 durch die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) ersetzt wird. Er bemängelt jedoch, dass wie bei früheren Änderungen Stoffe und Zubereitungen zusammengefasst werden, die nichts miteinander zu tun haben. Außerdem weist er darauf hin, dass bereits viel Zeit verstrichen ist, seit diese Stoffe erstmals als „mit Vorrang zu prüfende“ Stoffe gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 verzeichnet wurden. Gleichgültig, ob diese Verzögerungen auf finanzielle, personelle oder fachliche Engpässe in der Kommission oder anderen zuständigen Gremien — unter anderem der neu geschaffenen Europäischen Agentur für chemische Stoffe in Helsinki — zurückzuführen ist, diese müssen so schnell wie möglich und in jedem Fall vor dem 1. Juni 2009 ausgeräumt werden. Überdies müssen die Hersteller ihre Verpflichtung anerkennen, im Zuge der Risikobewertung zeitgerecht die relevanten Daten verfügbar zu machen. Wenn sie sich nicht daran halten, werden die Ergebnisse schnell wertlos.

1.4

Der EWSA unterstützt außerdem mit allem Nachdruck die Erklärung des Europäischen Rates zum Kampf gegen den Terrorismus und die zahlreichen Einzelmaßnahmen, die auf dieser Grundlage ergriffen wurden. Er ist der Überzeugung, dass er dabei eine wichtige Rolle zu spielen hat, und arbeitet gegenwärtig mehrere Stellungnahmen zu diesem Thema aus. Die Herbeiführung eines Einvernehmens darüber, welche Maßnahmen verhältnismäßig sind und welche gesetzgeberischen Wege beschritten werden sollten, um ein rechtzeitiges und wirkungsvolles Handeln aller Beteiligten sicherzustellen, wird von entscheidender Bedeutung sein, um langfristig Sicherheit zu schaffen.

2.   Einleitung

2.1

Die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) wird am 1. Juni 2009 in Kraft treten. Sie wird eine Reihe bestehender Verordnungen und Richtlinien des Rates und der Kommission aufheben und ersetzen, u.a. die Richtlinie 76/769/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen. Durch diese Richtlinie, deren Änderung der hier erörterte Vorschlag vorsieht, soll das Funktionieren des Binnenmarktes und zugleich ein hohes Gesundheits- und Umweltschutzniveau gewährleistet werden.

2.2

In Anhang I der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sind die Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen aufgeführt, die in den letzten 30 Jahren vereinbart und festgeschrieben wurden. Ab dem 1. Juni 2009 werden sie zum Kernstück von Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH).

2.3

Frühere Änderungen der Richtlinie 76/769/EWG des Rates (d.h. zur Einführung weiterer Beschränkungen) erfolgten in Form von Richtlinien, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden mussten. Die jetzt von der Kommission vorgeschlagene Entscheidung wird keine Umsetzung in einzelstaatliche Rechtsvorschriften erfordern, die ohnehin am 1. Juni 2009 mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) hätten aufgehoben werden müssen.

2.4

In den kommenden Monaten wird ein endgültiger Vorschlag — auch für eine Entscheidung — über Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung von Dichlormethan gemäß der Richtlinie 76/769/EWG erwartet. Alle anschließenden Vorschläge für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen werden gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) vorgelegt werden.

2.5

Die Stoffe (und die Zubereitungen, die diese Stoffe enthalten), für die Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung für notwendig erachtet wurden, wurden im Allgemeinen aufgrund von Bewertungen bestimmter „mit Vorrang zu prüfender“ Stoffe gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 ermittelt. Es wurden vier Prioritätenlisten zu prüfender Stoffe erstellt (die letzte datiert vom 30. Oktober 2000), die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten umzusetzen waren. Für 83 der 141 aufgelisteten Stoffe liegen endgültige Risikobewertungsberichte vor. 39 dieser Berichte wurden von den zuständigen wissenschaftlichen Ausschüssen der EU evaluiert, die Ergebnisse wurden im Amtsblatt veröffentlicht. Für 22 dieser Stoffe wurden Beschränkungen vereinbart. Beschränkungen für 4 weitere Stoffe (die in den nachstehenden Ziffern 5 bis 9.9 unter den Bezeichnungen DEGME, DEGBE, MDI und Cyclohexan behandelt werden) sind in dem jetzigen Vorschlag enthalten.

2.6

Die schleppenden Fortschritte, die im Rahmen dieser Verordnung gemacht wurden, werden als ein Hauptargument dafür angeführt, im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) einen neuen Ansatz für sämtliche „Altstoffe“ einzuführen. Die Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates wird daher ebenfalls am 1. Juni 2009 aufgehoben.

2.7

Im Zuge der Überprüfung neuer Probleme auf entsprechende Forderungen der Mitgliedstaaten hin wurden für eine Reihe von Stoffen, die nicht in den vier ursprünglichen Prioritätenlisten enthalten waren, ebenfalls Bewertungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt durchgeführt und/oder Vorschläge für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung vorgelegt — so auch für Ammoniumnitrat.

2.8

Ammoniumnitrat ist insofern ein Sonderfall, als seine Eigenschaften wohlbekannt sind und somit keine Bewertung seiner Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt erforderlich war. Dieser Stoff, der seit vielen Jahren weltweit in sehr großen Mengen als Stickstoffdünger verwendet wird, birgt weder am Arbeitsplatz noch für gewerbliche Nutzer oder im privaten Hausgebrauch unerwartete Risiken. Leider ist er aber auch ein wirksamer, billiger und gebräuchlicher Bestandteil von Explosivstoffen, die legal für industrielle oder militärische Zwecke und illegal von Terroristen verwendet werden. Daher sollen Beschränkungen für sein Inverkehrbringen und seine Verwendung gemäß der Richtlinie 76/769/EWG des Rates festgelegt werden.

2.9

Für Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung und zur Verhinderung der Verbreitung von Ausgangsstoffen zur Explosivstoffherstellung hätten auch andere Rechtsgrundlagen gewählt werden können, aber diese hätten gemäß dem geltenden EU-Vertrag einen einstimmigen Beschluss aller Mitgliedstaaten erfordert. Dies wird sich ändern, sobald der Vertrag von Lissabon von allen Parteien ratifiziert sein wird, aber auch das wird noch eine Weile dauern.

2.10

Vermutlich werden weitere Ausgangsstoffe für Betäubungsmittel und Explosivstoffe in Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) aufzunehmen sein, weshalb die gewählte Vorgehensweise zum gegenwärtigen Zeitpunkt für angemessen erachtet wird.

2.11

Sämtliche obigen Ausführungen beziehen sich auf „Altstoffe“ — d.h. die 100 195 Stoffe, die zwischen dem 1. Januar 1971 und dem 18. September 1981 in der Europäischen Gemeinschaft in Verkehr gebracht wurden. Sie sind im Europäischen Verzeichnis der im Handel erhältlichen Stoffe (EINECS, European Inventory of Existing Commercial Substances) aufgelistet, das 1990 im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurde. Nach dem 18. September 1981 in Verkehr gebrachte Stoffe werden als „Neustoffe“ definiert und erfordern eine detaillierte, dem Inverkehrbringen vorausgehende Anmeldung, um die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen.

3.   Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

3.1

Der Vorschlag der Kommission zielt darauf ab, die Gesundheit insbesondere der Verbraucher zu schützen und zugleich auch das einwandfreie Funktionieren des Binnenmarktes für drei Stoffe (DEGME, DEGBE und Cyclohexan) von der ersten Prioritätenliste vom 25. Mai 1994 sowie für einen Stoff (MDI) von der dritten Prioritätenliste vom 27. Januar 1997 gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 zu gewährleisten.

3.2

Im Einklang mit der Empfehlung 1999/721/EWG der Kommission vom 12. Oktober 1999 sowie späteren ähnlichen Empfehlungen über die Ergebnisse der Risikobewertung und über die Risikobegrenzungsstrategien für verschiedene Stoffe wird eine Reihe spezifischer und sehr detaillierter Beschränkungen vorgeschlagen, die nur die Abgabe an private Verbraucher betreffen und keine Auswirkungen auf die Bedingungen am Arbeitsplatz oder auf die Umwelt haben werden. Es wird davon ausgegangen, dass der Industrie und der Gesellschaft insgesamt dadurch nur geringe Kosten entstehen werden und die vorgeschlagenen Maßnahmen daher in einem angemessenen Verhältnis zu den festgestellten Risiken stehen. Für MDI-haltige Zubereitungen werden weitere Gesundheitsdaten gefordert.

3.3

Ammoniumnitrat, ein gebräuchliches Düngemittel, wird als fünfter Stoff aufgenommen, da es als starkes Oxidationsmittel mit bestimmten anderen Stoffen eine detonationsfähige Mischung bilden kann. Durch die vorgeschlagenen Beschränkungen soll sichergestellt werden, dass alle Ammoniumnitratdünger einheitliche Sicherheitsanforderungen erfüllen, und außerdem soll die Palette der frei verkäuflichen Ammoniumnitraterzeugnisse eingeschränkt werden, um die Mengen, die leicht für illegale Zwecke genutzt werden können, zu verringern. Die Beschränkung dient somit der Gesundheit und Sicherheit der breiten Öffentlichkeit. Die gewerbliche Nutzung (in der Landwirtschaft und für die legale Herstellung von Sprengstoffen) wird durch diese Beschränkung nicht beeinträchtigt. Die Kosten (und Vorteile) lassen sich zwar nur schwer quantifizieren, aber es wird davon ausgegangen, dass sie zu den festgestellten Risiken (und vorgeschlagenen Maßnahmen) in einem angemessenen Verhältnis stehen.

3.4

Die Entscheidung soll am dritten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten.

3.5

Dem Vorschlag sind eine Begründung und ein Arbeitspapier der Kommission (Folgenabschätzung) beigefügt sowie — für die vier gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 bewerteten Stoffe — lange und ausführliche Risikobewertungsberichte des Europäischen Büros für chemische Stoffe, ergänzt durch zusätzliche, teils befürwortende und teils kritische Stellungnahmen der verschiedenen wissenschaftlichen Ausschüsse und anderer Gremien, die an der Zusammenstellung oder Auswertung der relevanten Daten mitgewirkt haben.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Wie bei vielen der früheren Änderungen zu der Richtlinie 76/769/EWG des Rates werden auch in diesem Vorschlag Stoffe behandelt, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen und die aus Gründen der Klarheit deshalb im Folgenden separat erörtert werden.

5.   2-(2-Methoxyethoxy)ethanol (DEGME)

5.1

DEGME ist ein hochsiedender, wasserlöslicher Glykolether, der überwiegend als Zwischenprodukt in der synthetischen Chemie, als Zusatzlösungsmittel in verschiedenen dekorativen Haushaltsgegenständen oder als Frostschutzmittel in Treibstoffen z.B. für Strahltriebwerke verwendet wird. Gemäß dem im Auftrag der niederländischen Regierung erstellten Risikobewertungsbericht vom Juli 1999 betrug die Gesamtproduktion in Europa Anfang der 90er Jahre rund 20.000 Tonnen, von denen etwas mehr als die Hälfte für den Export bestimmt war.

5.2

Die Verbraucher sind diesem Stoff aufgrund seiner Verwendung in Farben, Lacken und Abbeizmitteln für den Heimwerkerbedarf ausgesetzt. Wie aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften zu erwarten ist, wird DEGME leicht über die Haut aufgenommen, was bedeutet, dass über den Hautkontakt ein Gesundheitsrisiko für die Verbraucher besteht, sofern keine geeignete Schutzkleidung getragen wird.

5.3

Die jüngsten Umfragen haben ergeben, dass DEGME in den Farben und Abbeizmitteln, die an private Verbraucher abgegeben werden, mittlerweile durch andere Lösungsmittel ersetzt worden ist. Daher sollte nun dafür gesorgt werden, dass dies bei allen in der EU hergestellten oder in die EU eingeführten Produkten geschieht. Der Vorschlag sieht daher vor, dass ab 18 Monate nach Inkrafttreten der Entscheidung keine Farben, Lacke und Abbeizmittel mehr in Verkehr gebracht werden, die diesen Stoff in einer Konzentration von mehr als 0,1 Massen- % enthalten (d.h., die über der durch eine Verunreinigung oder das Zusammenwirken mit anderen zulässigen Bestandteilen verursachten Konzentration liegt). Dies wird von den betroffenen Wirtschaftszweigen als angemessene Maßnahme bewertet. Der EWSA unterstützt daher diese Beschränkung des Inverkehrbringens und der Verwendung von DEGME.

6.   2-(2-Butoxyethoxy)ethanol (DEGBE)

6.1

DEGBE gehört ebenfalls zu den Glykolethern. Es hat einen etwas höheren Siedepunkt als DEGME, aber ähnliche physikalische Eigenschaften, z.B. die Wasserlöslichkeit. Es wird häufig als Lösungsmittel in Farben auf Wasserbasis verwendet, wo es die Filmbildung unterstützt und die Haltbarkeit verbessert. Dadurch sind weniger häufig Anstriche erforderlich, was die Gesamtexposition verringert. Im Risikobewertungsbericht wird die Gesamtproduktion in Europa für das Jahr 1994 auf rund 46.000 Tonnen geschätzt; bis 2000 war sie auf 58.000 Tonnen angestiegen, von denen 33.000 Tonnen für Farben verwendet wurden.

6.2

Im Risikobewertungsbewertungsbericht werden Risiken für die Verbraucher in Form von Reizungen der Atemwege nach dem Einatmen feiner Tröpfchen beim Verarbeiten von DEGBE-haltiger Spritz- bzw. Sprühfarbe auf Wasserbasis festgestellt. Das Einatmen von DEGBE-Dämpfen beim Farbauftrag mit Pinsel oder Rolle wurde für toxikologisch unbedenklich erachtet.

6.3

Auf der Grundlage von Erkenntnissen, die nach dem Abschluss des Risikobewertungsberichts 1999 vorgelegt wurden, sowie in Anbetracht der Schwierigkeiten, DEGBE als maßgeblichen Bestandteil von Farben auf Wasserbasis zu ersetzen, wurde der Schluss gezogen, dass die Festlegung einer Höchstkonzentration von 3 Massen- % für DEGBE-haltige Spritz- bzw. Sprühfarben eine angemessene Maßnahme zum Schutz der Verbrauchergesundheit wäre. Farben mit einer höheren DEGBE-Konzentration dürfen nur dann zur Abgabe an private Verbraucher in Verkehr gebracht werden, wenn sie den Hinweis „Nicht zur Verwendung in Farbspritz-/-sprühgeräten geeignet“ tragen. Die Abgabe an gewerbliche Nutzer, die mit größerer Wahrscheinlichkeit angemessene Schutzausrüstung verwenden, wird davon nicht betroffen sein. Die Vertriebskanäle werden als ausreichend unterschiedlich erachtet, um dies zu ermöglichen.

6.4

Diese Maßnahmen werden 18 bis 24 Monate nach dem Inkrafttreten der Entscheidung anwendbar, um genügend Zeit für die erforderliche Änderung der Zusammensetzung und der Kennzeichnung zu lassen. Dies wird von den betroffenen Wirtschaftszweigen als angemessene Maßnahme eingestuft. Der EWSA unterstützt daher diese Beschränkung des Inverkehrbringens und der Verwendung als eine geeignete Maßnahme zum Schutz der Verbrauchergesundheit und zur Gewährleistung des Funktionierens des Binnenmarktes.

7.   Methylendiphenyl-Diisocyanat (MDI)

7.1

MDI ist die Bezeichnung für ein Isomergemisch, das in reiner Form ein wachsartiger Feststoff wäre, häufiger als hochreaktive viskose braune Flüssigkeit vorliegt. Laut Risikobewertungsbericht lag die weltweite Jahresproduktion 1996 über 2,5 Mio. Tonnen, wovon mindestens 500 000 Tonnen in der EU hergestellt wurden. Mit geeigneten Polyolen oder Glykolen mit niedrigem Molekulargewicht (oder sogar Wasser) sowie einem Treibmittel reagiert MDI extrem schnell sowohl zu harten als auch weichen Polyurethan-Schäumen, die zu verschiedensten Zwecken in der Baubranche und in anderen Bereichen als Strukturelemente, Dichtmasse, Füllstoffe, Formen und Klebstoffe eingesetzt werden.

7.2

Die Exposition von Verbrauchern ist in erster Linie auf den Einsatz von Einkomponentenschäumen (OCF) zurückzuführen, die begeisterte Heimwerker in Sprühdosen kaufen, um Löcher in Gips- bzw. Mauerwerk auszuspritzen oder neu eingebaute Türen oder Fenster abzudichten. In diesem Bereich werden insgesamt 10.000 Tonnen MDI pro Jahr abgesetzt. Mit einer solchen Menge lassen sich rund 36 Mio. Sprühdosen für private Verbraucher und weitere 134 Mio. Sprühdosen für gewerbliche Nutzer herstellen. Alternative Stoffe, z.B. Glasfasern zum Abdichten von Fenstern, sind weniger unkompliziert in der Handhabung und würden andere Probleme aufwerfen.

7.3

Eine Quantifizierung der Risiken, die durch das Einatmen oder den Hautkontakt mit MDI für Verbraucher entstehen, auf der Grundlage von Expositionen am Arbeitsplatz vorzunehmen, hat sich als schwierig erwiesen. Reine Isomer-Proben sind kaum erhältlich. Da MDI sehr schnell mit Wasser zu einem reaktionsträgen unlöslichen Feststoff reagiert, sind die gängigen Gefahrenprüfungen schwierig durchzuführen. Auch ist die verfügbare Gesamtmenge begrenzt, weil Verbraucher das Produkt üblicherweise mit Hilfe eines Applikators aus kleinen tragbaren Sprühdosen aufbringen. Eine normale Sprühdose ist nach zwei bis vier Minuten leer. Durch schnelles Aushärten an mit Wasserdampf angereicherter Luft wird das MDI gebunden. Das feste Endprodukt ist inert und ungefährlich. Es ist davon auszugehen, dass derartige Erzeugnisse einmalig (zum Ausfüllen einer konkreten Öffnung oder zum Abdichten einer Tür bzw. eines Fensters) und nur gelegentlich (von den meisten Verbrauchern) genutzt werden, so dass sicherlich nicht jene Belastung erreicht wird, der professionelle Nutzer bei einer täglichen Exposition am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Generell gilt bei Heimwerkerprodukten, dass die Verwendung persönlicher Schutzausrüstung durch alle Anwender nicht immer gewährleistet ist.

7.4

Erwartungsgemäß war daher trotz des theoretisch gegebenen Risikos der Nachweis, dass bei Endverbrauchern (oder auch am Arbeitsplatz, wo entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen werden können) tatsächlich Reaktionen im Bereich der Haut oder der Atemwege aufgetreten sind, kaum bzw. gar nicht zu erbringen. Dies macht es noch schwieriger, eine angemessene, kostengünstige und praktikable Lösung zu finden.

7.5

In diesem Zusammenhang wird in der Folgenabschätzung zu Recht darauf hingewiesen, dass es beim Verkauf von Sprühdosen zur einmaligen bzw. gelegentlichen Benutzung durch private Verbraucher möglich und wünschenswert ist, leichte, kostengünstige und den Anforderungen vollkommen entsprechende Polyethylen-Schutzhandschuhe beizulegen, nicht aber Neopren- bzw. Nitrilhandschuhe, die nur bei intensiver gewerblicher Nutzung erforderlich sind. Außerdem könnten den Sprühdosen zwar leichte Baumwollstaubmasken beigelegt werden, diese böten aber keinen geeigneten Schutz; eine echte Gasmaske zum Schutz vor Aerosolen aller Art würde wiederum das Zehnfache des Preises einer Sprühdose kosten, wobei es keine Garantie dafür gäbe, dass sie im Bedarfsfall auch tatsächlich benutzt würde.

7.6

Die Kommission schlägt daher vor, sämtlichen Sprühdosen zur Abgabe an private Verbraucher Polyethylen-Schutzhandschuhe beizulegen (zusammengefaltet im Deckel z.B.) und auf der Verpackung Hinweise darauf anzubringen, dass bei bereits sensibilisierten Personen (unübliche) allergische Reaktionen, (bei Asthmatikern) asthmaähnliche Reaktionen bzw. (bei Personen mit Hautproblemen) Hautreaktionen ausgelöst werden können.

7.7

Der Ausschuss befürwortet die erste der beiden vorgeschlagenen Maßnahmen, d.h. die Vorschrift bezüglich der Polyethylen-Schutzhandschuhe, die ohnehin bei der Verwendung der meisten Heimwerkerprodukte getragen werden sollten. Damit diese wichtige und angemessene Maßnahme auch tatsächlich umgesetzt werden kann, darf aber keine strengere Regelung hinsichtlich der Anforderungen an diese Schutzhandschuhe getroffen werden, da sie sonst nicht der Verpackung beigelegt würden.

7.8

Hingegen hegt der EWSA Zweifel an der Zweckmäßigkeit der vorgeschlagenen Zusatzhinweise, auch wenn ausreichend Zeit für die Einführung der Kennzeichnung zu angemessenen Kosten gewährt wird. So ist z.B. unklar, wie ein Laie wissen soll, ob er „bereits für andere Diisocyanate als MDI sensibilisiert“ ist, bzw. warum dies von besonderer Bedeutung ist. Wie chronisch (dauerhaft) Asthma- oder Dermatitiskranke wissen, kann quasi jedes Haushalts- bzw. Heimwerkerprodukt akute (vorübergehende) allergische Reaktionen auslösen. Deshalb sind neben dem Hinweis, bei etwaigen Symptomen die Arbeit mit dem Produkt sofort abzubrechen, vor allem eine gute Lüftung und die Verwendung von Schutzkleidung (Handschuhen) wichtig. Dies ist ein für alle Benutzer — unabhängig von deren Vorerkrankungen — sinnvoller Hinweis, der auf der Verpackung stehen muss. Da Sprühdosen und somit auch die darauf befindlichen Etiketten klein sind, müssen solche Hinweise klar und knapp gehalten werden und unter normalen Einsatzbedingungen lesbar sein. Falls erforderlich sollten weitere Benutzungs- bzw. Sicherheitshinweise in einem eigenen Beiblatt gegeben werden.

7.9

Darüber hinaus hat der Ausschuss Vorbehalte gegenüber dem Vorschlag in Ziffer (6), wonach „natürliche und juristische Personen, die MDI-haltige Zubereitungen erstmalig in Verkehr bringen, (...) in den 3 Jahren nach Inkrafttreten der (...) Beschränkungen Daten über Fälle erheben (müssen), in denen die Verwendung MDI-haltiger Zubereitungen möglicherweise Atemwegsallergien verursacht hat, und diese Daten der Kommission zur Verfügung stellen (müssen). Die Daten sind nach einem Studienprotokoll zu erheben, das die Beteiligung von Fachinstituten vorsieht (...)“, um nachzuweisen, „dass keine anderen Beschränkungen als die bereits bestehenden erforderlich sind“. Angesichts der Tatsache, dass MDI seit den 70er Jahren vermarktet wird und derzeit, wie bereits vorstehend erwähnt, jährlich über 36 Mio. Sprühdosen von etablierten Herstellern verkauft werden, die von dieser Bestimmung ausgenommen sind, fällt es schwer, hinter dieser Regelung eine andere als die schlecht kaschierte Absicht zu erkennen, eine Hürde zur Verhinderung des Markteintritts neuer Unternehmen zu errichten.

7.10

Die Kommission legt in ihrer Folgenabschätzung dar, dass diese Maßnahme auf die im Risikobewertungsbericht geäußerten Bedenken zurückzuführen ist, wonach einige der Risiken allergischer Reaktionen im Bereich der Atemwege für Arbeitnehmer potentiell auch für private Verbraucher bestehen könnten. Im selben Absatz weist sie außerdem darauf hin, dass die derzeit vorliegenden Informationen aus Vergiftungszentralen darauf hindeuten, dass es keine oder nur wenige Fälle durch MDI-haltige Produkte ausgelöster Atemwegsallergien bei privaten Verbrauchern gibt. Diese Vorgangsweise mag zwar Unzulänglichkeiten aufweisen, es ist aber nicht gesichert, dass der Kommissionsvorschlag maßgeblicher wäre. Angesichts eines als hypothetisch eingestuften Risikos, für das es trotz weit verbreitetem Einsatz der Produkte in der Praxis keinerlei Nachweise gibt, ist der Vorschlag nach Auffassung des Ausschusses als unverhältnismäßig zu bewerten.

7.11

Der Ausschuss empfiehlt daher, diese Maßnahme zur Beschränkung des Inverkehrbringens und der Verwendung zurückzunehmen. Sollten nach wie vor berechtigte Zweifel an der Sicherheit dieser Produkte bestehen, für die kurzfristig kein Ersatz geschaffen werden kann, sollte dies gemeinsam mit den Herstellern erörtert und entsprechende Verfahren zur Sammlung von Daten sowie für deren Auswertung vorgesehen werden.

8.   Cyclohexan

8.1

Cyclohexan ist eine farblose Flüssigkeit, die in sehr großen Mengen durch Hydrogenisierung von Benzol hergestellt wird. Verwendung findet es fast ausschließlich (>95 %) bei der Synthese von Adipinsäure und, davon ausgehend, von Nylon. Die weltweite Produktionskapazität beläuft sich derzeit auf über 5 Mio. Tonnen, wovon etwa 1,5 Mio. Tonnen auf die EU entfallen. Die Herstellung erfolgt in geschlossenen Systemen, und das Expositionsniveau ist niedrig. Es gibt auch natürliche Vorkommen von Cyclohexan, z.B. in Verbrennungsprodukten wie Tabakrauch, in Rohöl und Pflanzen sowie in Benzindämpfen.

8.2

Cyclohexan wird auch als Lösungsmittel eingesetzt, u.a. für Kontaktklebstoffe auf Neoprenbasis, wie sie in der Lederverarbeitung (Schuhe), der Automobil- und der Baubranche verwendet werden. Außerdem kommen sie gewerblich bei der Verlegung von Teppichböden und ähnlichen kleinflächigeren Reparaturarbeiten sowie in frei verkäuflichen Heimwerkerprodukten zum Einsatz. Die in der EU zur Herstellung von Klebstoffen verarbeitete Gesamtmenge liegt unter 10 000 Tonnen pro Jahr.

8.3

Wie generell im Umgang mit Kohlenwasserstoffen sind eine gute Lüftung und die Verwendung entsprechender Schutzkleidung bzw. eines geeigneten Atemschutzes von entscheidender Bedeutung. Dies lässt sich zwar bei gewerblicher Nutzung sicherstellen, nicht aber bei Privatverbrauchern. Die Risiken sind aber, wie im Fall MDI-haltiger Produkte, aufgrund der physikalischen Eigenschaften der zur Abgabe an private Verbraucher bestimmten Erzeugnisse deutlich eingeschränkt. Schnellabbindende Kontaktkleber sind ideal für kleine Flächen; für Laien ist es jedoch kaum möglich, damit auf größeren Flächen zufrieden stellende Ergebnisse zu erzielen. Eine Beschränkung der Packungsgröße für Produkte zum Verkauf an private Verbraucher wäre daher angemessen und allgemein akzeptabel.

8.4

Die Kommission schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass cyclohexanhaltige Klebstoffe auf Neoprenbasis in maximal 650-Gramm-Packungen an private Verbraucher abgegeben werden dürfen. Außerdem müssen die Packungen mit den Hinweisen „Nicht zum Verlegen von Teppichböden“ und „Nur bei ausreichender Lüftung verarbeiten“ versehen werden.

8.5

Bei Testreihen, für die die schlimmsten möglichen Bedingungen simuliert wurden, etwa das Anbringen großer Korkplatten auf einer Innenwand, hat sich gezeigt, dass die vorstehend beschriebene Maßnahme geeignet wäre, um die Verbraucherexposition einzudämmen, wobei davon auszugehen ist, dass diese Exposition wie in den anderen oben dargelegten Fällen zeitlich und von der Häufigkeit her begrenzt wäre. Es scheint keine konkreten Hinweise auf Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung von Klebstoffen auf Neoprenbasis zu geben, obwohl diese weit verbreitet sind und seit langem genutzt werden. Die Einführung der Maßnahmen wird aber weder für die Hersteller noch die Verbraucher unnötige Schwierigkeiten mit sich bringen. Der Ausschuss befürwortet daher die von der Kommission vorgeschlagene Maßnahme zur Beschränkung des Inverkehrbringens und der Verwendung von Cyclohexan als angemessene Reaktion auf die vorstehend beschriebenen Risiken.

9.   Ammoniumnitrat

9.1

Ammoniumnitrat ist ein weißer, in Form von Pellets verkaufter Feststoff, der seit über 100 Jahren aus gasförmigem Ammoniak hergestellt wird. Die weltweite Produktion beläuft sich auf über 20 Mio. Tonnen. Ammoniumnitrat spielt eine wichtige Rolle als Stickstoffdüngemittel und Ausgangsstoff für Explosivstoffe. Aufgrund dieser Eigenschaft sowie der raschen Beschaffbarkeit und der geringen Kosten sind Terroristen auf diesen Stoff aufmerksam geworden. Zwar sind weitere Stoffe erforderlich, z.B. Dieselöl, aber auch diese lassen sich leicht beschaffen. Ammoniumnitrat wurde lange Zeit von der IRA als Sprengstoff genutzt und kam auch bei aufsehenerregenden Bombenanschlägen, etwa in Oklahoma, im World Trade Centre und auf Bali, zum Einsatz. Vor kurzem wurde es von Extremisten bei den Anschlägen in London und in anderen europäischen Hauptstädten verwendet. Anleitungen für die Herstellung solcher Sprengsätze sind problemlos im Internet zu finden. Bereits die geringe Menge von 2 kg Ammoniumnitrat kann verheerende Schäden anrichten. Anscheinend ist es mit der erforderlichen Entschlossenheit selbst für Privatpersonen ohne weitere Schwierigkeiten möglich, sich Mengen über 500 kg zu beschaffen, erforderlichenfalls durch den wiederholten Kauf kleinerer Mengen in Gärtnereien oder anderen Einzelhandelsgeschäften. Dieser Bereich ist natürlich schwierig zu kontrollieren.

9.2

Was die gewerbliche Nutzung (Landwirte) anbelangt, besteht die Kontrolle darin, große Mindestverpackungsgrößen für den Versand (um den unbefugten Transport bzw. das Entfernen einzelner Packungen zu erschweren) sowie eine aufmerksame Produktbegleitung in allen Phasen der Lieferkette vorzuschreiben. Im Allgemeinen ist das im Handel befindliche Ammoniumnitrat instabil und kann zerfallen, wodurch es unbrauchbar wird. Es muss daher richtig gelagert und so rasch wie möglich auf die Böden ausgebracht werden. Dadurch ist dem Missbrauch für andere Zwecke ein gewisser Riegel vorgeschoben.

9.3

Ammoniumnitrat gelangt in unterschiedlicher Konzentration (anteiliger Stickstoffgehalt) sowie mit oder ohne Zusatz anderer Grundstoffe (üblicherweise Phosphor- und Kaliumderivate) in den Handel. In purem Zustand enthält es etwa 35 % Stickstoff. Um Schäden an der Vegetation vorzubeugen, muss es verdünnt werden. Die unterschiedlichen Produktqualitäten lassen sich durch die Beigabe aktiver Substanzen bzw. inerter Füllstoffe, etwa Kalk, oder mittels chemischer Reaktionen zur Erzielung des gewünschten Mengenverhältnisses der einzelnen Grundkomponenten herstellen. Die für Landwirte bestimmten Erzeugnisse können einen Stickstoffgehalt von 28 % und darüber aufweisen. Diese Düngemittel mit hohem Stickstoffgehalt unterliegen Kontrollen nach Maßgabe der Verordnung (EG) 2003/2003, durch die sichergestellt werden soll, dass sie den erforderlichen Stickstoffgehalt aufweisen und sicher und ohne Explosionsgefahr eingesetzt werden können. Düngemittel, die diese Anforderungen erfüllen, können als „EG-Düngemittel“ in Verkehr gebracht und international gehandelt werden. Düngemittel, die diese Normen nicht erfüllen, können nicht grenzüberschreitend gehandelt werden und werden als „nationale Düngemittel“ bezeichnet. Der Stickstoffgehalt von Düngemitteln zur Abgabe an private Verbraucher beträgt in der Regel 20-25 %. Je niedriger der Stickstoffgehalt, desto höher sind die Transportkosten pro Düngemitteleinheit, und desto mehr muss je nach Fläche davon ausgebracht werden. Ammoniumnitrat-Düngemitteln mag zwar zentrale Bedeutung für die kommerzielle Landwirtschaft zukommen, für die deutlich geringeren Mengen, die über den Einzelhandel an private Verbraucher abgegeben und durch andere Erzeugnisse ersetzt werden können, gilt dies aber nicht.

9.4

Vom Standpunkt einer Person, die illegal Sprengstoffe herzustellen versucht, ist ein möglichst hoher Stickstoffgehalt am besten. Der Stickstoffgehalt mechanisch hergestellter Mischungen lässt sich durch einfaches Auflösen und erneutes Auskristallisieren wieder erhöhen. Bei chemischen Verbindungen ist dies schwieriger oder sogar unmöglich. Im Auftrag der dänischen Regierung haben Fachleute Ammoniumnitrat mit einem Stickstoffgehalt von nur 16 % zur Explosion gebracht. Mit entsprechend viel Zeit und Findigkeit ist alles möglich, obwohl andere Formulierungen aus ebenso leicht beschaffbaren Rohstoffen auf lange Sicht attraktiver werden. Anleitungen dafür finden sich im „Handbuch für Terroristen“ und auf anderen für jedermann zugänglichen Internetseiten.

9.5

Nach den Bombenanschlägen im März 2004 in Madrid verabschiedete der Europäische Rat eine Erklärung über den Kampf gegen den Terrorismus. In der Folge wurde die Sachverständigengruppe „Sicherheit von Explosivstoffen“ eingerichtet und mit der Ausarbeitung eines Aktionsplans zur Bekämpfung des Einsatzes von Explosivstoffen durch Terroristen beauftragt. Dieser Plan wurde im Juni 2007 vorgelegt. Im Rahmen einer der insgesamt 47 Maßnahmen wurde die Einrichtung eines ständigen Sachverständigenausschusses für Ausgangsstoffe von Explosivstoffen vorgeschlagen. In diesem Gremium sind eine Reihe von Fachleuten aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor sowie der Europäische Ausschuss der Verbände der chemischen Industrie (CEFIC), der Europäische Verband des Chemiehandels (FECC) und der Verband der europäischen Düngemittelhersteller (EFMA) vertreten.

9.6

Mit dem vorliegenden Vorschlag soll gewährleistet werden, dass sämtliche Ammoniumnitrat-Düngemittel zur Abgabe an Landwirte (oder Großhändler) den in der Verordnung (EG) Nr. 2003/2003 festgelegten Standards entsprechen. Ferner soll der Stickstoffgehalt von Produkten zur Abgabe an private Verbraucher begrenzt werden. Wird dieser Vorschlag angenommen, darf Ammoniumnitrat 18 Monate nach dem Inkrafttreten der Entscheidung nicht mehr als Stoff als solcher oder in Zubereitungen zur Abgabe an private Verbraucher in Verkehr gebracht werden, wenn der Stickstoffgehalt des Ammoniumnitratanteils 20 Massen- % oder darüber beträgt.

9.7

Der Ausschuss befürwortet den ersten Teil des Vorschlags, wonach alle an Landwirte abgegebenen Düngemittel mit hohem Stickstoffgehalt, unabhängig davon, ob sie grenzüberschreitend oder nur innerhalb eines Landes gehandelt werden, den in der Verordnung (EG) Nr. 2003/2003 festgelegten Standards entsprechen sollen.

9.8

In Bezug auf die zweite Beschränkung weist der Ausschuss im Zusammenhang mit der Abgabe an private Verbraucher darauf hin, dass es sich um größere Mengen handeln könnte als ursprünglich angenommen, nämlich um über 50.000 Tonnen, und dass der Verband der europäischen Düngemittelhersteller zwar die Beschränkung auf 20 % bei gemischten Düngemitteln (bei denen sich der Stickstoffgehalt ohne größere Schwierigkeiten wieder erhöhen lässt) akzeptiert, für Düngemittel aus chemischen Verbindungen (bei denen dies erheblich schwieriger ist) jedoch eine Obergrenze von 24,5 % fordert. Da die Debatte im Rahmen des ständigen Sachverständigenausschusses für Ausgangsstoffe von Explosivstoffen noch nicht abgeschlossen ist, müssen diese und weitere Möglichkeiten eingehend erörtert werden, bevor die Entscheidung angenommen wird. Unabhängig davon, was sonst noch für die Terrorismusbekämpfung wichtig sein mag, ist für die Erzielung echter Fortschritte bei der Beschränkung des Zugangs zu Ausgangsstoffen von Explosivstoffen in erster Linie entscheidend, dass sich sämtliche Akteure, und in diesem Fall schließt dies die Erzeuger, Groß- und Einzelhändler sowie die Öffentlichkeit ein, einig sind und nach Kräften an einem Strang ziehen.

9.9

Der Ausschuss nimmt, allerdings unter Vorbehalt, zur Kenntnis, dass die Richtlinie des Rates 76/769/EWG kurzfristig die einzige verfügbare Rechtsgrundlage für die Kommission ist und die Maßnahmen daher in dieser Form vorgeschlagen und erörtert werden müssen. Er hofft jedoch, dass nach Abschluss der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon ein besseres System geschaffen werden kann.

10.   Besondere Bemerkungen

10.1

Wie bereits in seinen Stellungnahmen zu früheren Änderungen der Richtlinie des Rates 76/769/EWG bringt der Ausschuss sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass weiterhin Produkte zusammengefasst werden, die nichts miteinander zu tun haben und für die eigentlich gesonderte Regelungen getroffen werden müssten. Diese Vorgehensweise ist weder beispielhaft, noch sinnvoll und schon gar nicht im Sinn eines „guten Regierens“. Es bleibt zu hoffen, dass ab 1. Juni 2009 unter der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) ein verbessertes Verfahren angewandt wird.

10.2

Ferner stellt der Ausschuss fest, wie viel Zeit schon vergangen ist. Die erste Prioritätenliste wurde im Mai 1994 vorgelegt. Selbst wenn dieser Vorschlag wie gewünscht im Eilverfahren angenommen würde, sind bis Ende 2010 nur geringe Auswirkungen auf den Markt zu erwarten (und auch dann sind kaum spürbare Verbesserungen im Hinblick auf die menschliche Gesundheit zu erwarten). Außerdem kann die Schuld für diese Verzögerungen nicht ausschließlich den Herstellern, die die Daten für die Erstellung der Risikobewertungsberichte zur Verfügung stellen mussten, zugeschoben werden, lagen diese doch bereits seit geraumer Zeit vor. Sollten diese Verzögerungen auf eine Ressourcenknappheit in der Europäischen Kommission, ihren wissenschaftlichen Ausschüssen oder anderen für den Gesundheitsschutz verantwortlichen Gremien bzw. Agenturen zurückzuführen sein, muss dem unbedingt abgeholfen werden, bevor ab dem 1. Juni 2009 ein noch viel größeres Arbeitspensum, weitgehend ohne Prioritätenlisten, zu bewältigen sein wird.

10.3

Der Ausschuss schließt sich der Erklärung des Europäischen Rates über den Kampf gegen den Terrorismus aus dem Jahr 2004 vorbehaltlos an, unterstützt die unterschiedlichen Maßnahmen, die im Nachgang zu dieser Erklärung ergriffen wurden nachdrücklich, und vertritt die Auffassung, dass die Zivilgesellschaft in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen muss. Er bringt daher seine Hoffnung zum Ausdruck, in diesem Prozess als vollwertiger und wertvoller Gesprächspartner und Akteur anerkannt zu werden und weist darauf hin, dass er derzeit eine Reihe von Stellungnahmen zu verwandten Themen erarbeitet. Eine Einigung hinsichtlich der angemessenen Maßnahmen und der Verfahrensform, die gewählt werden sollte, damit sich alle Betroffenen zeitgerecht und wirksam dazu äußern können, wird von entscheidender Bedeutung für die dauerhafte Sicherstellung von Frieden und Sicherheit in der EU sowie in den angrenzenden Regionen sein.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung des gemeinsamen Unternehmens 'Brennstoffzellen und Wasserstoff'“

KOM(2007) 571 endg. — 2007/0211 (CNS)

(2008/C 204/04)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 30. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung des gemeinsamen Unternehmens 'Brennstoffzellen und Wasserstoff'“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr DANTIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 117 Ja-Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet den Beschluss über die Einrichtung des gemeinsamen Unternehmens „Brennstoffzellen und Wasserstoff“. Er ist nämlich der Auffassung, dass auf diese Weise Anreize für neue Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) gesetzt werden und den Unternehmen ein verlässlicher Rahmen für solche Investitionen geboten wird, wodurch die derzeitige Zersplitterung der Gemeinschaftsfinanzierung überwunden und die bislang zu häufig unkoordinierten Forschungsbemühungen im Sinne eines Effizienzgewinns aufeinander abgestimmt werden können.

1.2

Er begrüßt, dass die Wahl auf diesen Wirtschaftszweig gefallen ist, da er sowohl für die Zielsetzungen der Lissabon-Strategie als auch die Barcelona-Ziele hinsichtlich der für FuE einzusetzenden Mittel sowie für weitere wichtige Gemeinschaftspolitiken, etwa Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung, relevant ist.

1.3

Mit seiner Zustimmung zu dem vorliegenden Kommissionsvorschlag will der Ausschuss in erster Linie die Bedeutung hervorheben, die die im Bereich der Investitionen und der Forschungskoordinierung vorgeschlagene Strategie für die EU hat. Nach seiner Auffassung begünstigt diese Strategie die Schaffung eines europäischen Forschungsraums.

1.4

Angesichts der vielfältigen Finanzierungssysteme und Beteiligungen sowie der beträchtlichen gemeinschaftlichen Geldmittel, die im Spiele sind, wäre es nach Auffassung des Ausschusses jedoch angebracht, die Verwendung und Zuordnung der Forschungsergebnisse präziser festzulegen, und zwar insbesondere im Hinblick auf das geistige Eigentum und die Frage der Patentrechte. Auf diese Schwachstelle hat der Ausschuss bereits in seinen Stellungnahmen zu der Gründung der gemeinsamen Unternehmen „Initiative Innovative Arzneimittel“ und „Clean Sky“ hingewiesen. Bei der vorliegenden gemeinsamen Technologieinitiative könnte dies insofern zu einem noch heikleren Problem werden, als die Forschungsergebnisse für Unternehmen von Interesse sein werden, die im Wettbewerb zueinander stehen, insbesondere die Automobilhersteller.

1.5

Der Ausschuss hält daher folgende Maßnahmen für erforderlich:

eine wirkliche Vereinfachung der Verfahren, insbesondere im Hinblick auf die negativen Auswirkungen der überkomplexen Verwaltungsabläufe bei früheren FuE-Programmen. Der Ausschuss bedauert in diesem Zusammenhang, dass keinerlei eingehende Bilanz aus diesen Erfahrungen gezogen und die Gründe für eventuelle Schwierigkeiten im Bereich der europäischen Technologieplattformen nicht ermittelt wurden, was die Vermeidung weiterer Probleme ermöglicht hätte;

ein Informationsprogramm, das zur Mobilisierung der erforderlichen öffentlichen und privaten Finanzmittel beiträgt;

die Einführung geeigneter Berufsbildungsprogramme, um die Qualifikationen der Beschäftigten auf die Höhe der Arbeitsplätze zu bringen, die diese Technologieinitiative mit sich bringen wird.

2.   Einleitung

2.1

Mit dem vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung, die eine der sechs gemeinsamen Technologieinitiativen (GTI) definiert, soll eine der ersten europäischen öffentlich-privaten Partnerschaften im Bereich der Forschung und der Entwicklung (FuE) ins Leben gerufen werden. Diese Partnerschaft wurde „Gemeinsames Unternehmen Brennstoffzellen und Wasserstoff“ getauft und betrifft einen Bereich, der von strategischer Bedeutung für die Diversifizierung des Energiemixes und die künftige Energieversorgung ist.

2.2

Übergeordnetes Ziel dieses gemeinsamen Unternehmens ist es, der Industrie, den einzelnen Mitgliedstaaten und der Kommission eine Bündelung ihrer jeweiligen Ressourcen zugunsten der geplanten Forschungsprogramme zu ermöglichen.

2.3

Im Gegensatz zu der traditionellen Herangehensweise, bei der von Fall zu Fall über die Förderung einzelner Projekte aus öffentlichen Mitteln entschieden wird, betreffen die GTI groß angelegte Forschungsprogramme mit gemeinsamen strategischen Forschungszielen. Dank diesem neuen Ansatz sollte es gelingen, die kritische Masse für die europäische Forschung und Innovation zu erreichen, den Forschern in den Bereichen mit der größten strategischen Bedeutung einen festen Rahmen zu geben und die Projektfinanzierung zu harmonisieren, so dass Forschungsergebnisse schneller genutzt werden können. Die GTI betreffen jene bedeutsamen Schlüsselbereiche, in denen mit den bisherigen Instrumenten weder die kritische Masse erreicht noch das Tempo gewährleistet werden konnte, die erforderlich sind, damit Europa seine vorteilhafte Position im internationalen Wettbewerb sichern bzw. eine solche Stellung erreichen kann. Es handelt sich um Bereiche, in denen sich durch die Finanzierung aus einzelstaatlichen, europäischen und privaten Mitteln ein erheblicher zusätzlicher Nutzen erzielen lässt, und zwar insbesondere dann, wenn Anreize für mehr private Investitionen in FuE gesetzt werden.

2.4

Brennstoffzellen sind hocheffiziente Energiewandler, die eine erhebliche Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen und anderer Schadstoffe ermöglichen. Darüber hinaus gewährleisten sie Flexibilität bei der Wahl der Energieträger, weil sie sowohl mit Wasserstoff als auch anderen Brennstoffen, wie z.B. Erdgas, Ethanol oder Methanol, betrieben werden können, so dass durch ihren Einsatz ein entscheidender Beitrag zum Umweltschutz und zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung geleistet werden kann.

2.5

Im Bereich der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnik besteht das übergeordnete Ziel des „Gemeinsamen Unternehmens Brennstoffzellen und Wasserstoff“ darin, einen Beitrag zur Entwicklung jener Kompetenzen zu leisten, die eine Schlüsselfunktion für diesen Industriezweig haben, und auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken. Mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag wird der erforderliche Rechtsrahmen für die Gründung eines solchen gemeinsamen Unternehmens geschaffen.

2.6

Mit dem gemeinsamen Unternehmen Brennstoffzellen und Wasserstoff wird außerdem ein Beitrag zur Umsetzung des in der Kommissionsmitteilung KOM(2004) 38 endg. vorgeschlagenen Aktionsplans für Umwelttechnologie geleistet, in dem die Schaffung dieser Technologieplattform bereits als einer der Schwerpunkte vorgesehen war.

3.   Kontext und allgemeine Überlegungen

3.1

Die Energieknappheit und die ständige Unsicherheit hinsichtlich der Energieversorgung verschlechtern die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger Europas ebenso wie die Wettbewerbsbedingungen der europäischen Unternehmen. Diese beiden Faktoren könnten künftig, auch im Hinblick auf eine dauerhaft instabile Lage und Preissteigerungen bei den Energieressourcen, schwerwiegende Konsequenzen haben.

3.2

Aus diesem Grund sind wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen von großem Interesse für die Zukunft, denn sie ermöglichen nicht nur die Nutzung einer Vielfalt verfügbarer Energiequellen, sondern sind darüber hinaus umweltfreundliche Energiewandler, entsteht doch als Abfallprodukt ausschließlich Wasserdampf. Auch die anderen Arten von Brennstoffzellen, bei denen Erdgas oder andere fossile Brennstoffe eingesetzt werden, ermöglichen aufgrund ihres höheren Wirkungsgrades eine Senkung der Schadstoffemissionen.

3.3

Der Einsatz von Wasserstoff als flexiblem Energieträger kann zur Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit und -preisstabilität beitragen, da er aus jeder beliebigen Primärenergiequelle hergestellt werden kann und dadurch eine Diversifizierung der Kraftstoffe für den Verkehrsbereich ermöglicht, der zur Zeit zu 98 % erdölabhängig ist.

3.4

Im Jahr 2005 betrug der weltweite Umsatz der Brennstoffzellenbranche ca. 300 Mio. EUR, davon wurden aber nur 12 % in Europa erwirtschaftet; ferner beliefen sich die Investitionen in die Forschung auf schätzungsweise 700 Mio. EUR, wovon 78 % in Nordamerika und nur 10 % in Europa getätigt wurden.

3.5

Die gegenwärtige Struktur der europäischen Brennstoffzellen- und Wasserstoffbranche ist also sehr unbefriedigend, und das trotz der beträchtlichen öffentlichen Fördermittel, die die EU bereits für diesen Bereich, der schon im 7. Forschungsrahmenprogramm ein wichtiger Aspekt im Kapitel „Energie und Verkehr“ war, bereitgestellt hat. Europa liegt mit seinen Forschungsbemühungen in diesem Bereich zu weit hinter anderen Teilen der Welt zurück; laut einer EU-Studie (Projekt „HyLights“ der GD Energie und Verkehr) liegt Europa bei der Entwicklung von Fahrzeugen mit Brennstoffzellen zurzeit mindestens fünf Jahre hinter Japan und Nordamerika zurück.

3.6

Ohne einen neuen, konkreten Vorstoß im Bereich der Forschung und Entwicklung läuft die industrielle Entwicklung in einem Bereich von so grundlegender Bedeutung wie dem der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnik Gefahr, noch weiter hinter die internationale Konkurrenz zurückzufallen, was sich auf die Entwicklung der Industrie ebenso negativ wie auf die Beschäftigungssituation in dieser Branche auswirken würde.

3.7

Die Hauptprobleme, die sich im Zuge der Analyse und der Konsultation durch die Kommission herauskristallisiert haben, sind auf die Komplexität der in diesem Bereich erforderlichen Forschungsarbeiten und das Fehlen eines auf der EU-Ebene vereinbarten, langfristigen Investitionsplans zurückzuführen.

3.8

Es liegt auf der Hand, dass Unternehmen und Forschungseinrichtungen angesichts des im Innovationsbereich erforderlichen Aufwands sowie des enormen Mittelbedarfs nicht dazu in der Lage sind, die nötigen Forschungsarbeiten im Alleingang durchzuführen.

3.9

Die derzeit zur Verfügung stehenden Ressourcen sind nicht nur unzureichend, sie werden auch nicht optimal ausgeschöpft, wovon sowohl Lücken in den Forschungsprogrammen als auch unnötige Überschneidungen zeugen. Für ein groß angelegtes Programm auf EU-Ebene sind sie keinesfalls angemessen.

3.10

Außerdem gibt es in der europäischen Brennstoffzellenbranche keine ausreichende Abstimmung zwischen den einzelnen Ländern und Tätigkeitsbereichen (Hochschulen, junge Industrieunternehmen, kleine und mittelständische High-Tech-Betriebe usw.), was die Zusammenführung von Wissen und Erfahrung, die für die Verbesserung der Werkstoffeigenschaften unerlässlichen technischen Durchbrüche sowie die von potentiellen Neukunden erwartete Kostensenkung erschwert.

3.11

Es ist ein Gebot der Stunde, der Forschung im Bereich der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnik eine europäische Dimension zu verleihen; in der Tat ist dies offenbar die einzig mögliche Lösung, um den großen Herausforderungen, vor denen dieser Bereich steht, gerecht zu werden.

3.12

Die Gründung eines gemeinsamen öffentlich-privaten Unternehmens sollte der gemeinschaftlichen Forschung und Entwicklung in diesem Bereich einen Sprung hin zu echter Leistungsfähigkeit ermöglichen, war es doch bislang schwierig, die dafür erforderliche kritische Masse zu erreichen. Dies wäre von entscheidender Bedeutung für die Überwindung der derzeitigen Fragmentierung der Forschungsprogramme von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, die mangels Mitteln gar nicht die kritische Masse zur Finanzierung der nötigen Programme erreichen können.

4.   Übereinstimmung

4.1

Bezugspunkt für die Forschungsprogramme ist das Siebte Rahmenprogramm für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (RP7). Will man eine wettbewerbsfähige und dynamische Wirtschaft, brauchen wir neue Investitionen in FuE.

4.2

Der vorliegende Verordnungsvorschlag stimmt offenbar mit der Gemeinschaftspolitik im Bereich der Forschung sowie der Lissabon-Strategie (Wettbewerbsfähigkeit) und den Barcelona-Zielen (Forschungsausgaben), die bis 2010 einen Anstieg der Investitionen auf 3 % des BIP vorsehen, überein.

4.3

Darüber hinaus stimmt er offensichtlich auch mit der Mitteilung der Kommission zu der im Januar 2007 lancierten Initiative „Eine Energiepolitik für Europa“ und dem europäischen Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) überein, zu dem der Ausschuss derzeit eine Stellungnahme (1) erarbeitet und auf dessen Grundlage die Ausrichtung der Politik im Bereich der Energietechnologien für das kommende Jahrzehnt festgelegt werden soll. Außerdem steht er im Einklang mit weiteren gemeinschaftlichen Politikfeldern, z.B. in den Bereichen Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung.

5.   Der Vorschlag der Kommission

5.1

Der Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ (KOM(2007) 571 endg.) ergibt sich aus dem Beschluss Nr. 1982/2006/EG über das 7. Rahmenprogramm, das einen Gemeinschaftsbeitrag zur Gründung langfristiger öffentlich-privater Partnerschaften auf europäischer Ebene im Forschungsbereich vorsieht.

5.2

Diese Partnerschaften in Form von „gemeinsamen Technologieinitiativen“ (GTI) lösen die früheren „europäischen Technologieplattformen“ ab.

5.3

In der Entscheidung Nr. 2006/971/EG des Rates über das spezifische Programm „Zusammenarbeit“ wird die Notwendigkeit unterstrichen, öffentlich-private Partnerschaften einzurichten, und es werden sechs Bereiche ermittelt, in denen die Schaffung gemeinsamer Technologieinitiativen als geeignet erscheint, um die europäische Forschung neu zu beleben:

Wasserstoff und Brennstoffzellen

Luftfahrttechnik und Luftverkehr (2);

innovative Arzneimittel (3);

eingebettete Computersysteme (4);

Nanoelektronik (5);

GMES (globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung).

5.4

Im Rahmen dieser allgemeinen Strategie sieht der hier erörterte Vorschlag für eine Verordnung (KOM(2007) 571 endg.) die Durchführung der „gemeinsamen Technologieinitiative“ im Bereich Brennstoffzellen und Wasserstoff durch die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens namens „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ vor.

5.5

Das gemeinsame Unternehmen soll eine internationale Organisation mit Rechtspersönlichkeit im Sinne von Artikel 22 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 2004/17/EG vom 31. März 2004 und Artikel 15 Buchstabe c) der Richtlinie Nr. 2004/18/EG sein. Es soll seinen Sitz in Brüssel haben, und seine Tätigkeit endet am 31. Dezember 2017, sofern der Rat durch Änderung der vorliegenden Verordnung keine Verlängerung beschließt.

5.6

Die Europäische Kommission legt die Hauptziele, die sie mit der Gründung dieses gemeinsamen Unternehmens verfolgt, im Einzelnen in Artikel I.2 der Satzung des gemeinsamen Unternehmens im Anhang zu dem vorliegenden Verordnungsvorschlag dar:

Europa soll weltweit eine Spitzenposition im Bereich der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnik einnehmen.

Die Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnik soll sich auf dem Markt durchsetzen, so dass die Marktkräfte beträchtliche Vorteile für die gesamte Bevölkerung bewirken können.

Bei den Forschungsanstrengungen soll die kritische Masse erreicht werden, die der Industrie, öffentlichen und privaten Investoren, Entscheidungsträgern und sonstigen Akteuren das notwendige Vertrauen vermittelt, um sich einem langfristigen Programm anzuschließen.

Weitere Investitionen in Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (FTE&D) der Industrie, der Mitgliedstaaten und der Regionen sollen mobilisiert werden.

Der Europäische Forschungsraum soll aufgebaut werden.

Innovationen sollen ebenso wie das Entstehen neuer Wertschöpfungsketten unter Einbeziehung von KMU gefördert werden.

Die Interaktion von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen, auch im Bereich der Grundlagenforschung, soll erleichtert werden.

Die Beteiligung von Einrichtungen auch aus den neuen Mitgliedstaaten und den Kandidatenländern soll gefördert werden.

Die Erarbeitung neuer Rechtsvorschriften und Normen soll unterstützt werden, um künstliche Hemmnisse für den Wasserstoffhandel zu beseitigen.

Die breite Öffentlichkeit soll über die Sicherheit von Wasserstoff und die Vorteile der neuen Technik für die Umwelt, die Energieversorgungssicherheit, die Energiekosten und die Beschäftigung verlässlich informiert werden.

6.   Rechtsgrundlage

6.1

Der Vorschlag besteht aus einer Verordnung des Rates, der als Anhang die Satzung des gemeinsamen Unternehmens beigefügt ist. Er beruht auf Artikel 171 des EG-Vertrags. Das gemeinsame Unternehmen wird eine Körperschaft des Gemeinschaftsrechts sein, deren Rechnungsführung unter die Bestimmungen von Artikel 185 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates fällt. Es muss daher der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei dieser Initiative um eine öffentlich-private Partnerschaft handelt, zu der die Privatwirtschaft einen bedeutenden, mindestens jenem der öffentlichen Hand entsprechenden Beitrag leistet.

7.   Gründung

7.1

Die Gründungsmitglieder des gemeinsamen Unternehmens sind:

a)

die Europäische Gemeinschaft, vertreten durch die Europäische Kommission, und

b)

der europäische Industrieverband für die gemeinsame Technologieinitiative für Brennstoffzellen und Wasserstoff.

7.2

Nach der Gründung des gemeinsamen Unternehmens könnte ein aus Forschungseinrichtungen ohne Erwerbszweck zusammengesetzter Forschungsverband ebenfalls Mitglied werden, sofern eine Rechtsperson zur Vertretung des Forschungssektors geschaffen wird.

8.   Finanzierung

8.1

Die in Artikel 5 des Verordnungsvorschlags dargelegten Verwaltungskosten des gemeinsamen Unternehmens werden zu gleichen Teilen von seinen Gründungsmitgliedern aufgebracht.

8.2

Die operativen FTE&D-Kosten werden gemeinsam durch den Finanzbeitrag der Gemeinschaft und die Sachbeiträge der an dem Unternehmen beteiligten privaten Rechtspersonen finanziert, wobei die Beiträge privater Rechtspersonen mindestens der Höhe des Gemeinschaftsbeitrags entsprechen müssen.

8.3

Der maximale Gemeinschaftsbeitrag zu den Verwaltungskosten und operativen Kosten des gemeinsamen Unternehmens beträgt 470 Mio. EUR. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass dieser Betrag im Hinblick auf die Bedeutung der im Rahmen dieser gemeinsamen Technologieinitiative angestellten Forschungsarbeiten höher hätte angesetzt werden können. Ferner werden die Verwaltungskosten mit höchstens 20 Mio. EUR veranschlagt. Der Beitrag stammt aus dem spezifischen Programm „Zusammenarbeit“ zur Durchführung des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007-2013), in Ausführung des Haushaltsplans der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 54 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002.

8.4

Wird ein Forschungsverband gegründet (siehe Ziffer 7.2), trägt er zu einem Zwölftel zu den Verwaltungskosten bei, wodurch sich der Beitrag der Kommission entsprechend verringert.

8.5

Im Zeitraum 2014-2017 werden nur jene Projekte weitergeführt, für die spätestens am 31. Dezember 2013 (Ende des RP7) eine Finanzhilfevereinbarung unterzeichnet wurde, es sei denn, nach 2013 werden weitere Finanzmittel bereitgestellt.

9.   Allgemeine Bemerkungen

9.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Beschluss über die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ und bewertet den entsprechenden Verordnungsvorschlag (KOM(2007) 571 endg.) positiv. Er hebt in erster Linie die Bedeutung hervor, die der vorgeschlagenen Strategie im Hinblick auf Investitionen und die Koordinierung der Forschungstätigkeit sowie die im Rahmen der vorliegenden gemeinsamen Technologieinitiative anzustrebende weitere Diversifizierung des Energiemixes insbesondere im Verkehrsbereich (6) zukommt.

9.2

Wie schon in seinen Stellungnahmen zu den weiteren Verordnungen im Zusammenhang mit dem Beschluss Nr. 2006/971/EG des Rates über das spezifische Programm „Zusammenarbeit“ dargelegt, hält der Ausschuss die Ankurbelung der FuE-Investitionen für ein angemessenes Mittel, um den europäischen Unternehmen einen sicheren Bezugsrahmen bereitzustellen, der es ermöglicht, die derzeitige Fragmentierung der Gemeinschaftsfinanzierung zu überwinden und eine Zersplitterung der Programme zu verhindern.

9.3

Der Ausschuss hat sich von Anfang an in zahlreichen Stellungnahmen nachdrücklich für ein wachsendes Engagement der EU in Forschung und Entwicklung ausgesprochen. Da es an dieser Stelle nicht möglich ist, sämtliche Stellungnahmen anzuführen, sollen nur die zwei jüngsten genannt werden, die auf der letzten Plenartagung des Ausschusses am 24./25. Oktober 2007 mit großer Mehrheit verabschiedet wurden, nämlich die Stellungnahmen zu den gemeinsamen Unternehmen „Clean Sky“ und „ENIAC“.

9.4

In allgemeiner Hinsicht: Der EWSA bekräftigt in seiner Stellungnahme zu dem Grünbuch „Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven“ (7), dass er „[…] das Ziel [unterstützt], wissenschaftlich-technische Forschungsinfrastrukturen von Weltniveau zu schaffen, die dann aber auch dauerhaft und verlässlich gefördert werden müssen“, betont dabei aber, dass die „Grundvoraussetzung für deren Erfolg und Sinn die Beteiligung der in den Mitgliedstaaten ansässigen einschlägigen Institute und Universitätsgruppen sowie bei technischen Projekten eine engagierte Einbindung der Industrie [ist]“.

9.5

In besonderer Hinsicht: In seiner Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Fortschrittsbericht Biokraftstoffe — Bericht über die Fortschritte bei der Verwendung von Biokraftstoffen und anderen erneuerbaren Kraftstoffen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ (8) verweist der Ausschuss mit Nachdruck auf die große Bedeutung, die der Entwicklung der Forschungsprogramme in den Bereichen zukommt, die Gegenstand des vorliegenden Verordnungsvorschlags sind.

9.5.1

Der Ausschuss weist in der vorgenannten Stellungnahme darauf hin, dass „besonderes Augenmerk auf die Forschung im Bereich Biokraftstoffe, insbesondere Biokraftstoffe der zweiten Generation, gerichtet werden [muss], ohne andere Möglichkeiten, wie die Entwicklung von Solarwasserstoff oder die Wasserstoffgewinnung aus Biomasse, außer Acht zu lassen“.

9.5.2

Des Weiteren betont er, dass „[…] in der Forschung im Bereich der Gewinnung von Wasserstoff aus Biomasseauch auf biotechnologischem Wegeoder aus erneuerbaren Energien [zwar] Fortschritte erzielt [wurden], […] die Möglichkeit, wasserstoffbetriebene Fahrzeuge zu vertreiben und zu vermarkten“ aber „auch von den hohen Kosten für die Anschaffung der Brennstoffzellen ab[hängt]. Damit sich der Wasserstoff zu einer wirtschaftlich tragbaren alternativen Energie entwickelt, müssen aber die Herstellungskosten gesenkt werden.“ Er hält es ferner für erforderlich, „die Forschung im Bereich der Biobrennstoffzellen-Technologien zu fördern, bei denen Biokatalysatoren eingesetzt werden, um chemische Energie in elektrische Energie umzuwandeln“.

10.   Besondere Bemerkungen

10.1

Angesichts der vielfältigen und vielschichtigen Finanzierungssysteme und der beträchtlichen gemeinschaftlichen Geldmittel, die im Spiele sind, wäre es nach Auffassung des Ausschusses angebracht, die Verwendung und Zuordnung der Forschungsergebnisse präziser festzulegen. Zu diesem Zweck sollten Fragen im Zusammenhang mit Patenten und dem geistigen Eigentum, wie in Artikel 17 des Verordnungsvorschlags bzw. in Artikel I.24 der im Anhang dazu beigefügten Satzung des gemeinsamen Unternehmens — allerdings nur sehr allgemein — definiert, eingehender und eindeutiger dargelegt werden, da sich dieser Punkt ansonsten bei der Umsetzung der gemeinsamen Technologieinitiative „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ und in deren Arbeit als eine Schwachstelle herausstellen könnte. Auf diese Schwachstelle hat der Ausschuss bereits in seinen Stellungnahmen zu der Gründung der gemeinsamen Unternehmen „Initiative Innovative Arzneimittel“ und „Clean Sky“ hingewiesen. Bei der vorliegenden gemeinsamen Technologieinitiative könnte dies insofern zu einem noch heikleren Problem werden, als die Forschungsergebnisse für Unternehmen von Interesse sein werden, die in direktem Wettbewerb zueinander stehen, insbesondere Automobilhersteller, die sich zahlreich an diesem gemeinsamen Unternehmen beteiligen werden. Darüber hinaus sollten in der Verordnung angesichts des beträchtlichen finanziellen Engagements der Gemeinschaft Instrumente zur Förderung des Ertrags dieser europäischen Investitionen angedacht werden, bzw. sollte diese Frage darin zumindest angesprochen werden.

10.2

Wie bereits in Ziffer 5.2 erwähnt, sind die gemeinsamen Technologieinitiativen aus den früheren europäischen Technologieplattformen hervorgegangen. Diese haben das ihnen vorgegebene Ziel einer strategischen Neubelebung der Forschung in Europa jedoch nicht immer erreicht. Ausschlaggebend für die Lancierung der neuen gemeinsamen Technologieinitiativen waren also eventuelle Schwierigkeiten im Bereich der europäischen Technologieplattformen, deren Zweck prinzipiell darin bestand, einen wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu leisten.

10.2.1

Der EWSA bedauert diesbezüglich, dass im Kommissionsvorschlag nicht detaillierter auf die zuvor von den europäischen Technologieplattformen durchgeführten Arbeiten eingegangen wird — es wird weder Bilanz gezogen noch werden Ergebnisse angeführt, und es wird kein Literaturhinweis gegeben. Mittels einer eingehenden Analyse, bei der die Ursachen für eventuelle Schwierigkeiten im Bereich der europäischen Technologieplattformen ermittelt worden wären, hätten Probleme im neuen Instrument vermieden werden können.

10.3

Um die mit der Gründung des gemeinsamen Unternehmens „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ angestrebten Ziele zu erfüllen und das Potenzial dieses neuen Instruments voll auszuschöpfen, hält der EWSA Folgendes für erforderlich:

eine wirkliche Vereinfachung der Verfahren, insbesondere im Hinblick auf die negativen Auswirkungen der überkomplexen Verwaltungsabläufe bei früheren FuE-Programmen. Außerdem legt der Ausschuss besonderen Wert darauf, dass allen Akteuren die Möglichkeit geboten wird, sich an der Festlegung der Ziele und der Analyse der Endergebnisse zu beteiligen;

ein groß angelegtes Informationsprogramm über die Möglichkeiten der gemeinsamen Technologieinitiative, insbesondere über die Fähigkeit, die angesichts der neuen Finanzierungsformen erforderlichen Mittel zu mobilisieren;

die Einführung geeigneter Berufsbildungsprogramme, um über hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu verfügen, die die für das vorgenannte gemeinsame Unternehmen erforderlichen FuE-Kenntnisse mitbringen, welche sich als strategisch überaus bedeutsam für die industrielle Zukunft der EU erweisen werden. Mit dem Einsatz dieser hochgradig technischen Spitzenqualifikationen, die für die neu entstehenden FuE-Arbeitsplätze notwendig sind, wird darüber hinaus die Abwanderung von Wissenschaftlern gebremst. Gleichzeitig werden diese Qualifikationen eine der notwendigen Bedingungen sein, um die Führungsposition der EU in diesen Wirtschaftszweigen von industrie- und umweltpolitisch strategischer Bedeutung sicherzustellen.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  TEN/332: „Europäischer Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan)“, Berichterstatter: Herr ZBOŘIL.

(2)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 11 (INT/364).

(3)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 1 (INT/363).

(4)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 15 (INT/370).

(5)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 19 (INT/369).

(6)  TEN/297: „Energiemix im Verkehrsbereich“, Berichterstatter: Herr IOZIA.

(7)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 1 (INT/358).

(8)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 34 (TEN/286).


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/24


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (kodifizierte Fassung)“

KOM(2008) 23 endg. — 2008/0019 (COD)

(2008/C 204/05)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 13. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie …/…/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (kodifizierte Fassung)“.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 126 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/24


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2008) 26 endg. — 2008/0009 (COD)

(2008/C 204/06)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 14. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften“ (kodifizierte Fassung).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 117 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 7 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/25


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne von Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2008) 39 endg. — 2008/0022 (COD)

(2008/C 204/07)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 14. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne von Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“ (kodifizierte Fassung).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 125 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/25


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission „Transeuropäische Netze: Entwicklung eines integrierten Konzepts“

KOM(2007) 135 endg.

(2008/C 204/08)

Die Europäische Kommission beschloss am 21. März 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission — Transeuropäische Netze: Entwicklung eines integrierten Konzepts“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 19. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr KRZAKLEWSKI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 13. März) mit 64 Ja- Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass ein integriertes Konzept für die transeuropäischen Netze (TEN) eine der Möglichkeiten zur Erreichung des Ziels einer ausgewogenen Entwicklung der Europäischen Union ist.

1.2

Der EWSA ist überzeugt, dass die Umsetzung eines integrierten Konzepts den Ausbau der geplanten transeuropäischen Netze beschleunigen und den damit verbundenen Aufwand im Vergleich zu einem Ansatz, bei dem mögliche Synergien zwischen den verschiedenen Netzen nicht berücksichtigt werden, reduzieren kann.

1.2.1

Vor diesem Hintergrund ruft der Ausschuss die Europäische Kommission auf, im Vorfeld der in Kürze stattfindenden Halbzeitbewertung Vorschläge für eine umfassendere finanzielle Unterstützung für die integrierten TEN-Konzepte (in ihrer Gesamtheit, d.h. einschließlich aller Nebennetze) in Form eines Fonds für das integrierte Konzept zu unterbreiten.

1.3

Nach einer Analyse der Bedingungen, unter denen ein integriertes Konzept der transeuropäischen Netze (in ihrer Gesamtheit) effektiv zum Tragen kommen kann, kommt der EWSA zu dem Schluss, dass wirksame Synergieeffekte nur bei einer Konvergenz der Sektoren möglich sind (1). Eine weitere wichtige Voraussetzung für ein wirksames Funktionieren des integrierten Konzepts ist der schnellstmögliche Aufbau der jeweiligen grundlegenden Netzstruktur.

1.4

Unter direkter Bezugnahme auf die Kommissionsmitteilung spricht sich der EWSA dafür aus, diese um eine Analyse zu ergänzen, in der untersucht wird, inwieweit sich der Beitritt zwölf neuer Mitgliedstaaten zur EU auf die Möglichkeit und den Umfang der Anwendung des integrierten Konzepts in diesen Ländern auswirkt.

1.5

Der Ausschuss stellt fest, dass ein integriertes TEN-Konzept von besonderer Bedeutung ist, weil dadurch

die bei Bau und Betrieb der Netze entstehenden Umweltschäden begrenzt und

die aufgrund von Interessenkonflikten bei Bau und Betrieb der Netze entstehenden Differenzen zahlenmäßig verringert und entschärft werden können.

1.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass wissenschaftliche Untersuchungen sowohl auf Veranlassung der Gemeinschaft als auch der Mitgliedstaaten von besonderer Bedeutung dafür sind, dass das integrierte TEN-Konzept eine optimale Wirkung entfalten kann. In dieser Hinsicht stellt er jedoch fest, dass die gegenwärtigen Untersuchungen eine thematische und sektormäßige Verzettelung erkennen lassen. Deshalb ruft er die Kommission und den Rat auf, für den gesamten Bereich europäischer wissenschaftlicher Untersuchungen Programme und Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen, die sich den Synergien zwischen den verschiedenen Netzen der komplexen TEN-Struktur widmen.

1.7

Da in einigen EU-Ländern ein Grundgerüst von Glasfasernetzen für technische Zwecke anderer nationaler Infrastrukturen (z.B. Elektrizitäts- oder Eisenbahnnetze) geschaffen wurde, ist der EWSA überzeugt, dass im Rahmen der Realisierung eines integrierten Konzepts eine größere kommerzielle Nutzung dieser Glasfasernetze erforderlich ist (Telekommunikationsdienste, Datenübertragung usw.).

1.7.1

Gleichzeitig ist der EWSA in Anbetracht des raschen Ausbaus lokaler (kommunaler) Infrastrukturen in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten der Ansicht, dass diese Infrastrukturneubauten unter Berücksichtigung des integrierten Konzepts zur Förderung des Ausbaus der Glasfasernetze und der Schaffung intelligenter Infrastrukturen vor Ort (2) genutzt werden sollten. Ein Kernelement einer intelligenten kommunalen Infrastruktur sollte ein integriertes geografisches Informationssystem (GIS) (3) sein. Auf diese Art und Weise wird ein integriertes Konzept für die lokale Netzinfrastruktur mithilfe eines Informationssystems (Intelligentes Infrastruktursteuerungssystem) verwirklicht.

1.8

Der Ausschuss schlägt vor, dass die Kommission bei ihren Plänen hinsichtlich des integrierten TEN-Konzepts integrierte Biogas- und Ökoenergietechnologien berücksichtigt. Dank dieser Technologien, die die Energieerzeugung näher beim Endverbraucher ansiedeln, können die CO2-Emissionen reduziert werden.

1.8.1

Im Rahmen des integrierten Konzepts sollte auf die Verwirklichung von Synergie-, Koordinierungs- und Spareffekten hingearbeitet werden, die bei der Entwicklung von Bio- und Gasenergietechnologien erreicht werden können.

1.9

Angesichts der möglichen Synergien der transeuropäischen Energienetze in den neuen baltischen EU-Mitgliedstaaten ist der EWSA der Auffassung, dass im Rahmen des integrierten Konzepts eine der möglichen und am schnellsten realisierbaren Maßnahmen ergriffen und mithilfe einer Energiebrücke eine Vernetzung der Systeme der Ostseestaaten mit den EU-Systemen herbeigeführt werden sollte. Bei der Realisierung dieses Unterfangens sind jedoch stranded costs  (4) (verlorene Investitionen) im Bereich der Übertragungsnetze auf längere Sicht (2020) zu vermeiden.

2.   Einleitung

2.1

Ausbau und Verbund, stärkere Integration und bessere Koordinierung der europäischen Energie-, Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur sind ehrgeizige Ziele, die sowohl im EG-Vertrag (5) als auch in den aus der Lissabon-Strategie resultierenden Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (6) genannt werden.

2.2

In den Artikeln 154 bis156 des EG-Vertrags sowie in den Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung wurden Ziele im Zusammenhang mit der Entwicklung, dem Verbund, einer stärkeren Integration und einer besseren Koordinierung der europäischen Energie-, Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur festgelegt.

2.3

Auf der Grundlage dieser Bestimmungen des EG-Vertrags sowie der vorgenannten Leitlinien entstand die Idee der transeuropäischen Verkehrs-, Energie- und Telekommunikationsnetze, die in der gemeinschaftlichen Wirtschaft wie ein Blutkreislauf wirken.

2.4

Um die größtmögliche Wirksamkeit der transeuropäischen Netze sicherzustellen, insbesondere im Hinblick auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union, betraute die Europäische Kommission im Juli 2005 eine eigens zu diesem Zweck eingesetzte Lenkungsgruppe mit dem Mandat, ein gemeinsames Konzept für eine bessere Koordinierung der verschiedenen Gemeinschaftsinstrumente zur Unterstützung der transeuropäischen Verkehrs-, Energie- und Telekommunikationsnetze auszuarbeiten.

2.4.1

Die Lenkungsgruppe beschäftigte sich insbesondere mit folgenden Fragen:

Synergien zwischen transeuropäischen Netzen,

Umweltschutz im Kontext der transeuropäischen Netze,

Nutzung neuer Technologien in den transeuropäischen Verkehrsnetzen,

Finanzierung der transeuropäischen Netze und in diesem Zusammenhang

Kombination von Gemeinschaftsmitteln,

Finanzierung vorrangiger Großprojekte,

öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) zur Finanzierung der transeuropäischen Netze.

2.5

Gegenstand der vorliegenden EWSA-Stellungnahme ist die Kommissionsmitteilung „Transeuropäische Netze: Entwicklung eines integrierten Konzepts“ (KOM(2007) 135 endg.), der die Arbeiten der Lenkungsgruppe zugrunde liegen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

Stand der Umsetzung der transeuropäischen Netze

3.1   Die transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-V)

3.1.1

Nach der letzten EU-Erweiterung 2007 umfassen die TEN-V nunmehr dreißig vorrangige Vorhaben, die bis 2020 verwirklicht werden sollen. Die Kommission hat außerdem kürzlich die Notwendigkeit einer Ausdehnung der transeuropäischen Verkehrsnetze zu den Nachbarstaaten herausgestellt (7).

3.1.2

Die Verwirklichung dieser Großprojekte hat sich gegenüber der ursprünglichen Zeitplanung verzögert. Obgleich einige Vorhaben bereits fertig gestellt sind bzw. zurzeit abgeschlossen werden (8), erfolgt der Bau der für vorrangig befundenen Verkehrswege nach wie vor zu langsam. In einer Initiativstellungnahme des EWSA (9) werden die Ursachen hierfür ausführlich dargelegt.

3.1.3

Achtzehn der dreißig vorrangigen Vorhaben sind Schienenverkehrsprojekte, zwei betreffen die Binnen- und Seeschifffahrt. So wurde den umweltfreundlichsten Verkehrsarten besonderer Vorrang eingeräumt. Die Karten in der für die Europäische Kommission von ECORYS erarbeiteten Studie (10) zeigen den aktuellen Stand der dreißig vorrangigen Vorhaben und den für das Ende des mehrjährigen Finanzrahmens geplanten Stand im Jahr 2013. Die Karten zeigen deutlich, wie unvollständig das Netz noch ist.

3.1.4

Die Kommissionsmitteilung, die Gegenstand dieser Stellungnahme ist, enthält eine Bilanz der Finanzmittel, die für die Verwirklichung der TEN-V im Finanzzeitraum 2000-2006 vorgesehen sind, sowie eine Auflistung der Finanzmechanismen für den mehrjährigen Finanzrahmen 2007-2013. In diesem Zusammenhang wurde für den Ausbau der transeuropäischen Verkehrsnetze aus dem EU-Haushalt ein Betrag in Höhe von 8,013 Mrd. EUR bereitgestellt.

3.1.5

Im Finanzplanungszeitraum 2007-2013 bleiben der EFRE und der Kohäsionsfonds für die Kofinanzierung von Projekten im Bereich der transeuropäischen Verkehrsnetze weiterhin die wichtigsten Quellen von Gemeinschaftsmitteln. Der Gemeinschaftsbeitrag zur Verwirklichung der transeuropäischen Verkehrsnetze muss allgemein auf die grenzüberschreitenden Abschnitte und Engpässe konzentriert werden.

3.1.6

Die Europäische Investitionsbank wird weiterhin Verkehrsinfrastrukturen durch Darlehen sowie durch ein spezifisches Garantieinstrument finanzieren, das mit 500 Mio. EUR aus Eigenmitteln der EIB und mit 500 Mio. EUR aus dem TEN-Budget (6,25 % der Gesamtmittelausstattung) gespeist wird.

3.2   Die transeuropäischen Energienetze (TEN-E)

3.2.1

Im Januar 2007 analysierte die Kommission im vorrangigen Verbundplan den Stand der Fortschritte der vorrangigen Vorhaben im Interesse Europas. In Bezug auf die Elektrizität verläuft die Verwirklichung nur bei wenigen Vorhaben (zwölf von zweiunddreißig) planmäßig. Lediglich fünf Vorhaben wurden bislang abgeschlossen (11).

3.2.2

Bei den Gasleitungsnetzen sieht die Lage besser aus: Voraussichtlich sieben von zehn Vorhaben werden in den Jahren 2010-2013 fertig gestellt. Andererseits verzögert sich die Verwirklichung von 29 LNG-Terminals (12) und Gasspeichern. Neun Vorhaben wurden vollständig aufgegeben, an fünf wurden die Arbeiten eingestellt.

3.2.2.1

Als Hauptursache für die Verzögerungen und Unzulänglichkeiten nannte die Kommission die Komplexität der Programmplanung und der Genehmigungsverfahren. Weitere Ursachen seien der Widerstand der Öffentlichkeit, unzureichende Finanzmittel sowie die horizontale Struktur der Energieunternehmen.

3.2.3

Die EU wird bis zum Jahr 2013 mindestens 30 Mrd. EUR in die Infrastruktur investieren müssen (6 Mrd. EUR für die Stromübertragung, 19 Mrd. EUR für Erdgasrohrleitungen und 5 Mrd. EUR für Flüssiggasterminals (LNG-Terminals)), wenn die dargelegten vorrangigen Vorhaben vollständig verwirklicht werden sollen. Investitionen sind nicht nur in Bezug auf die grenzüberschreitenden Verbunde, sondern auch die Energieerzeugung unerlässlich.

3.2.4

Die finanzielle Unterstützung, die nur in besonderen und begründeten Fällen gewährt wird, wird im Falle der TEN-E-Investitionen mit Haushaltsmitteln der Europäischen Union sichergestellt. Es handelt sich hierbei um eine Haushaltslinie, die ausschließlich für die Finanzierung transeuropäischer Netze bestimmt ist. Möglich ist die Finanzierung auch mit Kohäsions- und Strukturfonds. (Die Fonds machen über ein Drittel des Budgets aus und sind für die Finanzierung der regionalen Entwicklung, u.a. im Bereich der Energienetze bestimmt).

3.2.5

Die Phase der Investitionsdurchführung wird mithilfe anderer Finanzinstrumente finanziert (Fonds, Kredite). Die Europäische Investitionsbank ist die Hauptfinanzierungsquelle für die transeuropäischen Netze. Zwischen 1993 und 2005 belief sich der Gesamtbetrag der für die Finanzierung aller transeuropäischen Netze vorgesehenen Kreditverträge auf 69,3 Mrd. EUR, wovon 9,1 Mrd. EUR in die Energienetze geflossen sind.

3.3   Die transeuropäischen Telekommunikationsnetze

3.3.1

Der Ausbau der Infrastruktur der Telekommunikationsnetze ist unter allen TEN-Netzen am weitesten fortgeschritten. Seit 1988 wurden die Telekommunikationsdienste zunehmend dem Wettbewerb geöffnet. Dies hatte sehr weit reichende Auswirkungen. Der intensivere Wettbewerb hat Investitionsanreize geschaffen, der Innovation Impulse verliehen, das Aufkommen neuer Dienste begünstigt und zu einer deutlichen Senkung der Verbraucherpreise geführt.

3.3.2

Die Investitionen konzentrieren sich gegenwärtig auf die Modernisierung bestehender Netze, die Verbreitung der dritten Generation von Mobilfunk- und anderen Wireless-Infrastrukturen sowie die Einführung der Breitbandtechnik in ländlichen Gebieten der EU.

3.3.2.1

Im Rahmen dieser Investitionen können Glasfasernetze geschaffen werden, bei denen Verlegung und Innenverkabelung 70 % der Einrichtungskosten darstellen. Der Bau von Eisenbahnstrecken, Straßen und Energieversorgungsleitungen kann die Verbreitung dieser Netze in unterversorgten Gebieten fördern.

3.3.3

Ein wesentliches Problem im Zusammenhang mit dem europäischen Telekommunikationsnetz ist die Überwindung der Breitbandkluft. Angesichts der Diskrepanzen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten müssen die Mitgliedstaaten konkrete Maßnahmen treffen und Ziele festsetzen, um die Kluft bis 2010 zu überbrücken.

3.3.4

Eine bessere Koordinierung und Integration unterschiedlicher Finanzierungsquellen (Strukturfonds, Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, TEN-Mittel und nationale Gelder) ist notwendig, um eine kohärente Planung zu entwickeln und die Breitbandtechnik flächendeckend einzuführen.

Anwendungsbereiche eines integrierten TEN-Konzepts

3.4   Synergien zwischen transeuropäischen Netzen

3.4.1

Ein erstes Beispiel für die Synergie zwischen transeuropäischen Netzen ist die Kombination von Schienen- und Straßenverkehr (13). Die sich aus einer derartigen Zusammenlegung ergebenden Vorteile wurden in der Kommissionsmitteilung zum Thema „Ausdehnung der wichtigsten transeuropäischen Verkehrsachsen auf die Nachbarländer — Leitlinien für den Verkehr in Europa und den Nachbarregionen“ (14) dargestellt. Zu den wichtigsten gehören eine bessere Landschaftsnutzung, gemeinsame Durchführung von Bauprojekten, geringere Landschaftsverschandelung und -zerstückelung, gemeinsame Maßnahmen zur Begrenzung der Infrastrukturauswirkungen (Lärmschutz, Wildbrücken usw.). Auch die Kosten und negativen Umweltauswirkungen kombinierter Infrastrukturen können deutlich verringert werden.

3.4.2

Die Entwicklungsmöglichkeiten weiterer Kombinationen (Verlegung von Hochspannungsleitungen in Eisenbahntunneln, Installation von Telekommunikationskabeln an einer Eisenbahnstrecke) wurden in einer Studie untersucht (15). Die technische Durchführbarkeit, die kostenmäßigen Auswirkungen der Vorhaben sowie die Komplexität der Verfahren wurden analysiert. Die daraus resultierenden Schlussfolgerungen werden nachstehend dargelegt.

3.4.2.1

Abgesehen von der Kombination von Gasleitungen mit anderen Infrastrukturen, deren technische Machbarkeit wegen der Notwendigkeit umfangreicher Sicherheitszonen in Frage steht, ist die Kombination von TEN untereinander mit konkreten Vorteilen verbunden.

3.4.2.2

Dabei erscheinen die Synergien zwischen Telekommunikations- und Verkehrsnetzen am vielversprechendsten. Jedes Verkehrsnetz kann durch ein eigenes Kommunikationsnetz zu dessen Steuerung optimiert werden. In den meisten Fällen verfügen die Schienen- und Straßenverkehrsnetze bereits über derartige Kommunikationsnetze. Teilweise wird die Überschusskapazität dieser Netze für andere Zwecke, z.B. Datenverkehr, genutzt.

3.4.2.3

Nach Synergien zwischen Infrastruktur-Steuerungsnetzen und Telekommunikationsnetzen wird hingegen noch eher selten systematisch gesucht.

3.4.2.4

Interessante Lösungen durch eine Zusammenschaltung von Elektrizitätsnetzen sowie von Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastrukturen sind die Verlegung von Hochspannungsleitungen im Uferbereich von Binnenwasserstraßen, die Zusammenschaltung von Mittelspannungsleitungen (2 x 25 kV) über Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken und eine systematischere Zusammenschaltung unterirdischer Höchstspannungsleitungen (300 bis 700 kV) in den Verkehrsnetztrassen. Diese Empfehlungen ersetzen nicht die unmittelbare Notwendigkeit der Zusammenschaltung einzelstaatlicher Hochspannungsnetze, sondern legen eine feinere Vermaschung der einzelstaatlichen Elektrizitätsnetze über einen längeren, mit der Verwirklichung der großen Infrastrukturprojekte abgestimmten Zeitraum nahe.

3.5   Umweltschutz und transeuropäische Netze

3.5.1

Die Strategie von Lissabon für Wachstum und Beschäftigung sieht vor, dass die transeuropäischen Netze nach einem mit nachhaltiger Entwicklung zu vereinbarenden Konzept zu verwirklichen sind.

3.5.2

Die meisten vorrangigen Vorhaben der transeuropäischen Verkehrsnetze sind Projekte, die umweltfreundlichere und energieeffizientere Verkehrsarten wie Schienenverkehr und Binnenschifffahrt fördern. Die Verwirklichung der transeuropäischen Verkehrsnetze wird sich positiv auf die Umwelt auswirken. Falls sich die derzeitige Situation linear fortentwickelt, wird der durch den Verkehr verursachte CO2-Ausstoß bis 2020 um 38 % ansteigen. Nach Auffassung der Kommission wird die Verwirklichung der dreißig vorrangigen Achsen diesen Anstieg um circa 4 % verringern, was einer jährlichen Einsparung an CO2-Emissionen von 6,3 Mio. t entspricht.

3.5.3

Der Verbund der einzelstaatlichen Energienetze und die Anbindung erneuerbarer Energieträger werden in allen Mitgliedstaaten eine bessere Kapazitätsnutzung und mithin eine Verringerung der negativen Umweltauswirkungen ermöglichen.

3.5.4

Das gemeinschaftliche Umweltschutzrecht bildet einen klaren Rahmen für die Verwirklichung der Großprojekte. Die gemeinschaftlichen Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes nehmen darauf ausdrücklich Bezug (16). Jedes neue Infrastrukturprogramm im Bereich der transeuropäischen Netze ist einer strategischen Umweltprüfung zu unterziehen (17), und jedes neue Projekt ist einzeln zu beurteilen (18). Diese Untersuchungen können als Grundlage für die Erforschung eventuell möglicher Synergien dienen.

3.5.5

Jedes einzelne Vorhaben muss den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zum Lärmschutz, Gewässerschutz sowie zum Schutz von Flora und Fauna entsprechen (19).

3.5.6

Falls keine der Alternativen zu einem als gemeinnützig eingestuften Vorhaben eine optimale und mit dem Gemeinschaftsrecht zu vereinbarende Lösung bietet, können Ausgleichsmaßnahmen beschlossen werden, die eine Verwirklichung des Projekts unter Kompensation der etwaigen negativen Auswirkungen ermöglichen.

3.6   Integriertes Konzept für die Finanzierung transeuropäischer Netze

3.6.1

Die Kombination von Fonds bei der Verwirklichung transeuropäischer Netze geht mit erheblichen Problemen oder gar Konflikten einher. Die Kommission beschäftigt sich seit längerem mit der Frage der Kumulierung von Gemeinschaftsmitteln aus unterschiedlichen Finanzquellen auf ein und dasselbe Projekt. Der Rechnungshof hat in seinen Berichten zur Verwirklichung der transeuropäischen Netze durch die Kommission auf diese Problematik hingewiesen.

3.6.2

In der Mitteilung, die Gegenstand der vorliegenden EWSA-Stellungnahme ist, gelangt die Lenkungsgruppe zu dem Schluss, dass die Anhäufung von Subventionen aus mehreren Gemeinschaftsfonds ausgeschlossen sein muss. Um Haushaltstransparenz zu gewährleisten und im Interesse einer ordnungsgemäßen Finanzverwaltung wird in der Finanzverordnung und/ oder den verabschiedeten beziehungsweise zur Verabschiedung anstehenden sektorspezifischen Basisrechtsakten der Einsatz unterschiedlicher Finanzinstrumente der Gemeinschaft für ein und dieselbe Maßnahme ausgeschlossen.

3.6.3

Eine wichtige Feststellung der Kommissionsmitteilung, die sich erheblich auf kombinierte TEN-Investitionen auswirkt, ist, dass Aufwendungen für ein Vorhaben, das Teil eines durch die Strukturfonds und/oder den Kohäsionsfonds geförderten operativen Programms ist, nicht für eine andere Gemeinschaftsfinanzierung in Frage kommen.

3.6.3.1

Folglich kommen Aufwendungen, beispielsweise für ERTMS-Ausrüstung oder für die Elektrifizierung einer Eisenbahnlinie, die nicht aus den Strukturfonds und/oder dem Kohäsionsfonds unterstützt werden, für eine TEN-Finanzierung durchaus in Betracht. Der eigentliche Bau der Eisenbahnlinie könnte aus dem EFRE oder dem Kohäsionsfonds finanziert werden. Vorhaben könnten auch in geografische Abschnitte unterteilt werden, die entweder aus dem EFRE/Kohäsionsfonds oder durch TEN-Finanzierung mitfinanziert werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Integriertes Konzept für die Entwicklung von Energienetzen: Elektrizität und Gas

4.1.1

Die Entwicklung von gasgestützten Erzeugungstechnologien (Kombi-Technologien (20), Kraft-Wärme-Kopplung (21)) erhöht das Investitionsrisiko im Bereich der Elektrizitätsnetze (an die Stelle der Stromübertragung tritt der Transport von Erdgas und die Entwicklung lokaler gasbefeuerter KWK-Anlagen, KWK-Kleinanlagen und Mikro-KWK-Anlagen).

4.1.2

Die Entwicklung neuer Gastransporttechnologien erhöht das Investitionsrisiko im Bereich der Gasnetze (der Pipeline-Transport von Erdgas wird unter Verwendung des CNG- (22) und LNG-Verfahrens durch den Transport per Schiff und Lkw ersetzt).

4.1.3

Eine Konvergenz des Elektrizitäts- und des Gassektors (der in diesen Bereichen tätigen Unternehmen), d.h. die Konvergenz im Hinblick auf die Eigentumsverhältnisse, das Management und die Organisation, ist die Voraussetzung für ein integriertes technologisches Konzept für die Nutzung von Erdgas und die Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung. Deshalb ist es dringend erforderlich, vom Branchendenken abzurücken (und den Elektrizitäts- und den Gassektor nicht mehr als etwas Getrenntes zu sehen). Besonders wichtig ist die Beschleunigung der Konvergenz der Elektrizitäts- und Gasindustrie in den neuen (mittel- und osteuropäischen) EU-Mitgliedstaaten, wobei die sozialen Auswirkungen zu berücksichtigen sind, die damit stets in den „neuen“ wie auch in den „alten“ Mitgliedstaaten einhergehen.

4.2   Integriertes Konzept für die Entwicklung von Glasfasernetzen

4.2.1

In einigen EU-Ländern, darunter auch in einigen neuen Mitgliedstaaten (z.B. Polen), wurden umfangreiche Glasfasernetze für technische Zwecke (Elektrizität (23) und Eisenbahn (24)) geschaffen. Diese Netze werden zwar zunehmend für kommerzielle Zwecke genutzt (25), doch das enorme Integrationspotenzial wurde bislang noch nicht erschlossen. Auch in der Gasindustrie wird das vorhandene Potenzial nicht voll ausgeschöpft. Insbesondere geht es hier aber um das Potenzial der Verschmelzung von technischen Glasfasernetzen für verschiedene Infrastrukturen (Strom, Eisenbahn) mit dem Telekommunikationsnetz zu einem Gesamtnetz mit effektivem Zugang.

4.2.2

In zahlreichen EU-Ländern, insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten, wird derzeit intensiv am Ausbau der kommunalen Infrastruktur, wie Wasserleitungen und Kanalisation, gearbeitet. Diese Infrastruktur wird von der EU insbesondere mit Mitteln aus dem Fonds für regionale Entwicklung und dem Kohäsionsfonds mitfinanziert. Dies ist eine einmalige Gelegenheit für eine Zusammenlegung dieser Infrastrukturen mit den Glasfasernetzen. Den ländlichen Gebieten und kleinen Städten in Europa bietet sich die Chance auf einen Modernisierungsschub. Die praktische Durchführung dieser Art von Integration ließe sich wirksam unterstützen, indem zur Inanspruchnahme von Regelungen zur Bewilligung von EU-Mitteln für die Entwicklung kommunaler Infrastrukturen ermuntert würde, beispielsweise durch die Förderung des Ausbaus der integrierten Infrastruktur.

4.2.3

Das Glasfasernetz könnte als Grundlage für den Aufbau einer intelligenten kommunalen Infrastruktur, einschließlich der (technischen) Steuerung der unterschiedlichen (intelligenten) Bestandteile (Wasserleitungen, Kanalisation, Verkehr, Heizungsnetze, öffentliche Sicherheit) und der Verwaltung dieser Infrastruktur (in Bezug auf die technische Aufsicht und auf dem Dienstleistungsmarkt) dienen. Ein Kernelement einer intelligenten kommunalen Infrastruktur sollte ein integriertes geografisches Informationssystem (GIS) sein (das von der Gemeinde/Region verwaltet und allen im betreffenden Gebiet tätigen Infrastrukturunternehmen zugänglich wäre). Im GIS steckt derzeit das größte Potenzial für die Integration der Netzstrukturen der kommunalen Infrastruktur.

4.3   Das integrierte Konzept und die Frage der erneuerbaren Gastechnologien und umweltfreundlichen Energietechnologien

4.3.1

Dank erneuerbarer Gastechnologien (KWK (26)-Kleinanlagen, die auf der Vergasung von Biomasse aus großmaßstäblichem Ackerbau beruhen) ist es möglich, den weiteren Ausbau der Elektrizitätsnetze und Leitungsverluste zu begrenzen und die Primärenergie effektiver zu nutzen, wodurch sich gleichzeitig eine Reduzierung der CO2-Emissionen erreichen lässt.

4.3.2

Eine sehr wichtige Kategorie der integrierten Technologien sind die Ökoenergietechnologien (ökologische KWK), die auf die Energieerzeugung (elektrische und thermische Energie) und die Abfallverwertung (Siedlungsabfälle, Abfälle aus landwirtschaftlicher Produktion und aus der Verarbeitung von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen) ausgerichtet sind.

4.4   Das integrierte Konzept bei der Infrastrukturnetzfinanzierung im Wege öffentlich-privater Partnerschaften

4.4.1

Ziel einer integrierten Infrastrukturfinanzierung durch öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) ist es, die EU-Mittel für den Ausbau von Infrastrukturen insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten effektiver einzusetzen.

4.4.2

In den alten Mitgliedstaaten (EU-15) wurden mithilfe öffentlich-privater Partnerschaften hauptsächlich große Infrastrukturinvestitionen finanziert. In den neuen (mittel- und osteuropäischen) Mitgliedstaaten sind mithilfe dieser Partnerschaften kleine kommunale Infrastrukturinvestionen zu finanzieren. Deshalb ist es nunmehr von zunehmender Bedeutung, die in den alten Mitgliedstaaten im Rahmen der ÖPP gewonnenen Erfahrungen auf die neuen Mitgliedstaaten zu übertragen (wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass eine direkte Übertragung der Erfahrungen nicht möglich ist, ebenso wie es nicht möglich ist, die Finanzierung einzelner infrastruktureller Großprojekte mit der Finanzierung kleiner, aber sehr zahlreicher Projekte zu vergleichen).

4.4.3

Die Verfügbarkeit von EU-Mitteln führt in Gemeinden einiger (darunter auch mittel- und osteuropäischer) Mitgliedstaaten oftmals zu Überinvestitionen in branchenspezifische Infrastrukturen (beispielsweise Wasserleitungen oder Kanalisationen). Andererseits nutzen diese Gemeinden das Potenzial der Integration branchenspezifischer Infrastrukturen in der Investitionsphase nicht aus. Dies ist sehr bedenklich, da dadurch die Möglichkeit einer Reduzierung der Infrastruktur-Investitionskosten vertan wird (und EU-Mittel weniger wirksam angewandt werden). Ferner führt dies dazu, dass die Gemeinden ungerechtfertigte Kosten für die künftige Nutzung von Infrastruktur tragen müssen, in die zu viel investiert wurde (höhere, von den Gemeindebewohnern zu tragende Dauerkosten für die Nutzung der Infrastruktur). Die Beteiligung von privatem Kapital an der Infrastruktur-Finanzierung ist ein wirksames Mittel, um Synergieeffekte zu nutzen und das Risiko einer Überinvestition zu mindern.

Brüssel, den 13. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Gemeint ist hier eine organisatorische (die Unternehmen umfassende) Konvergenz der Sektoren.

(2)  Intelligente Infrastruktur ist mit ihren angefügten oder eingebauten Komponenten in der Lage, Daten über den Zustand der Infrastruktur zu sammeln und an einen Zentralcomputer zu übermitteln und kann manchmal sogar Instruktionen von dem Computer entgegennehmen, der Regelvorrichtungen steuert (U of T Civil Engineeringlast updated: Nov. 9, 2001).

(3)  Siehe „Besondere Bemerkungen“, Ziffer 4.2.3.

(4)  Stranded costs: Ausschließlich in der Vergangenheit entstandene Investitionskosten bzw. Verbindlichkeiten (historische Kosten), die von den Investoren noch nicht durch den Verkauf von Elektrizität und anderen Dienstleistungen wieder hereingewirtschaftet wurden, und dies auf dem wettbewerbsorientierten Markt auch nicht möglich ist. Der Stichtag ist in der Regel der Tag der Entstehung bzw. Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes.

(5)  Artikel 154, 155 und 156 EG-Vertrag.

(6)  Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005-2008) Nummer 9, 10, 11 und 16.

(7)  KOM(2007) 32 vom 31. Januar 2007.

(8)  Die feste Øresundquerung (Verbindung zwischen Schweden und Dänemark, Fertigstellung 2000), der Flughafen Malpensa (Italien, Fertigstellung 2001), die Betuwe-Eisenbahnstrecke (Verbindung zwischen Rotterdam und der deutschen Grenze, Fertigstellung 2007) sowie die PBKAL-Strecke (Hochgeschwindigkeitsbahnverbindung Paris-Brüssel/Brüssel-Köln-Amsterdam-London, Fertigstellung 2007).

(9)  ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 130.

(10)  „Synergies between Trans-European Networks, Evaluations of potential areas for synergetic impacts“, ECORYS, August 2006.

(11)  Aleksandra Gawlikowska-Fryk: „Transeuropejskie sieci energetyczne“ (Transeuropäische Energienetze), 2007.

(12)  LNG (liquid natural gas): Flüssigerdgas.

(13)  Einige Mitgliedstaaten haben eine rechtliche Verpflichtung zum Verfolgen derartiger Synergien eingeführt, z.B. Deutschland (Bündelungsgebot für Infrastrukturen in § 2 des Bundesnaturschutzgesetzes).

(14)  KOM(2007) 32 endg. vom 31. Januar 2007.

(15)  Synergies between Trans-European Networks, Evaluations of potential areas for synergetic impacts, ECORYS, August 2006.

(16)  Siehe vorgenannte Entscheidung Nr. 884/2004/EG, Artikel 8.

(17)  Strategische Umweltprüfung — Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme.

(18)  Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinien 97/11/EG und 2003/35/EG geänderten Fassung.

(19)  Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG), Habitatrichtlinie (92/43/EWG) und Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG).

(20)  „Bloki gazowo-parowe, o mocach jednostkowych na ogół od kilkudziesięciu do 200 MW“ — Jan Popczyk, „Co dalej z elektroenergetyką?“, Miesięcznik Stowarzyszenia Elektryków Polskich, VI 2000 („Gas- und Dampfturbinen mit einer Stückleistung von in der Regel etwa 30 bis 200 MW“, aus: Jan Popczyk „Wie geht es weiter mit der Elektrizität?“, Monatszeitschrift des polnischen Elektrikerverbandes, VI 2000).

(21)  Siehe Fußnote 25.

(22)  CNG (Compressed Natural Gas): Kraftstoff, auf 20-25 MPa komprimiertes Erdgas.

(23)  Beispielsweise das polnische Glasfasernetz „TelEnergo“.

(24)  Beispielsweise das polnische Glasfasernetz „Telekomunikacja Kolejowa — Grupa PKP“ (Eisenbahntelekommunikation der polnischen Staatseisenbahn PKP).

(25)  Ein Beispiel hierfür ist die Fusion der polnischen Unternehmen TelEnergo und Telbank zu Exatel, einem modernen Dienstleistungsunternehmen im Bereich IT und Telekommunikation.

(26)  Kraft-Wärme-Kopplung: technologischer Prozess, bei dem in einem Heizkraftwerk gleichzeitig elektrische Energie und nutzbare thermische Energie erzeugt werden.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/31


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (Neufassung)“

KOM(2007) 265 endg./3 — 2007/0099 (COD)

(2008/C 204/09)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 16. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (Neufassung)“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 19. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr CHAGAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 65 gegen 21 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss nimmt mit Interesse den Vorschlag für eine Verordnung über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs zur Kenntnis. Die Europäische Kommission kommt mit ihrer Entscheidung, in ihrem Vorschlag für eine Harmonisierung der Umsetzung der Verordnung zu optieren, mit der eine klare und einfach durchsetzbare Definition des Begriffs der Kabotage festgelegt und eine erhebliche Verbesserung der Bestimmungen zur Beachtung und Durchsetzung der Vorschriften gezeitigt wird, der Forderungen der Mehrheit der Akteure dieses Sektors nach.

1.2

Der Ausschuss vertritt allerdings die Meinung, dass die soziale Dimension des Zugangs zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs stärker berücksichtigt werden sollte. Die Kabotage — wie auch der Drittverkehr (1) — kann aufgrund des Lohnunterschiedes zwischen Berufskraftfahrern aus den neuen und den alten Mitgliedstaaten unlauteren Wettbewerb und Sozialdumping im Verkehrswesen zur Folge haben.

1.3

Nach Ansicht des Ausschusses kann eine auf einen Zeitraum von sieben Tagen beschränkte Kabotage deren Kontrolle erleichtern. Die Kabotage ist nur im Anschluss an eine grenzüberschreitende Fahrt zulässig.

1.4

Die Kontrolle der Kabotage muss Teil einer nationalen Strategie für die Kontrolle der Anwendung der Rechtsvorschriften für den Straßenverkehr sein und von der Europäischen Kommission koordiniert werden. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss spricht sich gegen die Einrichtung immer neuer Ausschüsse auf europäischer Ebene aus und fordert die Einsetzung eines einzigen Ausschusses, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten sowie der Sozialpartner — als Beobachter — zusammensetzt.

1.5

Auf lange Sicht fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, eine eingehendere Analyse vorzunehmen, um eine wirkliche Vollendung des Binnenmarktes gekoppelt an eine stärkere Harmonisierung der Qualitätsstandards, des Arbeitsschutzes sowie des steuerlichen und sozialen Rechtsrahmens einschließlich einer Verringerung der Lohnkluft zu erreichen.

2.   Einleitung

2.1

Der Vorschlag für eine Verordnung über den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs betrifft die Elemente, die zu den Grundpfeilern des Binnenmarktes für den Straßenverkehr zählen.

2.2

Genauer gesagt stützen sich diese Pfeiler auf einen Rechtsrahmen, der europäische Bestimmungen vorgibt, und zwar die so genannten gemeinsamen Regeln, die auf den grenzüberschreitenden Güter- und Personenstraßenverkehr innerhalb der EU (d.h. für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat bzw. durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten) Anwendung finden müssen.

2.3

Mit diesem Rahmen

wurden Mindestqualitätsstandards eingeführt, die als Voraussetzung für den Berufszugang erfüllt werden müssen;

wurde der grenzüberschreitende Güter- und Personenstraßenverkehr im Gelegenheitsverkehr liberalisiert;

wurde ein kontrollierter Wettbewerb im Personenlinienverkehr und im Kabotageverkehr eingeführt.

2.4

Ferner wird mit diesem Rahmen auf ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes abgestellt, doch wurden bei seiner Schaffung nicht immer auch seine sozialen Auswirkungen berücksichtigt, d.h. seine Auswirkungen auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen von Berufskraftfahrern im Güter- oder Personenkraftverkehr (LKW, Bus). Zum damaligen Zeitpunkt (die erste Richtlinie stammt aus dem Jahr 1962) zählte die soziale Dimension des Binnenmarktes für den Straßenverkehr ebenso wenig wie der nachhaltige Verkehr zu den politischen Anliegen in diesem Sektor.

3.   Vorschlag der Europäischen Kommission

3.1

Die Europäische Kommission hat fünf Politikoptionen ermittelt, die von der Beibehaltung des „status quo“ bis hin zur „Liberalisierung“ reichen, mit der faktisch sämtliche quantitativen Beschränkungen der Kabotage aufgehoben würden. Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Standards innerhalb Europas zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu stark variieren, um eine vollständige Liberalisierung zuzulassen, ohne diese und die Dienstleistungsqualität sowie die seit langem geltenden Normen für Gesundheitsschutz, Sicherheit und Arbeitsbedingungen in diesem Industriesektor zu beeinträchtigen. Er schlägt daher einen etwas eingeschränkteren Mittelweg vor, und zwar die Option „Harmonisierung“, die darin bestünde, eine klare und durchsetzbare Definition der Bedingungen festzulegen, unter denen Kabotage stattfinden darf, sowie die Verfahren für die Sicherstellung der Einhaltung, Durchsetzung, Normung und Vereinfachung der damit verbundenen Verwaltungsauflagen effizienter zu gestalten.

3.2

Dieser Vorschlag ist Teil eines Maßnahmenpakets, das sich aus drei Verordnungsvorschlägen zusammensetzt, mit denen die Rechtsvorschriften für den Zugang zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers sowie zum Markt für den Güter- und den Personenkraftverkehrs aktualisiert, vereinfacht und gestrafft werden sollen, sowie einem Bericht über die Anwendung der Richtlinie über die Arbeitszeitregelung auf selbständige Kraftfahrer. Daher sollte dieser Vorschlag in diesem Gesamtzusammenhang gesehen werden.

3.3

Vor diesem Hintergrund begründet die Europäische Kommission ihren Verordnungsvorschlag damit, dass er einer größeren Klarheit sowie besseren Lesbarkeit und Durchsetzbarkeit der geltenden Vorschriften dient. Bestimmte Maßnahmen dieses Rechtsrahmens werden uneinheitlich angewandt und durchgesetzt, weil die rechtlichen Bestimmungen unpräzise oder unvollständig sind.

3.4

Genauer gesagt sind folgende Aspekte bei ihrer Anwendung und/oder Durchsetzung problematisch:

die Anwendung der Verordnung auf Beförderungen, die Verkehrsunternehmen aus der Gemeinschaft nach und aus Drittländern durchführen;

Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Konzepts der zeitweiligen Kabotage. Trotz einer 2005 veröffentlichten Mitteilung zu Auslegungsfragen, die sich auf eine Definition des Begriffs „zeitweilig“ durch den Europäischen Gerichtshof im Zusammenhang mit der Dienstleistungsfreiheit stützt, bestehen nach wie vor Schwierigkeiten, und die Mitgliedstaaten neigen zur Anwendung von Vorschriften, die voneinander abweichen, schwer durchsetzbar oder mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand verbunden sind;

ineffizienter Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten. Infolgedessen müssen Unternehmen, die außerhalb des Mitgliedstaats ihrer Niederlassung tätig sind, kaum mit Verwaltungssanktionen rechnen, wodurch der Wettbewerb zwischen diesen Unternehmen, die zur Einhaltung der Vorschriften weniger veranlasst werden, und den übrigen Unternehmen beeinträchtigt werden könnte;

uneinheitliche Kontrollpapiere (Gemeinschaftslizenz, beglaubigte Abschriften und Fahrerbescheinigung), was zu Problemen bei den Straßenkontrollen führt und für die Unternehmen häufig erheblichen Zeitverlust bedeutet.

3.5

Mit diesem Vorschlag sollen die Verordnungen (EWG) Nr. 881/92 und Nr. 3118/93 sowie die Richtlinie (EG) Nr. 2006/94 überarbeitet und konsolidiert werden. Es handelt sich allerdings nicht um eine schlichte Neufassung, da der Vorschlag auch neue Elemente beispielsweise in Bezug auf die Kabotage enthält. Der Vorschlag beruht auf Artikel 71 des EG-Vertrags, in dem auf die gemeinsamen Regeln für den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr sowie die Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, verwiesen wird (2).

3.6

Die Europäische Kommission ist der Ansicht, dass ihr Vorschlag mit der Notwendigkeit eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes einhergeht und einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie, zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit, zur „besseren Rechtsetzung“ sowie zur stärkeren Einhaltung der Sozialvorschriften leistet.

3.7

Der Verordnungsvorschlag betrifft den Europäischen Wirtschaftsraum und sollte daher auf diesen ausgedehnt werden.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss nimmt mit Interesse den Vorschlag für eine Verordnung über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs zur Kenntnis. Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass langfristig auf eine stärkere Liberalisierung des europäischen Güterverkehrsbinnenmarktes gekoppelt an die korrekte Umsetzung der europaweiten Standards für Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsschutz sowie eine weitere Harmonisierung des steuerlichen und sozialen Rechtsrahmens einschließlich einer Verringerung der Lohnkluft abgezielt werden sollte, d.h. der Ansatz sollte in Richtung der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Option 5 gehen. Diese Option steht im Einklang mit der geltenden Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 und der Binnenmarktpolitik. Auf diese Weise könnte die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhöht werden, was wiederum allen europäischen Unternehmen als Nutzern von Güterverkehrsdiensten zugute käme. Dies könnte auch ökologische Vorteile mit sich bringen, da die Zahl an Leer- oder nur teilweise beladenen Fahrten verringert würde, die aufgrund der geltenden Beschränkungen für Kabotage derzeit durchgeführt werden.

4.2

Der Ausschuss stimmt allerdings mit der Europäischen Kommission überein, dass eine vollständige Liberalisierung des europäischen Güterkraftverkehrsmarktes zum gegenwärtigen Zeitpunkt allzu umfassende Umwälzungen nach sich ziehen würde und die Gefahr bergen könnte, die Sozialnormen und Qualitätsstandards zu beeinträchtigen und ihre Einhaltung zu schwächen. Seiner Meinung nach sollte die Europäische Kommission die eingehendere Analyse vornehmen, die von ihr selbst als notwendig erachtet wird, um künftig eine stärkere Liberalisierung zu erreichen. Der Ausschuss befürwortet jedoch den Standpunkt der Europäischen Kommission, dass die Option „Harmonisierung“ die beste Wahl für die unmittelbare Zukunft ist.

4.3

Der Ausschuss ist im Besonderen der Ansicht, dass

die neue Definition der Kabotage, mit der die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, geregelt wird,

die Forderung nach vereinfachten Mustern für die Gemeinschaftslizenz, die beglaubigten Abschriften und die Fahrerbescheinigung und

die Verbesserung der geltenden Rechtsvorschriften, indem die Mitgliedstaaten auf Aufforderung eines anderen Mitgliedstaats Maßnahmen ergreifen müssen, wenn ein Verkehrsunternehmer, dem sie eine Gemeinschaftslizenz erteilt haben, in dem Mitgliedstaat seiner Niederlassung oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Verstoß begeht,

zu einer größeren Klarheit sowie einer besseren Durchsetzbarkeit der Vorschriften beitragen.

4.4

Der Ausschuss verweist darauf, dass sich im Rahmen der von der Europäischen Kommission im Vorfeld der Veröffentlichung des Maßnahmenpakets und insbesondere dieses Vorschlags durchgeführten Konsultation eine Mehrheit der Akteure für klare, einfache, anwendbare, in allen Mitgliedstaaten identische und einfach zu kontrollierende Regeln ausgesprochen hat. Die Europäische Kommission kommt mit ihrer Entscheidung, in ihrem Vorschlag für eine Harmonisierung zu optieren, mit der eine klare und einfach durchsetzbare Definition des Begriffs der Kabotage festgelegt und eine erhebliche Verbesserung der Bestimmungen zur Beachtung und Durchsetzung der Vorschriften gezeitigt wird, der Forderungen dieser Akteure nach.

4.5

Auch wenn in den Erwägungsgründen der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 auf die Aufhebung aller Beschränkungen verwiesen wird, „die mit der Staatsangehörigkeit des Erbringers von Dienstleistungen oder damit zusammenhängen, dass dieser nicht in dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll“, ist die, wenn auch vorübergehende, Anwendung der Ausnahmeregelung gemäß Artikel 71 Absatz 2 EG-Vertrag durchaus gerechtfertigt: eine vollständige Liberalisierung des Marktes könnte „die Lebenshaltung und die Beschäftigungslage in bestimmten Gebieten sowie den Betrieb der Verkehrseinrichtungen ernstlich beeinträchtigen […]“.

4.6

Der Ausschuss vertritt allerdings die Meinung, dass die soziale Dimension des Zugangs zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs stärker berücksichtigt werden sollte. In den Erwägungsgründen, namentlich in Erwägungsgrund 12, wird zwar auf die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Richtlinie 96/71/EG) verwiesen, die dann gilt, wenn Verkehrsunternehmer Arbeitnehmer, mit denen ein Arbeitsverhältnis besteht, für die Erbringung von Kabotagediensten von dem Mitgliedstaat entsenden, in dem sie normalerweise arbeiten. Dieser Erwägungsgrund wird aber weder in den Artikeln noch in der Begründung aufgegriffen.

4.7

Dieser Punkt ist umso wichtiger, als die Gemeinschaftsvorschriften für den Straßenverkehr, insbesondere die Sozialvorschriften, nicht in allen Mitgliedstaaten Anwendung finden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Anwendungsbereich (Artikel 1)

5.1.1

Der Ausschuss bedauert, dass die Verordnung nicht auch auf den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr unter 3,5 Tonnen Anwendung findet. Angesichts des Aufschwungs von Boten- und Hauszustellungsdiensten, einschl. in Grenzregionen, wäre es gerechtfertigt gewesen, die in diesem Bereich genutzten Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen in den Anwendungsbereich der Verordnung aufzunehmen, um einem unlauteren Wettbewerb vorzubeugen.

5.1.2

Der Ausschuss zeigt sich auch angesichts der Ausnahme des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs für Beförderungen aus einem Mitgliedstaat nach einem Drittland und umgekehrt besorgt, so lange kein Abkommen zwischen der Gemeinschaft und dem Drittstaat geschlossen wurde. Er fordert die Europäische Kommission daher auf, alles daran zu setzen, um derartige Abkommen insbesondere mit den Nachbarstaaten der EU zu schließen.

5.2   Begriffsbestimmungen (Artikel 2)

5.2.1

Der Ausschuss begrüßt, dass die Begriffsbestimmungen in Bezug auf den Aufnahmemitgliedstaat, den gebietsfremden Verkehrsunternehmer und die Kabotage geklärt wurden.

5.3   Operationelle Begriffsbestimmung von Kabotage (Artikel 2 und 8)

5.3.1

Gemäß dem Vorschlag der Europäischen Kommission dürfen die Verkehrsunternehmen im Anschluss an eine grenzüberschreitende Fahrt nach Auslieferung der Güter bis zu drei Kabotagebeförderungen durchführen, wobei diese Beförderungen innerhalb von sieben Tagen erfolgen müssen.

5.3.2

Der Vorteil dieser operationellen Begriffbestimmung liegt darin, dass gebietsfremden Verkehrsunternehmen eindeutig verboten wird, eine Leerfahrt in das EU-Hoheitsgebiet zu unternehmen. Die Kabotage ist nur dann zulässig, wenn sie vor einer oder im Anschluss nach einer grenzüberschreitenden beladen zurückgelegten Fahrt stattfindet.

5.3.3

Der Nachteil liegt allerdings darin, dass der Verkehrsunternehmer theoretisch nach dem Ablauf der sieben Tage für das gleiche Unternehmen und die gleiche Art von Ware auf den gleichen Strecken diese Beförderung erneut vornehmen kann. Wie kann in diesem Fall die „Zeitweiligkeit“ der Kabotage sichergestellt werden?

5.3.4

Daher fordert der Ausschuss, die „Zeitweiligkeit“ als grundlegendes Merkmal der Kabotage in den neuen Verordnungsvorschlag aufzunehmen und zu unterstreichen (3).

5.3.5

Zwar werden nur 3 % des weltweiten Güterverkehrsaufkommens im Kabotageverkehr abgewickelt (4), doch ist die Kabotage von grundlegender Bedeutung für die kleineren Mitgliedstaaten, deren begrenzte innerstaatlichen Verkehrsmärkte Verkehrsunternehmen dazu veranlasst, Frachtverkehrsmöglichkeiten im Ausland zu suchen. Auch wenn die Statistiken vielleicht nicht 100 % zuverlässig sind (Kabotage wird in dem Land deklariert, in dem das Fahrzeug des Verkehrsunternehmers angemeldet ist), so zeigen sie doch auf, dass dieses Phänomen ein immer größeres Ausmaß annimmt (5).

5.3.6

Auch wenn diese Statistiken anfechtbar sind, so zeigen sie doch auf, dass Kabotage einen wichtigen Teil des grenzüberschreitenden Güterverkehrs ausmacht, insbesondere in den kleineren der „alten“ EU-Mitgliedstaaten. Die aktivsten Verkehrsunternehmen im Kabotagebereich stammen aus den Niederlanden gefolgt von Deutschland und Luxemburg. Im Jahr 2005 entfielen allein auf diese drei Länder 50 % des Gesamtkabotageverkehrs der Verkehrsunternehmen in der EU-25. Auch wenn die Durchsatzrate der Kabotage pro Land (d.h. der Prozentsatz des Binnenmarktes eines Landes = innerstaatlicher Verkehr + Kabotage) ihrerseits ebenfalls langsam, aber stetig gestiegen ist, bleibt sie jedoch in gewissen Grenzen und kann keinerlei Wettbewerbsverzerrungen nach sich ziehen. Die größten Durchsatzraten wurden seit 1999 in Belgien (2,87 %), Frankreich (2,50 %) und Luxemburg (1,99 %) erzielt (6). In den neuen Mitgliedstaaten liegt die Durchsatzrate der Kabotage mit Ausnahme von Lettland (0,8 %) in der Regel unter 0,3 %.

5.3.7

Der Ausschuss zeigt sich jedoch über die negativen Auswirkungen der Kabotage auf die in diesem Bereich tätigen KMU besorgt, die durchaus erheblich sein werden, wird die Kabotage in den alten Mitgliedstaaten durch Unternehmer aus den neuen Mitgliedstaaten durchgeführt, die ihre Kraftfahrer — zu weitaus niedrigeren Löhnen als in den Empfängerstaaten — zu Kabotagezwecken in diese entsenden (7).

5.3.8

Der Ausschuss spricht sich keinesfalls gegen den Markteintritt von Unternehmen aus den neuen Mitgliedstaaten aus, doch dann erhebt sich die Frage der Beschränkung und der Kontrolle der Kabotage, um unlauterem Wettbewerb und Sozialdumping vorzubeugen. Daher befürwortet der Ausschuss die Entscheidung der Europäischen Kommission, einen Rechtsrahmen aufzubauen, der auf einen regulierter Wettbewerb und nicht etwa eine völlige Liberalisierung der Kabotage abstellt.

5.3.9

Die Folgenabschätzung für die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zeigt auch deutlich die Entwicklung des Drittverkehrs auf (der von so manchem auch als „große Kabotage“ bezeichnet wird) (8). Außerdem gründen immer mehr Verkehrs- und Logistikunternehmen Tochterunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten und entsenden von diesen Staaten aus Kraftfahrer für den grenzüberschreitenden Verkehr zwischen den alten Mitgliedstaaten — und zwar zu Dumpingpreisen, die sie aufgrund des eklatanten Lohnunterschiedes zwischen Kraftfahrern aus den alten und aus den neuen Mitgliedstaaten anbieten können. Dieser weitere Aspekt des unlauteren Wettbewerbs und des Sozialdumpings wird in dem Verordnungsvorschlag ausgeklammert.

5.3.10

Daher bringt der Ausschuss auch sein Bedauern über die fehlende Berücksichtigung der sozialen Dimension in diesem Maßnahmenpaket und insbesondere in diesem Vorschlag zum Ausdruck. Es wird weder den erheblichen Lohnunterschieden zwischen den neuen und den alten Mitgliedstaaten in diesem Bereich noch den negativen Auswirkungen auf die KMU, die Beschäftigung und die Entlohnung von Berufskraftfahrern Rechnung getragen.

5.3.11

In Bezug auf die Kontrolle der Kabotage (Artikel 8) wird laut der Europäischen Kommission für die Vollzugsbehörden anhand der CMR-Frachtbriefe, in denen bei grenzüberschreitenden Fahrten die Daten der Be- und Entladung ausgewiesen sind, einfacher zu kontrollieren sein, ob eine Kabotagebeförderung zulässig ist. Ferner müssen für jede Kabotagebeförderung folgende Angaben gemacht werden: Name und Anschrift des Absenders, des Verkehrsunternehmers und des Empfängers; Ort und Datum der Übernahme der Ware sowie die Lieferadresse; die übliche Beschreibung der Art der Ware und ihrer Verpackung sowie bei Gefahrgütern ihre allgemein anerkannte Beschreibung, die Anzahl der Packstücke sowie deren besondere Zeichen und Nummern; das Bruttogewicht der Güter oder eine sonstige Mengenangabe; die Nummernschilder des Kraftfahrzeugs und des Anhängers. Aufgrund dieser Daten ist die Kabotage, die innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen stattfindet, einfacher zu kontrollieren.

Nach Ansicht des Ausschusses kann eine auf einen Zeitraum von sieben Tagen beschränkte Kabotage allerdings deren Kontrolle erleichtern.

6.   Und die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern?

6.1

Die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Richtlinie 96/71/EG) muss dann Anwendung finden, wenn Verkehrsunternehmer Arbeitnehmer, mit denen ein Arbeitsverhältnis besteht, für die Erbringung von Kabotagediensten von dem Mitgliedstaat entsenden, in dem sie normalerweise arbeiten.

6.2

Hierbei stellt sich jedoch das Problem der Art und Weise, in der die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wurde, was in dem vorliegenden Fall in der Folge zu Unterschieden bei der Anwendung in Bezug auf die Sektoren und die Dauer der Dienstleistungserbringungen geführt hat. So findet diese Richtlinie in einigen Mitgliedstaaten lediglich auf die Bauwirtschaft Anwendung, in anderen jedoch vom ersten Tag an auch auf die Erbringung von Dienstleistungen (9). Außerdem wird den Mitgliedstaaten in dieser Richtlinie die Möglichkeit eingeräumt, von ihrer Anwendung durch Tarifverträge abzuweichen, wenn die Dauer der Entsendung einen Monat nicht übersteigt (10).

6.3

In Bezug auf die Kabotage kann diese Richtlinie angesichts ihrer uneinheitlichen Anwendung in den einzelnen Mitgliedstaaten — sofern sie überhaupt umgesetzt wird — keine Lösung für die Probleme im Zusammenhang mit dem unlauteren Wettbewerb und dem Sozialdumping bieten.

6.4

Außerdem fehlt es an jedweder Kontrolle der Anwendung dieser Richtlinie (11). Dies ist ein erstaunliches Versäumnis, sind die Mitgliedstaaten nach Maßgabe dieser Richtlinie (12) doch dazu verpflichtet, die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen für die Sozialgesetzgebung zuständigen Behörden sicherzustellen.

6.5

Daher ist der Ausschuss gespannt auf die Ergebnisse des europäischen sozialen Dialogs im Verkehrswesen zu dieser Frage.

7.   Fahrerbescheinigung (Artikel 5)

7.1

Der Ausschuss fordert, dass in der Fahrerbescheinigung für einen Kraftfahrer aus einem Drittstaat auch dessen Anmeldung bei der Sozialversicherung nachgewiesen werden muss.

8.   Kontrolle (Artikel 10 bis 15)

8.1

Gemäß dem Richtlinienvorschlag sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, über die nationalen Kontaktstellen, die gemäß der Verordnung über den Zugang zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers einzurichten sind, Informationen auszutauschen. Dabei handelt es sich um benannte Behörden oder Stellen, die den Auftrag haben, mit den entsprechenden Einrichtungen in den anderen Mitgliedstaaten Informationen auszutauschen.

8.2

Ferner ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten in ihre einzelstaatlichen Unternehmensregister sämtliche schwerwiegende und wiederholte geringfügige Verstöße, die ihre Kraftverkehrsunternehmer begehen und die mit einer Sanktion geahndet werden, eintragen müssen.

8.3

In dem Richtlinienvorschlag ist außerdem ein neues Verfahren vorgesehen, das die Mitgliedstaaten bei der Feststellung von Verstößen von gebietsfremden Verkehrsunternehmern einhalten müssen. Die entsprechenden Angaben sind innerhalb eines Monats nach einem einheitlichen Mindestmuster mitzuteilen. Der Mitgliedstaat der Niederlassung des Unternehmens kann zur Verhängung von Verwaltungssanktionen aufgefordert werden. Er hat drei Monate Zeit, den anderen Mitgliedstaat über die Folgemaßnahmen zu unterrichten.

8.4

Der Ausschuss wertet diese neue Bestimmung als Fortschritt, bedauert allerdings die Aufsplitterung und Vielzahl der Grundsätze und Verfahren für die Kontrolle und Anwendung der europäischen Rechtsvorschriften im Straßenverkehr. Nach Ansicht des Ausschusses sollte der Grundsatz der Extraterritorialität, der für die Rechtsvorschriften über die Ruhe- und Fahrzeiten (Verordnung (EG) Nr. 561/2006) gilt, auch auf Verstöße gegen die für die Kabotage geltenden Rechtsvorschriften Anwendung finden. Dies wäre ein stärkerer Anreiz für die Einhaltung der Vorschriften.

8.5

Gemäß der Richtlinie 2006/22 sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, eine kohärente nationale Kontrollstrategie anzuwenden und eine Stelle mit der Koordinierung der Kontrolle der Rechtvorschriften über Ruhe- und Fahrzeiten zu betrauen. Der Ausschuss fordert die Aufnahme der Kontrolle der Kabotage in diese Strategie.

8.6

Dies gilt auch für den Ausschuss, der die Europäische Kommission unterstützen soll. Der Ausschuss spricht sich gegen die Einrichtung immer neuer Ausschüsse aus und fordert, dass ein einziger Ausschuss, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten sowie der Sozialpartner — als Beobachter — zusammensetzt, damit beauftragt wird, die Europäische Kommission in Bezug auf die Kontrolle und die Anwendung der europäischen Rechtsvorschriften im Straßenverkehr zu beraten.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Als „Drittverkehr“ wird eine Beförderung von Land A in Land B durch ein in Land C ansässiges Verkehrsunternehmen erachtet.

(2)  In Artikel 71 EGV (ABl. C 325 vom 24.12.2002, S. 61) ist festgehalten:

1.

„Zur Durchführung des Artikels 70 wird der Rat unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verkehrs gemäß dem Verfahren des Artikels 251 und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen

a)

für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln aufstellen; für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch ein oder mehrere

b)

für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, die Bedingungen festlegen;

c)

Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit erlassen;

d)

alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften erlassen.

2.

Abweichend von dem in Absatz 1 vorgesehenen Verfahren werden die Vorschriften über die Grundsätze der Verkehrsordnung, deren Anwendung die Lebenshaltung und die Beschäftigungslage in bestimmten Gebieten sowie den Betrieb der Verkehrseinrichtungen ernstlich beeinträchtigen könnte, vom Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig erlassen; dabei berücksichtigt er die Notwendigkeit einer Anpassung an die sich aus der Errichtung des Gemeinsamen Marktes ergebende wirtschaftliche Entwicklung.“

(3)  Auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 3118/93 des Rates vom 25. Oktober 1993 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind (ABl. L 279 vom 12.11.1993, S.1) und der Mitteilung der Kommission über Auslegungsfragen bezüglich des Begriffs der „Zeitweiligkeit“ der Kabotage im Güterkraftverkehr von Dezember 2004.

(4)  „Statistics in focus“, Mathieu Yves, 77/2007, „Trends in road freight transport 1999-2005“, S. 4.

(5)  „Statistics in focus“, Simo Pasi, 27/2007, „Trends in road freight transport 1999-2005“, S. 6; im Jahr 2005 wurde ein Zuwachs von 2 % im Vergleich zum Vorjahr erzielt.

(6)  „Statistics in focus“, Simo Pasi, 27/2007, „Trends in road freight transport 1999-2005“, S. 6; im Jahr 2005 wurde ein Zuwachs von 2 % im Vergleich zum Vorjahr erzielt.

(7)  Im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Folgenabschätzung zum Verordnungsentwurf (SEK(2007)635/2) wird erläutert, dass der Arbeitskostenfaktor (Kraftfahrer) zwischen 1 und 3 und in einigen Fällen sogar zwischen 1 und 6 variieren kann (siehe S. 6).

(8)  Im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Folgenabschätzung zum Verordnungsentwurf (SEK(2007)635/2) wird erläutert, dass der grenzüberschreitende Handel zwischen 1999 und 2003 stetig zugenommen hat; die jährliche Wachstumsrate lag bei 4,4 %. Zwischen 2004 und 2005 schnellte diese Wachstumsrate allerdings auf über 20 % (siehe S. 6).

(9)  Siehe Jan Cremers, Peter Donders, Hrsg., „The free movement of workers in the European Union“, European Institute for Construction Labour Research, CLR studies 4, 2004. So wird diese Richtlinie in den Niederlanden ausschließlich auf die Bauwirtschaft, in Belgien hingegen vom ersten Tag an auch auf die Erbringung von Dienstleistungen angewendet.

(10)  Siehe Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie 96/71/EG.

(11)  Siehe Ecorys, „Study on road cabotage in the freight transport market“, Bericht für die GD TREN, S. 8.

(12)  Siehe Artikel 3 der Richtlinie 96/71/EG.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgenden Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffern 4.5 und 4.6

Streichen:

4.5

Der Ausschuss vertritt allerdings die Meinung, dass die soziale Dimension des Zugangs zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs stärker berücksichtigt werden sollte. In den Erwägungsgründen, namentlich in Erwägungsgrund 12, wird zwar auf die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Richt¬linie 96/71/EG) verwiesen, die dann gilt, wenn Verkehrsunternehmer Arbeitnehmer, mit denen ein Arbeitsverhältnis besteht, für die Erbringung von Kabotagediensten von dem Mitgliedstaat entsenden, in dem sie normalerweise arbeiten. Dieser Erwägungsgrund wird aber weder in den Artikeln noch in der Begründung aufgegriffen.

4.6

Dieser Punkt ist umso wichtiger, als die Gemeinschaftsvorschriften für den Straßenverkehr, insbesondere die Sozialvorschriften, nicht in allen Mitgliedstaaten Anwendung finden.

Begründung

Die soziale Dimension im Kabotageverkehr ist bereits weitgehend geregelt, und zwar über die Verordnung (EG) Nr. 561/2006, in der Vorschriften zu den Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten für Kraftfahrer festgelegt sind, die Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben und die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, und außerdem durch die zeitliche Begrenztheit der Kabotagetätigkeit selbst bedingt.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 27 Nein-Stimmen: 41 Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 4.6

Text folgendermaßen ändern:

4.6

Dieser Punkt ist umso wichtiger, als die Gemeinschaftsvorschriften für den Straßenverkehr, insbesondere die Sozialvorschriften, nicht in allen Mitgliedstaaten Anwendung finden. Abschließend ist festzuhalten, dass eine Bezugnahme auf das angebliche Phänomen der Kabotage aus den neuen Mitgliedstaaten zweckdienlich gewesen wäre, da es gemäß den Beitrittsverträgen Übergangsbestimmungen mit diesen Mitgliedstaaten gibt. Und selbst wenn es nur ein Hinweis gewesen wäre, dass alle Übergangsbestimmungen spätestens Ende 2009 auslaufen und Kabotage dann erlaubt sein wird.

Begründung

Die für die neuen Mitgliedstaaten geltenden Übergangsmaßnahmen laufen 2009 aus. Folglich werden alle Länder in Bezug auf die besagte Regelung gleich behandelt. Die Verordnung wird realistisch gesehen nach 2009 für alle Mitgliedstaaten gelten. Dieser Sachverhalt sollte unbedingt erwähnt werden, um Spekulationen über von den neuen Mitgliedstaaten ausgehenden unlauteren Wettbewerb und soziales Dumping die Grundlage zu entziehen.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 27 Nein-Stimmen: 47 Stimmenthaltungen: 4

Ziffer 5.3.9

Text folgendermaßen ändern:

5.3.9

Der Ausschuss spricht sich keinesfalls gegen den Markteintritt von Unternehmen aus den neuen Mitgliedstaaten aus, doch dann erhebt sich die Frage der Beschränkung und der Kontrolle der Kabotage, um unlauterem Wettbewerb und Sozialdumping vorzubeugen. Daher befürwortet der Ausschuss die Entscheidung der Europäischen Kommission, einen Rechtsrahmen aufzubauen, der auf einen regulierter Wettbewerb und nicht etwa eine völlige Liberalisierung der Kabotage abstellt. Die Folgenabschätzung für die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zeigt deutlich die Zunahme des grenzüberschreitenden Verkehrs im Binnenmarkt auf Drittverkehr im Binnenmarkt)  (1) . Außerdem gründen immer mehr Verkehrs- und Logistikunternehmen Tochterunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten und entsenden von diesen Staaten aus Kraftfahrer für den grenzüberschreitenden Verkehr zwischen den alten Mitgliedstaaten. Der Ausschuss erachtet dies allerdings als einen inhärenten Aspekt der EU-Erweiterung und der Ziele des Binnenmarktes.

Begründung

In dieser Textstelle werden einmal mehr Befürchtungen hinsichtlich unlauteren Wettbewerbs und sozialen Dumpings geäußert und mithin bereits mehrfach im Stellungnahmetext enthaltene Aussagen wiederholt. Es wäre besser, darauf hinzuweisen, dass die EU eine Weiterentwicklung des Binnenmarktes braucht.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 31 Nein-Stimmen: 61 Stimmenthaltungen: 0

Ziffer 5.3.10

Ziffer ersatzlos streichen:

5.3.10

Die Folgenabschätzung für die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zeigt auch deutlich die Entwicklung des Drittverkehrs auf (der von so manchem auch als“ große Kabotage „bezeichnet wird)  (2) . Außerdem gründen immer mehr Verkehrs- und Logistikunternehmen Tochterunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten und entsenden von diesen Staaten aus Kraftfahrer für den grenzüberschreitenden Verkehr zwischen den alten Mitgliedstaaten — und zwar zu Dumpingpreisen, die sie aufgrund des eklatanten Lohnunterschiedes zwischen Kraftfahrern aus den alten und aus den neuen Mitgliedstaaten anbieten können. Dieser weitere Aspekt des unlauteren Wettbewerbs und des Sozialdumpings wird in dem Verordnungsvorschlag ausgeklammert …

Begründung

Die Betonung der sozialen Aspekte in der Verordnung bedeutet nicht, dass dies immer und ausschließlich mit neuen Mitgliedstaaten zu tun hat.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 33 Nein-Stimmen: 58 Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 5.3.11

Ziffer ersatzlos streichen:

5.3.11

Daher bringt der Ausschuss auch sein Bedauern über die fehlende Berücksichtigung der sozialen Dimension in diesem Maßnahmenpaket und insbesondere in diesem Vorschlag zum Ausdruck. Es wird weder den erheblichen Lohnunterschieden zwischen den neuen und den alten Mitgliedstaaten in diesem Bereich noch den negativen Auswirkungen auf die KMU, die Beschäftigung und die Entlohnung von Berufskraftfahrern Rechnung getragen …“

Begründung

Die Betonung der sozialen Aspekte in der Verordnung bedeutet nicht, dass dies immer und ausschließlich mit neuen Mitgliedstaaten zu tun hat.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 27 Nein-Stimmen: 62 Stimmenthaltungen: 1

Ziffern 6

Streichen:

6.   Und die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern?

6.1

Die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Richtlinie 96/71/EG) muss dann Anwendung finden, wenn Verkehrsunternehmer Arbeitnehmer, mit denen ein Arbeitsverhältnis besteht, für die Erbringung von Kabotagediensten von dem Mitgliedstaat entsenden, in dem sie normalerweise arbeiten.

6.2

Hierbei stellt sich jedoch das Problem der Art und Weise, in der die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wurde, was in dem vorliegenden Fall in der Folge zu Unterschieden bei der Anwendung in Bezug auf die Sektoren und die Dauer der Dienstleistungserbringungen geführt hat. So findet diese Richtlinie in einigen Mitgliedstaaten lediglich auf die Bauwirtschaft Anwendung, in anderen jedoch vom ersten Tag an auch auf die Erbringung von Dienstleistungen. Außerdem wird den Mitglied¬staaten in dieser Richtlinie die Möglichkeit eingeräumt, von ihrer Anwendung durch Tarif¬verträge abzuweichen, wenn die Dauer der Entsendung einen Monat nicht übersteigt.

6.3

In Bezug auf die Kabotage kann diese Richtlinie angesichts ihrer uneinheitlichen Anwendung in den einzelnen Mitgliedstaaten — sofern sie überhaupt umgesetzt wird — keine Lösung für die Probleme im Zusammenhang mit dem unlauteren Wettbewerb und dem Sozialdumping bieten.

6.4

Außerdem fehlt es an jedweder Kontrolle der Anwendung dieser Richtlinie. Dies ist ein erstaunliches Versäumnis, sind die Mitgliedstaaten nach Maßgabe dieser Richtlinie doch dazu verpflichtet, die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen für die Sozialgesetzgebung zuständigen Behörden sicherzustellen.

6.5

Daher ist der Ausschuss gespannt auf die Ergebnisse des europäischen sozialen Dialogs im Verkehrswesen zu dieser Frage.

Begründung

In Anbetracht seiner Besonderheiten werden die sozialen Aspekte im Güterkraftverkehr über die Richtlinie 2002/15/EG zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, und die Verordnung (EG) Nr. 561/2006, die Vorschriften zu den Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten für Kraftfahrer und die Nutzung von digitalen Fahrtenschreibern enthält, geregelt.

Was weitere soziale Aspekte anbelangt, so kann die Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen zwar auf den Bausektor angewendet werden, wo Arbeitnehmer für einen festen Zeitraum entsandt werden; dies ist jedoch nicht mit der Entsendung von Kraftfahrern zur Erbringung punktueller Kabotagedienste im Rahmen eines internationalen Gütertransports vergleichbar, da diese Entsendung Teil ihrer Tätigkeit als Kraftfahrer im internationalen Güterkraftverkehr ist, die durch eine Gemeinschaftslizenz für den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr abgedeckt ist.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 24 Nein-Stimmen: 63 Stimmenthaltungen: 2

Ziffer 6.3

Wie folgt ändern:

6.3

In Bezug auf die Kabotage kann diese Richtlinie aAngesichts ihrer derzeit uneinheitlichen Anwendung in den einzelnen Mitgliedstaaten wird die Richtliniesofern selbst wenn sie überhaupt ordnungsgemäß umgesetzt wird — keine Lösung für die anstehenden Probleme im Zusammenhang mit dem unlauteren Wettbewerb und dem Sozialdumping bieten nicht lösen.“

Begründung

Die Betonung der sozialen Aspekte in der Verordnung bedeutet nicht, dass dies immer ausschließlich mit den neuen Mitgliedstaaten zu tun hat.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 32 Nein-Stimmen: 27 Stimmenthaltungen: 2

Ziffer 1.2

Wie folgt ändern:

1.2

„Der Ausschuss vertritt allerdings die Meinung, dass die soziale Dimension des Zugangs zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs stärker berücksichtigt werden sollte. Die Kabotage — wie auch der Drittverkehr  (3) — kann aufgrund des Lohnunterschiedes zwischen Berufskraftfahrern aus den neuen und den alten Mitgliedstaaten unlauteren Wettbewerb und Sozialdumping im Verkehrswesen zur Folge haben.“

Begründung

Wenn die sozialen Aspekte in der vorgeschlagenen Verordnung herausgestellt werden sollen, muss dies nicht unbedingt mit den neuen Mitgliedstaaten zu tun haben. Unlauterer Wettbewerb kann in jedem Mitgliedstaat vorkommen und von jedem Mitgliedstaat ausgehen. Darüber hinaus kann nicht die Rede von Sozialdumping in der EU sein, wenn Unternehmen oder Personen sich überall vollkommen legal verhalten.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 28 Nein-Stimmen: 61 Stimmenthaltungen: 1


(1)  Im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Folgenabschätzung zum Verordnungsentwurf (SEK(2007)635/2) wird erläutert, dass der grenzüberschreitende Handel zwischen 1999 und 2003 stetig zugenommen hat; die jährliche Wachstumsrate lag bei 4,4 %. Zwischen 2004 und 2005 schnellte diese Wachstumsrate allerdings auf über 20 % (siehe S. 6).

(2)  Im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Folgenabschätzung zum Verordnungsentwurf (SEK(2007)635/2) wird erläutert, dass der grenzüberschreitende Handel zwischen 1999 und 2003 stetig zugenommen hat; die jährliche Wachstumsrate lag bei 4,4 %. Zwischen 2004 und 2005 schnellte diese Wachstumsrate allerdings auf über 20 % (siehe S. 6).

(3)  Als“ Drittverkehr „wird eine Beförderung von Land A in Land B durch ein in Land C ansässiges Verkehrsunternehmen erachtet.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Reduzierung der CO2-Emissionen von Flughäfen durch ein neues Flughafenmanagement“

(2008/C 204/10)

Mit Schreiben vom 4. Juli 2007 ersuchte das portugiesische Verkehrsministerium den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Rahmen des portugiesischen Ratsvorsitzes gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Sondierungsstellungnahme zu folgendem:

„Reduzierung der CO2-Emissionen von Flughäfen durch ein neues Flughafenmanagement“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 19. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr McDONOGH.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 13. März) mit 103 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

Förderung von Flughafenmanagementkonzepten zur Verringerung von Kohlendioxidemissionen auf Flughäfen durch die Einführung eines Luftqualitätsmodells, das alle NOx-Emissionsquellen erfasst und CO2-Zielwerte beinhaltet. Das Modell sollte anhand von Messungen an Luftqualitätskontrollpunkten auf dem jeweiligen Flughafengelände kalibriert werden. Wesentliche Messstellen wären der Flugplatz, die Flughafengebäude (Terminals und damit verbundene Zonen), Parkplätze und Zufahrten.

Förderung der Einhaltung anerkannter Gebäudestandards und internationaler bewährter Verfahrensweisen beim Bau und Betrieb der Flughafeninfrastruktur zur Verringerung des damit verbundenen CO2-Fußabdrucks. Zentrale Aspekte sind dabei Isolation, optimale Tageslichtnutzung und Solarbeleuchtung, Regenwassernutzung, Sonnenenergie, KWK, intelligente Gebäudemanagementsysteme und Wärmetauscher.

Förderung der Verwendung erneuerbarer Energieträger für die Flughafenenergieversorgung.

Förderung des Einsatzes umweltfreundlicher Vorfeldfahrzeuge in Flughäfen, in denen im Zusammenhang mit Flugzeugumläufen ein hohes Maß an Vorfeldfahrzeugbewegungen stattfindet. Seitens der Flughäfen könnten die Fluggäste durch eine entsprechende Staffelung der Parkgebühren und Zuweisung der Parkplätze zur Nutzung umweltfreundlicher Beförderungsmittel ermutigt werden.

Abfallminderung auf Flughäfen durch Förderung der Installation fortgeschrittener Recyclingeinrichtungen für Flughafenabfälle. Ein sinnvoller Umweltindikator wäre die pro Passagier produzierte Abfallmenge.

Verringerung der durch die Autofahrten zum Flughafen verursachten Folgen durch ein nachhaltiges alternatives Beförderungsangebot für Fluggäste und Flughafenpersonal, beispielsweise in Form von Bahn- und Busverbindungen, Car Sharing und FahrRad-Initiativen.

Verringerung des Treibstoffverbrauchs der Flugzeuge durch die Förderung verbesserter Verfahren im Luftverkehrsmanagement der Flughäfen.

Möglichst Vermeidung des Betriebs der Hilfstriebwerke an den Abstellpositionen. Durch eine zentrale Flugzeugenergieversorgungsanlage im Terminal sollte an den Docks Strom und klimatisierte Luft bereitgestellt werden.

Staffelung und Erhöhung der Start- und Landekosten für Flugzeuge mit älteren Triebwerken und niedriger Treibstoffeffizienz in dem Bestreben, ihren Einsatz unattraktiv zu machen bzw. zu unterbinden.

Einführung einer Fluglärmklassifizierung und entsprechende Vergabe von Fluglärmquoten auf Flughäfen in dem Bestreben, den Einsatz lauter Flugzeuge unattraktiv zu machen.

Emissionsminderung durch ein systemisches Konzept — zwar hat die Sicherheit nach wie vor höchste Priorität, doch müssen auch alle anderen Aspekte wie u.a. Flug- und Triebwerkskonstruktion und –betrieb, Kompromisse, alternative Treibstoffe, Bodendienste, Flughafenkapazität und Luftverkehrsmanagement berücksichtigt werden.

CDA-Anflugverfahren (kontinuierlicher Sinkflug, „Continuous descent approach“), bei dem die Flugzeuge aus einer größeren Höhe in einem gleichmäßigen Landeanflug absinken, im Gegensatz zu den herkömmlichen abgestuften Anflugverfahren, bei denen die längeren Horizontalflugphasen zur Gewährleistung einer konstanten Geschwindigkeit mehr Schub und damit mehr Treibstoff erfordern. Bei dem kontinuierlichen Anflug sinkt das Flugzeug mit effizienterer Geschwindigkeit ab und verbraucht weniger Treibstoff. Die Auswirkungen dieses Anflugverfahrens auf die Luftqualität dürften in einem Flughafenumkreis von 25 bis 30 km spürbar sein.

Einsatz von Turbopropflugzeugen auf allen Strecken unter 500 km sowie für Flüge mit weniger als 70 Passagieren, sofern die Reichweite es erlaubt.

Senkung des Treibstoffbedarfs durch Abschalten von 1-2 Triebwerken bei Rollmanövern.

2.   Einleitung

2.1

Der Flugverkehr verursacht einen erheblichen Klimagasausstoß, der derzeit bei ca. 3 % (1) der EU-Gesamttreibhausgasemissionen liegt und seit 1990 um 87 % gestiegen ist. Dieser rapide Anstieg der Flugverkehrsemissionen hebt sich deutlich von der erfolgreichen Emissionssenkung in zahlreichen anderen Wirtschaftsbereichen ab. Wenn nichts dagegen getan wird, werden die durch den EU-Flughafenbetrieb verursachten Emissionen bis 2012 über ein Viertel der 8 %-igen Emissionssenkung kompensieren, die die EU-15 laut Kyoto-Protokoll erreichen muss. Zwischen jetzt und 2020 werden sich die Flugverkehrsemissionen voraussichtlich verdoppeln.

2.2

Der Luftverkehr fördert die Wirtschaft, den Handel und den Fremdenverkehr, schafft Geschäftsmöglichkeiten und erhöht das Potenzial zur Verbesserung der Lebensqualität in entwickelten und in der Entwicklung begriffenen Regionen.

2.3

Der Luftverkehr befördert jährlich 2 Milliarden Fluggäste und 40 % der interregionalen Exportgüter, gemessen am Warenwert. 40 % der internationalen Reisenden fliegen. Der Luftverkehr stellt weltweit 29 Millionen Arbeitsplätze. Seine globale Wirtschaftsleistung wird auf 2 960 Mrd. USD veranschlagt, d.h. 8 % des globalen BIP.

2.4

Flughäfen sollten integraler Bestandteil der lokalen Infrastruktur sein und jeweils eine führende Rolle im Umweltschutz vor Ort ausüben.

2.5

Eine möglichst effiziente Auslastung der Flughafeninfrastrukturen hängt stark von der Flugverkehrskontrolle ab. Die Förderung effizienter Flugverkehrskontrollverfahren auf und in der Umgebung von Flughäfen kann zur Verringerung der Treibstoffverschwendung bei Start, Landung und Rollmanövern beitragen.

2.6

Viele Flughäfen wie London Gatwick, Paris Orly, Milan Linate usw. haben ihre Kapazitätsgrenze bereits überschritten. Bis 2010 wird dies bei noch ca. 15 weiteren europäischen Flughäfen der Fall sein. U.a. ist auch die britische Zivilluftfahrtbehörde der Auffassung, dass die Zeitnischen zur Sicherstellung einer effizienteren Nutzung einer knappen Ressource an die Fluggesellschaften versteigert und dann auf einem transparenten Sekundärmarkt gehandelt werden sollten.

2.7

Eine bessere Auslastung — soweit machbar — der Flughafeninfrastrukturen und der angeschlossenen Bodeneinrichtungen könnte durch den Einsatz größerer Flugzeuge, erreicht werden. Obwohl viele Flüge ausgebucht sind, beläuft sich die durchschnittliche Passagierzahl in Flugzeugen, die mehrere Flughäfen anfliegen, nur auf 68. Die Flugzeuge sind zu klein und es gibt kaum Anreize für die Fluggesellschaften, auf größere, modernere Maschinen umzusteigen, da sich eine entsprechend effizientere Verfahrensweise nicht in den Flughafengebühren niederschlägt. Durch eine Kombination aus Marktmechanismen und Effizienzvorschriften sollten Verbesserungen herbeigeführt werden — so z.B. durch die Auflage, dass Luftverkehrsunternehmen ihre Abflugsteige in Abhängigkeit vom Flugzeugtyp mindestens einmal stündlich nutzen oder sie sonst einem anderen Luftverkehrsunternehmen zugänglich machen müssen.

2.8

Der Vorschlag der Kommission, im Rahmen des einheitlichen europäischen Luftraums die derzeit geltenden, getrennten nationalen Flugsicherungssysteme zu vereinheitlichen (SESAR), bietet die Möglichkeit einer erheblichen Effizienzsteigerung bei der Luftraumnutzung für An- und Abflugmanöver und dadurch wiederum einer Reduzierung von Warteschleifen und Startverzögerungen. Der internationalen Luftverkehrsorganisation IATA zufolge könnten effizientere Luftverkehrskontrollsysteme eine 12 %ige Verringerung der weltweit durch den Luftverkehr verursachten CO2-Emissionen bewirken. Der Ausschuss drängt alle Betroffenen, die Verhandlungen über die Einführung dieses neuen Systems rasch voranzutreiben und keinen Aufschub durch Verzögerungstaktiken einzelner Interessengruppen zuzulassen.

3.   Luftverkehr — Verursacher von Lärm- und Luftverschmutzung

3.1

Auf das Konto des Luftverkehrs gehen schätzungsweise 2 % des globalen Klimagasausstoßes, und bis 2050 könnte sich dieser Anteil verdoppeln.

3.2

In den vergangenen Jahren hat die Luftverkehrsindustrie die meisten anderen Industriezweige in Bezug auf die Lärm- und Emissionsverringerung je Produktionseinheit hinter sich gelassen. Die Treibstoffeffizienz steigt derzeit um 1-2 % jährlich, der Anteil des Luftverkehrs an den anthropogenen CO2-Gesamtemissionen beläuft sich auf 2 %. Der Luftverkehr nimmt um 5 % pro Jahr zu, während Energieeffizienzmaßnahmen Einsparungen von weniger als 1,5 % bewirken. Da aber ein rascheres Wachstum des Luftfahrtsektors prognostiziert wird, können technologische Verbesserungen allein das Problem nicht lösen.

4.   Lärm und Luftqualität in der Flughafenumgebung

4.1

Die Luftverkehrsindustrie ist bemüht, das von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) befürwortete ausgewogene Lärmmanagement umzusetzen, mit dem die Bevölkerung auf möglichst kostenwirksame Weise vor Fluglärm geschützt werden soll.

4.2

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang fortgeschrittenen Technologien zur Lärmminderung an der Quelle zu, wobei in den letzten Jahrzehnten beeindruckende Verbesserungen erzielt wurden und für die kommenden 15 Jahre weitere Fortschritte angestrebt werden. In einer Richtlinie (2) legte die Gemeinschaft für Flughäfen der Gemeinschaft Grundsätze für das Fluglärmmanagement fest, führte Betriebsbeschränkungen ein und ermöglichte die Außerdienststellung der lautesten Flugzeuge nach Kapitel 3. Die Ergebnisse der Umsetzung dieser Richtlinie sollten nun überprüft werden.

4.3

Wo die Kapazität des Start- und Landebahnsystems dies erlaubt, wenden Flughäfen und Flugsicherungsorganisationen das Sinkflugverfahren (CDA) und andere lärmmindernde Ab- und Anflugverfahren an. Diese Verfahren werden als maßgeblich für die Senkung der CO2-Emissionen auf Flughäfen und in ihrer Umgebung erachtet.

4.4

Die Mitgliedstaaten müssen eine vorbeugende Planung und Verwaltung der Flächennutzung in der Umgebung von Flughäfen sicherstellen.

4.5

Zur Verbesserung der lokalen Luftqualität an Flughäfen muss bei allen luft- und bodenseitigen Emissionsquellen angesetzt werden, auch bei Emissionen aufgrund von Unternehmens- und Straßenverkehrstätigkeiten, die zwar nicht unmittelbar aus dem Luftverkehr herrühren, aber doch im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Flughafendiensten entstehen. Die Anbindung der Flughäfen an die Schienenverkehrsnetze sollte gefördert werden, um eine umweltverträgliche Erreichbarkeit der Flughäfen sicherzustellen; eine entsprechende Verbesserung der Bus- und Schienenverkehrsnetze wäre hier maßgeblich. Flughäfen sollten die Fluggäste durch eine entsprechende Staffelung der Parkgebühren und Zuweisung der Parkplätze zur Nutzung umweltfreundlicher Beförderungsmittel ermutigen. Vorfeldfahrzeuge sollten zumindest mit saubereren Energieträgern wie Gas oder Strom betrieben werden; eine Reihe derzeit im Einsatz befindlicher Fahrzeuge haben Batterieantrieb, und wo dies angesichts der spezifischen Einsatzerfordernisse machbar ist, sollte die Flotte um derartige Fahrzeuge erweitert werden. Der Arbeitsweg des Flughafenpersonals kann erhebliche Autokilometer generieren, und deshalb sollten alternative Lösungen wie Personalbusse, Carsharing, gestaffelte Arbeitsschichten unter Umgehung der Stoßzeiten und, falls machbar, Radfahren der Flughafenangestellten gefördert werden.

4.6

Durch den technischen Fortschritt sind im Luftverkehr sichtbare Rauchabgase und Kohlenwasserstoffe weitgehend beseitigt und Stickoxide innerhalb der letzten 15 Jahre schrittweise um die Hälfte reduziert worden. Bis 2020 soll durch neue Triebwerkstechnik eine weitere 80 %ige Senkung des Stickoxidausstoßes erreicht werden.

4.7

In der Entwicklung befindliche Brennstoffzellen-APU-Systeme könnten die Hilfstriebwerke ersetzen und so eine Emissionsminderung um bis zu 75 % pro Einheit ermöglichen.

4.8

Flughäfen und Luftverkehrsunternehmen setzen sauberere und effizientere Bodendienstausrüstungen und Vorfeldfahrzeuge ein und drängen die Behörden, für eine umweltfreundliche landseitige Flughafenanbindung über beispielsweise Züge oder Untergrundbahnen zu sorgen.

4.9

Üblicherweise erfolgt die Stromversorgung von Flugzeugen an den Abstellpositionen über den Betrieb eines Hilfstriebwerks.

5.   Beitrag des Luftverkehrs zum Klimawandel

5.1

Auf das Konto des Luftverkehrs gehen ca. 2-4 % der europäischen CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Einer Prognose des Weltklimarats (IPCC) zufolge könnte dieser Anteil bis 2050 auf 5 % oder mehr steigen. Auch könnte der Anstieg der Luftverkehrsemissionen bis 2012 über ein Viertel der Emissionssenkung kompensieren, zu der sich die die EU unter dem Kyoto-Protokoll verpflichtet hat. Eine internationale Einigung über die notwendigen Maßnahmen erweist sich als schwierig, doch soll die geplante Richtlinie auf globaler Ebene eine Vorbildfunktion haben und bietet auch die einzige Möglichkeit hierzu.

5.2

80 % des durch den Luftverkehr verursachten Klimagasausstoßes rühren von Passagierflügen mit Flugstrecken von über 1 500 km/900 Meilen her, zu denen es keine praktische Alternative gibt.

5.3

Im Hinblick auf eine weitere CO2-Emissionsminderung erforschen die Luftverkehrsunternehmen aktiv die schrittweise Einführung von alternativen Treibstoffen wie synthetischem Kraftstoff aus Biomasse (BTL, Biomass to Liquid).

5.4

Neben geeigneten Marktmechanismen gelten derzeit technologischer Fortschritt, Infrastrukturverbesserungen und bewährte Verfahrensweisen im Flughafenbetrieb als wirksamstes und kostengünstigstes Mittel zur Eindämmung des Klimawandels.

5.5

Flughäfen benötigen internationale Standards und globale Politiken und nicht etwa kurzsichtiges Stückwerk.

5.6

Die Flughafengestaltung kann sich positiv auf die Emissionssenkung auswirken, insbesondere eine Neukonzeption der Rollbahnen und Flugsteige zur Verringerung von Staus im Bodenverkehr. Bei der Konstruktion der Fluggastbereiche sollte darauf geachtet werden, dass der Energieverbrauch durch Heiz- und Klimaanlagen auf ein Minimum beschränkt wird, nach Möglichkeit Solarzellen eingebaut werden, für eine optimale Tageslichtnutzung und Solarbeleuchtung gesorgt, KWK-Technik eingesetzt und Abwärme genutzt, Regenwasser für Toilettenspülungen und Flugzeugreinigung gesammelt wird usw. Durch eine wirksame Regelung der Gebäudeinnentemperaturen sollte Energieverschwendung durch Überheizung/Unterkühlung vermieden werden.

5.7

Die Flughafenverwaltung sollte eine Verringerung der Abfallmenge pro abgefertigtem Passagier anstreben und dazu Abfallsortierungs- und -verwertungsinitiativen im Flughafenbereich selbst einführen und in die mit den Fluggesellschaften und anderen relevanten Dienstleistern abgeschlossenen Dienstgütevereinbarungen aufnehmen.

5.8

Die Richtlinie über die Einbeziehung des Luftverkehrs in das europäische Emissionshandelssystem (ETS) (3) kann merklich zur Bewusstseinsbildung der Öffentlichkeit beitragen, einschlägige neue Möglichkeiten zur Kohlenstoffreduzierung erschließen und die Internalisierung der bislang seitens der Luftfahrtindustrie ignorierten externen Umweltkosten ermöglichen. In Anbetracht der Höhe und der Schwankungen der Kohlenstoffpreise wird sie sich aber wahrscheinlich nicht weiter auf das anhaltende Wachstum des Luftverkehrssektors und die zunehmenden Emissionen auswirken.

6.   Schlussfolgerungen — die weiteren Schritte

6.1

Um die Umweltauswirkungen von Flughäfen proaktiv, zeitnah und kostenwirksam angehen zu können, bedarf es einer umfassenden und einvernehmlichen Zusammenarbeit von internationalen Gremien, Regierungen und Interessenträgern der Industrie.

6.2

Emissionsminderung durch ein systemisches Konzept — zwar hat die Sicherheit nach wie vor höchste Priorität, doch müssen auch alle anderen Aspekte wie u.a. Flug- und Triebwerkskonstruktion und –betrieb, Kompromisse, alternative Treibstoffe, Bodendienste, Flughafenkapazität und Luftverkehrsmanagement berücksichtigt werden.

6.3

Die Festlegung langfristiger Umweltziele für Flughäfen aufgrund zuverlässiger überprüfbarer Daten und Anforderungen ist von größter Dringlichkeit. In diese Ziele sollten alle mit dem Flughafenbetrieb zusammenhängenden Bereiche (Flugverkehr, Gebäude, landseitige Verkehrsanbindung) einbezogen werden.

6.4

Als wesentlicher Parameter bei der Konzeption von Flughäfen sollte künftig die Konfiguration der Flughafeninfrastruktur auf die Senkung des Treibstoffverbrauchs vor dem Start und nach der Landung ausgerichtet werden. Initiativen wie die Einrichtung von Wartegittern auf größeren Flughäfen, zu denen kommerzielle Flugzeuge ohne laufende Triebwerke geschleppt würden, um ihre Triebwerke dann erst ca. 10 Minuten vor dem Start anzulassen, sollten weiter erforscht und, wo möglich, umgesetzt werden.

6.5

Verstärkt sollte das CDA-Anflugverfahren (kontinuierlicher Sinkflug, „Continuous Descent Approach“) genutzt werden, bei dem die Flugzeuge aus einer größeren Höhe in einem gleichmäßigen Landeanflug absinken, im Gegensatz zu den herkömmlichen abgestuften Anflugverfahren, bei denen die längeren Horizontalflugphasen mehr Treibstoff erfordern. Bei dem kontinuierlichen Anflug sinkt das Flugzeug mit effizienterer Geschwindigkeit ab und verbraucht weniger Treibstoff.

Brüssel, den 13. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe: http://ec.europa.eu/environment/climat/aviation_en.htm

(2)  Richtlinie 2002/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. März 2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft (Text von Bedeutung für den EWR) ABl. L 85 vom 28.3.2002, Seite 40–46.

(3)  KOM(2006) 818 endg. — 2006/0304 (COD) (ABl. C 75 vom 27.7.2007, S. 5).


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/43


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den „Leitlinien für die Anwendung von Artikel 81 des EG-Vertrags auf Seeverkehrsdienstleistungen“

(2008/C 204/11)

Das Präsidium des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beschloss am 20. November 2007, gemäß Artikel 29 Buchstabe A der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung eine ergänzende Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Leitlinien für die Anwendung von Artikel 81 des EG-Vertrags auf Seeverkehrsdienstleistungen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 19. Februar 2008 an. Berichterstatterin war Frau BREDIMA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 117 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Struktur und der derzeitige Wortlaut des Leitlinienentwurfs großteils befürwortet werden kann. Er verweist allerdings darauf, dass die Abschnitte über den Linienfrachtverkehr und die Trampdienste (Pools) einen unterschiedlichen Grad an Detailliertheit aufweisen. Der Abschnitt über den Informationsaustausch im Linienfrachtverkehr ist sehr ausführlich und dürfte recht hilfreich sein, werden doch die einschlägige Rechtsprechung und die Beschlussfassung in der Praxis in diesem Bereich erörtert und ausgelegt. Ganz allgemein ist der Leitlinienentwurf für den Linienfrachtverkehr klar formuliert; er fußt auf der bestehenden Rechtsprechung sowie ausführlichen und eingehenden Diskussionen mit der Linienschifffahrtsindustrie. Die Abschnitte über Trampdienste im Allgemeinen und Frachtpools im Besonderen sind jedoch weniger ausführlich. Der Ausschuss führt dies vor allem darauf zurück, dass es an einschlägiger Rechtsprechung und somit an Erfahrung der zuständigen (Wettbewerbs-)Behörden bis hin zur Europäischen Kommission zu Trampdiensten und Frachtpools fehlt, da es bislang noch keine formalen Klagen seitens der Charterer gegebenen hat.

1.2

Der Ausschuss bekräftigt seine Aussagen aus früheren Stellungnahmen (aus den Jahren 2004, 2006 und 2007), in denen er die EU aufgefordert hat, zweckdienliche Konsultationsverfahren mit anderen Staaten einzuleiten, um die Vereinbarkeit bestehender Rechtssysteme für die internationale Linienschifffahrt festzulegen. Außerdem verweist der Ausschuss erneut auf seine in diesen Stellungnahmen ausgesprochene Empfehlung, dass die Europäische Kommission bei der Erörterung von wettbewerbsrechtlichen Regelungen für den Seeverkehr neben reinen Wettbewerbsfaktoren auch den Faktor „Mensch“ (z.B. Auswirkungen auf die Beschäftigungslage für die europäischen Seeleute) berücksichtigten sollte.

1.3

Der Ausschuss empfiehlt, den Inhalt der (vorgeschlagenen) Leitlinien in Bezug auf den Linienfrachtverkehr, insbesondere die Frage, wann Informationen als „historisch“ anzusehen sind, anhand illustrativer Beispiele zu erläutern.

1.4

Da die Abschnitte über Trampdienste und Frachtpools aus den oben ausgeführten angenommenen Gründen weniger ausführlich gehalten sind, wirft der Ausschuss die Frage auf, ob die Leitlinien ausreichen, um den Trampschifffahrtsunternehmen (Frachtpools) die erforderliche Orientierungshilfe für eine Selbstbewertung ihrer Kooperationsvereinbarungen an die Hand zu geben. Einige Abschnitte dieses Leitlinienentwurfs über Trampdienste (Frachtpools) könnten durchaus eines gewissen Maßes an Klarstellung bedürfen. Außerdem sollte die Ausweitung der Verordnung über Seeschifffahrtsunternehmen (Konsortien), die derzeit ausschließlich auf die Containerschifffahrt beschränkt ist, auf andere relevante Sektoren des weltweiten Schifffahrtsmarktes in Betracht gezogen werden.

1.5

Der Ausschuss betont, dass die Märkte für Trampdienste keinesfalls mehrheitlich von Frachtpools bedient werden; die Mehrheit der Trampdienste wird vielmehr von vielen kleinen und mittleren Unternehmen durchgeführt, die miteinander um Fracht konkurrieren. Daher bekräftigt der Ausschuss seine Forderung, dass eine ausdrückliche Klarstellung in den Leitlinien zur Berücksichtigung dieses Sachverhalts erforderlich ist. Die Europäische Kommission sollte außerdem umfangreichere Orientierungshilfen in Bezug auf die Anwendung der De-minimis-Regelung auf diejenigen Frachtpools bereitstellen, die einen zu kleinen Marktanteil innehaben, um sich nennenswert auf ihre Märkte auszuwirken.

1.6

Bedauerlicherweise bieten die Leitlinien für Frachtpools keine ausreichende Antwort auf diejenigen Fragen, die bei den Frachtpools Unsicherheit und sogar Bedenken hervorrufen. Der Ausschuss teilt die Meinung, dass sich aus dem Leitlinienentwurf durchaus der Schluss ziehen lässt, dass Frachtpools nicht per se mit den EU-Wettbewerbsregeln unvereinbar sind, fordert die Europäische Kommission jedoch auf, die Endfassung dieser Leitlinien in Bezug auf die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 auf Frachtpools in diesem Punkt zu präzisieren, um die erforderlichen Instrumente für eine Selbstbewertung bereitzustellen.

1.7

Des Weiteren ist zu betonen, dass in dem Leitlinienentwurf der Begriff „Trampdienste“ nicht definiert wird und somit nicht klar ist, ob sich dieser Begriff auch auf die Beförderung von Personen auf dem Seeweg und/oder Sonderfrachten bezieht. Eine Klarstellung dieses Punktes könnte sich ebenfalls als sinnvoll erweisen.

1.8

In Bezug auf den Abschnitt über Trampdienste schlägt der Ausschuss ferner vor, in den Leitlinien klarzustellen, dass sich die Tätigkeiten eines Schiffsmaklers in Bezug auf die Festlegung der Preise im Grunde nicht wesentlich von denjenigen eines Poolmanagers unterscheiden. Die Märkte für Trampdienste, einschl. der Märkte, auf denen Frachtpools tätig sind, sind Ausschreibungsmärkte, d.h. die Preise werden von den Partnern in Preisverhandlungen nach Maßgabe von Angebot und Nachfrage festgelegt. Die bloße Tatsache, dass ein Poolmanager mit einem Charterer einen Preis für den Einsatz eines Frachtpoolschiffs aushandelt, ist daher keinesfalls eine „Preisfestsetzung“ im Sinne einer Kernbeschränkung.

2.   Einleitung

2.1

Am 13. September 2007 veröffentlichte die Europäische Kommission endlich den Entwurf der Leitlinien für die Anwendung der EU-Wettbewerbsregeln auf Seeverkehrsdienstleistungen. Diese Leitlinien finden auf Kooperationsvereinbarungen in den Seeverkehrsdienstleistungsbranchen Anwendung, die unmittelbar von der Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1419/2006 für Kabotage, Linienverkehrs- und Trampdienste betroffen sind. Sie sollen es Schifffahrtsunternehmen ermöglichen, eine Selbstbewertung in Bezug auf die von ihnen eingegangenen Vereinbarungen vorzunehmen, d.h. zu überprüfen, ob ihre Kooperationsvereinbarungen mit Artikel 81 EG-Vertrag vereinbar sind. Diese Leitlinien sollen zunächst für einen Zeitraum von fünf Jahren gelten.

2.2

In dem Leitlinienentwurf sollen insbesondere die Bedingungen beleuchtet werden, unter denen Linienfrachtverkehrsunternehmen rechtmäßig Frachtinformation austauschen und Trampschifffahrtsunternehmen Poolvereinbarungen beitreten können. Hierfür wurden komplexe Parameter festgelegt. Der wirkliche Mehrwert dieses Leitlinienentwurfs für die Praxis, d.h. die Antwort auf die Frage, ob diese Leitlinien die notwendigen Orientierungshilfen für Schifffahrtsunternehmen bieten, die Rechtmäßigkeit ihres beabsichtigten Marktverhaltens zu bestimmen, wird sich jedoch erst in der Zukunft bewerten lassen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

Linienfrachtdienste

3.1

In Bezug auf Linienfrachtdienste werden in dem Leitlinienentwurf neben der Bestätigung bekannter Tatsachen, d.h. der Abschaffung von Linienkonferenzen für Verkehre mit Quelle oder Ziel in Häfen der Europäischen Union ab 18. Oktober 2008, Möglichkeiten für den rechtmäßigen Austausch von Marktinformationen zwischen Linienfrachtverkehrsunternehmen untersucht. Obwohl bestimmte Details noch weiter ausgefeilt werden müssen, könnte der vorliegende Leitlinienentwurf der Linienfrachtverkehrsindustrie wohl gerade ausreichende Möglichkeiten für den Informationsaustausch, der für ihr angemessenes Funktionieren erforderlich ist, an die Hand geben.

3.2

Ab 18. Oktober 2008 müssen alle Linienfrachtverkehrsunternehmen, die Verkehrsdienste mit Quelle oder Ziel in EU-Häfen erbringen, sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Linienkonferenzdienste einstellen, ungeachtet dessen, ob diese Dienste in anderen Rechtssprechungen auf internationaler Ebene durchaus als rechtmäßig angesehen werden. Der Ausschuss bekräftigt seinen Standpunkt, dass der Nachweis, dass in der EU unrechtmäßige Linienkonferenzdienste den Binnenmarkt nicht nachhaltig beeinträchtigen, sich für weltweit tätige Unternehmen als sehr schwierig erweisen wird.

3.3

Das Hauptaugenmerk beim Linienfrachtverkehr liegt auf Systemen zum Informationsaustausch. Den Linienfrachtverkehrsunternehmen wird ein gewisser Spielraum beim Informationsaustausch eingeräumt. Zu den wesentlichen Aspekten von Bedeutung zählen Marktstruktur, Art der ausgetauschten Informationen, Alter der Daten und Häufigkeit des Informationsaustausches. Im Blickpunkt steht korrekterweise der Austausch von zukunftsgerichteten Daten, insbesondere Kapazitätsprognosen und Preisindices. Offenbar laufen Kapazitätsprognosen prima facie wohl immer Gefahr, unrechtmäßig zu sein. Der Ausschuss betont, dass die Auswirkungen des Informationsaustausches im Einzelfall zu prüfen sind.

3.4

In Bezug auf Preisindizes dürfte ein Preisindex, der auf aggregierten Preisangaben beruht, wohl kaum gegen EU-Recht verstoßen, solange die Daten nicht aufgeschlüsselt werden können und folglich den Unternehmen keine direkten oder indirekten Rückschlüsse auf die Geschäftsstrategien ihrer Wettbewerber ermöglichen. Gemäß dem Leitlinienentwurf sind der Grad der Datenaggregation, der historische bzw. aktuelle Charakter der Angaben und die Erscheinungshäufigkeit zu prüfen, doch werden darin keine ausdrücklichen Angaben über die Bedeutung, die diesen Faktoren beizumessen ist, gemacht.

3.5

In Bezug auf den Linienfrachtverkehr enthalten diese Leitlinien keine wirklich neuen Elemente, sondern bekräftigen nur die von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof bereits aufgestellten allgemeinen Kriterien.

3.6

Der Ausschuss bekräftigt seine Aussagen aus früheren Stellungnahmen (1), in denen er die EU aufgefordert hat, zweckdienliche Konsultationsverfahren mit anderen Staaten einzuleiten, um die Vereinbarkeit bestehender Rechtssysteme für die internationale Linienschifffahrt festzulegen. Außerdem verweist der Ausschuss erneut auf seine in diesen Stellungnahmen ausgesprochene Empfehlung, dass die Europäische Kommission bei der Erörterung von wettbewerbsrechtlichen Regelungen für den Seeverkehr neben reinen Wettbewerbsfaktoren auch den Faktor „Mensch“ (z.B. Auswirkungen auf die Beschäftigungslage für die europäischen Seeleute) berücksichtigt.

Trampdienste

3.7

Trampdienste sind durch einen stark wettbewerbsbestimmten Weltmarkt gekennzeichnet; sie erfüllen zahlreiche Kriterien eines perfekten Wettbewerbsmodells. Es handelt sich um einen homogenen Sektor; die Kosten für den Marktzugang sind allgemein sehr gering. Zahlreiche Unternehmen stehen in Wettbewerb miteinander, wobei die verschiedenen Schiffsgrößen und -typen je nach Marktgegebenheiten unterschiedlich sind. Auch die Informationsflüsse tragen zur Transparenz des Marktes für Trampdienste bei. Trampdienste werden hauptsächlich auf der Grundlage von Reise- oder fortlaufenden Reisecharterverträgen, Frachtverträgen oder Zeitcharterverträgen ausgeführt. Die Frachtraten auf diesen Märkten schwanken je nach Marktbedingungen sehr stark. Die Märkte für Trampdienste können außerdem rasch auf Marktentwicklungen und neue Anforderungen der Verfrachter reagieren (2).

3.8

In allen Einzelbereichen der Trampdienstbranche sind auch Frachtpools tätig. In einem Frachtpool wird eine größere Zahl ähnlicher Schiffe, die unterschiedlichen Eigentümern gehören, einer gemeinsamen Verwaltung unterstellt. Der Poolmanager ist für die Verwaltung der Schiffe im Sinne einer einzigen, zusammenhängenden Flotte, die Einziehung der Einnahmen und deren Rückverteilung nach einem vorher vereinbarten Schlüssel, die einzelne Reederei hingegen lediglich für den nautisch/technischen Schiffsbetrieb verantwortlich. Pools werden ganz allgemein aus zwei Gründen eingerichtet: Erstens um es den Teilnehmern zu ermöglichen, die Dienste bereitzustellen, die von ihren wichtigsten Kunden immer stärker nachgefragt wurden. Und zweitens um die Transporteffizienz durch besondere Investitionen und erhöhte Schiffsauslastung zu verbessern. Pools arbeiten in einem von Angebot und Nachfrage geprägten Umfeld, in dem Verträge auf der Grundlage von Ausschreibungen abgeschlossen und Frachtraten großteils von einem Spotmarkt bestimmt werden; bei den Käufern handelt es sich um Großkunden mit hohen Ansprüchen; die Schiffsmakler legen eine außerordentliche Transparenz in Bezug auf Tonnage und Bedingungen an den Tag.

3.9

Der Ausschuss betont, dass die Märkte für Trampdienste keinesfalls mehrheitlich von Frachtpools bedient werden; die Mehrheit der Trampdienste wird vielmehr von vielen kleinen und mittleren Unternehmen durchgeführt, die miteinander um Fracht konkurrieren. Daher bekräftigt der Ausschuss seine Forderung, dass eine ausdrückliche Klarstellung in den Leitlinien zur Anerkennung dieser Tatsache erforderlich ist.

3.10

Der Ausschuss unterstreicht, dass die EU-Wettbewerbsregeln immer schon auf Trampdienste und Frachtpools Anwendung gefunden haben, d.h. bereits lange vor der Annahme der Verordnung (EWG) Nr. 1419/2006, mit der der Europäischen Kommission Durchführungsbefugnisse in Bezug auf diese Dienste übertragen wurden. Allerdings gab es bislang keine formalen Klagen seitens der Charterer in Bezug auf diesen Sektor und somit auch keine Rechtsprechung. In dem Leitlinienentwurf sind die Abschnitte über Trampdienste (Frachtpools) weniger ausführlich als diejenigen über den Linienfrachtverkehr. Der Ausschuss führt dies darauf zurück, dass es an einschlägiger Rechtsprechung und somit an Erfahrung der zuständigen (Wettbewerbs-)Behörden bis hin zur Europäischen Kommission fehlt. Ferner sollte betont werden, dass in dem Leitlinienentwurf der Begriff „Trampdienste“ nicht definiert wird und somit nicht klar ist, ob sich dieser Begriff auch auf die Beförderung von Personen auf dem Seeweg und/oder Sonderfrachten bezieht. Eine Klarstellung dieses Punktes könnte sich als sinnvoll erweisen.

3.11

Der Leitlinienentwurf trägt auch den Besonderheiten des Trampsektors nicht genügend Rechnung; er scheint dem Vorbild der allgemeinen Leitlinien zu Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit zu folgen. Die Frachtpools werden sich an dieselben Leitlinien halten müssen wie andere Industriezweige, wollen sie sicherzustellen, dass sie den freien Wettbewerb nicht verzerren oder als Kartell auftreten.

3.12

Der Leitlinienentwurf ist sehr allgemein gehalten und bietet keine eindeutige Rechtssicherheit. Es ist nicht ausdrücklich festgehalten, dass Frachtpools nicht mit den EU-Wettbewerbsregeln vereinbar sind; allerdings werden auch keinerlei Anhaltspunkte dafür geliefert, unter welchen Bedingungen sie tatsächlich nicht mit diesen vereinbar sind.

3.13

Der wichtigste Abschnitt dieses Leitlinienentwurfs bezieht sich auf die Bewertung und Klassifizierung von Frachtpools. Die Grundaussage ist, dass eines der allgemeinen Merkmale von Frachtpools die gemeinsame Vermarktung in Verbindung mit einer unterschiedlich starken gemeinsamen Leistungsproduktion ist.

3.14

In Bezug auf diesen Markt bekräftigt der Ausschuss, dass die Leitlinien der Tatsache stärker Rechnung tragen sollten, dass die Substituierung bzw. Austauschbarkeit ein grundlegender Aspekt des Trampsektors ist, und zwar sowohl auf der Nachfrage- als auch der Angebotsseite (d.h. in Bezug auf Schiffstyp und -größe, Art der Frachtverträge und geografischen Markt). Werden Pools zu einer Selbstbewertung verpflichtet, können die Marktanteile außerdem nicht für jeden einzelnen Vertrag, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum überprüft werden.

3.15

Nach Meinung des Ausschusses sind Verbesserungen in Bezug auf die Bedeutung und die Festlegung des Marktanteils von Frachtpools und der „Substituierung“ zwischen einzelnen Strecken und Schiffstypen erforderlich. Es wird keinerlei praktische Orientierungshilfe für die Festlegung des einschlägigen Marktes gegeben. Aufgrund der verwendeten Methodologie könnten die Marktanteile hingegen sehr unterschiedlich ausfallen.

3.16

Bei der Bewertung von Poolvereinbarungen für Trampdienste im Zusammenhang mit Artikel 81 EGV sollte besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, dass der Poolmanager die dem Pool zugehörige Flotte sowohl in operationeller als auch kommerzieller Hinsicht „verwaltet“ und so ein gemeinsames Produkt im Rahmen eines einzigen Pools anbietet. Eine der „Nebenaufgaben“ des Poolmanagers bei der Gewährleistung des Diensteangebots ist de facto das Mitbieten um Frachtverträge auf dem Markt. Die einzelnen Reedereien sind ihrerseits für den nautisch/technischen Schiffsbetrieb verantwortlich. Pools bieten einen gemeinsam „produzierten“ Dienst an, der das Ergebnis einer weitreichenden Integration der Tätigkeiten der einzelnen Partner ist (3). Daher sollten Poolvereinbarungen genau wie andere Arten von Vereinbarungen über gemeinsame Produktion oder Spezialisierung bewertet werden.

3.17

Der Ausschuss bekräftigt, dass jeder Verweis auf „Preisfestsetzungen“ als Merkmal von Pools (und somit als Kernbeschränkung des Wettbewerbs) aus den Leitlinien gestrichen werden muss, da die Vereinbarung des Preises zwischen dem Poolmanager und dem Kunden integraler Bestandteil der angebotenen Dienstleistung und das Ergebnis von Preisverhandlungen für den Einsatz eines Poolschiffs im Zuge einer Ausschreibung ist.

3.18

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass angesichts des Zwecks von Poolvereinbarungen und ihrer grundlegenden Merkmale die vier in Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag festgelegten Freistellungsvoraussetzungen normalerweise erfüllt werden, um Pools von den Wettbewerbsregeln auszunehmen. Dieser Standpunkt wird noch dadurch bekräftigt, dass Pools eingerichtet wurden, um den Anforderungen und Bedürfnissen der Charterer zu entsprechen, und jahrzehntelang keinerlei Klagen dagegen erhoben wurden.

3.19

Der Ausschuss vertraut darauf, dass die Europäische Kommission die Leitlinien angesichts neuer Erfahrungen kontinuierlich überarbeiten und bei Bedarf notfalls ergänzende oder erläuternde Leitlinien ausarbeiten wird, ohne erst den Ablauf des fünfjährigen Geltungszeitraums der ursprünglichen Leitlinien abzuwarten.

3.20

Die Europäische Kommission sollte baldmöglichst den Anwendungsbereich der Gruppenfreistellung von Linienkonferenzen überarbeiten und bei dieser Gelegenheit die Notwendigkeit untersuchen, auch andere Sektoren der weltweiten Frachtschifffahrt einzubeziehen, insbesondere diejenigen Trampdienste, die reguläre Dienste auf regulären Routen anbieten. Dies ist nämlich ein Merkmal einiger Sonderdienste (z.B. herkömmliche Kühlschiffe, Holzfrachter, auf den Autotransport spezialisierte Schiffe und Ro-Ro-Fahrgastfährschiffe).

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 62; ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 46; ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 130.

(2)  Siehe Fearnley-Bericht „The Legal and Economic Analysis of Tramp Maritime Services“, Februar 2007, S. 14-31, http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/legislation/maritime/tramp_report.pdf.

(3)  Siehe Fearnley-Bericht (2007): Die Verfasser dieses Berichts kommen zu dem gleichen Schluss.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schiffsattesten für Binnenschiffe (kodifizierte Fassung)“

KOM(2008) 37 endg. — 2008/0021 (COD)

(2008/C 204/12)

Der Rat beschloss am 13. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Schiffsattesten für Binnenschiffe (kodifizierte Fassung)“

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 121 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006“

KOM(2007) 355 endg. — 2007/0121 (COD)

(2008/C 204/13)

Der Rat beschloss am 13. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie zur Änderung der Richtlinie 67/548/EWG und der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 26. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr SEARS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 124 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Die UNO hat im Auftrag ihrer Mitgliedstaaten das Modell eines „weltweit harmonisierten Systems“ (globally harmonised system, GHS) vorgeschlagen, das die Kriterien und Verfahren beinhaltet, die bei der „Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Chemikalien“ zur Anwendung kommen. Damit wird das Anliegen verfolgt, den Welthandel zu fördern und weniger entwickelte Länder in ihren Bemühungen um den Arbeits- und Verbraucherschutz zu unterstützen.

1.2

Der EWSA unterstützt das Ziel einer weltweiten Harmonisierung, die Form und die Rechtsgrundlage des von der Kommission vorgeschlagenen Rechtsakts für die Überführung des GHS und den für die Umsetzung durch Hersteller und Lieferanten vorgeschlagenen Zeitplan, der mit dem Ablauf der ersten Frist für die Registrierung von „Stoffen“ gemäß der Verordnung (EG) 1907/2006 (REACH) zusammenfällt.

1.3

Der EWSA teilt auch die Einschätzung der Kommission, dass Veränderungen an dem System, das sich in den letzten 40 Jahren in der EU herausgebildet hat, zwar unvermeidlich sind und breite Unterstützung finden, aber vermutlich auf kurze Sicht in der EU kaum Vorteile bringen und möglicherweise hohe Kosten verursachen. Deshalb ist der EWSA der Ansicht, dass es nötig gewesen wäre, in der ursprünglichen Folgenabschätzung größeres Augenmerk auf diese recht ungewöhnlichen Umstände zu legen. Ohne klar erkennbaren Gesamtnutzen sollte jede Ergänzung oder Änderung geltender Rechtsvorschriften, die für die Umsetzung des UNO-Vorschlags nicht unbedingt erforderlich ist, mit einer gesonderten gesundheitspolitischen, sicherheitstechnischen oder wirtschaftlichen Begründung versehen werden. Vor allem gilt es, dafür zu sorgen, dass die bestehenden Normen während der unvermeidlich langen Übergangszeit zwischen den beiden weitgehend gleichwertigen Systemen nicht in Frage gestellt werden. Ein zentrales Erfordernis ist die Aufklärung in der Verkaufsstelle.

1.4

Der EWSA ist zudem der Auffassung, dass angesichts des sehr straffen Zeitplans und der Notwendigkeit, die in der Anlaufphase anfallenden Kosten möglichst gering zu halten, beim Vorschlag und seiner sofortigen Umsetzung Spielraum für Flexibilität vorhanden ist. Es hat viele Jahre gedauert, das derzeitige System so auszugestalten, dass es EU-weit die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer und Verbraucher hinreichend schützt bzw. gewährleistet, und dies dürfte auch für das neue weltweit harmonisierte System gelten. Vor allem aber kommt es darauf an, sowohl bei der UNO als auch in der Kommission ausreichende langfristige Ressourcen einzusetzen, damit der Harmonisierungsprozess weitergeht und schließlich auch die eigentliche Einstufung und Kennzeichnung stark gehandelter Erzeugnisse einbezieht und nicht nur die Kriterien, auf denen die Einstufung beruht.

1.5

Kritisch sieht der EWSA die Länge des vorgeschlagenen Rechtsakts, sowohl für sich genommen als auch in Verbindung mit jüngst unterbreiteten Vorschlägen wie REACH, den vielen weiteren EU-Rechtsvorschriften, mit denen sie im Zusammenhang stehen, und der ständig anwachsenden Menge an Leitlinien, die jetzt für erforderlich gehalten werden. Ein neuer Ansatz ist unumgänglich, wenn die europäische Industrie (und erst recht der Prozess der Überwachung bzw. Änderung von Rechtsvorschriften) nicht unwiderruflich Schaden nehmen soll. Es ist ein Unding, davon auszugehen, dass jeder — vom Inhaber des kleinsten KMU bis zu den in der Regel größeren Gruppen von Sachbearbeitern in einer zuständigen nationalen Behörde — allein zu diesem Themenkomplex routinemäßig in einem über 20.000 Seiten umfassenden Regelwerk nachschlagen muss. Es muss ein besserer Lösungsweg gefunden werden.

1.6

In diesem Sinne bedauert der EWSA auch das Fehlen wichtiger Begriffsbestimmungen und insbesondere den Übergang von der Verwendung des Worts „Zubereitung“, das eine spezifische toxikologische Bedeutung hat, zu „Gemisch“, für das dies nicht gilt. Die Tatsache, dass noch immer keine Definition der Begriffe „Chemikalie“ und „chemisch“ vorliegt, stiftet weiter Verwirrung bei Arbeitnehmern, Verbrauchern, Führungskräften und Gesetzgebern. Dieser Vorschlag, der inhaltlich neutral und unstrittig sein soll, ist eine gute Gelegenheit, Fehler auf der Detailebene zu korrigieren, was in den technischen Anhängen bereits geschieht und in der Festlegung einheitlicher Definitionen, die quer durch alle einschlägigen Rechtsvorschriften gelten sollen, zum Ausdruck kommt. Dieses Problem sollte sofort angegangen werden, so dass man schließlich zu einem Glossar der wichtigsten Fachausdrücke in allen Sprachen gelangt, aus dem ersichtlich ist, welche Ausdrücke dasselbe bedeuten (wie es bei „Chemikalie“, „chemischer Stoff“ und „Stoff“ der Fall sein dürfte) und welche sich entweder in ihrer Bedeutung unterscheiden oder aber nicht miteinander zusammenhängen (wie zum Beispiel „Artikel“ und „Produkt“). Darüber hinaus müssten auch kulturbedingte Fehlinterpretationen oder Assoziationen, die in einigen Sprachen mit den Ausdrücken „Stoff“ (im Sinne von Rauschmittel, Alkohol oder Tabak) oder „chemische Stoffe“ (was einen Beiklang haben kann, der auf terroristische oder andere ungesetzliche Aktivitäten hindeutet) verbunden sind, ermittelt und vermieden werden.

1.7

Der EWSA verweist auch auf die doppelte Gefahr einer Überklassifizierung und Überkennzeichnung, durch die unerlässliche Warnhinweise letztlich an Wirksamkeit einbüßen, und des Sichverlassens auf die Kennzeichnung als alleinige Informationsquelle für Arbeitnehmer und Verbraucher gleichermaßen. Die wichtigsten Informationen müssen natürlich enthalten sein, aber Verweise auf andere, leicht zugängliche Quellen sind ebenfalls wichtig. Dass der Internethandel auf dem Vormarsch ist und die Vorzüge und Risiken bestimmter Erzeugnisse immer häufiger online recherchiert werden, deutet darauf hin, dass weitere Arbeiten in dieser Hinsicht erforderlich sind. Lange Listen standardisierter und fremder Bezeichnungen für die Bestandteile komplizierter Gemische entsprechen kaum den Erfordernissen des Notfall- und Sicherheitspersonals und der toxikologischen Zentren. Angaben zur Gesamtgefährdung und zu den Sicherheitsmaßnahmen nebst Daten zu Ansprechpartnern für eine Beratung rund um die Uhr bieten den Betroffenen den besten Schutz. In bestimmten Fällen, in denen es um proprietäre Formulierungstechnik geht, wird — wie im derzeit geltenden Recht — auch der Hersteller durch diesen Ansatz geschützt.

1.8

Der EWSA stellt fest, dass keine Kennzeichnung für die oft sehr kleinen Mengen vorgeschlagen wird, die zum Zwecke wissenschaftlicher Untersuchungen oder FuE-Arbeiten in der Wirtschaft von einem Labor an ein anderes weitergegeben werden. Diese könnte man aber ohne weiteres der Vielzahl von Kennzeichnungen hinzufügen, die von der UNO vorgeschlagen wurden, was der derzeit vorgeschlagenen äußerst restriktiven, unverhältnismäßigen und kostspieligen Ausnahmeregelung vorzuziehen wäre.

1.9

Abschließend bringt der EWSA zum Ausdruck, dass es immer stärker erforderlich sein wird, die Qualität der herangezogenen Daten und die weltweit in den einzelnen Staaten getroffenen Entscheidungen zu überprüfen. Zweifellos wird man sich immer weniger dem Druck entziehen können, die Ergebnisse der Einstufung selbst und nicht nur die dieser zugrunde liegenden Kriterien und Verfahren abzustimmen. Die globalen Erfordernisse und Nutzeffekte sind in diesem Falle leichter nachzuvollziehen.

2.   Einleitung

2.1

Dieser Vorschlag soll das geltende EU-Recht an das unlängst vereinbarte UN-Modell eines „weltweit harmonisierten Systems“ zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Rohstoffen, Zwischen- und Endprodukten anpassen, die als „gefährlich“ angesehen und als „chemische Stoffe“, „Stoffe“, „Gemische“ oder „Zubereitungen“ bezeichnet werden. Europäische Rechtsvorschriften, die bis in das Jahr 1967 zurückgehen, werden aufgehoben. Viele weitere Richtlinien und Verordnungen, darunter die derzeit umgesetzte Verordnung (EG) 1907/2006 (REACH), erfordern eine Novellierung. Längerfristig gesehen soll sich dies in der EU positiv auswirken, sofern die Kosten in Grenzen gehalten werden können und sich einige relativ geringe Nutzeffekte einstellen. Ingesamt dürfte der Welthandel dadurch erleichtert werden, während das hohe Schutzniveau für Gesundheit und Umwelt bestehen bleibt.

2.2

Ersetzt werden soll die 40 Jahre alte Richtlinie über gefährliche Stoffe (67/548/EWG). Sie gilt gemeinhin als erstes Beispiel für gesamteuropäisches Chemikalienrecht und diente vor allem dem Schutz der Arbeitnehmer. Die Gefahrstoff-Richtlinie und ihre zahlreichen Änderungen und Anpassungen an den technischen Fortschritt bieten Herstellern und Lieferanten, Arbeitnehmern, Händlern und Verbrauchern innerhalb und außerhalb der EU ein harmonisiertes System zur Einstufung „gefährlicher Stoffe“ mittels vorgeschriebener Prüfungen anhand vereinbarter Endpunkte und Gefahrenmerkmale. Sie regelt die ordnungsgemäße Kennzeichnung, die mit Hilfe einer begrenzten Zahl von Piktogrammen und Standardaufschriften auf mögliche Risiken aufmerksam machen und Verfahren für den sicheren Umgang empfehlen soll, und die Verpackung, die dem Schutz regelmäßiger Anwender und schutzbedürftiger Gruppen, insbesondere Kleinkindern, dient.

2.3

Einundzwanzig Jahre nach Verabschiedung der Richtlinie 67/548/EWG wurde das Verfahren durch die Richtlinie 88/379/EWG über gefährliche Zubereitungen von den „Stoffen“ (einer relativ abgeschlossenen Liste von „Elementen und ihren Verbindungen“) auf die theoretisch unendliche Liste der „Zubereitungen“ („Gemische von zwei oder mehr Stoffen“) ausgeweitet. In der Erkenntnis, dass Tierversuche in einer solchen Größenordnung nicht erwünscht oder gar nicht möglich waren, fand mit dieser Richtlinie erstmals ein theoretischer Zusammenhang zwischen den bekannten oder bestimmbaren Gefahren der Bestandteile und dem wahrscheinlichsten Gefahrengrad des Gemischs Eingang in das europäische Recht. Dieser konnte herangezogen werden, um die Zubereitung einzustufen, zu kennzeichnen und zu verpacken, ohne dass weitere Prüfungen erforderlich waren.

2.4

Da es sich bei der übergroßen Mehrheit der von Verbrauchern gekauften Produkte um „Zubereitungen“ (oder gar „Artikel“) handelt, war dies ein wichtiger Schritt in Richtung Verbraucherschutz bei Erzeugnissen, die nicht bereits Gegenstand spezieller, auf einzelne Kategorien begrenzter Richtlinien sind, wie sie beispielsweise für Pflanzenschutzmittel, Detergenzien und Kosmetika gelten. Die Richtlinie von 1988 erfuhr 1999 durch die Richtlinie 1999/45/EG deutliche Veränderungen.

2.5

Die genannten Richtlinien bildeten zusammen mit der flankierenden Sicherheitsdatenblatt-Richtlinie 91/155/EWG, die in der Folgezeit ebenfalls abgeändert wurde, viele Jahre lang einen Grundpfeiler des Arbeits- und Verbraucherschutzes in der EU. Sie stehen mit nahezu allen anderen EU-Rechtsvorschriften zum Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz im Zusammenhang und fließen in diese ein. Es ist eine ständige Aktualisierung erforderlich, um Veränderungen des Geltungsbereichs, der Produktions- und Prüfverfahren, des Produktangebots und der Einsatzmöglichkeiten ebenso zu berücksichtigen wie die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Folgen dieser Entwicklung und den Möglichkeiten, unerwünschte Auswirkungen zu mildern.

2.6

Ebenso bedeutsam ist, dass mit diesen Richtlinien „Binnenmarktziele“ in dem Sinne verfolgt werden, dass in der EU für die verschiedenen betroffenen Produkte ein einheitlicher Markt entstehen soll. Der Handel mit Produkten im Inland, unabhängig davon, ob es sich um Rohstoffe, Naturprodukte oder synthetische Produkte, Zwischenprodukte oder Abfallströme, Fertigwaren oder Artikel handelt, und deren Ausfuhr in andere Mitgliedstaaten kann gefahrlos erfolgen, sofern die genannten und andere einschlägige EU-Rechtsvorschriften eingehalten werden.

2.7

Die Europäische Kommission legte 2001 ein Weißbuch mit dem Titel „Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik“ vor. Es mündete im vorigen Jahr in die Verabschiedung der Verordnung (EG) 1907/2006, die unter dem Namen REACH (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe) bekannt geworden ist. Die zeitgleich veröffentlichte und verabschiedete flankierende Richtlinie 2006/121/EG brachte weitere Änderungen der Richtlinie 67/548/EWG mit sich, um die beiden miteinander in Einklang zu bringen. Der Prozess wird sich vermutlich fortsetzen, wenn mehr Daten zur Verfügung stehen oder sich der Gesetzgebungsbedarf verändert.

2.8

Alle getroffenen Feststellungen betreffen und berühren die Herstellung, den Vertrieb und das Inverkehrbringen von genau bezeichneten Produkten innerhalb der EU und den Handel zwischen der EU und ihren Import- und Exportpartnern. Zwangsläufig haben sich weltweit im gleichen Zeitrahmen in einer Reihe von Volkswirtschaften, mit denen die EU über zahlreiche große, mittlere und kleine Unternehmen inner- und außerhalb ihrer Grenzen regelmäßig Handel treibt, ähnliche, aber nicht deckungsgleiche Systeme herausgebildet.

2.9

Eine Reihe anderer Länder, deren Wirtschaft und Rechtsordnung in der Regel einen weniger hohen Entwicklungsstand aufweist, hat die Notwendigkeit eines Systems zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung „gefährlicher Stoffe“ erkannt, will aber die Einigung auf ein weltweit anerkanntes Modell abwarten, um dieses dann im Inland umzusetzen.

2.10

Als die Vereinten Nationen Anfang der 90er-Jahre erkannten, dass eigene nationale oder regionale Systeme zwar für den Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz von wesentlicher Bedeutung waren, aber auch Hemmnisse für den Welthandel darstellen konnten, erbaten sie ein Mandat für den Vorschlag eines weltweit harmonisierten Systems (GHS) zur „Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Chemikalien und die Erstellung von Sicherheitsdatenblättern“. Bei der Harmonisierung konnte man auf bereits vorhandene Modelle im Transportsektor zurückgreifen, insbesondere für physikalische Gefahren und akute Toxizität.

2.11

Die Zustimmung zur Verfolgung dieses umfassenden Ansatzes erfolgte in Kapitel 19 der Agenda 21, die 1992 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) verabschiedet wurde. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und der Sachverständigenausschuss der Vereinten Nationen für die Beförderung gefährlicher Güter (UNSCETDG) sollten technische Zuarbeit leisten.

2.12

Nach fast zehnjähriger Arbeit einigten sich die Vertreter der etwa 160 mitwirkenden UN-Mitgliedstaaten im Dezember 2002 auf den technischen Inhalt des neuen GHS. Der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (WSSD), der im September des gleichen Jahres in Johannesburg stattfand, rief die Signatarstaaten auf, „das GHS möglichst bald umzusetzen, damit das System bis 2008 voll funktionsfähig ist“. Im Juli 2003 wurde das GHS der UN, das nun den Zieltermin 2008 für die Umsetzung enthielt, vom Wirtschafts- und Sozialrat der UN angenommen. Die Vereinbarungen wurden von Vertretern aller 27 Mitgliedstaaten der mittlerweile erweiterten EU unterzeichnet.

2.13

Im Jahre 2004 wurden verschiedene Änderungsanträge zum ursprünglichen UN-Vorschlag angenommen und in die Empfehlungen für „ein weltweit harmonisiertes System der Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (GHS)“ einbezogen, die 2005 von der UNO vorgelegt wurden. Das 540 Seiten umfassende Dokument und die daran vorgenommenen Veränderungen sind unter der Bezeichnung „Purple Book“ (wegen der violetten Farbe des Einbands) bekannt geworden. Zu 65 Ländern, darunter 27 aus der EU, gibt die einschlägige UN-Website Auskunft darüber, wie sie bei der Erreichung der Zielmarke 2008 vorangekommen sind.

2.14

Weitere technische Änderungen wurden von der UN 2006 beschlossen, darunter eine 2007 veröffentlichte Überarbeitung des „Purple Book“. Wie dies bei einem so umfassenden und komplexen Prozess der weltweiten Harmonisierung bestehender Systeme unvermeidlich war, enthielten die Vorschläge eine Mischung aus alten und neuen Prüfkriterien und Endpunkten, Piktogrammen, anerkannten Hinweissätzen und Kennzeichnungen. Es wird nach dem „Baukastenprinzip“ verfahren, damit unterschiedliche Auffassungen nebeneinander fortbestehen und sich die teilnehmenden Staaten um einen Konsens bemühen können (bei übermäßigem Gebrauch würden allerdings viele der erwarteten Vorteile ausbleiben).

2.15

Das von der UN vorgeschlagene Modell hat jedoch keine Gesetzeskraft, so dass die Länder, die sich daran halten wollen, dafür eine Rechtsgrundlage schaffen müssen. Für die EU-Mitgliedstaaten ist ein Vorschlag der Kommission erforderlich.

2.16

Die Kommission begann 2004 mit der Erarbeitung eines entsprechenden Vorschlags und legte 2006 einen ersten Entwurf für ein dem GHS entsprechendes EU-System vor. Im gleichen Zeitraum wurden Folgenabschätzungen durchgeführt und deren Ergebnisse veröffentlicht. Eine Internet-Befragung von Interessengruppen im dritten Quartal 2006 sowie eine Reihe von Bedenken des Juristischen Dienstes der Kommission führten zu einer größeren Überarbeitung des ursprünglichen Vorschlags. Dieser wurde letztendlich von der Kommission gebilligt und im Juni 2007 veröffentlicht. In der zuständigen Arbeitsgruppe des Rates sind die technischen Überprüfungen bereits angelaufen. Wie üblich erwartet man jetzt, dass das Europäische Parlament, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und der Ausschuss der Regionen Stellungnahmen dazu abgeben.

2.17

Es besteht weithin der Wunsch, dass die laufenden Überprüfungen weder eine Verzögerung noch eine spürbare Veränderung der Vorschläge nach sich ziehen. Deren Nutzen gilt allgemein als diffus, betrifft vor allem den Welthandel und kommt ohne Harmonisierung nicht zum Tragen. Die innerhalb der EU (oder beim Handel mit der EU) anfallenden Kosten werden stark ansteigen, wenn der Zeitplan für die Überführung nicht mit dem bereits für REACH vereinbarten Zeitplan übereinstimmt. Günstige Auswirkungen auf den Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz werden sich weitgehend außerhalb der EU in Ländern bemerkbar machen, die noch nicht über eigene effektive Systeme verfügen.

2.18

Die Umsetzung des GHS hat Folgewirkungen für das EU-Beförderungsrecht und für eine Fülle „nachgeordneter“ EU-Rechtsvorschriften zu Verbrauchsgütern, zum Umgang mit Chemikalien für bestimmte Anwendungen, zur Kontrolle gefährlicher chemischer Stoffe, zum Arbeitsschutz, zu Abfällen und Altprodukten. In den nächsten Jahren werden weitere Vorschläge unterbreitet, um diese Bereiche erforderlichenfalls einzubeziehen. Im August 2006 legten die Dienststellen der Kommission eine vollständige Liste der Rechtsvorschriften vor, die vermutlich davon betroffen sind. Änderungen der Verordnung (EG) 1907/2006 (REACH) sind im derzeitigen Vorschlag enthalten.

3.   Zusammenfassung des Vorschlags der Kommission

3.1

Der Vorschlag ist in drei „Bände“ und sieben „Anhänge“ untergliedert. In der englischsprachigen Fassung sind dies gut 2.100 Seiten. Obwohl die Kernpunkte des Vorschlags im relativ kurzen Band I (64 Seiten) enthalten sind, finden sich überall im Text neues Material bzw. neue oder überarbeitete Fassungen alten Materials. Deshalb muss der Vorschlag in seiner Gesamtheit als wichtiges Element des EU-Primärrechts und innerstaatlichen Rechts angesehen werden, das Aufsichtsbehörden, Hersteller, Lieferanten, Groß- und Einzelhändler, Arbeitnehmer und Verbraucher innerhalb und außerhalb der EU berührt.

3.2

Band II, der den Anhang I enthält, erläutert im Detail die Vorschriften für die Einstufung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen und Gemischen (154 Seiten).

3.3

Band III, der die Anhänge II bis VII umfasst, beinhaltet eine Reihe besonderer Vorschriften für bestimmte Stoffe und Gemische; Listen neuer Gefahren- und Sicherheitshinweise; neue Gefahrenpiktogramme; eine detaillierte harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung für bestimmte gefährliche Stoffe; und eine Tabelle für die Umwandlung einer Einstufung und Kennzeichnung gemäß Richtlinie 67/548/EWG entsprechend den neuen Erfordernissen und Gefahrenhinweisen der vorgeschlagenen Verordnung (430 Seiten). Ein „Finanzbogen“ für den gesamten Vorschlag, der zu einer ordnungsgemäßen Bewertung des Vorschlags gehört, aber im Falle von Primärrecht kaum von bleibendem Wert oder Interesse ist, findet sich — eher versteckt — ganz am Ende des Bandes.

3.4

Die Bände IIIa und IIIb enthalten die Tabellen 3.1 und 3.2 als Bestandteile von Anhang VI, wie in Band III dargelegt. Zusammengenommen stellen sie die Umwandlung von Anhang 1 der derzeitigen Richtlinie 67/548/EWG — fast 1.500 Seiten mit Entscheidungen zur Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe, die das Ergebnis von 40 Jahren Bewertungspraxis in der EU sind — in den neuen rechtlichen Rahmen dar.

3.5

Die Folgenabschätzung der Kommission, die im Zusammenhang mit den oben getroffenen Feststellungen zu sehen ist, beruht auf Gutachten der Beratungsfirmen RPA und London Economics und ist relativ kurz (34 Seiten).

3.6

Der Vorschlag erfolgt gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags in Form einer Verordnung. „Für alle Lieferanten von Stoffen und Gemischen auf dem Binnenmarkt sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen und gleichzeitig soll ein hohes Schutzniveau für Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und Verbraucher sichergestellt werden.“

3.7

Im vorgeschlagenen Rechtsakt wird eingeräumt, dass sich der Anwendungsbereich des geltenden EU-Rechts nicht mit dem Anwendungsbereich des GHS-Vorschlags der UN deckt. Beide unterscheiden sich im Einzelnen von den bereits weitgehend harmonisierten beförderungsrechtlichen Vorschriften zur Einstufung und Kennzeichnung. Die im Rahmen des Vorschlags notwendigen Veränderungen wurden nach Möglichkeit auf ein Mindestmaß reduziert. In einigen Fällen werden weitere Vorschläge erforderlich sein, insbesondere während der Umsetzungsphasen von REACH.

3.8

Einige neue Begriffe und Definitionen aus dem GHS der UN haben Eingang in den Vorschlag gefunden; so ist jetzt nicht mehr von „Zubereitungen“, sondern von „Gemischen“ die Rede.

3.9

Im Vorschlag wird eingeräumt, dass ein neues Klassifizierungssystem zum ausgedehnten Einsatz von Versuchstieren führen könnte. Es sollte möglichst auf andere Methoden zurückgegriffen werden. Versuche an Menschen und anderen Primaten zu Einstufungszwecken sind anscheinend (je nach der rechtlich und sprachlich ungeklärten Unterscheidung zwischen „sollte nicht“ und „darf nicht“ in den einzelnen Amtssprachen der EU) im Kommissionsvorschlag ausdrücklich untersagt (das GHS-Modell der UN hingegen lässt derartige Prüfungen zu).

3.10

Die Probleme, die sich aus der Einstufung von „Gemischen“ ergeben, werden anerkannt. „Übertragungsgrundsätze“ erleichtern die Bestimmung der Eigenschaften anhand ähnlicher geprüfter Gemische.

3.11

Der Vorschlag sieht die Möglichkeit vor, eine chemische Kurzbezeichnung zu verwenden, wenn die offizielle Bezeichnung eines Stoffes allein oder als Bestandteil eines Gemischs, wie sie in der Nomenklatur der Internationalen Union für reine und angewandte Chemie (IUPAC) angegeben ist, aus mehr als 100 Zeichen besteht. Auch die Produktidentifikatoren (Nummern und Namen) des Chemical Abstracts Service der American Chemical Society (CAS) werden weiter verwendet. Aus dem geltenden Recht wird die kontrollierte Verwendung von generischen Namen beibehalten, mit denen voraussichtliche Gefahren richtig benannt werden können, ohne die Rechte an geistigem Eigentum zu gefährden, die mit der genauen Zusammensetzung eines Gemischs zusammenhängen.

3.12

Es wird im Detail auf die erforderliche Phase des Übergangs von einem System auf das andere eingegangen. Dabei wird als gegeben angesehen, dass die neuen Kriterien zuerst auf „Stoffe“ und später auf „Gemische“ anzuwenden sind. Um die Unternehmen nicht unnötig zu belasten, müssen Produkte („Stoffe“ und „Gemische“), die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen bereits in der Lieferkette befinden, nicht neu gekennzeichnet werden.

3.13

Die Mitgliedstaaten sind gehalten, Behörden zur Anwendung und Durchsetzung der Verordnung zu benennen sowie „Vorschriften über Sanktionen für Verstöße“ festzulegen. Es heißt dazu: „Eine gute Zusammenarbeit zwischen allen zuständigen Behörden ist von wesentlicher Bedeutung.“

3.14

Die Verordnung gilt grundsätzlich für alle Stoffe und Gemische, sofern nicht andere Rechtsvorschriften der Gemeinschaft besondere Regelungen enthalten. Kosmetische Mittel, Aromastoffe, Zusatzstoffe für Lebensmittel, Erzeugnisse für die Tierernährung und Tierarzneimittel, bestimmte medizinische Geräte; Produkte, die den Beförderungsvorschriften für die Zivilluftfahrt, den Güterkraftverkehr und den Eisenbahnverkehr unterliegen, sowie Munition (nicht aber „Stoffe, die wegen ihrer pyrotechnischen Wirkung in Verkehr gebracht werden“, d.h. Feuerwerkskörper) sind vom Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen.

3.15

Abfälle im Sinne der Richtlinie 2006/12/EG können laut Vorschlag nicht als „Stoff“, „Gemisch“ oder „Artikel“ im Sinne der Verordnung eingestuft werden und sind daher von ihrem Geltungsbereich ausgenommen.

3.16

Legierungen im Sinne von Artikel 3 Ziffer 41 der Verordnung (EG) 1907/2006 (REACH) gelten als „Gemische“ und fallen daher unter die Verordnung, wie vermutlich auch echte „Gemische“ (aber keine „Zubereitungen“ im eigentlichen Sinne) natürlich vorkommender Stoffe, wie Metallerze, Mineralien und Pflanzenextrakte.

3.17

Die Kennzeichnungsvorschriften unterscheiden sich in gestalterischer und inhaltlicher Hinsicht von der bisherigen EU-Praxis. Einige Piktogramme treten an die Stelle der bisherigen Symbole; andere kommen neu hinzu. Die derzeit zulässigen einheitlichen R-Sätze und S-Sätze werden durch neue „Signalwörter“, „Gefahrenhinweise“ und „Sicherheitshinweise“ ersetzt.

3.18

Alle vereinbarten Begriffe und Hinweise werden in sämtlichen Amtssprachen der EU definiert und müssen entsprechend den Erfordernissen auf jedem Kennzeichnungsschild erscheinen, je nachdem, in welchem Land das Produkt letztendlich vertrieben wird. Es können mehrere Sprachen Verwendung finden, doch wird der dafür verfügbare Platz immer knapper. (In Sonderfällen kann zusätzlich die Übersetzung von Kennzeichnungsschildern und Begleitunterlagen in Sprachen erforderlich sein, die wie Walisisch gesetzlich vorgeschrieben, aber keine Amtssprachen sind, oder die wie Russisch, Türkisch, Arabisch oder Hindi verwendet werden, weil dies den Erfordernissen bestimmter indigener oder zugewanderter Bevölkerungsgruppen entspricht.)

3.19

Der Vorschlag geht davon aus, dass die Einstufung und somit auch die Kennzeichnung und Verpackung in der EU mit einer ständigen Aktualisierung verbunden ist, wenn neue Informationen und Erkenntnisse vorliegen oder sich die Prüfmethoden bzw. gesetzlichen Anforderungen verändern. Im Text wird dargelegt, welche Veränderungen Maßnahmen erfordern und wie dann zu verfahren ist.

3.20

Die Verordnung soll 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten. Stoffe dürfen nur noch bis spätestens 1. Dezember 2010 (zeitgleich mit dem Ablauf der Registrierungsfrist für REACH) nach den derzeit geltenden Rechtsvorschriften eingestuft, gekennzeichnet und verpackt werden, Gemische bis spätestens 1. Juni 2015. Danach gelten ausschließlich die neuen Vorschriften.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Die UN hat im Auftrag sämtlicher Mitgliedstaaten das Modell eines „weltweit harmonisierten Systems“ für die Kriterien und Verfahren der Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung „chemischer Stoffe“ vorgeschlagen. Die Mitgliedstaaten der EU haben sich darauf verständigt, das Modell möglichst bis 2008 zu übernehmen. Zur Überführung in das EU-Recht hat die Kommission die hier erörterte Verordnung vorgeschlagen.

4.2

Der EWSA unterstützt mit Nachdruck das Ziel einer weltweiten Harmonisierung, die Form und Rechtsgrundlage des vorgeschlagenen Rechtsakts und den Termin für die Umsetzung, der mit dem Ablauf der ersten wichtigen Frist für die Registrierung von Stoffen nach der Verordnung (EG) 1907/2006 (REACH) zusammenfällt.

4.3

Der EWSA bringt zum Ausdruck, dass bei der parallelen Handhabung der beiden Systeme Flexibilität erforderlich ist, insbesondere bei „Gemischen“, die vielfach selbst „Gemische“ von „Gemischen“ darstellen, welche jeweils eine bestimmbare und bisweilen lange Haltbarkeit aufweisen, die Monate oder gar Jahre beträgt. Die Umstellung wird vermutlich nicht vollständig innerhalb des vorgeschlagenen Zeitrahmens erfolgen, was aber glücklicherweise nicht bedeutet, dass der Prozess keine Wirkung zeitigt. Ohne die notwendige Flexibilität fallen in der Anlaufphase erhöhte Kosten an und stellen sich die beabsichtigten langfristigen Nutzeffekte möglicherweise gar nicht ein.

4.4

Der EWSA nimmt auch billigend die einleitende Feststellung in der Folgenabschätzung der Kommission zur Kenntnis, wonach sich „die Umsetzung des GHS ... auf lange Sicht als lohnend erweisen dürfte, weil der (andauernde) Nutzen durch Kosteneinsparungen ... die nur einmal anfallenden Kosten für die Umsetzung aufwiegen wird“, „die Umsetzungskosten allerdings nicht ausufern (dürfen), damit bereits in absehbarer Zukunft ein Nettonutzen erkennbar wird und für die KMU unnötige Kosten und überflüssiger Verwaltungsaufwand vermieden werden“.

4.5

Der EWSA nimmt zudem die von der Kommission im Finanzbogen getroffene Feststellung zur Kenntnis, wonach sich „der Rechtsakt aus der Umsetzung einer internationalen Vereinbarung (ergibt). Auch eine negativ ausfallende Ex-ante-Bewertung hätte nicht die Rücknahme des Legislativvorschlags durch die Kommission zur Folge, da es keine politische Alternative gibt. Eine negative Ex-post-Bewertung würde die Kommission nicht dazu veranlassen, vom international vereinbarten System für die Einstufung und Kennzeichnung abzurücken.“

4.6

Die Kommission meinte also, keine andere Wahl zu haben, als den Vorschlag zu unterbreiten, und zwar unabhängig davon, ob die veranschlagten oder tatsächlichen Kosten dem erwarteten Nutzen entsprechen. Auch der EWSA hält dies unter den gegebenen Umständen für realistisch, bedauert aber, dass bei der Folgenabschätzung — auch wenn sie für die Entscheidungsfindung nicht ausschlaggebend war — die Frage der voraussichtlichen Umsetzungskosten nicht näher untersucht wurde, um die Folgen schon bei der Abfassung des Rechtsakts abzumildern. Die Tatsache, dass das gleiche Beratungsunternehmen (RPA) eine detaillierte (und gegensätzliche) Analyse zu lediglich einem der betroffenen Sektoren (bestimmte Verbrauchsgüter) erarbeitet hat, lässt darauf schließen, dass dies in größerem Umfang und mit größerer Effektivität hätte erfolgen können, wenn Geld, Zeit und der Willen dazu vorhanden gewesen wären. Wie bei allen Harmonisierungsprozessen besteht ganz offensichtlich die Gefahr eskalierender Kosten bei dahinschwindendem Nutzen.

4.7

Beispielsweise ist nicht ohne weiteres einzusehen, wieso der Umstieg von einem bewährten und gut funktionierenden System auf ein ebenso taugliches, aber fremdes System einen unmittelbaren Nutzen für den Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz in der EU bringen soll. Kurzfristig gesehen könnte der Verbraucherschutz sogar darunter leiden, weil zwei Systeme mit unterschiedlichen Begriffen, Hinweisen und Piktogrammen nebeneinander bestehen. Ein koordiniertes Schulungsprogramm mit dem Einzelhandel als Schwerpunkt könnte dazu beitragen, diese Gefahr zu mindern.

4.8

Es bestehen konzeptionelle Schwierigkeiten in dem Sinne, wie die Vorteile für den Welthandel voll zum Tragen kommen sollen, wenn die Länder den UN-Vorschlag in unterschiedlichem Zeitrahmen und mit unterschiedlicher Auslegung der grundlegenden Erfordernisse umsetzen. Die frühzeitige Umsetzung durch Japan und Neuseeland hat bereits zu Besorgnissen in Europa Anlass gegeben. In den USA ist der Umstieg noch lange nicht vollzogen, denn es laufen derzeit vier oder fünf Systeme parallel. Auch künftig werden natürlich für weltweit gehandelte Waren verschiedene Sprachfassungen benötigt, so sehr auch die notwendigen Kennzeichnungsschilder und Sicherheitsdatenblätter harmonisiert werden.

4.9

Bestenfalls handelt es sich also um den Beginn eines Harmonisierungsprozesses, der im globalen Maßstab dem entspricht, was bereits in den EU-Mitgliedstaaten erfolgt ist, und der zur Weiterführung auf globaler Basis Ressourcen, begleitende Maßnahmen und Verfahren in gleichem Umfang erfordert. Dies ist eine ungewohnte Rolle für die Kommission, die ausreichende Ressourcen bereitstellen muss, damit bei dem vorgeschlagenen Rechtsakt die unvermeidlichen Änderungen, Aktualisierungen und Anpassungen an den technischen Fortschritt zeitnah und effektiv erfolgen können. Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der Finanzbogen bzw. die Vorschläge für Komitologie und anschließende Prüfungen dafür ausreichen.

4.10

Ähnliche Bemerkungen sollten an die UN gerichtet werden, damit bei weltweit stark gehandelten „chemischen Grundstoffen“ (und letztendlich bei der Mehrzahl der weltweit stark gehandelten Verbrauchsgüter) möglichst bald nicht nur eine vollständige Harmonisierung der Einstufungskriterien stattfindet, sondern auch der Einstufungen, die tatsächlich vorgenommen wurden und als Grundlage für die Kennzeichnung und Verpackung dienen. In beiden Fällen ist eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Herstellern der Produkte und den zuständigen Aufsichtsgremien von wesentlicher Bedeutung.

4.11

In der EU muss sich die Kommission noch mit zwei miteinander verknüpften Problemkreisen befassen: zum einen mit den vielen nur teilweise definierten Beziehungen zu den eigenen „nachgeordneten“ Rechtsvorschriften und zum anderen mit der Anerkennung und Berücksichtigung von Erfordernissen einzelner Sektoren, namentlich im Bereich der Konsumgüter. Da beide Systeme als gleichermaßen effektiv gelten, sollte ein hinreichender Spielraum bestehen, um den breiten Rahmen für den Vorschlag möglichst bald zu vereinbaren.

4.12

In diesem Zusammenhang sollten die Gesundheit und die Sicherheit der „Arbeitnehmer“ (am Arbeitsplatz) und „Verbraucher“ (in Einzelhandelsgeschäften, beim Online-Einkauf oder zu Hause) natürlich weiterhin den größtmöglichen Schutz genießen. Jedoch sind das Umfeld, der Informationsbedarf und die Orientierungsmöglichkeiten der beiden Personengruppen höchst unterschiedlich. Dies wird im Vorschlag nur teilweise berücksichtigt. Es ist nicht notwendig, alles in ein Schema zu pressen. Neueren Trends der Konsummuster, insbesondere dem Internet-Shopping, ist Rechnung zu tragen. Im Hinblick auf den Inhalt der Kennzeichnungen und die Relevanz der Angaben sollten auch die beruflichen Erfordernisse von Nothelfern, Erste-Hilfe-Diensten und toxikologischer Zentren berücksichtigt werden.

4.13

Neben dem Kennzeichnungsschild sollten auch die Verfügbarkeit und der Wert anderer Informationsquellen anerkannt werden, insbesondere für Verbraucher, denn diese können auch anhand von Auskünften der Verbraucherverbände oder Online-Informationen der meisten Hersteller oder Lieferanten fundierte Entscheidungen treffen. Die lapidare Feststellung der Kommission „Das Kennzeichnungsschild ist das einzige Mittel zur Kommunikation mit den Verbrauchern“ ist folglich eine zu starke Vereinfachung. Wer ausschließlich auf das Kennzeichnungsschild angewiesen ist, möglicherweise lange nach dem Erwerb, benötigt unbedingt prägnante, verständliche und aussagefähige Informationen. Wer genauere Angaben wünscht, kann sich diese im Rahmen des geltenden EU-Rechts oder der guten Handelspraxis mühelos beschaffen. Die zahlreichen individuellen Kaufentscheidungen, die allein aufgrund der Markentreue getroffen werden, wirken in zweierlei Richtung. Ein Produkt wird für sicher gehalten, weil es vom Unternehmen X hergestellt wird, und der hohe Stellenwert der Markentreue sorgt dafür, dass das Unternehmen X wirklich sichere Produkte anbietet und sie neu konfektioniert, umgestaltet oder zurückzieht, wenn dies nicht zutrifft. (Einige fraglos kostspielige weltweite Rückrufaktionen bei Spielzeug und anderen Konsumgütern, die in letzter Zeit stattfanden, weil die innerbetriebliche Qualitätskontrolle versagte, sind anschauliche Beispiele dafür.)

4.14

Im Falle von Arbeitnehmern und sonstigen Personen, die sich an Arbeitsstätten aufhalten, in denen in der Regel stärkere und/oder längere Expositionen auftreten und alle Beteiligten täglich für den höchstmöglichen Arbeits- und Gesundheitsschutz sorgen müssen, sind die Verpackungen und Mengen im Allgemeinen größer, so dass eine detailliertere Kennzeichnung erfolgen kann. Auch hier besteht kein Mangel an zusätzlichen Informationen, die zu einem großen Teil nach EU-Recht oder anderen Vorschriften bei oder vor der Anlieferung von Rohstoffen oder Zwischenprodukten zur Weiterverarbeitung bereitzustellen sind. Eine US-amerikanische Website, die nach Angaben eines früher (im Februar 2005) vorgelegten Informationsberichts des EWSA zu REACH 1,4 Millionen Sicherheitsdatenblätter bereithält, verfügt jetzt über 3,5 Millionen, und es sollen jeden Tag etwa 10.000 hinzukommen. Sicherheitsdatenblätter, die auf die EU zugeschnitten sind und Angaben zu Stoffen und Zubereitungen in den entsprechenden Landessprachen enthalten, sind bei den meisten Herstellern und Lieferanten sowie einigen zentralen Stellen erhältlich und müssen natürlich den europäischen Verbrauchern vor der Lieferung zur Verfügung gestellt werden. Da sie in allen einschlägigen Sprachen und von sämtlichen Herstellern und Lieferanten für alle Produkte erstellt werden müssen, sind sehr viele einzelne Datenblätter erforderlich, die regelmäßig oder beim Erlass neuer Rechtsvorschriften wie der vorliegenden Verordnung aktualisiert werden müssen.

4.15

Ergänzend dazu ermöglicht das (im Juni 2007) neu eingerichtete eChemPortal der OECD den leichten Zugriff auf eine Reihe von Datenbanken, die von den Regierungen und Einrichtungen der Mitgliedstaaten unterhalten werden, darunter dem Europäischen Büro für chemische Stoffe der EU. Diese Datenbanken enthalten Angaben zu Zehntausenden von einzelnen Stoffen, die in der EU hergestellt und in Verkehr gebracht werden, und tragen Kurzbezeichnungen wie ESIS (EU), CHRIP (Japan), OECD HPV (OECD), SIDS HVPC (UNEP), HPVIS (US EPA) und INCHEM (IPCS), doch findet man darunter auch bekanntere und häufig verwendete EU-Informationsquellen wie IUCLID, ORATS, HPVCS, LPVCS, ELINCS und EINECS sowie sektorspezifische Sammlungen wie SEED, EUROPHYT, PHYSAN und CAT. Weltweit koordinierte Meldesysteme wie Pharmacovigilance und Cosmetovigilance sorgen dafür, dass unerwünschte Wirkungen bestimmter Produkte schnell zentral erfasst werden. Die Ausweitung dieser gemeinsamen Frühwarnprogramme der jeweiligen Branche und Aufsichtsbehörde auf andere weit verbreitete Konsumgüter sollte gefördert werden.

4.16

Es ist sicher zu begrüßen, dass diese Datenquellen vorhanden und ohne weiteres verfügbar sind, vor allem wenn wirklich alle Sicherheitsblätter, alle Produktinformationen aktualisiert werden können, um wesentliche Änderungen zum Ausdruck zu bringen, die sich im Rahmen der unterschiedlichen nationalen und regionalen Umsetzung des GHS erforderlich machen, ohne dass allen Beteiligten unvertretbar hohe Kosten entstehen. Allerdings ist auch hier unklar, ob dies in der Folgenabschätzung im vollen Umfang berücksichtigt wurde.

4.17

Das reichhaltige Angebot an Online-Informationen stellt aber in Verbindung mit der Länge der Umsetzungsvorschriften zunehmend eine Belastung wie auch eine juristische und intellektuelle Herausforderung für Aufsichtsbehörden und Anwender gleichermaßen dar. Die Verordnung (EG) 1907/2006 (REACH) war in der veröffentlichten englischen Endfassung 850 Seiten lang. Die noch nicht fertiggestellten REACH-Implementierungsvorhaben (RIP) und Leitlinien sollen mehr als 10 000 Seiten füllen. Ihre endgültige Form und künftiger Rechtsstatus sind noch nicht bekannt. Der gegenwärtig erörterte GHS-Vorschlag nimmt über 2 000 Seiten ein. Erneut werden Leitlinien benötigt — zur Verordnung und zur Umsetzung von etwa 20 wichtigen nachgeordneten Rechtsakten, darunter der Richtlinie 1996/82/EC (Seveso II), die davon betroffen sind. Somit werden die zuständigen Einrichtungen und Gremien der EU allein in diesem Bereich bald annähernd 20 000 Seiten Rechtsvorschriften und Begleitunterlagen erstellt oder geprüft haben. In diesem Vorgehen ist schwerlich ein Modell für bessere Rechtsetzung zu erkennen oder ein probates Mittel zur Unterstützung der Lissabon-Ziele; auch wird es die Bürger Europas kaum von dem Gedanken einer zentral verwalteten, aber bürgernahen und für ihre Anliegen offenen EU überzeugen.

4.18

Wenn aber diese beträchtlichen Kommunikationsprobleme rechtzeitig bewältigt werden können (vermutlich durch Aufgliederung der Rechtsvorschriften in ihre wesentlichen Bestandteile, d.h. klar formulierte und einheitliche Begriffsbestimmungen; Prüfverfahren; Endpunkte; Ergebnisse; notwendige Abläufe und Verfahren usw., die jeweils gesondert zu geeigneten, aber unterschiedlichen Zeitpunkten veröffentlicht und aktualisiert werden und nicht durchweg eine gleichzeitige Veröffentlichung als Primärrecht erfordern), wird sich tatsächlich ein beträchtlicher Nutzen ergeben. Das datengestützte und weltweit geltende GHS sollte künftig als Orientierungsgrundlage für all jene dienen, die sich mit der Optimierung des Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzes befassen. Der sich daraus ergebende Nutzen ist möglicherweise viel größer als die relativ geringfügige Zunahme des Welthandels oder der inländischen Beschäftigung, die gegenwärtig als wirtschaftliches Argument für den Vorschlag vorgebracht wird.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass für die Annahme der vorgeschlagenen Verordnung eine enge Frist gesetzt ist, damit die Umsetzung im gleichen zeitlichen Rahmen wie bei REACH erfolgen kann und die einmalig in der Anlaufphase anfallenden Kosten möglichst gering ausfallen. Er stellt überdies fest, dass dies erst der Beginn eines weltweiten Prozesses ist, der von den beteiligten Aufsichtsgremien sowie den direkt betroffenen Unternehmen und sonstigen Akteuren ständige Korrekturen erfordert. Es ist also ganz augenscheinlich notwendig, möglichst viele der bekannten Probleme zu erkennen und zu klären und den Kernbestand des Vorschlags so flexibel wie möglich zu handhaben. Da hier ein gutes und bewährtes System von einem hoffentlich ebenso guten System abgelöst wird, bringen einzelne Sonderregelungen mit dem Ziel, Zeit für die Klärung von Problemen zu gewinnen, nur geringe Risiken mit sich.

5.2

Beispielsweise ist die Erstellung und Aufnahme einer „Tabelle für die Umwandlung“ von Anhang 1 der geltenden Richtlinie in Anhang VI der neuen Verordnung durch Mitarbeiter der Kommission und nationale Sachverständige zwar eine nützliche Orientierungshilfe für die Umstellung der alten auf die neuen Erfordernisse, doch erfolgte sie unter Umgehung all der ordnungsgemäßen Prüfungs- und Abstimmungsverfahren, die den über 1 000 Seiten ausmachenden Entscheidungen ursprünglich zugrunde lagen. Bei sofortigem Inkrafttreten müssten Mittel für eine detaillierte Prüfung aufgewendet werden, und dies zu einem Zeitpunkt, da die Mehrzahl der Unternehmen schon mit der Erfüllung der Registrierungsvorschriften von REACH alle Hände voll zu tun haben. Da es oft vorkommt, dass EU-Rechtsvorschriften verabschiedet werden, obwohl ein Teil oder die Gesamtheit der Anhänge noch leer ist, könnte man auch hier so verfahren, damit der Zeitplan insgesamt beibehalten wird. Damit entfällt auch das Problem der Haftung für Fehler bei der „Umwandlung“ bzw. „Umstellung“ der Erfordernisse, die derzeit bei den zuständigen Dienststellen der Kommission liegen würde, was natürlich unbefriedigend wäre. Dass bei dieser Umstellung viele Fehler in den aktuellen Rechtsvorschriften aufgedeckt werden dürften, insbesondere durch das Hinzukommen vieler neuer Sprachen, wo es auf eine präzise „Übersetzung“ im normalen linguistischen Wortsinn ankommt, ist da nur ein schwacher Trost, denn angesichts der Datenmengen ist davon auszugehen, dass sich gleichzeitig neue Fehler einschleichen, die allein der Hersteller oder Lieferant des betreffenden Erzeugnisses nach und nach entdecken wird.

5.3

Ähnliche Feststellungen gelten für alle Fälle, in denen das neu einzuführende GHS ohne nähere Prüfung eine Verschärfung der derzeitigen Vorschriften für die Einstufung und damit der Kennzeichnung, Verpackung usw. im Beförderungsrecht oder in nachgeordneten Rechtsvorschriften bewirken würde. Denkbar wäre dies zum Beispiel bei einigen gängigen Konsumgütern wie Waschmitteln, da das GHS hier anscheinend eine völlig unsinnige Überkennzeichnung vorschreibt. Wie ein häufig zitiertes Beispiel zeigt („Nach dem Verschütten eines handelsüblichen Waschmittels sollte sich der Benutzer aller Kleidungsstücke entledigen und sie mit dem gleichen Waschmittel waschen“), bringt man damit lediglich das System und alle, die es anwenden, in Misskredit. Jedenfalls erreicht man so nicht das höchste Schutzniveau in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt. Wichtig ist dabei die behutsame Verwendung der in Artikel 30 Absatz 1 vorgesehenen Ausnahmen, wonach „Sicherheitshinweise, ... die eindeutig unnötig sind, ... nicht in das Kennzeichnungsschild aufgenommen“ werden.

5.4

Probleme bereitet auch die in manchen Staaten verbreitete Praxis der Überklassifizierung, die für eine Begrenzung der Haftpflicht der Hersteller sorgen soll, aber einem ordnungsgemäßen Arbeits- oder Verbraucherschutz nicht förderlich ist. Konkret unterscheidet der vorgeschlagene Rechtsakt nicht hinreichend zwischen Produkten, die möglicherweise eine „reizende“ Wirkung entfalten (d.h. in bestimmten Fällen eine zeitweilige und reversible Rötung oder Schwellung der Haut bewirken können), und solchen, die „ätzend“ wirken (d.h. eine dauerhafte und gegebenenfalls irreversible Abtragung von Haut verursachen, etwa durch eine starke Säure bzw. Base oder durch die Einwirkung von Sauerstoff). Ein möglicher „Augenschaden“ ist dabei speziell zu berücksichtigen, denn er kann gravierende Folgen haben, die bis zur Erblindung reichen, so dass darauf unbedingt durch ein geeignetes und leicht erkennbares Symbol hingewiesen werden sollte. Erschwert wird das Ganze durch vorgeschriebene oder freiwillige Einschränkungen von Tierversuchen bei der Prüfung von Produkten, die fast einen revidierten Endpunkt erreicht haben und bei denen die Kennzeichnung und Verpackung als Konsumartikel von der vorgenommenen Einstufung abhängt. Da solche Produkte eher die Ausnahme als die Regel darstellen, würden kurzzeitige Sonderregelungen ermöglichen, dass der gesamte Vorschlag ohne Zeitverzug zum Tragen kommt.

5.5

Eine Überkennzeichnung hat auch unerwünschte Folgewirkungen für die Verpackung, denn kindersichere Verschlüsse sind auch von älteren oder gebrechlichen Menschen kaum zu öffnen. Ratschläge zur sorgsamen Handhabung und Lagerung von Produkten im Alltagsleben sind im Allgemeinen wertvoller als Vorrichtungen, die eine Nutzung verhindern oder dazu führen, dass die Behälter offen bleiben oder der Inhalt in weniger sichere Behälter umgefüllt wird. Die Verbraucher wissen, gestützt auf eine hilfreiche Kennzeichnung, den gesunden Menschenverstand und tägliches Achtgeben, sehr wohl, dass Erzeugnisse wie Herd- und Abflussreiniger mit großer Vorsicht zu behandeln sind. Auch sind sie in den meisten Fällen durchaus in der Lage, mit Waschmitteln oder Geschirrspüler-Tabs umzugehen, ohne sich zu verletzen. All diese Erzeugnisse als „ätzend“ zu kennzeichnen und mit dem Signalwort „GEFAHR“ zu versehen, schießt über das Ziel hinaus und gefährdet das gesamte Vorhaben.

5.6

Die genannten Beispiele werfen auch die Frage auf, inwieweit untersucht wurde, wie die verschiedenen neuen (und alten) Piktogramme, Signalwörter und Hinweise weltweit von verschiedenen Zielgruppen wahrgenommen werden. Auch wenn es zu spät ist, die GHS-Vorschläge der UN zu ändern, könnten sich einige zusätzliche Wörter als hilfreich erweisen oder Änderungen vorgeschlagen werden, um für mehr Klarheit zu sorgen. Besonders zu bedauern ist der Verzicht auf das weithin bekannte Andreaskreuz-Symbol (schwarz auf orangefarbenem Untergrund). Es wird geraume Zeit dauern, bis die neuen Symbole auf Anhieb erkannt werden, und insbesondere die Verbraucher werden einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein, bis sich die neuen Symbole vollständig durchgesetzt haben. Deshalb sollten in den Verkaufsstellen möglichst bald Kommunikationsmaßnahmen durchgeführt (und zentral finanziert) werden, um all jenen eine Orientierungshilfe zu bieten, die regelmäßig Käufe in Einzelhandelseinrichtungen tätigen. Die Erfordernisse des Online-Handels, bei dem der Kunde im Moment des Kaufs nur selten eine Kennzeichnung zu sehen bekommt, bedürfen weiterer Untersuchungen.

5.7

Was die Angaben zu den Bestandteilen einer Zubereitung oder eines Gemischs anbelangt, wird im vorgeschlagenen Rechtsakt vernünftigerweise die Verwendung von CAS-Nummern (diese umfassen derzeit über 32 Millionen organische und anorganische Stoffe mit teilweise oder vollständig definierter Struktur, von denen etwa 13 Millionen als im Handel erhältlich eingestuft sind, vielfach in sehr kleinen Mengen) und ergänzend dazu von IUPAC, CAS- oder sonstigen Bezeichnungen verlangt. Es gilt aber darauf hinzuweisen, dass diese Bezeichnungen dazu gedacht sind, Strukturen zu bestimmen, und nicht dazu dienen, Gefahren oder Risiken zu benennen. Für Notfall- und Sicherheitspersonal und für toxikologische Zentren sind sie nur selten von Nutzen, da spezifische Gegenmittel in der Regel nicht vorhanden sind. Dabei ist die Entscheidung zwischen dem Auslösen von Erbrechen und dem Neutralisieren des Gifts im Magen unter Umständen entscheidend für die Notfallversorgung. Für eine konkrete Beratung dürfte auch der anschließende Kontakt zum Hersteller, der an jedem Tag rund um die Uhr erreichbar sein sollte, von ausschlaggebender Bedeutung sein. Als Orientierung für Notfälle sollten diese Angaben und nicht die formale chemische Bezeichnung und die Molekularstruktur eines oder mehrerer Bestandteile eines komplexen Gemischs auf dem Kennzeichnungsschild erscheinen.

5.8

In Fällen, in denen die Benennung eines spezifischen Bestandteils bis hin zur Offenlegung der absoluten chemischen Struktur nur für einen Wettbewerber von Vorteil ist und der Originalhersteller um geistige Eigentumsrechte gebracht wird, sollten folglich die in der jetzigen Zubereitungs-Richtlinie enthaltenen Schutzklauseln beibehalten werden. Im Allgemeinen betrifft dieses Problem nur die „Performance fluids“ wie Schmieröle und andere High-Tech-Zubereitungen, bei denen eine Exposition der Verbraucher in der Regel nur in geringem Maße stattfindet und die allgemeinen Gefahren unabhängig von der konkreten Zusammensetzung auf der Hand liegen.

5.9

Damit im Zusammenhang stehen die Probleme, die sich aus der vorgeschlagenen Verwendung des Wortes „Gemisch“ ergeben, das sich nur auf ein System von Stoffen beziehen sollte, die mit physikalischen Mitteln getrennt werden können — anders als eine „Verbindung“ oder ein „Stoff“ (die sich nicht auf diese Weise trennen lassen). Bei dieser Definition werden anscheinend ganz unterschiedliche materielle Systeme (natürlich vorkommende Erze, Mineralien, Konzentrate und Pflanzenextrakte) mit „Zubereitungen“ in einen Topf geworfen, bei denen es sich um ein absichtlich herbeigeführtes Gemisch bekannter Bestandteile handelt, aus denen sich die Gefährlichkeit des Endprodukts durchaus ableiten lässt. Legierungen (und Gläser) zählen zu keiner der genannten Kategorien und bedürfen sowohl hier als auch bei REACH einer gesonderten und sachgerechteren Regelung. Auch ist nicht erkennbar, warum Abfallströme als Kategorie ausgenommen werden, obwohl sie im EINECS-Verzeichnis manchmal unter „Schleime“ und „Schlämme“ als „Stoffe“ erscheinen. Dies legt den Schluss nahe, dass ein Erzgemisch in seinem natürlichen Zustand der Einstufung bedarf (ohne erkennbaren Sinn, da es kaum mit Verbrauchern in Berührung kommen dürfte und keine Substitutionsmöglichkeit besteht), während Schrott oder gemischte Papierabfälle, die bei einer kontinuierlichen Verarbeitung und Verwertung „wie besehen“ behandelt werden müssen, herausfallen. In all diesen Fällen ist eine sichere Handhabung am Arbeitsplatz erforderlich, doch ist dies nicht das primäre Anliegen der Einstufung, und gekennzeichnet oder verpackt werden diese Produkte so gut wie nie. Eine branchen- oder arbeitsplatzspezifische Gesetzgebung bietet in der Regel einen besseren Schutz.

5.10

Die Begriffsbestimmungen sollten unbedingt vollständig in den Vorschlag aufgenommen werden, ohne dass eine bloße Übernahme aus dem GHS erfolgt oder auf andere Dokumente verwiesen wird. Es würde sich hier eine gute Gelegenheit ergeben, das Wort „chemical“ in seiner Bedeutung als Substantiv und Adjektiv erstmals zu definieren. Wenn es gleichbedeutend mit „Stoff“ ist, was vermutlich zutrifft, sollte dies deutlich gemacht werden. So käme es auch zu einer Präzisierung des Geltungsbereichs dieser und anderer Richtlinien und Verordnungen, die sich keineswegs nur auf die Produkte der recht genau definierten „chemischen“ Industrie beziehen. Zudem würde deutlich werden, dass die Wiedergabe des Substantivs „chemical“ mit „chemischer Stoff“ in Sprachen, die über kein einzelnes Wort als Äquivalent verfügen, nicht das Vorhandensein von alternativen (und vermutlich nichttoxischen) „nichtchemischen Stoffen“ impliziert. Hoffentlich hat dies auch zur Folge, dass wohlgemeinte, aber bedeutungslose Hinweise wie „die meisten Artikel enthalten Chemikalien“ (1) (was enthalten die übrigen?) oder „Chemikalien kommen in fast jedem Betrieb zur Anwendung“ (2) (was verwendet man in den anderen Betrieben?) möglichst unterbleiben. Der EWSA ist sich natürlich darüber im Klaren, dass in allen Rechtsvorschriften einheitliche Begriffsbestimmungen vonnöten sind. Er ist aber nicht damit einverstanden, dass einzelne Rechtsakte „fundamentaler“ sind als andere (wenn doch, dann wohl am ehesten dieser Vorschlag) und dass alle Beteiligten die gesamten einschlägigen Rechtsvorschriften durchlesen müssen, um herauszufinden, was ein bestimmtes Wort bedeutet oder nicht bedeutet. Dies wird immer wichtiger, da die Übersetzung in verschiedene Sprachen zu unterschiedlichen Bedeutungsnuancen führt, die es in der Ausgangsfassung nicht gibt — oder Unterscheidungen verwischt, die wichtig waren. So wird hier zum Beispiel der Ausdruck „Produkt“ in einem neutralen Sinn für alle Güter verwendet, die von einem Betrieb oder einem Verbraucher erworben oder verwendet werden könnten. Er ist keineswegs als Synonym zu dem Ausdruck „Artikel“ zu sehen, der im EU-Recht und in anderen Rechtsvorschriften eine spezielle Bedeutung hat. Im Englischen ist dieser Bedeutungsunterschied klar, in anderen Sprachen aber vielleicht weniger. Unabhängig von den Gegebenheiten jeder Sprache muss diese Unterscheidung deutlich herauskommen. Auch andere sprachliche oder kulturelle Grauzonen sind zu ermitteln und zu vermeiden. So könnte man zum Beispiel bei „substance-free environment“ in Europa an eine „chemiefreie Zone“ oder, wenn man „substance-free“ als „materiefrei“ übersetzt, sogar an den Weltraum denken, während in den USA damit eine Schule gemeint ist, an der Alkoholgenuss und Rauchen verboten sind. In der Regenbogenpresse vieler Kulturkreise gilt jemand, der an seinen Händen oder seiner Kleidung Spuren von „chemischen Stoffen“ trägt, schon als Terrorist.

5.11

Jedenfalls muss für jeden, auch für den Laien, klar ersichtlich sein, welche konkrete Bedeutung die einzelnen Wörter vermitteln sollen. Ein Verwendungsverbot für das Wort „Gefahr“ in Verbindung mit dem Wort „Warnung“ mag für Personen, die beruflich mit Kennzeichnung zu tun haben, von Interesse sein, doch werden diese beiden Wörter in anderen Hinweisen auf Risiken häufig zusammen verwendet. Im Englischen ist es schwierig, zwischen „dangerous“ und „hazardous“ einen Bedeutungsunterschied zu erkennen. Wenn in allen Sprachen der EU (und ihrer Handelspartner) ein solcher Unterschied besteht, sollte er deutlich gemacht werden. Zu vermeiden ist die Verwendung von Abkürzungen wie „m-Faktor“, die nur einen Sinn ergeben, wenn die jeweilige Entsprechung für „multiplying“ in der Landessprache auch mit dem Buchstaben „M“ beginnt. (Die Tatsache, dass in den geltenden Rechtsvorschriften ständig von R-Sätzen und S-Sätzen die Rede ist, die für Risiko bzw. Sicherheit stehen, zeigt ganz einfach, dass die Texte in Englisch abgefasst wurden und man wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Sprachen nahm.)

5.12

Um einen Damm gegen die Flut der Daten zu Millionen von Stoffen, die in kleinen oder gar winzigen Mengen weitergegeben werden, zu errichten, wäre angesichts des Erfassungsbereichs dieses Vorschlags ein Schwellenwert hilfreich, der auf dem Jahresumsatz, der Verpackungsgröße, dem Verpackungsgewicht oder der bekannten Toxizität beruht. Außerdem wäre es sinnvoll, den derzeitig verfügbaren Kennzeichnungen eine weitere hinzuzufügen, die für die zumeist zwischen Laboratorien erfolgende Weitergabe sehr kleiner Mengen als Proben für FuE-Arbeiten gilt und zum Ausdruck bringt, dass das „Produkt nicht geprüft oder eingestuft wurde“ und „nur für fachliche Zwecke geeignet“ ist. (Der Vorschlag, „Stoffe und Gemische für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung“ auszuklammern, aber nur wenn sie als „krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend“ gelten, ist unangebracht und sollte zurückgezogen werden. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, wonach die Gefahren im Labor eine vorrangige Behandlung erfordern oder dass im Labor tätige Personen entgegen allen Erwartungen unter Informationsdefiziten leiden. Sollte dies nachweislich der Fall sein, wären Änderungen der EU-Vorschriften zur guten Laborpraxis wohl der bessere Weg.)

5.13

Zudem sollte sichergestellt werden, dass das vorgeschlagene Einstufungs- und Kennzeichnungsverfahren auch künftig die inhärenten gefährlichen Eigenschaften der einzelnen Stoffe und Zubereitungen oder Gemische, die auf den Markt gelangen, in vollem Umfang zum Ausdruck bringt. Jegliche Ausweitung auf informelle oder unregulierte Mini-Risikobewertungen von Herstellern oder Lieferanten, um künftige oder voraussichtliche Einsatzmöglichkeiten zu berücksichtigen, ist zu vermeiden, da sie weder mit dem geltenden EU-Recht noch mit dem GHS-Vorschlag der UN im Einklang steht.

5.14

Im Hinblick auf die Durchführung, die Berichterstattung und die Sanktionen bei Verstößen sieht der Vorschlag vernünftigerweise vor, dass dafür die Mitgliedstaaten verantwortlich sind, aber mit der Maßgabe, dass die vorgesehenen Sanktionen „wirksam, angemessen und abschreckend“ sind und dass sie spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung der Kommission mitgeteilt werden. Der EWSA stellt aber dazu fest, dass der Vorschlag ebenso wie die geltenden Rechtsvorschriften darauf abzielt, die bei der Einstufung verwendeten Kriterien und Verfahren zu harmonisieren, nicht aber die Ergebnisse der Einstufung. Die Sanktionen dürften daher in puncto Höhe, Wirkung und Durchsetzbarkeit eher gering sein gemessen am Bestreben der Hersteller, die Arbeitnehmer und Verbraucher, von denen ihre geschäftliche Existenz abhängt, umfassend und sachgemäß zu schützen. Deshalb kommt es darauf an, dass sich der Vorschlag insgesamt im Zusammenwirken mit anderen Rechtsvorschriften wie REACH als praktikabel erweist.

5.15

Abschließend sei auf die Notwendigkeit verwiesen, die Qualität der in verschiedenen Staaten erhobenen Daten zu bewerten, damit sie vergleichbar sind und für die Ermittlung der Gefahren taugen, die mit neuen und komplexen Stoffen verbunden sind, darunter solchen mit „unbekannter oder veränderlicher Zusammensetzung“. Klassifizierungssysteme dafür sind vorhanden, beispielsweise bei der Society of Chemical Hazard Communications. Darüber hinaus sind extern begutachtete Daten im Register of Toxic Effects of Chemical Substances gespeichert. Es hat den Anschein, dass noch keine vollständige Klarheit über das richtige Procedere -vermutlich im Rahmen der UN — besteht oder die Ressourcen und Haushaltsmittel noch nicht bereitstehen.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Aus den Antworten der Kommission auf „Häufig gestellte Fragen“ zu REACH.

(2)  Aus den Orientierungshilfen des britischen Ministeriums für Umwelt, Ernährung und ländliche Gebiete (DEFRA) für MdEPs zu diesem Vorschlag.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Geografische Angaben und Ursprungsbezeichnungen“

(2008/C 204/14)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Geografische Angaben und Ursprungsbezeichnungen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 26. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr CAMPLI.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 124 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA hält es für strategisch sinnvoll, die Debatte über die gesamte EU-Qualitätspolitik neu zu beleben und zu vertiefen. Dabei sollte zwischen den rechtlichen Auflagen hinsichtlich Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Berücksichtigung sozialer Belange (auch im Hinblick auf ein mögliches EU-Qualitätssiegel) und jenen, die auf die Hervorhebung der besonderen, auf höheren Standards beruhenden Eigenschaften der Produkte und Lebensmittel der verschiedenen Gebiete der EU abzielen, ein harmonischer Ausgleich gefunden werden.

1.1.1

In Bezug auf die Effizienz des Systems der geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen (g.A.) ist nach Auffassung des Ausschusses Folgendes erforderlich:

größere Klarheit und Vereinfachung der Antragstellung;

die Prüfungen sollten nur von unabhängigen und akkreditierten öffentlichen und/oder privaten Stellen durchgeführt werden dürfen (im Einklang mit den ISO/EN-Normen (1) zur Akkreditierung von Zertifizierungsstellen);

weitere Verbesserungen des Rechtsrahmens in Bezug auf Streitigkeiten zur Prävention und/oder Lösung von Problemen und zur Vermeidung langwieriger und zermürbender Gerichtsprozesse. Dabei sollte beispielsweise auch festgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten auf jeden Verstoß gegen die gemeinschaftlichen Vorschriften reagieren müssen (2), außergerichtliche Schlichtungsinstanzen geschaffen werden müssen usw.

Der EWSA ist der Auffassung, dass diese kritischen Punkte bei der Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 nur teilweise berücksichtigt wurden und nunmehr berichtigt werden müssen, da bei einer Erweiterung des Systems um Drittstaaten mit noch größeren Problemen zu rechnen ist.

1.1.2

Im Hinblick auf die Effizienz schlägt der EWSA vor, zum einen Maßnahmen zur Gewährleistung des erforderlichen Ansehens des Erzeugnisses auf dem Markt vorzusehen, und zwar durch die Stärkung der mit der Verwaltung der g.A. betrauten Organisationen, und zum anderen klar definierte und glaubwürdige Spezifikationen einzuführen, die sich auf wirklich unabhängige effiziente und wirksame Prüfungen stützen.

1.1.3

Der EWSA empfiehlt deshalb, dass die erforderliche einheitliche Verwendung der Spezifikationsinhalte in den für die Eintragungsanträge zuständigen Behörden mithilfe von festgelegten Kriterien für die Repräsentativität der anstragstellenden Organisation gewährleistet wird, damit sichergestellt werden kann, dass auch komplexe und kontroverse Aspekte eine angemessene Berücksichtigung finden.

1.1.4

In Bezug auf die Effizienz betont der EWSA darüber hinaus, dass die geografischen Angaben zunehmend in die grundlegenden Instrumente für die ländliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten einbezogen werden müssen. Dabei sollten alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden, um die Einführung der geografischen Angaben und die im Rahmen der zweiten Säule vorgesehenen Maßnahmen zu verknüpfen, wobei insbesondere den neuen Mitgliedstaaten und den benachteiligten Regionen im Allgemeinen Rechnung zu tragen ist.

1.1.5

Schließlich ist der EWSA der Auffassung, dass das System der geografischen Angaben, das als Chance für die ländliche Entwicklung gesehen wird, an die zunehmenden (auch ethischen, sozialen und ökologischen) Erwartungen des Verbrauchers angepasst werden muss. Wenn dieser Ansatz in einer Strategie für Partnerschaften mit anderen Weltregionen zum Tragen kommt (auch im Wege einer gut geregelten und kontrollierten Öffnung für die Einfuhr von g.A.-Erzeugnissen aus den Entwicklungsländern), dann könnte dies zu einem breiteren Konsens hinsichtlich der Ursprungsbezeichnungen führen und die multilateralen Verhandlungen begünstigen.

1.1.6

In Bezug auf die Aufwertung der g.A.-Erzeugnisse ist der EWSA der Auffassung, dass die Maßnahmen zur Förderung von Gemeinschaftsmarken verstärkt unterstützt werden müssen. Diese Maßnahmen sollten auf mehr Informationen für die Erzeuger und eine bessere Kommunikation mit den Verbrauchern abzielen (insbesondere in jenen Ländern, in denen diese Aspekte nur schwach ausgeprägt sind). Ziel ist es, eine Zunahme der g.A.-Erzeugnisse, eine einheitlichere Verbreiterung dieser Produkte in der EU und eine Steigerung der Nachfrage auf dem Markt zu erreichen.

1.1.7

In Bezug auf die Forschung und die Verbreitung von Erkenntnissen über die Auswirkungen des Systems in der EU und auf die Märkte empfiehlt der EWSA eine angemessene und einheitliche Verbreitung der Ergebnisse der von den verschiedenen Kommissionsdienststellen durchgeführten erfolgreichen Untersuchungen, und zwar in allen Mitgliedstaaten und unter allen beteiligten Akteuren.

1.1.8

Der EWSA empfiehlt, die Welthandelsverhandlungen im Bereich der geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen in den Rahmen einer weiter gefassten Politik der internationalen Zusammenarbeit einzubetten. In diesem Zusammenhang hält er es für erforderlich, das Verhandlungspaket (Ausweitung des Artikels 23 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum, TRIPS, auf alle g.A.-Erzeugnisse; internationales Register; technische Unterstützung für die Entwicklungsländer) mit einem größeren Nachdruck und mit mehr Überzeugung erneut auf den Tisch zu bringen, wobei gleichzeitig die zusätzlichen bilateralen Verhandlungen ebenfalls wirksam fortgeführt werden sollten.

1.2

Der EWSA möchte insbesondere auf folgende sechs zu regelnde Aspekte eingehen, die von der Kommission aufgezeigt wurden (vgl. 2720. Tagung des Rates der Europäischen Union am 20. März 2006):

1.2.1

Erster Aspekt: „Erfassung von geschützten geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen bei Zutaten.“ Nach Auffassung des EWSA müssen im Einvernehmen mit allen betroffenen Parteien, die an den antragstellenden Organisationen beteiligt sind (Schutzkonsortien etc.), im Hinblick auf die enthaltenen g.A.-Zutaten die Kriterien und Parameter festgelegt werden, die erfüllt werden müssen, um für das Enderzeugnis eine geografische Angabe oder Ursprungsbezeichnung verwenden zu können.

1.2.2

Zweiter Aspekt: „Anwendung alternativer Instrumente wie Marken, um geografische Angaben und Ursprungsbezeichnungen zu schützen“. Nach Auffassung des EWSA ist die Anwendung eingetragener Marken zum Schutz der geografischen Angaben außerhalb der EU sicherlich ein gangbarer Weg. Er kann jedoch nicht die Lösung für das Problem des internationalen Schutzes der Bezeichnungen sein, da er (angesichts der Zahl der potenziell betroffenen Länder) komplex und kostspielig ist (d.h. nur für jene Handelsorganisationen durchführbar, die über angemessene Finanzmittel verfügen) und keinen umfassenden Schutz gewährleistet.

1.2.3

Dritter Aspekt: „Erzeugnisse, die in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, unter besonderer Berücksichtigung von Salz, Kräutermischungen, Erzeugnissen aus Korbweide und Gewürzen“. Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass im Rahmen der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften nunmehr auch für Eintragungsersuche für nicht rein landwirtschaftliche Produkte (Salz, Kräutermischungen, Erzeugnisse aus Korbweide, Gewürze u.a.) der Weg offen steht, und zwar im Hinblick auf eine Aufwertung der ländlichen Kultur eines Gebietes. Zugleich empfiehlt er ihre Ausweitung auf alle bislang noch nicht erfassten landwirtschaftlichen Erzeugnisse.

1.2.4

Vierter Aspekt: „Erfassung des Ursprungs von Rohstoffen“. Im Rahmen allgemeiner freiwilliger Branchenvereinbarungen mit Beteiligung aller betroffenen Parteien, wie dies in dem jetzigen Antragstellungsverfahren vorgesehen ist, empfiehlt der EWSA, bei geografischen Ursprungsbezeichnungen die Aspekte im Zusammenhang mit der Verwendung von Rohstoffen und der obligatorischen Voraussetzung, dass all diese Rohstoffe aus dem geografischen Gebiet stammen, genauer zu prüfen.

1.2.5

Fünfter Aspekt: „Kriterien für die Beurteilung, ob ein Name zur Gattungsbezeichnung geworden ist“. Nicht zuletzt angesichts der bisherigen Streitfälle empfiehlt der EWSA, präzisere Instrumente zu entwickeln, die eine leichtere Ermittlung des langjährigen Bestehens und/oder des Ansehens einer Bezeichnung erlauben, so beispielsweise die Einsetzung einer Behörde (eines Prüfungsgremiums) zur Filterung und/oder Überwachung der eventuellen, in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten bereits bestehenden Bezeichnungen oder anderer außergerichtlicher Schlichtungsinstanzen.

1.2.6

Sechster Aspekt: „Gestaltung der Gemeinschaftszeichen zur Kenntlichmachung von geografischen Angaben und geschützten Ursprungsbezeichnungen“. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Verschmelzung von g.U und g.g.A. zu einer einzigen Marke die Gefahr bergen kann, zwei gleichwertigen, effektiv bestehenden und in den verschiedenen Regionen verankerten Gegebenheiten nicht in ausgewogener Weise gerecht zu werden. Da jedoch eine effizientere Kommunikation mit den Verbrauchern notwendig ist, sollte eine deutlichere graphische Unterscheidung zwischen g.U. und g.g.A. angestrebt werden (beispielsweise mithilfe unterschiedlicher Farben), während die Unterscheidung für die anderen europäischen Marken (g.t.S., ökologischer Anbau) weiter differenziert werden sollte (auch mithilfe unterschiedlicher Symbole).

1.3

Folglich spricht sich der EWSA dafür aus, dass bei der Wiederaufnahme der Diskussion über die gemeinsame Agrarpolitik (voraussichtlich 2013) im Rahmen der umfassenden EU-Strategie alle Herausforderungen, vor denen der europäische Landwirtschafts- und der Lebensmittelsektor stehen, umfassend und systematisch angegangen werden. Hierzu gehört eine gemeinsame Marktpolitik, die darauf ausgerichtet sein muss, die zunehmenden Einkommensrisiken aufzufangen, die auf die Volatilität der immer offeneren und globalisierten Agrarmärkte zurückzuführen sind. Hierzu gehört auch eine stärkere und wirksamere Politik der ländlichen Entwicklung sowie eine Qualitätspolitik, die als Grundpfeiler der Zukunft der gesamten europäischen Agrarpolitik wahrgenommen wird. Schließlich gehört hierzu auch eine ausgewogene und kontinuierliche Politik zur Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und der Energieressourcen.

1.4

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten außerdem auf, eigene Initiativen zu entwickeln, um das europäische System der g.g.A. und g.U. optimal zur verstärkten Förderung sowohl der landwirtschaftlichen Produkte ihrer Gebiete als auch des europäischen Agrarmodells zu nutzen.

2.   Einleitung: Das europäische System der geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen: historischer Abriss

2.1

In der europäischen Gesellschaft lässt sich seit langem beobachten, dass das Bewusstsein der Verbraucher hinsichtlich der Merkmale von Lebensmitteln und Agrarerzeugnissen kontinuierlich wächst. Infolgedessen steigt die Nachfrage nach Qualitätsprodukten. Die Antwort der EU auf diese Nachfrage sind eigene Rechtsvorschriften zur Aufwertung der landwirtschaftlichen Qualitätserzeugnisse, die sowohl den Aspekten der Lebensmittelsicherheit („Hygiene-Paket“, Rückverfolgbarkeit usw.) als auch jenen zur Unterscheidung bestimmter Produktionsmethoden (Qualitätsmarken: ökologischer Landbau, g.A.) Rechnung tragen. Der Begriff „Qualität“ ist in dieser Stellungnahme in diesem Sinn zu verstehen.

2.2

In diesem Zusammenhang wurden im Rahmen der europäischen Politik spezifische Vorschriften zur Kennzeichnung lokaler Spezialitäten eines bestimmten Herkunftsorts erlassen, so beispielsweise für lokale Produkte, deren Qualität oder Ansehen auf ihrer Herkunft aus einem bestimmten geografischen Produktionsgebiet oder auf Rohstoffen bzw. Herstellungsmethoden basieren, die für eine begrenzte geografische Region typisch sind.

2.3

In den europäischen Mittelmeerländern geht der Schutz der mit dem Herkunftsort zusammenhängenden Angaben zur Kennzeichnung von Lebensmitteln auf den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurück. Zunächst wurde er im Weinsektor eingeführt und anschließend auf andere Lebensmittel ausgeweitet.

2.4

1992 hat die Kommission erstmals einen für alle EU-Mitgliedstaaten geltenden gemeinsamen Rechtsrahmen zur Bezeichnung von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln erlassen. In diese neuen Vorschriften flossen Definitionen, Anforderungen und Verfahren aus den bereits bestehenden einzelstaatlichen Gesetzgebungen mit ein, was an der engen Entsprechung zwischen dem europäischen Siegel der geschützten Ursprungsbezeichnung, der französischen appellation d'origine controlée, der spanischen denominacion de origen bzw. der italienischen denominazione di origine controllata deutlich wird.

2.5

Mit dem gemeinsamen Rechtsrahmen sind die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel und die Verordnung (EWG) Nr. 2082/92 über Bescheinigungen besonderer Merkmale von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln gemeint. Beide Verordnungen wurden unlängst durch die Verordnungen (EG) Nr. 510/2006 und Nr. 509/2006 vom März 2006 geändert.

2.6

Die Verordnung (EG) Nr. 510/2006 betrifft den Schutz von Angaben und Bezeichnungen für Erzeugnisse, deren spezifischer Charakter durch ihren geografischen Ursprung bestimmt wird, mit anderen Worten die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) und die geschützte geografische Angabe (g.g.A.).

2.6.1

Erzeugnisse mit dem Siegel g.U. weisen Merkmale auf, die ausschließlich durch die natürliche Umgebung und die Fähigkeiten der Erzeuger der Region, aus der sie stammen, bestimmt werden. Im Falle des g.U.-Siegels ist es daher erforderlich, dass alle Phasen des Produktionsprozesses (Herstellung der Rohstoffe, Verarbeitung und Vorbereitung) in der betreffenden Region erfolgen und zwischen den Merkmalen des Erzeugnisses und seinem geografischen Ursprung ein enger Zusammenhang besteht. Das huile d'olive de Nyons, der Parmigiano reggiano und das Shetland lamb sind Beispiele für Erzeugnisse mit dem g.U.-Siegel.

2.6.2

Auch die Erzeugnisse mit dem g.g.A-Siegel weisen besondere Eigenschaften auf, die mit einer bestimmten Region zusammenhängen. In diesem Fall ist es jedoch ausreichend, dass nur eine Produktionsphase in der betreffenden Region stattfindet, während beispielsweise die verwendeten Rohstoffe durchaus aus einer anderen Region stammen können. Beispiele für solche Erzeugnisse sind der Clare Island salmon, die arancia rossa di Sicilia und das Dortmunder Bier.

2.7

Gegenstand der Verordnung (EG) Nr. 509/2006 sind garantiert traditionelle Spezialitäten (g.t.S.), deren Logo für Erzeugnisse mit besonderen Eigenschaften verwendet wird, die den verwendeten Rohstoffen oder einer traditionellen Zubereitungsmethode und nicht der geografischen Herkunftsregion zu verdanken sind. Beispiele für garantiert traditionelle Spezialitäten sind der Serrano-Schinken, das Kriek-Bier oder das Kalakukko-Brot.

2.8

Die Verordnungen (EG) Nr. 509/2006 und Nr. 510/2006 wurden vom Rat der Europäischen Union am 20. März 2006 angenommen. Auf derselben Ratstagung hat die Kommission erklärt, dass sie die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 510 und ihre Weiterentwicklung grundsätzlich überprüfen werde (3).

2.9

Mit den neuen Vorschriften über die Gütebezeichnungen wurde das System beträchtlich vereinfacht. Davor reichten die Antragsteller z.B. ihren Eintragungsantrag bei der zuständigen nationalen Behörde ein, die nach eingehender Prüfung die vollständigen Unterlagen an die Europäische Kommission weiterleitete. Diese wiederum nahm anschließend eine erneute vollständige Prüfung vor. Nunmehr obliegt es den Mitgliedstaaten, gemäß den gemeinschaftlichen Verordnungen und Leitlinien über die Anträge zu befinden. Die Rolle der Kommission beschränkt sich auf eine Prüfung der Hauptangaben, die in einem einzigen Dokument zusammengefasst sind. Dieses wird anschließend im Amtsblatt veröffentlicht. Eine weitere Neuerung besteht darin, dass Hersteller aus Drittländern einen Eintragungsantrag nunmehr direkt bei der Kommission einreichen können. Davor mussten die Anträge hingegen zunächst bei den nationalen Behörden vorgelegt werden, die nicht immer willig bzw. darauf vorbereitet waren, diese zu prüfen.

2.10

Am 5. Februar 2007 veranstaltete die Kommission eine Konferenz zum Thema Lebensmittelqualitätszertifizierung, wobei sie das Spektrum der zu behandelnden Themen erheblich ausweitete (Zertifizierungssysteme, Marken) und die wichtige Frage der Genusstauglichkeit von Lebensmitteln, d.h. der Qualität als System der Lebensmittelsicherheit der Europäischen Union, auf die Tagesordnung setzte. So lautete die erste Schlussfolgerung der Konferenz nicht von ungefähr „Alle (europäischen) Lebensmittel, ob sie nun in der EU erzeugt oder eingeführt werden, müssen strengen Sicherheits- und Hygienevorschriften entsprechen“ (4).

2.10.1

Dennoch muss hervorgehoben werden, dass der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit, der sich aus Vertretern der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten zusammensetzt, am 20. Dezember 2004 zu dem Schluss kam, dass die Bestimmungen über die Rückverfolgbarkeit nicht für eingeführte Erzeugnisse gelten. Der EWSA stimmt dieser Feststellung nicht zu.

2.11

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse und der Schlussfolgerungen am Ende der Konferenz vom Februar 2007 beschloss die Kommission, ein Grünbuch über die Qualität der europäischen Agrarproduktion zu erarbeiten, das im Oktober 2008 veröffentlicht werden soll. Den geografischen Angaben wird darin voraussichtlich eine große Bedeutung zukommen. Auf das Grünbuch könnten Legislativvorschläge folgen.

2.12

Gleichzeitig führt die Kommission (genauer gesagt die GD Landwirtschaft und ländliche Entwicklung) eine interne Prüfung des derzeitigen Systems zum Schutz der geografischen Angaben durch. Die Ergebnisse werden im Juli 2008 erwartet.

2.13

In diesem allgemeinen Zusammenhang hat der EWSA die vorliegende Initiativstellungnahme erarbeitet. Darin sollen jedoch nicht die unzähligen, in den vorhergehenden Ziffern umrissenen Aspekte und Probleme der Qualitätspolitik analysiert, sondern vielmehr die Aspekte der Effizienz und Wirksamkeit des europäischen Systems der geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen und die Frage der multilateralen und bilateralen Handelsverhandlungen beleuchtet werden.

2.14

Die bisherigen Arbeiten und der Standpunkt des EWSA zur hier zu erörternden Thematik sind Gegenstand der Initiativstellungnahme „Die Erschließung typischer landwirtschaftlicher Qualitätserzeugnisse als Entwicklungsinstrumente im Rahmen der neuen GAP“ (Berichterstatterin: Frau Santiago) (5). Darüber hinaus weist der EWSA in seiner Stellungnahme zur „Zukunft der GAP“ (Berichterstatter: Herr Ribbe) (6) darauf hin, dass die europäische Landwirtschaft auf eine Erzeugung ausgerichtet werden muss, die Sicherheit und hohe Qualität gewährleistet.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Die Anwendung und die Ergebnisse des Systems: Effizienz und Wirksamkeit

3.1.1

Das mit der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 ins Leben gerufene System hat sich insgesamt als effizient erwiesen. In funktionaler Hinsicht möchte der Ausschuss die Kommission jedoch auf einige kritische Punkte aufmerksam machen, die im Laufe der Zeit zu Tage traten. Sie betreffen insbesondere drei Bereiche:

Das Verfahren zur Genehmigung der Spezifikationen, das oftmals übermäßig langsam verläuft und mit den Bedürfnissen der Antragsteller unvereinbar ist (da es die Planung des Verkaufs, der Kommunikationsstrategien usw. erschwert); somit ist es insbesondere für diejenigen Ursprungsbezeichnungen von Nachteil, die auf dem Markt potenziell zu einer stärkeren Durchdringung und Sichtbarkeit führen würden.

Die Prüfungen, die bisweilen von Behörden durchgeführt werden, die nicht immer frei von potenziellen Interessenkonflikten sind oder zumindest nicht über die für die Ausübung der Funktion eines unabhängigen Prüfers erforderliche Unparteilichkeit verfügen.

Die auf dem langjährigen Bestehen, dem Ansehen und der Verbreitung basierenden Kriterien für die Bewertung der Angaben und Bezeichnungen sowie die Frage, ob es sich um eine Gattungsbezeichnung handelt, die oftmals Beschwerden und Rechtsstreitigkeiten sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU nach sich ziehen.

3.1.2

In seiner Gesamtheit erweist sich das System als effizient. Die jeweiligen Produkte stammen praktisch aus allen möglichen Produktsparten (pflanzliche und tierische Produkte, frische und verarbeitete Erzeugnisse, Getränke, Fischprodukte, Gewürze usw.; siehe dazu die nachstehende Übersichtstabelle, die im Dezember 2007 aktualisierte Daten enthält). Aus diesem Anhang geht hervor, dass es insgesamt 772 Erzeugnisse mit geografischer Angabe bzw. Ursprungsbezeichnung gibt. Zwischen 2000-2006 beispielsweise ist die Anzahl der eingetragenen g.U.-Erzeugnisse um 22 % und der eingetragenen g.g.A.-Erzeugnisse um 40 % gestiegen, was einem durchschnittlichen Anstieg von insgesamt 29 % in nur fünf Jahren entspricht.

TABELLE I: von der GD AGRI bis zum 15.12.2007 eingetragene Angaben und Ursprungsbezeichnungen (http://ec.europa.eu/agriculture/qual/de/1bbaa_de.htm)

 

DE

AT

BE

CY

DK

ES

FI

FR

EL

HU

IE

IT

LU

NL

PL

PT

CZ

UK

SK

SI

SE

CO

Tot

Obst, Gemüse und Getreide

3

3

0

0

1

34

1

27

32

0

0

53

0

2

0

22

0

1

0

0

0

0

179

Käse

4

6

1

0

2

19

0

45

20

0

1

33

0

4

1

12

0

12

0

0

1

0

161

Frisches Fleisch (und Schlachtnebenerzeugnisse)

3

0

0

0

0

13

0

50

0

0

1

2

1

0

0

27

0

7

0

0

0

0

104

Öle und andere Fette

1

1

1

0

0

20

0

9

26

0

0

38

1

0

0

6

0

0

0

1

0

0

104

Fleischerzeugnisse

8

2

2

0

0

10

0

4

0

1

1

29

1

0

0

28

0

0

0

0

0

0

86

Mineralwasser

31

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

31

Backwaren, feine Backwaren, Süßwaren oder Kleingebäck

4

0

1

1

0

7

0

3

1

0

0

3

0

0

0

0

4

0

1

0

1

0

26

Sonstige Erzeugnisse tierischen Ursprungs (Eier, Honig, Milcherzeugnisse, verschiedene Milcherzeugnisse außer Butter usw.)

0

0

0

0

0

3

0

6

1

0

0

2

1

0

0

10

0

1

0

0

0

0

24

Andere unter Anhang I fallende Erzeugnisse (Gewürze usw.)

0

0

0

0

0

4

0

7

1

0

0

4

0

0

0

0

1

3

0

0

0

1 (7)

21

Bier

12

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

3

2

0

0

0

0

17

Frische Fische, Weich- und Schalentiere sowie Erzeugnisse hieraus

3

0

0

0

0

1

0

2

1

0

1

0

0

0

0

0

2

3

0

0

0

0

13

Ätherische Öle

0

0

0

0

0

0

0

1

1

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

3

Natürliche Gummen und Harze

0

0

0

0

0

0

0

0

2

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

2

Heu

0

0

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1

INSGESAMT

69

12

5

1

3

111

1

155

85

1

4

165

4

6

1

105

10

29

1

1

2

1

772

3.1.3

Das System der geografischen Angaben wurde in spezifischen Studien und Forschungsprojekten (vgl. die von der GD Forschung finanzierten Projekte DOLPHINS 1999-2003 und SINER-GI 2004-2008) (8) unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht. In diesen aufeinander folgenden Projekten traten wichtige Aspekte hinsichtlich der Effizienz der gemeinschaftlichen geografischen Angaben zu Tage.

3.1.3.1

In diesem Zusammenhang verweist der EWSA insbesondere auf die Problematik hinsichtlich der Organisation und der Verwaltung der g.A. (entsprechende Untersuchungen und spezifische Studien wurden von Prof. Bertil Sylvander vom Pariser INRA und von Prof. Filippo Arfini von der Universität Parma in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission koordiniert), bei der drei Arten der Vorgehensweise im Vordergrund stehen:

die „territoriale“ Vorgehensweise, bei der alle in der betreffenden Region tätigen Akteure (Institutionen, Unternehmen, Verbände u.a.) einbezogen werden;

die „sektorale“ Vorgehensweise, bei der lediglich die Akteure des jeweiligen Sektors einbezogen werden (und die Region lediglich die Klammer bildet);

die „korporative“ Vorgehensweise, bei der nur einige Akteure des Sektors beteiligt sind (die möglicherweise aus rein opportunistischen Gründen teilnehmen können).

Für die Zwecke der Effizienz wird zwischen einer „starken“ und einer „schwachen“ Vorgehensweise unterschieden. Unter einer „starken“ Vorgehensweise ist eine Vorgehensweise zu verstehen, die gewährleisten kann, dass das Erzeugnis bei den verschiedenen Nutzern und insbesondere bei den Verbrauchern ein entsprechendes Ansehen genießt.

3.1.3.2

Der EWSA macht ferner darauf aufmerksam, dass der kommerzielle Erfolg der geografischen Angaben noch unbedeutend und nur dort zu verzeichnen ist, wo es als Grundlage gute Strukturen gibt, die gehaltvolle Produkte anbieten und von Organisationen verwaltet werden, die in der Lage sind, Unternehmensnetze zu schaffen und effiziente kommerzielle Strategien durchzuführen. Die Vermittlung der Inhalte und der qualitativen (und eventuell auch territorialen) Werte eines g.A.-Produktes ist für den Erfolg einer Ursprungsbezeichnung von entscheidender Bedeutung. Selbstverständlich ist das langjährige Bestehen einer geografischen Angabe hierfür förderlich, ersetzt jedoch nicht die Notwendigkeit wirksamerer Maßnahmen zur Unterstützung der Organisationen sowie wirksamerer Kommunikationsmaßnahmen.

3.1.3.3

Der EWSA hebt jedoch hervor, dass sich die Wirkung und die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des g.A.-Systems nicht allein an den Zahlen und Statistiken für den Anteil an der verkäuflichen Bruttoproduktion messen lässt, da die Folgen und die Auswirkungen sowohl für die Regionen als auch für die Handelsbilanz eines Landes und der EU ein weites Spektrum an Elementen der sozioökonomischen Gegebenheiten betreffen und weit über den spezifischen Bereich der Landwirtschaft hinausgehen.

3.1.4

Ein besonders wichtiger Aspekt der geografischen Angaben ist nach Auffassung des EWSA der Zusammenhang zwischen diesen Angaben und der ländlichen Entwicklung. Die Ursprungsmarken, die ursprünglich ein Instrument zum Schutz eines Erzeugnisses waren, dienen nunmehr oftmals als eine echte Gelegenheit zur Aufwertung der kulturellen Eigentümlichkeit einer ganzen Region. Dies führt vor Augen, welche Möglichkeiten mit der Ausweitung der g.A. auch auf nicht landwirtschaftliche Produkte einhergehen können und wie sehr dies den im Bereich der ländlichen Entwicklung seit langem bestehenden gemeinschaftlichen Leitlinien entspricht (Weißbuch von 1985, Mitteilung „Zukunft des ländlichen Raums“ von 1988, Erklärung von Cork von 1995).

3.1.4.1

Ein typisches Erzeugnis kann und muss als kulturelles Aushängeschild zum Wirtschaftsaufschwung der ländlichen Gebiete, insbesondere der am meisten benachteiligten Gebiete, beitragen. Dieser Aspekt sollte jedoch nicht nur aus der gemeinschaftlichen Perspektive heraus beleuchtet werden. Der EWSA betont, dass angesichts des derzeitigen europäischen Systems und der möglichen Verwendung von EU-Marken durch Drittstaaten die konzeptionelle Verknüpfung zwischen geografischen Angaben und ländlicher Entwicklung sowie ihre anschließende Umsetzung besonders für Entwicklungsländer attraktiv erscheinen. In der Tat wird in bedeutenden und maßgebenden internationalen Stellungnahmen (FAO, Weltbank) zwischen dem Konzept der geografischen Angaben und jenem, der in den Entwicklungsländern „lokales Wissen“ oder einfach Tradition genannt wird, eine logische Parallele gezogen. In diese Richtung gehen auch die „Leitlinien für die geografischen Angaben“ (gemäß den Verfahren und dem Regelwerk der EU), die die FAO und die Weltbank derzeit ausarbeiten und in den Entwicklungsländern verbreiten.

3.1.5

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt sind nach Auffassung des Ausschusses die positiven Auswirkungen des g.A.-Systems auf die Umweltaspekte in den Regionen, aus denen die g.A.-Produkte stammen. Bei den typischen Produktionsmethoden wird auf Herstellungs- und/oder Verarbeitungsverfahren zurückgegriffen, die zum Großteil auf Traditionen beruhen. Hierbei werden nur wenige oder überhaupt keine technischen Mittel verwendet, die für die Umwelt schädlich sein könnten, und/oder nichtintensive landwirtschaftliche Methoden genutzt, die für die Biodiversität und den Landschafts- und Umweltschutz von Vorteil sind.

3.1.6

Im Hinblick auf die Wirksamkeit ist es wichtig, sich den möglichen Wandel der künftigen Gegebenheiten vor Augen zu führen. Nach Einschätzung des EWSA gibt es Anzeichen dafür, dass sich Situationen, die bislang für unveränderlich galten, möglicherweise durchaus verändern werden. Zahlreiche multinationale Lebensmittelkonzerne und -vertriebsketten ergreifen beispielsweise Initiativen, um g.A.-Produkte in die eigene Palette aufzunehmen, und überwinden damit teilweise eine internationale Markenpolitik und Weltmarktstrategie, bei der (neben der Legitimität) die Notwendigkeit der Ursprungsbezeichnungen bislang in Frage gestellt worden war. Dies ist ein interessanter Präzedenzfall, dessen weiterer Verlauf für die Entwicklung der geografischen Angaben sehr wichtig sein könnte.

3.1.7

Aus einigen Studien geht in diesem Zusammenhang hervor, dass die Vereinigten Staaten in ihrer (durch gänzlich andere Gegebenheiten hinsichtlich der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel sowie oftmals entgegengesetzte Handelsstrategien bedingte) ablehnenden Haltung gegenüber dem europäischen g.A.-Modell nachgeben, und zwar aufgrund der sich ändernden Produktionsbedingungen im Land. So werden auch in den Vereinigten Staaten bereits die ersten Fälle von Produktionsbetrieben verzeichnet, die den Erfolg ihrer Erzeugnisse auch an die Herkunft knüpfen und sich nun über das Fehlen angemessener Schutzbestimmungen beklagen. Bekannt ist beispielsweise der Fall der Weine aus dem kalifornischen Napa Valley. Ferner wurden unlängst weitere Fälle von Erzeugnissen aus unterschiedlichen US-amerikanischen und kanadischen Staaten bekannt (Florida Orange, Bleuet du Lac Saint-Jean), die nun mit Praktiken wie Plagiaten für Ursprungsbezeichnungen zu kämpfen haben, die den Wettbewerb innerhalb des Staates bzw. mit den Nachbarstaaten verzerren.

3.1.8

Der EWSA verweist schließlich auf die allgemeine Tendenz der Verbraucher, zunehmend auf die Herkunft der Produkte zu achten — ein Merkmal, das ihre Einkaufswahl beeinflusst (siehe beispielsweise die Ergebnisse des Europäischen Projekts TYPIC-2005 und DOLPHINS-2002). Gleichzeitig sind die Verbraucher scheinbar bereit, für die aufgrund ihrer Herkunft zertifizierten Produkte mehr auszugeben, da diese im Allgemeinen als qualitativ besser und sicherer gelten. In diesem Zusammenhang sind auch die neu aufkommenden Themen geschützter Ursprungsbezeichnungen bei Rohstoffen und der Verwendung von g.A.-Erzeugnissen als Zutaten in Lebensmittelzubereitungen zu sehen.

3.1.8.1

Der EWSA stellt jedoch fest, dass die Wahrnehmung der europäischen Zertifizierungssysteme, der Bezeichnungen und der Etikettierungen noch wenig ausgeprägt ist und sehr unterschiedlich ausfällt. Aus einer Studie des Internationalen Zentrums für agrarwissenschaftliche Studien im Mittelmeerraum (CIHEAM) über die Beschaffenheit und Qualität von Lebensmitteln aus dem Mittelmeerraum (Paris, 2007) geht hervor, dass 80 % der Bürger noch nie etwas von geschützter Ursprungsbezeichnung und 86 % von geografischer Angabe gehört haben. Wenn in der Fragestellung jedoch die entsprechenden nationalen Bezeichnungen genannt werden (beispielsweise „denominaciòn de origen“ in Spanien oder „appellation d'origine controllée“ in Frankreich), so steigt der Bekanntheitsgrad beträchtlich. Dies ist ein offensichtliches Problem der Kommunikation mit den Verbrauchern und der Bekanntmachung auf gemeinschaftlicher Ebene.

3.2   Das europäische System und die multilateralen und bilateralen Handelsverhandlungen

3.2.1   Ein strategisches Interesse

3.2.1.1

Im September 2003 haben der Verlauf und das negative Ergebnis der Ministerkonferenz von Cancùn gezeigt, dass im Rahmen der Handelsverhandlungen nicht mehr nur über die Preise und Zölle verhandelt wird, um den Zugang zu den jeweiligen gegenseitigen Märkten zu erleichtern, sondern gleichzeitig auch unterschiedliche Produktionsmodelle aufeinander treffen (d.h. Geschichte, Tradition und Typologie von Produktion und Ernährung). Die Kenntnis und die gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Produktions- und Ernährungstraditionen sind somit eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg von Handelsverhandlungen.

3.2.1.2

Wenn die Europäische Gemeinschaft also ihre Handelsverhandlungen führt, stellt sie ihr spezifisches soziales und wirtschaftliches Modell anderen legitimen Modellen gegenüber. Deshalb ist der EWSA der Auffassung, dass die Verhandlungsinitiativen der europäischen Gemeinschaft nur dann effizient und konsensfähig sein können, wenn sie fester Bestandteil einer Außenpolitik sind, die auch die Verhandlung über den Schutz des geistigen Eigentums und den Handel umfasst. Eine in diesen Kontext eingebettete Qualitätspolitik kann ebenfalls als ein Regelungssystem dienen, das mit einem weiterreichenden und allgemeineren politischen Ansatz für die internationale Zusammenarbeit vereinbar ist, die für die weltweite Stabilität zunehmend an Bedeutung gewinnt.

3.2.2   Der Rechtsetzungsprozess

3.2.2.1

Einer der Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ist bekanntlich der freie Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt (Artikel 23 des EG-Vertrags). Dieser Grundsatz war zunächst aufgrund der sehr unterschiedlichen einzelstaatlichen Gesetzgebung nur schwer umzusetzen. Diese Unterschiede sind historisch gesehen auf einen komplexen, widersprüchlichen und nicht harmonisierten Rahmen von internationalen Vereinbarungen und Vorschriften zurückzuführen, der vor dem Hintergrund globalisierter Märkte noch besorgniserregender ist. Deshalb gewinnt die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs unter den Wirtschaftsakteuren in einem immer offeneren Markt an strategischer Bedeutung. Hierzu könnten auch kohärente Vorschriften im Bereich der geografischen Angaben beitragen.

3.2.2.2

Auf europäischer Ebene konnten auf dem Rechtsweg (durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die ursprünglich auf den Grundsatz der „gegenseitigen Anerkennung“ ausgerichtet waren) nach und nach wichtige Schritte hin zu einer Harmonisierung unternommen werden.

3.2.2.3

Auf internationaler Ebene verläuft der Weg hin zu einem gemeinsamen Ansatz im Bereich der geografischen Angaben über Verhandlungen und Vereinbarungen für den Schutz des gewerblichen und anschließend des geistigen Eigentums. Von der Pariser Übereinkunft (1883, 169 Mitgliedstaaten) über das Madrider Abkommen (1891, 34 Mitgliedstaaten) bis hin zum Lissabonner Abkommen (1958, 23 Mitgliedstaaten) wird das Prinzip der Verbindung zwischen einem Erzeugnis und dem Territorium, aus dem es stammt, anerkannt. Hinsichtlich der Rechtssicherheit, der Kontrollen und der Möglichkeit von Betrug und Plagiat sind diese Bestimmungen jedoch nach wie vor weitgehend unbefriedigend.

3.2.3   TRIPS: Endpunkt und toter Punkt dieses Prozesses

3.2.3.1

Das 1994 unterzeichnete TRIPS beinhalten ein gesondertes Kapitel über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, das den geografischen Angaben gewidmet ist.

a)

Definition der g.A. (Artikel 22);

b)

Normen für den allgemeinen Schutz der geografischen Angaben aller Produkte (Artikel 22 Absatz 2 bis Absatz 4);

c)

zusätzlicher Schutz der geografischen Angaben von Wein und Alkohol (Artikel 23)

d)

künftige Verhandlungen und Ausnahmen (Artikel 24).

3.2.3.2

Die in den internationalen Abkommen für die Verbindung zwischen einem „Ort“ und einem „Erzeugnis“ verwendete Terminologie wurde nach dem „Grad der Verbindung“ gestaffelt: Herkunftsangabe (Madrid 1891), geografische Angabe (TRIPS 1994) und Ursprungsbezeichnung (Lissabon 1958). Zusammenfassend könnte man sagen, dass alle Ursprungsbezeichnungen geografische Angaben sind. Nicht alle geografischen Angaben sind jedoch Ursprungsbezeichnungen. Die Systematik der verschiedenen an eine bestimmte Region gebundenen Produktkategorien (gemäß der internationalen Abkommen) wurde in der Dissertationsarbeit „Analyse der Politik der internationalen Anerkennung der geografischen Angaben“ (Analisi della Politica di riconoscimento internazionale delle indicazioni geografiche) von Sabrina Cernicchiaro, Universität Parma, rekonstruiert.

3.2.3.3

Das TRIPS-Abkommen war in der Geschichte der Abkommen über den Schutz des geistigen Eigentums von Erzeugnissen im internationalen Handel ein wichtiger Schritt, doch blieben zahlreiche entscheidende Aspekte darin ungelöst. In diesem Abkommen wurde eine gemeinsame, derzeit für 151 Staaten geltende Definition der geografischen Angaben eingeführt und ein einheitliches System zur Streitvermeidung und -beilegung festgelegt. Gleichwohl ist auf mindestens drei schwerwiegende Mängel hinzuweisen:

a)

die Einführung eines Grundsatzes des negativen Schutzes (die Staaten verfügen über Mittel, um eine unlautere Benutzung der g.A. zu verhindern);

b)

eine schwach ausgeprägte und nicht näher spezifizierte Errichtung eines „mehrseitigen Systems der Notifikation und Eintragung“ (bis heute gibt es zwei unterschiedliche und entgegengesetzte Auslegungen der Vorschriften: Nach der einen werden sie für zwingend und verbindlich, nach der anderen für freiwillig erachtet);

c)

die Schaffung einer Ungleichbehandlung in der Praxis (in ein- und derselben Rechtsquelle!) zwischen einem allgemeinen Schutz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und einem zusätzlichen Schutz.

3.2.3.4

Darüber hinaus gibt es andere regionale Abkommen, die den Schutz der geografischen Angaben zum Gegenstand haben, beispielsweise das Abkommen der Afrikanischen Organisation für geistiges Eigentum (OAPI) vom März 1977 oder das Banjul-Markenprotokoll der Afrikanischen Regionalen Organisation für geistiges Eigentum (ARIPO) vom März 1997.

3.2.4   Probleme der europäischen Erzeuger und Knotenpunkte für einen ordnungsgemäßen internationalen Wettbewerb

3.2.4.1

Der EWSA betont, dass die Unangemessenheit der Vorschriften auf internationaler Ebene den europäischen Erzeugern von g.A.-Produkten ernsthafte Schwierigkeiten bereitet. Die zunehmende unlautere Verwendung der geografischen Angaben und ein von Land zu Land sehr unterschiedlicher Rechtsrahmen zum Schutz der geografischen Angaben führen zu schweren Wettbewerbs- und Handelsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO).

3.2.4.2

Die erste Schwierigkeit besteht oftmals in der korrekten Interpretation der internen Bestimmungen des betreffenden Marktes. Einigen europäischen Erzeugern von g.A.-Produkten ist es gelungen, die eigene Bezeichnung auch außerhalb der Europäischen Union zu schützen, doch auch in diesen Fällen sind Beispiele von Missbrauch und Fälschung sowie große bürokratische Hürden beim Handel zu verzeichnen. Der Missbrauch ist direkt proportional zum Bekanntheitsgrad des g.A.-Erzeugnisses. Die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen sind groß, und keine Marketingstrategie vonseiten der europäischen Unternehmen kann die Verbraucher an das Produkt binden. Im Allgemeinen stellt dies einen Betrug gegenüber den Verbrauchern aus Drittstaaten dar und schadet dem Ruf des europäischen Landwirtschafts- und Lebensmittelmodells.

3.2.4.3

In Ländern, die über ein eigenes System zur Eintragung von geografischen Angaben verfügen, stoßen die europäischen Erzeuger auf geringere Schwierigkeiten. Im Hinblick auf den Schutz zusammengesetzter Bezeichnungen (die beispielsweise den Begriff „Art“ o.ä. enthalten) gibt es jedoch nach wie vor große Probleme. In der Regel haben die europäischen Erzeuger übermäßig hohe Kosten zu tragen und mit großen rechtlichen Problemen zu kämpfen, um zu beweisen, dass die eigene geografische Angabe keine Gattungs-Bezeichnung ist.

3.2.4.4

In Ermangelung eines präzisen und anerkannten internationalen Rechtsrahmens wenden die europäischen Erzeuger die Praxis des Marktzugangs mittels Markenschutz an (private Unternehmensmarken, Kollektivmarken und Zertifizierungsmarken). Doch auch bei dieser Strategie sind Schwierigkeiten vorprogrammiert. Auf den internationalen Märkten werden oftmals Produkte vermarktet, die in ihrer Bezeichnung bereits die geografische Angabe enthalten, die der europäische Erzeuger registrieren lassen will (in diesem Fall ist es zweckmäßig, gegen die Benutzung der Marke rechtlich vorzugehen). Darüber hinaus kann der Schutz einer bereits eingetragenen Marke seine Gültigkeit verlieren, wenn der Zugang zum betreffenden Markt aus Gründen des Gesundheitsschutzes gesperrt wird und die Marke nicht kontinuierlich genutzt werden kann.

3.2.5   Bilaterale Verhandlungen und Abkommen

3.2.5.1

Da sich der multilaterale Ansatz in einer Krise oder einer Sackgasse befindet (die es unbedingt zu überwinden gilt), gewinnen bilaterale Abkommen bei internationalen Handelsverhandlungen immer mehr an Bedeutung. Weltweit gibt es rund 300 bilaterale Abkommen. Bis zum Jahr 2010 wird die Zahl voraussichtlich auf 400 steigen. Diese Tendenz gibt Anlass zur Sorge, da die bilateralen Verträge den in der WTO angestrebten multilateralen Ansatz eigentlich nur ergänzen sollten, gemäß folgender strategischer Arbeitsteilung: multilateralen Verhandlungen kommt die Aufgabe zu, sehr komplizierte Fragen wie Beihilfen, Antidumping und Regelung des Schutzes des geistigen Eigentums zu lösen, während die Lösung einfacherer Fragen und die Vereinbarung von Vorzugskriterien im zwischenstaatlichen Handel der bilateralen Ebene vorbehalten ist.

3.2.5.2

Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass die EU nicht passiv zuschauen darf, wie die wichtigen Weltakteure bilateral verhandeln, wichtige Regeln aufstellen und die gegenseitigen Handelsbeziehungen definieren. Insbesondere im Hinblick auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel lässt sich allgemein feststellen, dass die Flexibilität einer bilateralen Beziehung einen soliden Ausgangspunkt für die Aufnahme von Verhandlungen und für die Suche nach einer annehmbaren und verifizierbaren Lösung bildet. Die Erfahrung hat ferner gezeigt, dass solche Ergebnisse auch deshalb erzielt wurden, weil bei bilateralen Abkommen denjenigen Unterzeichnerstaaten, deren Verwaltungssysteme noch unzureichend sind, im Rahmen dieser Abkommen die nötige technische Unterstützung für die Ausarbeitung der erforderlichen Rechtsakte bereitgestellt wird. Auch bei multilateralen Verhandlungen ist dieses Erfordernis im Übrigen gegeben.

3.2.5.3

Die EU hat seit langem begonnen, Verhandlungen aufzunehmen und bilaterale Abkommen über landwirtschaftliche g.A.-Erzeugnisse zu schließen, die heute praktisch mit allen außereuropäischen Handelspartnern bestehen und sich auf alle Kategorien von Lebensmitteln erstrecken, wobei das Thema des Schutzes der geografischen Angaben systematisch einbezogen wird.

3.2.6   Die geografischen Angaben im Rahmen der Doha-Runde: ein angemessener Schutz kommt allen zugute

3.2.6.1

In Punkt 18 der Erklärung von Doha (November 2001) wird eine doppelte und diversifizierte Verhandlungsstrategie genannt:

a)

Es wird ausdrücklich festgelegt, dass die Einrichtung eines mehrseitigen Systems für die Notifikation und Eintragung von geografischen Angaben für Weine und alkoholische Getränke im Rahmen von TRIPS verhandelt wird („wir kommen darin überein, […] bis zur fünften Ministerkonferenz zu verhandeln“).

b)

Im Hinblick auf die Ausweitung des Schutzes der geografischen Angaben auf andere Erzeugnisse als Wein wird in der Erklärung lediglich festgelegt, das Thema im Rahmen des TRIPS-Rates zu erörtern („die mit der Ausweitung […] zusammenhängenden Fragen werden vom TRIPS-Rat erörtert“).

3.2.6.2

In Bezug auf Punkt a) hatte der Verhandlungsauftrag von Doha trotz der Bemühungen der Europäischen Kommission keinerlei Folgen. Nach wie vor gibt es zwei konträre Auffassungen hinsichtlich der Erklärung. Die EU, die Schweiz, Indien, die Türkei und andere Länder vertreten den Standpunkt, dass es erforderlich ist, ein Abkommen über eine obligatorische Einführung des Registers in allen WTO-Mitgliedstaaten zu schließen, während die USA, Australien, Neuseeland u.a. die Verhandlungen und das Abkommen auf eine freiwillige Einführung dieses Instruments beschränken und nur für jene Länder geltend machen wollen, die über ein Rechtssystem zum Schutz der Ursprungsbezeichnungen (eine Art Datenbank) verfügen.

3.2.6.3

In Bezug auf Punkt b) (Ausweitung des Schutzes auf andere Produkte als Wein) kam es bislang noch zu keinen echten Verhandlungen.

3.2.6.4

In Ermangelung einer echten Perspektive auf eine Weiterentwicklung der TRIPS-Verhandlung hat die Europäische Union unmittelbar vor der Ministerkonferenz von Cancùn 2003 vergeblich versucht, den mehrseitigen Schutz von 41 Ursprungsbezeichnungen auf die Agenda der Agrarverhandlungen zu setzen. Ziel war es, die Gesetzlichkeit des Marktzugangs von Erzeugnissen wiederherzustellen, deren Bezeichnungen auf der internationalen Ebene überaus häufig missbraucht werden. Aufgrund des Scheiterns der Ministerkonferenz von Cancùn wurden die Verhandlungen dann eingestellt.

3.2.6.5

Die letzten offiziellen Versuche im Hinblick auf das multilaterale Register und die Ausweitung des verstärkten Schutzes für Wein und alkoholische Getränke auch auf andere Erzeugnisse unternahm die WTO 2005 (9). Die technischen Diskussionen werden auch heute noch auf der Grundlage der von der EU vorgelegten inoffiziellen Dokumente fortgeführt. Darin wird in erster Linie vorgeschlagen, dass, wenn ein Eintrag in das multilaterale Register erfolgt, davon ausgegangen werden kann, dass die g.A. in allen anderen Ländern geschützt ist, wobei innerhalb von 18 Monaten Einspruch erhoben werden kann. Den Beweis des Gegenteils hat dabei der Einsprucherhebende zu führen. Im Hinblick auf das Register sind zwei Hindernisse zu nennen: Die Vereinigten Staaten und andere angelsächsische Länder vertreten den Standpunkt, dass seine rechtlichen Folgen mit dem Grundsatz der Territorialität unvereinbar sind, während die Entwicklungsländer mit administrativen Schwierigkeiten bei der Einhaltung Frist für die Erhebung des Einspruchs gegen den Eintrag zu kämpfen haben, die als zu kurz empfunden wird. Die Europäische Kommission hat im Dezember 2007 offiziell die Vorlage eines Textes gefordert, der die Grundlage für das internationale Register bilden kann.

3.2.6.6

Der EWSA hält es für notwendig, das Verhandlungspaket erneut auf den Tisch zu bringen (Ausweitung des Art. 23 TRIPS auf alle g.A.-Erzeugnisse, internationales Register, technische Unterstützung für die Entwicklungsländer) und auf die neue Sensibilität für Produkte zu setzen, deren Herkunft zertifiziert ist und die in einigen Drittstaaten und Entwicklungsländern zunehmend den Markt erobern. Darüber hinaus sei auf eine gewisse Dynamik am Verhandlungstisch hingewiesen, wo auf Anregung der Schweiz spontan eine Gruppe von Mitgliedstaaten gebildet wurde („G.I. Friends“), die sich nachdrücklich um einen Ausweg aus der Sackgasse bemüht.

3.2.6.7

Der EWSA betont, dass die geografischen Angaben die einzige Form von geistigem Eigentum sind, die die lokalen Gemeinwesen auf der ganzen Welt haben können. Vor diesem Hintergrund wäre eine Nord-Süd-Aufteilung der WTO nicht nachzuvollziehen.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

Des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  International Organisation for Standardization.

(2)  Siehe Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Februar 2008 (Rechtssache „Parmesan“).

(3)  Siehe Dokument des Rates Nr. 7702/06 ADD 1 (Addendum zum Entwurf eines Protokolls, 2720. Tagung des Rates (Landwirtschaft und Fischerei) vom 20. März 2006 in Brüssel.

(4)  Siehe: http://ec.europa.eu/agriculture/events/qualityconference/conclusions_en.pdf.

(5)  ABl. C 284 vom 14.9.1998, S. 62.

(6)  ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 87.

(7)  Café de Colombia

(8)  Siehe www.origin-food.org.

(9)  Dokument WTO TN/IP/W/11 vom 14.6.2005.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/66


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbesserung des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz — Reaktion auf Naturkatastrophen“

(2008/C 204/15)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 25. September 2007 gemäß Artikel 29 Buchstabe A der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung, eine zusätzliche Stellungnahme zu folgendem zu erarbeiten:

„Verbesserung des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz — Reaktion auf Naturkatastrophen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 26. Februar 2008 an. Berichterstatterin war Frau SÁNCHEZ MIGUEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 13. März) mit 108 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) sieht es als Vertreter der Zivilgesellschaft als seine Verpflichtung an, einen Beitrag zu der in der EU geführten Debatte über den Umgang mit Naturkatastrophen zu leisten und dabei von einem Ansatz der Prävention, Intervention und Haftbarmachung ausgehen, wenn die Katastrophen durch menschliches Handeln oder Unterlassen verursacht werden.

1.2

In diesem Zusammenhang muss festgestellt werden, dass die bestehenden EU-Rechtsvorschriften ausreichende Bestimmungen für die Vermeidung oder Abmilderung möglicher Folgen einiger Naturkatastrophen enthalten. Was erneut nachdrücklich eingefordert werden muss, ist die Kontrolle der Anwendung dieser Vorschriften auf dem gesamten Gebiet der EU durch die zuständigen Behörden. Nach Ansicht des Ausschusses könnten durch die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und der sie ergänzenden Vorschriften, insbesondere der Hochwasserrichtlinie, die Auswirkungen dieser Katastrophen eingedämmt werden. Durch die Aufstellung von Plänen für das Hochwassermanagement und ihre Einbeziehung in die Pläne für die Einzugsgebiete können die Folgen von Flutkatastrophen zwar nicht vermieden, aber doch abgeschwächt werden. Ähnliche Wirkung ließe sich mit den Vorschriften zur Verhütung von Waldbränden erzielen.

1.3

Herausgestellt werden soll auch der Zusammenhang zwischen der Verhütung von Katastrophen einerseits und der Erziehung und Bildung sowie der notwendigen Einführung eines ausreichenden Informationssystems andererseits. Mit diesem Informationssystem können Einsatzkräfte wie Bürger über die Methoden des Eingreifens bei eventuellen Ereignissen in einem bestimmten Gebiet informiert werden. In diesem Zusammenhang begrüßt der Ausschuss nachdrücklich das von der Europäischen Kommission eingerichtete System interterritorialer Schulungszentren für den Katastrophenschutz.

1.4.

In Bezug auf den Katastrophenschutz begrüßt der EWSA, dass es der Kommission in kurzer Zeit gelungen ist, ein europäisches System der interterritorialen wie internationalen Solidarität einzuführen und mit entsprechenden Mitteln auszustatten. Dadurch wird ein wirksames Eingreifen nicht nur im Moment der Katastrophe, sondern auch danach bei der Wiederherstellung der betroffenen Gebiete möglich. In diesem Sinne werden mit dem neuen Artikel 176 C des Vertrags von Lissabon die Ziele gestärkt, die sich das Europäische Parlament und der Rat auf diesem Gebiet gesetzt hatten.

1.5.

Der EWSA vertritt zudem die Ansicht, dass das in der Richtlinie über Umwelthaftung zur Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt vorgesehene System der Umwelthaftung Anwendung finden muss. Dabei gilt es klipp und klar die Haftung der Verursacher bestimmter Katastrophen wie Waldbrände mit Brandstiftung festzustellen. Nach Auffassung des Ausschusses können durch eine bessere Anwendung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften sowie durch die Information über die Folgen von missachteten Präventivvorschriften und vorsätzlichem Handeln nicht durch die Bürger, sondern auch durch die zuständigen Behörden, die Auswirkungen von Naturkatastrophen eingedämmt werden.

2.   Einführung

2.1

Nicht nur auf dem Gebiet der Europäischen Union, sondern überall auf der Welt ereignen sich immer häufiger Katastrophen, die entweder natürliche Ursachen haben wie Überschwemmungen, Erdbeben, Brände usw. oder die Folge terroristischer Anschläge sind, die die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen. In beiden Fällen ist menschliches Handeln mehr oder weniger der Auslöser, wenn auch mit unterschiedlicher Vorsätzlichkeit.

2.2

Die EU hat sich als Reaktion auf den Klimawandel zur Durchführung von Präventivmaßnahmen verpflichtet, und zwar durch die Umsetzung der im Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflichtungen wie auch durch eine Vielzahl von Bestimmungen zum Schutz des Bodens, des Wassers und der Luft. Diese Bemühungen um Prävention gelten nicht nur der Erhaltung bzw. der Wiederherstellung des Zustands des Bodens, der Gewässer und der Luft in den EU-Mitgliedstaaten, sondern sollen gleichzeitig dazu beitragen, dass auch andere Länder eine derartige Politik verfolgen. Darüber hinaus arbeitet die Kommission derzeit an der Entwicklung eines europäischen Gesamtkonzepts zur Verhinderung von Naturkatastrophen, das bis Ende 2008 vorgelegt werden soll.

2.3

Unbeschadet der Präventivmaßnahmen hat die EU ein Gemeinschaftssystem für die Hilfeleistung im Fall wie auch immer gearteter, das Unionsgebiet betreffender Katastrophen eingerichtet. Es handelt sich um ein solidarisches System der Hilfe, die nicht nur in den EU-Mitgliedstaaten geleistet wird, wie die zahlreichen Interventionen bei Naturkatastrophen (im Indischen Ozean, in Südamerika usw.) zeigen.

2.4

Eine wichtige Frage, die es zu klären gilt, ist die Komplementarität zwischen Katastrophenhilfe und humanitärer Hilfe. Beide Instrumente dienen im Wesentlichen dem vorrangigen Ziel, die Folgen von Katastrophen und anderen Ereignissen für die Bevölkerung zu lindern. Bei der Katastrophenhilfe, mit der auch die Auswirkungen von Katastrophen auf Umwelt und Eigentum in und außerhalb der EU eingedämmt werden, erfolgt ein Einsatz von Mitteln und Teams der EU-Mitgliedstaaten. Die humanitäre Hilfe dagegen wird in bestimmten Drittländern erbracht und auch durch NGO und andere humanitäre Organisationen geleistet. Bei beiden Instrumenten gibt es eine Zusammenarbeit mit UN-Agenturen.

2.5

Die Einrichtung eines Fonds für Katastrophenhilfe anlässlich der schweren Überschwemmungen im gesamten Elbtal hat anerkanntermaßen zu einer Verbesserung der Hilfseinsätze in der EU geführt. Es muss jedoch auch die Bedeutung des 2001 eingeführten Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz (1) hervorgehoben werden, das später um einen Krisenreaktionsmechanismus der EU für den Katastrophenfall in den Mitgliedstaaten und Drittländern erweitert wurde (2).

3.   Präventivmaßnahmen

3.1

Die Prävention ist ein Grundprinzip für den Schutz und die Erhaltung der Umwelt sowie zur Abwendung möglicher Schäden von der Bevölkerung. Ihr Ziel ist ein nachhaltiger Einsatz der natürlichen Ressourcen. Die Voraussagen über die Verschlechterung und den Rückgang der Artenvielfalt in allen Bereichen sind eingetreten, und zwar in einem Ausmaß, das die schlimmsten Vorhersagen noch übertrifft. Zählt man noch die durch menschliches Handeln (mitunter vorsätzlich) verursachten Fälle hinzu, ergibt sich derzeit ein ständiges Aufeinanderfolgen von Katastrophen. Unnormal sind nicht diese Naturkatastrophen an sich, sondern ihre zunehmende Häufigkeit und vor allem die Schwere ihrer Auswirkungen.

3.2

Bei den in diesem Dokument genannten präventiven Maßnahmen handelt es sich um die in den geltenden Rechtsvorschriften bereits vorgesehenen Maßnahmen, welche die zuständigen Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt und in ihrer Anwendung kontrolliert haben müssten. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass einige Katastrophen vermeidbar oder eindämmbar sind. Daraus lässt sich u.a. die Schlussfolgerung ziehen, dass durch die Einhaltung der geltenden Rechtsvorschriften in der gesamten EU vergleichbare Bedingungen im Hinblick auf den Umweltschutz geschaffen werden müssen.

3.2.1

Eine der im Hinblick auf die Katastrophenprävention einschneidendsten Rechtsetzungsmaßnahmen betrifft die Verschmutzung der Meere und Ozeane durch Erdölprodukte und ist nicht nur wegen der Transportauflagen (Doppelhüllen-Tankschiffe), sondern auch wegen der in den Paketen Erika I und II vorgesehenen Meeresschutzmaßnahmen, mit denen die Folgen solcher Katastrophen auf ein Mindestmaß reduziert werden können, besonders wirkungsvoll.

3.3

Im Zusammenhang mit den Präventivmaßnahmen steht die Forschung auf dem Gebiet der Umwelt. Hier hat sich der Ausschuss bereits früher (3) für eine stärkere und bessere Abstimmung der Forschungsprogramme mit den Umweltprogrammen ausgesprochen, damit ein Teil der Forschungsmittel in praktische Umweltforschungsvorhaben fließt.

3.4

Mit der Prävention verknüpft sind zudem Schulungs- und Informationsmaßnahmen nicht nur für die Einsatzkräfte, sondern für alle Bürger, um so bei Einsätzen im Fall von Naturkatastrophen bessere Ergebnisse erzielen zu können. Die Umweltpolitik sollte in allen Mitgliedstaaten besser und breiter bekannt gemacht werden. Sie sollte zudem nicht nur im Hochschulstudium behandelt werden, sondern bereits Teil der Schulbildung sein.

3.5   Maßnahmen zur Prävention von Überschwemmungen

3.5.1

Der erste hier zu behandelnde Themenblock betrifft das Wasser. Naturkatastrophen haben oft mit Wasser zu tun, nicht nur in Form von Überschwemmungen, Tsunamis und anderen Meereskatastrophen, sondern auch hinsichtlich der Wasserknappheit (4), welche wesentliche Umweltveränderungen verursachen kann, so z.B. die Wüstenbildung in großen Gebieten Südeuropas.

3.5.2

Bei der Ausarbeitung und Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (5) war ein Bereich offen geblieben, nämlich die Festlegung von Zielen für die Prävention, den Schutz und die Vorsorge bei Hochwasser. Angesichts der hohen Zahl von Katastrophen, die sich in knapp 10 Jahren ereignet haben, sowie der zahlreichen Flutopfer hat die Kommission eine Mitteilung und einen Richtlinievorschlag (6) vorgelegt, um darin die Evaluierung und Bewältigung von Hochwassergefahren zu regeln. Konkret hat sie dazu eine Prüfung der gegenwärtigen Situation und der künftigen Gefahren sowie einen für die gesamte EU abgestimmten Aktionsplan zur Prävention und Intervention vorgeschlagen.

3.5.3

Es ist eine Zunahme von Hochwasserereignissen auf dem Gebiet der EU zu verzeichnen, was im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen ist: Erstens wird nunmehr allgemein davon ausgegangen, dass der Klimawandel sich auf die Stärke und Häufigkeit von Hochwasser in ganz Europa auswirkt (7), z.T. wegen der in unregelmäßigen Abständen niedergehenden sintflutartigen Regenfälle und des Anstiegs des Meeresspiegels. Zweitens wegen der Auswirkungen menschlichen Handelns wie Baumaßnahmen an Flussläufen, Umleitung und Regulierung von Flussläufen und anderen ohne Umweltfolgenabschätzung bzw. entsprechende Korrekturmaßnahmen durchgeführten Formen der Bodenversiegelung, welche bei Hochwasser das natürliche Aufnahmevermögen des Bodens für überschüssiges Wasser vermindern. Auch die Gefahren nehmen zu, da durch den verstärkten Siedlungsbau in hochwassergefährdeten Gebieten auch die Hochwasserschäden steigen.

3.5.4

In Übereinstimmung mit seiner früheren Stellungnahme (8) hält der EWSA die Umsetzung der in der Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Hochwasser vorgesehenen Maßnahmen für erforderlich. Die Kommission hat den Vorschlag aufgegriffen, den der EWSA in seiner Stellungnahme zur Mitteilung von 2004 unterbreitete, nämlich sämtliche Maßnahmen des Hochwassermanagements in die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie einzubeziehen. Dadurch wird die Einbeziehung der Pläne für das Hochwasserrisikomanagement in die Pläne für die Einzugsgebiete begünstigt, so dass die erforderliche Planung für jeweils das gesamte Flusseinzugsgebiet und wirksame Maßnahmen auf den verschiedenen (lokalen, staatlichen und überstaatlichen) Ebenen gewährleistet sind.

3.5.5

Der Ausschuss bekräftigt überdies, dass zunächst eine Vorabbewertung des Hochwasserrisikos der einzelnen Einzugsgebiete mit Einstufung der hochwassergefährdeten Flussabschnitte vorgenommen werden muss, so dass ein Plan für flächendeckende Maßnahmen insbesondere präventiver Art aufgestellt werden kann. Dazu gehören insbesondere die Erst- und Wiederaufforstung in Berggebieten und der Schutz von Feuchtgebieten und dort angesiedelten Ökosystemen. Bei dieser Aufgabe kommt es auf die Information und Einbeziehung der Zivilgesellschaft an, was sämtliche Vorsichtsmaßnahmen erleichtern kann.

3.6   Maßnahmen zur Prävention von Bränden

3.6.1

Die Präventivmaßnahmen müssen verstärkt werden. Die Prävention fällt zwar grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch die Gemeinschaft kann letztere auch bei der Vermeidung und Abmilderung der Auswirkungen von Naturkatastrophen — darunter Waldbränden — unterstützen.

3.6.2

Die Gemeinschaft sollte dabei weiterhin Maßnahmen in Erwägung ziehen, die von der Bewusstseinsbildung bis zur Raumordnungspolitik reichen. Neben anderen positiven Ergebnissen tragen diese Maßnahmen auch zur Anpassung an den Klimawandel bei.

3.6.3

Die Maßnahmen müssen auf der Grundlage eines integrierten Konzepts und unter Berücksichtigung der bestehenden Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Bereichen angegangen werden. So erhöht die Bebauung von traditionell forstwirtschaftlich genutzten Flächen nicht nur die Gefahr von Waldbränden und damit von Umweltzerstörung, sondern führt auch dazu, dass eine Evakuierung der Bewohner in Betracht gezogen werden muss, die gegenüber dem Verlust von Waldfläche selbstverständlich vorrangig ist.

3.6.4

Im Hinblick auf einen besseren Schutz von Menschenleben, der Umwelt und des Kulturerbes müssen die verschiedenen Finanzinstrumente der Gemeinschaft, die für die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Prävention zur Verfügung stehen, überprüft und überarbeitet werden, damit sie nicht nur der gegenwärtigen Situation entsprechen, sondern auch Synergieeffekte zwischen den einzelnen Instrumenten erschlossen werden. Mitgliedstaaten, denen EU-Gelder für die Erst- und Wiederaufforstung nach Waldbränden gewährt werden, sollten nachweisen müssen, dass sie umfassende Maßnahmen zur Prävention von Bränden ergriffen haben.

3.6.5

In ähnlicher Weise ist es notwendig, dass weiterhin ein reger Austausch von Informationen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten stattfindet, und Lehren, die auf diesem Gebiet gezogen wurden, weitergegeben werden. Dieser Austausch sollte von der Kommission gefördert werden, um erfolgreiche Verfahren möglichst weit zu verbreiten. Die unterschiedliche Situation in den einzelnen Ländern sollte berücksichtigt und die Zusammenarbeit in regionalen Gruppen gestärkt werden.

3.6.6

Die Präventivmaßnahmen sollten auch Legislativmaßnahmen im Hinblick auf die zivil- und strafrechtliche Verantwortung von Brandstiftern und anderen Brandverursachern umfassen.

4.   Katastrophenschutz

4.1

Der EWSA begrüßt, dass der Katastrophenschutz im Vertrag von Lissabon (9) in dem neuen Artikel 176 c geregelt wird und dort definiert ist als „Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, um die Systeme zur Verhütung von Naturkatastrophen oder von vom Menschen verursachten Katastrophen und zum Schutz vor solchen Katastrophen wirksamer zu gestalten“. Hervorzuheben ist, dass die Zusammenarbeit nicht nur der Unterstützung der Mitgliedstaaten dient, sondern auch der Förderung der Kohärenz der Aktionen, die die EU auf internationaler Ebene durchführt.

4.2

Den Regelungsrahmen für das Handeln im Bereich des Katastrophenschutzes bilden zwei Instrumente: das Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz und das Finanzierungsinstrument für den Katastrophenschutz (10). Das Beobachtungs- und Informationszentrum ist bei der Europäischen Kommission angesiedelt und rund um die Uhr besetzt. Dieses Zentrum verfügt über eine Datenbank, an die die für den Katastrophenschutz zuständigen Stellen in jedem Mitgliedstaat angeschlossen sind, sowie über (sehr nützliche) Informationen aus Militärdatenbanken. Das Zentrum verwaltet zudem die Gemeinschaftsprogramme im Bereich Vorsorge einschließlich Schulungsmaßnahmen und Übungen.

4.3

Die in den letzten Jahren gewonnenen Erfahrungen veranschaulichen die Bedeutung der Koordinierungsfunktion, so etwa bei den jüngsten Bränden in Griechenland. Hier gibt es aber noch Verbesserungspotenzial, weshalb der EWSA mehr und bessere Ressourcen für die Arbeit im Rahmen dieses Verfahrens gefordert hat. Das Beobachtungs- und Informationszentrum sollte mit verstärkten personellen Mitteln zu einem Einsatzzentrum ausgebaut werden, dass das Entstehen von Krisen vorausschauend erkennt, ihre Entwicklung evaluiert, Vorsorgemaßnahmen organisiert und Katastrophenschutzeinsätze der EU in und außerhalb der Gemeinschaft abwickelt und koordiniert.

4.4

Die EU sollte verstärkte Anstrengungen auf dem Gebiet der Katastrophenschutz-Schulung und Übungen unternehmen, um besser für größere Katastrophen gewappnet zu sein. Der beste Weg, dies zu erreichen, wäre ein Europäisches Schulungszentrum für Katastrophenschutz, an das die einzelstaatlichen Katastrophenschutzzentren angeschlossen wären. Die EU-Institutionen sollten umgehend die Vorschläge für eine solche strukturierte Vernetzung prüfen.

4.5

Für die meisten und wichtigsten natürlichen Gefahren in Europa gibt es Frühwarnsysteme, nicht so für Tsunamis, was ein erhebliches Defizit darstellt. Angesichts der zunehmenden Mobilität der Bürger innerhalb Europas und in der Welt gibt auch das Fehlen gemeinsamer Warnsysteme und –verfahren Anlass zu großer Sorge.

4.6

Die von der Kommission im Jahr 2005 vorgeschlagenen Verbesserungen haben zu einem guten Funktionieren des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz in der EU geführt, insbesondere als Instrument der interregionalen und internationalen Solidarität. Aus diesem Grund sollte nicht mit Mitteln gespart werden, um eine schnellere und wirksamere Reaktion auf Katastrophen verschiedener Art zu gewährleisten. Grundlegend hierfür sind im Voraus festgelegte Handlungsverfahren bzw. Hilfspläne, die in Simulationsszenarien erprobt und entsprechend den dabei gewonnenen Erfahrungen angepasst werden sollten.

4.7

Im Rahmen dieser Pläne müssen Satellitenkommunikation, aktuelle Karten und angemessene Ressourcen für eine zufrieden stellende Koordinierung zur Verfügung stehen. Über diese Einsatzmittel muss die EU verfügen können. Die Einsatzpläne sollten als Vorbild gelten und das Solidaritätsprinzip und die Wirksamkeit auf internationaler Ebene stärken.

4.8

Bei der Überarbeitung des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten mit ihren eigenen Ressourcen Katastrophenschutzmodule schaffen. Das wäre ein Schritt hin zur Entwicklung eines Krisenreaktionsmechanismus der EU für den Katastrophenfall. Die Mitgliedstaaten sollten diese Module möglichst bald definieren und entsprechende Schulungen einrichten, was insbesondere für die Brandbekämpfung gilt. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass diese Module bei Auslösung des Gemeinschaftsverfahrens unmittelbar für den Einsatz zur Verfügung stehen.

4.9

Die jüngsten Katastrophen haben gezeigt, dass ungeachtet der Solidarität in der EU die mobilisierten Kräfte nicht immer ausreichen. Daher sollte nun anhand von Katastrophenszenarien umgehend geprüft werden, wo die Defizite liegen. Wird dabei festgestellt, dass bestimmte Einsatzmittel in der EU nur unzureichend vorhanden oder verfügbar sind oder dass europäische Reserveeinsatzkräfte für den Katastrophenschutz Vorteile in Hinblick auf die Wirksamkeit und Kosteneffizienz bieten würden, sollte die EU solche Reserveeinsatzkräfte bilden.

4.10

Ferner müssen die Bewertungsteams und die Koordinatoren der EU bezüglich der Wiederherstellung der betroffenen Gebiete konsultiert werden, da sie im Hinblick auf die Sanierung dieser Zonen bessere Kenntnisse haben und sich so eine Bodenspekulation, die sich in einigen Fällen leider an die Waldbrände anschließt, vermeiden lässt.

4.11

Bei Einsätzen in Drittstaaten müssen die im Rahmen des Verfahrens ergriffenen Maßnahmen als fester Bestandteil der Außenpolitik und der humanitären Hilfe der EU angesehen werden, und es muss ihnen die Bedeutung beigemessen werden, die ihnen als Zeichen der unmittelbaren Solidarität der Union mit den betroffenen Ländern gebührt.

4.12

Schließlich muss auch festgelegt werden, welche Rolle humanitäre Organisationen beim Katastrophenschutz spielen sollen. Bei Interventionen außerhalb des Gemeinschafsraumes muss auf eine Abstimmung mit den durch besondere Mandate tätigen Partnern in der humanitären Hilfe, wie z.B. Vereinte Nationen, Rotkreuz/Rothalbmondbewegung, internationale und Nichtregierungsorganisationen geachtet Werden.

5.   Umwelthaftung

5.1

Es muss festgestellt werden, dass die präventiven Rechtsvorschriften bei durch Naturkatastrophen verursachten Schäden nicht die erhoffte Wirkung gezeitigt haben, dass sich die Einrichtung eines rechtlichen Systems der Umwelthaftung über Gebühr hingezogen hat (11) und dass erst der zweite Entwurf für eine strafrechtliche Vorschrift im Umweltbereich vorliegt (12).

5.2

Es darf nicht vergessen werden, dass gegenwärtig verschiedene, ganz unterschiedlich geartete nationale Rechtsvorschriften nebeneinander bestehen, was zu inhaltlichen Verzerrungen hinsichtlich der geltenden Rechtsvorschriften führt. In der Praxis gibt es keine Harmonisierung der Umwelthaftung durch die Gemeinschaft. Tatsächlich ist es nicht gelungen, eine allgemeine Pflicht zur Wiederherstellung bzw. Sanierung der von Naturkatastrophen heimgesuchten Gebiete einzuführen, da dies nicht unter das Gemeinschaftsrecht fällt. Zudem lässt sich das Verursacherprinzip in zahlreichen Regionen der EU nicht durchsetzen.

5.3

Es lassen sich auch noch weitere Argumente ins Feld führen: Beispielsweise können Umweltschäden grenzüberschreitende Gebiete betreffen; in diesen Fällen kommt nicht nur ein einzelstaatliches Recht zur Anwendung. Überdies gibt es noch eine große Hürde, nämlich die Tatsache, dass die Zuständigkeit bei vielen unterschiedlichen Behörden (von der kommunalen über die regionale bis hin zur staatlichen Ebene) liegt, was zu Konflikten bei der Haftung führen kann, denn diese Behörden sind möglicherweise auch für die Sanierung der Schäden zuständig.

5.4

Der Geltungsbereich der in der Richtlinie enthaltenen Bestimmung über die Haftung stellt auf die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden ab, so wie es in den geltenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über Artenvielfalt, Wasser und Bodenverschmutzung vorgesehen ist. Die Definition erfolgt im Wesentlichen, aber nicht ausschließlich, durch den Verweis auf bestehende Rechtsvorschriften des Gemeinschaftsrechts. In diesem Sinne wird nachdrücklich darauf hingewiesen, dass nur bei Nichterfüllung der geltenden in Anhang III der Richtlinie aufgeführten Umweltrechtsvorschriften eine Haftungsklage gegen Schadensverursacher möglich ist.

5.5

Das erste Haftungssystem gilt für die in Anhang III der Richtlinie aufgeführten beruflichen Tätigkeiten, die eine potenzielle oder tatsächliche Gefährdung darstellen. Dazu zählen insbesondere genehmigungspflichtige Tätigkeiten in der Landwirtschaft oder der Industrie im Sinne der Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Tätigkeiten, bei denen Schwermetalle ins Wasser oder in die Luft freigesetzt oder aber gefährliche Chemikalien in bestimmten Anlagen hergestellt werden. Ferner fallen darunter Tätigkeiten im Rahmen der Abfallwirtschaft (insbesondere auf Deponien und in Müllverbrennungsanlagen) oder aber solche, bei denen genetisch veränderte Organismen oder Mikroorganismen zum Einsatz kommen. Der Betreiber kann auch dann haftbar gemacht werden, wenn er nicht schuldhaft gehandelt hat. Das zweite Haftungssystem erstreckt sich auf alle anderen beruflichen Tätigkeiten, die nicht in Anhang III der Richtlinie aufgeführt sind. Es gilt aber nur dann, wenn es sich um eine bereits eingetretene oder unmittelbar drohende Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen handelt, die durch die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft geschützt sind. Der Betreiber ist in diesem Fall lediglich haftbar, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Bestimmte Umweltschäden, die bereits eingetreten sind oder unmittelbar drohen, sind von der Umwelthaftung gemäß dieser Richtlinie jedoch ausgenommen.

5.6

Für die Sanierungsmaßnahmen sind zwei Möglichkeiten vorgesehen: Entweder muss der Schadensverursacher die Maßnahmen direkt finanzieren, oder die zuständige Behörde kann diese Maßnahmen von einem Dritten durchführen lassen und dem haftenden Verursacher die Kosten dafür auferlegen. Im Interesse einer wirksamen Sanierung können diese beiden Ansätze in jedem Falle auch kombiniert werden.

5.7

Bei mehreren Schadensverursachern überlässt es die Richtlinie den Mitgliedstaaten, über die Aufteilung der Kosten zu entscheiden, wobei zwei Möglichkeiten vorgesehen sind: gesamtschuldnerische Haftung oder Teilhaftung. Zwar soll dieses Doppelsystem die Anpassung an die einzelstaatlichen Rechtsordnungen erleichtern, doch ist die Festlegung der Haftungsanteile bei Umweltschäden schwierig — und deshalb auch die praktische Anwendung dieses Systems.

5.8

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die für die Betreiber, die unter die Rechtsvorschriften über Wasser, Boden und Artenvielfalt fallen, vorgeschriebene Deckungsvorsorge die wirksame Sanierung der Schäden erleichtert und zugleich negative Auswirkungen einer Insolvenz dieser Betreiber vermeidet.

Brüssel, den 13. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Entscheidung des Rates 2001/792/EG, Euratom.

(2)  Zuvor gab es bereits das Aktionsprogramm für den Katastrophenschutz. Dies wurde durch die Entscheidung des Rates 1999/847/EG vom 9. Dezember 1999 eingerichtet und durch die Verordnung des Rates 2005/12 vom 6. April 2005 geändert. Am 8. November 2007 erging die Entscheidung des Rates zur Einrichtung eines „Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz (Neufassung)“.

(3)  CESE 578/2003, ABl. C 208 vom 3. September 2003, S. 16-22.

(4)  KOM(2007) 414 endg. — Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Antworten auf die Herausforderung von Wasserknappheit und Dürre in der Europäischen Union.

(5)  ABl. L 327 vom 22. Dezember 2000, S. 72ff.

(6)  Mitteilung der Kommission: „Hochwasserrisikomanagement — Vermeidungs“-, Schutz- und Minderungsmaßnahmen, KOM(2004) 472 endg., ABl. C 221 vom 8. September 2005, S. 35.

Vorschlag für eine Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Hochwasser, KOM(2006) 15 endg., 18.1.2006.

Richtlinie 2007/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. C 195 vom 18. August 2006, S. 37.

(7)  Zwischenstaatliche Sachverständigengruppe über Klimaänderungen (IPCC), Bericht der Arbeitsgruppe II zu Auswirkungen, Anpassung und Schwächen.

(8)  Siehe Fußnote 6.

(9)  ABl. C 306 vom 17.12.2007.

(10)  Darüber hinaus unterhalten einige Mitgliedstaaten Katastrophenforschungs- und -Informationszentren, die äußerst wirkungsvoll in der Katastrophenprävention arbeiten.

(11)  Richtlinie über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt, ABl. …, Stellungnahme CESE 452/2002.

(12)  2001 wurde ein erster Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, den der Rat dann zurückzog. Später wurde der EWSA mit einem neuen Vorschlag (KOM(2007) 51 endg. — 2007/0022 COD) befasst, in dem die Entscheidung des EuGH vom 13.9.2005 (bestätigt durch ein weiteres Urteil vom 27.10.2007) unterstützt wird, wonach die Kommission Rechtsakte über Umweltdelikte erlassen kann.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/70


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen“ (Initiativstellungnahme)

(2008/C 204/16)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Februar 2008 an. Berichterstatterin war Frau ROKSANDIČ, Mitberichterstatter Herr ALMEIDA FREIRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443 Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 118 gegen 56 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss zeigt sich enttäuscht darüber, dass die Europäische Kommission ihn nicht zu ihrem Vorschlag für eine Richtlinie über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen, um eine Stellungnahme ersucht hat, obwohl er in der Präambel des Richtlinienvorschlags genannt wird. Auch wenn es hier nicht um einen Richtlinienvorschlag geht, zu dem eine Konsultation des Ausschusses obligatorisch ist, so vertritt der EWSA doch die Ansicht, dass es in solchen oder ähnlichen Fällen nützlich ist, die Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft im EWSA zu konsultieren, weil es sich um einen bedeutenden Themenbereich handelt, der nicht nur zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gehört, sondern auch in den Bereich Beschäftigung und Sozialpolitik hineinreicht.

1.2

Der EWSA hat den Beschluss gefasst, eine Initiativstellungnahme zu diesem Richtlinienvorschlag zu erarbeiten. Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass der organisierten Zivilgesellschaft und insbesondere den Sozialpartnern eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung und Umsetzung dieser Richtlinie der Europäischen Kommission über „Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen“, zukommt.

1.3

Der Ausschuss hat in seinen bisherigen Stellungnahmen (1) die Notwendigkeit betont, aufeinander abgestimmte Maßnahmen einzuleiten, um Möglichkeiten für legale Einwanderung zu schaffen und sich mit Gründen für „irreguläre“ Einwanderung zu befassen.

1.4

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag für die genannte Richtlinie, weil sie in der Praxis die Achtung der Menschenrechte fördert. Der Ausschuss hat jedoch Bedenken gegen den Inhalt des Richtlinienvorschlags, den Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und die Reihenfolge der Rechtsetzungsvorschläge. Die Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen ohne legalen Aufenthalt hängt eng mit der Funktionsweise des Arbeitsmarktes und der illegalen Beschäftigung im Allgemeinen zusammen und kann deshalb nicht allein mit Sanktionen gegen Arbeitgeber verhindert werden.

1.5

Wegen der Tatsache, dass sich die beiden Arbeitsbereiche der Europäischen Kommission, die sich auf EU-Ebene mit dem Thema Einwanderung, dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie der Beschäftigungs- und Sozialpolitik befassen, inhaltlich überschneiden, weist der Ausschuss auf die Bedeutung hin, die einer Harmonisierung der bestehenden und der neu zu entwickelnden europäischen Rechtsetzung zur legalen und illegalen Einwanderung zukommt. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das Problem der illegalen Einwanderung nicht dadurch gelöst werden kann, dass man einfach die Grenzen schließt und Zwangsmaßnahmen anwendet.

1.6

Die legale Migration und Einwanderung ist auf EU-Ebene dringend zu regulieren — ebenso auch die Bekämpfung der nicht gemeldeten Beschäftigung. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die Möglichkeit weiterer Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung zu prüfen.

1.7

Internationale Erfahrungen zeigen, dass die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung dann am besten funktioniert, wenn in verschiedenen Bereichen gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden. So müssen neben der Schaffung einer Möglichkeit zur legalen Einwanderung von Arbeitnehmern in jenen Branchen, in denen die Beschäftigung illegaler Einwanderer am häufigsten anzutreffen ist, Informations- und Aufklärungskampagnen durchgeführt und dadurch die Folgen der illegalen Beschäftigung aufgezeigt werden. Die Sanktionspolitik gegenüber den Arbeitgebern sollte einheitlich und unabhängig von der Staatsangehörigkeit der illegal beschäftigten Person sein. Die geplante Richtlinie sollte also Teil eines größeren Maßnahmenpakets zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung — auch der Beschäftigung illegaler Einwanderer — sein, und nicht das grundlegende politische Instrument, wie es die Kommission vorschlägt.

1.8

Der Ausschuss weist auf die Bedeutung hin, die der wirksamen Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten zukommt. Dies dürfte wegen der zu geringen personellen Ausstattung der Kontrollbehörden, der unklaren Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Behörden sowie der großen Zahl von Unternehmen, die überprüft werden sollen, keine leichte Aufgabe werden.

1.9

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die in der Richtlinie aufgeführten Vorschläge, die in der Praxis positive Auswirkungen haben könnten, bekräftigt werden sollten. Die vom Ausschuss vorgeschlagenen Änderungen und Zusätze sind im Abschnitt „Besondere Bemerkungen“ aufgeführt und zielen auf eine angemessenere Verteilung von Verantwortung und auf die Verbesserung der Lage von Arbeitnehmern ab, die keine gültigen Papiere besitzen. Würden diese Vorschläge nicht aufgenommen, könnte dies zu einer noch größeren Ausbeutung dieser Arbeitnehmer führen.

2.   Einführung

2.1

Die vorgeschlagene Richtlinie gehört zu einer Reihe von Legislativvorschlägen, die die Europäische Kommission entsprechend ihrer Mitteilungen zu dem Strategischen Plan zur legalen Zuwanderung (2005) (2) und über politische Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Drittstaatsangehörigen vom Juli 2006 vorgelegt hat (3). In diesen Mitteilungen schlägt die Kommission vor, jene Faktoren zu verringern, die die illegale Einwanderung in die EU begünstigen, d.h. in erster Linie die Möglichkeit, Arbeit zu finden. Die Mitgliedstaaten sollen aufeinander abgestimmte Strafen für die Arbeitgeber von Drittstaatsangehörigen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung einführen und diese wirksam umsetzen. Der Europäische Rat unterstützte auf seiner Tagung vom Dezember 2006 den Kommissionsvorschlag (4).

2.2

Nach dem Richtlinienvorschlag wurden 2007 folgende Kommissionsdokumente veröffentlicht:

Mitteilung der Kommission — Zirkuläre Migration und Mobilitätspartnerschaften zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten (5);

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung (6);

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates und über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (7);

Mitteilung der Kommission — Die Bekämpfung der nicht angemeldeten Erwerbstätigkeit verstärken (8).

3.   Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

3.1

Ziel des Vorschlags ist es, die Anziehungskraft (Pull-Faktoren) der Beschäftigungsangebote für Einwanderer ohne gültige Arbeitserlaubnis zu verringern. Auf Grundlage der bereits in den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen sollen möglichst einheitliche Sanktionen für solche Arbeitgeber, die Staatsbürger aus Drittstaaten ohne Aufenthaltsgenehmigung beschäftigen, eingeführt und ihre wirksame Anwendung in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden.

3.2

In der Richtlinie wird die Einwanderungspolitik behandelt, nicht aber die Beschäftigungs- oder Sozialpolitik; rechtlich ist sie auf Artikel 63 Absatz 3 b des EG-Vertrags gestützt und soll zur Eindämmung der illegalen Einwanderung in die EU beitragen.

3.3

Gegenstand der Richtlinie ist weder die legale Einwanderung oder die den zuerkannten Aufenthaltsstatus gefährdende Beschäftigung noch die nicht gemeldete Beschäftigung von Staatsbürgern aus Drittstaaten.

4.   Inhalt des Kommissionsvorschlags

4.1

Der Vorschlag enthält ein generelles Verbot der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in der EU aufhalten. Rechtsverletzungen sollen mit Sanktionen (gegebenenfalls verwaltungsrechtlicher Art) geahndet werden, bei denen es sich um Geldbußen und, im Falle von Unternehmen, um zusätzliche Maßnahmen wie den Ausschluss von öffentlichen Subventionen oder die Rückzahlung gewährter Subventionen sowie den Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren handelt. Für schwere Fälle ist eine strafrechtliche Verfolgung vorgesehen.

4.2

In Artikel 2 wird bestimmt, wie der Ausdruck „Beschäftigung“ in dieser Richtlinie verstanden wird. „Arbeitgeber“ werden definiert als natürliche und juristische Personen, für die ein Drittstaatsangehöriger vergütete Tätigkeiten ausübt.

4.3

Zu den Verpflichtungen des Arbeitgebers gehört es, von Drittstaatsangehörigen die Vorlage einer Aufenthaltserlaubnis oder eines anderen, mindestens für die Dauer der betreffenden Beschäftigung gültigen Aufenthaltstitels zu verlangen und eine Kopie des Dokuments im Hinblick auf Inspektionen aufzubewahren. Ist das vorgelegte Dokument nicht offenkundig falsch, gilt die Pflicht des Arbeitgebers als erfüllt. Nur Unternehmen und juristische Personen sind verpflichtet, den von den Mitgliedstaaten benannten zuständigen Behörden spätestens jeweils binnen einer Woche den Beginn und das Ende der Beschäftigung des Drittstaatsangehörigen anzugeben.

4.4

Gegen Arbeitgeber, die die Vorschriften zur Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in der EU aufhalten, nicht beachten, werden wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen verhängt. Jede Zuwiderhandlung ist mit Geldstrafen sowie der Übernahme von Kosten für die Rückführung des Drittstaatsangehörigen zu ahnden (der Arbeitgeber hat dem illegal beschäftigten Drittstaatsangehörigen noch zustehende Vergütungen sowie fällige Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten). Unter bestimmten Bedingungen, die in Artikel 10 ausgeführt werden, ist eine Zuwiderhandlung, wenn sie vorsätzlich begangen wird, eine Straftat und als solche zu verfolgen.

4.5

Die Mitgliedstaaten müssen auch finanzielle Strafen (Strafmandate und Kosten für die Rückführung der Drittstaatenangehörigen) sowie andere Sanktionen festlegen (zeitweiliger Ausschluss von öffentlichen Subventionen oder öffentlichen Auftragsvergabeverfahren sowie die Einziehung bereits gezahlter EU-Mittel, zeitlich begrenzte oder dauerhafte Schließung von Betriebsstätten). Des Weiteren sind die Haftung juristischer Personen und mögliche Strafen gegen diese vorzusehen. Die bereits bestehende Rechtsetzung der Mitgliedstaaten bezüglich der Haftung juristischer Personen kann beibehalten werden.

4.6

Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um einen Unterauftragnehmer, tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass der Hauptauftragnehmer und der zwischengeschaltete Unterauftragnehmer gemeinsam für alle etwaigen Sanktionen und Nachzahlungen haften.

4.7

Der Arbeitgeber muss dem Drittstaatsangehörigen alle noch ausstehenden Zahlungen rückwirkend erstatten, wobei die Mitgliedstaaten Mechanismen in Kraft setzen, die gewährleisten, dass die erforderlichen Verfahren zur Einforderung ausstehender Vergütungen automatisch anlaufen und der Drittstaatsangehörige nicht gezwungen ist, Klage zu erheben. Ein Arbeitsverhältnis von mindestens sechsmonatiger Dauer wird vermutet, falls der Arbeitgeber diese Vermutung nicht durch einen Gegenbeweis ausräumen kann. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass illegal beschäftigten Drittstaatsangehörigen die ausstehende Vergütung ausgezahlt wird, und zwar auch nach ihrer Rückkehr bzw. Rückführung. Liegt eine Straftat vor, ist die Vollstreckung einer Rückführungsentscheidung auszusetzen, solange der Drittstaatsangehörige nicht die gesamte ausstehende Bezahlung erhalten hat.

4.8

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass jährlich in mindestens 10 % der in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen Inspektionen durchgeführt werden, die der Kontrolle der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen ohne legalen Aufenthalt dienen. Die Auswahl der zu inspizierenden Unternehmen erfolgt auf der Grundlage einer Risikobewertung, bei der Faktoren wie Tätigkeitssektor und in der Vergangenheit begangene Zuwiderhandlungen berücksichtigt werden.

4.9

Die Mitgliedstaaten setzen die Richtlinie innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU um.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1

Der Vorschlag für eine Richtlinie berührt zwei unterschiedliche Arbeitsbereiche der Europäischen Kommission, die bei der Umsetzung der Einwanderungspolitik eng miteinander verflochten sind; es handelt sich um den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie die Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Der Ausschuss befürwortet den in dem Vorschlag für eine Richtlinie ausgeführten Gedanken, einerseits auf unredliche Arbeitgeber und andererseits auf illegale Organisationen, die Handel mit Menschen ohne Ausweispapiere treiben, Druck auszuüben. Der Ausschuss unterstützt den betreffenden Vorschlag für eine Richtlinie, da durch sie die Menschenrechte geschützt werden.

5.2

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass es notwendig wäre, den Entscheidungsfindungsprozess der europäischen Institutionen zu berücksichtigen, und

die gerade in Ausarbeitung befindliche europäische Rechtsetzung zur legalen und illegalen Einwanderung mit dem bestehenden EU-Recht in Einklang zu bringen;

die Folgen und Konsequenzen im Hinblick auf die Migration innerhalb der Europäischen Union oder von außerhalb zu klären.

Es bedarf eindeutiger Aussagen zu diesen heiklen Fragen, betreffen sie doch nicht nur solche Bereiche wie Sicherheit, Recht oder Wettbewerbspolitik, sondern auch die Menschenrechte, was wiederum — sowohl von einem gesellschaftlichen als auch einem individuellen Standpunkt aus gesehen — den Binnenmarkt, die vier Freiheiten und den Arbeitsmarkt berührt, aber auch die für die EU notwendige Einwanderung. Der Ausschuss hat in seinen bisherigen Stellungnahmen die Notwendigkeit betont, gleichzeitig Maßnahmen einzuleiten, um Möglichkeiten für legale Einwanderung zu schaffen und sich mit den Gründen für „irreguläre“ Einwanderung zu befassen.

5.3

Die legale Migration zwischen den Mitgliedstaaten und die Einwanderung aus Drittstaaten sind auf EU-Ebene dringend zu regulieren. Einwanderungsbeschränkungen in den Mitgliedstaaten haben Probleme verursacht, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen einigen Mitgliedstaaten verhindert und dazu geführt, dass einige Drittstaatsangehörige — aber auch EU-Bürger — im Widerspruch zum geltenden Recht beschäftigt und ausgebeutet wurden. Bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung in der EU und in den Mitgliedstaaten sollten alle, die einer solchen Beschäftigung nachgehen, vollkommen gleich behandelt werden, unabhängig davon, ob es sich um EU-Bürger oder Drittstaatsangehörige handelt. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die rechtlichen Grundlagen des Richtlinienvorschlags dahingehend auszuweiten, dass zur Bekämpfung illegaler Arbeit Maßnahmen gegen alle ergriffen werden können, die ohne Erlaubnis oder entsprechende Dokumente einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

5.4

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die Pull-Faktoren, die durch die Richtlinie abgebaut werden sollen, nicht durch die Möglichkeit, illegal beschäftigt zu werden, entstehen, sondern durch die Möglichkeit, überhaupt im Ausland eine Beschäftigung zu finden. Maßnahmen zur Vereinfachung der Verfahren zur Ausstellung einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis würden daher zweifelsohne zu einer Verringerung dieser Pull-Faktoren beitragen. Auch die Mitgliedstaaten sollten ihren Beitrag zur Vereinfachung der Verfahren leisten.

5.5

Die Arbeitgeber sind daran interessiert, illegale Beschäftigung und unfairen Wettbewerb zu bekämpfen, da die Arbeitgeber, die illegale Arbeitskräfte beschäftigen, so in illegalen und unfairen Wettbewerb gegen ehrliche Arbeitgeber treten.

5.6

Auch wenn für die Umsetzung der Richtlinie die Mitgliedstaaten zuständig sind, so muss doch die Kommission darauf aufmerksam gemacht werden, dass dies kein einfaches Unterfangen ist, weil es nicht genügend Aufsichtsbehörden gibt, weil Schwierigkeiten bei der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den betroffenen Behörden bestehen und weil eine große Zahl von Unternehmen zu überprüfen ist. Die Stärke der Richtlinie sollte in ihrer tatsächlichen Umsetzung liegen.

5.7

Die europäischen Institutionen sollten die gleiche Terminologie verwenden, wie sie bei internationalen und regionalen Organisationen sowie im internationalen Recht üblich und folglich international anerkannt ist. Begriffe wie „irregulär Beschäftigter“ und „Migranten ohne Ausweispapiere“ sollten statt „illegaler Beschäftigter“ und „illegaler Einwanderer“ verwendet werden. Der Begriff „illegaler Einwanderer“ weckt sehr negative Assoziationen. Durch den Richtlinienvorschlag könnten derartige Konnotationen noch verschlimmert werden. Sie könnte eine gesteigerte Diskriminierung und Fremdenhass gegenüber jedwedem Wanderarbeitnehmer zur Folge haben und zu Kontrollen führen, die allein durch das Aussehen begründet sind.

5.8

Ungeachtet einiger Zweifel ist der Ausschuss der Auffassung, dass an den in der Richtlinie vorgebrachten Vorschlägen, die praktische Auswirkungen nach sich ziehen können, festgehalten werden sollte. Diese werden im Einzelnen unter den „Besonderen Bemerkungen“ aufgezählt.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1

Artikel 1: Dieser Artikel sollte den Mitgliedstaaten, die bereits Schritte zur Regulierung der irregulären Einwanderung unternommen haben, die Möglichkeit geben, nationale Maßnahmen zu Gunsten der Arbeitnehmer aufrecht zu erhalten.

6.2

Artikel 2: Folgende Begriffsbestimmungen sollten ergänzt werden:

b) „Beschäftigung“: Beschäftigung eines Arbeitnehmers zur weisungsgebundenen Ausübung vergüteter Tätigkeiten für eine andere Person oder in wirtschaftlicher Abhängigkeit.

Außer e) „Arbeitnehmer“ und f) „Unterauftragnehmer“ sollten auch Zeitarbeitsagenturen berücksichtigt werden, da die derzeitige Begriffsbestimmung unklar ist. Viele Arbeiter aus Drittstaaten werden über Vermittler beschäftigt, und hierzu gehören auch die besagten Agenturen.

6.3

Artikel 4, Absatz 1 c): Der Arbeitgeber sollte die Kopie der Aufenthaltserlaubnis über die Zeitspanne der Beschäftigung hinaus aufbewahren, da in einigen Bereichen die Beschäftigungsverhältnisse allgemein von kurzer Dauer sind und die Arbeitgeber rasch gewechselt werden.

6.4

Artikel 5:

Wenn der Arbeitgeber seine Verpflichtungen hinsichtlich der irregulären Beschäftigung erfüllt sowie die Aufenthaltserlaubnis überprüft und wie verlangt eine Kopie davon aufbewahrt hat, es sich später allerdings herausstellt, dass der Drittstaatsangehörige überhaupt keine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzt, ist der Arbeitgeber dennoch verpflichtet, die ausstehenden Zahlungen vorzunehmen und die anderen in Artikel 7 der Richtlinie aufgeführten Verpflichtungen zu erfüllen. Daher sollte an Artikel 5 folgender Satz angefügt werden: „Dies berührt jedoch nicht die Verpflichtung, alle ausstehenden Zahlungen zu leisten und die sich aus Artikel 7 ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen.“

Außerdem sollte eine Bestimmung hinzugefügt werden, die den Arbeitgeber verpflichtet, die in dem Mitgliedstaat gültigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen einzuhalten. Es kann nämlich vorkommen, dass Arbeitgeber lediglich die Aufenthalterlaubnis überprüfen, nicht aber die in vielen Mitgliedstaaten vorgeschriebene Arbeitserlaubnis. So könnte es trotz Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie dazu kommen, dass nicht gemeldete Arbeit von Drittstaatsangehörigen zunimmt.

6.5

Artikel 6:

Zu den unter Ziffer 2 a) aufgeführten Sanktionen in Form von Geldstrafen sollte hinzugefügt werden, dass diese hoch genug sein sollten, damit dem Arbeitgeber aus dem illegalen Beschäftigungsverhältnis mit Drittstaatsangehörigen keinerlei Gewinne erwachsen. Auf diese Weise würde die Geldstrafe für jeden illegal Beschäftigten auf eine bestimmte Höhe festgelegt und in Abhängigkeit von der Anzahl illegal beschäftigter Drittstaatsangehöriger steigen. Ein großer Unterschied besteht zwischen dem Nutzen privater Arbeitgeber, die Arbeitnehmer beispielsweise als Haushaltshilfen oder in der Landwirtschaft illegal beschäftigen, und solchen Arbeitgebern, die illegal drei, vier oder mehr Arbeitnehmer illegal für profit- oder gewinnorientierte Erwerbstätigkeiten beschäftigen.

Es sollte die Möglichkeit einer Erhöhung der Geldstrafe für Arbeitgeber vorgesehen werden, die fortgesetzt oder wiederholt illegal Drittstaatenangehörige beschäftigen. Die Geldstrafe sollte bei jeder Wiederholung oder bei Andauern einer illegalen Beschäftigung bedeutend erhöht werden, um einen Abschreckungseffekt zu erzielen.

Es wäre unzumutbar, von den Arbeitgebern zu erwarten, dass sie sowohl die Rückführungskosten eines jeden illegal Beschäftigten aus Drittstaaten als auch die finanziellen Strafen tragen sollten. Dies würde nämlich bedeuten, dass die Verantwortung der Einwanderungsbehörden einzelner Staaten auf die Schultern der Arbeitgeber geladen würde. Der Arbeitgeber sollte zur Zahlung dieser Kosten nur verpflichtet sein, wenn es sich um eine Straftat im Sinne von Artikel 10 handelt.

6.6

Artikel 7:

Es sollte auch erwähnt werden, dass die Zahlungsverpflichtung von dem Tag an Gültigkeit hat, an dem die Forderung eingereicht wurde, und nicht erst, wenn sie rechtskräftig wird.

Die Ansprüche der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag sollten unabhängig davon bestehen bleiben, ob der betreffende Arbeitnehmer über eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis verfügt.

Schwierigkeiten bei der Durchführung könnten auftreten, wenn ausstehende Gelder an einen Beschäftigten zu zahlen sind, der bereits in seine Heimat zurückgekehrt ist. Darüber hinaus ist dafür zu sorgen, dass die Zahlung an die richtige Person erfolgt.

Außerdem sollte festgelegt werden, dass der Arbeitgeber die ausstehenden Zahlungen unter Berücksichtigung aller Gesetze, Rechtsvorschriften, Verwaltungsentscheidungen bzw. der Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern berechnen muss, die normalerweise für eine solche Beschäftigung gelten.

6.7

Artikel 8 enthält einen Verweis auf weitere von den Mitgliedstaaten durchzuführende Maßnahmen.

Es wäre sinnvoll, eine zusätzliche Liste dieser Maßnahmen beizufügen.

Die unter Buchstabe d) aufgeführte Maßnahme bezüglich einer vorübergehenden oder endgültigen Schließung der Betriebsstätten, die zur Begehung der Zuwiderhandlung genutzt wurden, scheint überzogen — insbesondere, weil davon auch legal beschäftigte Arbeitnehmer betroffen sein können. Wird eine solche Maßnahme ergriffen, sollten die an den betroffenen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer und ihre Vertreter gehört werden.

6.8

Artikel 9 legt die Verantwortlichkeit des Hauptauftragnehmers und der etwaigen zwischengeschalteten Unterauftragnehmer für die Zahlung von Sanktionen bzw. Nachzahlungen fest. In diesem Zusammenhang sollte geklärt werden, in welchen Fällen diese Verantwortung besteht und in welchen nicht. In einigen Branchen mit langen Subunternehmerketten, z.B. in der Automobilherstellung, wäre es schwer umzusetzen, Hersteller und Subunternehmer, die einzelne Teile an unterschiedlichen Orten und in verschiedenen Mitgliedstaaten usw. produzieren, gemeinsam in die Verantwortung zu nehmen. Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass ein Hauptauftragnehmer die Möglichkeit haben sollte, durch angemessene Vorsichtsmaßnahmen von jeglicher Verantwortung entbunden zu werden.

6.9

Artikel 10:

In diesem Artikel wird festgestellt, dass gemäß Artikel 3 eine Straftat vorliegt, wenn die Zuwiderhandlung „vorsätzlich“ begangen wurde. Da dies allerdings schwer nachzuweisen ist, könnte die Straftat so definiert werden, dass der Arbeitgeber über sie Bescheid „wusste“ oder „hätte wissen können“.

Verstöße, wie sie in Absatz 1a) beschrieben werden, sollten bei jeder Wiederholung eines Verstoßes im Sinne von Artikel 3 als Straftat gewertet werden.

Im Falle einer Zuwiderhandlung, die — wie in Absatz 1a) dieses Artikels beschrieben — als Straftat anzusehen ist, sollte bedacht werden, dass der juristische Entscheidungsprozess mitunter langwierig sein kann. Es könnte leicht sein, dass die Bestimmung überhaupt keine Anwendung findet, wenn die Mitgliedstaaten entscheiden, durch ein Gericht oder eine nationale Behörde in einer Zeitspanne von zwei Jahren feststellen zu lassen, ob es sich um eine Zuwiderhandlung handelt. Da derartige Prozesse sehr langwierig sein können und stets Rechtsmittel gegen das Urteil möglich sind, besteht die Gefahr, dass die Bestimmung nur auf dem Papier existiert.

Bei der Umsetzung dieses Artikels in den Mitgliedstaaten ist es notwendig, eine klare Trennung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungseinrichtungen, die Sanktionen verhängen, und den im Einzelnen zuständigen Gerichten vorzunehmen, damit keine Kompetenzstreitigkeiten entstehen.

6.10

Artikel 14:

Um eine rasche und kostengünstige Durchführung zu gewährleisten, wäre es angebracht, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, entsprechende Verfahren zur Umsetzung zu schaffen.

Ebenso sollten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die sanktionierende Behörde unverzüglich Informationen über die Einleitung eines Verfahrens an die betroffenen Vertreter weiterleitet.

Unter Absatz 3 wäre es angebracht, nicht nur Drittstaatsangehörigen, die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind oder waren und in Verfahren gegen den Arbeitgeber Kooperationsbereitschaft zeigen, einen besonderen Status zuzuerkennen, sondern auch den Zeugen.

6.11

Artikel 15:

Die Bestimmung, nach der die Mitgliedstaaten jährlich in mindestens 10 % der Unternehmen Inspektionen durchführen müssen, ist zu begrüßen, wobei die Wirkung der vorgeschlagenen Richtlinie von der tatsächlichen Umsetzung dieser Bestimmung abhängt. In den meisten Mitgliedstaaten wird es hierfür notwendig sein, zusätzliches Personal einzustellen und die dafür vorgesehenen Finanzmittel zu erhöhen. Geschieht dies nicht, würden die zusätzlichen Verpflichtungen zweifellos zu einer Ungleichbehandlung der Betroffenen führen.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe EWSA-Stellungnahme vom 15.12.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Studie über die Zusammenhänge zwischen legaler und illegaler Migration“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 157, 28.6.2005).

Siehe EWSA-Stellungnahme vom 9.6.2005 zu dem „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 286, 17.11.2005).

Siehe EWSA-Stellungnahme vom 15.12.2005 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre — Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, Berichtersatter PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 65, 17.3.2006).

(2)  KOM(2005) 669 endg.

(3)  KOM(2006) 402 endg.

(4)  Mitteilung der Kommission über politische Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Drittstaatsangehörigen, KOM(2006) 402 endg.

(5)  KOM(2007) 248 endg.

(6)  KOM(2007) 637 endg.

(7)  KOM(2007) 638 endg.

(8)  KOM(2007) 628 endg.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt (Artikel 54, Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Ziffer 1.7

Wie folgt ändern:

„Internationale Erfahrungen zeigen, dass die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung dann am besten funktioniert, wenn in verschiedenen Bereichen gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden. So müssen neben der Schaffung einer Möglichkeit zur legalen Einwanderung von Arbeitnehmern in jenen Branchen, in denen die Beschäftigung illegaler Einwanderer am häufigsten anzutreffen ist, Informations- und Aufklärungskampagnen durchgeführt und dadurch die Folgen der illegalen Beschäftigung aufgezeigt werden. Die Sanktionspolitik gegenüber den Arbeitgebern sollte einheitlich und unabhängig von der Staatsangehörigkeit der illegal beschäftigten Person sein. Die geplante Richtlinie sollte also Teil eines größeren mit Maßnahmenpakets zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung — auch der Beschäftigung illegaler Einwanderer — koordiniert werden sein, und nicht das grundlegende politische Instrument, wie es die Kommission vorschlägt.“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 64 Nein-Stimmen: 101 Stimmenthaltungen: 9

Ziffer 5.3

Wie folgt ändern:

„Die legale Migration zwischen den Mitgliedstaaten und die Einwanderung aus Drittstaaten sind auf EU-Ebene dringend zu regulieren. Einwanderungsbeschränkungen in den Mitgliedstaaten haben Probleme verursacht, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen einigen Mitgliedstaaten verhindert und dazu geführt, dass einige Drittstaatsangehörige — aber auch EU-Bürger — im Widerspruch zum geltenden Recht beschäftigt und ausgebeutet wurden. Bei der Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung in der EU und in den Mitgliedstaaten sollten alle, die einer solchen Beschäftigung nachgehen, vollkommen gleich behandelt werden, unabhängig davon, ob es sich um EU-Bürger oder Drittstaatsangehörige handelt. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die rechtlichen Grundlagen des Richtlinienvorschlags dahingehend auszuweiten, dass zur Bekämpfung illegaler Arbeit Maßnahmen gegen alle ergriffen werden können, die ohne Erlaubnis oder entsprechende Dokumente einer Erwerbstätigkeit nachgehen stehen nun auf der Tagesordnung der Kommission und der Sozialpartner; das Vorgehen gegen diese negativen Phänomene wird zur Zeit erörtert. Der Ausschuss empfiehlt, die Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration und der illegalen Beschäftigung eng aufeinander abzustimmen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 56 Nein-Stimmen: 102 Stimmenthaltungen: 10

Ziffer 6.6

Text wie folgt hinzufügen:

„Artikel 7

‚Es sollte auch erwähnt werden, dass die Zahlungsverpflichtung von dem Tag an Gültigkeit hat, an dem sie eingereicht wurde, und nicht erst, wenn sie rechtskräftig wird.

Die Ansprüche der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag sollten unabhängig davon bestehen bleiben, ob der betreffende Arbeitnehmer über eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis verfügt.

Schwierigkeiten bei der Durchführung könnten auftreten, wenn ausstehende Gelder an einen Beschäftigten zu zahlen sind, der bereits in seine Heimat zurückgekehrt ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Zahlung an die richtige Person erfolgt.

Außerdem sollte festgelegt werden, dass der Arbeitgeber die ausstehenden Zahlungen unter Berücksichtigung aller Gesetze, Rechtsvorschriften, Verwaltungsentscheidungen bzw. der Tarifverträge berechnen muss, die normalerweise für eine solche Beschäftigung gelten.

In den meisten Mitgliedstaaten müssen die Arbeitnehmer aus EU-Staaten bei den zuständigen Behörden Beschwerde erheben, um die Zahlung von Außenständen einzufordern. Mit der Bestimmung in Artikel 7 Absatz 2) Buchstabe a), der zufolge die illegal Beschäftigten keine Klage erheben müssen, um die erforderlichen Verfahren zur Begleichung dieser Außenstände in Gang zu setzen, würde daher eine nicht gerechtfertigte Unterscheidung zwischen diesen Drittstaatsangehörigen und anderen Beschäftigten aus der EU oder legal beschäftigten Drittstaatsangehörigen herbeigeführt.

Gleichwohl ist der Ausschuss der Überzeugung, dass die Mitgliedstaaten den Drittstaatsangehörigen ohne legalen Aufenthalt jede Unterstützung garantieren müssen, die diese benötigen, um ihre ausstehenden Vergütungen einzufordern, und dass der Artikel eine entsprechende Garantie ausdrücklich vorsehen sollte.

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die durch Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b) eingeführte Vermutung über die (in diesem Falle sechsmonatige) Dauer eines Arbeitsverhältnisses schon als solche ein neuer, wichtiger oder möglicherweise entscheidender ‚Pull-Faktor‘ für die illegale Einwanderung in die EU sein kann, da sie den Drittstaatsangehörigen ohne legalen Aufenthalt eine im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern sehr vorteilhafte Position verschafft. Darüber hinaus handelt es sich um eine Lösung, die für Arbeitsverhältnisse von kurzer oder sehr kurzer Dauer (z.B. Saisonarbeit in der Landwirtschaft) offenkundig unangemessen ist.‘“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 59 Nein-Stimmen: 111 Stimmenthaltungen: 11

Ziffer 6.8

Wie folgt ergänzen:

Artikel 9 legt die Verantwortlichkeit des Hauptauftragnehmers und der etwaigen zwischengeschalteten Unterauftragnehmer für die Zahlung von Sanktionen bzw. Nachzahlungen fest. In diesem Zusammenhang sollte geklärt werden, in welchen Fällen diese Verantwortung besteht und in welchen nicht. Der Hauptauftragnehmer und die Unterauftragnehmer, die nicht direkt Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen, sollten nur dann gesamtschuldnerisch für die in Artikel 6 und 7 genannten Sanktionen aufkommen, wenn ihnen nachgewiesen werden kann, dass sie von der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen ohne legalen Aufenthalt durch ihren Unterauftragnehmer Kenntnis hatten. In einigen Branchen mit langen Subunternehmerketten, z.B. in der Automobilherstellung, wäre es schwer umzusetzen, Hersteller und Subunternehmer, die einzelne Teile an unterschiedlichen Orten und in verschiedenen Mitgliedstaaten usw. produzieren, gemeinsam in die Verantwortung zu nehmen. Gleiches gilt für die Baubranche. Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass ein Hauptauftragnehmer die Möglichkeit haben sollte, durch angemessene Vorsichtsmaßnahmen von jeglicher Verantwortung entbunden zu werden.“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 57 Nein-Stimmen: 106 Stimmenthaltungen: 8

Ziffer 6.9

Wie folgt streichen:

„Artikel 10:

In diesem Artikel wird festgestellt, dass gemäß Artikel 3 eine Straftat vorliegt, wenn die Zuwiderhandlung ‚vorsätzlich‘ begangen wurde. Da dies allerdings schwer nachzuweisen ist, könnte die Straftat so definiert werden, dass der Arbeitgeber über sie Bescheid ‚wusste‘ oder ‚hätte wissen können‘.

Verstöße, wie sie in Absatz 1a) beschrieben werden, sollten bei jeder Wiederholung eines Verstoßes im Sinne von Artikel 3 als Straftat gewertet werden.

Im Falle einer Zuwiderhandlung, die — wie in Absatz 1a) dieses Artikels beschrieben — als Straftat anzusehen ist, sollte bedacht werden, dass der juristische Entscheidungsprozess mitunter langwierig sein kann. Es könnte leicht sein, dass die Bestimmung überhaupt keine Anwendung findet, wenn die Mitgliedstaaten entscheiden, durch ein Gericht oder eine nationale Behörde in einer Zeitspanne von zwei Jahren feststellen zu lassen, ob es sich um eine Zuwiderhandlung handelt. Da derartige Prozesse sehr langwierig sein können und stets Rechtsmittel gegen das Urteil möglich sind, besteht die Gefahr, dass die Bestimmung nur auf dem Papier existiert.

Bei der Umsetzung dieses Artikels in den Mitgliedstaaten ist es notwendig, eine klare Trennung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungseinrichtungen, die Sanktionen verhängen, und den im Einzelnen zuständigen Gerichten vorzunehmen, damit keine Kompetenzstreitigkeiten entstehen.“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 66 Nein-Stimmen: 100 Stimmenthaltungen: 10

Ziffer 6.11

Wortlaut wie folgt ändern:

„Artikel 15

Die Wirkung der vorgeschlagenen Bestimmung, nach der die Mitgliedstaaten jährlich in mindestens 10 % der Unternehmen Inspektionen durchführen müssen, ist zu begrüßen, wobei die Wirkung der vorgeschlagenen Richtlinie wird von der tatsächlichen Umsetzung dieser Bestimmung abhängent. Die Mitgliedstaaten müssen die zu inspizierenden Unternehmen auf der Grundlage einer Risikobewertung auswählen, in der neben weiteren geeigneten und spezifischen Kriterien untersucht werden muss, inwieweit der Wirtschaftssektor für die Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen ohne legalen Aufenthalt anfällig ist und ob die betreffenden Unternehmen in dieser Hinsicht bereits einschlägig bekannt sind. Der Artikel sollte diese qualitativen Kriterien widerspiegeln, und es sollte in ihm festgestellt werden, dass es wünschenswert wäre, dass die Mitgliedstaaten die jährliche Inspektion von mindestens 3 % der entsprechend ausgewählten Unternehmen sicherstellen. In den meisten Mitgliedstaaten wird kann es hierfür notwendig sein, zusätzliches Personal einzustellen und die Finanzmittel zu erhöhen. Wenn dies nicht geschieht, würden Ohne dies können die zusätzlichen Verpflichtungen zweifellos zu einer Ungleichbehandlung der Betroffenen führen.“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 65 Nein-Stimmen: 105 Stimmenthaltungen: 8


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/77


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem“

KOM(2007) 301 endg.

(2008/C 204/17)

Die Kommission beschloss am 6. Juni 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen

„Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Februar 2008 an. Berichterstatterin war Frau LE NOUAIL-MARLIÈRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 118 gegen 1 Stimme bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung zu der Konsultation „Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem“

1.1

Die Rechtsgrundlage für das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden Titel IV „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr“ des Vertrags von Amsterdam (1999) sowie die Beschlüsse des Rates von Tampere/Finnland (1999) und in der Folge jene des Rates von Den Haag. Außerdem ist in diesem Zusammenhang auf die „operativen“ Grundlagen zu verweisen, nämlich die Verordnungen Dublin-I aus dem Jahr 1997 und Dublin-II aus dem Jahr 2003 (2006 in Kraft getreten) sowie das erste Schengenabkommen aus dem Jahr 1985, das 2007 auf einige neue Mitgliedstaaten ausgeweitet wurde. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das ursprüngliche Ziel darin bestand, unionsweit für eine einheitliche Übernahme und Umsetzung der vom Großteil der Mitgliedstaaten ratifizierten Genfer Konvention aus dem Jahr 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge zu sorgen und zu gewährleisten, dass Schutzbedürftigen tatsächlich der entsprechende internationale Schutz gewährt wird. Dahinter steht der Wunsch, innerhalb der Europäischen Union einen einheitlichen Flüchtlingsschutz sicherzustellen, der sich auf die vollständige und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die von sämtlichen EU-Mitgliedstaaten getragenen humanitären Werten gründet. In dem Aktionsplan zur Umsetzung des Haager Programms ist vorgesehen, dass der Vorschlag zur Schaffung eines gemeinsamen Asylsystems bis spätestens Ende 2010 angenommen wird.

1.2

Im Hinblick auf die Einleitung der zweiten Phase hat die Kommission im Vorfeld der für Juli 2008 geplanten Veröffentlichung des Aktionsplans mit der Vorlage ihres Grünbuchs eine breit angelegte Konsultation eingeleitet, die die unterschiedlichen Möglichkeiten aufzeigen soll, die der derzeitige gemeinschaftliche Rechtsrahmen bietet.

1.3

Die Ziele des Tampere-Programms, die später im Haager Programm fortgeschrieben wurden, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Schaffung eines gemeinsamen Asylverfahrens, eines einheitlichen Schutzstatus und eines homogenen Rahmens sowie Gewährleistung eines in allen EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen hohen Schutzniveaus zur Sicherstellung der einheitlichen Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention.

1.4

Im Zuge der ersten Phase wurden in den Jahren 1999 bis 2006 die vier wichtigsten Rechtsinstrumente geschaffen und damit der Grundstein für ein gemeinsames europäisches Asylsystem gelegt. Die Kommission trägt dafür Sorge, dass die bereits verabschiedeten Regelungen fristgerecht umgesetzt und angewandt werden.

1.5

Obgleich die Bewertung der im Rahmen der ersten Phase geschaffenen Instrumente noch nicht abgeschlossen ist, hält es die Kommission im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Vorschläge für die zweite Phase so frühzeitig vorzulegen, dass eine Verabschiedung 2010 möglich ist, für notwendig, bereits jetzt Überlegungen zur Gestaltung eines künftigen gemeinsamen Asylsystems anzustellen und eine Debatte darüber zu führen.

1.6

Darüber hinaus macht es sich die Kommission zum Ziel, mehr Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu schaffen, die Kapazitäten der beteiligten Akteure auszubauen, die Qualität des Prozesses insgesamt zu verbessern, den derzeitigen Schwachstellen abzuhelfen und die gegenwärtig angewandten Verfahren mit Hilfe von Begleitmaßnahmen im Bereich der praktischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu harmonisieren.

1.7

Die Kommission hat das vorliegende Grünbuch in vier Abschnitte — Rechtsinstrumente/Durchführung; Begleitmaßnahmen, Solidarität und Lastenteilung; externe Dimension der Asylproblematik — gegliedert, zu denen sie insgesamt 35 Fragen stellt.

2.   Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen

2.1

Der Ausschuss, unter Berücksichtigung seiner (zahlreichen) früheren Stellungnahmen zu diesem Thema sowie eingedenk der Empfehlungen von Flüchtlingshilfsorganisationen und der an den portugiesischen und den slowenischen Ratsvorsitz gerichteten Bemerkungen des UNHCR (1),

2.2

weist darauf hin, dass bei der Behandlung von Asylfragen im Rat bereits jetzt eine qualifizierte Mehrheit genügt, wohingegen für Fragen im Zusammenhang mit dem Thema Einwanderung nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzips gilt; im Rahmen des Vertrags von Lissabon sollte daher auch in diesem Bereich zum Abstimmungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit übergegangen werden. Außerdem empfiehlt der Ausschuss der Kommission und dem Rat, bei der Schaffung eines gemeinsamen Verfahrens darauf zu achten, dass nationale Ausnahmeregelungen („Opt-out“), die von bestimmten Mitgliedstaaten häufig genutzt werden, ausgeschlossen bzw. tunlichst vermieden werden;

2.3

befürwortet die Schaffung eines gerechten Asylsystems, d.h. eines Systems mit menschlichem Antlitz, bei dem der Schutz von Asylwerbern als wichtiges Ziel eines europäischen Integrationsprozesses gilt, der auch auf die Gewährleistung eines entsprechenden Niveaus an Sozialschutz ausgerichtet ist. Er weist darauf hin, dass die Ziele im sozialen Bereich weder im Widerspruch zu den Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen der Bevölkerung in den Aufnahmeländern noch zu jenen der Mitgliedstaaten stehen und diese in keiner Weise berühren;

2.4

fordert nachdrücklich, die erforderlichen Voraussetzungen für die Einhaltung der einschlägigen internationalen Abkommen sowie der entsprechend den internationalen Rechtsnormen, des humanitären Völkerrechts und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarates erlassenen EU-Richtlinien zu schaffen, die Verantwortung besser unter den einzelnen Mitgliedstaaten aufzuteilen, für eine rasche Wiederansiedlung und Integration von Personen zu sorgen, denen Flüchtlingsstatus bzw. subsidiärer Schutz gewährt wurde und eine ehrliche, auf Kooperation und Entwicklungszusammenarbeit ausgerichtete Politik zu führen, die zur Demokratisierung bestimmter Drittstaaten und zu mehr internationaler Solidarität in Asylfragen beiträgt;

2.5

zu diesem Zweck empfiehlt er folgende Maßnahmen, die seiner Auffassung nach nur als Gesamtpaket sinnvoll sind und sich wechselseitig ergänzen:

2.5.1

Personen, die internationalen Schutzes bedürfen, muss unabhängig von einer Verstärkung der Kontrollmaßnahmen stets die Einreise in das Hoheitsgebiet der EU gewährt werden, damit zumindest das Recht, einen Asylantrag zu stellen, unabhängig von der dafür gewählten Form, sowie das Recht auf Zugang zu einem fairen und effizienten Verfahren gewahrt ist;

2.5.2

Anträge auf Gewährung des Flüchtlingsstatus sind auch dann stets zu prüfen, wenn sie an der Grenze gestellt werden, und die entsprechende Entscheidung ist von der zuständigen Behörde schriftlich zu begründen, bevor die Gewährung subsidiären Schutzes in Erwägung gezogen wird;

2.5.3

Asylbewerber müssen frei wählen können, bei welchem Land sie einen Asylantrag stellen;

2.5.4

unbegleiteten Minderjährigen und Frauen sowie schutzbedürftigen Personen (2), also Asylbewerbern, die physisch, psychisch bzw. geistig benachteiligt sind und besonderer Betreuung bedürfen, wie z.B. Schwangere, Kinder, ältere Menschen, Kranke, Behinderte usw., ist besonderer Schutz zu gewähren;

2.5.5

die besonderen Formen der Verfolgung, denen Frauen manchmal zum Opfer fallen, müssen berücksichtigt, auf individueller Basis bewertet und unabhängig von den Personen, die sie begleiten oder von denen sie begleitet werden (minderjährige Kinder bzw. Ehegatte, Verwandte oder andere), als Gründe auf einen Anspruch für die Gewährung von Schutz anerkannt werden (3);

2.5.6

der Antrag eines jeden Asylwerbers muss eingehend und einzeln geprüft werden, außerdem müssen ein Dolmetscher sowie ein kostenloser Rechtsbeistand gestellt und eine ausreichend lange Frist für die Antragsstellung vorgesehen werden;

2.5.7

die grundlegenden Prinzipien für die Durchführung eines Asylverfahrens sind bei der Bearbeitung aller Asylanträge einzuhalten, und zwar auch bei solchen, die offensichtlich unbegründet sind;

2.5.8

wird gegen die Ablehnung eines Antrags auf Gewährung des Flüchtlingsstatus bzw. subsidiären Schutzes ein Rechtsbehelf eingelegt, so muss dieser immer aufschiebende Wirkung im Hinblick auf eine Abschiebung haben; dies gilt insbesondere für Personen, deren Leben bzw. Freiheit im Falle einer Abschiebung in ein anderes Land bedroht wäre;

2.5.9

Flüchtlingen muss die Integration und eine Wiederansiedlung unter normalen und menschenwürdigen Bedingungen ermöglicht werden, indem so früh wie möglich nach ihrem Eintreffen im Aufnahmeland in Absprache mit ihnen selbst die für ein selbständiges Leben erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden: Zugang zu Gesundheitsversorgung, Hilfe beim Einleben und dem Erlernen der Landessprache, Kontakte zu Flüchtlingsorganisationen und der lokalen Bevölkerung, Bildungsmaßnahmen einschließlich Prüfung und Anerkennung von Qualifikationen, Zugang zum offiziellen Arbeitsmarkt usw.;

2.6

empfiehlt, NGO und Organisationen, die juristische, materielle bzw. humanitäre Hilfe für Flüchtlinge leisten, jederzeit Zutritt zu Gewahrsamseinrichtungen und Haftanstalten zu gewähren, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um offene oder geschlossene Einrichtungen handelt. Im Zusammenhang mit Modellen für die Wiederansiedlung anerkannter Flüchtlinge weist der Ausschuss im Hinblick auf eine Lastenteilung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten ferner auf seine in der Stellungnahme CESE 1643/2004 vom 15. Dezember 2004 und insbesondere in Ziffer 2.4 erhobene Forderung hin, wonach „[…] die Voraussetzungen für die Anwesenheit nichtstaatlicher Organisationen oder Flüchtlingshilfsorganisationen in den Aufnahmezentren verbessert werden müssen, indem Partnerschaftsabkommen mit den Behörden des Aufnahmelandes ausgehandelt oder zumindest die Rechte solcher Organisationen geklärt werden“;

2.6.1

diese Standards zur Gewährleistung menschenwürdiger Aufnahmebedingungen sollten für alle Asylsuchenden gelten, die Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsstatus bzw. subsidiären Schutzes haben;

2.6.2

alternativen Möglichkeiten (Unterbringung in offenen Zentren) ist der Vorzug gegenüber der systematischen Gewahrsamnahme von Asylsuchenden in hermetisch abgeriegelten Zentren zu geben, zu denen NGO und in manchen Fällen selbst das Rote Kreuz der Zutritt verwehrt ist;

2.7

rät von der Verwendung von Listen so genannter sicherer Drittstaaten ab (Einhaltung des in der Genfer Flüchtlingskonvention garantierten Rechts auf individuelle Prüfung des Asylantrags) und empfiehlt, die Anerkennung als sichere Herkunfts- oder Durchreisedrittstaaten von Ländern, die Asylbewerbern weder das Recht auf Prüfung ihrer individuellen Situation noch die sich daraus ergebenden Rechte einräumen, nochmalig zu überprüfen (4);

2.8

falls jedoch Listen von als „sicher“ geltenden Ländern beibehalten werden, sollten diese nach Auffassung des Ausschusses für alle Mitgliedstaaten in gleicher Form gelten und von den nationalen Parlamenten sowie vom Europäischen Parlament bestätigt werden, wobei die einschlägigen NGO gebührend einzubeziehen und deren Informationen zu berücksichtigen sind, wobei diese Listen nach Auffassung des Ausschusses vorläufig nicht mehr eingesetzt werden sollten;

2.9

empfiehlt ferner, die Küstenwache, Ordnungskräfte sowie öffentliche und private Leistungsträger, die in den einzelnen Phasen des Asylverfahrens Kontakt zu den Asylsuchenden haben (Polizei, Zoll, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung), in Sachen Asylrecht und humanitäres Völkerrecht zu schulen;

2.10

bekräftigt erneut seine Empfehlung, die Leistungen gebührend zu berücksichtigen, die von den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften im Bereich der Erstbetreuung und der dauerhaften Integration von Asylsuchenden erbracht werden, denen der Flüchtlingsstatus oder eine andere Form internationalen Schutzes gewährt wird, und die Gebietskörperschaften daher umfassend in die Erarbeitung einer gemeinsamen Asylpolitik einzubeziehen. Außerdem sollte die Ausschöpfung und die Zuweisung der Mittel aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF) wie nachstehend erläutert beibehalten bzw. präzisiert werden;

2.11

befürwortet die Errichtung einer europäischen Unterstützungsagentur für die Mitgliedstaaten unter der Voraussetzung, dass sie die Arbeit der regionalen bzw. lokalen Außenstellen des UNHCR ergänzt und zur Erreichung der Zielvorgaben beiträgt, d.h. erstens, zur Verbesserung der Qualität und der Einheitlichkeit der Asylentscheidungen, damit Personen, die internationalen Schutzes bedürfen, dieser Schutz unabhängig davon, in welchem EU-Mitgliedstaat sie ihren Asylantrag stellen, auch tatsächlich gewährt wird, und, zweitens, zur laufenden Überprüfung des EU-Rechts auf die vollständige Übereinstimmung mit den internationalen Asylrechtsbestimmungen und dem humanitären Völkerrecht. Diese Unterstützungsagentur könnte in Zusammenarbeit mit dem UNHCR, der bislang dafür verantwortlich bzw. daran beteiligt war, Schulungen für Grenzschutzbeamte organisieren (seit der Erweiterung der Schengenzone vor allem, aber nicht ausschließlich an den EU-Ostgrenzen — Ungarn, Polen, Slowakei, Slowenien), damit diese zwischen Flüchtlingen und anderen Migranten unterscheiden können;

2.12

ist der Auffassung, dass die Maßnahmen zur Kontrolle der Einwanderung nicht zu Verletzungen der Grundrechte und insbesondere des aufgrund von Verfolgung zu gewährenden Rechts auf Asyl führen dürfen;

2.13

fordert einen nachdrücklichen Hinweis auf die bedingungslose Verpflichtung von Kapitänen, bei Aufgriffen und Rettungsaktionen auf See in Not geratenen Personen Hilfe zu leisten; außerdem sollte die Verantwortung der Kapitäne für das Anlanden aus Seenot geretteter Personen anerkannt, umgehend eine Prüfung der Asylanträge veranlasst und gegebenenfalls internationaler Schutz gewährt werden;

2.14

verweist im Zusammenhang mit der Debatte über die Schaffung eines unionsweit einheitlichen Asylverfahrens auf seine Stellungnahme 1644/2004 vom 15. Dezember 2004 und insbesondere auf seine Empfehlungen und Warnungen hinsichtlich der Gefahr einer im Zeitraum 2004/2008 drohenden Nivellierung nach unten, also im Zeitraum zwischen der Konsultation über ein einheitliches Asylverfahren und der Vorlage des Grünbuchs über eine gemeinsame Asylpolitik;

2.15

ruft den Mitgliedstaaten in Erinnerung, dass bei Verfahren unabhängig von ihrer Form (Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren) in sämtlichen Phasen die Gewährung des erforderlichen Schutzes und nicht etwa Anklage im Vordergrund stehen sollte;

2.16

empfiehlt der Kommission und dem Rat, bei der Mittelzuweisung und Ausschöpfung des Europäischen Flüchtlingsfonds für den Zeitraum 2008-2013, der innerhalb des generellen Programms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ eingerichtet wurde, nachvollziehbar und transparent vorzugehen, und empfiehlt, wie bereits in einer früheren Stellungnahme (5) geschehen, „in den Entscheidungen zur Einrichtung der verschiedenen Fonds konkrete Vorkehrungen zu treffen, um die nichtstaatlichen Akteure so früh wie möglich in den von den Mitgliedstaaten und der Kommission festzulegenden mehrjährigen Orientierungsrahmen einzubinden“;

2.17

empfiehlt ferner, dafür Sorge zu tragen, dass die finanziellen Anreize, die in Abhängigkeit von den — wie im Falle Schwedens oder auch Maltas und Zyperns (im Hinblick auf ihre Fläche und ihren Bevölkerungsanteil) erheblichen — Beiträgen der Mitgliedstaaten gewährt werden, nicht andere Mitgliedstaaten dazu veranlassen, sich teilweise aus ihrer Verantwortung und ihren Verpflichtungen im Bereich des Zugangs zum Hoheitsgebiet, der Prüfung von Asylanträgen, der Ansiedlung von Flüchtlingen im Hoheitsgebiet (Solidarität und Lastenteilung) oder außerhalb (Beitrag zu außerregionalen Bemühungen) zu stehlen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss begrüßt, dass die Öffentlichkeit im Rahmen des vorliegenden Grünbuchs zu dem künftigen Gemeinsamen Europäischen Asylsystem konsultiert wird. Er zeigt sich ferner erfreut darüber, dass die Kommission die Gelegenheit ergreift, um aufzuzeigen, wie die Mängel des einschlägigen EU-Rechts behoben und die Unterschiede zwischen den gesetzlichen Regelungen in Europa und der Handhabung in den einzelnen Mitgliedstaaten ausgeglichen werden können.

3.2

Er ermutigt die Kommission und den Rat, dafür Sorge zu tragen, dass die Debatte über das Grenzmanagement nicht zu einer Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl bzw. internationalen Schutz führt, und zwar sowohl im Hinblick auf die Maßnahmen an den Land-, Luft- und Seegrenzen als auch insbesondere das Aufgreifen und die Rettung auf See innerhalb oder außerhalb der Hoheitsgewässer der EU-Mitgliedstaaten.

3.3

Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus sowie insbesondere der Kriminalität und des Menschenhandels ruft der Ausschuss die Kommission und den Rat nachdrücklich auf sicherzustellen, dass sich globale Bedrohungsszenarien nicht negativ auf die Einstellung der Menschen zu Flüchtlingen und Asylsuchenden auswirken und die Unversehrtheit und die Definition des Rechts auf Asyl davon unberührt bleiben.

4.   Rechtsinstrumente

4.1   Rechtsinstrumente, Bearbeitung von Asylanträgen, nationale Ausnahmeregelungen

Laut Kommission, die sich dabei auf viele Berichte von NGO und des UNHCR stützt, werden in der „Asylverfahrensrichtlinie“ Verfahrensvorschriften festgelegt, die auf gemeinsamen Mindestkriterien beruhen und genügend Ermessensspielraum für nationale Anpassungen und Ausnahmeregelungen der Mitgliedstaaten lassen. Dies führt dazu, dass den in der EU Schutzsuchenden nicht in allen Ländern dieselben Garantien gewährt werden, vielmehr hängt das Schutzniveau davon ab, an welches Land sie sich wenden bzw. in manchen Ländern sogar von dem Ort, an dem der Asylantrag gestellt wird. Diese Varianzbreite hat auch zu der Konsequenz geführt, dass einige Länder nach und nach die Garantien für die Rechte der Asylsuchenden abgebaut haben, wie einige nationale Gesetzesnovellen beweisen.

Der Ausschuss befürwortet die angestrebte Errichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems, das in erster Linie gewährleisten soll, dass jeder Asylsuchende Zugang zu einem fairen und effizienten Verfahren hat. Gleichzeitig erscheint die Einführung eines gemeinsamen Verfahrens wohl kaum vereinbar mit nationalen Ausnahmeregelungen, von denen die Mitgliedstaaten reichlich Gebrauch machen. Der Ausschuss wird sehr aufmerksam beobachten, ob die einzelnen im „Aktionsplan“ der Kommission vorgeschlagenen Verfahren tatsächlich gemeinsamen Charakter haben. Er wird ferner sehr genau darauf achten, die Festlegung gemeinsamer Verfahrensregeln und gemeinsamer Kriterien nicht nach dem kleinsten gemeinsame Nenner im Hinblick auf den Flüchtlingsschutz erfolgt.

4.2   Sichere Herkunftsländer

Der Ausschuss zeigt sich besorgt wegen der Hindernisse, die dem Zugang zu einem fairen Verfahren für bestimmte Asylbewerber im Wege stehen, was gegen den Nichtdiskriminierungsgrundsatz der Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 3) verstößt.

Dies gilt für Personen, die aus Ländern bzw. Drittstaaten kommen, die als „sicher“ gelten, und deren Antrag im Rahmen einer schnellen Untersuchung oder eines „beschleunigten“ oder „prioritären“ Verfahrens ohne Anspruch auf Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung als „unbegründet“ eingestuft werden kann. Die Tatsache, dass es den Mitgliedstaaten nicht gelungen ist, sich auf eine gemeinsame Liste zu verständigen, schafft in der Praxis Ungleichheiten, insbesondere bei der Anwendung der Dublin-II-Verordnung: Der „zuständige Mitgliedstaat“ kann demzufolge den Antrag unter Verweis auf seine nationale Liste der sicheren Herkunftsländer als unzulässig erklären, auch wenn dieses Land nicht auf der Liste des Landes steht, das die Weiterleitung veranlasst hat.

Der Ausschuss empfiehlt den Mitgliedstaaten, umgehend eine einheitliche Liste aufzustellen.

Unter Bekräftigung der Tatsache, dass der „freie und uneingeschränkte Zugang zum Hoheitsgebiet wie auch zum Asylverfahren grundlegende Garantien (sind), um deren Verwirklichung sich die Mitgliedstaaten bemühen müssen“ (6), ist der Ausschuss ferner der Auffassung, dass der Begriff des sicheren Drittlandes „keinesfalls als Begründung für eine Antragsablehnung herangezogen werden“ darf (7), sondern in Anwendung der Genfer Konvention einer eingehenden Prüfung unterzogen werden muss. Der Ausschuss verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass aufgrund der Verpflichtung zur individuellen Prüfung der Schutz- und Asylanträge nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Land für jeden Einzelnen als sicher gelten oder eine Person nicht aufgrund ihres besonderen Status verfolgt werden kann (Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, Verfolgung durch eine oder mehrere nicht staatliche Stellen, u.a.).

Außerdem ist hervorzuheben, dass die geplante Regelung keine Garantie dafür bietet, dass dem Asylsuchenden in dem Land, in das er gegebenenfalls zurückgeschoben wird, tatsächlich ein wirksamer und dauerhafter Schutz gewährt wird.

4.3   Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung

In Anwendung der Grundsätze der Wirksamkeit und der Gleichheit dürfen die in diesem Zusammenhang getroffenen Entscheidungen nicht zum Verlust der Möglichkeit führen, vor einer Behörde oder einer unparteiischen oder unabhängigen Gerichtsinstanz einen Rechtsbehelf einzulegen. Da dieses Recht offenbar in einigen Mitgliedstaaten häufig restriktiv oder nur scheinbar gewährt wird, drängt der Ausschuss darauf, dass dieser Rechtsbehelf immer aufschiebende Wirkung haben muss, und ersucht die Kommission, dafür Sorge zu tragen.

4.4   Informationen über das Herkunftsland

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Prüfung eines Asylantrags auf zuverlässigen Daten über die realen Risiken in den Herkunftsländern basieren muss. In seiner Stellungnahme vom 26. April 2001 plädierte der Ausschuss dafür, dass diese „Informationen über die Lage in den Herkunftsländern der Asylbewerber und den Transitländern auch durch die als repräsentativ anerkannten Organisationen der Zivilgesellschaft vorgelegt werden können, die in dem betreffenden Mitgliedstaat, der den Asylantrag prüft, tätig sind“  (8).

Im Hinblick auf die Schaffung eines gemeinsamen Systems für alle Mitgliedstaaten vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass Qualität und Einheitlichkeit der Entscheidungen erster Instanz weitgehend von der Qualität und Einheitlichkeit der über die Herkunftsländer verfügbaren Informationen abhängen, auf die sich die Behörden oder Gerichte der Mitgliedstaaten beziehen.

4.5   Asyl an der Grenze

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Mitgliedstaaten dazu angehalten werden, den Zugang zu den Verfahren zu verbessern, zeigt sich jedoch besorgt über die dürftige Unterrichtung der Antragsteller über ihre Rechte und die ihnen gewährten Garantien.

Im Zusammenhang mit dem — entgegen der verzerrten Medienberichterstattung — stetigen Rückgang der in der EU gestellten Asylanträge (9) verweist der Ausschuss erneut darauf, dass es jedwedem Asylbewerber, unabhängig von seiner Lage und seinem Aufenthaltsort, möglich sein muss, eine tatsächliche Prüfung seines Antrags einzufordern und ihm zu diesem Zweck ein Dolmetscher und ein kostenfreier Rechtsbeistand beigestellt werden müssen und eine ausreichend lange Frist für die Einreichung des Antrags vorzusehen ist. Er weist ferner auf seinen Vorschlag hin, dass „dem Asylbewerber auch die Möglichkeit eingeräumt werden (muss), sich mit anerkannten Nichtregierungsorganisationen in Verbindung zu setzen, die sich die Wahrung und Förderung des Asylrechts zum Ziel gesetzt haben (10).

In diesem Sinne weist der Ausschuss auch auf seine Vorbehalte gegen die zu häufige Bewertung von Asylanträgen als „offensichtlich unbegründet“ durch die Mitgliedstaaten hin. Die Zahl der Fälle, in denen eine solche Einstufung vorgenommen wird, nimmt rapide zu, was auf die zu vage Formulierung von Artikel 23 Absatz 4 der Verfahrensrichtlinie zurückzuführen ist, sodass seines Erachtens eine Neudefinition dieses Begriffs erforderlich ist. In Übereinstimmung mit dem UNHCR bekräftigt er seinen Wunsch, „dass die wesentlichen Grundsätze für die Gewährleistung eines korrekten und gerechten Asylverfahrens für sämtliche und zwar auch für“ offensichtlich unbegründete„ Asylanträge gelten  (11).

Folglich nimmt der Ausschuss mit Interesse die von der Kommission vorgeschlagene „Stärkung der rechtlichen Garantien“ zur Kenntnis, „die für die entscheidende erste Phase der Grenzverfahren und insbesondere den Registrierungsprozess und die Sicherheitsüberprüfung gelten“.

4.6   Einheitliches Verfahren

Nach Ansicht der Kommission könnten „greifbare Fortschritte (...) auch dadurch erreicht werden, dass in das Gemeinsame Europäische Asylsystem ein einheitliches Verfahren für die Bearbeitung von Anträgen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf subsidiären Schutz als obligatorisches Element aufgenommen wird“ (12). Ersten Erfahrungen mit dem „einheitlichen Verfahren“ zufolge konnten die Wartezeiten bis zu der Entscheidung und somit die Zeit der Unsicherheit für den Asylbewerber tatsächlich beträchtlich verkürzt werden.

Ein solches Verfahren setzt voraus, dass sich der Antragsteller an eine zentrale „Anlaufstelle“ wendet und sich die Entscheidungsinstanz zunächst zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus im Sinne der Genfer Konvention und erst in einem zweiten, ergänzenden Schritt zum subsidiären Schutz äußert. Zu diesem Zweck müsste ein derartiges Verfahren überall anwendbar sein, auch bei an der Grenze gestellten Anträgen  (13).

Wie bereits in seiner Stellungnahme vom 29. Mai 2002 bekräftigt der Ausschuss indes erneut, dass „der subsidiäre Schutz kein Mittel sein kann, den durch den Flüchtlingsstatus verliehenen Schutz abzuschwächen (14). Gleichzeitig stellt er ebenso wie der UNHCR (15) fest, dass die Mitgliedstaaten offenbar sehr häufig subsidiären Schutz gewähren, ohne dass dies wirklich mit einer Entwicklung der Lage in den Herkunftsländern in Verbindung gebracht werden kann und vielfach ohne eine ausreichende Begründung in den Entscheidungen, wie sie den Asylsuchenden eigentlich zustehen würde.

4.7   Aufnahmebedingungen für Asylsuchende; Standards

Bei den Aufnahmebedingungen für Asylsuchende stellt der Ausschuss große Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten fest. Einige tendieren eher dazu, bei einer Harmonisierung restriktivere Rechtsvorschriften zu erlassen, wie die Einführung von „geografischen Auflagen (...)bei der Einreichung des Antrags und des Wohnorts“  (16), um die Attraktivität einiger Länder gegenüber anderen zu mindern.

Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die Existenz unterschiedlicher nationaler Bestimmungen Ursache für Sekundärströme ist; daraus lässt sich allerdings nicht schlussfolgern, dass deshalb die Rechte der Asylsuchenden entsprechend beschnitten werden müssen. Wenn in den Mitgliedstaaten gemeinsame Bestimmungen gelten und auch einheitlich zur Anwendung gebracht werden, erübrigt sich die Forderung nach einem über die notwendigen Anforderungen hinausgehenden Schutzniveau zum Ausgleich der Disparitäten.

4.8   Zugang zu Ausbildung und zum Arbeitsmarkt

Im Zusammenhang mit dem Zugang der Asylsuchenden zum Arbeitsmarkt werden in einigen Mitgliedstaaten im Wesentlichen zwei Gegenargumente ins Feld geführt: der Wunsch nach Handlungsspielraum, um der jeweiligen Arbeitsmarktsituation gerecht zu werden sowie die Tatsache, dass die Eingliederung in den Arbeitsmarkt nur vorläufig wäre, weil der Prozentsatz an abgelehnten Asylanträgen voraussichtlich hoch bleibt und die Prüfungsverfahren schneller werden.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass es trotz der angestrebten zügigeren Bearbeitung der Asylanträge in manchen Ländern aufgrund der Anzahl und der Art der von den Antragstellern eingereichten Dossiers zu langen Fristen für die Prüfung der Anträge kommen kann. Er gibt zu bedenken, dass die Mitgliedstaaten gemäß der „Aufnahmerichtlinie“ zwar dafür Sorge zu tragen haben, „dass die gewährten materiellen Aufnahmebedingungen einem Lebensstandard entsprechen, der die Gesundheit und den Lebensunterhalt der Asylbewerber gewährleistet“ (Artikel 13), die Integration von Flüchtlingen in den Aufnahmeländern aber von deren Chance abhängt, ein selbständiges Leben zu führen, und diese Integration umso erfolgreicher sein wird, je schneller nach dem Eintreffen im jeweiligen Aufnahmeland die für ein selbständiges Leben erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

In seiner Stellungnahme vom 28. November 2001 vertrat der Ausschuss die Auffassung, dass „der materielle und moralische Vorteil, den die Möglichkeit des Zugangs zum Arbeitsmarkt (Artikel 13) sowohl für den aufnehmenden Staat als auch für den Asylbewerber hat, (...) auf der Hand“ (17) liegt. Er bekräftigt diesen Standpunkt und betont nachdrücklich, dass den Asylbewerbern insbesondere eine Ausbildung, der Spracherwerb und der Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt werden muss.

Die Tatsache, dass einige Asylsuchende nicht auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates bleiben können, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde, ist kein schlagkräftiges Argument gegen Maßnahmen zur Stärkung der Selbständigkeit von Asylbewerbern, die „die beste Voraussetzung für einen erfolgreichen Integrationsprozess oder für eine erfolgreiche Rückkehr in die Herkunftsländer“  (18) sind. Hingegen deutet alles darauf hin, dass die Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt der Schwarzarbeit Vorschub leistet.

Der Ausschuss teilt den Standpunkt der Kommission, dass diese Standards für eine menschenwürdige Aufnahme unterschiedslos für jeden Asylsuchenden gelten könnten, unabhängig davon, ob ihm der Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz gewährt wird.

4.9   Gewahrsam

Der Ausschuss bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten dazu übergegangen ist, Asylbewerber in „geschlossenen Zentren“ unterzubringen, die mehr an Gewahrsam als an Aufnahme denken lassen.

Der Ausschuss schließt sich den Empfehlungen des Europarates an und bekräftigt seinen bereits formulierten Standpunkt, dass der Gewahrsam von Asylbewerbern nur ausnahmsweise und nur so lange wie unbedingt erforderlich vorzusehen ist  (19) . Alternativen Lösungen sind hier zu bevorzugen  (20).

In jedem Fall darf der in Gewahrsam genommene Asylbewerber nicht als „Krimineller“ behandelt werden und muss, ebenso wie jeder andere Asylbewerber auch, Zugang zu kostenlosem, unparteiischem und qualifiziertem rechtlichen Beistand haben. NGO müssen die Möglichkeit haben, den Asylsuchenden mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. „Schutzbedürftigen“ Personen (21), wie Minderjährigen und insbesondere unbegleiteten Minderjährigen, muss besonderer Schutz gewährt werden.

Die besonderen Formen der Verfolgung, denen Frauen manchmal zum Opfer fallen, müssen berücksichtigt, auf individueller Basis bewertet und unabhängig von den Personen, die sie begleiten oder von denen sie begleitet werden (minderjährige Kinder bzw. Ehegatte, Verwandte oder anderes.), als Gründe für einen Anspruch auf die Zuerkennung persönlichen Schutzes anerkannt werden.

Der Ausschuss ist ferner der Ansicht, dass diese „geschlossenen Zentren“ in regelmäßigen Abständen vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) inspiziert werden müssten.

4.10   Zuerkennung des Schutzes

Ungeschützte und nicht abschiebbare Personen

Die Kommission strebt die Harmonisierung des Status von Personen an, die aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können, obwohl ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Hierbei geht es um die Anwendung der im Rahmen der internationalen Instrumente zum Schutz von Flüchtlings- bzw. Menschenrechten festgelegten Grundsätze in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Die Mitgliedstaaten gehen hier unterschiedlich vor, und der Ausschuss hält es für erforderlich, die Grundlagen eines derartigen Status eingehend zu definieren und für das gesamte EU-Gebiet zu vereinheitlichen. Besonders inakzeptabel ist, dass es in einigen Mitgliedstaaten Personen „ohne Status“ gibt — also ohne Aufenthaltsgenehmigung, aber auch nicht abschiebbar -, die sich in einer rechtlich, sozial und wirtschaftlich prekären Lage befinden, die mit der Achtung der Menschenwürde unvereinbar ist, was mittlerweile zum Prüfstein für Abschiebungen illegaler Einwanderer geworden ist. Ohne die Komplexität der Frage herunterspielen zu wollen, ist der Ausschuss der Ansicht, dass es in derartigen Situationen möglich sein sollte, eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung samt Arbeitserlaubnis zu gewähren.

4.11   Solidarität und Lastenteilung

Geteilte Verantwortung — Das Dubliner System

In seiner am 12. Juli 2001 verabschiedeten Stellungnahme zu einem „gemeinsamen Asylverfahren“ und einem „einheitlichen Status“ (22) äußerte sich der Ausschuss zur Umsetzung des Dubliner Übereinkommens. Dabei stellte er fest, dass dieser Mechanismus mehr Probleme schafft als löst, die daraus resultierenden Kosten in keinem Verhältnis zu den Ergebnissen stehen und auch nicht verhindert wird, dass Asylbewerber vor ihrer Überstellung in das Land der Ersteinreise untertauchen.

Der Ausschuss bekräftigt erneut, dass es dem Dublin-System (Verordnung und EURODAC) zu verdanken ist, dass die Frage der Behandlung von Asylanträgen auf EU-Ebene aufgeworfen wurde. Er stellt aber auch fest, dass dieses System, dessen „vorrangiges Ziel (darin) bestand, (...) rasch festzulegen, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines im Gebiet der EU eingereichten Asylantrags zuständig ist“, das sich daraus ableitende Ziel nicht erreicht hat, nämlich „Sekundärbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten vorzubeugen (23), und es für einige Mitgliedstaaten, insbesondere jene mit EU-Außengrenzen, eine zusätzliche und mitunter sehr große Belastung zur Folge gehabt hat.

Im Übrigen ist nach einer Bewertungsstudie der Kommission (24) die Überstellungsquote zwischen bestimmten Ländern mehr oder weniger ausgeglichen, sodass sogar geprüft werden könnten, „ob den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden kann, bilaterale Vereinbarungen zur 'Annullierung' des Austauschs einer gleichen Zahl von Asylbewerbern unter genau festgelegten Bedingungen zu schließen“  (25). Die Registrierung der digitalen Fingerabdrücke von Asylbewerbern in EURODAC dürfte ausreichen, um das Asyl-Shopping und die Praxis von Mehrfachanträgen weiter zu reduzieren.

Der Ausschuss stellt somit fest, dass die Folgen der Anwendung des Dublin-Systems für die Betroffenen in keinem Verhältnis zu den auf technischer Ebene angestrebten Zielen stehen. Seines Erachtens werden gemeinsame Bestimmungen die eine Minimierung der Unterschiede bei der Bearbeitung der Anträge durch die einzelnen Mitgliedstaaten gewährleisten, voraussichtlich dazu führen, dass dieses Kriterium weniger maßgebend für die Wahl des Landes ist, in dem ein Asylbewerber seinen Antrag einreicht, wohingegen kulturelle und soziale Erwägungen auch weiterhin eine wichtige Rolle bei der Integration eines Flüchtlings im Aufnahmeland spielen werden.

Wie bereits in seinen früheren Stellungnahmen (26) plädiert der Ausschuss daher dafür, dass der Asylbewerber für die Einreichung seines Antrags das Land frei wählen kann und die Mitgliedstaaten in diesem Sinne ersucht werden sollten, die in Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung vorgesehene humanitäre Klausel umgehend zur Anwendung zu bringen. Da anerkannte Flüchtlinge berechtigt sind, das Land, das ihnen den Flüchtlingsstatus gewährt hat, zu verlassen und sich in einem anderen Land anzusiedeln, hieße das in der Praxis lediglich, die Wahrnehmung dieses Rechts zu einem früheren Zeitpunkt zu ermöglichen.

In jedem Fall sollte die Verordnung nach Ansicht des Ausschusses nicht auf unbegleitete Minderjährige Anwendung finden, es sei denn, dies würde sich als die beste Lösung zum Wohle des Kindes erweisen.

4.12   Finanzielle Solidarität

Im Zuge einer entsprechenden Reform des Dublin-Systems sollte die Last der Mitgliedstaaten, die derzeit die ersten Anlaufstellen der Asylbewerber sind, erheblich vermindert werden. Gleichwohl gibt es große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anzahl der registrierten Anträge. Ein wirksamer Mechanismus für die Lastenteilung scheint somit notwendig, um jene zu unterstützen, die die meisten Anträge verzeichnen.

Eine Teillösung könnte auch in der so genannten internen Wiederansiedlung (innerhalb der Europäischen Union) bestehen, die aber weder die Regel noch die einzige Möglichkeit darstellen darf. Insbesondere sollten Wiederansiedlungen nie ohne die ausdrückliche und in voller Kenntnis der Sachlage gegebene Zustimmung des betroffenen Flüchtlings und ohne Gewähr durchgeführt werden, dass dabei auf die erfolgreiche Integration des Flüchtlings im neuen Aufnahmeland Wert gelegt wird.

4.13   Externe Dimension der Asylproblematik

Unterstützung der Drittländer bei der Erhöhung des Schutzes — regionale Schutzprogramme

Unter Hinweis auf die Erfahrungen mit regionalen Schutzprogrammen, mit deren Hilfe Flüchtlinge in ihren Herkunftsregionen bzw. in den Transitländern geschützt werden sollen, äußert die Kommission die Absicht, diese Programme auszubauen und langfristig weiterzuführen. Dies entspricht auch den Hauptzielvorgaben des Haager Programms.

Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich sämtliche Initiativen, die auf eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Drittstaaten abzielen, kann aber nicht umhin, nach der Zweckmäßigkeit von Aufnahmezentren in Ländern zu fragen, die wie die seit Kurzem unabhängigen Staaten (Ukraine, Republik Moldau, Weißrussland) offensichtlich weit davon entfernt sein dürften, die erforderlichen Bedingungen für die Aufnahme von Asylsuchenden zu erfüllen. Er befürchtet daher, dass diese Programme weniger darauf abstellen, Flüchtlingen zu helfen als sie davon abzuhalten, an den EU-Grenzen vorstellig zu werden.

Wie schon die Parlamentarische Versammlung des Europarates (27), weist auch der EWSA darauf hin, dass derartige Zentren, sollte ihre Errichtung fortgesetzt werden, „zunächst innerhalb der Europäischen Union angesiedelt werden sollten, bevor Projekte außerhalb der EU bzw. Europas ins Auge gefasst werden können“ . Der Ausschuss weist nachdrücklich darauf hin, dass Länder, die die Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 nicht ratifiziert haben, von der Teilnahme an solchen Programmen auszuschließen sind. Die Unterstützung einzelner Drittstaaten, die mit mehr oder weniger starken Migrationsströmen konfrontiert sind, durch die EU bewertet er hingegen positiv.

4.14   Gemischte Migrationsströme an den Außengrenzen

Der Ausschuss weist darauf hin, dass er bereits in seiner Stellungnahme zu Frontex betont hat, die wirksame Kontrolle der Außengrenzen dürfe das Recht auf Asyl nicht berühren. In diesem Zusammenhang hob er auch hervor, dass „(...) (ferner) die Koordinierung der Rettungsdienste (vor allem der Seerettungsdienste) (Aufgabe der Agentur ) sein (sollte), um präventiv tätig zu werden oder denjenigen zu helfen, die einen risikoreichen illegalen Einwanderungsweg gewählt haben und sich in akuter Gefahr befinden“  (28)und forderte, dass die Ausbildungsprogramme für Grenzschutzbeamte auch Kurse zu Menschrechtsfragen umfassen sollten.

Was den Aufgriff von Flüchtlingen auf See betrifft, weist der Ausschuss darauf hin, dass es keinerlei Verfahren zur Prüfung von Anträgen auf Einreise in das Hoheitsgebiet bzw. von Asylanträgen gibt. Er fordert daher die Bereitstellung der für die Anwendung solcher Verfahren erforderlichen Mittel, damit Asylanträge möglichst nah am Ort des Aufgriffs entgegengenommen werden können.

4.15   Die Rolle der EU als „Global Player“ in Flüchtlingsfragen

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die EU bei der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems dafür Sorge tragen sollte, dass dieses System ein Vorbild für andere Staaten wird, indem sie einen beispielhaften Beitrag zum internationalen Flüchtlingsschutz leistet, die vollständige Übereinstimmung des EU-Rechts mit dem internationalen Asylrecht und dem humanitärem Völkerrecht sicherstellt und ihren diesbezüglichen Verpflichtungen nachkommt.

4.16   Kontrollinstrumente

Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission ihn um Stellungnahme zu dem künftigen gemeinsamen europäischen Asylsystem ersucht, obwohl noch nicht alle Instrumente und Initiativen der ersten Phase bewertet und die einschlägigen Richtlinien noch nicht von allen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wurden. Damit der auf 2010 festgelegte Zeitrahmen eingehalten werden kann, schlägt er vor, Mechanismen vorzusehen, mit deren Hilfe die aufgrund der Evaluierung auf einzelstaatlicher Ebene erforderlichen Anpassungen vorgenommen werden können. Außerdem sollte nach Auffassung des Ausschusses parallel zu der Umsetzung neuer Instrumente und/oder der Überarbeitung bestehender Instrumente ein System zur Analyse und Bewertung der Auswirkungen des gemeinsamen Asylsystems auf die Lage der Flüchtlinge eingerichtet werden, für das die im Grünbuch vorgeschlagene Unterstützungsagentur gemeinsam mit dem UNHCR, den einschlägigen NGO und der EU-Grundrechteagentur verantwortlich sein und den EU-Institutionen sowie den Mitgliedstaaten einmal jährlich einen Bericht vorlegen könnte.

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, einmal pro Jahr einen Bericht über die Umsetzung des gemeinsamen Asylsystems zu erarbeiten und diesen den beratenden Organen (EWSA und AdR) sowie dem Europäischen Parlament vorzulegen.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen.

(2)  Im Sinne der Definition des UNHCR (Master Glossary of Terms, Juni 2006).

(3)  Vergewaltigungen, Vergewaltigungen zu Kriegszeiten, physische, psychische oder soziale Repressionen aufgrund der Weigerung sich einer von Männern geschaffenen Gesellschaftsordnung zu unterwerfen, usw. Siehe dazu Ziffer 2.5.1 der Stellungnahme des EWSA zum Thema „Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen“, Berichterstatterin: Frau Le Nouail-Marlière (ABl. C 221 vom 17.9.2002): „Die Formen geschlechtsspezifischer Verfolgung (Genitalverstümmelungen bei Frauen, Zwangsehe, Steinigung bei vermutetem Ehebruch, systematische Vergewaltigung von Frauen und jungen Mädchen als Kriegsstrategie, um nur einige zu nennen) sollten als anspruchsbegründende Gründe für die Stellung eines Asylantrags und als legitime Gründe für die Gewährung von Asyl in den Mitgliedstaaten anerkannt werden, auch wenn sie nicht explizit in der Genfer Konvention von 1951 festgeschrieben sind“.

(4)  Siehe Ziffer 2.7 der Stellungnahme des EWSA vom 15.12.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Das einheitliche Asylverfahren als nächster Schritt zu einem effizienteren Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“, Berichterstatterin: Frau Le Nouail-Marlière (ABl. C 157 vom 28.6.2005).

(5)  Siehe Ziffer 2.4 und die Schlussfolgerungen der Stellungnahme des EWSA vom 14. Februar 2006, Berichterstatterin Frau Le Nouail-Marlière (ABl. C 88 vom 11.4.2006).

(6)  Siehe Ziffer 3.2.2 der EWSA Stellungnahme vom 26.4.2001 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft“ (ABl. C 192 vom 10.7.2001), Berichterstatter: Herr Melicías.

(7)  Idem, Ziffer 3.2.12.3.

(8)  Siehe Ziffer 2.3 der EWSA Stellungnahme vom 26.4.2001 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft“ (ABl. C 192 vom 10.7.2001), Berichterstatter: Herr Melicías.

(9)  Im Jahr 2006 wurden in der EU-27 192 300 Asylanträge gestellt, das sind 50 % weniger als 2001 und 70 % weniger als im Jahr 1992 (EU-15) — Eurostat „Statistik kurz gefasst“ 110/2007.

(10)  Melicías, Ziffer 3.2.4.4.

(11)  Melicías, Ziffer 3.2.15.2; Pressekonferenz des UNHCR sowie Empfehlungen des UNHCR an den portugiesischen und den slowenischen EU-Ratsvorsitz vom 15. Juni 2007 bzw. 11. Dezember 2007.

(12)  Grünbuch Seite 4.

(13)  „Asylum in the European Union. A study of the implementation oft the Qualification Directive“; UNHCR, November 2007.

(14)  Siehe Ziffer 2.3.5 der EWSA-Stellungnahme vom 29.5.2002 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen“, Berichterstatterin: Frau Le Nouail-Marlière (ABl. C 221 vom 17.9.2002).

(15)  Siehe Studie in Fußnote 13. Darüber hinaus weist der Ausschuss auf die Vorschläge zur Änderung der Anerkennungsrichtlinie (zu den Artikeln 8.3; 8.1; dem Erwägungsgrund 26 von Artikel 15 Buchstabe c); zu den Artikeln 12 und 14 (Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951) und 17 und 19) sowie auf folgende Empfehlungen hin: an die Europäische Kommission gerichtet: Befassung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) mit Auslegung und Rechtsentscheiden; unionsweite Gewährleistung und Überprüfung der Qualität von Entscheidungen; Bildung; Erarbeitung von Leitlinien; an die EU-Mitgliedstaaten gerichtet: Anwendung der UNHCR-Leitlinien; Ersuchen nationaler Gerichte um Vorabentscheid durch den EuGH; schriftliche Vorlage von Entscheidungen; Qualitätskontrolle der auf nationaler Ebene gefällten Entscheidungen; Analyse des Potenzials der Schutzakteure; Schutz vor Ort; Zugang und Zugangsvoraussetzungen; erhebliche Risken; Begründungen und Ausschlüsse; UNHCR; November 2007.

(16)  Frankreich: „Informationsbericht der Delegation der Nationalversammlung für die EU“, vorgelegt von Herrn Lequiller, Nr. 105 vom 25. Juli 2007.

(17)  CESE 1482/2001, Berichterstatter: die Herren Mengozzi und Pariza Castaños, Ziffer 4.3.

(18)  Idem, Ziffer 3.1.

(19)  Siehe Ziffer 3.2.11 der EWSA-Stellungnahme vom 26. April 2001 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft“, Berichterstatter: Herr Melicías (ABl. C 192 vom 10.7.2001).

(20)  Siehe Ziffer 4.1.1 des Berichts über die internationale Untersuchungsmission „Ausländer einsperren, Flüchtlinge abschrecken: die Steuerung der Migrationsströme in Malta“, Internationaler Dachverband der Menschenrechtsligen, Catherine Teule.

Siehe ferner die beim EU-Beitritt Rumäniens erfolgte Modernisierung hin zu überwachten, aber doch offenen Unterbringungszentren, die bei dem Arbeitsbesuch im Rahmen der Erarbeitung der Stellungnahmen des EWSA vom 15.12.2004 zur „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Zur kontrollierten Einreise von Personen, die internationalen Schutz benötigen, in die EU und zur Stärkung der Schutzkapazität von Herkunftsregionen: 'Verbesserung des Zugangs zu dauerhaften Lösungen'“ und zur „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Das einheitliche Asyl¬verfahren als nächster Schritt zu einem effizienteren Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“ (Berichterstatterin: Frau Le Nouail-Marlière; ABl. C 157 vom 28.6.2005) festgestellt werden konnte.

(21)  Im Sinne der Definition des UNHCR (Master Glossary of Terms, Juni 2006): Personen, die physische, psychische bzw. geistige Probleme haben und besonderer Betreuung bedürfen, wie z.B. Frauen, Schwangere, Kinder, ältere Menschen, Kranke, Behinderte usw.

(22)  EWSA-Stellungnahme vom 12. Juli 2001 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Für ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird“, Berichterstatter: Herr Mengozzi und Herr Pariza Castaños (ABl. C 260 vom 17.9.2001).

(23)  Grünbuch, Ziffer 12.

(24)  Kommission: „Bericht der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems“ — KOM(2007) 299 endg. — 6. Juni 2007.

(25)  KOM(2007) 299, Seite 8.

(26)  Stellungnahme des EWSA vom 12. Juli 2001 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Für ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird“, Berichterstatter: Herr Mengozzi und Herr Pariza Castaños (ABl. C 260 vom 17.9.2001) und Stellungnahme des EWSA vom 29. Mai 2002 zum Thema „Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen“, Berichterstatterin: Frau Le Nouail-Marlière (ABl. C 221 vom 17.9.2002).

(27)  Parlamentarische Versammlung des Europarates: „Evaluierung der Eignung von Transit- und Bearbeitungszentren als Antwort auf gemischte Migranten- und Asylwerberströme“ — Dok. Nr. 11304, 15. Juni 2007.

(28)  CESE 108/2004: Stellungnahme des EWSA vom 29. Januar 2004 zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/85


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm zur Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung und zur Förderung des interkulturellen Verständnisses durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten (Erasmus Mundus) (2009-2013)“

KOM(2007) 395 endg.

(2008/C 204/18)

Der Rat beschloss am 10. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm zur Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung und zur Förderung des interkulturellen Verständnisses durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten (Erasmus Mundus) (2009-2013)“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr SOARES, Mitberichterstatter Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 125 Ja- Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm zur Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung und zur Förderung des interkulturellen Verständnisses durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten (Erasmus Mundus) (2009-2013)“, der das laufende Programm Erasmus Mundus, das vom Ausschuss bereits in einer früheren Stellungnahme gebilligt wurde, erweitert und verbessert.

1.2

Nach Auffassung des Ausschusses ist es von grundlegender Bedeutung, die europäischen Hochschulen für Studierende aus aller Welt attraktiv zu machen und so zur Bekanntheit der Exzellenz der europäischen Hochschulbildung und Forschung beizutragen. Der Ausschuss ist ferner der Ansicht, dass das Programm nicht zum Braindrain aus Drittstaaten beitragen darf. Deshalb fordert er die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den Behörden und Hochschulen der Drittstaaten Strategien zu entwickeln, die die Studierenden und Lehrenden dazu motivieren, die Möglichkeiten im Rahmen von Erasmus Mundus zu nutzen und anschließend in ihre Heimatländer zurückzukehren, um dort zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Der Ausschuss unterstreicht, dass zur Erreichung dieses Ziels die Maßnahmen der EU-Entwicklungszusammenarbeit und Programme wie Erasmus Mundus eng miteinander verknüpft werden sollten.

1.3

Der Ausschuss anerkennt die im neuen Aktionsprogramm unternommenen Anstrengungen zur Stärkung der Mobilität der Dozenten, indem diesen 40 % aller vorgesehenen Stipendien zugewiesen werden (gegenüber 16,6 % im laufenden Programm). Die Teilnahme am Programm sollte als Möglichkeit der wissenschaftlichen sowie der kulturellen und fachlich-inhaltlichen Bereicherung betrachtet werden. In diesem Zusammenhang unterstreicht der Ausschuss, dass die Dozenten- und Studentenmobilität keine individuelle Aufgabe (so wie es derzeit häufig noch der Fall ist), sondern zunehmend eine institutionelle Aufgabe sein sollte.

1.4

Der Ausschuss ersucht die Mitgliedstaaten und die Kommission, die aus dem einzelstaatlichen Recht erwachsenden Hemmnisse für die Dozenten- und Studentenmobilität — sowohl was den Zugang zu den einzelnen Mitgliedstaaten als auch die Anerkennung und Bestätigung der erworbenen Kompetenzen betrifft — möglichst schnell und wirksam zu beseitigen, damit niemand, der an dem Programm teilnehmen möchte, an seinem Auslandsaufenthalt gehindert wird.

1.5

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Auswahlverfahren einen Clearingmechanismus auf europäischer Ebene vorsehen sollten, um gravierende Missverhältnisse zwischen den Studienfächern von Studierenden und Lehrenden, ihren Herkunftsregionen und ihren EU-Aufnahmeländern zu verhindern. Der Ausschuss billigt deshalb den Wortlaut im Anhang des Beschlusses Nr. 2317/2004 zur Einrichtung des Programms Erasmus Mundus und empfiehlt dem Europäischen Parlament und dem Rat, eine solchen Mechanismus in den vorliegenden Vorschlag aufzunehmen.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1

Allgemeines Ziel des Vorschlags ist es, die Qualität der europäischen Hochschulbildung zu verbessern, den Dialog und das Verständnis zwischen Völkern und Kulturen durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu fördern sowie zur Verwirklichung der Ziele der EU-Außenpolitik und der nachhaltigen Entwicklung von Drittstaaten im Bereich der Hochschulbildung beizutragen. Das Programm erstreckt sich über fünf Jahre: 2009-2013.

2.2

Die spezifischen Ziele des Vorschlags bestehen darin,

a)

die strukturierte Zusammenarbeit zwischen Hochschuleinrichtungen und Hochschulangehörigen in Europa und in Drittstaaten zu fördern;

b)

zur gegenseitigen Bereicherung der Gesellschaften beizutragen, indem zum einen die Mobilität der begabtesten Studierenden und Akademiker aus Drittstaaten gefördert wird, damit sie in der Europäischen Union Qualifikationen erwerben und/oder Erfahrung sammeln, und zum anderen Aufenthalte der begabtesten europäischen Studierenden und Akademiker in Drittstaaten unterstützt werden;

c)

zur Entwicklung der Humanressourcen und der Fähigkeit zur internationalen Kooperation von Hochschuleinrichtungen in Drittstaaten beizutragen;

d)

den Zugang zur europäischen Hochschulbildung zu erleichtern, ihr Profil und ihre Sichtbarkeit in der Welt zu verbessern sowie ihre Attraktivität für Drittstaatsangehörige zu steigern.

2.3

Die Initiative soll durch folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

gemeinsame Erasmus-Mundus-Masterprogramme und gemeinsame Erasmus-Mundus-Promotionsprogramme;

Partnerschaften zwischen europäischen Hochschuleinrichtungen und Hochschuleinrichtungen in Drittstaaten;

Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität Europas als Ziel für ein Hochschulstudium;

Unterstützung der Entwicklung von gemeinsamen Bildungsprogrammen und Kooperationsnetzen zur Erleichterung des Austauschs von Erfahrungen und bewährten Verfahren;

verstärkte Unterstützung der Mobilität von im Bereich der Hochschulbildung tätigen Personen zwischen der Gemeinschaft und Drittstaaten;

Förderung von Sprachkenntnissen, vorzugsweise dadurch, dass den Studierenden die Möglichkeit geboten wird, mindestens zwei der Sprachen zu lernen, die in den Ländern gesprochen werden, in denen sich die Hochschuleinrichtungen befinden;

Unterstützung von Pilotprojekten auf der Basis von Partnerschaften mit einer externen Dimension, die auf die Innovationsförderung und Qualitätssteigerung im Bereich der Hochschulbildung ausgerichtet sind;

Unterstützung der Analyse und Beobachtung von Trends und Entwicklungen im Bereich der Hochschulbildung in einer internationalen Perspektive.

2.4

Dieses Programm soll die Maßnahmen der ersten Phase (2004-2008) fortsetzen, aber auch darüber hinausgehen, und zwar durch die direktere Einbindung der Komponente „Externe Zusammenarbeit“, die Ausdehnung des Geltungsbereichs auf alle Niveaus der Hochschulbildung, die Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten für europäische Studierende und die Stärkung der Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Hochschuleinrichtungen in Drittstaaten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Wie bereits in seiner Stellungnahme zum Programm ERASMUS WELT (2004-2008) (1) begrüßt der Ausschuss den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates sowie die Initiativen, die ergriffen wurden bzw. werden, um gemäß Artikel 140 des EG-Vertrags zu einer hochwertigen Hochschulbildung in der Europäischen Union beizutragen und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu fördern.

3.2

In der vorgenannten Stellungnahme zeigte sich der Ausschuss zufrieden „[…] über die konkreten Maßnahmen, die es erlauben, die Qualität der Hochschulbildung durch Kooperationen mit Drittländern zu verbessern, z.B. durch die Zusammenarbeit mit den besten Universitäten, die Anstellung der namhaftesten Lehrkräfte und die Anziehung der bestausgebildeten Studenten aus diesen Ländern. Diese Synergie, die zu beiderseitigem Vorteil ist, ermöglicht die Intensivierung der bestehenden Kontakte und die Aufnahme neuer, von Verständnis und Kooperationswillen gekennzeichneter Beziehungen zwischen der EU und Drittländern“  (2) .

3.3

Angesichts der Tatsache, dass es sich — abgesehen von wenigen, aber wichtigen Änderungen — um denselben Programmtyp handelt, möchte der Ausschuss seine damaligen Feststellungen bekräftigen und um folgende Bemerkungen ergänzen:

3.3.1

Das Programm Erasmus Mundus steht in Einklang mit dem zentralen Ziel des Bologna-Prozesses, bis 2010 einen Europäischen Raum für Hochschulbildung und Forschung durch Reformen zur Annäherung der einzelstaatlichen Systeme der Hochschulbildung zu schaffen.

3.3.2

Es entspricht aber auch einem anderen, nach außen gerichteten Ziel: Europa soll in der Welt als Raum der hochwertigen Hochschuldbildung und Forschung anerkannt werden. Deshalb ist der Erfolg des Bologna-Prozesses wichtig, um die Attraktivität aller (und nicht nur einiger weniger) europäischen Hochschulen für junge Studierende aus Drittstaaten zu gewährleisten.

3.3.3

Diesem Umstand trägt die Kommission Rechnung, indem sie den Bologna-Prozess als festen Bestandteil ihrer Politik der allgemeinen und beruflichen Bildung anerkennt, und zwar mit demselben Status wie die Forschung in der Europäischen Union.

3.3.4

Dieses Ziel — die Schaffung eines Europäischen Hochschulraums — impliziert ein weiteres, nämlich die Anziehung von Studierenden und Dozenten aus Drittstaaten. Da dies ein wichtiges, sogar wesentliches Ziel für die Stärkung der Rolle Europas in der Welt ist, möchte der Ausschuss einmal mehr auf die Notwendigkeit hinweisen, den Braindrain aus Entwicklungsländern zu verhindern (3).

3.3.5

Ein gutes Beispiel dafür ist die Aktion 2 „Erasmus-Mundus-Partnerschaften“, da sie nicht nur besonderen Entwicklungserfordernissen des Drittstaats bzw. der Drittstaaten Rechnung trägt, sondern auch begrenzte Kurzzeitaufenthalte vorsieht. Nach Auffassung des EWSA müssen alle vorgeschlagenen Aktionen sowohl die Dozenten als auch die Studierenden aus Drittstaaten in die Lage versetzen, während ihres Aufenthalts erfolgreich an europäischen Hochschulen zu lehren bzw. zu lernen, sie aber auch nachdrücklich dazu motivieren, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, um dort die nachhaltige Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt zu unterstützen und gleichzeitig einen außenordentlichen Beitrag zur Werbung für unsere Hochschulen zu leisten.

3.3.6

Das Risiko einer zunehmenden Abwanderung von Akademikern — insbesondere wegen fehlender Marktchancen oder ganz einfach wegen unzureichender Bedingungen für die Fortführung ihrer wissenschaftlichen Arbeit — ausgerechnet aus den Ländern, in denen sie am meisten benötigt werden, lässt sich auch durch Master- und Promotionsprogramme in Drittstaaten verhindern, die Kurse und Praktika in europäischen Ländern umfassen, die zeitlich so begrenzt sind, dass die Verbundenheit der Teilnehmer mit ihren Heimatländern bestehen bleibt.

3.3.7

Dieses Risiko kann zudem durch Maßnahmen reduziert werden, an denen die Hochschulen selbst beteiligt sind, z.B. durch die Verankerung von Strategien mit Anreizen für die Rückkehr (ggf. einschließlich Ausgleichsmaßnahmen) in den entsprechenden Abkommen.

3.3.8

Das Programm Erasmus Mundus ist Teil eines globalen Ansatzes der EU-Politik und steht in Einklang mit dem Lissabon-Ziel, die EU zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen — sei es im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit Ländern, mit denen sie bereits Abkommen geschlossen hat, oder im Rahmen eines umfassenderen Konzepts der strategischen Zusammenarbeit mit den Drittstaaten. Es darf aber nicht der Braindrain außer Acht gelassen werden, da dieser ein ernstzunehmendes Problem für eine ausgewogene Entwicklung der Länder, mit denen die EU zusammenarbeitet, darstellt (4).

3.3.9

Ein weiteres Ziel des Programms ist herauszustellen: die Förderung des kulturellen Austauschs durch höherwertige Bildung und einen höheren wissenschaftlichen Anspruch (5). Folglich sollte dieses Programm nicht als Vorwand für die Einführung von Marktkriterien in die Hochschulbildung dienen, sondern vielmehr darauf abzielen, die Qualität der Bildung, die Unabhängigkeit der Forschung und die Achtung der akademischen Freiheit zu fördern sowie, wie im Vorschlag festgestellt wird, den Kampf gegen alle Formen der sozialen Ausgrenzung zu verstärken.

3.4

Schließlich ist es in Übereinstimmung mit dem Bologna-Prozess notwendig, dass das interne und externe Bewertungssystem der Universitäten auf Kriterien beruht, die der akademischen Situation Rechnung tragen und Anreize schaffen, damit die Hochschulen Spitzenniveaus erreichen — eine unabdingbare Voraussetzung, wenn sie Studierende und Dozenten aus Drittstaaten anziehen und gleichzeitig ihre eigene Identität behalten wollen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Einer der zentralen Aspekte des Programms Erasmus Mundus besteht in der Mobilität von Studierenden und Dozenten. Die Bologna-Erfahrung hat gezeigt, dass der Mobilität von Studierenden mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde als der von Dozenten, obwohl in Erklärungen stets die Bedeutung der Dozentenmobilität für den Erfolg der Bologna-Strategie herausgestellt wurde. Darauf wies auch der Europarat im Jahr 2006 hin, wobei er die Strategie als unvollständig und unzusammenhängend bezeichnete.

4.1.1

Angesichts dieses Beispiels erscheint es wichtig, dass Erasmus Mundus ein Faktor ist, der die Dozentenmobilität begünstigt; im Sinne eines der sechs Hauptziele des Bologna-Prozesses in Bezug auf Forscher und Hochschullehrer erscheint es ebenso wichtig, die Hürden zu überwinden, die eine wirkliche Dozentenmobilität erschweren — mit besonderem Augenmerk auf der gebührenden Anerkennung und Aufwertung der Forschungs-, Lehr- und Ausbildungstätigkeit während des Auslandsaufenthalts.

4.1.2

Es ist wichtig, verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die nicht unterschätzt werden sollten:

Diskrepanzen zwischen den Bildungssystemen der Aufnahme- und der Herkunftsländer;

Notwendigkeit der Aufwertung und Anerkennung der Forschungs-, Lehr- und Ausbildungstätigkeit;

Anerkennung nicht nur von wissenschaftlichen Leistungen, sondern auch von soziokulturellen Werten;

Austausch von Dozenten und Forschern, der nicht nur als Möglichkeit für die Auswahl der besten Dozenten, Studierenden und Forscher aus den Drittstaaten (im Sinne „qualifizierter Einwanderer“), sondern als Möglichkeit der kulturellen und fachlich-inhaltlichen Bereicherung betrachtet werden sollte.

4.1.3

In dieser Hinsicht ist sicherzustellen, dass der Dozentenaustausch für die Aufnahme- und Herkunftsländer und für die Studierenden, aber auch für die Hochschulen selbst nutzbringend ist. Indem es Bürgern aus Drittstaaten ermöglicht wird, im Rahmen eines Bildungsaufenthalts in Europa Qualifikationen und Kenntnisse zu erwerben, könnte die zirkuläre Migration von Akademikern gefördert werden, die sowohl für die Herkunfts- als auch für die Aufnahmeländer von großem Vorteil ist. Von den verschiedenen Formen des Austauschs sind der Studienbesuch und das Kurzzeitpraktikum, das Sabbatjahr und die spezifischen Forschungsprogramme am bekanntesten; allerdings gibt es in diesem Bereich noch zahlreiche andere Möglichkeiten.

4.2

In der Mitteilung werden einige Aspekte erwähnt, mit denen sich EWSA voll und ganz einverstanden erklärt und die aufgrund ihrer Bedeutung im Folgenden genannt werden:

4.2.1

Die Frage der sprachlichen Vielfalt in Europa, die sich in diesem Zusammenhang stellt, sollte als zusätzliche Chance für diejenigen, die in Europa studieren oder lehren, betrachtet werden. Auch wenn anerkannt wird, dass eine bestimmte Sprache sich zur „Arbeitssprache der Wissenschaft“ entwickelt, bedeutet das nicht, dass der Wert, den das Erlernen weiterer Sprachen für die Bildung und Forschung in einer globalisierten Welt hat, außer Acht gelassen werden darf: Das Sprachenlernen ermöglicht einen größeren sprachlichen Reichtum und mehr Chancen für alle (einschließlich der Bürger und Einwohner der Europäischen Union, die nur ihre Muttersprache sprechen).

4.2.2

Die komplizierten, sich ständig verändernden (und zunehmend rigideren) Einwanderungsvorschriften bilden ein nicht zu vernachlässigendes Problem im Hinblick auf die Situation von Dozenten und Studierenden aus Drittstaaten. In keinem Fall kann oder darf dies ein Grund für die Behinderung der Mobilität von Dozenten, Forschern und Studierenden sein. Insbesondere muss aber die Entschließung des Europäischen Rates zur Erteilung von Visa an Dozenten und Studierende, die an derartigen Programmen teilnehmen, konkrete Formen annehmen.

4.2.3

Erasmus Mundus muss ein weiteres angestrebtes Ziel voll und ganz erreichen: Es muss ein Instrument sein, um alle Formen der Ausgrenzung (einschließlich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit) zu bekämpfen und zur Beseitigung der Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern beizutragen.

4.3

Die Ergebnisse einer von der Academic Cooperation Association 2004/2005 im Auftrag der Kommission durchgeführten Studie offenbarten die Notwendigkeit, eine europäische Strategie zur Schaffung eines Europäischen Hochschulraums festzulegen und so der Vorstellung entgegenzuwirken, dass in Europa nur die Hochschulen der Länder mit dem höchsten Entwicklungsstand oder mit der längsten akademischen Tradition eine hochwertige Bildung bieten können.

4.3.1

Diese Strategie stützte sich auf die Bedingung (die bereits Teil des derzeitigen Programms Erasmus Mundus ist), dass Partnerschaften zwischen mindestens drei Hochschulen aus mindestens drei Ländern geschlossen werden müssen, um für das Programm in Frage zu kommen. Das Programm 2009-2013 hält an dieser Bedingung fest, was der EWSA nachdrücklich begrüßt (6).

4.3.2

Gleichwohl gibt es weitere Aspekte, die für die Steigerung der Attraktivität der europäischen Hochschulen wesentlich sind, z.B. ihr internationales Ansehen, die Qualität des Lehrkörpers, die Studiengebühren, die Höhe der vergebenen Stipendien, das Prestige der Abschlüsse, die Möglichkeiten der Integration in den Arbeitsmarkt, die Bekanntheit der verschiedenen Universitäten der EU-Mitgliedstaaten in den Drittstaaten, aber auch die Lebenshaltungskosten und die Frage, wie einfach oder schwer es ist, ein Visum zu erhalten. Die Berücksichtigung all dieser Aspekte — insbesondere der Lebensqualität und der Studiengebühren — sollte ausschlaggebend bei der Gewährung von Stipendien sein.

4.3.3

Deshalb muss diese neue Phase des Programms Erasmus Mundus eine Gelegenheit sein, um mit Hochschulvertretern, Dozenten und Studierenden über Maßnahmen zu diskutieren, die dazu beitragen, die Verdienste anderer Universitäten in anderen EU-Mitgliedstaaten bekannt zu machen und ihre Beliebtheit bei Dozenten und Studierenden aus Drittländern zu steigern.

4.3.4

Eine Möglichkeit, um dieses Ziel zu erreichen, ist — nach dem Vorbild des Bologna-Prozesses — eine verstärkte Präsenz des Europäischen Hochschulraums in seiner Gesamtheit in den einschlägigen Informationsquellen, die derzeit von den an einem Studienaufenthalt im Ausland interessierten Personen konsultiert werden (Internetseiten, EU-Vertretungen).

4.3.5

So wäre es durch eine enge institutionelle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, der Kommission und den Hochschulbehörden möglich, 1) ein europäisches Hochschul-Internetportal zu schaffen, das sorgfältig gestaltet und ständig aktualisiert wird, leicht zugänglich und inhaltlich attraktiv ist, durch umfangreiche Werbung bekannt gemacht wird, und den Zugang zu den Websites der verschiedenen europäischen Hochschulen ermöglicht, und 2) Abteilungen in den EU-Vertretungen einzurichten, die für die Verbreitung von Informationen über den Europäischen Hochschulraum zuständig sind.

4.4

Ein entscheidender Aspekt für die Attraktivität des Europäischen Hochschulraums ist die Existenz eines hochqualifizierten, gutbezahlten und fachlich anerkannten Lehrkörpers.

4.5

Der EWSA bekräftigt seine Überzeugung, dass das Programm Erasmus Mundus eine hervorragende Gelegenheit bietet, um die vielversprechendsten jungen Studierenden, Dozenten und Forscher aus Drittstaaten zu finden, die für Europas eigene Entwicklung sicherlich sehr nützlich sein werden. Jedoch muss er darauf hinweisen, dass viele junge europäische Hochschulabsolventen große Schwierigkeiten haben, in ihren Heimatländern eine menschenwürdige und angemessene Arbeit zu finden. Weniger als ein Vorbehalt gegen das Programm Erasmus Mundus sollte diese Bemerkung als ein Aufruf zu einer Debatte über dieses Problem verstanden werden.

4.6

Es ist zu unterstreichen, dass in vielen Entwicklungsländern nur öffentliche Hochschulen in der Lage sind, die Hochschulbildung durch die Beseitigung von Diskriminierungen und Ungleichheiten (eines der erklärten Ziele von Erasmus Mundus) zu demokratisieren. Ungeachtet der Tatsache, dass das Programm keinen Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Sektor machen sollte, ist es in diesen Fällen angezeigt, dass das Programm zur Stärkung und Förderung der öffentlichen Hochschulen in den Drittstaaten beiträgt, indem es sie bei der Verwirklichung des Ziels einer durch akademische Freiheit gekennzeichneten hochwertigen Bildung und Forschung unterstützt.

4.7

In Artikel 5 Buchstabe f) des Vorschlags sollten die Sozialpartner (Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern) genannt werden, da sie die Gegebenheiten des Arbeitsmarkts und die auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich benötigten Qualifikationen kennen. Die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungserfordernisse der Drittstaaten sollten ebenfalls bei der Festlegung der Inhalte von Master- und Doktorstudiengängen berücksichtigt werden.

4.8

Im Anhang zum Beschluss Nr. 2317/2003 (ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 1) über das laufende Programm Erasmus Mundus heißt es (Auswahlverfahren, Buchstabe b): „Zu den Auswahlverfahren gehört ein Clearingmechanismus auf europäischer Ebene, mit dem verhindert werden soll, dass es bei den Studienfächern sowie den Herkunftsregionen und Aufnahmestaaten der Studierenden und Wissenschaftler/innen zu starken Unausgewogenheiten kommt.“ Dieser Hinweis wurde im Anhang zum Vorschlag für das neue Programm Erasmus Mundus gestrichen. Wenn eine der Prioritäten des Pogramms darin besteht, die europäischen Hochschulen bekannter zu machen und ihre Beteiligung am Programm sicherzustellen, dann hat nach Auffassung des Ausschusses auch die Anwendung dieses Grundsatzes bei der Auswahl der teilnehmenden Einrichtungen Priorität, um zu vermeiden, dass das Programm nicht immer dieselben Staaten und dieselben Hochschulen zugute kommt.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vgl. die Initiativstellungnahme des EWSA vom 26.2.2003 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm zur Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung und Förderung des interkulturellen Verständnisses durch die Zusammenarbeit mit Drittländern (ERASMUS WELT) (2004-2008)“, Berichterstatter: Herr RODRÍGUEZ GARCIA-CARO (ABl. C 95 vom 23.4.2003).

(2)  Ebenda.

(3)  Vgl. die Initiativstellungnahme des EWSA vom 12.12.2007 zum Thema „Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“, Berichterstatter: Herr SHARMA (CESE 1713/2007 — REX/236).

(4)  Vgl. die Stellungnahme des EWSA vom 25.10.2007 zum Thema „EU-Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (CESE 1461/2007 — SOC/268) (ABl. C 44 vom 16.2.2008).

(5)  Vgl. die Stellungnahme des EWSA vom 20.4.2006 zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs (2008)“, Berichterstatterin: Frau CSER (ABl. C 185 vom 8.8.2006).

(6)  Die von der Kommission veröffentlichten Daten zeigen, dass bis heute über 350 Hochschulen aus nahezu allen EU-Mitgliedstaaten an dem Programm Erasmus Mundus teilgenommen haben, wobei Hochschulen aus 12 der 27 Länder die Koordinierung der Projekte übernommen haben und bei den meisten dieser Projekte Partnerschaften mit mehr als vier Hochschulen gebildet wurden.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/89


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan Erwachsenenbildung — Zum Lernen ist es nie zu spät“

KOM(2007) 558 endg.

(2008/C 204/19)

Die Europäische Kommission beschloss am 27. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan Erwachsenenbildung — Zum Lernen ist es nie zu spät“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Februar 2008 an. Berichterstatterin war Frau HEINISCH, Mitberichterstatterin war Frau LE NOUAIL MARLIÈRE und Mitberichterstatter war Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 13. März) mit 117 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt, dass die EU-Kommission mit ihrem ersten Aktionsplan Erwachsenenbildung „Zum Lernen ist es nie zu spät“ 2007-2010 ein neues Fenster ihres bildungspolitischen Arbeitsprogramms öffnet und unterstützt den Plan unter Vorbehalt der in dieser Stellungnahme enthaltenen Bemerkungen.

1.2

Der Ausschuss begrüßt, dass die europäischen Förderprogramme zur Erwachsenenbildung 13 Jahre nach ihrer Einführung zum ersten Mal eine separate politische Arbeitsgrundlage erhalten sollen. Die dem Aktionsplan vorhergehende Mitteilung der Kommission zur Erwachsenenbildung (1) verfolgte nach eigenen Angaben einen doppelten Zweck: die Vorbereitung des Grundtvig (2)-Förderprogramms auf der einen Seite und die Vorbereitung eines korrespondierenden politischen Aktionsplans für die Erwachsenenbildung auf der anderen Seite.

1.3

Der EWSA bedauert, dass der Ausbau der nicht-beruflichen Erwachsenenbildung, des nicht-formellen und informellen Lernens zur allgemeinen persönlichen Entfaltung und zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements, das Berufstätige und andere Bürger gleichermaßen benötigen, bei diesem ersten Plan noch nicht zu den Schwerpunkten gehört. Er stellt fest, dass im Aktionsplan den bekannten und von ihm auch unterstützten Zielen einer besseren Zusammenarbeit Europas in der beruflichen Bildung sehr viel Platz eingeräumt wird.

1.4

Der EWSA fordert, dass auch für die besonderen Lerninteressen von nicht berufstätigen Frauen und Männern attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden sollten, die ihre „aktive Einbeziehung“ in das lebenslange Lernen ermöglichen.

1.5

Er hält angesichts des demografischen Wandels komplexe Veränderungsprozesse der Organisation und der Themen der Erwachsenenbildung für notwendig.

1.6

Der EWSA regt gleichzeitig eine auf alle Bildungsbereiche übergreifende Reflexion dazu an, weshalb sich immer noch verschiedene bildungspolitische Ebenen auf die jungen Erwachsenen arbeitsteilig und sich teilweise überlappend konzentrieren und schlägt vor, eigene fachlichen Strukturen in allen Mitgliedstaaten und auf europäischer Ebene für die Erwachsenenbildung zu schaffen.

1.7

Der EWSA fordert, dass nichts dazu führen darf, dass kleinere Initiativen und Einrichtungen in der Erwachsenenbildung noch mehr marginalisiert oder gar verdrängt werden. Sie sollten vielmehr gestärkt werden.

1.8

Er stellt fest, dass die Erwachsenenbildung nicht als Hauptaufgabe die kompensatorische Bildung für ein nicht ausreichend effizientes formales Bildungssystem zugewiesen bekommen kann. Er ist besorgt darüber, dass der Anteil der Menschen, die die Schule zu früh verlassen haben, auf über 15 % angestiegen ist. Er appelliert an die Mitgliedstaaten und die Kommission, auf der Basis der vielen Beispiele guter Praxis in Europa und in den OECD-Staaten sozialpädagogisch orientierte Reformen des Bildungssystems voranzutreiben.

1.9

Der EWSA ersucht die EU-Kommission um die Ausarbeitung eines begleitenden Gendermainstreaming-Plans.

1.10

Er vermisst klare Aussagen zu den notwendigen Investitionen.

1.11

Der EWSA empfiehlt eine stärkere Berücksichtigung der territorialen Dimension der Erwachsenenbildung und ihres Beitrags zur sozialen Kohäsion gerade in verlassenen Regionen.

1.12

Der Ausschuss bedauert, dass die besonderen Lehr- und Lernformen Erwachsener in überregional und europäisch aktiven Heimvolkshochschulen keine Beachtung gefunden haben.

1.13

Er empfiehlt die Förderung von neu konzipierten multifunktionalen lokalen Erwachsenenbildungszentren, die auch auf die neuen Technologien und E-Learning zurückgreifen.

1.14

Der EWSA setzt sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen (decent work) der Lehrkräfte und des Verwaltungspersonals in der Erwachsenenbildung ebenso wie für menschenwürdige ermöglichende Lernbedingungen aller Erwachsenen ein.

1.15

Er regt eine Machbarkeitsstudie für den Aufbau einer eigenen fachlichen europäischen Infrastruktur für Forschung und Fortbildung für die Erwachsenenbildung in Europa im Rahmen des Aktionsplans an, und hebt hervor, dass dabei auch eine Arbeit an den spezifischen Methoden der Erwachsenenbildung und ihrer Verbreitung notwendig wäre.

1.16

Der EWSA regt die Förderung europäischer Lernfestivals zur Beteiligung an der internationalen Lernfestbewegung an und empfiehlt europäische Informations- und Motivations-Kampagnen, die das Lernen für Erwachsene attraktiver machen könnten.

1.17

Der Ausschuss schlägt der EU-Kommission vor, der internationalen Dimension der Erwachsenenbildung in Zukunft stärkere Aufmerksamkeit zu widmen und ihn an diesen Entwicklungen zu beteiligen. Er fordert, ihn an den europäischen Vorbereitungen für die nächste Internationale Erwachsenenbildungskonferenz der Vereinten Nationen (CONFINTEA VI) 2009 in Brasilien zu beteiligen.

1.18

Der EWSA begrüßt die Bemühungen der EU-Kommission für einen europäischen Kerndatensatz und mehr sprachliche Gemeinsamkeiten, vermisst aber die Darlegung klarer erwachsenenspezifischer Prioritäten bei den geplanten Indikatoren.

2.   Einleitung

2.1

Erwachsenenbildung kann in vielen Ländern Europas auf eine lange Tradition zurückblicken. Durch ihre enge Verbindung mit sozialen Bewegungen wie der Arbeiterbewegung, der Frauenrechtsbewegung und nationalen sowie Wahlrechtsbewegungen hatte sie lange Zeit selbst soziale und emanzipatorische Bildungsziele. In vielen Ländern Europas entwickelten sich Volksbildungszentren und Heimvolkshochschulen mit einer gleichzeitigen kulturellen und pädagogischen Dimension, in denen die persönliche Entfaltung und das bürgerschaftliche Engagement für alle gefördert werden. Hinzukamen im Laufe der Zeit auch Zentren für „Zweite Bildungswege“, Berufsbildungsangebote und jene Hochschulen, die sich bewusst auch bisher benachteiligten Gruppen der Bevölkerung öffnen wollten.

2.2

Auf europäischer Ebene stand lange Zeit die berufliche Bildung im Mittelpunkt des Interesses mit dem Ausbau von Komitees, fachlich spezialisierten Institutionen wie dem CEDEFOP und der ETF. Bereits seit den 70er Jahren wurden europäische Programme zur Bildungsförderung von Menschen mit Behinderungen, von Migrantinnen und Migranten, von jungen Leuten ohne Schul- und Berufsabschluss sowie der Förderung von Chancengleichheit für Frauen am Arbeitsmarkt konzipiert und durchgeführt. Im CEDEFOP wurden hierfür Beispiele guter Praxis ausgetauscht und ausgewertet.

2.3

Erst mit der Politik des Lebenslangen Lernens öffnete die EU-Kommission auch Fenster für bisher politisch vernachlässigte Bereiche wie die Erwachsenenbildung, das Stiefkind der Bildungspolitik. Die Einführung von besonderen Förderprogrammen zur Verbesserung der Qualität und Innovation auch in der Erwachsenenbildung (1995 ff), das Europäische Jahr des Lebenslangen Lernens 1996 und die Grundsätze einer Strategie für lebensbegleitendes Lernen in den Schlussfolgerungen des Rates vom 20.12.1996 eröffneten eine neue Phase vielfältiger politischer Aktivität. Am 30. Oktober 2000 veröffentlichte die Europäische Kommission das Memorandum über Lebenslanges Lernen, in dem eine Strategie zur Entwicklung eines Systems lebenslangen Lernens formuliert wird und das sechs Schlüsselbotschaften zur Diskussion stellt, die die Zielrichtungen für das System lebenslangen Lernens bestimmen (3).

2.4

Im Rahmen der Lissabon Strategie entstanden die Beschlüsse des Rates zum Lebenslangen Lernen (4) und das Arbeitsprogramm „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ (5), das in seiner ersten Phase der Erwachsenenbildung noch keine besondere Aufmerksamkeit widmete. Zur Stärkung einer gemeinsamen europäischen Berufsbildungspolitik wurde im Arbeitsprogramm „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ sogar noch der „Kopenhagen-Prozess“ initiiert, der mit dem Kommuniqué von Helsinki Ende 2006 zu einem ersten Abschluss kam (6).

2.5

Die Hochschulpolitik gehörte zwar auch zum Arbeitsprogramm, konzentrierte sich gleichzeitig aber im Rahmen des Bologna-Prozesses seit 1999 auf gravierende Umstrukturierungen zugunsten eines „europäischen Hochschulraums“, die die Öffnung der Hochschulen für benachteiligte Zielgruppen und die Aufgabe der universitären Weiterbildung zunächst an den Rand drängten.

2.6

Außerhalb der Aktivitäten des Arbeitsprogramms „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ wurde in den letzten Jahren eine integrierte „Förderung der umfassenden Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft“ (7) auf europäischer Ebene entwickelt, wie sie bisher für Erwachsene verschiedener Altersgruppen fehlt.

2.7

Eine „neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“ der EU-Kommission (8) und ihre Mitteilung über „eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“ (9) eröffneten indirekt auch neue Horizonte für die Erwachsenenbildung.

2.8

Der EWSA hat die Aktivitäten der EU-Kommission im Bereich des Lebenslangen Lernens in den letzten Jahren grundsätzlich begrüßt, unterstützt und mit eigenen Stellungnahmen begleitet.

3.   Zusammenfassung des Aktionsplans

3.1

Der Aktionsplan Erwachsenenbildung „Zum Lernen ist es nie zu spät“ folgt auf die Mitteilung der Kommission zur Erwachsenenbildung „Man lernt nie aus“ (10). Mit dem Aktionsplan sollen auf europäischer Ebene fünf Schwerpunkte gesetzt werden: Verbesserung der Strukturen für Governance, einschließlich Qualität, Effizienz und Zuständigkeitsverteilung der Umsetzung in der Erwachsenenbildung, Lernunterstützung und die Anerkennung der Lernerfolge.

3.2

Der Aktionsplan soll dazu beitragen, die Ziele der vorhergehenden Kommissionsmitteilung (11) umzusetzen: „Zugangsschranken zu beseitigen, Qualität und Effizienz des Sektors zu steigern, Anerkennung und Validierung zu beschleunigen, ausreichende Investitionen sicherzustellen und den Sektor zu überwachen“.

3.3

Er konzentriert sich auf diejenigen, die aufgrund eines geringen Bildungsniveaus, unzureichender beruflicher Qualifikationen bzw. eines Mangels an Kompetenzen wenig Aussicht auf eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft haben.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission einen ersten Aktionsplan für die Erwachsenenbildung von 2007-2010 erstellt hat. Dieser hat seine volle Unterstützung vorbehaltlich der in dieser Stellungnahme enthaltenen Bemerkungen. Mit dem Aktionsplan wird noch einmal klar gestellt, dass das politische Arbeitsprogramm „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ auch das Lernen Erwachsener für die Förderung des sozialen Zusammenhalts, ein aktives Staatsbürgertum, ein erfülltes Privat- und Berufsleben sowie die Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit zum Ziel hat.

4.2

Er warnt vor einer wenig effizienten Überlappung mit den Zielen und Vorhaben der Berufsbildung im Rahmen des „Kopenhagen-Prozesses“, der europäischen Beschäftigungspolitischen Leitlinien 2005-2008, des Europäischen Sozialfonds und des berufsbildenden Leonardo-Förderprogramms. In diesem Kontext wird bereits dem Ausbau von Informations- und Beratungsdiensten, der Validierung informell erworbener Kompetenzen, dem Ausbau und der Umsetzung des europäischen Qualifikationsrahmens und der Governance in Berufsbildungsinstitutionen besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

4.3

Der EWSA vertritt nach wie vor die Ansicht, dass alle Bürgerinnen und Bürger Europas lebenslangen Zugang zu einer modernen Erwachsenenbildung benötigen. Jeder sollte im Laufe seines Lebens Kompetenzen neu erwerben, auffrischen oder auf den aktuellen Stand bringen können. Auch der demografische Wandel, der Klimawandel, die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und die Herausforderungen und Chancen der Globalisierung verändern unsere Berufe und unser Leben. Diese Veränderungen verlangen auch ganz neue Erkenntnisse und Kompetenzen, die die Erwachsenen verschiedener Altersgruppen in der Schul-, Ausbildungs- oder Studienzeit noch nicht erwerben konnten.

4.4

Er vermisst daher ein integriertes visionäres Rahmenkonzept, unter dessen Dach die Lernmöglichkeiten und -bedürfnisse aller Erwachsenen ihren gemeinsamen Platz finden. Er hat sich immer wieder auch für ermöglichende Lernbedingungen für alle, auch für Menschen mit Behinderungen, eingesetzt. Dadurch entstehen vielfältige Synergien für alle Beteiligten. Auch intergenerationelles Lernen, interkulturelles Lernen, Lernen in mehreren Sprachen werden erleichtert.

4.5

Der EWSA fordert die Kommission auf, zu ihrem Aktionsplan von einer Gruppe von Erwachsenenbildungsexpertinnen und -experten einen ergänzenden „Gendermainstreaming“-Plan, einschließlich positiver Aktionen, in lebenslanger Perspektive ausarbeiten zu lassen.

4.6

Er weist auf den europäischen Referenzrahmen für die Schlüsselkompetenzen (12) hin, die auch jeder Erwachsene erwerben können sollte. Dabei wird immer wieder auf eine Reihe von zentralen Begriffen hingewiesen, die auch in der Erwachsenenbildung neue Wege der Organisation und innovative Unterrichtsmethoden inspirieren können: Kritische Reflexion, Kreativität, Initiative, Problemlösung, Beurteilung von Risiken, Entscheidungsfindung und konstruktiver Umgang mit Gefühlen.

4.7

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission zu prüfen, ob der Aktionsplan Erwachsenenbildung mit einem attraktiven jährlichen Europäischen Lernfestival und Informations- und Motivationskampagnen in Presse, Funk und Fernsehen zum Lebenslangen Lernen angereichert werden könnte. Er fordert die Kommission auf, den Bedarf an aufsuchender Sozialarbeit zu berücksichtigen, um bildungsferne Menschen für die Weiterbildung zu gewinnen. Er hält diese persönliche Kontaktaufnahme mit sozial Benachteiligten für einen wichtigen Bestandteil des Ziels, das Bildungsniveau zu erhöhen, die Anpassungsfähigkeit aller an veränderte Umstände zu stärken und den gleichberechtigten Zugang zum lebenslangen Lernen zu fördern.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der EWSA begrüßt, dass der Aktionsplan eingangs (Ziffer 1 des Aktionsplans) nicht nur das Ziel einer wettbewerbsfähigen Wissensökonomie hervorhebt, sondern auch die Vision einer Wissensgesellschaft für alle zugrunde legt, die auf soziale Integration und sozialen Zusammenhalt achtet. Er ist daher auch der Ansicht, dass bei den Analysen zum Weiterbildungsbedarf und bei den Überlegungen zur Integration durch lebenslanges Lernen auch die lokal aktiven Sozialpartner, Unternehmen, Organisationen der Zivilgesellschaft sowie die bildungsbenachteiligten Erwachsenen und ihre Familien einbezogen werden sollten.

5.1.1

Der EWSA betont, dass zur Förderung der von der Kommission benannten Menschen „mit geringer Qualifikation“ nicht nur Veränderungen bei den Betroffenen selbst notwendig sind, sondern auch der Abbau von immer noch bestehenden Lernbarrieren. Er ist der Ansicht, dass bei der Auswahl der Zielgruppen der Aktionsplan die Lernbarrieren für mehrfach benachteiligte Personen, für Menschen in Armut, für Menschen in verlassenen Regionen und Orten und in Heimen, Anstalten und geschlossenen Institutionen zu wenig beachtet.

5.1.2

Der EWSA warnt vor der Gefahr weiterer Segregation durch den lokalen und überregionalen „Handel“ mit Dienstleistungen für diese Erwachsenen, z.B. bei Ausschreibungen für gesonderte Bildungsmaßnahmen der Arbeits- und Sozialverwaltungen. Nach seiner Einschätzung würden sich die Erwachsenen von dem betreffenden Bildungsangebot noch mehr angesprochen fühlen, wenn sie im Verlauf der entsprechenden Ausbildung über die Lage auf dem lokalen und dem überregionalen Arbeitsmarkt unterrichtet würden und nicht Gefahr liefen, bei der Arbeitsplatzsuche de jure oder de facto auf Alterbeschränken zu stoßen.

5.1.3

Der Ausschuss betont, dass der sprachliche und kulturelle Reichtum, den Migranten aus europäischen und außereuropäischen Ländern einbringen, ein wichtiger Schatz für Europa ist. Die Anerkennung von Diplomen und Zertifikaten aus europäischen und außereuropäischen Ländern sollte weiter entwickelt werden. Er weist darauf hin, dass die sehr unterschiedliche rechtliche Stellung von Migranten (z.B. Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge, innereuropäische Arbeitsmigrantinnen und -migranten, Personen aus Drittstaaten, etc.) oft ihren Zugang zur Weiterbildung einschränkt, auf der anderen Seite aber auch zu verpflichtenden Bildungsmaßnahmen wie Sprachkursen führt.

5.1.4

Der EWSA vermisst klarere Konsequenzen aus dem demografischen Wandel für die Chancen zum Lebenslangen Lernen bei der älteren Generation, die nicht mehr im Arbeitsleben steht. Er verweist hierzu auf die vielfältigen Empfehlungen in seiner Initiativstellungnahme zum demografischen Wandel (13). Diese machte deutlich, dass die Menschen jeden Alters sowohl privat als auch beruflich dazulernen müssen, um diese Entwicklung mitzugestalten, um Verantwortung für andere zu übernehmen und um möglichst lange ein selbständiges Leben führen zu können. In vielen Berufsbereichen werden Zusatzqualifikationen gebraucht, in anderen entwickeln sich völlig neue Dienstleistungsprofile, für die rechtzeitig aus- und fortgebildet werden sollte.

5.1.5

Der Ausschuss empfiehlt auch im Zusammenhang mit diesem Aktionsplan die Berücksichtigung von Lernenden mit besonderen Bedürfnissen und das aktive Eingehen auf die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen, insbesondere durch Vorkehrungen zur Förderung ihrer Integration in reguläre Bildungs- und Berufsbildungsgänge (14) und durch die Verbesserung des Zugangs zu Fernunterricht, auch in Form von E-Learning.

5.1.6

Der EWSA bemerkt kritisch, dass den persönlichen Lernbedürfnissen der Erwachsenen, die nicht ökonomisch aktiv, aber in Gemeinwesen und Gesellschaft engagiert sind, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sie verfügen oft über keine ausreichenden Ressourcen, um Zugang zur Erwachsenenbildung zu bekommen.

5.1.7

Der EWSA empfiehlt, dass sich das gesamte formale Bildungssystem mehr für die Lernbedürfnisse von Erwachsenen öffnen sollte. Er wiederholt daher, dass es an der Zeit ist, „die bildungsmäßigen Altersgrenzen aufzuheben, die die europäischen Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung dem europäischen Bürger bisher aufbürdeten“ (15). Gegebenenfalls bis dahin erbrachte ausreichende Leistungen sollten in offenen und flexibleren Strukturen des formalen Bildungssystems anerkannt werden. Der Zugang aller zur Informatikausrüstung der Bildungseinrichtungen könnte das lebenslange Lernen und das E-Learning begünstigen.

5.1.8

In der Hochschulpolitik wurde nicht berücksichtigt, dass die Hochschulen auch einen Weiterbildungsauftrag haben. Auch die Hochschulbildung muss Verantwortung für das lebenslange Lernen übernehmen. Der Ausschuss betont, dass die Erwachsenenbildung der Hochschulen und die Weiterbildung von Akademikern eng mit dem Ausbau der Erwachsenenbildung zu verknüpfen sind und Teil eines Systems des lebenslangen Lernens sein müssen.

5.2

Der Ausschuss stellt fest, dass das allgemeine Ziel des Aktionsplans Erwachsenenbildung darin bestehen sollte, die fünf Schlüsselbotschaften der Kommissionsmitteilung „Man lernt nie aus“ umzusetzen. Er bemerkt kritisch, dass für die Schlüsselbotschaft 4 (Sicherstellung ausreichender Investitionen) gar keine Aktion vorgeschlagen wird. Er vertritt die Ansicht, dass eine solche vierte Aktion unbedingt in den Plan aufgenommen werden sollte.

5.2.1

Der Ausschuss regt an, dass Wirtschaft und Staat darüber hinaus auch attraktive Anreize zum Weiterlernen geben. Die „Rendite“-Erwartungen (Ziffer 2.2 des Aktionsplans) von Institutionen der Weiterbildung können nicht die einzige Motivation sein, um mehr Chancengleichheit beim Zugang zum Lebenslangen Lernen zu erreichen.

5.2.2

Der EWSA ist der Ansicht, dass es bei der Validierung von informell erworbenen Kompetenzen noch keine solide Kostenschätzung gibt. Vorsorglich weist er darauf hin, dass aus diesem Grund keinesfalls auf den weiteren Ausbau der Erwachsenenbildung verzichtet werden kann. Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) (16) und nationale Qualifikationsrahmen als Kontext der Anerkennung sind in mehreren Mitgliedstaaten während der Zeit des Aktionsplans 2007-2010 noch in einem Anfangsstadium der Entwicklung.

5.2.3

Außerdem weist der EWSA eindringlich auf die sozialen und wirtschaftlichen Kosten hin, die durch so große gesellschaftliche Gruppen mit geringer allgemeiner und beruflicher Bildung langfristig entstehen.

5.2.4

Der Ausschuss gibt zu bedenken, dass Hinweise auf die willkommene mögliche Öffnung des ESF und das Programm „Lebenslanges Lernen“ erhebliche Umschichtungen zu Lasten der bisherigen Prioritäten und staatliche Eigenmittel im Bereich der Erwachsenenbildung voraussetzen. Er weist darauf hin, dass den ESF nur wenige Länder und Regionen Europas in größerem Umfang für Innovationen, aber nicht zur Regelförderung der Erwachsenenbildung nutzen können. Die laufende Umverteilung der ESF-Mittel in den neuen Mitgliedstaaten wird auch zu Einschränkungen in anderen Regionen führen.

5.3

Der EWSA begrüßt, dass die europäischen Tarifpartner und Nicht-Regierungsorganisationen, nach ihrer Beteiligung am Konsultationsverfahren (Ziffer 1.1 des Aktionsplans) in der Vorbereitungsphase auch an der Umsetzung des Aktionsplans teilhaben und ihre besondere Expertise einbringen können. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen der Dienstleistenden und menschenwürdige ermöglichende Lernbedingungen der erwachsenden Lernenden und für ihre Nutzerrechte, unabhängig davon, ob sie für diese Dienstleistungen selber zahlen, hält der EWSA für Faktoren, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.

5.4

Er empfiehlt für die weitere Arbeit am Aktionsplan auch die Einbeziehung von mehreren Generaldirektionen der Europäischen Kommission und der einschlägigen europäischen Einrichtungen. Diese Zusammenarbeit würde die politische Kohärenz zwischen den Zielen und Aktionen der einzelnen Generaldirektionen fördern.

5.5

Der EWSA begrüßt, dass auch internationale Organisationen in die Konsultationen einbezogen wurden (Ziffer 1.1 des Aktionsplans). Er empfiehlt, dass die Europäische Kommission, gemeinsam mit den betroffenen Generaldirektionen, einen ergänzenden Internationalen Aktionsplan für die Erwachsenenbildung als nächsten Schritt erarbeitet.

5.6

Der EWSA fordert, dass bei der Aufstellung von Regeln zur guten Unternehmensführung („Governance“, Ziffer 2.2 des Aktionsplans) in Erwachsenenbildungseinrichtungen ausreichend Raum für Verschiedenheit und Vielfalt bleibt, damit auch kleinere Einrichtungen mit gemeinnützigen Zielen, die großen kulturellen „Mehrwert“ und innovative Arbeitsweisen haben, eine Chance zur Förderung bekommen.

5.7

Der EWSA hält modern ausgestattete multifunktionale lokale Lernzentren für eine Grundvoraussetzung guter Unternehmensführung (Ziffer 2.2 des Aktionsplans).

5.7.1

Er begrüßt den einleitenden Hinweis auf nützliche „Partnerschaften“ (Ziffer 2) in Städten und Regionen, vermisst jedoch konkrete Empfehlungen zum Koordinationsbedarf beim systematischen territorialen Ausbau der Erwachsenenbildung. Hierzu wird auf die vorbildliche Bewegung der „Lernenden Städte“ und der „Lernenden Regionen“ (17) in Europa hingewiesen.

5.7.2

Der EWSA empfiehlt, auch dem Neubau visionär konzipierter attraktiver wohnortnaher Lernorte für alle Erwachsenen in allen Regionen Europas im Rahmen des Aktionsplans mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ein erheblicher Teil der Erwachsenenbildung ist nach wie vor auf die Zweitnutzung von Räumen angewiesen, die eigentlich für andere Zwecke gebaut wurden und zeitlich nur beschränkt zur Verfügung stehen.

5.7.3

Der Ausschuss vermisst die ausdrückliche Einbeziehung der Heimvolkshochschulen in den Aktionsplan, da sie zu den didaktisch-methodischen Leuchttürmen der europäischen Erwachsenenbildung gehören. Mit ihren Internaten sind sie wichtige Treffpunkte für mobile Lernende und Lehrende aus ganz Europa. Sie haben in den letzten 10 Jahren erhebliche Subventionsverluste zu beklagen und etliche — auch europäisch profilierte — Einrichtungen sind in den letzten Jahren geschlossen worden.

5.8

Der EWSA stellt fest, dass die Chancen und Probleme von neuen Kommunikationstechnologien bei der Umsetzung des Aktionsplans genauer reflektiert werden und mehr in den Aktionsplan einbezogen werden sollten. Der fehlende Zugang zu Informationstechnologien ist eine weitere Dimension sozialer Ausgrenzung, deren Bedeutung wächst. So haben 46 % aller Haushalte in Europa keinen häuslichen Internet-Zugang (18) und 40 % der Europäer haben, nach eigenen Aussagen, keinerlei Internet-Kompetenzen (19). Die weitere Öffnung von kostenlos zugänglichen Lernangeboten für alle Erwachsenen im Internet ist noch nicht weit fortgeschritten, während gleichzeitig bereits Patente für Lehrkonzepte diskutiert und beantragt werden (20).

5.9

Der EWSA erkennt an, dass die Arbeitgeber auch einen großen Teil der Erwachsenenbildung in Europa stellen (Ziffer 2.2 des Aktionsplans). Darüber hinaus fördern aber auch Gewerkschaften in eigenen Einrichtungen und in den Betrieben die Erwachsenenbildung, zum Beispiel durch lokale und transnationale Kurse in ihren eigenen Organisationen und durch motivierende Lernberatung und Lernbegleitung im Betrieb. Es ist wichtig, dass der Aktionsplan darauf achtet, dass ein Gleichgewicht zwischen den Lernangeboten und faire Zugangsbedingungen für alle Lernenden geschaffen werden.

5.10

Der Ausschuss legt Wert auf den Grundsatz, dass auch bei staatlicher Grund- und Projektförderung von Einrichtungen nicht die Freiheit der Weiterbildungsanbieter auf selbständige Lehrplan- und Programmgestaltung sowie ihr Recht auf freie Auswahl des Personals angetastet werden darf, wobei natürlich bestimmte Qualitäts- und Effizienzstandards eingehalten werden müssen.

5.11

Der EWSA hält den Hinweis für wichtig, dass die Lernenden im Zentrum guter Unternehmensführung stehen sollten und dass „enge Beziehungen“ zu „Organisationen der Bildungsteilnehmer“ empfohlen werden. Er hält dies in der Erwachsenenbildung jedoch nicht für ausreichend.

5.11.1

Er vermisst klare Aussagen zur Partizipation der erwachsenen Lernenden und zu ihren Interessenvertretungen in der Erwachsenenbildung. Die demokratischen Rechte von jungen Schülern und Studenten im formalen Bildungssystem sind in den meisten Ländern Europas bisher wesentlich besser gesetzlich abgesichert als die Rechte von Lernenden in der Erwachsenenbildung.

5.11.2

Der EWSA schlägt vor, die eigenständige Beurteilung der Lernenden in den Mittelpunkt von Evaluationen zu stellen. Insbesondere Nachfrage- und Lerner-orientierte Modelle der Qualitätstestierung sollten ausgetauscht werden und Priorität haben vor der Einführung neuer staatlicher Maßnahmen zur „Überwachung“ der Anbieterqualität (21).

5.11.3

Er schlägt vor, auch besondere Überlegungen zur Sicherung der Rechte von erwachsenen Nutzern („Verbrauchern“) solcher Bildungsdienstleistungen anzustellen, die gegen Bezahlung angeboten werden. Ihre Rechte, z.B. bei notwendigen Kursunterbrechungen, Rücktritt vom Kurs bei Nichtgefallen, bei Terminverlegungen und Unterrichtsausfall, bedürfen der Ausarbeitung. Muster könnten die Empfehlungen zu den Rechten von Fahrgästen in Europa sein.

5.12

Der EWSA bestätigt, dass Mitgliedstaaten und Kommission der Grund- und Weiterbildung, dem Status und der Entlohnung von Personal in der Erwachsenenbildung (Ziffer 3.2 des Aktionsplans) mehr Aufmerksamkeit widmen sollten.

5.12.1

Der Ausschuss erkennt an, dass die Erwachsenenbildung sehr flexibel einsetzbares Personal benötigt, da die Lernenden im Zentrum stehen, fordert aber, dass hohe Anforderungen an seine Flexibilität auch mit einem hohen Maß an sozialem Schutz einhergehen sollten. Die Tarifpartner könnten begleitende Initiativen ergreifen, um in diesem Sektor die Prekarität der Lehrenden abzubauen und ihre Partizipationsrechte zu verbessern.

5.12.2

Der EWSA empfiehlt, dass bei der Verbesserung der Professionalität neben der Kompetenz zum erwachsenengerechten Unterricht die thematische Fachkompetenz besondere Beachtung finden sollte, da von ihr der Lernerfolg ganz wesentlich beeinflusst wird.

5.12.3

Der Ausschuss empfiehlt auch, Analysen und Empfehlungen zum Status der bürgerschaftlich engagierten Freiwilligen innerhalb des Sektors Erwachsenenbildung vorzubereiten.

5.13

Der EWSA nimmt das prioritäre Ziel, möglichst viele Erwachsene „eine Stufe höher“ (Ziffer 3.3) zu bringen, zur Kenntnis. Die Einteilung von Menschen und ihren Bildungszielen nach Bildungsstufen hat in der allgemeinen Erwachsenenbildung nur einen begrenzten Erkenntniswert, auch wenn natürlich in einzelnen Kursen auf Kohärenz der Vorkenntnisse besonders zu achten ist. Es kann auch nicht garantiert werden, dass Menschen nach Erreichen einer neuen formalen Bildungsstufe auch mehr soziale Anerkennung oder gar einen Arbeitsplatz bekommen. Die Begegnung ganz unterschiedlicher Lernender ist vielmehr das „Salz in der Suppe“ vieler Kurse der Erwachsenenbildung oder ökonomisch ausgedrückt „das soziale Kapital“, das in ihr steckt.

5.14

Es sollte dargelegt werden, welche Indikatoren geplant sind, die auch die nicht berufliche Erwachsenenbildung, die territoriale Versorgung und stärker als bisher auch die Bildung nicht berufstätiger Menschen ohne Altersgrenzen einbeziehen.

Brüssel, den 13. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  „Erwachsenenbildung: Man lernt nie aus“ (KOM(2006) 614 endg.).

(2)  Der dänische Erwachsenenbildner N.F.S. Grundtvig inspirierte im 19. Jahrhundert mit seinen demokratischen und sozialen Ideen die Heimvolkshochschulbewegung. Ab 2001 wurde das 2. Erwachsenenbildungsförderprogramm, die „Grundtvig-Aktion“ des neuen Sokrates-Programms 2001-2006, von der EU-Kommission nach ihm benannt.

(3)  SEK(2000) 1832, vom 30.10.2000.

(4)  Entschließung des Rates vom 27.6.2002 zum Thema „Lebensbegleitendes Lernen“ (ABl. C. 163 vom 9.7.2002).

(5)  Detailliertes Arbeitsprogramm des Rates vom 14.6.2002 zum Thema „Umsetzung der Ziele der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in Europa“ (ABl. C 142 vom 14.6.2002).

(6)  Kommunique „Überprüfung der Prioritäten und Strategien des Kopenhagen-Prozesses“, Helsinki, 5.12.2006, www.minedu.fi/export/sites/default/vet2006/pdf/Helsinki_Communiqué_de.pdf.

(7)  KOM(2007) 498 endg.

(8)  KOM(2005) 596 endg. Siehe dazu Stellungnahme des EWSA in: ABl. C 324, vom 30.12.2006, Berichterstatterin: Frau Le Nouail.

(9)  SEK(2007) 570 endg.

(10)  KOM(2006) 614 endg.

(11)  Idem.

(12)  KOM(2005) 548 endg. Siehe auch EWSA Stellungnahme zu den Schlüsselkompetenzen in: ABl. C 195 vom 18.8.2006, Berichterstatterin: Frau Herczog. Neben muttersprachlicher und fremdsprachlicher, mathematischer und naturwissenschaftlich-technischer Kompetenz, neben Computerkompetenz und Kompetenz zum Lernen sind auch die Soziale Kompetenz und die Bürgerkompetenz, Eigeninitiative und unternehmerische Kompetenz, Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit gleichberechtigte Dimensionen.

(13)  Vgl. dazu die Initiativstellungnahme des EWSA vom 15.9.2004 zu dem Thema „Hin zum 7. Rahmenprogramm für Forschung: Forschungsbedarf im Rahmen des demografischen Wandels — Lebensqualität im Alter und Technologiebedarf“, Berichterstatterin: Frau Heinisch ( ABl. C 74 vom 23.3.2005).

(14)  Vgl. dazu Stellungnahme des EWSA vom 10.2.2005 zu dem Thema „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein integriertes Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens“, Berichterstatter: Herr Koryfidis (ABl. C 221 vom 8.9.2005).

(15)  Idem.

(16)  KOM(2006) 479 endg. Siehe dazu Stellungnahme der EWSA vom 30.5.2007 zu dem Thema „Lebenslanges Lernen“, Berichterstatter: Rodríguez García-Caro (ABl. C 175 vom 27.7.2007).

(17)  Beispiele enthält: Europäische Kommission, Generaldirektion Bildung und Kultur (hg.): „European Networks to promote the local and regional dimension of lifelong learning“ (The „R3L Initiative“), März 2003.

(18)  Haushalte mit mindestens einer Person zwischen 16 und 74 Jahren, EU-27 (Eurostat, Stand: 8/2/2008).

(19)  Personen von 16 bis 74 Jahren, EU-27 (Eurostat, Stand: 8/2/2008).

(20)  Politisch grundlegend ist u.a. die Entschließung des Rates „Nutzung der Möglichkeiten der Informationsgesellschaft für die soziale Integration“ (ABl. C 292, vom 18.10.2001 S. 6), aber die Ergebnisse der folgenden Aktivitäten sind nicht für den Aktionsplan ausgewertet worden.

(21)  In Deutschland wird die unabhängige Stiftung Bildungstest gefördert.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/95


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Die Rolle der Sozialpartner bei der Verbesserung der Lage junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt“

(2008/C 204/20)

Mit Schreiben vom 19. September 2007 wurde der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss vom künftigen slowenischen Ratsvorsitz um Stellungnahme zu folgendem Thema ersucht:

„Die Rolle der Sozialpartner bei der Verbesserung der Lage junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr SOARES, Mitberichterstatterin war Frau PÄÄRENDSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 119 gegen 1 Stimme bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Vorschläge des EWSA

1.1

Der EWSA stellt mit Zufriedenheit fest, dass der slowenische Ratsvorsitz (1. Halbjahr 2008) beschlossen hat, die Integration junger Menschen in die Arbeitswelt, die derzeit eine der größten Herausforderungen für die Europäische Union darstellt, zur Priorität zu erheben.

1.2

Diese Priorität entspricht voll und ganz den Zielen der überarbeiteten Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, die mit der Aktualisierung der beschäftigungspolitischen Leitlinien in ihre zweite Phase eingetreten ist. Durch die Festlegung der Vollbeschäftigung als strategisches Ziel hat die Lissabon-Strategie veranschaulicht, dass die wirtschaftliche und unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit nicht im Widerspruch zum Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger, und ihrer Arbeitszufriedenheit sowie zur Schaffung hochwertiger Beschäftigung und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen steht. In den nationalen Reformplänen (NRP) der Mitgliedstaaten sollten deshalb die Ursachen der Jugendarbeitslosigkeit unter Berücksichtigung des Europäischen Pakts für die Jugend systematischer und umfassender behandelt werden.

1.3

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Aufrechterhaltung des Wachstums und des Wohlstands in Europa — bei gleichzeitiger Förderung des sozialen Zusammenhalts und der nachhaltigen Entwicklung — von einem umfassenden Beitrag und der Beteiligung aller Jugendlichen abhängt. Zudem müssen angemessene Voraussetzungen für eine aktive Bürgerbeteiligung junger Menschen geschaffen werden. Dies ist umso wichtiger, als der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung weiter abnimmt.

1.4

Jugendliche befinden sich heute in verschiedener Hinsicht in einer sehr schwierigen Situation, insbesondere wenn es um ihre Integration in den Arbeitsmarkt geht: Europäischen Statistiken zufolge ist die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe der jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren (1) 2,4-mal größer als in der Altersgruppe der 25- bis 54-Jährigen (auch wenn die Indikatoren 2007 eine leichte Verbesserung erkennen lassen).

1.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass Arbeit nicht nur ein für die sozioökonomische Entwicklung der Gesellschaft wesentlicher Produktionsfaktor, sondern in der heutigen Zeit auch eine der Quellen für Selbstachtung und Wertschätzung des Menschen ist sowie Möglichkeiten zur Sozialisation bietet.

1.6

Der Schlüssel zur Beschäftigung im 21. Jahrhundert ist die Fähigkeit, während des gesamten Berufslebens zu lernen und sich anzupassen. Der EWSA weist auf zwei Hauptmethoden zur Verbesserung der Lage junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt hin: mehr und bessere Bildungsmöglichkeiten und reibungslosere Übergänge zwischen dem Ende der Schulzeit und dem definitiven Eintritt ins Erwerbsleben.

1.7

Der EWSA ist sich der Schwierigkeit der Aufgabe voll und ganz bewusst und empfiehlt daher diesbezügliche gemeinsame Anstrengungen der gesamten Gesellschaft — vor allem deshalb, weil die junge Generation besonders stark unter den Folgen einer negativen Entwicklung der Märkte leiden könnte.

1.8

Tatsächlich ist bei jungen Menschen in der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre nicht nur die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie bei erwachsenen Arbeitnehmern, sondern auch der Anteil unsicherer Arbeitsverhältnisse (davon sind in einigen Ländern mehr als 60 % betroffen) — mit tiefgreifenden Folgen für die Selbstständigkeit, die Voraussetzungen für die Gründung einer Familie, die Entscheidung für eine Mutter- bzw. Vaterschaft sowie für den Ausbau und die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme.

1.9

Die Rolle der Sozialpartner, die als Hauptakteure des Arbeitsmarkts dessen Funktionsweise und Anforderungen kennen, ist entscheidend für die Entwicklung von Methoden zur Förderung der Integration junger Menschen in die Arbeitswelt. Der EWSA betont erneut, dass auch die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung insofern eine grundlegende Rolle spielen, als sie den Jugendlichen (unter Berücksichtigung ihrer Unterschiedlichkeit) die Fähigkeiten und Kompetenzen verleihen, die in einer sich stets wandelnden Welt erforderlich sind.

1.10

Andererseits erfordern Maßnahmen der Sozialpartner zur besseren Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt die Zusammenarbeit mit nationalen, regionalen und lokalen Regierungs- und Verantwortungsebenen und auch mit den verschiedenen Akteuren der Zivilgesellschaft (insbesondere den Jugendorganisationen und Hochschulen in ihrer Eigenschaft als Forschungs- und Wissenschaftszentren) sowie die aktive Unterstützung durch die Familien und die weiteren sozialen Netze junger Menschen.

1.11

Unter Berücksichtigung des gemeinsamen Texts der europäischen Sozialpartner „Framework of Actions for the Lifelong Development of Competencies and Qualifications“ („Aktionsrahmen für den lebenslangen Erwerb von Fähigkeiten und Qualifikationen“) (2) sowie aktueller Untersuchungen zu den größten Herausforderungen für die Arbeitsmärkte, die zu den Anstrengungen der Kommission mit dem Ziel, die Arbeitsmärkte sowohl anpassungsfähiger als auch integrativer zu gestalten, beitragen, hat der EWSA einige konkrete Zielsetzungen und Interventionsbereiche ermittelt, in denen die Sozialpartner eine entscheidendere Rolle spielen sollten.

1.12

Die Maßnahmen der Sozialpartner sollten auf folgenden zentralen Zielsetzungen beruhen:

Einflussnahme auf nationalen Regierungen mit dem Ziel, dass diese geeignete Reformen durchführen und nationale Maßnahmen entwickeln, die zur Verbesserung der Situation der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt beitragen;

Nutzung aller verfügbaren Mittel, insbesondere der Programme des Europäischen Sozialfonds (3), um allen jungen Menschen die Möglichkeit der Selbstverwirklichung durch stabile, hochwertige und angemessen bezahlte Beschäftigung zu bieten, und zwar mittels neuer und fortschrittlicherer Arbeitsformen und Arbeitszeitregelungen in Verbindung mit neuen Formen der Beschäftigungssicherheit, die auf reibungslosere Übergänge, mehr Mobilität und bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben abzielen;

Verkürzung der Übergangszeit zwischen dem Ende der Schulzeit und dem definitiven Eintritt in das Erwerbsleben und Eröffnung einer ersten Arbeitsmöglichkeit für Jugendliche mit der Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz schon während der Übergangszeit;

sinnvolle Nutzung der Zeiten der Nichterwerbstätigkeit im Falle arbeitsloser oder ihren ersten Arbeitsplatz suchender Jugendlicher;

Erleichterung der Integration der schwächsten Gruppen junger Menschen (Jugendliche mit sozialen Problemen oder Behinderungen, Schulabbrecher, Migrantenkinder usw.);

Gewährleistung der Vereinbarkeit von Beruf mit Privat-/Familienleben;

Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Flexibilität und Sicherheit — mit der Unterscheidung zwischen Personen, die die Flexibilität wählen können, weil sie Sicherheit haben, und denen, die Opfer der Flexibilität sind, weil sie keine Sicherheit haben;

Gewährleistung einer besseren Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Sekundarschulen und Universitäten;

Schaffung von Anreizen für Unternehmergeist, Kreativität und Innovation und Unterstützung von Jugendlichen dahingehend, dass sie ihre Verantwortung für die eigene Weiterbildung begreifen; in diesem Zusammenhang sind die Behörden für die Schaffung effizienter Beziehungen zwischen Bildungssystem und Arbeitsmarkt mitverantwortlich;

Verbesserung der Qualität und Attraktivität von Lehren;

Förderung von Maßnahmen zur Verhinderung der Langzeitarbeitslosigkeit unter Jugendlichen;

Aufklärung junger Menschen über ihre wirtschaftlichen und sozialen Rechte und Einhaltung bzw. Gewährleistung der Einhaltung der Grundsätze der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung.

1.13

Die Interventionsbereiche sind zahlreich und breit gefächert, können aber sieben großen Gruppen zugeordnet werden:

Ausbildung und Unterricht: Intervention auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, um Schulen und Lehrkräfte für die Bedeutung einer stärkeren Verbindung zur Arbeitswelt zu sensibilisieren; Öffnung der Unternehmen und Gewerkschaften für die Schule und Förderung von bzw. Teilnahme an Initiativen der Schulen mit diesem Ziel; Anbahnung von Partnerschaften mit Schulen, um den Jugendlichen Möglichkeiten zu geben, in Unternehmen eine Lehre aufzunehmen;

Berufliche Bildung: Mitwirkung an der Gestaltung und Organisation der Systeme der beruflichen Bildung; Ermutigung zur persönlichen Weiterbildung und zum Erwerb sozialer Kompetenzen; Entwicklung von Programmen zur Förderung unternehmerischer Initiative; Förderung und Unterstützung von Ausbildungsmaßnahmen, die es ermöglichen, den künftigen Anforderungen des Markts in puncto Kompetenzen und Qualifikationen Rechnung zu tragen; Information der Jugendlichen über technische Berufe und deren Potenzial auf dem Arbeitsmarkt;

Berufspraktika: Angebot von Praktika während der Schulzeit; Erarbeitung von Verhaltenskodizes für Arbeitsbedingungen und Vergütungen, um die Konkurrenz zwischen Unternehmen zu verhindern, Definition eines Konzepts und bewährter Methoden für die Betreuung der Jugendlichen im Praktikum;

Kollektivverhandlungen: Einbeziehung der Rechte der Jugendlichen als vollwertigen Bürgern in die Konsultation und den sozialen Dialog; Aushandlung von Formen der Arbeitsorganisation, die den Jugendlichen auf ihrem Weg in das Erwerbsleben eine sichere Perspektive bieten können; Förderung der Möglichkeit für junge Arbeitnehmer, ihre Ausbildung fortzusetzen bzw. abzuschließen;

Zusammenschlüsse: Zusammenarbeit mit den Jugendorganisationen; Förderung und Verbreitung der Kontaktnetze zwischen den Jugendlichen und der Arbeitswelt; Anregung zum Zusammenschluss von jungen Unternehmern wie auch Arbeitnehmern in ihren jeweiligen Vertretungsgremien sowie Anerkennung ihrer durch nichtformale Bildung erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten;

Bewährte Methoden: Förderung des Austauschs bewährter Methoden, insbesondere über die Einrichtung von Plattformen für den Austausch von Erfahrungen, beispielhaften Verfahren und Informationen über Projekte, die von Unternehmen, Hochschulen, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften durchgeführt werden;

Mobilität (sowohl innerhalb der EU als auch innerhalb von Unternehmen): Förderung des Fremdsprachenlernens (4), Ermöglichung des berufsbezogenen Erfahrungsaustauschs unter Gewährleistung der Arbeitnehmerrechte. Die Sozialpartner müssen besonders auf die grenzübergreifende Zusammenarbeit achten, da hier die Mobilität von Jugendlichen am größten ist.

1.14

Als europäische Institution zur Vertretung der organisierten Zivilgesellschaft schlägt der EWSA im Rahmen seiner Zuständigkeiten vor, eine Konferenz zu veranstalten, die sich an Vertreter von Unternehmen, Gewerkschaften, Schulen und die Jugend vertretende Nichtregierungsorganisationen richten und zum Ziel haben soll, den Austausch bewährter Methoden zur Verbesserung der Eingliederung junger Menschen in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

2.   Aktuelle Lage

2.1

Angesichts der derzeitigen Lage der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt begrüßt der EWSA das Ersuchen des slowenischen Ratsvorsitzes um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema „Die Rolle der Sozialpartner bei der Verbesserung der Lage junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt“.

2.2

Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit sowie — allgemeiner gesehen — der Integration junger Menschen in die Gesellschaft besteht weltweit (5).

2.3

Eine weitere weltweite Entwicklung in den Industriegesellschaften betrifft die Alterung der Bevölkerung, die tendenziell negative Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstumskapazität hat. Sie führt zu Zusatzkosten für die Gesundheits- und Rentensysteme (6), während die Bevölkerung, die diese Systeme finanziert, schrumpft (7). Deshalb erscheint es notwendig, Maßnahmen zur Förderung des „aktiven Alterns“ in der Bevölkerung und vor allem zur Erleichterung des Zugangs für junge Menschen zum Arbeitsmarkt zu ergreifen sowie Maßnahmen zur Unterstützung der Generationenerneuerung vorzusehen, an der sich junge Menschen nicht beteiligen — aus Furcht vor prekärer Beschäftigung. Hier ist ein gemeinsames Engagement auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene unter Einbeziehung des öffentlichen Sektors und der Sozialpartner gefragt, um das Thema „Jugendliche“ in den Mittelpunkt der Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- und Bevölkerungspolitik zu rücken.

2.4

Obwohl im Zeitraum 2005-2007 in der EU sieben Millionen Arbeitsplätze geschaffen wurden, ist es im Lissabon-Zyklus noch nicht gelungen, die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Nach Angaben der Kommission lag die Jugendarbeitslosigkeit 2006 bei durchschnittlich 17,4 %, was konkret bedeutet, dass 4,7 Millionen junge Menschen in sozialen und beruflich unsicheren Verhältnissen lebten. In einigen Ländern betrug ihr Anteil über 25 % (8). Gemäß dem vierteljährlichen EU-Arbeitsmarktrückblick (Oktober 2007) sank die Jugendarbeitslosigkeit im dritten Quartal 2007 zwar auf 15,2 %, war damit aber immer noch doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosigkeit.

2.5

Zudem haben diese 4,7 Millionen junge Menschen in der EU im Allgemeinen in den ersten sechs Monaten der Arbeitslosigkeit keine Aussicht auf einen beruflichen Neuanfang, was deutlich macht, dass es mit der Lissabon-Strategie trotz der Verabschiedung des Europäischen Pakts für die Jugend 2005 noch nicht gelungen ist, die Lage der jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Eine bessere Umsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend an der Basis ist deshalb zunehmend wichtig.

2.6

Allerdings weisen die Entwicklungen bei Beschäftigung und Arbeitslosigkeit nicht in allen Mitgliedstaaten die gleiche Tendenz auf (9). Mit Jugendarbeitslosigkeitsquoten von unter 10 % konnten die Niederlande, Irland und Dänemark eine Senkung erreichen. In Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, Belgien, Polen, der Slowakei und sogar in Schweden sieht die Lage mit Quoten, die sich bei 20 % eingependelt haben, anders aus (10).

2.7

Die Gefahr, dass aus der Jugendarbeitslosigkeit Langzeitarbeitslosigkeit oder sogar Nichterwerbstätigkeit wird, ist sehr groß (ca. ein Drittel Langzeitarbeitslose (11)), wobei Frauen besonders stark betroffen sind und sich diese Situation mit zunehmenden Alter noch verschärft.

2.7.1

Es überrascht nicht, dass die Jugendlichen, die die Schule vorzeitig abgebrochen haben (einer von sechs) oder die keinen Sekundarschulabschluss haben (einer von vier jungen Erwachsenen im Alter von 25 bis 29 Jahren (12)), nicht so leicht eine Beschäftigung finden wie Jugendliche mit mehr Qualifikationen.

2.7.2

Überraschend ist hingegen, dass auch die Jugendlichen mit höheren Qualifikationen und Kompetenzen Probleme haben, eine Arbeitsstelle zu finden. In einigen Mitgliedstaaten ist die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen mit dem höchsten Bildungsniveau höher als bei Jugendlichen mit einem niedrigeren oder mittleren Bildungsniveau (13). Tatsächlich bedeutet ein Bildungsniveau, das höher ist als bei vorherigen Generationen, dass der Eintritt in den Arbeitsmarkt schwieriger ist. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Besitz eines Abschlusses heutzutage zwar ein wertvolles Mittel, aber keine Garantie gegen Arbeitslosigkeit ist.

2.7.3

Eine große Zahl junger Menschen ist von dem Missverhältnis zwischen ihren Qualifikationen und ihren Beschäftigungsmöglichkeiten betroffen (der Anteil junger Arbeitnehmer bis 35 Jahre, die außerhalb ihres Ausbildungsgebiets arbeiten, liegt in den Mitgliedstaaten bei 29 bis 47 %). Diese Situation wird umso besorgniserregender, je niedriger das erreichte Bildungsniveau ist.

2.8

Verstärkt wird dadurch auch die Abwanderung vieler junger Menschen in andere Länder, die bessere Arbeitsbedingungen, vier- bis fünfmal höhere Löhne, attraktivere Karriereperspektiven und mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung bieten (14).

2.9

Für viele junge Menschen, die Arbeit finden, bleibt die Situation aufgrund eines prekären Arbeitsverhältnisses äußerst unsicher. In der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen (15) haben 41 % befristete Arbeitsverträge, in manchen Ländern sogar über 60 % (16). Oftmals ist das auf eine bewusste Entscheidung der jungen Menschen zurückzuführen, die eine Beschäftigung für einen kurzen Zeitraum suchen, allerdings die Zahl der Jugendlichen, die sich unfreiwillig in dieser Situation befinden, signifikant (einer von vier) (17).

2.10

Jugendliche Arbeitnehmer sind ebenfalls am meisten von Unfällen und Verletzungen am Arbeitsplatz betroffen (18). Deshalb müssen bei der Untersuchung der Beschäftigungssituation junger Menschen auch die Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen am Arbeitsplatz berücksichtigt werden.

2.11

Junge Frauen sind von Arbeitslosigkeit am stärksten betroffen (19), denn bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass sie in minderwertigen, unsicheren und schlecht bezahlten Stellen beschäftigt sind — und dies obwohl sie in der Regel höher qualifiziert sind als junge Männer. Frauen werden außerdem aus Gründen des Geschlechts diskriminiert, vor allem im gebärfähigen Alter. In der EU verdienen junge Frauen (unter 30 Jahren) im Durchschnitt 6 % weniger als junge Männer (20).

2.12

All zu oft kommt es dazu, dass junge Menschen wegen ihres geringen Einkommens ausgegrenzt werden oder in Armut geraten (der Anteil der Niedriglöhne bei jungen Menschen beträgt 40 %) (21).

2.13

Viele junge Menschen erleben heute Situationen, die sie in ihrer sozialen Integration und vor allem bei der Erreichung persönlicher und sozialer Selbständigkeit zurückwerfen und die sich zusammenfassend wie folgt beschreiben lassen:

wachsende finanzielle Abhängigkeit von der Familie und/oder vom Staat;

immer längeres Zusammenleben mit den Eltern oder ähnliche Lösungen (doppelter Wohnsitz, Rückkehr nach dem ersten Auszug oder auch eigener Wohnsitz, aber mit enger Beziehung zu den Eltern);

immer spätere Gründung einer eigenen Familie (Ehe oder Lebensgemeinschaft, Entscheidung für Kinder usw.)

klare Anzeichen für Frustration und erhöhten Stress durch ein Gefühl der Machtlosigkeit (Zunahme von Selbstmorden und Drogenkonsum).

3.   Arbeit als Faktor für Selbstachtung und Anerkennung durch die Gesellschaft

3.1

Arbeit ist nicht nur einer der grundlegenden Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft im Allgemeinen; sie umfasst auch Aspekte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind. In diesem Zusammenhang sollte das Recht junger Menschen auf Beschäftigung und auf einen sicheren Arbeitsplatz als universelles Recht und als Mittel zur Sicherung der individuellen Zukunft betrachtet werden.

3.2

Es ist also wichtig, die zentrale Bedeutung von Arbeit in der Gesellschaft (erneut) zu betonen und einige ihrer derzeitigen Komponenten zu analysieren — namentlich:

Menschenwürdige Arbeit als Einkommensquelle zur Existenzsicherung heute und in Zukunft und als Aspekt der „Solidarität zwischen den Generationen“;

Arbeit als universelles Recht, als Raum, in dem sich Selbstachtung und Wertschätzung des Menschen entwickeln;

Arbeit als Produktionsfaktor;

Arbeit als aktive Bürgerschaft und gesellschaftlich nützliche Tätigkeit;

Arbeit als grundlegender Faktor der Sozialisation;

Arbeit als Ausdruck von Qualifikationen und Kreativität;

Arbeit als Bedingung für den Zugang zu Konsumstandards und Lebensstilen;

Arbeit als Tätigkeit des Menschen, die sich anpasst und an Wert gewinnt in einer Gesellschaft, die sich zunehmend mit Umweltfragen und -werten auseinandersetzen muss;

Arbeit als Möglichkeit, zu sich selbst zu finden, seine Persönlichkeit zu entwickeln und sich zu verwirklichen.

3.3

Wir begegnen heute neuen Formen der Arbeit, die das Ergebnis tiefgreifender Veränderungen in der Arbeitswelt sind und die nicht notwendigerweise wichtigen sozialen Aspekten Rechnung tragen bzw. den Arbeitnehmern die notwendigen rechtlichen Garantien bieten.

3.4

Die Prekarität der Arbeitsverhältnisse von Jugendlichen in Verbindung mit entregulierten Arbeitsabläufen und -zeiten sind Faktoren, die die Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben erschweren. Vor diesem Hintergrund sind junge Frauen besonders hart betroffen und oftmals gezwungen, auf eine lohnende Karriere zu verzichten. Junge Eltern sollten insbesondere um ihre Meinung bezüglich der Schaffung von Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder gebeten werden.

3.5

Junge Menschen können einen großen Beitrag zum Aufbau einer kohärenteren und demokratischeren Wissensgesellschaft leisten. Sie brauchen jedoch nicht nur kurz-, sondern auch langfristige Perspektiven, die sich auf persönliche, familiäre und kollektive Sicherheit gründen.

4.   Allgemeine und berufliche Bildung: wesentliche Faktoren für die Integration in den Arbeitsmarkt sowie für die erfolgreiche gesellschaftliche Eingliederung und Teilhabe

4.1

In seiner Stellungnahme zur „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (22) hat der EWSA die Bedeutung der allgemeinen und beruflichen Bildung bekräftigt und insbesondere die Notwendigkeit folgender Maßnahmen hervorgehoben:

„Gewährleistung hochwertiger Qualifikation von der Erstausbildung bis zur beruflichen und berufsbegleitenden Ausbildung, um möglichst reibungslos am Arbeitsmarkt Fuß fassen und kontinuierlich dort verbleiben zu können, wobei hier nicht nur die öffentliche Hand, sondern die Wirtschaft selbst in die Pflicht zu nehmen ist;

frühzeitige aktive Betreuung von Lehrstellen und Arbeitsplatz suchenden Jugendlichen (ggf. bereits nach 4 Monaten), verstärkte Schwerpunktprogramme sowie individuelle Förderung und Coaching zur Integration von Problemgruppen wie langzeitarbeitslosen Jugendlichen sowie Schul- und Lehrabbrechern u.a. über gemeinnützige Beschäftigungsprojekte und Ausbildungsförderung;

Ausbau leicht zugänglicher flächendeckender Berufsorientierungs- und Informationsmöglichkeiten für junge Frauen und Männer auf allen Ebenen der Ausbildung; entsprechende Qualitätsverbesserung und personelle Ressourcenausstattung der Arbeitsmarktverwaltungen;

Abbau bestehender Diskrepanzen zwischen den angebotenen und den am Arbeitsmarkt nachgefragten Qualifikationen; Steigerung der Leistungsfähigkeit der primären Bildungssysteme (u.a. Senkung der Schulabbrecherquoten (23), Kampf gegen Analphabetismus), sowie Erhöhung der Durchlässigkeit zwischen Lehrausbildung und weiterführender Ausbildung; Abbau geschlechtsspezifischer Segregation in der Berufsorientierung.“

4.2

Obwohl der Hauptauftrag der Schulen weiterhin darin bestehen muss, freie, kritische und selbstständige Bürger heranzubilden, müssen ihnen auch neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden, vor allem hinsichtlich ihrer Beziehungen zur Arbeitswelt und zu den Unternehmen, von denen sie im Allgemeinen weit entfernt sind. Diese Beziehungen sind heute geradezu zwingend notwendig, um einen reibungsloseren Übergang zwischen Schule und Arbeit zu gewährleisten.

4.3

Darüber hinaus setzt der Besitz von Fähigkeiten zur Bewältigung des Wandels voraus, dass die Förderung von Unternehmergeist und Initiative ein fester Bestandteil des Auftrags der Schulen sein muss, Verantwortungsgefühl (auch auf persönlicher Ebene) zu vermitteln und junge Menschen zu befähigen, Lösungen für die Probleme zu finden, auf die sie nach ihrer Schulzeit zwangsläufig stoßen werden. Bei der Verwirklichung dieses Ziels spielt natürlich auch das System der nichtformalen Bildung eine Rolle.

4.4

Das lebenslange Lernen gewinnt auch für Jugendliche insofern an Bedeutung, als es ihnen die notwendigen Mittel an die Hand geben kann, um sich neuen Situationen anzupassen und sich neue Kompetenzen und Qualifikationen anzueignen.

4.5

Auch die Modelle der beruflichen Bildung könnten aktualisiert werden. In einigen Ländern gibt es Beispiele für die Integration in den Arbeitsmarkt mithilfe von Praktika in Unternehmen. Auch hier kommt es darauf an, Modelle zu entwickeln, die junge Menschen attraktiv finden und die sie und ihre Familien als lohnend erachten (24).

4.6

Im Zusammenhang mit der individuellen beruflichen Betreuung (job coaching) für jugendliche Langzeitarbeitslose kann auf ein österreichisches Projekt hingewiesen werden, das dazu beigetragen hat, die Quote der jugendlichen Langzeitarbeitslosen in einer bestimmten Zielgruppe um 43,5 % zu senken (25). Von den 2000 Jugendlichen, die an dem Projekt teilnahmen, fanden 820 einen Arbeitsplatz und 293 eine Lehrstelle, was einer Erfolgsquote von 60 % entspricht (26).

4.7

Des Weiteren sollten im Rahmen der europäischen Forschungsmaßnahmen und -programme die auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene unternommenen Anstrengungen im Bereich der Bildung, d.h. sowohl der Grundschul- als auch der Berufsbildung, koordiniert werden.

5.   Die Rolle der Sozialpartner

5.1

Es bedarf eines umfassenden Ansatzes für die einzelnen jugendpolitischen Maßnahmen. Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommission die vom EWSA unterstützte Mitteilung „Förderung der Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft“ vorgelegt (27). Darüber hinaus hat die Kommission die Notwendigkeit bekräftigt, den Europäischen Sozialfonds zu nutzen, dessen Verordnung ausdrücklich die Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt vorsieht (28).

5.2

Das Ziel der Verbesserung der Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt sollte als kollektive Aufgabe betrachtet werden, die die Beteiligung der gesamten Gesellschaft — einschließlich der Sozialpartner und anderer Akteure (öffentliche Verwaltungen, nationale, regionale und lokale Regierungs- und Verwaltungsebenen, Familien und Jugendorganisationen usw.) — erfordert.

5.3

Im besonderen Falle der Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt kommt den Sozialpartnern eine maßgebliche Rolle zu: Sie kennen die Funktionsweise und die Anforderungen des Markts; sie kennen das teilweise vorhandene Missverhältnis zwischen diesen Anforderungen und den Qualifikationen der Erwerbspersonen; sie kennen und erleben die Probleme, die sich aufgrund der Entwicklung des Markts und der neuen Arbeitsorganisationsformen stellen.

5.4

Die Sozialpartner sollten ihre Anstrengungen zur Förderung der Beschäftigung von Jugendlichen noch intensivieren. Dazu sollten sie die Zusammenarbeit mit Jugendorganisationen und Bildungseinrichtungen verstärken und weiter ausbauen, indem sie für die zeitnahe Spezifizierung der auf dem Arbeitsmarkt notwendigen Qualifikationen, die Ermittlung der für bestimmte Berufe erforderlichen Fähigkeiten, die Bündelung der Kräfte zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche usw. sorgen, wobei sie die Courage haben sollten, auf die Fähigkeiten der Jugendlichen zu vertrauen, ohne von ihnen bereits zuvor erworbene Erfahrung zu fordern usw.

5.5

Die Beteiligung der Sozialpartner hat insbesondere folgende Zielsetzungen:

Einflussnahme auf die nationalen Regierungen dahingehend, dass sie geeignete Reformen durchführen und nationale Maßnahmen ergreifen, die zur Verbesserung der Situation der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt beitragen;

Gewährleistung der Möglichkeit der Selbstverwirklichung für alle jungen Menschen durch stabile und hochwertige Arbeitsplätze;

Verkürzung der Übergangszeit zwischen dem Ende der Schulzeit und dem endgültigen Eintritt in das Erwerbsleben;

Eröffnung der Perspektive einer sicheren Zukunft während dieser Übergangszeit;

sinnvolle Nutzung der Zeiten der Nichterwerbstätigkeit im Falle arbeitsloser oder arbeitssuchender Jugendlicher;

Erleichterung der Integration der schwächsten Gruppen junger Menschen, insbesondere von Schulabbrechern;

Gewährleistung der Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben;

Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Flexibilität und Sicherheit.

Es berücksichtigt verschiedene Bereiche:

5.5.1   Erziehung und Bildung

Sensibilisierung der Bildungsbehörden, Schulen und Lehrkräfte für die Notwendigkeit engerer Beziehungen zur Arbeitswelt;

Förderung auf lokaler Ebene sämtlicher Initiativen, die entweder von Schulen oder von Unternehmen und Gewerkschaften ausgehen und Jugendliche in Kontakt mit der realen Arbeitswelt bringen;

Aufbau von Partnerschaften mit den Schulen, damit Jugendliche Berufserfahrungen in Unternehmen sammeln können;

Förderung von Kreativität und Unternehmergeist in Zusammenarbeit mit allen Interessenträgern (einschließlich Unternehmen und Gewerkschaften) (29);

Information der Hochschulen über die Erfordernisse des lokalen Arbeitsmarkts und die entsprechenden Ausbildungs- und Qualifikationserfordernisse;

Einbeziehung einschlägiger Jugendgremien und -organisationen aller Ebenen in den Dialog über die Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt.

5.5.2   Berufliche Bildung

Aktive Beteiligung an der Konzipierung und Organisation der Systeme der beruflichen Bildung, um auf den Bedarf an neuen Fähigkeiten und Kenntnissen zu reagieren und so die künftigen Erfordernisse des lebenslangen Lernens zu antizipieren;

Erörterung der Möglichkeit, im Rahmen von Tarifverhandlungen globale, regionale und/oder lokale Verträge für die berufliche Bildung und das lebenslange Lernen abzuschließen; es muss deshalb gewährleistet werden, dass die Steuersysteme der Mitgliedstaaten Investitionen in Humanressourcen unterstützen;

Information junger Menschen über technische Berufe und deren Potenzial auf dem Arbeitsmarkt;

Beitrag zur Umsetzung und Bewertung des Europäischen Qualifikationsrahmens (30) zur Erleichterung der Anerkennung von Abschlüssen junger Menschen und deren Mobilität in Europa.

5.5.3   Berufspraktika

Angebot von Praktika im Rahmen des Schulunterrichts, sodass Jugendliche frühzeitig in Kontakt mit Unternehmen und Arbeitnehmern kommen;

Erarbeitung von Verhaltenskodizes bezüglich Arbeitsqualität, Arbeitsbedingungen und Bezahlung von Praktikanten sowie Abschluss von Tarifvereinbarungen zu diesem Zweck;

Einführung von Tutoren, die für die Betreuung der jungen Praktikanten am Arbeitsplatz zuständig sind, um Praktika als wahrhafte Bildungsprojekte zum Erfolg zu führen, und Beitrag zur Aufstellung sektorspezifischer Verhaltenskodizes für die Tutoren.

5.5.4   Tarifverhandlungen und Rechte der jungen Menschen

Im Bereich der Tarifverhandlungen auf europäischer, nationaler, regionaler, lokaler oder betrieblicher Ebene: Berücksichtigung der Notwendigkeit konkreter Maßnahmen mit dem Ziel, die Integration junger Menschen in die Arbeitswelt zu fördern und sie über ihre Rechte aufzuklären;

In den Diskussionen über die Arbeitsformen und -regelungen, die ausgehandelt werden und Gegenstand von Verträgen sein können: besondere Aufmerksamkeit für junge Arbeitnehmer, sodass die Flexibilität ausgehandelten Regeln unterliegt, die ihnen die nötige Sicherheit garantieren. Die Sicherheitsperspektive während des Übergangs der jungen Menschen in das Erwerbsleben kann und muss bei Tarifverhandlungen berücksichtigt werden;

Im Rahmen der Tarifverhandlungen: Beitrag zur Aushandlung von Arbeitsbedingungen für Schüler und Studenten, die flexible Arbeitszeiten, angemessene Bezahlung — insbesondere für Praktika — und Zeiten für die Ausbildung vorsehen;

Ebenfalls im Rahmen von Tarifverhandlungen: Ermöglichung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, insbesondere durch entsprechende Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten.

5.5.5   Zusammenschlüsse

Ausübung einer herausragenden Rolle bei der Förderung von Zusammenschlüssen junger Menschen — durch die Unterstützung der Gründung von Verbänden junger Unternehmer oder durch die Integration der Arbeitnehmer in ihre Berufsorganisationen;

Förderung, Verbreitung und Unterstützung von Netzen, die eine Kommunikation zwischen den jungen Menschen und den verschiedenen Sozialpartnern ermöglichen (31).

Zusammenarbeit mit Jugendorganisationen, um die Ängste und Wünsche der Jugendlichen zu verstehen und diese in die Suche nach Lösungen einzubinden, vor allem was den Arbeitsmarkt betrifft.

Anerkennung der durch nichtformale Bildung in Jugendorganisationen erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten als wichtige Qualifikationen für den Eintritt in den Arbeitsmarkt.

5.5.6   Bewährte Methoden

Informationsaustausch zu bewährten Methoden (32) durch die Einrichtung nationaler und europäischer Plattformen für Projekte von Unternehmen, Hochschulen, Schulen, lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften.

5.5.7   Mobilität

Förderung der Mobilität sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch innerhalb von Unternehmen, die in mehreren europäischen Ländern ansässig sind, Unterrichtung der Jugendlichen über ihre Rechte im Bereich der innereuropäischen Mobilität und in diesem Zusammenhang Förderung des Fremdsprachenlernens sowie Ermöglichung des berufsbezogenen Erfahrungsaustauschs unter Gewährleistung der Arbeitnehmerrechte (33).

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Es ist darauf hinzuweisen, dass in einigen Mitgliedstaaten das Mindestalter für eine Erwerbstätigkeit höher ist als 15 Jahre.

(2)  Siehe: http://www.etuc.org/IMG/pdf/Fram_of_actions_LLL_evaluation_report_FINAL_2006.pdf (Text nur auf Englisch verfügbar); zum europäischen Sozialen Dialog siehe auch: http://ec.europa.eu/employment_social/dsw/dspMain.do?lang=de.

Siehe:

(3)  http://ec.europa.eu/employment_social/social_dialogue/docs/lf_070227_donnelly.pps;

http://ec.europa.eu/employment_social/esf/fields/education_de.htm

In Kürze werden umfassende Informationen auf folgender Website veröffentlicht http://ec.europa.eu/employment_social/esf/fields/partnership_de.htm..

(4)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 26.10. 2006 zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“, Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL (ABl. C 324 vom 30.12.2006).

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2006:324:0068:0073:DE:PDF

(5)  Im Vergleich der EU mit anderen Industrieländern wie etwa den USA, Kanada oder Japan lag die Beschäftigungsquote in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen im Jahr 2006 bei 35,9 % — gegenüber 54,2 % in den USA, 58,7 % in Kanada und 41,4 % in Japan.

(6)  Die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit wird vor allem in den nächsten 25 Jahren eine Herausforderung darstellen, wenn 20 Millionen Menschen aus dem Arbeitsmarkt der EU ausscheiden.

(7)  In Europa wird sich das 2004 festgestellte Verhältnis von vier Personen im erwerbsfähigen Alter zu einer Person im höheren Lebensalter auf 2 zu 1 reduzieren. Ab 2015 wird der Rückgang der Erwerbsbevölkerung zur Bremse des potenziellen Wirtschaftswachstums der Union, das von der gegenwärtigen Rate von 2,6 % (in der Eurozone) und 2,9 % (in der EU-27) bis 2040 auf lediglich 1,25 % fallen könnte. Diese Auswirkung wird in den neuen Mitgliedstaaten sogar noch stärker spürbar sein.

(8)  Eurostat-Studie über Arbeitskräfte in Europa, in: „Beschäftigung in Europa 2007“, Europäische Kommission.

(9)  Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass durch die alleinige Heranziehung der Jugendarbeitslosigkeitsquote keine umfassende Einschätzung der Situation von Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt möglich ist. Eine solche Analyse sollte auch den Anteil der Jugendarbeitslosigkeit an der allgemeinen Arbeitslosigkeit sowie einen Vergleich der Jugendarbeitslosigkeitsquote mit der allgemeinen Arbeitslosigkeitsquote in dem jeweiligen Land umfassen. Die unter Ziffer 2.6 genannten Daten sind als exemplarisch anzusehen. Ausführlicher wird das Problem u.a. in der Studie der Europäischen Kommission „Beschäftigung in Europa 2007“ behandelt.

(10)  „Economic Outlook“, Herbst 2007, Businesseurope, S. 14.

(11)  Eurostat-Studie über Arbeitskräfte in Europa, in: „Beschäftigung in Europa 2007“, Europäische Kommission.

(12)  Siehe: „Förderung der umfassenden Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft“ (KOM(2007) 498 endg.).

(13)  Begleitendes Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zur Mitteilung „Förderung der umfassenden Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft“ (SEK(2007) 1093).

(14)  Beispielsweise leben rund 400.000 Europäer mit einem Abschluss in den Bereichen Wissenschaft und Technik in den USA; darüber hinaus haben fast 10 % der 1,45 Millionen, die in den USA promoviert haben, ihr Studium in der EU absolviert.

(15)  Es ist darauf hinzuweisen, dass in einigen Mitgliedstaaten das Mindestalter für eine Erwerbstätigkeit höher ist als 15 Jahre.

(16)  Eurostat-Studie über Arbeitskräfte in Europa.

(17)  Ebenda.

(18)  Siehe: Stellungnahme des EWSA „Gemeinschaftsstrategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2007-2012“ (SOC/258), Berichterstatterin: Frau CZER.

(19)  Die Beschäftigungsquote der Frauen liegt 15 % unter der der Männer.

(20)  Siehe die derzeit erarbeitete Stellungnahme des EWSA zum Thema „Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles“ (SOC/284).

(21)  Begleitendes Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zur Mitteilung „Förderung der umfassenden Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft“ (SEK(2007) 1093).

(22)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“ vom 12.7.2007, Berichterstatter: Herr GREIF (ABl. C 256 vom 27.10.2007).

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2007:256:0093:0101:DE:PDF

(23)  In der EU verlassen fast 16 % der Jugendlichen die Schule vorzeitig, wodurch sich ein deutlicher Unterschied zum Anteil der Schulabbrecher von 10 % im Jahr 2000 ergibt. Der Anteil variiert zwischen den Mitgliedstaaten, wobei er in den Mittelmeerländern besonders hoch und in den skandinavischen und einigen mittel- und osteuropäischen Ländern besonders niedrig ist.

(24)  Beispielhaft sind die französischen Projekte zur Förderung von Wissenschaft und Technik bei jungen Menschen (siehe http://halde-prod.gaya.fr/repertoire-bonnes-pratiques-initiatives-86/consulter-90/bonne-pratique-91/scientifiques-techniques-9109.html), des „Beschäftigungsausweises“ (siehe http://halde-prod.gaya.fr/repertoire-bonnes-pratiques-initiatives-86/consulter-90/initiatives-92/autres-95/emploi-pour-9154.html?var_recherche=d %E9favoris %E9s), der „Pädagogik durch Aktivität“ der Hochschule für Handel Dijon (siehe http://halde-prod.gaya.fr/repertoire-bonnes-pratiques-initiatives-86/consulter-90/bonne-pratique-91/action-ecole-9207.html), der Übertragung der Zuständigkeit für Praktikanten auf die Bildungseinrichtung (siehe http://halde-prod.gaya.fr/repertoire-bonnes-pratiques-initiatives-86/consulter-90/bonne-pratique-91/sous-responsablite-9225.html) sowie von Beschäftigungsforen zur Erleichterung des Kontakts zwischen den Unternehmen und Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten, die über eine abgeschlossene Erstausbildung verfügen (siehe http://halde-prod.gaya.fr/repertoire-bonnes-pratiques-initiatives-86/consulter-90/initiatives-92/autres-95/emploi-pour-9192.html).

(25)  Siehe: http://portal.wko.at/wk/format_detail.wk?StID=314161&AngID=1.

(26)  Siehe: http://portal.wko.at/wk/format_detail.wk?StID=314161&AngID=1.

(27)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 17.1.2008 zur „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen 'Förderung der Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft'“, Berichterstatter: Herr TRANTINA.

(28)  Siehe Fußnote 3.

(29)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 25.10.2007 zum Thema „Unternehmergeist und Lissabon-Agenda“ (, Initiativstellungnahme), Berichterstatterin: Frau SHARMA, Mitberichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 84-90): http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:044:0084:0090:DE:PDF

(30)  Siehe: „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“ (KOM(2006) 479 endg.).

(31)  Als Beispiele seien der Europäische Verband der studentischen Unternehmensberatungen (European Confederation of Junior Enterprises, JADE) (http://www.jadenet.org/) und die Initiative StartPro von EUROCADRES für Studenten und Jugendliche mit Universitätsabschluss (http://www.eurocadres.org/en/p_ms_in_europe/students_and_young_graduates) genannt.

(32)  Ein Beispiel für bewährte Praktiken war das von Businesseurope gemeinsam mit seinen Kooperationspartnern geschaffene Labor „Förderung des Unternehmergeists und Erziehung zu unternehmerischem Denken und Handeln“. Dieses Labor bietet nicht nur Beispiele für bewährte Verfahren auf diesem Gebiet in Europa, sondern trägt auch zur Verwirklichung der Ziele bei, die in der Strategie für Wachstum und Beschäftigung sowie in der Mitteilung der Europäischen Kommission „Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“ und in ihren Empfehlungen von Oslo festgelegt sind.

(33)  Die Sozialpartner haben die Grundsätze der Programme Erasmus und Erasmus Mundus sowie die Initiative der Europäischen Kommission „Erasmus-Programm für Jungunternehmer“ stets begrüßt.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/103


Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Sicherung des allgemeinen Zugangs zur Langzeitpflege und eine nachhaltige Finanzierung der Langzeitpflegesysteme für ältere Menschen“

(2008/C 204/21)

Mit Schreiben vom 19. September 2007 ersuchte der künftige slowenische Ratsvorsitz den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgendem Thema:

„Sicherung des allgemeinen Zugangs zur Langzeitpflege und eine nachhaltige Finanzierung der Langzeitpflegesysteme für ältere Menschen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Februar 2008 an. Berichterstatterin war Frau KLASNIC.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12/13. März 2008 (Sitzung vom 13. März) mit 99 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Schlussfolgerungen

1.1.1

Pflegebedürftigkeit ist ein Lebensrisiko, das in seinen Auswirkungen vom Einzelnen nur schwer allein bewältigt werden kann und daher eine generationenübergreifende solidarische Mitverantwortung erfordert (1).

1.1.2

Wie diese Mitverantwortung ausgestaltet wird, muss in erster Linie national und regional unter Berücksichtigung der jeweiligen Familien- und Steuersysteme, Erwerbssituation, Mobilität, Wohnsituation, Bevölkerungsdichte, gewachsenen Traditionen und Einstellungen geregelt werden.

1.1.3

Da es in diesem Bereich aber nicht nur eine ähnliche Problemlage in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sondern auch länderübergreifende Fragen gibt, ist eine Behandlung des Themas im Rahmen der Institutionen der Europäischen Union sinnvoll und notwendig. Dabei kommt dem Erfahrungsaustausch etwa im Rahmen der offenen Methode der Koordinierung (OMC) eine besondere Bedeutung zu, in manchen Fällen sind auch Maßnahmen in der Rechtssetzung erforderlich.

1.1.4

Wie im Gesundheitssystem fällt auch im Bereich der Langzeitpflege ein Großteil der Kosten in den letzten Lebensjahren an. Seit der Konzeption der gegenwärtigen sozialen Sicherungssysteme (Gesundheits- und Rentensysteme) ist die Lebenserwartung beträchtlich gestiegen. Die Bewältigung der sich daraus ergebenden neuen Bedürfnisse wirft schwierige Fragen der generationenübergreifenden Gerechtigkeit und Solidarität auf, die entsprechende Aufklärungs-, Bildungs- und Informationsarbeit sowie politische Maßnahmen erfordern (2).

1.1.5

Ziel muss es sein, den alten und hochaltrigen Menschen in Europa ein lebenswertes Altern in Würde und Sicherheit auch bei Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen und gleichzeitig darauf zu achten, dass im Sinne einer Generationensolidarität dadurch den nachkommenden Generationen nicht Belastungen erwachsen, die sie nicht tragen können.

1.2   Empfehlungen

1.2.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss fordert den Europäischen Rat und die Kommission auf gemeinsam mit den Mitgliedstaaten, die Probleme einer alternden Bevölkerung mit Dringlichkeit zu behandeln, um sicherzustellen, dass alle älteren Menschen die Unterstützung und die Qualität der Versorgung erhalten, die sie benötigen.

1.2.2

Um den Herausforderungen der Langzeitpflegeproblematik gerecht zu werden, ist eine Reihe von Maßnahmen notwendig. Wichtige Aspekte sind dabei:

 

Finanzierung und Leistbarkeit

Der universelle Zugang zu einem qualitativ hochwertigen Versorgungsangebot muss auch für Personen mit besonderen Schwierigkeiten oder geringem Einkommen in der Praxis gewährleistet sein;

nachhaltige Finanzierungssysteme, die die Menschen bei der Bewältigung dieses Lebensrisikos nicht allein lassen, aber auch für die Gesellschaft leistbar bleiben und nachkommende Generationen nicht übermäßig belasten, müssen entwickelt werden;

die Förderung von Maßnahmen im Bereich von Vorsorge und Prävention soll helfen, die künftige Steigerung des Bedarfs so weit wie möglich einzudämmen Dabei soll von einem breiten Vorsorgebegriff ausgegangen werden, der Aspekte der gesundheitlichen und finanziellen Vorsorge mit Aspekten der sozialen Vorsorge und der Stärkung der Alltagskompetenz verbindet;

Anreize für private Vorsorge — etwa steuerliche Anreize zur finanziellen Vorsorge — sollen in Erwägung gezogen werden, wenn dies im Interesse der Allgemeinheit für die Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit erforderlich erscheint.

 

Versorgung und Dienstleistungsangebot

Der Ausbau eines bedarfsorientierten differenzierten Versorgungsangebotes muss auch in den in dieser Hinsicht derzeit benachteiligten Regionen gewährleistet sein;

bestehende familiäre und nachbarschaftliche Netzwerke, die derzeit einen Großteil der Betreuungsarbeit leisten, müssen etwa im Wege der Ausbildung und Unterstützung von Angehörigen gefördert und gestärkt werden;

NGO, sozialökonomische Initiativen und genossenschaftliche Strukturen sollen in die Pflege- und Betreuungsarbeit verstärkt eingebunden werden;

Freiwilligenarbeit im nicht-medizinischen Pflege- sowie im Betreuungsbereich soll — insbesondere durch Ausbildung Freiwilliger — besonders gefördert werden;

ein gesunder Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern von Pflegeleistungen soll die Wahlfreiheit für die Betroffenen erhöhen und das Angebot unter den Prämissen definierter Qualitätsstandards sowie mittels Festlegung konkreter Ziele und Aufgaben- und Leistungsbeschreibungen im Rahmen der bestehenden sozialen Sicherungssysteme unter der Verantwortung des jeweiligen Gesetzgebers in den einzelnen Mitgliedstaaten weiterentwickeln helfen, sind doch diese Leistungen zu den Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse zu zählen (3);

alte und pflegebedürftige Menschen müssen verstärkt in gesellschaftliche Netzwerke eingebunden werden, auch unter dem Aspekt von Vorbeugung gegen Missbrauch und Misshandlung;

Best-Practice-Modelle im Bereich der Palliativpflege in Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege sollen entwickelt werden;

die Hospizarbeit soll ausgebaut werden.

 

Pflege- und Betreuungspersonal

die personellen Ressourcen für die Pflege und Betreuung sollen insbesondere durch eine gute Ausbildung der Pflegekräfte, verbesserte Arbeitsbedingungen und die Aufwertung der Pflegeberufe sichergestellt werden;

die Anrechnung von erworbenen Qualifikationen innerhalb der EU soll erleichtert werden;

die Kommission wird aufgefordert die Regelungen grenzüberschreitender Aspekte der Pflege zu prüfen, etwa hinsichtlich der Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen im Ausland oder der Migration von Pflegekräften;

um Schwarzarbeit zu beseitigen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um bisher illegal erbrachte Pflegeleistungen — unter Berücksichtigung der Besonderheit von Tätigkeiten in Privathaushalten — in legale Rechtsverhältnisse überzuführen.

 

Betreuung und Pflege in der Familie

die Anreize, nicht-medizinische Pflege- sowie Betreuungsleistungen zu erbringen, sollen verstärkt werden, sei es im Rahmen der Familie oder auf ehrenamtlicher Basis (4);

Strategien und Angebote für die Bereiche Demenz und Altersdepression, die für Familien und Pflegesystem gegenwärtig zu den größten Herausforderungen zählen, müssen entwickelt werden;

die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll durch Unterstützungs- und Entlastungsmaßnahmen für berufstätige pflegende Angehörige (z.B. Alterskrippen in großen Unternehmen, Entlastungsangebote, mobile Pflege) verbessert werden;

 

Regulierungen, Standards und Qualität

Qualitätsstandards sollen für alle Bereiche der Altenpflege entwickelt werden und deren effektive Kontrolle durch unabhängige Organisationen oder Aufsichtsbehörden sowie von anerkannten Institutionen zum Schutz der Menschenrechte sichergestellt werden;

Damit soll auch sichergestellt werden, dass in privaten wie öffentlichen Pflegeeinrichtungen Menschenrechte und Menschenwürde gewahrt werden und dass die eingeschränkte Handlungsfähigkeit und die Abhängigkeit der pflegebedürftigen Menschen von der Leistungserbringung nicht zu deren Nachteil ausgenützt wird;

 

Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien

Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien, Telematik und technischer Hilfsmittel soll in der Pflege und für Beobachtungszwecke unter Berücksichtigung ethischer Aspekte gefördert werden.

2.   Kontext

2.1

Der slowenische Ratsvorsitz möchte die europaweite Debatte über die Bewältigung des demografischen Wandels fortführen, und wird sein Augenmerk insbesondere auf die Solidarität zwischen den Generationen legen. Das prozentuale Verhältnis zwischen den jungen, mittleren und älteren Generationen ändert sich. Der Anteil der älteren Menschen wird immer größer. An einigen Orten zählt die heutige junge Generation nur noch halb soviel Menschen wie die nach dem zweiten Weltkrieg geborene Generation. Aufgrund dieser Tatsachen ergeben sich eine Reihe von Fragen in Bezug auf die Solidarität und das Nebeneinander der Generationen. Durch die heutige Lebensweise und Arbeitsteilung (insbesondere in den Städten) werden die Beziehungen zwischen den Generationen beeinträchtigt sowie die Bindungen zwischen ihnen geschwächt und erheblich verändert. Die verschiedenen Generationen werden zunehmend separat und aus der Sicht ihrer erworbenen Rechte behandelt. Eine falsche Reaktion kann in diesem Zusammenhang sogar zu einem Generationenkonflikt führen.

2.2

Der slowenische Ratsvorsitz plant, eine Konferenz über Solidarität und das Nebeneinander der Generationen zu veranstalten (28./29. April 2008), in deren Mittelpunkt folgende Themen stehen:

1)

Solidarität zwischen den Generationen in Bezug auf Gesundheitsfürsorge, Familienleben und Hausbau;

2)

Langzeitpflege für ältere Menschen.

2.3

In diesem Zusammenhang hat der slowenische Ratsvorsitz den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema „Gewährleistung des allgemeinen Zugangs zur Langzeitpflege und der finanziellen Nachhaltigkeit von Langzeitpflegesystemen für ältere Menschen“ ersucht.

3.   Langzeitpflege als europäische Herausforderung

3.1

Das Thema Langzeitpflege zählt zu den zentralen sozial- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, mit denen alle Länder der Europäischen Union konfrontiert sind. Es muss daher auch in der Agenda der europäischen Institutionen entsprechend berücksichtigt werden.

3.2

Die Europäischen Institutionen haben dieses Thema — ungeachtet der nationalstaatlichen Zuständigkeiten — in zahlreichen Initiativen (5) aufgegriffen und insbesondere mit der offenen Methode der Koordinierung (OMC) (6) den gegenseitigen Erfahrungsaustausch gefördert. Diese Bemühungen sollen fortgeführt und intensiviert werden, wobei der EWSA im Rahmen dieser Methode auf die Einbeziehung der Sozialpartner und zivilgesellschaftlichen Akteure größten Wert legt.

3.3

Die von den einzelnen Staaten in diesem Zusammenhang erstellten Länderberichte zeigen, dass sich viele Herausforderungen — trotz der unterschiedlichen Ausgangs- und Rahmenbedingungen — in den meisten Ländern ähnlich darstellen. Damit ist auch die gemeinsame Arbeit an Lösungsansätzen sinnvoll.

3.4

Auch die in der EU gemeinsam vereinbarten Zielsetzungen bezüglich eines universellen Zugangs zu den Diensten, einer hohen Qualität der Dienste und der nachhaltigen Finanzierung der Systeme haben sich in diesen Berichten bestätigt. Diese Ziele liegen auch dieser Stellungnahme zu Grunde.

4.   Die demografischen und gesellschaftlichen Hintergründe

4.1

Die wachsenden Herausforderungen im Langzeitpflegebereich sind das Ergebnis von Entwicklungen, die das Problem von mehreren Seiten verschärfen.

4.2

Dank einer ständig wachsenden Lebenserwartung steigt in unseren Gesellschaften die Zahl der sehr alten Menschen (über 80 Jahre) stark an: Der prognostizierte Zuwachs beträgt 17,1 % zwischen 2005 und 2010, sowie 57 % zwischen 2010 und 2030. Damit werden 2030 in Europa fast 34,7 Millionen Menschen über 80 Jahren leben, gegenüber rund 18,8 Millionen heute. Während im Jahr 1975 der Anteil der über 80jährigen an der Gesamtbevölkerung in den EU-Staaten nur 2,0 % betrug, wird er 2050 11,8 % betragen (7).

4.3

Trotz der gemeinsamen Trends gibt es auffallend große Unterschiede innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten. So liegt die Lebenserwartung in den EU-Mitgliedsländern zwischen 65,4 und 77,9 Jahren für Männer und 75,4 und 83,8 Jahren für Frauen.

4.4

Gleichzeitig leben immer mehr ältere Personen allein, weil Familienangehörige weggezogen sind oder sie verwitwet sind. Die in anderen Bereichen der europäischen und nationalstaatlichen Politik geförderte Mobilität — auch über die Grenzen hinweg — stellt den Pflege- und Betreuungsbereich vor zusätzliche Herausforderungen.

4.5

Durch die niedrigen Geburtenraten (1960 lagen fast alle EU-Staaten über der notwendigen Fertilitätsrate von 2,1 %, während im Jahr 2003 ausnahmslos alle EU-Staaten darunter lagen) wird sich nicht nur das intergenerationale Unterstützungspotenzial (Verhältnis zwischen Pflegebedürftigen und potenziell Pflegenden) — und damit das Potenzial für familiäre Pflege — verringern, es wird auch zunehmend schwieriger werden, den Bedarf an professionellen Pflegekräften am Arbeitsmarkt zu decken. Zusätzlich verschärft diese Entwicklung die Frage der Finanzierung im Bereich der Langzeitpflege.

4.6

Durch einen weiteren Aspekt des demografischen und gesellschaftlichen Wandels, nämlich die Veränderung der Familienstrukturen und die höhere Erwerbstätigkeit der Frauen, können viele, früher von der Familie — insbesondere von den Frauen — erbrachten Betreuungsleistungen in Zukunft nicht mehr oder nicht in diesem Ausmaß geleistet werden (8).

4.7

Die verbesserten Möglichkeiten der Medizin sind ein wesentlicher Faktor für die Erhöhung der Lebenserwartung und die Verbesserung der Lebensqualität. Oftmals können medizinische Behandlungen die Lebenserwartung beträchtlich erhöhen, aber ohne Heilung zu gewährleisten. Damit nehmen betreuungsintensive chronische bzw. lange andauernde Krankheiten zu.

4.8

Eine besondere Herausforderung erwächst dabei durch die steigende Zahl der Demenzerkrankungen, die einen hohen zeitlichen Betreuungsaufwand der Betroffenen und hohe Betreuungskosten bedingen sowie Altersdepressionen, die oft mit Demenzerkrankungen einhergehen bzw. ähnliche Herausforderungen an die Betreuung stellen. Dafür sind spezialisierte Angebote und Einrichtungen notwendig, in denen diese Personen mit Würde und Respekt gepflegt werden können. Dies ist umso wichtiger, als das Risiko, an Altersdemenz zu erkranken, mit der höheren Lebenserwartung proportional steigt. In diesem Zusammenhang ist auch die Problematik der Zunahme von Suiziden bei alten Menschen besorgniserregend.

4.9

Neben den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich mit dem Nachrücken neuer Altersjahrgänge in die Pflegebedürftigkeit auch die Einstellungen, die Ansprüche und die Fähigkeiten der Pflegebedürftigen selbst. Die Entwicklung zukunftsgerichteter Konzepte muss diese Dynamik berücksichtigen.

5.   Sicherstellung des Zuganges zu einem differenzierten Versorgungsangebot

5.1

Langzeitpflege besteht in der Unterstützung von Menschen, die nicht in der Lage sind, autonom zu leben, und daher in ihrem Alltag von der Hilfe anderer abhängig sind. Ihr Hilfsbedarf reicht von der Erleichterung ihrer Mobilität und der sozialen Betreuung über Einkaufen, Kochen und andere Hausarbeit bis zur Körperreinigung und Nahrungsaufnahme. Für derartige Langzeitpflege ist nicht unbedingt eine medizinische Qualifikation erforderlich. Daher wird sie in vielen Mitgliedstaaten oft den Angehörigen überlassen, normalerweise Ehepartnern und Nachkommen, auf die nach wie vor der größte Teil der Langzeitpflege entfällt.

5.2

Aus den schon dargestellten Gründen kann von den Angehörigen in Zukunft nicht mehr erwartet werden, dass sie im gleichen Maße wie früher für Pflegeaufgaben zur Verfügung stehen. Eine steigende Zahl gebrechlicher alter Menschen ist daher auf professionelle Pflegekräfte angewiesen, die ihre Leistungen in der Wohnung der pflegebedürftigen Person oder in besonderen Einrichtungen erbringen und künftig entsprechend ausgebildet werden müssen.

5.3

Langzeitpflege kann auf unterschiedliche Weise erbracht werden. Abgesehen von der familiären Pflege kann professionelle Pflege zu Hause, in Tageszentren, in Wohngruppen, in speziellen Pflegeeinrichtungen oder in Krankenhäusern geleistet werden. Pflegebedürftige Personen benötigen normalerweise mehrere Formen medizinischer und nicht medizinischer Betreuung, was eine gute Zusammenarbeit zwischen Familien, professionellen Pflegekräften und medizinischem Personal voraussetzt. Damit kommt der Koordination dieser Leistungen eine wichtige Rolle zu (Schnittstellenmanagement, Case-Management).

5.4

Es gibt in der Langzeitpflege hinsichtlich des Versorgungsangebotes keine sinnvolle Ein-Optionen-Strategie. Unterschiedliche Bedürfnisse der Betroffenen bedingen ein differenziertes Angebot an Betreuungsleistungen. Umso wichtiger ist es hinsichtlich Art, Organisation und Wirkung dieser Angebote die Erfahrungen aus anderen Ländern zu nützen.

5.5

Hinsichtlich der Betreuungsform und der Auswahl des Dienstleistungsanbieters ist für den einzelnen größtmögliche Wahlfreiheit anzustreben. Das bedingt nicht nur die Bereitstellung einer Vielfalt an Angeboten, sondern auch die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für ein Tätigwerden einer Mehrzahl von privaten, gemeinnützigen und öffentlichen Anbietern und die Förderung eines Wettbewerbes zwischen diesen Organisationen mit dem Ziel der ständigen Angebotsverbesserung. Damit dieser Wettbewerb nicht zu Lasten der Betreuten geht, muss er innerhalb von definierten Qualitätsstandards erfolgen, die auch entsprechend kontrolliert werden müssen, wobei die Verantwortung für die Festlegung der Aufgabenbeschreibung, der Zielvorgaben und der Bewertung der Ergebnisse bei diesen Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse dem jeweiligen Gesetzgeber obliegt.

5.6

Die jeweiligen Sozialschutzmechanismen in den einzelnen Ländern beeinflussen die Art und Weise, wie Pflege in Anspruch genommen wird. Wenn beispielsweise mehr Mittel für Pflegeeinrichtungen bereitgestellt werden als für die häusliche Pflege, dann werden auch mehr Menschen in derartigen Einrichtungen leben.

5.7

Grundsätzlich spricht viel dafür, der häuslichen Pflege den Vorzug zu geben. Es entspricht dem Wunsch vieler Menschen, auch im Alter und bei Krankheit zu Hause leben zu können. Die häusliche Pflege verursacht, wenn sie familiäre Betreuungsressourcen nützt, weniger Kosten als eine stationäre Betreuung. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Angehörige — insbesondere Frauen — unter Druck gesetzt werden, diese Belastungen allein zu tragen.

5.8

Ziel sollte es sein, in jeder individuellen Situation die — unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten — jeweils bestmögliche Betreuungsform zu finden. In manchen Fällen gibt es zur Unterbringung in einer stationären Einrichtung aber keine Alternative.

6.   Finanzierung der Pflegesysteme

6.1

Die Art und Weise der Finanzierung der Pflegesysteme variiert derzeit zwischen den Mitgliedstaaten und manchmal auch innerhalb derselben beträchtlich. Der Grund dafür besteht darin, dass die Langzeitpflege häufig auf verschiedene öffentliche Strukturen und Haushalte aufgeteilt ist, oft auf lokaler Ebene erbracht wird und unterschiedliche Systeme im Bereich von Sozialversicherung und Steuer sowie privater Versicherungen existieren.

6.2

Die Finanzierungssysteme für die Langzeitpflege werden wegen ihrer Abhängigkeit von nationalen und regionalen Rahmenbedingungen und Politikstrategien auch in absehbarer Zukunft unterschiedlich bleiben. Da sie derzeit in vielen Ländern hinterfragt werden, ist der Erfahrungsaustausch hinsichtlich Gestaltung und Wirkungsweise einzelner Finanzierungsinstrumente (z.B. Versicherungssysteme, steuerliche Anreize) wie auch der Leistungssysteme (z.B. persönliche Pflegebudgets, Geldleistungen, Sachleistungen) nützlich und wichtig.

6.3

Schlüsselfrage bei der langfristigen Finanzierung der Pflege dürfte sein, wie es gelingen kann, die zusätzlichen Kostenanstiege in diesem Bereich zu dämpfen. Als Maßnahmen und Strategien dafür kommen in Betracht:

die Erhaltung und Stärkung der familiären Pflegeressourcen, insbesondere durch Anreizmechanismen und Entlastungsangebote (z.B. Kurzzeitpflege, Urlaubspflege, Tagesbetreuungseinrichtungen);

die ständige Entwicklung und Verbesserung der Betreuungs- und Pflegeangebote auch im Hinblick auf deren Wahlmöglichkeit, Kosten, Qualität und Effizienz;

die Etablierung wettbewerblicher Strukturen (wo dies möglich und sinnvoll ist), um durch Konkurrenz Kostenbewusstsein und Entwicklung anzuregen;

die Umsetzung eines umfassenden Vorsorgebegriffes im Pflegebereich. Dieser soll von der gesundheitlichen Vorsorge und der Vermeidung von Verletzungspotenzialen (Sturzprävention im Haushalt) über die private finanzielle Vorsorge, bis zum Aufbau neuer sozialer Netzwerke im Alter, die Unterstützungsleistungen übernehmen können, bis hin zur Stärkung der Alltagskompetenz (z.B. Fähigkeiten im Zusammenhang mit der Führung eines Haushaltes) reichen;

die verstärkte Mobilisierung ehrenamtlichen Engagements bei Betreuungsleistungen (z.B. Nachbarschaftshilfe, Besuchs- und Begleitdienste, Hilfe bei Pflegeleistungen, Hospizbetreuung), im Sinne generationenübergreifender Überlegungen auch im Schüler- und Jugendbereich;

der verstärkte Einsatz technischer Hilfsmittel bei der Betreuung und die Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien (z.B. Smart Housing, Fernbetreuung, Erlernen elektronischer Kommunikationstechniken durch ältere Menschen).

7.   Qualität in der Langzeitpflege

7.1

Auch wer Hilfe braucht, hat Leistung verdient. In diesem Sinn hat sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, den Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und nachhaltigen Pflegeversorgung sicherzustellen (9).

7.2

Nach den Berichten der einzelnen Mitgliedstaaten gibt es derzeit große Unterschiede hinsichtlich der Ausgestaltung von Qualitätsstandards im Pflegebereich, deren rechtlicher Verbindlichkeit oder der Frage ob diese Standards national oder regional gelten. Insgesamt gaben die meisten Länder an, dass es zu wenige dieser Standards und unzureichende Regulierungen gibt.

7.3

Wie im Bereich der Finanzierung werden auch hier nationale und regionale Regelungen bestehen bleiben. Gerade in diesem Bereich könnte aber der EU-weite Austausch den Nationalstaaten wertvolle Anregungen und Benchmarks für nationale und regionale Regelungen bieten. Der EWSA regt daher an, im Rahmen eines gemeinsamen EU-weiten Projekts Qualitätskriterien für die Langzeitpflege zu entwickeln, die den einzelnen Staaten bei der Etablierung eigener Standards als Richtschnur dienen könnten und der steigenden Mobilität von Pflegebedürftigen und Pflegekräften Rechnung tragen.

8.   Arbeitsmarkt Langzeitpflege

8.1

Der Sektor Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege macht einen beträchtlichen Prozentsatz der Gesamtbeschäftigung der Europäischen Union aus (9,7 % der Gesamtbeschäftigung in der EU im Jahr 2001) und hat in der EU-15 von 1997 bis 2002 1,7 Mio. neuen Stellen geschaffen. Im Pflege- und Betreuungsbereich existiert ein beträchtlicher europäischer Arbeitsmarkt — zum Teil im legalen Bereich, in manchen Bereichen auch als Schwarzmarkt.

8.2

Der Pflegebereich bietet Arbeitsmarktchancen auch für Gruppen, die am Arbeitsmarkt oft Schwierigkeiten haben (z.B. Wiedereinsteiger, Immigranten). Der EWSA regt an, diesen Umstand sowohl in den jeweiligen Programmen der nationalen Arbeitsmarktförderungen als auch in den Europäischen Beschäftigungsprogrammen zu berücksichtigen (Umschulungen, Qualifizierungen).

8.3

Persönliche Dienstleistungen in Privathaushalten sind ein Wachstumsmarkt. Bestimmten Personen können sie in einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Verwirklichung der Wahlfreiheit hinsichtlich Berufsausübung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern. Die Beschäftigung im Haushalt ist eine Beschäftigungsform, die etwas abseits der klassischen Arbeitgeber-/Arbeitnehmerbeziehung steht. Hier besteht die Notwendigkeit, Schwarzarbeit zu beseitigen und adäquate Rahmenbedingungen für legale Rechtsverhältnisse zu schaffen.

8.4

Für die Ausbildungsmaßnahmen befürwortet der EWSA die Inanspruchnahme des Europäischen Sozialfonds — auch um die Qualität der Arbeitsplätze im Bereich der Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege langfristig anzuheben, dem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorzubeugen und die Qualität, die Flexibilität und somit die Effizienz der Versorgungskette zu verbessern. In diese Ausbildungsbemühungen sollen auch Ehrenamtliche mit eingeschlossen werden.

8.5

Im Sinne des europäischen Arbeitsmarktes ist eine möglichst rasche, unbürokratische gegenseitige Anrechnung der einschlägigen Ausbildungen anzustreben.

8.6

Sowohl medizinische als auch nicht-medizinische Pflege- und Betreuungsarbeit ist eine physisch und psychisch anstrengende Arbeit, daher muss auch die Entlastung und Begleitung der Betreuungskräfte eine wichtige Rolle spielen, damit nicht nur die Qualität der Betreuung gewährleistet ist, sondern auch der Verbleib des Personals im Erwerbsleben gefördert wird. Die Gefahr von Überlastung ist in diesem Bereich sehr hoch. Pflege- und Betreuungsarbeit ist eine fordernde Arbeit, die optimale Arbeitsbedingungen erfordert, eine gerechte Entlohnung und gesellschaftliche Anerkennung verdient.

8.7

Pflege- und Betreuungsarbeit ist überwiegend Frauenarbeit und muss damit in den entsprechenden Frauenförderungs- und Gender-Mainstreaming-Bemühungen der EU Berücksichtigung finden.

9.   Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf

9.1

Mit der Stellungnahme „Die Familie und die demografische Entwicklung“  (10) hat der EWSA ausführlich auf den demografischen Wandel in der Europäischen Union und dessen Konsequenzen für die Familien hingewiesen. Die demografische Entwicklung wird dazu führen, dass sich zukünftig mehr Menschen neben einer Berufstätigkeit um die Pflege älterer Angehöriger kümmern werden müssen. Der Ausbau von Dienstleistungen im Bereich der Pflege sollte daher auch unter dem Aspekt gesehen werden, pflegende Angehörige dabei zu entlasten und die Möglichkeit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungsverpflichtungen sicherzustellen.

9.2

Aufgabe der Sozialpartner kann es hier sein, den Austausch über in der Praxis bereits bewährte entlastende Maßnahmen für erwerbstätige pflegende Angehörige zu fördern (11).

10.   Hospizarbeit und menschenwürdiges Sterben

10.1

Überlegungen zum Lebensende sollten in der Debatte über die alternde Gesellschaft nicht ausgespart werden. In Übereinstimmung mit den UN-Grundsätzen für ältere Menschen sollten alle Menschen das Recht auf ein möglichst menschenwürdiges Sterben haben, das auch mit den jeweiligen kulturellen Wertesystemen in Einklang steht.

10.2

Der EWSA hat sich mit diesem Thema in seiner Stellungnahme „Hospizarbeit als Beispiel für freiwillige Tätigkeit in Europa“ (12) beschäftigt. Auf die dort zu diesem Thema gemachten Vorschläge sei hier verwiesen (13).

11.   Gewalt in der Pflege

11.1

Der EWSA hat sich erst jüngst in einer Stellungnahme (14) zum Thema „Misshandlung älterer Menschen“ mit der Gewaltproblematik im Zusammenhang mit häuslicher und institutioneller Pflege beschäftigt und verschiedene Anregungen erarbeitet, auf die hier ebenfalls verwiesen werden soll.

12.   Erfahrungsaustausch durch offene Koordinierung, Forschungsprojekte und zusätzliche Aktivitäten

12.1

Angesichts der Tatsache, dass eine Gemeinschaftspolitik im Bereich der Langzeitpflege rechtlich nicht möglich ist, betont der EWSA, dass die „offene Koordinierungsmethode“ ein außerordentlich wichtiges Mittel darstellt, um die Ziele der Modernisierung und Entwicklung einer qualitativ hochwertigen, für alle zugängliche und nachhaltige Langzeitpflege zu unterstützen.

12.2

Der EWSA hat in einer früheren Stellungnahme (15) bereits angeführt, welche Themen bei der Analyse und beim Erfahrungsaustausch im Mittelpunkt stehen sollten.

12.3

Der EWSA hat im Rahmen seiner Stellungnahme zum „Forschungsbedarf im Rahmen des demografischen Wandels-Lebensqualität im Alter und Technologiebedarf“ (16) umfassenden Forschungsbedarf in den Bereichen Prävention und Behandlungsmöglichkeiten, Qualifikation in den Pflegeberufen, Pflegeangebote, technische Lösungen sowie Unterstützung von Angehörigen geortet. Die dabei angesprochenen Forschungsfragen sind ebenso noch aktuell wie die dort artikulierte Forderung nach der Entwicklung europaweit koordinierter Begriffsbestimmungen für den Pflegebereich.

12.4

Daneben bedarf es der Organisation von Workshops, Konferenzen und dergleichen, um den europäischen Erfahrungsaustausch und die Entwicklung von Handlungsstrategien zu fördern.

12.5

Zusätzlich ist auch die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie OECD und WHO anzuregen.

13.   Europäisches Recht

13.1

Obwohl die europäische Rechtssetzung für den Bereich der Langzeitpflege nicht unmittelbar zuständig ist, übt sie über andere Rechtsbereiche maßgeblichen Einfluss auf diesen Bereich aus. Einerseits sind die Folgen der Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt und insbesondere über die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse unklar, andererseits gibt es die strenge Auslegung des Prinzips des freien Dienstleistungsverkehrs durch den EuGH (17). Die Pflegedienstanbieter, ihre Angestellten und die Personen in Langzeitpflege werden möglicherweise mit rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert, während der Bedarf an Langzeitpflege in allen EU-Mitgliedstaaten steigen wird. Das Angebot wird je nach Mitgliedstaat und Preisen sehr variieren, was wiederum zumindest in den Grenzregionen zu einem Anstieg des bereits existierenden Gesundheitstourismus führen und große Problem für die betreffenden lokalen Gebietskörperschaften mit sich bringen kann. Die Auswirkungen auf die Langzeitpflege soll daher bei der Entwicklung dieser Rechtsbereiche mitbedacht werden.

13.2

Insbesondere steht der Pflegebereich im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Versorgungsgarantie. Er muss daher bei der Diskussion um grenzüberschreitende Dienstleistungen, Arbeitsrecht, die Daseinsvorsorge und die Dienstleistungen von öffentlichem Interesse entsprechend berücksichtigt werden.

Brüssel, den 13. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vgl. dazu den gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates „Unterstützung nationaler Strategien für die Zukunft der Gesundheitsversorgung und der Altenpflege“, CS 7166/03, März 2003.

(2)  Vgl. dazu die EWSA-Stellungnahme vom 13.12.2007 zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der RegionenDie Solidarität zwischen den Generationen fördern“, Berichterstatter: Herr JAHIER (CESE 1711/2007 — SOC/277).

(3)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 14.2.2008 zu „Dienstleistungen vom allgemeinen Interesse“ (Berichterstatter: Herr HENCKS — TEN/289).

(4)  Zur Förderung der Freiwilligenarbeit siehe auch die EWSA-Stellungnahme vom 13.12.2006„Freiwillige Aktivitäten, ihre Rolle in der europäischen Gesellschaft und ihre Auswirkungen“, Berichterstatterin: Frau Koller (ABl. Nr. C 325 vom 30.12.2006).

(5)  Z.B. Rat der Europäischen Union, Gemeinsamer Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007, Konferenz über Langzeitpflege mit transatlantischem Gedanken- und Erfahrungsaustausch, Brüssel 2006, Konferenz „Langzeitpflege für ältere Menschen“, 2005 u.v.m.

(6)  Vgl. dazu Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Modernisierung des Sozialschutzes für die Entwicklung einer hochwertigen, zugänglichen und zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege: Unterstützung der einzelstaatlichen Strategien durch die offene Koordinierungsmethode“ vom 20.4.2004, KOM(2004) 304 sowie die EWSA-Stellungnahme zu diesem Thema vom 28.10.2004, Berichterstatter Herr BRAGHIN (Abl. Nr. C 120 vom 20.5.2005).

(7)  Mitteilung der Kommission, Grünbuch „Angesichts des demografischen Wandels-eine neue Solidarität zwischen den Generationen“, vom 16.3.2005, KOM(2005) 94.

(8)  Vgl. dazu die EWSA-Stellungnahme vom 14.3.2007 zu dem Thema „Die Familie und die demografische Entwicklung“, Berichterstatter: Herr BUFFETAUT (C 161 13.7.2007).

(9)  Vgl. Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit 2008-2013.

(10)  Vgl. dazu die EWSA-Sondierungsstellungnahme des EWSA zu dem Thema „Die Familie und die demografische Entwicklung“ vom 14.3.2007, Berichterstatter Herr BUFFETAUT (ABl. Nr. C 161 vom 13.7.2007).

(11)  Vgl. dazu die EWSA-Sondierungsstellungnahme zu dem Thema „Rolle der Sozialpartner/Vereinbarung von Beruf, Familie und Privatleben“ vom 11.7.2007, Berichterstatter: Herr CLEVER (ABl. Nr. C 256 vom 27.10.2007).

(12)  Vgl. dazu die EWSA-Initiativstellungnahme zu dem Thema „Hospizarbeit als Beispiel für freiwillige Tätigkeit in Europa“ vom 20.3.2002, Berichterstatterin: Frau EULENBURG (ABl. Nr. C 125 vom 27.5.2002).

(13)  Vgl. dazu Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Die Reaktion Europas auf die Alterung der Weltbevölkerungwirtschaftlicher und sozialer Fortschritt in einer alternden Welt. Beitrag der Europäischen Kommission zur 2. Weltkonferenz über das Altern“ vom 18.3.2002, KOM(2002) 143 endg.

(14)  Vgl. dazu die EWSA-Sondierungsstellungnahme zu dem Thema „Misshandlung alter Menschen“ vom 24.10.2007, Berichterstatterin: Frau HEINISCH ABl. C 44 vom 16.2.2008.

(15)  Idem 3.

(16)  Vgl. dazu die EWSA-Initiativstellungnahme „Hin zum 7. Rahmenprogramm für Forschung: Forschungsbedarf im Rahmen des demographischen Wandels — Lebensqualität im Alter und Technologiebedarf“ vom 15.9.2004, Berichterstatterin: Frau HEINISCH (ABl. Nr. C 74 vom 23.3.2005).

(17)  Urteil des EuGH C-341/05 vom 8.12.2007 in der Rechtssache Laval-Partneri Ltd gegen Svenska Byggnadsarbetareförbundet u.a.).


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/110


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/40/EG über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (18. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)“

KOM(2007) 669 endg. — 2007/0230 (COD)

(2008/C 204/22)

Der Rat beschloss am 21. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/40/EG über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (18. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Februar 2008 an. Alleinberichterstatter war Herr PATER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 66 gegen 1 Stimme bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Auffassung, dass der Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor den indirekten und direkten negativen Auswirkungen elektromagnetischer Felder so rasch wie möglich im Rahmen einer EU-Richtlinie geregelt werden sollte. Im Hinblick auf die von der Europäischen Kommission vorgebrachten Argumente sowie die in der vorliegenden Stellungnahme angestellten Überlegungen kommt der Ausschuss jedoch insgesamt zu einer positiven Bewertung des Kommissionsvorschlags.

1.2

Alleine durch eine zeitliche Verschiebung der Umsetzung der Richtlinie 2004/40/EG können die Probleme im Zusammenhang mit der Implementierung der Anforderungen dieser Richtlinie nicht gelöst werden. Aus diesem Grund spricht sich der Ausschuss dafür aus, die erforderlichen Arbeiten zur Verbesserung der vorgenannten Richtlinie, wie von der Kommission angekündigt, so schnell wie möglich in Angriff zu nehmen.

1.3

Der Ausschuss hebt hervor, dass die Kommission, indem sie die Frist für das Inkrafttreten der Richtlinie um vier Jahre verlängert und gleichzeitig die Notwendigkeit inhaltlicher Änderungen während dieses Zeitraums ankündigt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Unklaren über ihre diesbezüglichen Rechtsetzungsabsichten lässt. Er erwartet in diesem Zusammenhang von der Kommission, dass sie sich dringlich darum bemüht, die negativen Auswirkungen dieses Falls von Rechtsunsicherheit im EU-Recht einzudämmen.

1.4

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, im Zuge der weiteren Arbeiten an diesem Dossier die besonderen Bemerkungen und Vorschläge zu berücksichtigen, die in der vorliegenden Stellungnahme dargelegt werden.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1

Ziel des vorliegenden Kommissionsvorschlags ist es, die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2004/40/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) bis zum 30. April 2012 zu verlängern.

2.2

Die Kommission begründet die Vorlage ihres Vorschlags in erster Linie mit der Befürchtung, die in der Richtlinie festgelegten Expositionsgrenzwerte könnten die Entwicklung der medizinischen Diagnostik mittels Magnetresonanztomographie (MRT) behindern. Darüber hinaus brauche sie mehr Zeit für eine eingehende Analyse der Auswirkungen der Richtlinie auf die Sicherheit anderer Gruppen von Arbeitnehmern sowie auf die Entwicklung anderer Wirtschaftszweige, in denen ebenfalls elektromagnetische Felder genutzt werden.

2.3

Gleichzeitig kündigt die Kommission an, im Hinblick auf die für 2008 und 2009 erwarteten neuen Forschungsergebnisse — darunter die Empfehlungen der ICNIRP (1) und der WHO (2), in denen laut Kommission möglicherweise andere Grenzwerte vorgeschlagen werden als jene, die derzeit in der Richtlinie festgeschrieben sind — Vorschläge zur Änderung der Richtlinie 2004/40/EG erarbeiten zu wollen.

2.4

Die Sozialpartner auf europäischer Ebene wurden zu dem vorliegenden Kommissionsvorschlag nicht gehört.

2.5

Die Richtlinie 2004/40/EG, die Gegenstand des vorliegenden Kommissionsvorschlags ist, ist die 18. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG und betrifft den Schutz sämtlicher Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor der Gefährdung durch elektromagnetische Felder im beruflichen Umfeld (3). Der EWSA wurde nicht um Stellungnahme zu diesem Vorschlag für eine Richtlinie ersucht, da seine Stellungnahme aus dem Jahr 1993 zu dem Richtlinienvorschlag über vier physikalische Einwirkungen im Arbeitsumfeld (4)  (5) als ausreichend angesehen wurde.

2.6

Derzeit fällt der Schutz vor der Gefährdung durch elektromagnetische Felder in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich aus — sieben davon haben der Kommission die Umsetzung der Vorschriften der Richtlinie in nationales Recht gemeldet (Österreich, Tschechische Republik, Slowakei, Litauen, Lettland, Estland und Italien) (6), während in den anderen Ländern nach wie vor ältere Regelungen gelten, (u.a. in Schweden, Finnland, Polen, Bulgarien, Rumänien, Großbritannien und Frankreich), bzw. keinerlei spezifische Regelungen für diesen Bereich getroffen wurden (7).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Im Hinblick auf die Bestimmungen der Rahmenrichtlinie 89/391/EWG sowie die umfangreichen einschlägigen Forschungsergebnisse besteht kein Zweifel daran, dass zur Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes vor den indirekten und direkten negativen Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf die Gesundheit von Arbeitnehmern (unter besonderer Berücksichtigung von Frauen im gebärfähigen Alter) sowie deren Fähigkeit zur korrekten Ausübung ihrer jeweiligen beruflichen Tätigkeit dieser Bereich so rasch wie möglich im Rahmen einer EU-Richtlinie mit den erforderlichen Vorschriften geregelt werden muss.

3.2

Im Hinblick auf die von der Europäischen Kommission vorgebrachten Argumente sowie die in der vorliegenden Stellungnahme angestellten Überlegungen kommt der Ausschuss jedoch insgesamt zu einer positiven Bewertung des Kommissionsvorschlags.

3.3

Der Ausschuss spricht sich für die von der Kommission angekündigte Aufnahme dringlicher Arbeiten zur Verbesserung der vorgenannten Richtlinie aus, um die praktische Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie zu gewährleisten. Durch die Überarbeitung der Richtlinie unter Beachtung der nachstehenden besonderen Bemerkungen sollte ein umfassenderer Schutz vor der Gefährdung durch elektromagnetische Felder sichergestellt werden.

3.4

Der Ausschuss bedauert, dass die Kommission zum allerersten Mal die Frist für das Inkrafttreten einer bindenden Richtlinie im Bereich der Mindestanforderungen für den Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmern vor Gefahren im beruflichen Umfeld erheblich verlängert.

3.5

Im Hinblick auf die von der Kommission angekündigte Notwendigkeit inhaltlicher Änderungen der Richtlinie sowie den Appell an die Mitgliedstaaten, die Implementierung der in der Richtlinie 2004/40/EG (8) festgelegten Anforderungen auszusetzen, handelt es sich de facto um eine Rücknahme der in der vorliegenden Fassung der Richtlinie 2004/40/EG festgelegten Bestimmungen. Unter formalen Gesichtspunkten geht es hingegen nur um eine Verlängerung der Frist für das Inkrafttreten jener Richtlinie. Dies führt zu einer uneinheitlichen Rechtslage, wobei die Betroffenen widersprüchliche Signale hinsichtlich der Maßnahmen erhalten, die ergriffen werden müssen, um die Gefährdung durch elektromagnetische Felder in der europäischen Arbeitswelt einzudämmen. Der EWSA hält es daher für besonders wichtig, so rasch wie möglich einheitliche Vorschriften zu erlassen.

3.6

Bei der Analyse der Zielvorgaben der Richtlinie 2004/40/EG, die in verschiedenen Mitgliedstaaten im Zuge der Vorbereitung auf deren Umsetzung durchgeführt wurde, sind diverse Mängel zu Tage getreten, die eine vollständige Umsetzung zumindest erschweren. Er erwartet, dass der von der Kommission für 2009 angekündigte überarbeitete Richtlinienvorschlag dem EWSA vorgelegt wird und die Bemerkungen, die er eventuell in seiner Stellungnahme dazu anbringt, gebührend berücksichtigt werden.

3.7

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass bei dem Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch eine Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern derzeit Unterschiede von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat bestehen. Der möglichst raschen Erarbeitung einer Neufassung der Richtlinie, die den entsprechenden Schutz aller Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch elektromagnetische Felder gewährleistet, sollte daher Priorität eingeräumt werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die Begründung der Kommission für die Notwendigkeit einer Verlängerung der Frist für die Umsetzung der vorgenannten Richtlinie scheint zu einseitig und in erster Linie auf eine sehr kleine Gruppe von Arbeitnehmern (europaweit einige Hundert Personen) ausgerichtet, die in besonders starkem Maße elektromagnetischen Feldern ausgesetzt sind, darunter jene Arbeitnehmer, die MRT-Geräte bedienen. Unberücksichtigt bleiben dabei jedoch die Konsequenzen des Aufschubs der Maßnahmen zum Schutz deutlich größerer Gruppen von Arbeitnehmern, die bei ihrer beruflichen Tätigkeit in verschiedenen Wirtschaftszweigen elektromagnetischen Feldern ausgesetzt sind (Schweißarbeiten, elektrolytische Anlagen, Sendeanlagen, energietechnische Anlagen usw.), europaweit mindestens mehrere Millionen Menschen.

4.2

Der Ausschuss hebt hervor, dass die kürzlich festgestellten Probleme, die auf ungenaue Definitionen zurückzuführen sind, allein durch die Verlängerung der Frist für die Umsetzung der Richtlinie nicht gelöst werden. Dies wäre aber erforderlich, um einheitliche Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu schaffen.

4.3

Der EWSA erachtet es für wichtig, dass die festzulegenden Bestimmungen auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage beruhen. Die wissenschaftliche Erforschung der Auswirkungen der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern geht auf die Mitte des 20. Jahrhunderts zurück, woraus sich ein gut gefestigter wissenschaftlicher Hintergrund für die Festlegung von Mindestwerten für den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor einer Exposition ergibt. Der Ausschuss vertritt daher die Auffassung, dass die überarbeitete Richtlinie ohne Überschreitung des von der Kommission vorgeschlagenen vierjährigen Aufschubs in Kraft gesetzt werden sollte.

4.4

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Europäische Kommission bei der Erarbeitung einer Politik zum Schutz von Arbeitnehmern vor der übermäßigen Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern im beruflichen Umfeld mehr Eigeninitiative an den Tag legen und unabhängiger handeln sollte (insbesondere im Hinblick auf die Empfehlung 519/1999 (9), die einen solchen Schutz der Bevölkerung derzeit vorsieht). Einige Länder haben bereits die gesetzlichen Regelungen für den Schutz der Arbeitnehmer vor der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern geschaffen (10).

4.5

Nach Überzeugung des Ausschusses kann die Kommission durch die europaweite Konsultation von Fachleuten und Institutionen aus dem Wissenschafts- und Rechtsbereich aus allen 27 EU-Mitgliedstaaten die in der Praxis gesammelten Erfahrungen besser nutzen und die Besonderheiten der einzelnen rechtlichen Lösungen berücksichtigen, die in verschiedenen Regionen angewandt werden, um vor kurzem erkannte Probleme anzugehen, die gegenwärtig die Umsetzung und effektive Anwendung der Richtlinie 2004/40/EG verhindern.

4.6

Der Ausschuss fordert die Kommission wie bereits in seiner Stellungnahme von 1993 (11) zur Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen auf, um das Ausmaß der Gesundheitsgefährdung für Arbeitnehmer festzustellen, das sich bei einer beruflichen Tätigkeit durch die Exposition gegenüber magnetostatischen Feldern bzw. Feldern mittlerer Frequenzen (auch bei langjähriger Exposition) ergibt.

4.7

Im Hinblick auf die von der Kommission angekündigte Überarbeitung der Richtlinie 2004/40/EG sowie den bereits erwähnten Appell an die Mitgliedstaaten, die formelle Umsetzung der Vorschriften dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht auszusetzen, muss sichergestellt werden, dass bis zum Vorliegen der überarbeiteten Fassung der Richtlinie in den Normen des CENELEC (12) nicht auf eine „Harmonisierung mit der Richtlinie 2004/40/EG“ verwiesen wird. Dies wäre der erforderlichen Kohärenz des EU-Rechtssystems dienlich.

4.8

In Anbetracht der Tatsache, dass die Anpassung der Expositionsbedingungen von Arbeitnehmern an die in der Richtlinie festgelegten Grenzwerte in manchen Fällen erhebliche technische Maßnahmen (einschließlich eines Austauschs der Apparaturen) erforderlich machen kann, sollte im Hinblick auf die Umsetzung der Vorschriften dieser Richtlinie in den Unternehmen bis zu einem gewissen Grad ökonomischen Erwägungen Rechnung getragen werden. In diesem Zusammenhang sollten die Erfahrungen mit der Umsetzung der Maschinen-Richtlinie (13) berücksichtigt werden, bei der eine entsprechende Übergangsfrist für die Anpassung der Arbeitsplätze an die darin festgelegten Anforderungen vorgesehen wurde.

4.9

Vom Standpunkt der Arbeitgeber aus gesehen ist es am wichtigsten, dass die Anforderungen in erster Linie für neue Gerätschaften festgelegt werden, da es für die Hersteller am leichtesten und am kostengünstigsten ist, neue technische Lösungen einzuführen, durch die die Gefährdung der Arbeitnehmer verringert bzw. vollständig beseitigt werden kann. Der Ausschuss hebt hervor, dass derartige Maßnahmen auch Menschen vor einer Gefährdung schützen, die diese Geräte im Rahmen einer selbstständigen Wirtschaftstätigkeit nutzen und die formalrechtlich nicht durch die Bestimmungen der Richtlinie geschützt sind, die nur für Arbeitnehmer gilt (z.B. Schweißarbeiten in handwerklichen Familienbetrieben oder in landwirtschaftlichen Betrieben).

4.10

Wenn die Hersteller bzw. Lieferanten von Geräten, bei deren Betrieb elektromagnetische Felder entstehen, künftig eine Dokumentation über die Art und die Stärke dieser Felder mitliefern, können die Kosten im Zusammenhang mit der Bewertung des Berufsrisikos durch die Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern künftig drastisch gesenkt werden. Zurzeit führt das Fehlen wirksamer diesbezüglicher Regelungen auf europäischer Ebene dazu, dass solche Informationen häufig nicht bereitgestellt werden. Dies ist insbesondere für KMU eine Belastung, da diese oftmals nicht die Mittel haben, um eine fachgerechte Risikobewertung durchzuführen.

4.11

Stünden den Gewerkschaften bzw. Versicherungsgesellschaften adäquate Informationen der Hersteller zur Verfügung, könnten sie unabhängig vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie und der künftig darin festgelegten Anforderungen (gemäß der allgemein empfohlenen Praxis der Vermeidung unnötiger Risiken im Rahmen des Möglichen) verschiedene Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer ergreifen.

4.12

Der Ausschuss zeigt sich besorgt darüber, dass im Hinblick auf die Verlängerung der Frist für die Umsetzung der Richtlinie in den kommenden Jahren weitere Anlagen in Betrieb gehen können, ohne dass das Ausmaß der Gefährdung, die bei deren Bedienung bzw. Wartung bestehen kann, ausreichend dokumentiert ist.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ICNIRP — International Commission for Non-ionising Radiation Protection (Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung).

(2)  WHO — World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation).

(3)  Quellen elektromagnetischer Felder, die allgemein in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen auftreten, sind u.a.: elektrothermische Industrieanlagen (Induktionsheizer und Öfen), dielektrische und Widerstandsschweißgeräte, Schweißanlagen, elektrolytische Anlagen, Anlagen zur Übertragung und Verteilung elektrischer Energie, Radio- und Fernsehsendeanlagen, Anlagen der kabellosen Telekommunikation, darunter Mobiltelefonie-Sendestationen, Radargeräte, medizinische Diagnostik- und Behandlungsapparaturen, wie z.B. Elektrochirurgie, physiotherapeutische Diathermie, Magnetresonanztomographie, transkranielle Magnetstimulation usw.

(4)  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen. ABl. C 77 vom 18.3.1993, S. 12.

(5)  Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen. ABl. C 249 vom 13.9.1993, S. 28.

(6)  Laut Information der GD Beschäftigung.

(7)  Laut Informationen von der Internetseite der Weltgesundheitsorganisation — http://www.who.int/docstore/peh-emf/EMFStandards/who-0102/Worldmap5.htm

(8)  IP/07/1610 vom 26.10.2007.

(9)  Empfehlung 1999/519/EG des Rates vom 12. Juli 1999 zur Begrenzung der Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern (0 Hz — 300 GHz), ABl. L 199 vom 30.7.1999, S. 59.

(10)  Die bereits erwähnte Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP), die seit Jahren eine führende Rolle bei der Erarbeitung von EU-Vorschriften in diesem Bereich spielt, stützt sich auf die analytischen Arbeiten einer Gruppe von einigen Dutzend Wissenschaftlern aus neun europäischen Ländern, an der weder die Sozialpartner noch Fachleute aus den Mitgliedstaaten beteiligt sind, die seit 2004 der EU beigetreten sind.

(11)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen“ (ABl. C 249 vom 13.9.1993, S. 28).

(12)  CENELEC — Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung.

(13)  Richtlinie 89/655/EWG des Rates vom 30. November 1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG), geändert durch 95/63/EG und 2001/45/EG.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/113


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der EU-Haushalt und seine künftige Finanzierung“

(2008/C 204/23)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 25. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Der EU-Haushalt und seine künftige Finanzierung“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 20. Februar 2008 an. Berichterstatterin war Frau FLORIO.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 113 gegen 18 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Vor dem Hintergrund der Umwälzungen in den vergangenen Jahrzehnten gehören Klimawandel, Energie und Zuwanderung zu den Prioritäten der politischen Agenda der Europäischen Union. Es handelt sich dabei um neue Probleme, die einer raschen Lösung bedürfen. Aus diesem Grund ist der EWSA der Auffassung, dass er sich an den von der Kommission eingeleiteten Überlegungen zur Haushaltspolitik, die das wichtigste Instrument für die Bewältigung dieser Herausforderungen ist, beteiligen muss.

1.2

Die Überprüfung des Haushalts der Europäischen Union muss vor dem zeitlich heiklen Hintergrund der Annahme des Vertrags von Lissabon und im unmittelbaren Zusammenhang mit der Debatte über die Kohäsions- und die Forschungspolitik sowie die Generalüberprüfung der GAP gesehen werden. Auf kurze Sicht finden die Wahlen zum Europäischen Parlament und die Neubesetzung der Europäischen Kommission statt. Vor diesem Hintergrund weist der EWSA auf die Schwierigkeit der Durchführung einer derart wichtigen Debatte in einer Zeit der Neubesetzung von zwei wichtigen Institutionen hin. Ferner fordert er die Regierungen der 27 Mitgliedstaaten auf, ohne das geringste Zögern strategische Entscheidungen zu treffen. Auch ersucht er die Kommission zu klären, mit welchen Instrumenten sie den Konsultationsprozess fortzuführen gedenkt.

1.3

Für die Gestaltung der Haushaltspolitik kommt man nicht umhin, die grundlegende Entscheidung zwischen Föderalismus oder Regierungszusammenarbeit zu treffen. Der Fortschritt bei der europäischen Integration wird natürlich auch daran gemessen, wie der EU-Haushalt finanziert wird.

1.4

Ehe noch eine Veranschlagung der Finanzmittel und die Klärung ihrer Beschaffung erfolgen können, muss der Stand der derzeitigen Gemeinschaftspolitik geprüft werden. Dies betrifft insbesondere die EU-Politik in den traditionellen Bereichen, die zwar durchaus positive Aspekte im Hinblick auf die Entwicklung und das Wirtschaftswachstum hervorgebracht hat, nun aber angepasst und gestärkt werden muss, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Daher sollte eine beherzte und tiefgreifende Überprüfung der Strukturfonds, Kohäsionsfonds, regionalpolitischen Maßnahmen usw. eingeleitet werden, um insbesondere die Auswirkungen und die Effizienz in den neuen Mitgliedstaaten zu prüfen und dabei den „Vierten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“ zu berücksichtigen, der unlängst Gegenstand einer EWSA-Stellungnahme war (1).

1.5

Bei der Überprüfung müssen die Grundsätze im Vordergrund stehen, die — ausgehend von der Idee der nachhaltigen Entwicklung — der europäischen Integration zugrunde liegen: Solidarität, Verhältnismäßigkeit, Frieden, Wohlstand, Freiheit, Sicherheit, Gemeinwohl, Gleichheit und gerechte Verteilung. Eine wirksame Reaktion auf die schwerwiegenden Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel muss den Bezugsrahmen eines jeden künftigen Vorschlags zur finanziellen Vorausschau bilden. Gleichzeitig bedarf es großer Bemühungen um eine bessere Information, Transparenz und Lesbarkeit hinsichtlich der Art und Weise, wie die Beiträge der europäischen Bürger eingenommen und ausgegeben werden, — nicht zuletzt, um dem Euro-Skeptizismus entgegenzuwirken.

1.6

Es sollte die Möglichkeit geprüft werden, ob nicht von allen Rabatten, Zugeständnissen und Ausnahmeregelungen, die den derzeitigen Haushalt kennzeichnen, endgültig abgesehen werden kann. Die Überarbeitung muss gegenüber diesen Bestimmungen, die mit dem Geist der Solidarität der europäischen Integration nicht vereinbar sind, einen bedeutenden Schritt nach vorne darstellen.

1.7

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Finanzierung des gemeinschaftlichen Haushalts gemäß Artikel 269 des Vertrags überarbeitet werden muss (2). Vor dem Hintergrund der verschiedenen Überarbeitungsmöglichkeiten betont der Ausschuss, dass die gewählte Option — unabhängig davon, welche bevorzugt wird — schrittweise umgesetzt werden muss. Dabei ist eine breite Zustimmung der nationalen Parlamente und der lokalen und regionalen Verwaltungen anzustreben und auch unter Berücksichtigung der gestiegenen Ausgabenziele insbesondere dem Prinzip der Beitragskapazität der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang bekräftigt der EWSA seinen bereits in der Stellungnahme zum Thema „Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen. Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union 2007-2013“ (3) vertretenen Standpunkt.

1.8

Angesichts der verbreiteten Renationalisierung von Politikbereichen wird die Phase der Ausführung des Haushaltsplans im Hinblick auf die Beziehungen zwischen den EU-Institutionen und den Bürgern sowie auf die Wahrnehmung der gemeinschaftlichen Tätigkeiten durch die Bürger umso heikler. Eine größere Mitverantwortung der Kommission und der Mitgliedstaaten bei der Ausführung des Haushaltsplans ist auch im Hinblick auf die Beteiligung aller wirtschaftlichen und sozialen Akteure (und im Einklang mit dem neuen Artikel 274 des Vertrags von Lissabon) ein wichtiger Faktor. Der EWSA ist der Auffassung, dass den langfristigen Strategien eine finanzielle Kontinuität zugrunde liegen muss, wobei jedoch ein gewisser Grad an Flexibilität für eine schnelle Reaktion oder im Falle veränderter Bedingungen nützlich sein könnte.

1.9

Der Grundsatz der Teilnahme und des Beitragens, der den Steuersystemen zahlreicher EU-Mitgliedstaaten zugrunde liegt und auf der Gleichheit und gerechten Verteilung beruht, hat sich nach Auffassung des Ausschusses im Hinblick auf die Effizienz und Wirksamkeit am besten bewährt.

1.10

Alle beteiligten Akteure auf allen Ebenen — von den nationalen Regierungen bis hin zu den einzelnen Bürgern — sind für die Gemeinschaftsmittel verantwortlich und profitieren davon.

1.11

Damit die neuen und alten Politikbereiche optimal an die internationalen Herausforderungen angepasst und somit der Umfang der erforderlichen Finanzmittel besser veranschlagt werden können, muss das gesamte System der vorausschauenden Abschätzung und nachträglichen Evaluierung gestärkt werden. Dabei muss die Unabhängigkeit und Transparenz der Stelle, die diese Bewertungen vornimmt, gewährleistet werden.

1.12

Bei der Bewertung müssen die Effizienz und die Wechselwirkungen der einzelnen öffentlichen Haushalte — Gemeinschaftshaushalt, Staatshaushalte und regionale Haushalte — untereinander und überdies die Möglichkeit, dass mehrere Akteure daran beteiligt sind (Europäische Investitionsbank, öffentlich-private Partnerschaften usw.), berücksichtigt werden.

1.13

Es gilt, die Kohärenz mit den wirtschaftspolitischen Instrumenten der Makroökonomie zu garantieren. So sind zum Beispiel im Stabilitäts- und Wachstumspakt strenge Kriterien für die Stabilität, jedoch kaum Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf das Wachstum und damit auf öffentliche Investitionen vorgesehen. Es ist überdies erforderlich, die einzelstaatlichen Haushaltspolitiken besser zu koordinieren.

1.14

In den letzten Jahren sind in der Weltwirtschaft und auf den Finanzmärkten eine Reihe neuer Entwicklungen zu beobachten: die Konkurrenz zwischen den Märkten hat sich verschärft und die Beschäftigung in der Europäischen Union ist stärker gefährdet. Fonds wie der zur Anpassung an die Globalisierung sind Beispiele für notwendige, aber noch nicht ausreichende Instrumente, um diesen Entwicklungen zu begegnen.

2.   Hintergrund

2.1

Mit der Mitteilung SEK(2007) 1188 endg. hat die Europäische Kommission eine öffentliche Anhörung aller interessierten Kreise hinsichtlich der Überprüfung des EU-Haushalts 2008/2009 eingeleitet. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser ersten Anhörung, die am 15. April 2008 endet, wird die Kommission voraussichtlich Ende 2008 oder Anfang 2009 einen Vorschlag unterbreiten (es ist noch unklar, ob es sich dabei um ein Weißbuch handeln wird), damit der Rat mit den Mitgliedstaaten Verhandlungen über die Bewertung, Überprüfung und Änderung der EU-Eigenmittel-Regelung und die Finanzierung und die Ausgaben hinsichtlich der Aktivitäten der Gemeinschaft aufnehmen kann.

2.2

Nach Ende der Frist für die Anhörung am 15. April 2008 wird die Kommission die Ergebnisse im Rahmen einer Konferenz (am 27. Mai 2008) vorstellen. Ende 2008/Anfang 2009 wird die Kommission ein neues Dokument zur Überprüfung vorlegen. Der konkrete Vorschlag soll dann in der dritten, abschließenden Phase (2010/2011) vorgelegt werden.

2.3

Der EWSA hat die Aufgabe und die Möglichkeit, sich zu den im Rahmen der Anhörung gestellten Fragen der Kommission zu äußern und auf die konkreten Vorschläge einzugehen, die die anderen institutionellen Akteure im Hinblick auf die Reform des EU-Haushaltssystems unterbreiten.

2.4

Eine gründliche Reform des EU-Haushalts ist von wesentlicher und vorrangiger Bedeutung — nicht nur, um eine ausgewogene und transparente Finanzierung und Funktionsweise der Union und ihrer politischen Maßnahmen zu gewährleisten, sondern auch um die in letzter Zeit deutlich gewordene institutionelle Krise zu überwinden und das mit dem Vertrag von Lissabon erreichte Ergebnis optimal auszuschöpfen.

3.   EU-Haushalt — geschichtlicher Abriss

3.1

Der Haushalt der Europäischen Union ist eines der wichtigsten Instrumente für die Erreichung der politischen Ziele der Union. Obgleich der EU-Haushalt in absoluten Zahlen einen beträchtlichen Umfang hat, fällt er prozentual gesehen recht gering aus und wurde in den letzten paar Jahren trotz der Erweiterung der EU auf 27 Mitgliedstaaten kontinuierlich gekürzt (4).

3.2

Einige Politikbereiche der Europäischen Union, beispielsweise die Kohäsionspolitik, erfordern für ihre Umsetzung eine finanzielle Unterstützung, während andere wiederum, so z.B. die Wettbewerbspolitik, für die Verwirklichung ihrer Ziele andere Instrumente einsetzen. Die Finanzierung und die Funktionsweise des Haushalts müssen folglich so beschaffen sein, dass sie die Erreichung der Ziele jener Politikbereiche ermöglichen, die gerade auf den Haushalt angewiesen sind.

3.3

Reformen und Umstrukturierungen des EU-Haushalts gab es von Anfang an, und zwar mit den einzelnen Phasen der europäischen Integration, d.h. mit dem Binnenmarkt, den Erweiterungen und insbesondere der schrittweisen Ausweitung der Tätigkeitsbereiche der Europäischen Union. Ein großer Teil des Haushalts war bislang für eine relativ geringe Anzahl an politischen Bereichen vorgesehen. Die verfolgten politischen Ziele haben sich jedoch auch verändert und weiterentwickelt, was eine Überprüfung des Haushalts rechtfertigt.

3.4

Die 1952 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) wurde durch ein eigenes Eigenmittelsystem finanziert, das auf einem festen Betrag beruhte, der auf jede produzierte Tonne Stahl erhoben und von den Kohle- und Stahlunternehmen direkt an den EGKS-Haushalt abgeführt wurde. Auf der Grundlage des Solidaritätsprinzips und zur Gewährleistung der Unabhängigkeit von jeglichen nationalen Forderungen wurde im EG-Vertrag verankert, dass „der Haushalt […] unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert [wird]“ (Artikel 269).

3.5

Mit dem Beschluss des Europäischen Rates am 21. April 1970 in Luxemburg wurde ein echtes System der Finanzierung durch Eigenmittel in Form von Einnahmen geschaffen, die der Gemeinschaft ein für alle Mal zur Finanzierung ihres Haushalts zugewiesen werden und ihr automatisch zufließen, ohne dass es eines weiteren Beschlusses der Mitgliedstaaten bedarf. Gegenwärtig setzt sich der Finanzrahmen aus folgenden Eigenmitteln zusammen: Agrarabschöpfungen und an den Außengrenzen auf die Einfuhren erhobene Zölle, Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die harmonisierte MwSt-Bemessungsgrundlage und der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf das Bruttonationaleinkommen (BNE), der dann zum Einsatz kommt, wenn die ersten drei Einnahmequellen nicht ausreichen, um die von der Gemeinschaft eingegangen finanziellen Verpflichtungen zu decken.

3.6

Die Berechnung der MwSt-Eigenmittel durch die Anwendung eines gewichteten Durchschnittssatzes auf die Nettoeinnahmen (Einnahmenmethode) hat dazu geführt, dass die Mehrwertsteuereinnahmen von „echten“ Eigenmitteln zu einem statistischen Instrument für die Berechnung des Beitrags eines jeden Mitgliedstaates geworden sind und man sich somit von ihrem eigentlichen Sinn und Zweck entfernt hat.

3.7

Mit den Jahren hat sich der Ursprung der Eigenmittel radikal gewandelt. Aus dem Konsultationspapier der Kommission (5) geht hervor, dass 1988 die BNE-basierten Eigenmittel noch weniger als 11 % der EU-Eigenmittel ausmachten und die Einnahmen durch Zölle und Agrarabschöpfungen im Vergleich dazu bei 28 % und die MwSt-basierten Eigenmittel bei 57 % lagen, während der EU-Haushalt im Jahr 2013 voraussichtlich zu 74 % durch BNE-Eigenmittel, zu 13 % durch Zölle und Agrarabschöpfungen und zu 12 % durch MwSt-basierte Eigenmittel finanziert werden wird.

3.8

Dies bedeutet, dass der Großteil der der Europäischen Union zugewiesenen Mittel bereits heute in den Haushalten der einzelnen Mitgliedstaaten (gelegentlich als „Ausgaben“) ausgewiesen ist und sich diese Tendenz in der nahen Zukunft noch verstärken wird. Man denke nur daran, dass 2013 die Eigenmittel als solche auf 12 % reduziert werden, so dass die Haushaltsfinanzierung überhaupt nicht mehr dem Buchstaben und Geist des Vertrages entsprechen wird.

3.9

Auch die Ausgabenstruktur des Haushalts hat sich abgesehen von den Finanzierungsquellen im Laufe der Zeit sehr verändert. So betrugen beispielsweise die Zahlungen für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) 1985 70,8 %, während diese Ausgaben 1988 60 % der Haushaltsmittel ausmachten; 2013 wird sich der Anteil der GAP-Ausgaben annähernd halbiert haben und 32 % betragen. Bei der Kohäsionspolitik geht die Tendenz wiederum in die andere Richtung. Während 1965 nur 6 % der Haushaltsmittel auf die Kohäsionspolitik entfielen, betrug der Anteil 1985 bereits 10,8 %, 1988 17,2 % und wird 2013 35,7 % des EU-Haushalts ausmachen. Bei der geplanten Überarbeitung der GAP muss nicht nur der Unterstützung für die Landwirtschaft Rechnung getragen werden, sondern auch dem Nutzen für die Unionsbürger, den die GAP mit Blick auf Qualität und Kontrolle gewährleistet.

3.10

Insbesondere mit dem Vertrag von Maastricht und den darauf folgenden Verträgen trat ein Kohärenzproblem zu Tage: der Europäischen Union wurden neue Zuständigkeiten übertragen, und schrittweise wurden neue Ziele festgelegt (unlängst beispielsweise Verpflichtungen im Umweltbereich). Dies hatte jedoch keine Auswirkungen auf den Umfang des EU-Haushalts, der im Wesentlichen unverändert blieb.

3.11

Eine Reihe von Instrumenten, so beispielsweise der vor kurzem errichtete „Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung“, wurde nicht in den Haushalt aufgenommen. Diese Instrumente verfügen nicht über eine spezifische budgetäre Deckung. Ihre Funktionsweise und die daraus resultierende Verwendung sind vielmehr von Überschüssen der anderen Ausgabenplafonds und der anderen freigegebenen Gemeinschaftsmittel abhängig. Infolge solcher Mechanismen kommt den genannten Instrumenten in der Praxis eine geringere Bedeutung zu, und ihre Finanzierung und Funktionsweise sind beschränkt.

3.12

Andere Faktoren, wie beispielsweise der 1985 eingeführte so genannte „britische Rabatt“, der anschließend auch auf andere Mitgliedstaaten ausgeweitet wurde, sowie die zahlreichen Ausnahmeregelungen und Ungleichgewichte, die zur mangelnden Verständlichkeit und Transparenz des EU-Haushalts führen, tragen dazu bei, dass eine Überprüfung des Haushalts und seiner Funktions- und Finanzierungsmodalitäten dringend notwendig und unerlässlich wird.

4.   Notwendigkeit einer Haushaltsüberprüfung, damit die EU für die künftigen Herausforderungen gewappnet ist

4.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Merkmale des Haushalts einer weltweit einzigartigen Struktur wie der Europäischen Union den wesentlichen Grundsätzen der europäischen Integration, die die Grundlage der Verträge — insbesondere der Gründungsverträge bilden, entsprechen müssen. Die Ziele Frieden, Wohlstand, Freiheit, Sicherheit, Gemeinwohl, Gleichheit und gerechte Verteilung müssen bei der Beschlussfassung den wichtigsten Bezugspunkt bilden. Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung sollte auch die Nachhaltigkeit als wichtiges Leitprinzip für alle Ausgaben des künftigen Haushalts aufgenommen werden.

4.2

Die künftigen Lösungen müssen den gesamten Haushaltsregelungsrahmen transparent und verständlich machen, um dadurch eine direktere Verbindung zwischen den europäischen Bürgern und den EU-Institutionen herzustellen.

4.3

Bei der Überprüfung des Haushalts ist zu gewährleisten, dass der Grundsatz der Gleichheit zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten gewahrt bleibt und Ausnahmen, Zugeständnisse und Vorzugsbehandlungen aller Art der Vergangenheit angehören. Bei der Finanzierung des Haushalts durch die einzelnen Mitgliedstaaten muss das allgemeine Wohlstandsniveau berücksichtigt und den Solidaritätsprinzipien Rechnung getragen werden.

4.4

Um die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit aller europäischen Bürger zu gewährleisten, sind bei der Haushaltsüberprüfung besondere Maßnahmen vorzusehen, damit das System der Sonder- und Ausnahmeregelungen und Privilegien für einzelne Mitgliedstaaten überwunden werden kann.

5.   Umgestaltung des derzeitigen Finanzierungssystems

5.1

Das von der Europäischen Kommission vorgelegte Konsultationspapier muss die Gelegenheit bieten, eine ernsthafte Debatte aller institutionellen, politischen und gesellschaftlichen Akteure einzuleiten, mit dem Ziel, die Widersprüche, die den europäischen Haushalt und insbesondere seine Finanzierung kennzeichnen, zu überwinden.

5.2

Der EWSA betont, dass aufgrund des heiklen Charakters dieses Themas ein breiter Konsens aller Beteiligten — von den nationalen Parlamenten bis hin zu den Sozialpartnern und zur Zivilgesellschaft — anzustreben ist, und dass die beschlossenen Änderungen schrittweise umgesetzt werden müssen, um eine breite Zustimmung für das Reformprojekt zu gewährleisten und Vorzugsbehandlungen einzelner Mitgliedstaaten zu vermeiden.

5.3

Ausgehend vom neuen Vertrag von Lissabon vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Haushaltüberprüfung zu einem System der Haushaltsfinanzierung durch neue Formen von Eigenmitteln führen muss. Insbesondere zwei die heutige Situation kennzeichnende Unstimmigkeiten müssen beseitigt werden, nämlich die Tatsache, dass 70 % der Mittel aus dem Bruttonationaleinkommen stammen, das — zumindest rein formell — eine Restgröße ist, sowie der Widerspruch, dass rund 85 % der Gesamtmittel aus Ressourcen stammen, die keine echten „Eigenmittel“ sind und somit direkt der EU zugewiesen werden.

5.4

Folglich sollte man zum Buchstaben und Geist des Artikels 269 des Vertrags zurückkehren, in dem unmissverständlich festgeschrieben wurde, dass der Haushalt überwiegend aus Eigenmitteln finanziert wird. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Debatte, die mit dem Bericht des Europäischen Parlaments (Berichterstatter: LAMASSOURE) (6) eingeleitet wurde. Darin wird unter anderem auf folgende Steuern im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Systems der Eigenmittel verwiesen:

Mehrwertsteuer,

Verbrauchsteuer auf Kraftstoff für den Straßenverkehr und andere Energiesteuern,

Verbrauchsteuer auf Tabak und Alkohol,

Unternehmenssteuer.

5.5

Die europäischen Bürger müssen über das System, das transparenter und effizienter werden muss, mehr und besser informiert werden. Ferner müssen sie in die Lage versetzt werden, den Bestimmungszweck der Beiträge, die sie an die EU für ihr Funktionieren und ihre Politiken zahlen, so bewusst wie möglich zu kontrollieren, zu bewerten und mitzubestimmen. Dies ist eines der Fundamente einer jeden demokratischen Regierung.

5.6

Der Fortschritt bei der europäischen Integration wird natürlich auch daran gemessen, wie der EU-Haushalt finanziert wird. In einem in stärkerem Maße föderalen System würde eine europäische Steuer ein gerechtes und transparenteres Instrument darstellen. Zu suggerieren, dass die europäischen Wirtschaftsexperten in der heutigen Situation keine Lösung finden können, ist jedoch falsch und zeugt von mangelndem politischem Willen.

6.   Politikbereiche und Rolle der Europäischen Union

6.1

In ihrer Mitteilung SEK(2007) 1188 zählt die Europäische Kommission eine Reihe von Faktoren (7) auf, die ihre strategischen Entscheidungen und politische Agenda direkt oder indirekt beeinflussen. Diese Faktoren reichen von der Überalterung der Bevölkerung bis zum wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt, von der globalen Wettbewerbsfähigkeit bis zum Klimawandel, von der Solidarität als Verpflichtung Europas bis zur Politik im Bereich der ländlichen Entwicklung.

6.2

Da der Haushalt eines der wesentlichsten Instrumente für die Erreichung der für den Fortschritt der EU ausschlaggebenden Ziele ist, muss seine Überprüfung vor dem Hintergrund umfassender und tiefgründiger Überlegungen zur Rolle und zu den Zielen der EU-27 erfolgen.

6.3

Auf der Grundlage dieser Konsultation muss nach Auffassung des EWSA innerhalb und außerhalb der Institutionen ein Konsens bezüglich der Politikbereiche gefunden werden, die für die Zukunft Europas von wesentlicher Bedeutung sind. Ferner muss festgestellt werden, inwiefern die Europäische Union ihre Rolle und ihre Politikbereiche in diesen Sektoren gestärkt hat. All dies ist angesichts des neuen Vertrags umso notwendiger.

6.4

Bei der Entscheidung, welchen Politikbereichen sich die Union in den kommenden Jahren vorrangig widmen wird, sind alle Widersprüchlichkeiten und Verzögerungen, die in der Vergangenheit insbesondere im Rahmen des Finanzierungssystems verzeichnet wurden, genau zu analysieren, damit in Zunft nicht dieselben Fehler wiederholt werden.

6.5

Unter den zahlreichen Tätigkeitsfeldern und spezifischeren Politikbereichen, die im Konsultationspapier der Kommission als Herausforderungen von morgen bezeichnet werden, müssen die Maßnahmen zugunsten des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts besonders aufgewertet werden — auch in finanzieller Hinsicht. Insbesondere infolge der jüngsten EU-Erweiterung sind die Unterschiede gewachsen, und die Haushaltsüberprüfung muss auch die Gelegenheit zur Fortsetzung der Förderung der Entwicklung der rückständigeren Regionen bieten, und zwar aus dem offenkundigen Grund, dass sich ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt auch in den ärmeren Regionen der EU positiv auf alle Mitgliedstaaten und ihre Volkswirtschaften auswirkt.

6.6

Darüber hinaus müssen, wie bereits erwähnt, Solidarität und Gerechtigkeit weiterhin Grundwerte des Handelns der Union sein. Angesichts der Herausforderungen wie beispielsweise der Zuwanderung muss die EU in der Lage sein, ihre Rolle und ihr Sozialmodell auch außerhalb der Gemeinschaft zur Geltung zu bringen. Hierzu benötigt sie Instrumente, u.a. auch Finanzmittel, mit denen die Ursachen für die Auswanderung in den Herkunftsländern beseitigt werden können.

6.7

Die Bewältigung des Klimawandels wird für Europa zu einer immer wichtigeren Priorität und sollte sich in den künftigen Ausgabenprioritäten widerspiegeln. Zusätzliche Mittel müssen für die Forschung und Entwicklung bahnbrechender Energie- und Verkehrstechnologien und für die Entwicklung von Methoden der Kohlendioxidabscheidung und –speicherung bereitgestellt werden. Zahlreiche Mittel sollten auch für die Unterstützung von Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen in den am wenigsten entwickelten Ländern und für die Förderung von Investitionen in kohlenstoffarme Technologien in den Schwellenländern vorgesehen werden.

7.   Mehr Bürgernähe bei der Haushaltspolitik

7.1

Die Haushaltsstruktur der EU selbst — die unbedingt reformiert werden muss — hat zur institutionellen Krise der Europäischen Union beigetragen. Die in den letzten Jahren entfachte kurzsichtige Debatte über die Eigenmittel trägt auch zum derzeitigen schlechten Image der EU bei. Die Komplexität, die Unverständlichkeit, die Ausnahmeregelungen sind Elemente, die mit den Grundsätzen der europäischen Integration wenig gemein haben und den Europa-Skeptizismus nähren.

7.2

Angesichts der Schwierigkeiten im Zuge des Verfassungsvertrags und später beim Vertrag von Lissabon dürfen der Haushalt und seine erforderliche Überprüfung nicht auch noch dazu beitragen, dass der Eindruck entsteht, das Geld der Europäer diene zur Finanzierung eines „Fasses ohne Boden“. Gerade aus diesem Grund muss der Zusammenhang zwischen den Ausgaben und den erzielten Ergebnissen deutlicher herausgestellt werden.

8.   Zukunft der Eigenmittel

8.1

Die Debatte über die Finanzierungsmodalitäten der Union ist einer der am lebhaftesten diskutierten Aspekte der Haushaltsüberprüfung. Die heutige Haushaltsfinanzierung (siehe Ziffer 3.7) entspricht objektiv gesehen immer weniger einer Finanzierung, die im Wesentlichen auf Eigenmitteln beruht. Im Hinblick auf die Haushaltsüberprüfung reichen die Optionen von der Einführung neuer Eigenmittel, die an die Stelle der bisherigen Finanzierungsformen treten, bis hin zu Lösungen, bei den das BNE der Mitgliedstaaten im Vordergrund steht.

8.2

Mit dem vergangenen März verabschiedeten Bericht über die Zukunft der Eigenmittel der Europäischen Union (Berichterstatter: LAMASSOURE) (8) kritisiert das Europäische Parlament die derzeitige Haushaltsordnung und -funktionsweise und schlägt eine Reform in zwei Phasen vor, die jedoch Gegenstand eines einzigen Beschlusses sein sollten. Die erste Übergangsphase würde zu einer Verbesserung des derzeitigen Systems der nationalen Beiträge führen, während in der zweiten Phase nach Auffassung des EP echte Eigenmitteln für die Europäische Union geschaffen werden, welche die bestehenden Mechanismen ersetzen.

8.3

Das EP betont, dass die Einführung einer europäischen Steuer in keiner Weise revolutionär wäre, da sie für die Steuerzahler keine Änderungen mit sich bringen würde, und zählt die Kriterien auf, denen das neue Eigenmittelsystem Rechnung tragen müsse: Hinlänglichkeit, Stabilität, Sichtbarkeit und Einfachheit, niedrige Verwaltungskosten, effiziente Zuweisung der Einnahmen, vertikale Gerechtigkeit (Umverteilung), horizontale Gerechtigkeit (gleiche Auswirkungen auf gleichwertige Steuerzahler in der gesamten EU) und gerechte Beiträge (Kohärenz mit dem Wohlstand und dem Wohlergehen der Mitgliedstaaten).

8.4

Der EWSA hat bereits mehrmals festgestellt, dass die EU-Haushaltsmittel für die von der EU verfolgten Ziele und zu bewältigenden Herausforderungen unzureichend sind. Von dieser Feststellung ausgehend möchte er nun eine Debatte über eine europäische Steuer anstoßen. In Abhängigkeit der Bedeutung der gemeinschaftlichen Vorschriften bestünde eine der Möglichkeiten darin, die eventuellen Geldbußen für Mitgliedstaaten, die einige wichtige Richtlinien nicht ausreichend umsetzen, für die Finanzierung von Projekten von europäischem Interesse vorzusehen.

8.5

Der EWSA begrüßt die Kohärenz und die Fülle der im Bericht des Parlaments enthaltenen Vorschläge sowie die Analyse der derzeitigen Haushaltslage und der Notwendigkeit einer Haushaltsreform. Gleichzeitig macht er jedoch auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die mit der Einführung eines solchen Systems einhergehen würden. Die Einführung einer auf einer „europäischen Steuer“ basierenden Finanzierung würde zweifelsohne auf erheblichen Widerstand stoßen, insbesondere aufgrund der Probleme, dies den Bürgern zu vermitteln.

8.6

Zu diesem Zweck muss die Europäische Union nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit fördern, sondern mit einem größeren Nachdruck auch den Zusammenhalt, die Umwelt, die Beschäftigung und das europäische Sozialmodell umfassend schützen und unterstützen.

8.7

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass bei Entscheidungen bezüglich der Reform der EU-Haushaltsfinanzierung nach Lösungen gesucht wird, die von Ausnahmeregelungen absehen und unter dem Vorzeichen der Gleichheit und Solidarität die Beitragsfähigkeit eines jeden Mitgliedstaaten zur Geltung bringen. Darüber hinaus wird hervorgehoben, dass die Debatte über die Ressourcen zwar größte Bedeutung hat, darüber aber die Diskussion über die strategischen Entscheidungen, die Rolle und die Politiken der Union nicht vergessen oder in den Hintergrund gerückt werden darf.

9.   Für transparente und wirksame Formen der Ausführung des Haushaltsplans

9.1

Die Ausführung des Haushaltsplans ist ein weiterer wichtiger Gegenstand der Überprüfung. Transparenz, Verlässlichkeit und Lesbarkeit sind Kriterien, die insbesondere in dieser Phase zum Tragen kommen müssen. Gerade bei der Ausführung des Haushaltsplans kommen die Unionsbürger mit der Tätigkeit der EU in Berührung und bewerten die konkreten Ergebnisse. Es muss zudem gewährleistet werden, dass der Haushaltszyklus zeitlich mit den Legislaturperioden beziehungsweise Amtszeiten des Europäischen Parlaments, der Kommission und des Europäischen Rates übereinstimmt.

9.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die europäischen Bürger über die im Rahmen der EU-Politik und mithilfe der EU-Mittel erreichten Ziele besser informiert werden müssen, und zwar insbesondere aus zwei Gründen: Zum einen aus Gründen der Transparenz, und zum anderen, um dem Euro-Skeptizismus und Informationen entgegenzuwirken, die — oftmals tendenziös — die weniger zahlreichen Misserfolge vor die Erfolge stellen.

9.3

Im Hinblick auf die Stabilität der Finanzrahmen und ihre Flexibilität ist der Ausschuss der Auffassung, dass den langfristigen Strategien der Europäischen Union (beispielsweise in den Bereichen Beschäftigung, Forschung und Entwicklung, Umwelt oder Energie) eine gewisse Kontinuität innewohnen muss, während bei den kurzfristigen Prioritäten gewisse Flexibilitätsmargen zu gewährleisten sind, um eine Anpassung an die sich verändernden Bedingungen und eine schnelle Reaktion sicherzustellen. Dabei muss insbesondere ausreichend Spielraum für die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen.

9.4

Die Debatte über die Ausführung des Haushaltsplans muss unweigerlich auch die Haushaltsführung und die daraus resultierende Verantwortlichkeit zum Gegenstand haben. Derzeit werden 80 % des Haushalts direkt von den Mitgliedstaaten und die restlichen 20 % von der Europäischen Kommission verwaltet, die jedoch für die gesamte Ausführung des Haushaltsplans verantwortlich ist. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass diese Aufteilung diskutiert werden muss, um zu prüfen, inwieweit sie noch zeitgemäß ist.

9.5

In diesem Zusammenhang ist unbedingt der neue Vertrag zu berücksichtigen, in dem Artikel 274 dahingehend geändert wird, dass in Absatz 1 nach „Die Kommission führt den Haushaltsplan“ die Worte „zusammen mit den Mitgliedstaaten“ eingefügt werden. Absatz 2 hingegen erhält folgende Fassung: „In der Haushaltsordnung sind die Kontroll- und Wirtschaftsprüfungspflichten der Mitgliedstaaten bei der Ausführung des Haushaltsplans sowie die damit verbundenen Verantwortlichkeiten geregelt. Darin sind ferner die Verantwortlichkeiten und die besonderen Einzelheiten geregelt, nach denen jedes Organ an der Vornahme seiner Ausgaben beteiligt ist.“

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vgl. EWSA-Stellungnahme zum dem „Vierten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“, CESE 1712/2007.

(2)  Im ersten Absatz des Artikels 269 heißt es: „Der Haushalt wird unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert“.

(3)  Vgl. EWSA-Stellungnahme zum Thema „Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen. Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union 2007-2013“, ABl. C 74 vom 23.5.2005, S. 32.

(4)  Siehe Schaubilder im Anhang.

(5)  SEK(2007) 1188 — Mitteilung der Kommission — Den Haushalt reformieren, Europa verändern — Konsultationspapier im Hinblick auf die Überprüfung des EU-Haushalts (2008/2009).

(6)  Europäisches Parlament, „Bericht über die Zukunft der Eigenmittel der Europäischen Union (A6-0066/2007)“ vom 13. März 2007, Berichterstatter: Alain LAMASSOURE.

(7)  Siehe Ziffer 2.1 der Mitteilung SEK(2007) 1188 endg.

(8)  http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+REPORT+A6-2007-0066+0+DOC+WORD+V0//DE.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurden abgelehnt (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Ziffer 1.3

Ziffer ersatzlos streichen:

Für die Gestaltung der Haushaltspolitik kommt man nicht umhin, die grundlegende Entscheidung zwischen Föderalismus oder Regierungszusammenarbeit zu treffen. Der Fortschritt bei der europäischen Integration wird natürlich auch daran gemessen, wie der EU-Haushalt finanziert wird.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 40 Nein-Stimmen: 87 Stimmenthaltungen: 10

Ziffer 7.3

Nach Ziffer 7.2 folgende neue Ziffer 7.3 einfügen:

Ein großes Manko des derzeitigen Finanzierungssystems der EU besteht darin, dass es nicht möglich ist, die EU-Finanzen in einer Weise zu verwalten, dass die Rechnungsabschlüsse von den Rechnungsprüfern unterzeichnet werden. Das sich alljährlich wiederholende Schauspiel, mit dem die Rechnungsprüfer sich weigern, einen Großteil der Ausgaben zu bescheinigen, führt zu sehr schlechter Presse in den Mitgliedstaaten. Bei einem neuen System muss eine Lösung für dieses Problem gefunden werden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 37 Nein-Stimmen: 94 Stimmenthaltungen: 12


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/119


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung verschiedener Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem“

KOM(2007) 677 endg.

(2008/C 204/24)

Der Rat beschloss am 22. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 93 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung verschiedener Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe „Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt“ nahm ihre Stellungnahme am 20. Februar 2008 an. Alleinberichterstatter war Herr BURANI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 123 gegen 1 Stimme bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorbemerkung

1.1

Im Jahr 2007 trat die MwSt.-Richtlinie (1) in Kraft, die in einem einzigen Text alle Bestimmungen bezüglich der Mehrwertsteuer zusammenfasst, die im Laufe der Jahre erlassen und geändert worden waren. Bei ihrer Umsetzung zeigten sich einige praktische Schwierigkeiten oder problematische Aspekte, die Gegenstand kritischer Anmerkungen oder von Vorschlägen von Unternehmen und einigen Mitgliedstaaten waren. Die Kommission hat sie geprüft und beschlossen, die Änderungsvorschläge vorzulegen, die Inhalt dieses Richtlinienvorschlags sind.

1.2

Die Abänderungen sind verschiedener Art und beziehen sich auf unterschiedliche Fragen: Um bürokratische oder verfahrenstechnische Belastungen zu vermeiden, hielt es die Kommission für angebracht — nach Meinung des Ausschusses völlig zu Recht -, sie in einen einzigen Vorschlag zusammenzufassen.

2.   Inhalt des Richtlinienvorschlags

2.1

Einige Vorschläge beziehen sich auf den Energiesektor, dessen steuerliche Regelungen ursprünglich in einer Richtlinie aus dem Jahre 2003 (2) festgelegt worden waren, die dann in die MWSt-Richtlinie übernommen wurden: aufgrund der verwendeten Fachbegriffe aber erwies sich ihr Anwendungsbereich als zu eng und entsprach nicht der wirtschaftlichen Realität. Insbesondere wurden unter die „Energieerzeugnisse“, die einer Steuer unterlagen, das Naturgas gezählt, das über Gas-Pipelines oder Gastanker transportiert wurde, sowie die elektrische Energie und die Wärme oder Kälte, die über Fernwärme- oder Fernkälteleitungen (das sog. Fernleitungsnetz) geliefert wurden. Die Kommission schlägt vor, diese Erzeugnisse von der Mehrwertsteuer zu befreien.

2.2

Bezüglich der vorgenannten Energiequellen sieht der Vorschlag die Besteuerung in demjenigen Mitgliedstaat vor, in dem die Dienstleistungen erbracht werden, die mit der Gewährung des Zugangs verbunden sind. Ferner soll das Verfahren vereinfacht werden, das es den Mitgliedstaaten ermöglicht, einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden.

2.3

Was die Ausnahmeregelungen angeht, erhielten Bulgarien und Rumänien im Rahmen ihres Beitritts die Genehmigung, kleinen und mittleren Unternehmen Steuerbefreiungen zu gewähren und für die grenzüberschreitende Personenbeförderung keine MWSt zu erheben. Faktisch ändert sich durch diesen Vorschlag daran nichts; es wurde lediglich für sinnvoll gehalten, die Ausnahmeregelungen in die MWSt-Richtlinie aufzunehmen, wie dies auch bei den übrigen Mitgliedstaaten der Fall war.

2.4

Hinsichtlich des Vorsteuerabzugs führt der Vorschlag ein dem Geist der MWSt-Regelung innewohnendes Grundprinzip ein oder erläutert es vielmehr, dass nämlich bei der Zuordnung gemischt genutzter Grundstücke zum Betriebsvermögen der ursprüngliche Abzug auf den Anteil der tatsächlichen unternehmerischen Nutzung zu beschränken ist. Ferner wird ein Korrektursystem vorgeschlagen, um etwaige Änderungen des Anteils der unternehmerischen und privaten Nutzung im Laufe der Zeit zu berücksichtigen.

3.   Überlegungen und Schlussfolgerungen

3.1

Die in Ziffer 2.3 und 2.4 erwähnten Vorschläge bedürfen keiner besonderen Bemerkungen: im ersten Falle handelt es sich lediglich um die Regelung einer vorausgegangenen Unterlassung, und im zweiten Falle um eine — zwar offensichtliche, aber notwendige — Präzisierung eines Grundprinzips, das allgemein anerkannt und angewendet wird.

3.2

Die in Ziffer 2.1 und 2.4 erwähnten Vorschläge hält der EWSA für sinnvoll, denn sie passen die Richtlinie an die wirtschaftliche Realität an und sehen die steuerliche Gleichbehandlung für die verschiedenen Energiequellen vor.

3.3

Kurz, der EWSA ist mit dem Kommissionsvorschlag einverstanden.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitri DIMITRIADIS


(1)  Richtlinie des Rates 2006/112/EG vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.

(2)  Richtlinie des Rates 2003/92/EG vom 7.10.2003.


9.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 204/120


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien: Die Rolle der Zivilgesellschaft“

(2008/C 204/25)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien: Die Rolle der Zivilgesellschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 30. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr BARABÁS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 443. Plenartagung am 12./13. März 2008 (Sitzung vom 12. März) mit 125 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und wichtigste Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erkennt die grundlegenden Fortschritte an, die die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien bei der Entwicklung und Stabilisierung ihrer Beziehungen mit der Europäischen Union im Hinblick auf ihren letztendlichen EU-Beitritt erzielt hat. Dass dem Land der Status eines Bewerberlandes verliehen wurde, ist Zeichen für die Anerkennung der bislang erzielten Fortschritte. Der Ausschuss begrüßt diese positiven Entwicklungen angesichts der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Konflikte in der Region, der Herausforderungen des Übergangszeitraums und der Umsetzung des Rahmenabkommens von Ohrid.

1.2

Der Ausschuss ist bereit, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien in ihren Bemühungen für die ehestmögliche Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, vorzugsweise 2008, zu unterstützen.

1.3

Angesichts des Engagements des Ausschusses und der Vertreter der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen der organisierten Zivilgesellschaft in der EU und in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien zu stärken, müssen Vorkehrungen für den Beitritt des Landes zur Europäischen Union getroffen werden. In diesem Zusammenhang kommt der Einrichtung eines Gemischten Beratenden Ausschusses (GBA) mit dem EWSA große Bedeutung zu. Die Mitglieder der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien in diesem GBA sollten in einem offenen, transparenten und demokratischen Verfahren ernannt werden.

1.4

In Bezug auf den EU-Beitritt betont der Ausschuss die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien für die Formulierung, Verwirklichung, Anwendung und Kontrolle öffentlicher Maßnahmen und Gesetze (Reformagenda), die den Weg zur Umsetzung des Acquis communautaire ebnen sollen. Die Zivilgesellschaft sollte in die Beitrittsverhandlungen eingebunden werden, um diese voranzubringen.

1.5

Die verschiedenen Gewerkschaften sollten gleichberechtigt nebeneinander bestehen. Hierfür bedarf es einer eigenen Rechtsgrundlage für die Gewerkschaften; ferner muss der für die Teilnahme an den Tarifverhandlungen geltenden Prozentsatz (Vertretung von 33 % der Arbeitnehmer) verringert werden. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des sozialen Dialogs und zur Wahrung der Gewerkschaftsrechte.

1.6

Die Entwicklung und Zusammenarbeit der bestehenden Arbeitgeberverbände sollten gefördert und der Rechtsrahmen überarbeitet werden, um klare Kriterien für ihre Teilnahme am Wirtschafts- und Sozialrat der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien festzulegen.

1.7

Die Rolle des Wirtschafts- und Sozialrates der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien sollte gestärkt werden; der WSR sollte durch die Einbindung aller Akteure einschl. der Organisationen der Zivilgesellschaft repräsentativer werden. Auf diese Weise würde eine starke institutionelle Grundlage für einen aussagekräftigen, wirklich partnerschaftlichen Dialog über wirtschaftliche und soziale Fragen geschaffen. Für eine derartige Entwicklung sollte ein neuer Rechtsrahmen unter Mitwirkung aller betroffenen Akteure vorbereitet und umgehend angenommen werden.

1.8

Der Ausschuss äußert ernste Bedenken angesichts der extremen Armut und der hohen Arbeitslosenquote und fordert die Regierung auf, effiziente Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts auf den Weg zu bringen.

1.9

Die Verteilung des Staatshaushalts sowie der EU-Fördermittel sollte mehr auf die armen Bevölkerungsgruppen sowie die Solidarität und den sozialen Zusammenhalt ausgerichtet sein, um bestehende regionale und ethnische Diskrepanzen zu überwinden. Weitere besondere Maßnahmen sind für die Verbesserung der Lage der Roma erforderlich.

1.10

Der Ausschuss begrüßt die Anstrengungen der Regierung und die Annahme einer Strategie für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft als ersten Schritt hin zur Schaffung eines angemessenen Umfelds für die Entwicklung der organisierten Zivilgesellschaft und als Beitrag zu einem aussagekräftigen und konstruktiven zivilen Dialog.

1.11

Neben der zivilgesellschaftlichen Partizipation sollte auch die Handlungsfähigkeit der Sozial- und zivilgesellschaftlichen Partner gestärkt werden. Diesbezüglich ist der von der Regierung geschaffene Mechanismus zur direkten und indirekten finanziellen Unterstützung von grundlegender Bedeutung. Des Weiteren sollte die Rolle der Zivilgesellschaft gezielt im Rahmen der schulischen Lehrpläne behandelt werden.

2.   Einleitung

2.1

Am 9. April 2001 unterzeichnete die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien als erstes Land des Westbalkanraums durch einen Austausch von Schreiben ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU, das am 1. April 2004 in Kraft trat.

2.2

Am 22. März 2007 stellte die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien einen offiziellen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union. Am 9. November 2005 gab die Europäische Kommission eine positive Stellungnahme zu diesem Antrag ab. Am 16. Dezember 2005 beschloss der Europäische Rat, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien den Status eines Bewerberlands zu verleihen.

2.3

In der vierten Sitzung des Stabilisierungs- und Assoziierungsrates zwischen der Europäischen Union und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien am 24. Juli 2007 wurde das starke Engagement zur Beschleunigung der Reformen zur Kenntnis genommen. Dieser Rat sprach sich auch für die Einrichtung Gemischter Beratender Ausschüsse mit dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen aus.

2.4

In dem jüngsten, am 6. November 2007 veröffentlichten Fortschrittsbericht über die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien werden die in mehreren Bereichen erzielten Fortschritte beurteilt und auch die erheblichen Herausforderungen aufgelistet, die das Land noch zu bewältigen hat.

2.5

Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Aufnahme der Beitrittsverhandlungen unterstreicht der Ausschuss die Schlüsselrolle der Zivilgesellschaft. Im Mittelpunkt dieser Stellungnahme stehen daher die Zivilgesellschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und das Umfeld, in dem sie agiert, ihre Chancen und ihre Herausforderungen, der soziale und der zivile Dialog im Land sowie die Beziehungen zur EU und zu den Ländern des Westbalkanraums.

3.   Einige spezifische Merkmale der Zivilgesellschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien

3.1

Die Zivilgesellschaft nahm ihren Ursprung Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts und übte einen starken Einfluss auf die gesamte soziale Entwicklung aus. Die literarischen und kulturellen Kreise, Wohltätigkeitsorganisationen und weitere bürgerliche Initiativen waren der Ausgangspunkt für das Entstehen zahlreicher Kultur-, Sport- und Berufsverbände. Während des Sozialismus standen sie unter politischer Kontrolle. Die Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1990 und der Übergang zu einer parlamentarischen Demokratie waren wichtige Impulsgeber für die Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft.

3.2

Das Wiedererstarken der Zivilgesellschaft Anfang der 90er Jahre wurde nachhaltig und auf positive Weise von den politischen Entwicklungen im Land beeinflusst, durch die der Weg für das Entstehen einer unabhängigen, vielfältigen und dienstleistungsorientierten Zivilgesellschaft geebnet wurde. Ein weiteres besonderes Merkmal der Zivilgesellschaft ist ihre Wertorientierung, die großteils auf einem starken normativen Ansatz gründet.

3.3

Kennzeichnend für die Zivilgesellschaft ist der begrenzte Umfang und Inhalt der bürgerlichen Partizipation. Die Mazedonier engagieren sich zwar immer stärker für nichtparteiliche politische Aktionen, doch wirkt nur eine Minderheit der Bürger (weniger als 30 %) an den Tätigkeiten der Zivilgesellschaft mit (karitative Tätigkeit, Mitgliedschaft in zivilgesellschaftlichen Organisationen, Freiwilligenarbeit, Gemeinschaftsaktionen usw.).

4.   Allgemeiner Hintergrund

4.1   Politischer Hintergrund: Das Rahmenabkommen von Ohrid und die Rechtstaatlichkeit

4.1.1

Das im August 2001 geschlossene Rahmenabkommen von Ohrid (1) und die Rechtstaatlichkeit zählen zu den wichtigsten Faktoren für die politische Stabilität des Landes. Das Rahmenabkommen von Ohrid hat dazu beigetragen, die mit der Vielfalt der Bevölkerung der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien verbundenen Fragen anzugehen sowie die Grundlagen für Stabilität und Entwicklung zu legen. Außerdem hat dieses Abkommen das Tempo bestimmt, das das politische, soziale und wirtschaftliche Leben sowie das Zusammenleben der einzelnen Volksgruppen regiert.

4.1.2

Nach den Parlamentswahlen 2006 und der Bildung der neuen Mitte-Rechtsregierung musste das Kräfteverhältnis neu ausbalanciert werden. In Bezug auf die Verwirklichung des EU-Fahrplans muss sich die Regierung dem politischen Dialog verschreiben und die Unterstützung aller politischen Kräfte gewinnen. Es wurden Fortschritte bei der Schaffung eines konstruktiven politischen Dialogs zu Fragen von grundlegender nationaler Bedeutung erzielt, doch könnte dieser Prozess durch anhaltende politische Spannungen gebremst werden, die ein besseres Regieren und den Aufbau gut funktionierender demokratischer Institutionen verhindern.

4.1.3

Grundlegende Fortschritte wurden auch bei der Durchführung des legislativen Teils des Rahmenabkommens von Ohrid, dessen Bestimmungen nach der Annahme von Änderungen durch das Parlament in die Verfassung aufgenommen wurden, sowie bei einer ausgewogenen Vertretung der Volksgruppen in der öffentlichen Verwaltung erzielt. Im März 2007 sahen nur mehr 1,4 % der Bevölkerung die Beziehungen zwischen den einzelnen Volksgruppen als größtes Problem ihres Landes an — im Vergleich zu 41,4 % im Juli 2001. Im März 2007 wurden diese Beziehungen nur mehr von 7,6 % der Bevölkerung als „sehr schlecht“ eingestuft — im Vergleich zu 19,7 % im Januar 2005 (2).

4.1.4

In den Bereichen Bildung für die Volksgruppen, ausgewogene Vertretung und Dezentralisierung hat sich ebenfalls einiges getan. Da es sich bei diesem Abkommen um ein Rahmenabkommen handelt, lässt es einen gewissen Auslegungsspielraum zu und ermöglicht u.U. unterstützende Maßnahmen. In Bezug auf die Sprachenregelung (Sprachgesetz, offizielle Zweisprachigkeit in Skopje), den Status der albanischen Veteranen, der territorialen Organisation (Kičevo, 2008) und die Stellung der kleineren und verstreuten Volkgruppen wie Türken, Roma, Serben, Bosnier und Vlachen, die 10,6 % der Gesamtbevölkerung ausmachen, könnten neue Herausforderungen anstehen.

4.1.5

Die Lage der Roma-Gemeinschaft gibt immer noch Anlass zu Bedenken, obwohl das Land an der Initiative „Decade for Inclusion of Roma 2005-2015“ (Jahrzehnt der Roma-Integration 2005-2015) teilnimmt.

4.1.6

In der Vergangenheit hat die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien (viel zu) langsam Schritte zur Stärkung der Rechtstaatlichkeit unternommen. Dies ist insbesondere auf die Strukturschwächen bei der Durchführung der Gesetze und der Rechtssprechung, auf eine politisierte und schwache öffentlichen Verwaltung sowie auf Korruption und organisiertes Verbrechen zurückzuführen. In all diesen Bereichen wurden gewisse Fortschritte erzielt. Nach den Verfassungsänderungen im Dezember 2005 ist der Rechtsrahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit und Effizienz der Justiz bereits größtenteils umgesetzt. Die Korruptionsbekämpfung gehört zu den wichtigsten Vorhaben der Regierung. Im Mai 2007 wurde das neue Programm zur Vermeidung und Bekämpfung von Korruption verabschiedet. Dennoch bedarf es eines starken politischen Willens, um die Bemühungen für eine effiziente Korruptionsbekämpfung zu intensivieren.

4.2   Sozioökonomischer Hintergrund: Wachstum ohne Schaffung neuer Arbeitsplätze

4.2.1

Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien wies einen niedrigeren Entwicklungsstand als andere Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawiens auf, und ihre Wirtschaft befand sich sechs Jahre vor ihrer Unabhängigkeit auf Talfahrt. Die ersten Jahre als unabhängiger Staat waren gekennzeichnet von makroökonomischer Instabilität und steigendem Defizit. Die Krise in der Region, das griechische Embargo, die Sanktionen der Vereinten Nationen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und die Kosovo-Krise waren der wirtschaftlichen und politischen Situation im Land abträglich und Schuld daran, dass das Land sich nicht auf seine eigenen politischen und wirtschaftlichen Reformen konzentrieren konnte.

4.2.2

Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien erfreut sich inzwischen aufgrund eines breiten wirtschaftspolitischen Konsenses zwar einer relativen makroökonomischen Stabilität und ist auf dem Weg zu einer umfassenderen Handelsliberalisierung (sie ist Mitglied der WTO und der CEFTA). Allerdings kann von einer echten wirtschaftlichen Entwicklung nicht die Rede sein.

4.2.3

Die Folge ist eine hohe Armutsrate. So leben 29,8 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Armut steht in direktem Zusammenhang mit der außerordentlich hohen Arbeitslosenquote (36 %).

4.2.4

Armut, soziale Ausgrenzung und hohe Arbeitslosigkeit bei einem schlecht funktionierenden Arbeitsmarkt sind die (negativen) Auswirkungen eines schwachen Wirtschaftswachstums (ca. 4 %), einer unzureichenden Unternehmensstruktur (so ist vor allem die Leistung der KMU sehr gering), eines starren Arbeitsmarktes, eines ineffizienten Bildungssystems und eines starken Bevölkerungswachstums. Bislang hat die Regierung zur Armutsbekämpfung oftmals soziale Wohlfahrtsmaßnahmen, nicht aber eine aktive Beschäftigungspolitik eingesetzt.

4.2.5

Das BIP-Wachstum in Höhe von 7 % im ersten Quartal 2007 könnte allerdings der lang erwartete Anfang einer dynamischeren Wirtschaftsentwicklung sein.

4.3   Soziokultureller Hintergrund: weit verbreiteter Vertrauensmangel

4.3.1

Die gesellschaftlichen Beziehungen sind durch einen allgemeinen Mangel an Vertrauen, Toleranz und Gemeinschaftssinn gekennzeichnet. Es gibt nur geringes Vertrauen in die öffentlichen Einrichtungen. Allerdings stieg im letzten Jahr das Vertrauen in die Regierung.

4.3.2

In der World Values Survey (WVS) wird die Toleranz mit 2,08 bewertet; dies bedeutet, dass die Gesellschaft in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien nur ein sehr geringes Toleranzniveau aufweist. Die Bevölkerung steht Randgruppen wie Drogenabhängigen, Alkoholikern, Homosexuellen und Romas besonders intolerant gegenüber. Auch der Gemeinschaftssinn, der daran gemessen wird, ob für öffentliche Versorgungsleistungen (Verkehr, Wasser usw.) bezahlt wird, ob Steuern abgeführt werden und staatliche Unterstützung beansprucht wird, ist nicht besonders ausgeprägt.

5.   Die Zivilgesellschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien

5.1   Rechtliche Rahmenbedingungen

5.1.1

Das Recht auf Vereinigungsfreiheit wird durch die Verfassung (Artikel 20) gewährleistet und normativ durch das 1998 verabschiedete Gesetz über Bürgervereinigungen und -stiftungen geregelt.

5.1.2

Es fehlt jedoch an Regelungen für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die lediglich in einigen wenigen Artikeln des Arbeits- und des Gewerkschaftsrechts erwähnt werden. Es müssen umgehend gleiche Ausgangsbedingungen für alle Sozialpartner geschaffen werden, um insbesondere ihre Unabhängigkeit sicherzustellen. Die Handelskammern werden über ein eigenes Gesetz geregelt.

5.1.3

Selbst nach den jüngsten Verbesserungen (Gesetz über Schenkungen und Sponsoring usw.) erweisen sich die Steuervorschriften für Organisationen der Zivilgesellschaft und steuerliche Vorteile für Mäzenatentum immer noch als Hindernisse für die weitere Entwicklung.

5.1.4

Derzeit wird ein neues Gesetz über Bürgervereinigungen und -stiftungen ausgearbeitet, in dem folgende Hauptänderungen zu erwarten sind: Verbesserung der Rechte zur Einrichtung einer zivilgesellschaftlichen Organisation, Regelung ihrer Wirtschaftstätigkeit und Einführung des Rechtsstatus einer gemeinnützigen Organisation.

5.2   Momentaufnahme der Zivilgesellschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien

5.2.1   Bandbreite und Repräsentativität der zivilgesellschaftlichen Organisationen

5.2.1.1

Die organisierte Zivilgesellschaft in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien setzt sich aus Gewerkschaften, Bürgerorganisationen, Handelskammern sowie Kirchen und Glaubensgemeinschaften zusammen. Die Arbeitsgeberverbände sind erst vor kurzem entstanden, und die Handelskammern (zwei davon bestehen auf nationaler Ebene: die mazedonische Wirtschaftskammer (SKM) und die Union der Handelskammern (USKM)) werden nach wie vor als Vertreter des Privatsektors angesehen.

5.2.1.2

Die Beziehungen zwischen den Arbeitgeberverbänden werden dadurch erschwert, dass nur ein einziger Verband, der mazedonische Arbeitgeberverband (ZRM), Mitglied des Wirtschafts- und Sozialrates ist. Sein Widerpart, der mazedonische Bund der Arbeitgeber (KRM), setzt sich für eine offenere und breiter gefächerte Zusammensetzung des WSR ein.

5.2.1.3

Die Gewerkschaften sind in vier Dachverbänden zusammengefasst: der Bund der Gewerkschaften Mazedoniens (SSM), der Bund der freien Gewerkschaften (KNS), der Bund der Gewerkschaftsverbände Mazedoniens (KSS) und der Bund der unabhängigen und autonomen Gewerkschaften (UNS). Die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften sind von Rivalität und manchmal gar persönlichen Anfeindungen gekennzeichnet. Dies bedeutet eine erhebliche Schwächung ihrer Verhandlungsposition, insbesondere gegenüber der Regierung.

5.2.1.4

Im Jahr 2003 waren 5 289 Organisationen der Zivilgesellschaft registriert. Fast alle sozialen Gruppen sind als Bestandteil der Zivilgesellschaft vertreten, wobei allerdings die armen ländlichen Gemeinden und Volksgruppen, insbesondere die Albaner, weniger stark vertreten sind. Ein erheblicher Anteil der Organisationen (43 %) sind in der Hauptstadt Skopje ansässig, in den ländlichen Gebieten gibt es so gut wie keine Organisationen der Zivilgesellschaft.

5.2.2   Organisationstiefe und Beziehungen

5.2.2.1

In der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien bestehen rund 200 zivilgesellschaftliche Dachorganisationen; der Großteil dieser Organisationen gehören je nach Art und Zielgruppe Gewerkschaften, Verbänden, Plattformen oder einer anderen Art von Dachorganisation an. Diese Dachorganisationen sind für die Konsolidierung des zivilen Sektors des Landes von grundlegender Bedeutung.

5.2.2.2

Die Zivilgesellschaft muss ihre Bemühungen auf Kommunikation, Koordinierung und Zusammenarbeit ausrichten. Es gibt so gut wie keine Zusammenarbeit und keinen Dialog zwischen den Arbeitgebern, Gewerkschaften und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft. Die Zivilplattform des Landes mit ihren 29 Mitgliedern ist jedoch ein positives Beispiel in diesem Bereich.

5.3   Stärken und Schwächen der Zivilgesellschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien

5.3.1

Zu den Stärken der Zivilgesellschaft zählen die Förderung der Handlungsfähigkeit der Bürger (empowerment) sowie die große Bedeutung, die Frieden, Chancengleichheit und nachhaltiger Entwicklung beigemessen wird.

5.3.2

Ihren größten Einfluss kann die Zivilgesellschaft in Bezug auf die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Bürger, insbesondere von Frauen und Randgruppen, ausüben. So konnte eine Zunahme bei der Mitwirkung von Frauen am öffentlichen Leben erzielt werden (Parlament, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft).

5.3.3

Umweltorganisationen waren von 1996 bis 2001 die mustergültigsten zivilgesellschaftlichen Organisationen, da dank ihres Einsatzes die nachhaltige Entwicklung von der Regierung erfolgreich in allen Bereichen aufgegriffen wurde. Sie verfügen noch über ausreichendes echtes Potenzial, um auch künftig eine wichtige Rolle zu spielen.

5.3.4

Alle wichtigen Akteure der organisierten Zivilgesellschaft üben sich in Pluralismus, allerdings muss die Dialogfähigkeit innerhalb der einzelnen Sektoren weiter ausgebaut und gestärkt werden.

5.3.5

Zu den Schwachpunkten der Zivilgesellschaft gehören die Bekämpfung der Armut, Transparenz und Selbstregulierung, gelebte Demokratie, von gegenseitigem Desinteresse geprägte Beziehungen zwischen der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor sowie unzureichende Mittel und fehlende Diversifizierung der Finanzressourcen (zum gegenwärtigen Zeitpunkt starke Abhängigkeit von ausländischen Spenden).

5.3.6

Das Erbe der Vergangenheit und die verschiedenen, oftmals emotional gefärbten Standpunkte und Haltungen innerhalb der Zivilgesellschaft (und gegenüber dem Staat) erschweren den Dialog und das Handeln erheblich.

5.3.7

Kirchen und Glaubensgemeinschaften genießen das Vertrauen der Bürger, die im Gegensatz dazu nur geringes Vertrauen in Bürgerorganisationen und noch weniger in Handelskammern und Gewerkschaften setzen; letztere sind nach Meinung der Bürger an der Verschlechterung der Lage der Arbeitnehmer Schuld und tun nicht genug.

6.   Sozialer und ziviler Dialog sowie Einrichtung eines Gemischten Beratenden Ausschusses mit dem EWSA

6.1   Sozialer Dialog

6.1.1   Hintergrund

Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien ist Mitglied der IAO und hat die meisten IAO-Übereinkommen ratifiziert, so in jüngster Vergangenheit das Übereinkommen über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit (C182) im Jahr 2002, und das Übereinkommen über dreigliedrige Beratungen (internationale Arbeitsnormen) (C144) im Jahr 2005.

6.1.2   Der Wirtschafts- und Sozialrat der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien

Der Aufbau eines institutionellen Rahmens für den sozialen Dialog, insbesondere den tripartiten Dialog im Wirtschafts- und Sozialrat der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, wurde erst in Angriff genommen. Der 1996 eingerichtete WSR leitet den tripartiten Dialog (zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und der Regierung) auf nationaler Ebene. Allerdings ist sein Partizipationspotenzial begrenzt, da er sich ausschließlich aus Vertretern des Bundes der Gewerkschaften Mazedoniens (SSM) und des mazedonischen Arbeitgeberverbands (ZRM) zusammensetzt und unter Leitung des Ministers für Beschäftigung und Sozialpolitik steht.

6.1.3

Diese Situation wird ebenso wie die Arbeit des WSR von den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, die nicht im WSR vertreten sind, heftig kritisiert. Alle Seiten (auch die Regierung) sind sich offenbar darin einig, dass der geltende Rechtsrahmen geändert und klare Kriterien für die Teilnahme am WSR ausgearbeitet werden sollten. Es ist jedoch bereits jetzt abzusehen, dass eine zufriedenstellende Lösung und die Schaffung eines neuen Rechtsrahmens für den WSR erst in langen Diskussionen erreicht werden können.

6.1.4   Tarifverhandlungen

Es gibt zwei allgemeine Tarifabkommen für den öffentlichen und den privaten Sektor sowie rund 24 Branchentarifverträge. Die Gewerkschaften müssen mindestens 33 % der betroffenen Arbeitnehmer vertreten, um als Sozialpartner in die Tarifverhandlungen eingebunden zu werden. Diese Bestimmung wird von einigen Gewerkschaften heftig kritisiert und sie fordern eine erhebliche Senkung dieses Prozentsatzes. Außerdem hat sich gezeigt, dass nur schwer klar nachweisbar ist, dass eine Gewerkschaft auch wirklich diese 33 % erreicht hat.

6.2   Der zivile Dialog angesichts der neuen Regierungsstrategie

6.2.1

Anfangs waren die Beziehungen zwischen der Regierung und den Organisationen der Zivilgesellschaft durch Ad-hoc-Kontakte und Vereinbarungen geprägt. Im November 2004 erfolgte jedoch mit der Einrichtung eines Referats für die Zivilgesellschaft in der Regierung der erste Schritt hin zu institutionalisierten Beziehungen.

6.2.2

Im Januar 2007 wurden eine Strategie für die Zusammenarbeit der Regierung mit der Zivilgesellschaft und ein Aktionsplan für ihre Umsetzung angenommen. Dem war ein richtiges Konsultationsverfahren vorausgegangen.

6.2.3

Zu den strategischen Hauptzielen zählen die Teilnahme der Zivilgesellschaft an der Beschlussfassung, die Einbindung der Zivilgesellschaft in das EU-Beitrittsverfahren, die Schaffung besserer Bedingungen für das Funktionieren der Zivilgesellschaft, der Ausbau und die Stärkung des Rechtsrahmens zur Verbesserung der Bedingungen für die Zivilgesellschaft sowie der Aufbau einer interinstitutionellen und bereichsübergreifenden Zusammenarbeit.

6.3   Einrichtung eines Gemischten Beratenden Ausschusses (GBA) mit dem EWSA

6.3.1

In den Augen aller Akteure der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien ist ein GBA mit dem EWSA von großer Bedeutung; sie fordern daher seine ehestmögliche Einrichtung.

6.3.2

Ein angemessen zusammengesetzter GBA kann als effizientes Instrument eingesetzt werden, um einerseits das Land und seine organisierte Zivilgesellschaft an die EU heranzuführen und andererseits den Dialog zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft auf nationaler Ebene zu fördern.

6.3.3

Es bedarf ernsthafter Anstrengungen seitens aller Parteien, um sicherzustellen, dass die GBA-Mitglieder der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien in einem offenen, transparenten und demokratischen Verfahren ernannt werden und dass diese über die erforderliche Legitimität und Repräsentativität verfügen.

7.   Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, die EU und der Balkan

7.1   Stand der Beziehungen zwischen der EU und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien

7.1.1   Bewerberland

Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien hat den Status eines Bewerberlandes und bereitet sich auf die Beitrittsverhandlungen mit der EU vor. Sie war das erste Land des westlichen Balkanraums, das ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU geschlossen hat, und zwar im April 2001. Mit dem EU-Gipfel von Thessaloniki vom 19. bis 21. Juni 2003 wurde die Unterstützung für den Beitritt der Länder des westlichen Balkanraums zur EU verstärkt. Die Regierung der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien reichte ihre Antworten auf den Fragebogen der Europäischen Kommission am 14. Februar 2005 ein; dies war die Grundlage für die positive Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 9. November 2005 und in der Folge die Entscheidung des Europäischen Rates am 16. Dezember 2005, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien den Status eines Bewerberlands zu verleihen.

7.1.2   Handelsbeziehungen zur EU

Im Jahr 2006 beliefen sich die Gesamtausfuhren auf 1,43 Mrd. EUR und die Gesamteinfuhren auf 2,25 Mrd. EUR; 51,85 % der Ausfuhren erfolgten in die EU, 44 % der Einfuhren kamen aus deren Mitgliedstaaten. Die wichtigsten fünf EU-Handelspartner sind Deutschland, Griechenland, Italien, Slowenien und Polen.

Folgende Themen müssen in Bezug auf den Handel u.a. aufgegriffen werden: mangelnde Integration von Grenzdiensten, Mangel an neuen Technologien und papierlosen Zollverfahren, Warendeklarierung und fehlende Referenzlabors für die Ausstellung von Bescheinigungen (vor allem in der Landwirtschaft).

7.1.3   Visa

Die Mobilität der Bürger, insbesondere zum Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturaustausch, sind von grundlegender Bedeutung für den Aufbau von Beziehungen zur EU. Am 18. September 2007 wurde ein Visaerleichterungs- und Rückübernahmeabkommen mit der EU geschlossen — ein weiterer Schritt hin zum visumfreien Reiseverkehr. Ein Dialog über diesen visumfreien Reiseverkehr wurde am 20. Februar 2008 aufgenommen.

7.1.4   EU-Finanzhilfe

Die EU hat das Land im Zeitraum 1992-2006 mit 800 Mio. EUR finanziell unterstützt. Für den Zeitraum 2007-2009 wurden 210 Mio. EUR zugesagt.

7.2   Die Rolle der Zivilgesellschaft im EU-Integrationsprozess

7.2.1

Die europäische Integration ist eine wichtige Herausforderung für die Zivilgesellschaft in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Mit dem Beitrittsverfahren ist die europäische Integration eine wichtige Triebkraft für die Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft geworden. Organisationen der Zivilgesellschaft sind Träger der neuen Werte wie partizipative Demokratie, Eingliederung, Chancengleichheit, Transparenz und Rechenschaftspflicht. Sie können auch bei der Heranführung einer traditionellen, multikulturellen (und multiethnischen) Gesellschaft an das postmoderne Europa eine wichtige Mittlerrolle spielen.

7.2.2

Die Regierung der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien hat die Bedeutung der Zivilgesellschaft im EU-Integrationsprozess durch deren Aufnahme in ihre strategischen Ziele erstmals anerkannt.

7.2.3

Die Unterstützung seitens der EU für die Zivilgesellschaft hat nach der Einführung der Gemeinschaftshilfe für Wiederaufbau, Entwicklung und Stabilisierung „CARDS“ 2001 noch zugenommen. So wurden zahlreiche zivile Initiativen unterstützt, u.a. gab es technische Hilfestellung für die Ausarbeitung der Regierungsstrategie für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und Unterstützung für die Zivilplattform des Landes.

7.3   Nachbarschaftliche Zusammenarbeit und Vernetzung

7.3.1.

Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien bringt sich aktiv in die regionale Zusammenarbeit ein und engagiert sich in der Entwicklung bilateraler Beziehungen und einer guten Nachbarschaftspolitik. So nimmt sie aktiv an regionalen Entwicklungsprozessen wie der Einrichtung eines regionalen Rates für Zusammenarbeit (Südosteuropäischer Kooperationsprozesses (SEECP)), der Energiegemeinschaft, dem gemeinsamen europäischen Luftraum, der Südosteuropäischen Kooperationsinitiative (SECI) und dem zentraleuropäischen Freihandelsabkommen (CEFTA) teil. In diesem Zusammenhang tragen die nationalen und lokalen Medien eine besondere Verantwortung, diese Entwicklungen positiv zu beeinflussen.

7.3.2.

Die Vernetzung und Zusammenarbeit auf regionaler Ebene weitet sich auch in anderen Bereichen einschließlich der Zivilgesellschaft aus. Es gibt positive Beispiele für gemeinsame Maßnahmen unter aktiver Teilnahme der Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und weiterer Organisationen der Zivilgesellschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien.

Brüssel, den 12. März 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Anfang 2001 kam es in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien zu bewaffneten Auseinandersetzungen und Spannungen zwischen den Volksgruppen. Als politischen Ausweg aus dieser Krise schlossen die vier führenden Parteien am 13. August 2001 in Ohrid das sog. Rahmenabkommen von Ohrid, für das der Präsident der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und die internationale Gemeinschaft (EU und Vereinigte Staaten) als Garanten auftraten. Mit diesem Rahmenabkommen sollen Einheit und Zusammenhalt des Staates gewahrt, die Demokratie gefördert, die Zivilgesellschaft aufgebaut, die Annäherung an die EU und die NATO vorangebracht und eine multi-ethnische Gesellschaft, an der alle Volksgruppen gleichberechtigt beteiligt sind, geschaffen werden. Der rechtliche Teil des Rahmensabkommens wurde innerhalb von knapp vier Jahren bis Juli 2005 umgesetzt.

(2)  „Early Warning ReportFormer Yugoslav Republic of Macedonia“, UNDP, Skopje, Juni 2007.