ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 175

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Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

50. Jahrgang
27. Juli 2007


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III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

436. Plenartagung vom 30./31. Mai 2007

2007/C 175/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/84/EWG über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische GetränkeKOM(2006) 486 endg.

1

2007/C 175/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Statistische Programm der Gemeinschaft 2008 bis 2012KOM(2006) 687 endg. — 2006/0229 (COD)

8

2007/C 175/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die vierteljährliche Statistik der offenen Stellen in der GemeinschaftKOM(2007) 76 endg.

11

2007/C 175/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Vorordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1059/2003 über die Schaffung einer gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS) aufgrund des Beitritts von Bulgarien und Rumänien zur Europäischen UnionKOM(2007) 95 endg. — 2007/0038 (COD)

13

2007/C 175/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Binnenmarkt für Dienstleistungen — Anforderungen des Arbeitsmarktes und Erfordernisse des Verbraucherschutzes

14

2007/C 175/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Qualitätsstandards für Inhalte, Verfahren und Methoden sozialer Folgeabschätzungen aus Sicht der Sozialpartner und anderer Akteure der Zivilgesellschaft

21

2007/C 175/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Umsetzung der Richtlinie 1997/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im FernabsatzKOM(2006) 514 endg.

28

2007/C 175/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 78/855/EWG des Rates betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften und der Richtlinie 82/891/EWG des Rates betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften hinsichtlich des Erfordernisses der Prüfung des Verschmelzungs- oder Spaltungsplans und der Erstellung eines Berichts durch einen unabhängigen SachverständigenKOM(2007) 91 endg. — 2007/0035 (COD)

33

2007/C 175/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über LebensmittelhygieneKOM(2007) 90 endg. — 2007/0037 (COD)

37

2007/C 175/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Anbau der Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen für land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf RädernKOM(2007) 192 endg. — 2007/0066 (COD)

40

2007/C 175/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Aus- und Einfuhr gefährlicher ChemikalienKOM(2006) 745 endg. — 2006/0246 (COD)

40

2007/C 175/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von PflanzenschutzmittelnKOM(2006) 388 endg. — 2006/0136 COD

44

2007/C 175/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der GemeinschaftKOM(2006) 818 endg. — 2006/0304 (COD)

47

2007/C 175/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit besonderen Vorschriften für den Obst- und Gemüsesektor und zur Änderung bestimmter VerordnungenKOM(2007) 17 endg. — 2007/0012 (CNS)

53

2007/C 175/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/66/EG über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren hinsichtlich der der Kommission übertragenen DurchführungsbefugnisseKOM(2007) 93 endg. — 2007/0036 (COD)

57

2007/C 175/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung

57

2007/C 175/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. JahrhundertsKOM(2006) 708 endg.

65

2007/C 175/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges LernenKOM(2006) 479 endg. — 2006/0163 (COD)

74

2007/C 175/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Eine EU-Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verringerung alkoholbedingter SchädenKOM(2006) 625 endg.

78

2007/C 175/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (Neufassung)KOM(2006) 396 endg. — 2006/0130 (COD)

85

2007/C 175/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die europäische Straßenverkehrssicherheitspolitik und die Berufskraftfahrer — sichere Rastplätze

88

2007/C 175/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Künftige Rechtsvorschriften zur eAccessibility

91

DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

436. Plenartagung vom 30./31. Mai 2007

27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/84/EWG über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke“

KOM(2006) 486 endg.

(2007/C 175/01)

Der Rat beschloss am 26. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 93 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2007 an. Berichterstatter war Herr IOZIA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 78 gegen 10 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss hält eine automatische Anpassung an die ab 1992 in der EU-12 verzeichnete Inflationsrate für falsch, da zwischenzeitlich der EU im Jahr 1995 drei Staaten, zum 1. Mai 2004 zehn Staaten und zum 1. Januar 2007 zwei weitere Staaten beigetreten sind.

1.2

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass im Sinne der angestrebten Harmonisierung der Verbrauchsteuersätze in der EU-27 auch die Annahme eines Höchstsatzes für Verbrauchsteuern erwogen werden sollte: Das ist sicherlich ein Mittel, das künftig eine wirkungsvolle Bekämpfung von Schmuggel und Betrug sowie die Annäherung der Steuersätze ermöglicht und die Vollendung des Binnenmarktes fördert. Die Interessen der Verbraucher — die nicht mit Schmugglern gleichgesetzt werden dürfen, wenn sie alkoholische Getränke dort kaufen, wo sie am preiswertesten sind — werden im Zuge einer kontinuierlichen Harmonisierung gewahrt.

1.3

Der Ausschuss empfiehlt, den Mitgliedstaaten ausdrücklich zu untersagen, weitere Arten der Verbrauchsbesteuerung zu den regulären Verbrauch- und Mehrwertsteuern hinzuzufügen, und diese Steuern womöglich als „Gemeinschaftssteuern“ zu bezeichnen, wie vom Europäischen Gerichtshof festgelegt wurde (1).

1.4

Nach Auffassung des Ausschusses erfüllt der Vorschlag nicht die Voraussetzungen dafür, Artikel 93 EGV als Rechtsgrundlage heranzuziehen, die den Rat berechtigt, einstimmig Bestimmungen zur Harmonisierung einzelstaatlicher Rechtsvorschriften im Steuerbereich zu erlassen. Tatsächlich bezweckt der Vorschlag keinerlei Harmonisierung, da die Mitgliedstaaten die Höhe ihrer Steuersätze auf der Grundlage des Mindeststeuersatzes frei festlegen können.

1.5

Der Ausschuss hält es für einen Fehler, dass die Kommission die Bedeutung ihres Vorschlags herunterspielt und damit das Fehlen einer Folgenabschätzung und einer Anhörung der betroffenen Parteien rechtfertigt. In Zuge einer im Ausschuss durchgeführten Anhörung haben sich alle Beteiligten gegen den Kommissionsvorschlag ausgesprochen und gefordert, dass die Kommission künftig eine sorgfältige Folgenabschätzung vornimmt.

1.6

Der Ausschuss hofft, dass der Vorschlag zurückgezogen wird und fordert die Kommission auf, künftig die Verweise auf die in der Richtlinie 92/83/EWG enthaltenen Codes der Kombinierten Nomenklatur zu aktualisieren und die Klassifizierungsverfahren zu überarbeiten.

2.   Der Kommissionsvorschlag

2.1

Der „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/84/EWG über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke“ legt Mindestverbrauchsteuersätze für Alkohol und verschiedene Warenkategorien alkoholischer Getränke fest. Nach Artikel 8 der Richtlinie muss die Kommission regelmäßig Untersuchungen durchführen sowie einen Bericht und gegebenenfalls einen Vorschlag zur Änderung vorlegen.

2.2

Der von der Kommission am 26. Mai 2004 vorgelegte Bericht gelangte zum Schluss, dass eine weitergehende Annäherung der Mindeststeuersätze erforderlich ist, damit der Binnenmarkt reibungsloser funktioniert und die derzeit aufgrund der Unterschiedlichkeit der Regelungen in den Mitgliedstaaten möglichen Wettbewerbsverzerrungen und Betrugsfälle eingeschränkt werden. In der anschließenden Debatte forderte der Rat die Kommission auf, „einen Vorschlag für die Anpassung der Mindestverbrauchsteuersätze zu unterbreiten, damit ein Absinken des realen Werts der gemeinschaftlichen Mindestsätze vermieden wird, wobei für diejenigen Mitgliedstaaten, die Schwierigkeiten mit der Anhebung ihrer Sätze haben könnten, Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen vorzusehen sind“. Der Rat fügte hinzu, dass „die Kommission ferner der allgemeinen politischen Brisanz dieser besonderen Frage gebührend Rechnung tragen“ sollte.

2.3

Die Kommission schlägt deshalb vor, die Richtlinie 92/84/EWG wie folgt zu ändern:

die Mindestsätze für Alkohol, Zwischenerzeugnisse und Bier werden mit Wirkung zum 1. Januar 2008 um 31 % erhöht, was der Inflationsrate für den Zeitraum von 1993 bis 2005 entspricht;

es werden Übergangsfristen für das Inkrafttreten der neuen Verbrauchsteuersätze vorgesehen, die für die Länder, die ihre Steuersätze um mindestens 10 % erhöhen müssten, ein Jahr, und für Länder, die ihre Steuersätze um mindestens 20 % erhöhen müssten, zwei Jahre betragen;

das Überprüfungsverfahren nach Artikel 8 der Richtlinie wird von zwei Jahre auf vier Jahre verlängert.

2.4

Hauptziel des Vorschlags ist es, wie vom Rat gewünscht den realen Wert der Mindeststeuersätze von 1992 wiederherzustellen, d.h. den Wert zu erreichen, der nach Auffassung der Kommission „das Funktionieren des Binnenmarktes ohne Steuergrenzen (…) gewährleisten“ kann.

3.   Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss hat es angesichts der fehlenden Folgenabschätzung für sinnvoll erachtet, unmittelbar die Verbände der Erzeuger, der Verbraucher und der Gewerkschaften anzuhören. Im Laufe der Anhörung haben alle Teilnehmer einhellig ihre Verwunderung über den Richtlinienvorschlag zum Ausdruck gebracht. Einige Verbände haben auch darauf hingewiesen, dass dieser Vorschlag die Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen alkoholischen Getränken noch erhöht, offensichtlich zum Nachteil verbrauchsteuerpflichtiger Getränke. Andererseits fordern die Erzeuger nicht verbrauchsteuerpflichtiger Getränke, die gegenwärtige Regelung, die übrigens im Rahmen der GAP-Vereinbarungen getroffen wurde, nicht zu ändern.

3.2

Die Teilnehmer an der Anhörung (2) sind auch übereingekommen, dass soziale und gesundheitliche Aspekte zwar berücksichtigt werden müssen, aber nicht als Kriterium für die Besteuerung herangezogen werden sollen. Sie fordern vielmehr — und der Ausschuss schließt sich dieser Forderung an -, eine Kampagne für den „verantwortungsbewussten Konsum“ durchzuführen, um die Gefahren des Missbrauchs einzudämmen. Ebenso wurde unterstrichen, dass die europäische Industrie in dieser Branche weltweit führend ist und in erheblichem Maße zum europäischen BIP sowie — direkt und indirekt — zur Beschäftigung beiträgt.

3.3

Auf den ersten Blick scheint der Vorschlag zur Änderung der Richtlinie eine reine Routinemaßnahme, eine einfache Anpassung der Werte an die zwischen 1993 und heute verzeichnete Inflation. Tatsächlich betrifft er jedoch ein ausgesprochen komplexes und heikles Thema. Dabei zeigt sich, dass einzelstaatliche Politiken und Interessen weit davon entfernt sind, einer wirklich anspruchsvollen Steuerangleichung auf Gemeinschaftsebene Platz zu machen. Der Ausschuss hat sich wiederholt für einen Prozess der Steuerharmonisierung ausgesprochen und hält diesen für ein unerlässliches Mittel, um die Verbraucher von den Vorteilen des Binnenmarktes zu überzeugen.

3.4

Die Sitzungen des Rates (Wirtschaft und Finanzen) vom 7. und vom 28. November 2006, die unter anderem der Prüfung dieses Vorschlags gewidmet waren, führten zu endlosen Diskussionen zwischen den Mitgliedstaaten, bei der sich im Grunde wieder die Konstellation ergab, die 1992 den Tenor der Richtlinie bestimmte. Damals konnte man sich lediglich auf Mindeststeuersätze einigen, ohne einen Weg zur Harmonisierung und Angleichung der Verbrauchsteuersätze finden zu können.

3.5

Untersucht man die von den Mitgliedstaaten angewandten Steuersätze genau, stellt man wirklich enorme Unterschiede fest. In dem Bericht vom 26. Mai 2004 werden die für die einzelnen Getränkekategorien von den 25 Mitgliedstaaten und den beiden damaligen Beitrittsländern Rumänien und Bulgarien, die dann am 1. Januar 2007 der EU beigetreten sind, angewandten Steuersätze aufgeführt (3). Der Unterschied zwischen den niedrigsten und den höchsten Steuersätzen beträgt 1 100 %!

3.6

Um nur einige Beispiele zu nennen: Bei Wein liegt die Besteuerung zwischen 0 und 273 EUR pro Hektoliter (hl); bei Schaumwein zwischen 0 und 546 EUR/hl; für Bier bei 0,748 pro Grad Plato (4) entsprechend zwischen 1,87 und 19,87 EUR/hl/Grad vorhandenem Alkoholgehalt; bei nicht schäumenden und schäumenden Zwischenerzeugnissen zwischen 45 und 497 EUR/hl, bei reinem Alkohol zwischen 550 und 5 519 EUR/hl. Bei Getränken mit vorhandenem Alkoholgehalt von 40 Grad liegt die Spanne zwischen 220 und 2 210 EUR/hl.

3.7

Die von der Kommission vorgeschlagene Anpassung des Wertes der Mindestsätze würde den Unterschied zwischen den in den Mitgliedstaaten angewandten Steuersätzen von 1 100 % auf eine zwischen 800 und 1 000 % schwankende Größenordnung reduzieren. Die Behauptung der Kommission, mit dieser Maßnahme könne die Funktionstüchtigkeit des Binnenmarktes gewährleistet werden, erscheint folglich gelinde gesagt verwegen. Der Ausschuss schlägt vor, neben dem Mindeststeuersatz einen Höchststeuersatz einzuführen, dem einzigen Mittel, das künftig eine wirkungsvolle Bekämpfung von Schmuggel und Betrug ermöglicht.

3.8

Ebenso unnötig ist es zu betonen, dass die Anpassung der Mindestsätze an die Inflationsrate keine Erhöhung der realen Werte bedeutet. Vollständigkeitshalber hätte die Kommission ein dynamisches Modell der von den Mitgliedstaaten angewandten Verbrauchsteuern vorlegen sollen, das mit dem Zeitpunkt der Vorlage des Harmonisierungsvorschlags, d.h. des Weißbuchs aus dem Jahr 1985 einsetzt. Tatsächlich ist mit wenigen Ausnahmen beim Ablauf der Ausnahmefristen für einige Mitgliedstaaten konkret ein Anstieg des realen Wertes der Verbrauchsteuern der Mitgliedstaaten zu verzeichnen. Der Ausschuss spricht sich gegen alle einzelstaatlichen Praktiken aus, zu den Verbrauchsteuern weitere Arten der Besteuerung hinzuzufügen und diese womöglich als „Gemeinschaftssteuern“ zu bezeichnen.

3.9

Diese Entwicklung wird auch in einer von der Kommission selbst in Auftrag gegebenen Untersuchung bestätigt (5). Darin wird bekräftigt, dass alle Mitgliedstaaten bis auf drei Ausnahmen den Wert der Verbrauchsteuern jährlich oder im Abstand weniger Jahre erhöht haben.

3.10

In der gleichen Studie, die auch die Preiselastizität der Nachfrage berücksichtigt, wird betont, dass bei einer Anpassung der Mindestsätze an die Inflation

im Wesentlichen der Spirituosensektor, vor allem in den nordischen Ländern, aber auch im Vereinigten Königreich und in Irland, profitieren würde;

im Falle einer relativ hohen Preiselastizität der Nachfrage der Konsum von Spirituosen (mit hohem Alkoholgehalt) zunehmen würde im Vergleich zum Falle der Kreuzpreiselastizität (Verhältnis zwischen der Nachfrage nach einer bestimmten Art von Erzeugnissen und den Preisen anderer Produktkategorien) (6);

die größten Verlierer bei einer erhöhten Preiselastizität Bier und Wein sein würden: in den nordischen Ländern würde ein bedeutender Rückgang des Konsums von Wein zu verzeichnen sein, in Deutschland, Belgien, Frankreich und Luxemburg hingegen würde ein Rückgang des Bierkonsums festzustellen sein.

3.11

Interessant wäre übrigens ein Vergleich der in der Studie beschriebenen Unterschiede zwischen den Mindestsätzen, die sich auf die EU-15 beziehen, mit den auf der Grundlage der EU-27 errechneten Unterschieden.

3.12

Der Ausschuss fragt sich, wieso die Kommission in diesem ausdrücklich als sehr heikel bezeichneten Bereich nach wie vor als Buchhalter auftreten muss, oder ob sie nicht vielmehr im Zusammenspiel mit den Mitgliedstaaten Vorschläge vorlegen sollte, die tatsächlich die starken Wettbewerbsverzerrungen abschwächen, die ein so große Unterschiede aufweisendes Besteuerungssystem nach zieht.

3.13

Ein weiterer, von der Kommission bei der Erarbeitung des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/84/EWG überhaupt nicht berücksichtigter Faktor ist die Tatsache, dass im Jahr 1992 — in der EU-12 — der Unterschied zwischen den Pro-Kopf-Einkommen nicht so groß war, dass die vereinbarten Steuersätze nicht zu einer wirklichen Belastung wurden. In der EU-27, in der Einkommens- und Rentenniveaus so unterschiedlich sind, ist es ungerecht, weiterhin das gleiche Maß der Besteuerung für alte und neue Mitgliedstaaten anzulegen, womit ausschließlich die schwächeren Einkommen getroffen werden. Für Arbeitnehmer und Rentner, deren Gehälter oder Renten nicht mehr als 100 bis 150 EUR im Monat betragen und die bereits einen Anstieg der Verbrauchsteuern auf alkoholische Getränke von 50 % bis 400 % hinnehmen mussten, hätte ein weiterer Anstieg um 31 % sicherlich negative Auswirkungen auf den Konsum. Der Ausschuss hält eben aufgrund des zwischenzeitlich erfolgten Beitritts von zwölf neuen Mitgliedstaaten eine automatische Anpassung der Inflationsrate der EU-15 ab 1992 für nicht korrekt.

3.14

Von seltenen Ausnahmen abgesehen widerspricht der vorgeschlagene Automatismus zudem allen Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung der Mitgliedstaaten, die schon vor Zeiten bestehende Verfahren zur automatischen Angleichung von Gehältern und Renten an die Inflationsrate beseitigt haben. Die Kommission begründet nicht, wieso ein solcher Mechanismus nur bei den Verbrauchsteuern beizubehalten ist.

3.15

Der Ausschuss hält vielmehr die gegenwärtige Regelung für vollkommen unzureichend und die Anpassung an die Inflationsrate (der EU-12 an die der EU-25 oder vielleicht sogar an die der EU-27?) für eine unnötig harte Maßnahme, insbesondere für die niedrigeren Einkommen — wie dies für alle indirekten Steuern zutrifft, die vom effektiven Einkommen des Steuerzahlers absehen.

3.16

Wie dies in einigen Mitgliedstaaten für den Wein gilt, so ist der — natürlich maßvolle — Konsum anderer alkoholischer Getränke Teil der Geschichte und der Kultur der europäischen Völker. Die Problematik mit all ihren Aspekten ist folglich im Gesamtzusammenhang zu sehen.

3.17

Der Ausschuss respektiert die Entscheidungen derjenigen Länder, die eine strikte Steuerpolitik bei Alkohol und Tabak praktizieren, was eventuell auf Phänomene des Massenmissbrauchs, insbesondere unter Jugendlichen, zurückzuführen ist. Einige Mitgliedstaaten haben erklärt, dass ihre Steuermaßnahmen gesundheitspolitischen Aspekten Rechnung tragen müssen, aber diese freien Entscheidungen können nicht die Entscheidungen und Begründungen anderer Mitgliedstaaten beeinflussen.

3.18

Der Ausschuss hat sich bereits in einer ausführlichen Stellungnahme (7) mit dieser Frage auseinandergesetzt und betont, dass „Missbrauch (…) am ehesten dadurch zu bekämpfen (ist), dass Erziehungs-, Aufklärungs- und Trainingsprogramme vorrangig für den Personenkreis durchgeführt werden, der Alkohol missbraucht.“

3.19

Nach Auffassung des Ausschusses erfüllt der Vorschlag nicht die Voraussetzungen gemäß Artikel 93 EGV, denen zufolge der Rat berechtigt ist, einstimmig Bestimmungen zur Harmonisierung einzelstaatlicher Rechtsvorschriften im Steuerbereich zu erlassen, insofern diese Harmonisierung zur Ermöglichung oder Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarktes — nach den in Artikel 14 vorgesehenen Fristen — erforderlich ist. Tatsächlich wird mit dem Vorschlag keineswegs die Harmonisierung gefördert, da nur der Mindestsatz festgelegt wird, wobei die Steuer von jedem Mitgliedstaat nach Belieben erhöht werden kann. Die Höhe der tatsächlich angewandten Steuersätze hat sich seit der Annahme der Richtlinie 92/84/EWG bis heute weiter auseinander bewegt. Dies belegt, dass mithilfe dieser Richtlinie keine Harmonisierung erreicht werden konnte.

4.   Bekämpfung von Betrug und Schmuggel

4.1

Ein weiterer, durch hohe Unterschiede bei den Steuersätzen verursachter negativer Aspekt stellt — neben der Behinderung eines funktionierenden Binnenmarktes — die dadurch geförderte starke Neigung zur Umgehung oder Hinterziehung der Verbrauchsteuern dar: indem die Steuern in einem anderen Staat als dem des Endverbrauchs gezahlt werden, indem Güter aus Drittstaaten eingeführt werden oder Güter mit aufgeschobener Besteuerung umgeleitet werden.

4.2

Die Entwicklung des Internethandels bietet weitere Möglichkeiten für Steuerbetrug, da Fernkäufe nicht kontrolliert werden können und keine koordinierten Maßnahmen der Bekämpfung des Betrugs bei Verbrauchsteuern auf Alkohol existieren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Mitgliedstaaten diesen Betrug als nicht problematisch erachten und das Phänomen nur die Gebiete mit höherer Besteuerung betrifft.

4.3

Im Zuge der Erweiterung haben die EU-Außengrenzen Länder erreicht, die über ein — im Vergleich zur durchschnittlichen Besteuerung in der EU — erheblich geringeres Besteuerungsniveau verfügen, und die Betrugsmöglichkeiten sind exponentiell gestiegen. In einigen Ländern, die heute an die EU angrenzen, ist Korruption ein weit verbreitetes Phänomen, das die Zollbehörden nicht ausnimmt. Die Maßnahmen zur Bekämpfung von Schmuggel müssen weiter verstärkt werden. Sollte die Erhöhung der Verbrauchsteuern in dem vorgesehenen Maß erfolgen, würde sich die Profitspanne für den internationalen Schmuggel noch vergrößern.

4.4

Seit 1992 befasst sich die EU mit dem Problem der Bekämpfung des Betrugs mit Produkten, die der Verbrauchsteuer unterliegen, und erließ die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren. Aufgrund geringer Erfolge wurde die Richtlinie im Jahr 2004 mit Annahme der Richtlinie 2004/106/EG des Rates vom 16. November 2004 geändert, mit der auch die Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, bestimmter Verbrauchsteuern und der Steuern auf Versicherungsprämien geändert wurde.

4.5

In diesem Zusammenhang betonte der Ausschuss in einer Stellungnahme (8), dass bezüglich der Betrugsbekämpfung „die Notwendigkeit auf der Hand (liegt), das Instrument der Verwaltungszusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen Mitgliedstaaten zu modernisieren, zu stärken, zu vereinfachen und effizienter zu gestalten.“

4.6

In der selben Stellungnahme wurde auch auf die Tatsache verwiesen, dass „die Vorteile, die sich aus einem effizienteren Funktionieren des Binnenmarktes und in diesem Fall der Maßnahmen zur Feststellung und Bekämpfung von Steuerumgehung und Steuerhinterziehung ergeben könnten, (…) wiederum durch den Willen zum Schutz der nationalen Interessen eingeschränkt (werden).“ Und weiter: „Denn zweifellos stehen viele betrügerische Praktiken in unmittelbarem Zusammenhang mit den zuweilen erheblichen Unterschieden zwischen den Verbrauchsteuersätzen der einzelnen Mitgliedstaaten.“

„Der EWSA weist bei dieser Gelegenheit auf die Einschränkungen hin, die mit dem Einstimmigkeitsprinzip verbunden sind, das derzeit für die meisten steuerrechtlichen Beschlüsse der Gemeinschaft gilt, und bekräftigt die Notwendigkeit, dieses Prinzip durch das Prinzip der (ggf. qualifizierten) Mehrheit abzulösen, wenn es um Steuern geht, die das Funktionieren des Binnenmarktes beeinflussen oder Wettbewerbsverzerrungen verursachen.“

4.7

Der Ausschuss hat bereits die Ansätze dargelegt und bekräftigt, die er in diesem Bereich für grundlegend erachtet:

Stärkung der Verwaltungszusammenarbeit, des ständigen Dialogs der Steuerbehörden, der gegenseitigen Hilfe, der permanenten und gemeinsamen Weiterbildung des in der Betrugsbekämpfung eingesetzten Personals, sowie die Verknüpfung von Polizei und Steuerbehörden mittels kompatiblen Plattformen und der gemeinsamen Nutzung von Datenbanken;

Förderung von Prozessen der Steuerharmonisierung, sowohl im Bereich der direkten Steuern als auch im komplexeren Bereich der Verbrauchsteuern;

Anstoßen eines Prozesses zur Überwindung der Einstimmigkeit in Steuerfragen, wobei mit den leichter zu realisierenden Aspekten begonnen werden sollte;

Überwindung des MwSt-Modells, das Betrug geradezu fördert;

den Steuerdruck nicht erhöhen.

4.8

In Schweden wurden z.B. in der Sparte Bier im Jahr 2004 von Reisenden oder im Schmuggel ca. 164 Mio. Liter eingeführt, die dem Absatz des staatlichen Monopolbetriebs (Systembolaget) von 173 Mio. Liter entsprechen und einen Ausfall an Verbrauch- und Mehrwertsteuern für den schwedischen Fiskus von ca. 190 Mio. EUR bedeuten. Diese Käufe sind seit 2002, dem Jahr, in dem die Ausnahmeregelung für die mengenmäßige Beschränkung von Käufen im Ausland auslief, um 40 % gestiegen. Es wird geschätzt, dass sich der Schmuggel in den beiden vergangenen Jahren verdoppelt hat. In Dänemark wird davon ausgegangen, dass sich das Volumen der in Deutschland getätigten Bierkäufe von Reisenden auf 95 Mio. Liter Bier beläuft. Fügt man dazu noch 10 % Schmuggelware hinzu, gelangt man zum Ergebnis, dass ca. 30 % des Bierkonsums in Dänemark dem Fiskus entgehen. In Finnland wurden von Reisenden im Jahr 2005 über 42 Mio. Liter eingeführt, was 10 % des Gesamtverbrauchs entspricht und Steuerausfälle von über 50 Mio. EUR verursacht hat. In Österreich und der Tschechischen Republik belaufen sich die Einfuhren von Privatpersonen aus Deutschland auf 30 Mio. Liter und im Vereinigten Königreich auf 100 Mio. Liter, zu denen noch umfangreicher Schmuggel hinzugefügt werden muss (9).

5.   Struktur der Verbrauchsteuern für alkoholische Getränke

5.1

In dem Bericht von 2004 erläuterte die Kommission die Probleme, die während der Anwendung der Richtlinie 92/84/EWG aufgetreten waren, und hob insbesondere drei Punkte hervor:

die Möglichkeit einer unterschiedlichen Besteuerung von nicht schäumenden und schäumenden alkoholischen Getränken durch die Mitgliedstaaten;

die Notwendigkeit der Aktualisierung der in der Richtlinie 92/83/EWG zur Definition von alkoholischen Getränken enthaltenen Bezugnahmen auf die Codes der Kombinierten Nomenklatur (KN-Codes) zu Steuerzwecken, um seit 1992 etwa eingetretene Änderungen dieser Codes zu berücksichtigen;

die Tatsache, dass die Einstufung alkoholischer Getränke gemäß den in der Richtlinie 92/83/EWG vorgesehenen Kategorien dazu geführt hat, dass unterschiedliche Klassifizierungen bestehen und folglich dasselbe Produkt in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich besteuert wird.

5.2

In Bezug auf den ersten Punkt begründet die Kommission den Vorschlag, die Möglichkeit einer unterschiedlichen Behandlung von Schaumwein und stillem Wein zu beseitigen, da die Gründe für eine solche Option nicht mehr gegeben und Schaumweine nicht mehr als Luxusgüter anzusehen sind (was viel eher für einige stille Weine gilt).

5.3

Was den zweiten Punkt betrifft, so ist in Artikel 26 der Richtlinie 92/83/EWG (bezüglich der Struktur der Verbrauchsteuern) vorgesehen, dass sich die aufgeführten KN-Codes auf die am Tag der Annahme der Richtlinie (19. Oktober 1992) gültige Fassung der KN beziehen. Die Kommission schlägt vor, sich vielmehr auf die möglichst aktuellen Codes der KN zu beziehen und künftig die Beschlüsse zur Änderung gemäß Artikel 24 der Richtlinie 92/12/EWG anzuwenden (und den Verbrauchsteuerausschuss zu beteiligen, wie dies bereits für Energieerzeugnisse vereinbart wurde).

5.4

Bezüglich des dritten Punktes schlägt die Kommission schließlich vor, die Klassifizierung alkoholischer Getränke zum Zweck der Verbrauchsbesteuerung in geringerem Maße von der Klassifizierung der KN abhängig zu machen. Damit wird einem Problem abgeholfen, das von vielen Wirtschaftsakteuren wegen der allgemein gehaltenen Formulierung der Richtlinie aufgezeigt wurde, da nicht spezifiziert wird, in welchem Maße Branntwein „anderen gegorenen Getränken“ beigemischt werden kann.

5.5

Der Ausschuss hält die von den Wirtschaftsakteuren geforderten Änderungen im Sinne einer größeren Vereinfachung und zum Schutz des Wettbewerbs für begründet und kohärent. Der Ausschuss begrüßt im Kern die seinerzeit von der Kommission vorgebrachten Vorschläge und fragt sich, wieso diese Änderungen nicht berücksichtigt wurden und wieso die Richtlinie 92/83/EWG nicht in diesem Sinne geändert wird.

5.6

Der Ausschuss legt nahe, den Richtlinienvorschlag zurückzuziehen und empfiehlt gleichzeitig, die von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen zur Richtlinie 92/83/EWG anzunehmen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  C-437/1997 Evangelischer Krankenhausverein Wien (EKW).

(2)  Europäischer Verband der Spirituosenhersteller (CEPS); Vereinigung der Apfel- und Obstweinindustrie (AICV); Die Europäischen Brauer; Comité Européen des Entreprises Vins.

(3)  Siehe „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/84/EWG über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke“ und in der Anlage die von der Kommission in ihrem Bericht vom 26. Mai 2004 veröffentlichten Tabellen.

(4)  Laut Wikipedia, der freien Enzyklopädie, ist Grad Plato eine Maßeinheit zur Messung der Dichte, der nicht gelösten Teilchen einer Lösung. Die Plato-Skala wird wegen ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit insbesondere beim Bierbrauen verwendet und bezeichnet den Stammwürzegehalt. Laut Definition gibt Grad Plato den Stammwürzegehalt in Masseprozent an, 1 Gramm Plato entspricht dabei 1 Gramm Saccharose je 100 Gramm Anstellwürze. Anders ausgedrückt bedeutet dies: 1 Liter Anstellwürze mit einem Gehalt von 12 Grad Plato entspricht einer Masse des Auszugs (in der Anstellwürze gelöste Saccharose) bei einem Liter wässriger Lösung mit 12 % Masseprozent gelöster Saccharose, geht man von einem spezifischen Gewicht des Wassers von 1 kg/l auf Meereshöhe und Umgebungstemperatur aus. Diese Anstellwürze enthält dann also 120 g Auszug.

(5)  Customs Associates Ltd., Study on the competition between alcoholic drinks — Final report, Februar 2001.

(6)  Die Kreuzpreiselastizität vermittelt einen Hinweis auf das Ausmaß des Wettbewerbs zwischen den Erzeugnissen.

(7)  ABl. C 69 vom 21.3.2006, S. 10 (Berichterstatter: Herr WILKINSON).

(8)  ABl. C 112 vom 30.4.2004, S. 64 (Berichterstatter: Herr PEZZINI).

(9)  Oxford economics: The consequences of the proposed Increase in the minimum excise duty rates for beer, Februar 2007.


ANHANG

zur der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfielen, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 4.6

Folgendes streichen:

„In der selben Stellungnahme wurde auch auf die Tatsache verwiesen, dass ‚die Vorteile, die sich aus einem effizienteren Funktionieren des Binnenmarktes und in diesem Fall der Maßnahmen zur Feststellung und Bekämpfung von Steuerumgehung und Steuerhinterziehung ergeben könnten, (...) wiederum durch den Willen zum Schutz der nationalen Interessen eingeschränkt (werden).‘ Und weiter: ‚Denn zweifellos stehen viele betrügerische Praktiken in unmittelbarem Zusammenhang mit den zuweilen erheblichen Unterschieden zwischen den Verbrauchsteuersätzen der einzelnen Mitgliedstaaten.‘“

„Der EWSA weist bei dieser Gelegenheit auf die Einschränkungen hin, die mit dem Einstimmigkeitsprinzip verbunden sind, das derzeit für die meisten steuerrechtlichen Beschlüsse der Gemeinschaft gilt, und bekräftigt die Notwendigkeit, dieses Prinzip durch das Prinzip der (ggf. qualifizierten) Mehrheit abzulösen, wenn es um Steuern geht, die das Funktionieren des Binnenmarktes beeinflussen oder Wettbewerbsverzerrungen verursachen.“

Begründung

Die für die Beschlussfassung nötige Abstimmungsregelung ist ein Thema von großer politischer Tragweite, für das ein Konsens im künftigen Vertrag erzielt werden muss. Mit der Einführung der einheitlichen Währung und dem daraus folgenden Wegfall der Möglichkeit, eine der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Landes angepasste Währungspolitik zu betreiben, ist die Steuerpolitik nunmehr das einzige Instrument, das die Mitgliedstaaten zur Gestaltung ihrer Wirtschaftspolitik haben. Ohne weitere Fortschritte bei einer Vertiefung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts ist es nicht vertretbar, dass eine Mehrheit, auch keine qualifizierte, der Gesamtheit der EU-Mitgliedstaaten ihre Kriterien aufzwingen kann.

Außerdem würden sich bei Aufgabe der Einstimmigkeitsregel manche Mitgliedstaaten, die dank ihrer in der Lage sind, weiterhin Wirtschaftszweige zu unterstützen, die für ihre Volkswirtschaft von großer Bedeutung sind (wie z.B. die Wein- und/oder Biererzeugung in manchen Ländern), gezwungen sehen, Abmachungen in einem ganz anderen Beschlussfassungsumfeld zu treffen. Sie würden die Möglichkeit verlieren, bestimmte Bestrebungen, die ihren nationalen Interessen zuwiderlaufen, zu blockieren — eine Möglichkeit, von der sie gegenwärtig Gebrauch machen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 21

Nein-Stimmen: 54

Stimmenthaltungen: 4

Ziffer 4.7

Ergänzung

„Der Ausschuss hat bereits die Ansätze dargelegt und bekräftigt, die er in diesem Bereich für grundlegend erachtet:

Stärkung der Verwaltungszusammenarbeit, des ständigen Dialogs der Steuerbehörden, der gegenseitigen Hilfe, der permanenten und gemeinsamen Weiterbildung des in der Betrugsbekämpfung eingesetzten Personals, sowie die Verknüpfung von Polizei und Steuerbehörden mittels kompatibler Plattformen und der gemeinsamen Nutzung von Datenbanken;

verstärkte Geltendmachung der Verbraucherrechte beim Fernkauf von Produkten aller Art innerhalb des Binnenmarktes;

Förderung von Prozessen der Steuerharmonisierung, sowohl im Bereich der direkten Steuern als auch im komplexeren Bereich der Verbrauchsteuern;

Anstoßen eines Prozesses zur Überwindung der Einstimmigkeit in Steuerfragen, wobei im Rahmen einer kohärenten Steuerpolitik der EU mit den leichter zu realisierenden Aspekten begonnen werden sollte;

Überwindung des MwSt-Modells, das Betrug geradezu fördert;

den Steuerdruck nicht erhöhen.

Begründung

Begründung 1:

Es erscheint zweckmäßig, zumindest formal den Begriff „Höchstsatz“ von den Begriffen „Harmonisierung“, „Annäherung der Steuersätze“ und „kontinuierliche Harmonisierung“ abzukoppeln. Eine der Auswirkungen eines solchen Höchstsatzes wäre zwar die Begrenzung des derzeit bestehenden Unterschieds zwischen den Steuersätzen (wie in den Ziffern 3.5, 3.6 und 3.7 erläutert), einschließlich der sich daraus ergebenden Zunahme der tatsächlichen Harmonisierung; der jetzige Wortlaut dieser Ziffer kann jedoch dazu verleiten, den Höchstsatz mit dem objektiven Satz gleichzusetzen. Mit der vorgeschlagenen Änderung soll diese Gleichsetzung vermieden werden.

Das derzeitige Problem ist effektiv auf die hohen Steuersätze in einigen Ländern (Irland, Vereinigtes Königreich, Finnland und Schweden) zurückzuführen, die zu enormen Unterschieden im Vergleich zu den umliegenden Ländern geführt haben.

Eine wirksame Möglichkeit zur Weiterentwicklung des Binnenmarktes und zur Bekämpfung von Betrug besteht andererseits darin, die EU-Bürger ihr Recht auf den Fernkauf dieser Produkte ausüben zu lassen, wie dies bei anderen Lebensmittelerzeugnissen der Fall ist. Dadurch würden legale Vertriebskanäle geschaffen, die von den Zoll- oder den Gesundheitsbehörden kontrolliert werden können, was der Aufklärung der Verbraucher dieser Produkte zuträglich wäre. Auf diese Weise würde auch das Vertragsprinzip des freien Warenverkehrs erfüllt, das sich nicht nur auf den gewerblichen Handel, sondern auch auf Transaktionen zwischen Privatpersonen bezieht. Freier Warenverkehr bedeute, dass es den in einem Mitgliedstaat ansässigen Verbrauchern erlaubt sein muss, entsprechend einer Reihe von einheitlichen und gerechten Normen zur Reglung des An- und Verkaufs von Verbrauchsgütern in einem anderen Mitgliedstaat Güter zu erwerben.

Der Ausschuss hat unlängst erklärt, dass eine Priorität beim Voranbringen der Vollendung des Binnenmarktes sein sollte, die Vorteile des Binnenmarktes für die Verbraucher besser bekannt zu machen (Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Überprüfung des Binnenmarktes“ (Sondierungsstellungnahme), ABl. C 93 vom 27.4.2007 (INT/332)).

Begründung 2:

Es herrscht Klärungsbedarf, da das bestehende MwSt-Modell — wie in der folgenden Ziffer erwähnt — aufgrund der Schwachstellen in der Gesetzgebung und bei ihrer Anwendung auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene zu einer umfangreichen Rechtsprechung geführt hat. Daher ist die Koordinierung wichtig, wenn der in der Stellungnahme erwähnte Prozess in Gang gesetzt wird.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 20

Nein-Stimmen: 55

Stimmenthaltungen: 4


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Statistische Programm der Gemeinschaft 2008 bis 2012“

KOM(2006) 687 endg. — 2006/0229 (COD)

(2007/C 175/02)

Der Rat beschloss am 19. Januar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2007 an. Berichterstatter war Herr SANTILLÁN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 159 Stimmen bei, 1 Gegenstimme und 5 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag für das Statistische Fünfjahresprogramm 2008-2012 und teilt die Auffassung, dass harmonisierte und vergleichbare Statistiken für das Verständnis der Öffentlichkeit für Europa, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der einschlägigen Debatte sowie die Teilnahme der Wirtschaftsakteure am Binnenmarkt unerlässlich sind.

1.2

Der Ausschuss unterstreicht, dass sowohl Eurostat als auch die nationalen statistischen Ämter im Rahmen der Haushaltsmöglichkeiten mit den besten personellen und materiellen Mitteln ausgestattet werden müssen. Das ist zwingend erforderlich, um die stetig steigenden Anforderungen an die statistischen Informationen zu erfüllen und der Bedeutung der Europäischen Union als weltweit agierender Akteur gerecht zu werden.

1.3

Der Ausschuss erachtet es als notwendig, den Aspekten im Zusammenhang mit dem Wohlergehen der Europäer mehr Nachdruck zu verleihen. Er schlägt deshalb vor, das Statistische Programm um folgende Bereiche zu erweitern:

Maßnahmen zugunsten von Kindern;

Alterung der Bevölkerung und Situation älterer Menschen;

Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben;

darüber hinaus sollte die Sozialpolitik ein gesondertes Kapitel sein.

1.4

Der Verbesserung der statistischen Informationen über die allgemeine und berufliche Bildung wird im Statistischen Programm 2008-2012 nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl dies für die Erreichung der Lissabon-Ziele wichtig wäre.

1.5

Zudem sollten Statistiken über die Sozialwirtschaft bereitgestellt werden, die in der Europäischen Union einen hohen Entwicklungsstand hat.

1.6

Darüber hinaus gibt es Bereiche, in denen die derzeit verfügbaren statistischen Informationen ungenügend sind. Diese Bereiche sollten im Fünfjahresprogramm stärker herausgestellt werden. Zu diesen Bereichen zählen:

Einwanderung und Asyl: Zu diesem zunehmend bedeutsameren Bereich liegen keine ausreichend zuverlässigen Statistiken vor;

Kriminalität und Strafjustiz;

Beschäftigung: Obwohl derzeit Statistiken über die erwerbstätige Bevölkerung, Berufstätigkeit, Arbeitslosigkeit usw. existieren, ist wegen der raschen Entwicklung des Arbeitsmarkts (Entstehung neuer wirtschaftlicher Tätigkeiten, Schaffung neuer Berufsbilder und neuer Vertragsformen usw.) eine ständige Aktualisierung der Erhebungsmethoden und des Arbeitsbereichs erforderlich.

1.7

Der Ausschuss weist darauf hin, dass gemäß dem Vertrag durch „die Erstellung der (…) Statistiken (…) der Wirtschaft (…) keine übermäßigen Belastungen entstehen (dürfen) (1). Dies setzt Folgendes voraus:

a)

Einerseits müssen Anstrengungen unternommen werden, um Unternehmen — vor allem kleinen und mittleren — nicht unnötige oder übermäßige Kosten aufzubürden.

b)

Andererseits müssen Wiederholungen bei der Beantragung von Daten vermieden werden. Der zu beachtende Grundsatz ist, dass jede statistische Information nur einmal bereitgestellt werden darf und dann zwischen den statistischen Stellen verbreitet und ausgetauscht werden soll, wobei die für die Gemeinschafsstatistiken geltenden Grundsätze (Datenschutz usw.) einzuhalten sind.

1.8

Außenhandelsstatistiken: Es wurden (künftig zu korrigierende) Diskrepanzen zwischen den Angaben über die Ausfuhren von Land A nach Land B und den Angaben über die Einfuhren von Land B aus Land A festgestellt. Das heißt, die Zahlen für die Ausfuhren von A nach B unterscheiden sich von den Zahlen für die Einfuhren von B aus A.

1.9

Angesichts der in der EU mit 27 Mitgliedstaaten herrschenden Vielfalt unterstreicht der Ausschuss, dass Anstrengungen unternommen werden sollten, um die auf dem Gebiet der Statistik verwandten Termini so weit wie möglich abzustimmen.

1.10

Der Ausschuss hält es für grundlegend, die Arbeiten der privaten Agenturen, die direkt oder indirekt im Europäischen Statistischen System tätig sind, zu kontrollieren, um eine größere Neutralität der statistischen Angaben sowie die Einhaltung der übrigen im Verhaltenskodex festgelegten Grundsätze (u.a. die Geheimhaltungspflicht für bestimmte Informationen) zu gewährleisten.

2.   Inhalt des Vorschlags

2.1

Die Verordnung (EG) Nr. 322/1997 (2) des Rates sieht die Erarbeitung eines mehrjährigen Statistischen Programms der Gemeinschaft (SPG) (3) vor, das eine Definition der Leitlinien, Hauptbereiche und Ziele der für einen Zeitraum von nicht mehr als fünf Jahren geplanten Maßnahmen enthält und als Rahmen für die Erstellung aller Gemeinschaftsstatistiken dient. Umgesetzt wird das SPG durch Jahresarbeitsprogramme, in denen die Ziele der Arbeiten für jedes Jahr ausführlicher dargelegt sind, sowie durch besondere Rechtsvorschriften für umfangreichere Maßnahmen. Das SPG ist Gegenstand eines Halbzeit-Zwischenberichts und einer formellen Bewertung nach Ablauf des Programmzeitraums.

2.2

Vor diesem Hintergrund soll mit dem vorliegenden Kommissionsvorschlag, dessen Rechtsgrundlage Artikel 285 des EG-Vertrags ist, ein umfassendes Statistisches Programm für die amtlichen Gemeinschaftsstatistiken geschaffen werden, das die Erstellung und Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen für die Nutzer ebenso umfassen soll wie die Verbesserung der Qualität der Statistiken und die Weiterentwicklung des Europäischen Statistischen Systems (4).

2.3

Wesentlicher Zweck der amtlichen Gemeinschaftsstatistiken ist, die Entwicklung, Überwachung und Bewertung der gemeinschaftspolitischen Maßnahmen regelmäßig mit konkreten, zuverlässigen, objektiven, vergleichbaren und kohärenten Informationen zu unterstützen. In einigen Bereichen wird die statistische Information allerdings auch von den Gemeinschaftsorganen unmittelbar für die Verwaltung politischer Schlüsselbereiche verwandt.

2.4

Das Statistische Programm der Gemeinschaft 2008-2012 beruht auf folgenden politischen Prioritäten:

Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum,

Solidarität, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt und nachhaltige Entwicklung,

Sicherheit und

weitere Erweiterung der Europäischen Union.

2.5

Im Rahmen der Erarbeitung dieses Vorschlags hat die Kommission alle interessierten Akteure, darunter die Mitgliedstaaten der EU, die EFTA-Länder und die Kandidatenländer sowie die Arbeitsgruppen des Europäischen Statistischen Systems (ESS), konsultiert. Zu dem Vorschlag nahmen der Europäische Beratende Ausschuss für Statistische Informationen im Wirtschafts- und Sozialbereich (CEIES) (5) und der Ausschuss für die Währungs-, Finanz- und Zahlungsbilanzstatistiken (AWFZ) (6) Stellung.

2.6

Für den Ansatz des Programms hat die Kommission von den beiden Optionen — eine „eingeschränkte“ und eine „umfassende“ Option — die zweite gewählt, wobei sie drei Faktoren berücksichtigt hat: Fähigkeit und Effizienz des ESS, Kosten der Umsetzung für die Mitgliedstaaten und Belastungen für Unternehmen und Haushalte.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss hat sich im Laufe der Jahre vielfach zu den Statistischen Programmen (7) wie auch zu mehreren Einzelfragen der Statistikpolitik der Union geäußert. Im Allgemeinen hat der Ausschuss stets dieselben Punkte herausgestellt: die Bedeutung des statistischen Systems für die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ziele der Union und die Notwendigkeit der Förderung und Stärkung von Eurostat, des zentralen Elements für die Funktionsweise des Systems, wie auch der nationalen statistischen Ämter innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Mitgliedstaaten.

3.2

Der Ausschuss bekräftigt diese Kriterien und weist im Zusammenhang mit dem vorliegenden Kommissionsvorschlag zudem auf drei Aspekte hin, die die Notwendigkeit des bestmöglichen statistischen Apparats belegen: die Rolle der EU als weltweit agierender Akteur, die Erreichung der Lissabon-Ziele und die Erweiterung. Die Koordinierung der Statistiken von 27 Mitgliedstaaten ist hierbei eine in der Geschichte beispiellose Herausforderung. Kurz gesagt: Für den Erfolg der Union ist u.a. eine effiziente Funktionsweise ihres statistischen Systems wichtig.

3.3

Für das Fünfjahresprogramm 2008-2012 stehen Haushaltsmittel in Höhe von 274,2 Mio. EUR zur Verfügung (das bedeutet einen Anstieg um 24,3 % im Verhältnis zu den für das Programm 2003-2007 vorgesehenen operationellen Mitteln). Es müssen aber auch Aspekte berücksichtigt werden, die in dieser Summe nicht inbegriffen sind (8). Werden die Verwaltungsausgaben und die Kofinanzierung durch die Mitgliedstaaten und andere Instanzen einberechnet, so steigt der Gesamtbetrag der Verpflichtungsermächtigungen auf 739,34 Mio. EUR.

3.4

Statistische Governance: In dem Verhaltenskodex (9) ist vorgesehen, dass die statistischen Stellen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft

a)

die institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen schaffen, die der Effizienz und Glaubwürdigkeit der statistischen Stellen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft, die amtliche Statistiken erstellen und verbreiten, förderlich sind;

b)

bei den Verfahren, die die statistischen Stellen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft zur Organisation, Erhebung, Verarbeitung und Verbreitung der amtlichen Statistiken anwenden, europäische Standards einhalten und bestrebt sind, die Glaubwürdigkeit dieser Statistiken durch solides Management und Effizienz zu verbessern;

c)

sicherstellen, dass die Gemeinschaftsstatistiken mit den europäischen Qualitätsstandards im Einklang stehen und dem Bedarf der institutionellen Nutzer in der Europäischen Union, der Regierungen, Forschungseinrichtungen, Organisationen der Zivilgesellschaft, Unternehmen sowie der breiten Öffentlichkeit entsprechen.

3.5

Das Statistische Programm der Gemeinschaft 2008-2012 hat 32 bereichsübergreifende Ziele (siehe dazu Anhang I) sowie 90 konkrete Ziele und Maßnahmen (siehe dazu Anhang II), die sich sowohl auf allgemeine Politikbereiche als auch auf 18 spezifische Politikbereiche der Union beziehen.

3.5.1

Im Programm sind Maßnahmen in folgenden Hauptbereichen vorgesehen:

freier Warenverkehr;

Landwirtschaft;

Freizügigkeit, freier Dienstleistungs- und Kapitalverkehr;

Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr;

Verkehr;

gemeinsame Regeln für Wettbewerb, Steuerfragen und Angleichung der Rechtsvorschriften;

Wirtschafts- und Währungspolitik;

Beschäftigung;

gemeinsame Handelspolitik;

Zusammenarbeit im Zollwesen;

Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend;

Kultur;

Gesundheitswesen;

Verbraucherschutz;

transeuropäische Netze;

Industrie (einschließlich Statistiken über die Informationsgesellschaft);

wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt;

Forschung und technologische Entwicklung;

Umwelt;

Entwicklungszusammenarbeit;

wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Drittstaaten.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Angesichts der ehrgeizigen Ziele des Programms 2008-2012 und der Erwähnung der engen Koordinierung zwischen Eurostat und den statistischen Ämtern der 27 Mitgliedstaaten ist zu betonen, dass der statistischen Arbeit Priorität eingeräumt und die in beschränktem Maße zur Verfügung stehenden Mittel so effizient wie möglich eingesetzt werden müssen.

4.2

In Artikel 4 des Kommissionsvorschlags wird auf die Festlegung von Prioritäten im Bereich der Statistik aufgrund der Notwendigkeit einer möglichst wirkungsvollen Verwendung der begrenzten Ressourcen Bezug genommen. Gleichwohl werden keine Kriterien oder Mechanismen für die Prioritätensetzung definiert. Zudem erscheint die Prioritätensetzung schwierig, wenn gleichzeitig festgestellt wird, dass neue Arbeitsbereiche aus- und aufgebaut werden müssen.

4.3

Der Ausschuss teilt folgende Auffassung: „Die rasche Entwicklung von Leistung und Verfügbarkeit des Internet wird dieses Medium in Zukunft zum wichtigsten Instrument für die Verbreitung statistischer Daten machen. Dadurch wird sich der Kreis der potenziellen Statistiknutzer erheblich erweitern, und neue Verbreitungsmöglichkeiten werden entstehen (10).“ Zur Verwirklichung dieses Ziels und angesichts der Tatsache, dass die Internetseiten von Eurostat ein Bild der Europäischen Union vermitteln, ist es notwendig, die Darstellung von Daten mit technischen Mitteln soweit wie möglich zu vereinfachen, attraktiver zu gestalten und so lesbarer zu machen.

4.4

Der Ausschuss stimmt auch der Forderung zu, dass die Zusammenarbeit zwischen Eurostat und den nationalen statistischen Stellen intensiviert werden muss (11). Er stellt jedoch fest, dass im Kommissionsvorschlag die Verfahren zur Stärkung dieser Zusammenarbeit weder beschrieben noch festgelegt werden.

4.5

Geltungsbereich und Prioritäten der europäischen Statistiken: Der Ausschuss betont — wie die in Ziffer 3.5.1 dieser Stellungnahme aufgeführten, geplanten Maßnahmen erkennen lassen, dass das statistische System im Wesentlichen auf wirtschaftliche Aspekte ausgerichtet ist, während es nur unzureichende Informationen über soziale Aspekte bietet, die sich auf das Leben der Unionsbürger unmittelbar auswirken. Er weist auch darauf hin, dass die Sozialpolitik — im Gegensatz zu den übrigen Themenbereichen — unter der Überschrift „Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend“ zusammengefasst wird.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Artikel 285 Absatz 2.

(2)  ABl. L 52 vom 22.2.1997, S. 1.

(3)  Artikel 3 Absatz 1.

(4)  Es handelt sich hier um eine Partnerschaft, der Eurostat, die nationalen statistischen Ämter und andere nationale statistische Stellen angehören, die in den einzelnen Mitgliedstaaten für die Erstellung und Verbreitung europäischer Statistiken zuständig sind.

(5)  Eingesetzt durch den Beschluss 91/116/EWG des Rates (geändert durch den Beschluss 97/255/EG).

(6)  Eingesetzt durch den Beschluss 91/115/EWG des Rates (geändert durch den Beschluss 96/174/EG).

(7)  Vgl. Stellungnahme des EWSA von 1998 zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das Statistische Programm der Gemeinschaft 1998-2002“ (ABl. C 235 vom 27.7.1998, S. 60) und die Stellungnahme des EWSA von 2002 zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das Statistische Programm der Gemeinschaft 2003-2007“ (ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 17).

(8)  Personal- und Verwaltungsausgaben: operationelle Mittel für andere die Statistik betreffende Haushaltslinien, die zusätzlich eingesetzt werden könnten, um neuen Regelungsbedarf für den Zeitraum 2008-2012 (Maßnahmen vom Typ Edicom) zu decken: operationelle Mittel, die von anderen Generaldirektionen aus ihren Haushaltslinien zur Verfügung gestellt werden; Ressourcen auf nationaler und regionaler Ebene. Eurostat wird seine eigenen operationellen und personellen Ressourcen umschichten, um den Gesamtprioritäten des Programms zu entsprechen.

(9)  „Empfehlung der Kommission zur Unabhängigkeit, Integrität und Rechenschaftspflicht der statistischen Stellen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft“ (KOM(2005) 217 endg.).

(10)  Anhang I — 3.6, Verbreitung.

(11)  Anhang I — 3.6, Verbreitung.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/11


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die vierteljährliche Statistik der offenen Stellen in der Gemeinschaft“

KOM(2007) 76 endg.

(2007/C 175/03)

Der Europäische Rat beschloss am 4. April 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte am 24. April 2007 die Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 31. Mai) Frau FLORIO zur Hauptberichterstatterin und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme.

1.   Hintergrund

1.1

Die Verfügbarkeit zuverlässiger und gesicherter statistischer Daten ist für die institutionellen, wirtschaftlichen und sozialen Akteure eine unerlässliches Mittel zur Überwachung und Bewertung der Wirksamkeit bestimmter legislativer Entscheidungen sowie zur Vorbereitung zukunftsweisender Entscheidungen.

1.2

Für die Annahme möglichst optimaler Maßnahmen ist es unerlässlich, eine möglichst präzise und getreue Vorstellung von der Realität zu bekommen.

1.3

Dies trifft in besonderem Maße für Statistiken zur Beschäftigungslage in Europa zu, will man die Fortschritte der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Ziele der Lissabon-Strategie untersuchen.

1.4

Um die Arbeitsmarktentwicklung in der Europäischen Union verstehen zu können, muss man unbedingt wissen, in welchen Sektoren und Regionen und in welchem Umfang offene Stellen vorhanden sind. Die Entwicklung der offenen Stellen gibt den konjunkturellen Verlauf in den verschiedenen Branchen wieder und kann nützliche Hinweise auf die europäischen Regionen mit größerem Arbeitskräftemangel — oder umgekehrt — mit signifikantem Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum geben.

1.5

Die Daten über offene Stellen gehören zu den wichtigsten europäischen Wirtschaftsindikatoren (WEWI) und sind ferner, sofern sie schnell zur Verfügung stehen, ein für die Europäische Zentralbank und die Kommission nützlicher Indikator zur Abschätzung der Konjunkturentwicklung in bestimmten Sektoren sowie zur Abwägung geldpolitischer Entscheidungen.

1.6

Zu den wichtigsten Prioritäten der Wiederbelebung der Lissabon-Strategie, die von der Tagung des Europäischen Rates im März 2005 ausgeht, gehört die Schaffung neuer und besserer Arbeitsplätze. Dadurch ist der Bedarf an zuverlässigeren statistischen Informationen über die Arbeitsnachfrage zwangsläufig gestiegen.

1.7

Die integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005-2008) und die Grundzüge der Wirtschaftspolitik benötigen im Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie auf europäischer Ebene aggregierte Daten über offene Stellen in den verschiedenen Wirtschaftszweigen, um den Umfang und die Struktur der Arbeitskräftenachfrage untersuchen zu können.

1.8

Die Verfügbarkeit zuverlässiger und ständig aktualisierter Daten ermöglicht es auch den einzelnen Mitgliedstaaten, den Arbeitsmarkt zu beurteilen und entsprechende arbeitsmarktpolitische Entscheidungen — auch auf regionaler Basis — zu treffen.

2.   Der Kommissionsvorschlag

2.1

Die nationalen Daten über offene und besetzte Stellen werden seit 2003 im Rahmen eines Gentlemen's Agreement, d.h. einer informellen Vereinbarung, erhoben. Diese Vereinbarung gewährleistete zwar Flexibilität und Unabhängigkeit für die Mitgliedstaaten, konnte aber die Bedürfnisse der Datennutzer nicht vollständig befriedigen.

2.2

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben vier Mitgliedstaaten Eurostat keine entsprechenden Daten übermittelt, und die übermittelten Daten sind nicht immer vollständig vergleichbar. In Bezug auf die vierteljährliche Datenerhebung werden nicht alle Anforderungen der EBZ und der Kommission an Erfassungsgrad, Aktualität und Harmonisierung erfüllt.

2.3

Mit dem Vorschlag für eine Verordnung KOM(2007) 76 endg., der auf eine Initiative des Beschäftigungsausschusses zurückgeht, soll folglich eine Verordnung geschaffen werden, die es ermöglicht, vergleichbare Statistiken über offene Stellen zu vereinbarten Fristen zu erhalten.

2.4

Im Zuge der Vorbereitung des Vorschlags, während der auch Sachverständige und der Ausschuss für das Statistische Programm (ASP) konsultiert wurden, zog man verschiedene Optionen in Betracht. Schließlich wurde die Option gewählt, der zufolge auf kurze Sicht die jährliche Erhebung von Strukturdaten weiterhin im Rahmen des „Gentlemen's Agreement“ erfolgt.

2.5

Der Vorschlag konzentriert sich folglich in erster Linie auf die Regelung der Erhebung vierteljährlicher statistischer Daten über offene Stellen. Dabei wird die Möglichkeit in Aussicht gestellt, auf der Grundlage der Erfahrungen mit dieser Verordnung in Zukunft eine neue Verordnung anzunehmen, die den Bedarf an jährlichen Daten decken soll.

2.6

Zur Festlegung der erforderlichen Ebene der Untergliederung nach Wirtschaftszweigen ist die jeweils gültige Fassung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Gemeinschaft (NACE) heranzuziehen.

2.7

Den Mitgliedstaaten wurde die Möglichkeit eingeräumt, möglichst ohne Verringerung bestimmter Qualitätsstandards administrative Quellen zu nutzen oder das Spektrum der einzubeziehenden Wirtschaftszweige zu begrenzen, um die Belastungen für die Unternehmen zu verringern (Artikel 5).

2.8

Die Kommission sieht eine Reihe von Durchführbarkeitsstudien für die Mitgliedstaaten vor, die Schwierigkeiten haben, Daten vorzulegen für:

a)

Einheiten mit weniger als zehn abhängig Beschäftigten und/oder

b)

die folgenden Wirtschaftszweige:

i)

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei,

ii)

öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung,

iii)

Erziehung und Unterricht,

iv)

Gesundheits- und Sozialwesen,

v)

Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie

vi)

Interessenvertretungen sowie kirchliche und sonstige religiöse Vereinigungen (ohne Sozialwesen und Sport), Reparatur von Datenverarbeitungsgeräten und Gebrauchsgütern und Erbringung von sonstigen überwiegend persönlichen Dienstleistungen.

2.9

Für die Anfangsphase (die ersten drei Jahre) ist ein Finanzbeitrag der EU für die Mitgliedstaaten vorgesehen. Diese Mittel werden in den ersten drei Jahren vom Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität PROGRESS (1) aufgebracht (Artikel 9). Damit können Maßnahmen zur Innovation und Verbesserung im Bereich der Datenerhebung auf den Weg gebracht sowie die bereits im Rahmen des Gentlemen's Agreement begonnenen Arbeiten vervollständigt werden.

3.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

3.1

Der Ausschuss betont, wie wichtig es ist, möglichst kohärente und zuverlässige Daten über die Beschäftigungslage in Europa zu erhalten. Er begrüßt und unterstützt deshalb den Einsatz der Kommission, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der es ermöglicht, auf europäischer Ebene über aktuellere, vergleichbare und sachdienliche Statistiken der offenen Stellen zu verfügen.

3.2

Das Erreichen der Lissabon-Ziele in wirtschaftlicher und vor allem in beschäftigungspolitischer Hinsicht muss mithilfe einer konstanten und wirkungsvollen statistischen Unterstützung erleichtert werden, die für alle Nutzer von Statistiken sowie für die wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Akteure auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene zur Verfügung steht.

3.3

Der Ausschuss begrüßt auch die Wahl des Rechtsmittels einer europäischen Verordnung, da der Zweck des Vorschlags — wie bei den meisten statistischen Tätigkeiten — eine genaue und einheitliche Durchführung in der gesamten Europäischen Union erforderlich macht.

3.4

Die Entscheidung, nur die vierteljährliche Datenerhebung in den Verordnungsvorschlag aufzunehmen und die jährliche Erhebung struktureller Daten weiterhin auf der Grundlage der informellen Vereinbarung durchzuführen, ist sicherlich dadurch begründet, einen graduellen Übergang von der auf einer informellen Vereinbarung basierenden Datenerhebung hin zu einer Datenerhebung auf der Grundlage einer europäischen Verordnung vorzunehmen. Während der Übergangsphase muss unbedingt eine ständige Kontrolle der erzielten Ergebnisse erfolgen, und der Ausschuss hofft, dass in absehbarer Zukunft ein umfassenderer und stabilerer Rahmen sowohl für die Jahresdaten, als auch für die vierteljährlichen Statistiken bezüglich der Möglichkeiten des europäischen Arbeitsmarktes geschaffen wird.

Der Ausschuss bedauert, dass bislang keine Folgenabschätzung durchgeführt wurde, erwartet aber, dass die Kommission eine solche vor der Annahme einer nachfolgenden Durchführungsverordnung vorlegt. Denn prinzipiell ist von einer Zunahme der Kosten und des Aufwands für die europäischen Unternehmen — ohne Reduzierung des sonstigen Berichtaufwands — auszugehen.

3.5

Der Ausschuss ist jedoch der Auffassung, dass es angesichts der Notwendigkeit, die Erhebung statistischer Daten zu vereinfachen und die Kosten zu verringern, nicht ganz einleuchtet, wieso die Datenerhebung in saisonabhängigen Branchen, insbesondere im Zusammenhang mit Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft, fakultativ sein soll.

3.6

Das Problem der Saisonbereinigung wirft eine Reihe von Fragen in puncto Zuverlässigkeit solcher Daten auf, da in anderen Industriezweigen und/oder der öffentlichen Verwaltung Formen saisonaler Verträge seit Jahren üblich sind (u.a. in der Textilindustrie, Lebensmittelindustrie, im Tourismus usw.).

3.7

Ferner ergeben sich aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Arbeitsverträge in den EU-Staaten gegenwärtig Dutzende verschiedener Formen von Arbeitsbeziehungen. Deshalb sollte man wissen, um welche Art von offenen Stellen es sich handelt (unbefristete Stellen, befristete Stellen, Teilzeitarbeit, projektbezogene Arbeit, freie Mitarbeitertätigkeit usw.).

3.8

Ein wirklichkeitsgetreueres Bild von den Möglichkeiten des Arbeitsmarktes, seinen Entwicklungstendenzen und seiner Schwächen in einigen Wirtschaftszweigen oder Regionen würde eine bessere Ausrichtung auf Strategien zum Erreichen der Lissabon-Ziele ermöglichen.

3.9

Auch aus diesem Grund hält der Ausschuss insbesondere in diesen Bereichen die Anhörung und direkte Beteiligung der europäischen Sozialpartner für erforderlich.

Der Ausschuss begrüßt das Mitspracherecht des Europäischen Parlaments an diesem Vorschlag im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens, nach dem der Vorschlag erarbeitet wird. Die Durchführungsbestimmungen sind Gegenstand des Komitologie-Verfahrens nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle gemäß den Beschlüssen den Rates 1999/468/EG und 2006/512/EG.

Brüssel, den 31. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Angenommen durch den Beschluss Nr. 1672/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006. In Teil 1 — Beschäftigung wird die Finanzierung der entsprechenden Maßnahmen einschließlich statistischer Maßnahmen ausdrücklich erwähnt: „(…) Verbesserung des Verständnisses der Beschäftigungssituation und der Beschäftigungsperspektiven, insbesondere durch (…) die Entwicklung von Statistiken und gemeinsamen Indikatoren (…)“.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/13


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Vorordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1059/2003 über die Schaffung einer gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS) aufgrund des Beitritts von Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union“

KOM(2007) 95 endg. — 2007/0038 (COD)

(2007/C 175/04)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 25. April 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) Herrn BURANI zum Hauptberichterstatter und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Mit der Verordnung (EG) Nr. 1059/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates wurde eine gemeinsame Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS) der Mitgliedstaaten geschaffen.

1.2

Eine erste Änderung erfolgte im Jahre 2005 anlässlich des Beitritts zehn neuer Mitgliedstaaten. Aufgrund des Beitritts Bulgariens und Rumäniens ist nun eine weitere Änderung erforderlich. Dabei werden im Anhang der Verordnung die Tabellen bezüglich dieser zwei neuen Mitgliedstaaten eingefügt.

2.   Bemerkungen und Schlussfolgerungen

2.1

Der EWSA nimmt den Vorschlag der Kommission zur Kenntnis und kann ihm — da er aufgrund der Beitritts neuer Mitgliedstaaten erforderlich und überdies rein technischer Natur ist — nur zustimmen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/14


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Binnenmarkt für Dienstleistungen — Anforderungen des Arbeitsmarktes und Erfordernisse des Verbraucherschutzes“

(2007/C 175/05)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 29. September 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Binnenmarkt für Dienstleistungen — Anforderungen des Arbeitsmarktes und Erfordernisse des Verbraucherschutzes“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. Mai 2007 an. Berichterstatterin war Frau ALLEWELDT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30 Mai) mit 110 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zielsetzung

1.1

Die Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt (1) soll — im Sinne der Lissabon-Strategie — Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung fördern. Er hat zugleich eine intensive Debatte um die Ausgestaltung der Dienstleistungsfreiheit ausgelöst. Ein Streitpunkt war und ist die Wirkungsweise auf die nationalen Arbeitsmärkte, die sozialen Bedingungen und die Ansprüche des Verbraucherschutzes. Der EWSA hat in seiner Stellungnahme vom Februar 2005 (2) ausführlich zum Kommissionsentwurf Stellung genommen, deshalb steht der Rechtstext der Richtlinie hier nicht zur Debatte, wohl aber die Wirkung auf Beschäftigung und Verbraucherinteressen, die von einer so beabsichtigten Durchsetzung des Binnenmarktes für Dienstleistungen zu erwarten ist.

1.2

Die Dienstleistungsfreiheit ist als eine der vier Freiheiten des Binnenmarktes im EU-Vertrag verankert und politisch längst wirksam. Die Kommissionsstrategie, manifestiert in der EU-Dienstleistungsrichtlinie, will jede Begrenzung der Dienstleistungserbringung abbauen. Dabei geht es zum Teil nicht direkt um Aspekte des Arbeitsmarktes oder des Verbraucherschutzes. Indem sich Dienstleistungsfreiheit aber in einem erhöhten Maße praktisch durchsetzen soll, werden Differenzen in den verschiedenen nationalen Systemen umso deutlicher und empfindlicher spürbar. Gleichzeitig gibt es vergleichbar wenige EU-weite Regelungen zum Schutz der Interessen von Arbeitnehmern und Verbrauchern. Hier dominieren nationale und oft sehr unterschiedliche Rechts-, Sozial- und Beschäftigungsbedingungen. Hinzu kommt die in der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehene parallele bzw. geteilte Geltung bestimmter nationaler Regelungen des Herkunfts- und Erbringungslandes, deren Wirkung die zukünftige Praxis noch zeigen muss.

1.3

Soziale Stabilität und Verbrauchervertrauen sind ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Integration und auch eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Dienstleistungsbinnenmarkt. Es ist ein großes Manko der Debatte um die EU-Dienstleistungsrichtlinie, dass es keine aussagekräftigen Analysen zur Wirkung auf nationale soziale Bedingungen, Beschäftigung und Verbraucherinteressen gibt. Die fehlende statistische Grundlage zur Quantifizierung des grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Niederlassungsverkehrs war einer der Kritikpunkt des EWSA (3). Auch über die zu erwartenden strukturellen Veränderungen der Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten gibt es kaum verlässliche Daten. So stehen wenige sehr allgemeine statistische Folgenabschätzungen auf der einen Seite der Betrachtung besonderer Einzelfällen oft illegaler oder halb legaler Natur auf der anderen Seite gegenüber. Beides reicht für eine sachliche Folgenabschätzung nicht aus.

1.4

Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Dienstleistungen ist ein wichtiger Bestandteil der Lissabon-Strategie. Wachstumschancen in diesem Sektor sind ein wichtiger Impuls für mehr Beschäftigung. Der durch die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes entstehende verstärkte Wettbewerb spiegelt sich positiv in einem größeren Dienstleistungsangebot und niedrigeren Preisen wider. Dabei muss aber der Sozialschutz von Arbeitnehmern stetig verbessert und für einen entsprechenden Verbraucherschutz gesorgt werden. Dasselbe gilt für die in den Mitgliedstaaten geltenden Qualitäts- und Sicherheitsstandards, einschließlich des Umweltschutzes. Die Beschäftigungswirkung wird in den einzelnen Sektoren und Mitgliedstaaten unterschiedlich ausfallen. Die Wirkung auf kleine und mittlere Unternehmen ist hier ein entscheidender Faktor.

1.5

Ziel der Initiativstellungnahme ist es, die Auswirkungen der aktuellen Binnenmarktstrategie für Dienstleistungen auf Arbeitsmärkte, Beschäftigungsbedingungen und Verbraucherschutz besser sichtbar zu machen und damit auch einen praktischen Nutzen für die Betroffenen und die EU-Institutionen bereitzustellen. Diese Aspekte sind in den beiden vorangegangenen Anhörungen des EWSA zum Dienstleistungsbinnenmarkt nicht schwerpunktmäßig erfasst worden (4).

1.5.1

Ausgehend vom europarechtlichen Verständnis der „Dienstleistungsfreiheit“, die jede Leistung zwischen zwei Wirtschaftssubjekten in jeweils verschiedenen Mitgliedstaaten erfasst (5), geht es um drei Themenkomplexe:

Aussagen über quantitative Beschäftigungseffekte, branchen- und länderbezogen und Veränderungen die durch Aus- und Verlagerung bzw. Import von einzelnen Diensten zu erwarten sind;

Neue Herausforderungen bei den Beschäftigungsbedingungen, die dadurch entstehen, dass in einem zunehmenden grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr auch die Mobilität entsandter Arbeitnehmer rasch zunehmen wird;

Verbraucherinteressen und ihre Berücksichtigung in der Binnenmarktstrategie für Dienstleistungen.

Den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), als Hauptträger der Beschäftigung, kommt hierbei eine wichtige Rolle zu.

1.6

Die Stellungnahme sollte einerseits als Einstieg und andererseits auch als Beitrag zum endgültigen Bericht der Europäischen Kommission zur Überprüfung des Binnenmarktes (6) und zu den IMAC (7) Diskussionen verstanden werden. Sie baut auf den heute verfügbaren Daten und auf den praktischen Erfahrungen und Erwartungen von Experten und Betroffenen auf. Diese sind in einer Anhörung im April 2006 in Wien und in einer an fast 6 000 Experten aus Wirtschaft, Gewerkschaften und verschiedenen Interessengruppen, sowie Wissenschaft und Ministerien gerichteten Fragebogenaktion im Herbst 2006 zusammengetragen worden, auf die über 150 Antworten eingegangen sind. Sie hat nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Studie und kann diese auch nicht ersetzen. Sie soll vielmehr Anhaltspunkte für bestehende Probleme und zukünftige Entwicklungen liefern, die sowohl in einer langfristigen Beobachtung durch die Binnenmarktbeobachtungsstelle (BBS) des EWSA weiter vertieft werden, als auch Impulse für EU-Institutionen und Andere bieten für ihre politischen Entscheidungen und wissenschaftlichen Untersuchungen.

2.   Die Dynamik der Dienstleistungswirtschaft in der EU

2.1

Die EU-Kommission begründet ihre Binnenmarktstrategie mit der schwachen Entwicklung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs in der EU. Von einem dynamischeren Binnenmarkt für Dienstleistungen werden zugleich positive Beschäftigungsimpulse und positive Wirkungen für Verbraucher und Unternehmen erwartet. Wie lässt sich diese Dynamik konkret erfassen?

2.2

Ein immer noch ungelöstes Problem ist die statistische Abbildung der Dienstleistungswirtschaft im grenzüberschreitenden Verkehr. Bis heute bedienen sich EuroStat und die nationalen Statistikstellen dabei der sog. Zahlungsstromstatistik, d.h. Dienstleistungsexport oder -import findet nur statt, wenn er einen entsprechenden grenzüberschreitenden Bezahlvorgang auslöst. Während im Bereich der Dienstleistungswirtschaft sehr viel Kooperation besteht, Wissen transferiert wird und Leistungen ausgetauscht werden, gibt es ein umfangreiches Verrechnungswesen zwischen einzelnen Firmenteilen, zwischen Netzwerkpartnern oder auch nur dauerhaft zusammenwirkenden rechtlich selbstständigen Wirtschaftseinheiten in den jeweiligen Ländern. Bei solchen Netzwerkstrukturen berechnet der jeweilige Partner Wissenstransfer, Zeittransfer und Dienstleistungstransfer jeweils in dem eigenen Land als eigene Leistung an die Abnehmer, was aber keinen grenzüberschreitenden Zahlungsvorgang auslöst.

2.3

Dies führt dazu, dass die Dienstleistungswirtschaft nach Ansicht des Ausschusses ein ganz erheblich größeres Austauschvolumen und damit eine größere Binnenmarktwirkung hat, als dies in den amtlichen Statistiken heute abgebildet wird. Der EWSA ist daher nachdrücklich der Auffassung, dass die Europäische Union eine wissenschaftlich orientierte Basiserhebung durchführen lassen sollte, wie die einzelnen Dienstleistungswirtschaftszweige in den europäischen Mitgliedsländern heute schon ihre Kooperationsbemühungen mit Unternehmen in anderen Ländern ausgestalten. Davon ausgehend und darauf fortrechnend sollte für die Zukunft eine solide Abbildung des wirklichen Volumens des Dienstleistungsmarktes der Europäischen Union erarbeitet werden. Unterstützt wird dies durch entsprechende Bemühungen der europäischen Statistiker, Preisindizes für alle Dienstleistungen zu erarbeiten und in allen Staaten einzuführen.

2.4

Zur Veranschaulichung: die Kommission geht nach heutigem Informationsstand davon aus, dass der Dienstleistungssektor 56 % des BIP in der EU erwirtschaftet, 70 % der Gesamtbeschäftigung ausmacht, aber nur 20 % des Handelsvolumens innerhalb der EU repräsentiert. Im Vergleich mit den USA sei die Produktivitätsentwicklung in der EU-Dienstleistungswirtschaft deutlich niedriger (8).

2.5

Auf dem Weltmarkt ist diese Schwäche nicht zu erkennen, hier ist die EU die stärkste Kraft beim Handel mit Dienstleistungen mit deutlich steigender Tendenz. Im Jahre 2003 betrug der EU-Anteil 26 % während die USA knapp über 20 % erbrachte. Auch die aufsteigenden Handelspartner Indien und China kommen trotz großer Dynamik bislang nicht über einen gemeinsamen Anteil von etwas über 5 %. Zwischen 1997 und 2003 stieg der Anteil der EU um 1,8 % und lag damit auch in dieser Hinsicht vorn.

2.6

Es wird konstatiert, dass die Schwäche vor allem den Handel innerhalb der EU betrifft. Auch hier lassen die Zahlen nicht unbedingt diesen Schluss zu. Zwischen 2000 und 2003 wuchs der innergemeinschaftliche Handel mit Dienstleistungen um 10,8 %, mit den Handelspartnern außerhalb der EU nur um 6,4 %. Also war die Dynamik im Binnenmarkt im Vergleich recht deutlich, umso mehr als 2003 insgesamt ein wirtschaftlicher Rückgang zu verzeichnen war. Hinzu kommt, dass man den Preisverfall bei Dienstleistungen mit berücksichtigen muss.

2.7

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Folgenabschätzung einer weiteren Durchsetzung des Dienstleistungsbinnenmarktes intensiver zu betreiben. Eine so genannte SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats) könnte hier hilfreich sein.

3.   Die Beschäftigungseffekte eines effizienteren Dienstleistungsbinnenmarktes

3.1

Die Schätzungen zur Beschäftigungswirkung hängen mit den Wachstumsprognosen zusammen. Eine der ersten Analysen zur Wirkung der EU-Dienstleistungsrichtlinie stammt vom Oktober 2004 vom Niederländischen Bureau for Economic Policy Analysis (9). Sie folgt der üblichen OECD-Annahme, dass jede Beseitigung von Regulierung Wachstum und damit mehr Beschäftigung auslöst. Interessant ist, dass diese Studie zu dem Schluss kommen, dass es nicht Regulierungen per se sind, die hinderlich wirken, sondern die Heterogenität von Regulierungen. Nach ihren Erwartungen könnte die Dienstleistungsrichtlinie den Dienstleistungshandel um 15 bis 30 % wachsen lassen, den Anteil der ausländischen Direktinvestitionen im Handelssektor um 20 bis 35 %.

3.2

Im Frühjahr 2005 veröffentlichte das Institut Copenhagen Economics im Auftrag der Kommission eine Studie (10), die ausdrücklich Aussagen zur Beschäftigungswirkung machte. Bei einem erwarteten Anstieg des Konsums von 0,6 % des BIP der EU soll der Netto-Zuwachs an Arbeitsplätzen für alle 25 Mitgliedstaaten etwa 600 000 betragen. Man rechnet auch mit einem Anstieg der Produktivität und erwartet zugleich, dass die Löhne um durchschnittlich 0,4 % steigen.

3.3

Die Schlussfolgerungen der Kopenhagen-Studie sind kontrovers diskutiert worden, vor allem weil sie ausschließlich angebotsseitig argumentiere und allein auf den Effekt einer steigenden Nachfrage bei sinkenden Preisen durch den Abbau jeglicher Regulierung setze. Sie zieht keine Faktoren in Betracht, die gegen eine steigende Nachfrage wirken könnten, etwa Kaufkraftschwund oder ein anderes Verbraucherverhalten. Zudem war die Auswahl der Sektoren umstritten. Andere Schätzungen der Beschäftigungswirkung liegen nicht vor oder stützen sich auf die Kopenhagen-Studie und kommen entsprechend zu den gleichen Schlussfolgerungen (11). Zur Erhöhung der Effizienz auf dem Dienstleistungsbinnenmarkt ist es notwendig, dem Einfluss von Forschung und Innovation, der Erhöhung der Qualifizierung und dem Einsatz von Kommunikationstechnologien mehr Beachtung zu schenken.

3.4

Ein Zuwachs von 600 000 Arbeitsplätzen ist selbstverständlich positiv, fällt aber angesichts der hohen Erwartungen eher bescheiden aus (12). Weit wichtiger ist jedoch, dass ein solcher Zuwachs in den einzelnen Branchen, Ländern und bei den verschiedenen Beschäftigtengruppen durchaus sehr unterschiedlich ausfallen kann. Darüber gibt es bisher keinerlei Erkenntnisse. Der EWSA möchte mit Hilfe der Binnenmarktbeobachtungsstelle und angeschoben durch die vorliegende Initiative versuchen, ein klareres Bild über diese strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zusammenzutragen.

3.5

Dass das Interesse an solchen Erkenntnissen groß ist, macht die EWSA-Befragung deutlich. 90 % hielten die vorliegenden Informationen bezüglich der Beschäftigungseffekte im Dienstleistungsbinnenmarkt für ungenügend. Unsere Fragen bezogen sich zunächst auf die Branchen, die von einem Verlust oder Gewinn an Arbeitsplätzen besonders betroffen seien. 60 % rechnen mit positiven Beschäftigungseffekten generell oder für bestimmte Branchen. Am häufigsten genannt wurde die Unternehmens- und Rechtsberatung, des Weiteren: Handel, Handwerk/KMU, Verkehr, Gesundheitsdienste, Land- und Forstwirtschaft, industrielle Dienstleistungen, Bildung, Tourismus, personenbezogene Dienste, Bau- und Gebäudemanagement. Auf die Frage, ob man Arbeitsplatzverluste erwartet antworteten 44 % mit ja. Hier gilt die Industrie am häufigsten als Verlierer, Als weitere Verlustbranchen werden genannt: öffentliche Dienste, Bau und Gebäudemanagement, Land- und Forstwirtschaft, unternehmensbezogene Dienste, Nahrung/Genussmittel, personenbezogene Dienste, Handel/Einzelhandel, Tourismus, Textilindustrie.

3.6

Die Frage nach dem Nutzen dieses Prozesses bringt einige interessante Gegenüberstellungen. Es steht zu erwarten dass die Marktanpassung entscheidend ist und derjenige verliert, dem es nicht gelingt, sich auf die neuen liberalisierten Bedingungen und den grenzüberschreitenden Markt einzustellen. Qualifizierte Arbeit wird größere Chancen bieten, als unqualifizierte; junge, spezialisierte und ortsflexible Arbeitskräfte werden größere Möglichkeiten haben, als ältere und weniger flexible Menschen. Arbeitsplätze mit hohen sozialen Standards seien die Verlierer gegenüber ungeschützter Beschäftigung oder Selbstständigkeit, die zukünftig eher an Einfluss zunehmen. Die Qualität wird gegenüber dem Preis ebenso in Mitleidenschaft gezogen werden, wie hohe Berufszulassungsstandards und Länder mit hohen Sozialkosten. Die neuen Mitgliedstaaten werden am meisten davon profitieren, die alten am wenigsten. Lokale und kleine Dienstleister werden dem Druck internationaler Unternehmen ausgesetzt sein. Wie es um die Verbraucher steht, bleibt eher unentschieden.

3.7

Die Entwicklung der kleinen und mittleren Unternehmen bildete einen besonderen Schwerpunkt: Wird die Zunahme im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zu mehr Beschäftigung führen, oder wird Preis- und Konkurrenzdruck zu einer Verdrängung von KMU und damit zum Abbau von Beschäftigung führen? Eine 2/3-Mehrheit (66 %) sieht positive Beschäftigungschancen. Zugleich sehen dennoch 55 % auch die Wirkung eines Verdrängungswettbewerbs. Die Liberalisierung des Dienstleistungsbinnenmarktes hat jedoch nach Ansicht einer klaren Mehrheit (69 %) der Stimmen keinen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der KMU — die hänge stärker von anderen Einflussfaktoren ab. Fazit: Es überwiegen die positiven Erwartungen, aber insgesamt dürften diese eher gering ausfallen. Was man dennoch erwartet ist, dass die Qualifizierung der Beschäftigten, Innovationsfähigkeit und Qualität der Dienstleistung entscheidende Erfolgs- bzw. Überlebensfaktoren sein werden. Es verstärke sich auch der Druck auf bzw. die Forderung nach mehr Harmonisierung (Bildungs- und Berufsabschlüsse, Managementanforderungen, Preise und Löhne, Sozialabgaben, Unternehmenssteuern, Anpassung an EU- und internationale Standards generell). Eine Verschlechterung erwartet man in Bezug auf die sozialen Standards und im Verbraucher- und Umweltschutz. Auf der Strecke bleiben könnten auch, so fürchtet man, die lokalen, kulturellen Besonderheiten, wenn große Anbieter die Märkte erobern.

3.8

Auf die Frage, ob Selbstständige zukünftig mehr Chancen haben, grenzüberschreitend tätig zu werden, antworten 84 % mit Ja.

4.   Neue Herausforderungen bei den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen

4.1

Grenzüberschreitende Dienstleistungen sind in nahezu allen Fällen mit der Mobilität von Beschäftigten verbunden. Unter den bisher wenig harmonisierten Bedingungen in der EU treffen dann unterschiedliche soziale Regelungen auf einem nationalen Arbeitmarkt oder in einem Unternehmen zusammen. Die EU-Entsende-Richtlinie schafft ein Minimum an wesentlichen Bedingungen der Gleichbehandlung der entsandten Arbeitskräfte mit denen vor Ort Beschäftigten. Darüber hinaus wurden arbeits- und sozialrechtliche Fragen im Grundsatz von der EU-Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen. Damit bleibt ein wachsender grenzüberschreitender Dienstleistungsmarkt aber nicht ohne Wirkung. Trotz Entsenderichtlinie existiert immer noch ein nicht harmonisierter Bereich tarifvertraglicher Regelungen. Die Ausnahme des Arbeitsrechts von der EU-Dienstleistungsrichtlinie hat kein „Arbeitsortprinzip“ für die Beschäftigten etabliert; die gewählten Rechtsformulierungen waren heftig umstritten und gelten nicht unbedingt als eindeutig. Hier wird die zukünftige Umsetzung in nationales Recht abzuwarten sein. Schließlich — unterstellt man den Erfolg der Vertiefung des Dienstleistungsbinnenmarktes — so wird die zunehmende Häufigkeit und wahrscheinlich auch Dauer der Entsendung eine neue Qualität schaffen.

4.2

An dieser Stelle kann und soll nicht die Debatte um die Umsetzung der Entsenderichtlinie geführt werden. Die Leitfrage ist vielmehr: was entsteht an neuen Problemen oder verstärkt bisherige, indem zukünftig häufiger, öfter und unter Umständen länger als bisher im Rahmen von Dienstleistungsaufträgen Beschäftigte aus verschiedenen Mitgliedstaaten an ein und demselben Arbeitsort zu teilweise verschiedenen Bedingungen arbeiten? Worin könnten aber auch Chancen liegen, wenn man sich etwa die Prognose der Kopenhagen-Studie von steigenden Löhnen in Erinnerung ruft. Es geht ausdrücklich nicht darum, den Marktteilnehmern und politisch Verantwortlichen eine generelle Absicht des Sozialdumpings zu unterstellen, sondern einen unverstellten Blick auf die Praxis zu eröffnen.

4.3

82 % bejahen die Frage, ob mit einer Zunahme grenzüberschreitender Dienstleistungen und damit der Tätigkeit entsandter Arbeitnehmer in einem anderen Land, auch eine Veränderung der nationalen Beschäftigungsbedingungen im eigenen Land erwartet wird. 20 % erwarten, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessern gegenüber 17 %, die mit einer Verschlechterung rechnen. Nur 7 % glauben, dass die Arbeitsplätze sicherer werden. 56 % gehen davon aus, dass die Flexibilisierung und Befristung von Arbeitsverhältnissen zunehmen wird.

4.4

Dieser Aspekt der Flexibilisierung findet sich nochmals in den Antworten der anschließenden offenen Frage wieder. Viele erwarten einen Abbau von Stammbelegschaften zu Gunsten von Teilzeitarbeit, Werkverträgen und einer Zunahme von Scheinselbstständigkeit. Es werden auch positive Erwartungen präzisiert: Sprachenbildung, neue Sichtweisen und positive Anreize zur Qualifizierung; steigende Löhne und mehr Arbeitsangebote. Die Befürchtungen überwiegen jedoch: mehr Konkurrenz, schlechtere Arbeitsbedingungen, längere und flexibilisierte Arbeitszeiten sowie soziale Konflikte und illegale Praktiken würden zunehmen und Löhne sinken. Für die Sozialsysteme kommen neue Belastungen hinzu. Weniger mobile Arbeitnehmer, insbesondere auch Frauen, würden es zukünftig schwerer haben und die Familienstrukturen unter der zunehmenden Mobilität leiden. Die Frage nach dem Einfluss eines zukünftig liberalisierteren Dienstleistungsbinnenmarktes auf die Lohnentwicklung beantworten 50 % mit der Erwartung sinkender Löhne, 43 % erwarten steigende Löhne und 7 % sehen keinen besonderen Effekt oder betonen die Abhängigkeit vom jeweiligen Sektor.

4.5

Die Frage, ob die Entsende-Richtlinie zum sozialen Schutz ausreicht, beantworten 48 % mit Ja, 52 % mit Nein. Wenn neue Regelungen nötig wären, bevorzugen die meisten eine EU-weite Herangehensweise (65 %), ein Drittel sieht die Probleme auf nationaler Ebene besser geregelt, 2 % halten beides für nötig. Die Antworten auf die offene Frage, auf welche Probleme besonders hingewiesen werden soll, können wie folgt zusammengefasst werden: Die fehlende soziale Harmonisierung (einschließlich Berufs- und Gewerbezulassung) und die daraus entstehende Ungleichbehandlung steht an oberster Stelle in der Häufigkeit der Nennungen. Entsprechend folgt für einige die Forderung nach einer Ausweitung des Geltungsbereichs der Entsende-Richtlinie in Bezug auf Branchen und Regelungsinhalte. Die fehlerhafte Anwendung der Entsendebestimmungen, Rechtsunsicherheiten und die Zunahme illegaler Praktiken sowie die Mängel bei Kontrollen und Strafverfolgung nehmen weiterhin einen großen Raum ein. Probleme im Bereich Sicherheits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, bei den sozialen Sicherungssystemen und der Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit kommen hinzu. Schließlich wird ein Zuviel an Bürokratie und noch bestehenden nationalen Hindernissen und ein Trend zu nationaler Abschottung kritisiert. Probleme sieht man auch, wenn der Umgang mit sprachlichen und kulturellen Unterschieden nicht hinreichend Beachtung findet.

4.6

Wie wirken sich diese Verhältnisse auf der betrieblichen Ebene aus, wenn im Rahmen von Dienstleistungsaufträgen Arbeitnehmer aus anderen Ländern unter zum Teil verschiedenen nationalen Bedingungen beschäftigt sind? 6 % sehen keine besonderen Wirkungen und 23 % halten dies für heute noch nicht abschätzbar. 24 % erwarten, dass innerbetriebliche Unterschiede bei den Arbeitsbedingungen zunehmen, 34 % sehen neue Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Sozial- und Arbeitsbestimmungen und 13 % bestätigen, dass die nationalen Mitbestimmungsrechte die entsandten Arbeitnehmer nicht voll erfassen. In der anschließenden offenen Beantwortung dieser Frage kommen neue Aspekte hinzu. Neue Probleme im Lohn- und Sozialgefüge entstehen etwa durch ungleiche Bezahlung gleicher Arbeit oder weil freiwillige betriebliche Sozialleistungen reduziert würden. Gleich häufig wird die Erwartung ausgedrückt, dass das Kennenlernen „besserer Praktiken“ eine Chance sein könnte, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Qualität der Arbeit zu steigern. In diesem Sinne müsse man „mehr Intelligenz“ im sozialen Dialog auf Unternehmensebene entwickeln. Kommunikationsbarrieren könnten die Qualität der Arbeit und Teamarbeit erschweren und es könnte generell eine Entsolidarisierung in der Belegschaft entstehen. Die Kenntnis und Wahrnehmung der eigenen Rechte sei für die einzelnen Beschäftigten unter Umständen schwieriger. Zu große Ungleichheiten könnten auch den unternehmerischen Erfolg behindern (Konflikte, Verwaltungsaufwand, Qualität der Arbeit) und die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen zu einer Überforderung und zu mehr Missbrauch führen. Schließlich sieht man in der Erleichterung der Dienstleistungsfreiheit auch eine Chance, Personalengpässe bei der Besetzung qualifizierter Stellen zu lösen.

4.7

Die Frage nach einzelnen Beispielen aus der Praxis ist schwierig zusammenzufassen, denn sie sollten in ihrem spezifischen Gehalt zum besseren Verständnis beitragen. Deshalb sollen an dieser Stelle lediglich einzelne Praxisbeispiele zitiert werden, die bislang noch nicht genannte Problembereiche beleuchten. So gibt es etwa Hinweise auf unklare Regelungen und Verfahrensweisen, wenn ein Arbeitsunfall geschieht, auf besondere Probleme bei der konzerninternen Entsendung, auf die Umwandlung von Arbeitsverträgen, auf die Anwendung von Tarifverträgen aus anderen Ländern, sowie die Behandlung von Arbeitsmigranten.

5.   Verbraucherinteressen im Dienstleistungsbinnenmarkt

5.1

Der Binnenmarkt für Dienstleistungen soll auch den Verbrauchern zugute kommen. Dies ist eine Frage der Verfügbarkeit (Preis, Zugang, Angebot), der Qualität, der Transparenz (Information, Vertrauen) und der Rechtssicherheit (Haftung, Verbraucherschutz). Sind diese Aspekte heute hinreichend realisiert? Werden sie von den Vorschlägen zur Durchsetzung des Dienstleistungsbinnenmarktes gefördert oder gibt es aus Verbrauchersicht problematische Entwicklungen? Der dritte Schwerpunkt des Fragebogens sollte ein Schlaglicht auf diese praktischen Erfahrungen mit grenzüberschreitendem Dienstleistungsverkehr aus Verbrauchersicht werfen.

5.2

Die Bewertung der EU-Dienstleistungsrichtlinie fällt aus Sicht des Verbraucherschutzes nicht eindeutig aus. Es gab kritische Stimmen bei der EWSA-Anhörung im April 2006, dass der Verbraucherschutz insgesamt sträflich zu kurz gekommen sei. Es gibt auch positive Bewertungen, die sich vor allem auf die Verbesserung der Angebotsseite beziehen. Insgesamt treten Verbraucherschutzfragen nicht deutlich genug hervor, erschließen sich wahrscheinlich erst, wenn die jeweilige Wirkung auf nationaler Ebene betrachtet wird. Das Vertrauen der Verbraucher ist jedoch von großer Bedeutung für den Erfolg des EU-Dienstleistungsbinnenmarktes.

5.3

Die in Ziffer 5.1 dargelegten Kriterien für einen verbraucherfreundlichen Dienstleistungsbinnenmarkt (Verfügbarkeit, Qualität, Transparenz und Rechtssicherheit) sollten im Rahmen des Fragebogens in eine Rangfolge gebracht werden. Einmal aus eigener Sicht und einmal als Bewertung, inwieweit diese Aspekte von der EU-Dienstleistungsrichtlinie gefördert werden. Während Qualität und Rechtssicherheit aus eigener Sicht hoch bewertet (Platz I und II) werden, offenbart die Einschätzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie, dass man an erster Stelle die Verfügbarkeit gefördert sieht und die Rechtssicherheit den letzten Platz belegt. Zufrieden mit dem heutigen Stand der Realisierung dieser Aspekte sind lediglich 23 %, Nachbesserungsbedarf sehen 77 %.

5.4

Obwohl die EU-Dienstleistungsrichtlinie die Geltung der Verbraucherschutzbestimmungen im Erbringungsland grundsätzlich unberührt lässt, wurden in der Debatte immer wieder Befürchtungen geäußert, dass dies nicht lückenlos sei. Auf die Frage, ob man zukünftig nationale Verbraucherschutzbestimmungen gefährdet sehe, antworteten 52 % mit Ja. Am häufigsten werden Verschlechterungen in der Rechtsdurchsetzung beklagt, insbesondere bei Beschwerden und Schadensersatzansprüchen. Dies entspricht auch den Antworten auf eine andere Frage, bei der 76 % der Befragten Probleme im Zusammenhang mit der Haftung und Verwaltungsvollstreckung sehen. 51 % befürchten eine generelle Absenkung des Verbraucherschutzniveaus. Speziell gelten alle höheren nationalen Standards (über EU-Minimum) als gefährdet. Diese Gefährdung gilt auch für verwaltungsrechtliche Vorschriften der Gewerbeausübung, die unmittelbar verbraucherrelevant sind, da sie zukünftig nach dem Herkunftslandprinzip geregelt würden, so etwa Schutz vor Übervorteilung oder Grundlage für Schadenersatzansprüche. Es besteht die Furcht vor einer Absenkung von Garantieleistungen und einer Minderung der Qualität der Dienstleistung. Schließlich befürchten viele den Verlust an Informationsrechten, etwa zu Produktinformationen (Umweltgefährdung, Haftungsinformationen, allgemeine Transparenz), Preisauszeichnung, Anbieter (Integrität des Anbieters, Qualifikationsniveau, ordnungsgemäße Absicherung), Garantieleistungen, Haftung usw.

5.5

Um die gewünschten und unverzichtbaren Verbraucherinformationen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungsangeboten ging es in einer eigenen Frage. An oberster Stelle stehen die Angabe zu rechtlichen Garantien, Schadensersatz und Beschwerderechten, des Weiteren zu Identität des Anbieters/Herkunft, Preistransparenz und genaue Angaben zur Qualität der Dienstleistung sowie Produktsicherheit/Gewährleistung. Offensichtlich verunsichert durch die Debatte um das Herkunftslandprinzip fordern viele die Angabe, welches Recht zu Geltung kommt und welche Aufsichtsbehörde bzw. Beschwerdeinstanz zuständig ist.

5.6

Erfahrungen mit den europäischen Verbraucherberatungsstellen oder der EU-weiten Zusammenarbeit in Sachen Verbraucherschutz hatten nur 25 % der Befragten. Ihr Urteil war zumeist positiv, allerdings werden auch Defizite benannt, etwa bei der grenzüberschreitenden Hilfe zur Rechtsdurchsetzung oder der Vermittlung der richtigen nationalen Ansprechpartner. Es gibt auch kritische Stimmen, die die Verfahren als zu bürokratisch und teuer bezeichnen und insgesamt die Verbraucherschutz-Zusammenarbeit für zu schwach und wenig wirksam halten, insbesondere bei komplexen Fällen. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Information über die EU-Verbraucherberatungsstellen bzw. die Möglichkeiten der Zusammenarbeit nicht weit verbreitet sind.

5.7

Zur Gewährleistung einer besseren Qualität einer Dienstleistung empfiehlt die EU-Dienstleistungsrichtlinie freiwillige Standards und Zertifizierungen einzuführen. Dieser Vorschlag wird von 54 % der Befragten für sehr gut befunden, 46 % halten dies eher für bedenklich. Die Befürworter freiwilliger Qualitätsstandards halten diese für ein effizientes Mittel, das sich am Markt und gegenüber den Kunden behaupten muss. Die Kritiker sind recht einhellig der Meinung, dass die Einhaltung dieser Standards ohne staatliche Kontrolle nicht gewährleistet ist. Deshalb wird eine klare rechtliche Regulierung bevorzugt. Freiwillige Standards würden von ehrlichen Unternehmen erfüllt, helfen aber nicht gegen die „schwarzen Schafe“. Genau dies sei aber im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr sehr wichtig.

5.8

Die EU-Dienstleistungsrichtlinie führt auch ein System der geteilten Kontrolltätigkeit der Behörden im Herkunfts- und Erbringungsland ein. Wir wollten wissen, ob dies mehr Vertrauen bei Verbrauchern schafft. 82 % antworteten mit Ja, 18 % haben hier weniger Vertrauen. Die Umsetzung in der Praxis ist offensichtlich ein wesentlicher Vorbehalt.

5.9

Abschließend wurde nochmals die Gelegenheit gegeben, offene Fragen des Verbraucherschutzes im zukünftigen Dienstleistungsbinnenmarkt anzusprechen. Hier zeigt sich erneut der Schwerpunkt der fehlenden Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Verbraucherschutz in Bezug auf Garantie, Haftung (etwa bei Insolvenzen), Gewährleistungsansprüche (fehlende Harmonisierung; Beweislastproblematik) und die Durchsetzung von Schadensansprüchen (dauern zu lange, Verfahren zu komplex, Wunsch nach mehr Harmonisierung). An zweiter Stelle steht die Gewährleistung ausreichender Information zu Dienstleistung und Anbieter. Mängel sieht man auch im Fehlen gemeinsamer Qualitätsstandards und der Vergleichbarkeit von Kompetenzen und Berufsabschlüssen. Verbraucherschutzvorschriften seien oft nicht richtig umgesetzt oder fehlen in einzelnen Bereichen (etwa bei privaten Renten, Gesundheitsdiensten). Soziale Fragen spielen eine Rolle (Mindestlohnunterschreitung, Schwarzarbeit, Migration) und die Befürchtung, Umwelt- und Sicherheitsstandards zu verlieren. Man solle ein Mindestniveau an allgemeinzugänglichen Diensten definieren, die soziale Teilhabe gewährleisten. Weitere Befürchtungen sind Wettbewerbsverzerrungen für lokale Anbieter (z.B. unterschiedliche Soziallasten) und Probleme mit Währungsunterschieden.

6.   Die wichtigsten Ergebnisse

6.1

Der Rücklauf der Fragebogenaktion zeigt, dass es ein großes Interesse gibt, die neuen Herausforderungen für Arbeitsmärkte, Beschäftigung und Verbraucherschutz im Dienstleistungsbinnenmarkt anzugehen. Es werden viele Hinweise auf problematische Entwicklungen gegeben, aber auch zukünftige Chancen definiert. Beides verdient generell mehr Berücksichtigung und sollte auch die nun bevorstehende Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie inspirieren.

6.2

Ein immer noch ungelöstes Problem ist die statistische Abbildung der EU-Dienstleistungswirtschaft im grenzüberschreitenden Verkehr. Die realitätsnahe Erfassung ist eine Voraussetzung für die Beurteilung der Beschäftigungsdynamik, die sich daraus entwickeln kann. Der EWSA wiederholt deshalb seine Forderung nach einer einmaligen Basiserhebung, die allein das Problem lösen kann.

6.3

Die Informationen zu den möglichen Beschäftigungseffekten der neuen Binnenmarktstrategie sind ungenügend, sagen 90 % der Befragten. 60 % erwarte positive Beschäftigungseffekte. 44 % rechnen auch mit Arbeitsplatzverlusten. Insgesamt werden vor allem „Beschäftigungsverschiebungen“ erwartet. Ein sektorspezifischer und differenzierter Ansatz für die weitere Betrachtung der BBS erscheint hier sinnvoll, so etwa industrienahe Dienstleistungen, Bildung, ausgewählte liberalisierte öffentliche Dienste, personenbezogene Dienste, Handwerk. Aufschlussreich sind die Hinweise auf die größten Nutznießer. Hier empfiehlt sich die genaue Betrachtung der Aspekte qualifizierte/unqualifizierte Arbeit und die Chancen spezialisierter ortsflexibler Arbeitskräfte versus Arbeitnehmer mit geringerer Mobilität. Ersteres ist ein Prozess der sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch innerhalb einer Branche erwartet wird. Letzteres stellt eine besondere Herausforderung an die Arbeitsmärkte und Sozialsysteme dar.

6.4

Die Entwicklung kleinerer und mittlerer Unternehmen wird überwiegend positiv gesehen, damit auch die Beschäftigungsentwicklung, der Einfluss der EU-Dienstleistungsrichtlinie hierauf aber eher als gering eingeschätzt. Dennoch erwartet man neue Herausforderungen, denen man mit mehr Qualität und Qualifizierung der Beschäftigten und Innovationsfähigkeit begegnen muss. Dem neuen Konkurrenzdruck wollen einige mit mehr Harmonisierung der Rahmenbedingungen begegnen. Lokale und kulturelle Besonderheiten könnten — so fürchtet man — zukünftig auf der Strecke bleiben, wenn große Anbieter die Märkte erobern.

6.5

Von der zukünftigen Vertiefung des Dienstleistungsbinnenmarktes erwartet man mehrheitlich Veränderungen bei den nationalen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (82 %). Dies geschieht nicht in Unkenntnis der EU-Dienstleistungsrichtlinie, sondern in der Betrachtung nicht-harmonisierter Voraussetzungen und neuer Markteinflüsse. Mehrheitlich erwartet man eine Zunahme der Befristung und Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen. Positive Erwartungen knüpfen sich an bessere Arbeitsangebote, Sprachenbildung und Qualifizierung allgemein.

6.6

Die geltenden Entsendebestimmungen spielen eine wichtige Rolle in diesem Kontext. Die mangelnde Umsetzung der Vorschriften wurde häufig als Problem dargestellt. Angesichts der neuen Herausforderungen reichen für die Hälfte der Befragten die jetzigen Bestimmungen aber nicht aus, um einen sozialen Schutz zu gewährleisten. Dies wird bei der genauen Betrachtung der betrieblichen Ebene deutlich. Je größer der nicht-harmonisierte Bereich, umso mehr Grundlage ist für Ungleichbehandlung bei gleichwertiger Arbeit gegeben. Dies wird teilweise auch als Chance verstanden, wenn der Kontakt mit „besseren Praktiken“ zum Anreiz wird für bessere Arbeitsbedingungen im Herkunftsland. Insgesamt lässt sich feststellen, dass ungleiche Arbeitsbedingungen bzw. gesetzliche Regelungen in einem Betrieb/Unternehmen eine Herausforderung auch für die Unternehmen darstellen. Die Debatte um die Entsende-Richtlinie wird an anderer Stelle geführt. Wichtig hier ist die Feststellung, dass Ungleichheit und damit Konflikte zunehmen werden. Dies ist eine Aufgabe für EU und nationale Gesetzgeber, insbesondere in der aktuell anstehenden Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie, aber auch eine Herausforderung für den Sozialen Dialog in der EU.

6.7

Mehr Mobilität der Arbeitnehmer im Rahmen grenzüberschreitender Dienstleistungsaufträge und mehr Unübersichtlichkeit bei den eigenen Rechtsansprüchen führen zu einem höheren Bedarf an Beratungsleistung. Diese Beratung muss EU-weit sichergestellt werden. Eine wichtige Informationsgrundlage ist die Arbeit der Euroinfocenter und der Aufbau einer Datenbank zu Arbeitnehmerfragen, die auch im EWSA intensiv verfolgt wird.

6.8

Die Bewertung der EU-Dienstleistungsrichtlinie fällt aus Verbrauchersicht nicht eindeutig aus. Es gibt sowohl kritische Stimmen als auch positive Einschätzungen. Die Auswertung der Befragung ergab, dass Qualität und Rechtssicherheit hoch bewertet wird, diese Aspekte — nach Ansicht der Befragten — bei der EU-Dienstleistungsrichtlinie aber nicht entsprechend gefördert werden. Zufrieden mit dem heutigen Stand des Verbraucherschutzes sind lediglich 23 %.

6.9

Die Sorge um Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzung steht im Vordergrund. Obwohl die EU-Dienstleistungsrichtlinie den nationalen Verbraucherschutz grundsätzlich unberührt lässt, sehen 52 % nationale Bestimmungen zukünftig gefährdet. Gewünscht sind klare Regelungen zu Garantieleistung und Haftung und die rasche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Hier scheinen die bestehenden Regeln nicht auszureichen oder national hohe Standards werden im zukünftigen Wettbewerb als gefährdet angesehen. Gleichermaßen wichtig ist die Gewährleistung ausreichender Informationen zu Dienstleistung und Anbieter. Mängel sieht man auch im Fehlen gemeinsamer Qualitätsstandards (die freiwillige Zertifizierung stößt auf geteilte Zustimmung) und der Vergleichbarkeit von Kompetenzen und Berufsabschlüssen. Verbraucherschutzvorschriften seien oft nicht richtig umgesetzt oder fehlen in einzelnen Bereichen (etwa bei privaten Renten, Gesundheitsdiensten).

6.10

Erfahrungen mit den europäischen Verbraucherberatungsstellen bzw. grenzüberschreitender Zusammenarbeit haben nur wenige. Die bestehenden Ansätze werden meist positiv gewertet, aber sie reichen nicht aus. Sie sind zu schwach, helfen wenig bei der Rechtsdurchsetzung und in komplexen Fällen.

6.11

Verbraucherschutzanliegen im Dienstleistungsbinnenmarkt müssen eine größere Rolle spielen. Die feststellbare Verunsicherung bezüglich der Rechtssituation bei grenzüberschreitenden Diensten muss mit einer Informationsstrategie auf nationaler und EU-Ebene begegnet werden. Die Forderung nach genauen Angaben zu Dienstleistung und Anbieter ist nicht zu unterschätzen. Dies ist auch bei der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie zu beachten.

6.12

Der EWSA wird sich im Rahmen der Binnenmarktbeobachtungsstelle, in enger Zusammenarbeit mit der Fachgruppe Soziales, weiter mit der Wirkung des Dienstleistungsbinnenmarktes auf den Anstieg des Handels mit Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie auf Beschäftigung und Verbraucherschutz befassen. Basierend auf den Ergebnissen der vorliegenden Stellungnahme, ist es sinnvoll, einzelne Sektoren/Branchen näher zu betrachten und die wesentlichen Erkenntnisse aus der Befragung darauf anzuwenden.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt.

(2)  CESE 137/2005, ABl. C 221 vom 8.9.2005.

(3)  Vgl. CESE 137/2005, Kapitel 3.2., ABl. C 221 vom 8.9.2005.

(4)  Der EWSA hat am 19. September 2001 eine Anhörung zur allgemeinen Binnenmarktstrategie durchgeführt und am 24. Mai 2004 eine Anhörung im Rahmen der Stellungnahme zur EU-Dienstleistungsrichtlinie zu sechs zentralen Fragen, wie etwa Berufshaftpflicht, „one-stop-shop“, statistischen Erfassungsmethoden etc.

(5)  Eine Dienstleistung ist jede nach Artikel 50 EG erfasste selbständige wirtschaftliche Tätigkeit, bei der einer Leistung eine wirtschaftliche Gegenleistung gegenübersteht.

(6)  Dieser Bericht wird während der portugiesischen Ratspräsidentschaft erwartet.

(7)  Internal Market Advisory Committee.

(8)  Quelle für diese und die folgenden Zahlen in den Absätzen 3.5 und 3.6: EU-Kommission 2004 und 2005.

(9)  The Free Movement of Services within the EU, Kox et al, CPB report No 69, October 2004.

(10)  Economic Assessment of the Barriers to the Internal Market for Services, Copenhagen Economics, January 2005.

(11)  So etwa die im Auftrag des österreichischen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit Studie „Deepening the Lisbon Agenda: Studies on Productivity, Services and Technologies“, Vienna 2006.

(12)  Es gibt ernstzunehmende Kritiken, die selbst diese Hochrechnung nicht für realistisch halten.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Qualitätsstandards für Inhalte, Verfahren und Methoden sozialer Folgeabschätzungen aus Sicht der Sozialpartner und anderer Akteure der Zivilgesellschaft“

(2007/C 175/06)

Mit Schreiben vom 19. September 2006 ersuchte Dr. Wilhelm SCHÖNFELDER, Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter sowie Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des deutschen Ratsvorsitzes um die Erarbeitung einer Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 31. Mai) mit 102 gegen 3 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

Das Ersuchen des deutschen Ratsvorsitzes um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Qualitätsstandards für Inhalte, Verfahren und Methoden sozialer Folgeabschätzungen aus Sicht der Sozialpartner und anderer Akteure der Zivilgesellschaft“ veranschaulicht den Willen der deutschen Regierung, in Zusammenarbeit mit dem portugiesischen und dem slowenischen Ratsvorsitz und im Nachgang zu einer 2004 von sechs Präsidentschaften verabschiedeten gemeinsamen Erklärung den Schwerpunkt auf das Thema „bessere Rechtsetzung“ zu legen. Demzufolge „wird die konsequente Durchführung von Folgeabschätzungen (1) für neue Vorhaben ein wichtiges Element des deutschen Aktionsplans sein, um (…) soziale Auswirkungen im Prozess der Rechtsetzung zu berücksichtigen“ (2). Folgenabschätzungen können einfach als Methode zur Ermittlung der voraussichtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen einer Maßnahme definiert werden. Zweck von Folgenabschätzungen ist die Verbesserung der Datengrundlage, auf der Entscheidungen getroffen werden, und damit die Verbesserung der Qualität der Beschlussfassung (3).

2.   Allgemeine Bemerkungen

Auf der Konferenz der Europäischen Kommission über die Weiterentwicklung von Folgenabschätzungen in der Europäischen Union, die am 20. März 2006 in Brüssel stattfand, wurde festgestellt, dass ein breiter Konsens darüber besteht, dass die Prinzipien, die dem System der Europäischen Kommission für Folgenabschätzungen zugrunde liegen, zwar sinnvoll sind, sie aber auch wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen sollten (4). Folgenabschätzungen wurden erstmals im Vorfeld der Verbesserung des EU-Rechtsrahmens eingeführt. Die Berücksichtigung der sozialen Dimension oder der sozialen Auswirkungen der EU-Rechtsakte ist für die Umsetzung der Sozialagenda unabdingbar. Die europäischen Bürger erwarten, dass Europa sozial ist — bzw. dass der Binnenmarkt sozial verträglich ist — und äußern vielfach den Wunsch, an der Verringerung der Distanz zwischen ihnen und der EU beteiligt zu werden.

2.1   Initiative der Europäischen Kommission zur Durchführung von Folgenabschätzungen: eine kurze Rückschau

Die Initiative der Europäischen Kommission von 2003 zur Durchführung von Folgenabschätzungen für alle wichtigen Legislativvorschläge (d.h. alle, die in der Jährlichen Strategieplanung oder im Arbeitsprogramm der Kommission aufgeführt sind) beruht auf der Einschätzung, dass diese Vorschläge „potenzielle wirtschaftliche, soziale und/oder umweltbezogene Auswirkungen haben und/oder für ihre Durchführung Regelungsmaßnahmen irgendwelcher Art erfordern“ (5). Diese Initiative wurde ergriffen, um Folgenabschätzungen bis 2005 schrittweise im Rechtsetzungsprozess zu verankern (6).

Seit 2003 ist vieles über Folgenabschätzungen im Allgemeinen gesagt worden — aber nur wenig über die sozialen Aspekte in Folgenabschätzungen im Besonderen.

2.2   Soziale Aspekte in Folgenabschätzungen: eine kurze Bilanz der Arbeit der Europäischen Kommission

2.2.1

Es liegt auf der Hand, dass die GD „Bildung und Kultur“ und die GD „Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit“ in ihren Folgenabschätzungen auch soziale Aspekte berücksichtigen. Darüber hinaus werden gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Analyse  (7) soziale Elemente in anderen Bereichen in unterschiedlichem Maße einbezogen. Dies wirft die Frage auf, ob soziale Aspekte (einschließlich solcher im Zusammenhang mit der EU-Sozialagenda) als Grunderfordernis betrachtet werden sollten, also auch im Falle von Vorschlägen ohne soziale Bezüge oder mit wahrscheinlich geringen sozialen Folgen. Mit empirischen Mitteln wird in der Studie des „Istituto per la ricerca sociale“ (siehe Fußnote 5) gezeigt, dass die Folgenabschätzungen, in denen soziale Aspekte nur eine untergeordnete Rolle spielen, hauptsächlich im Bereich der Wirtschaft anzutreffen sind: In einem Drittel der hier durchgeführten Folgenabschätzungen werden soziale Aspekte nur am Rande oder überhaupt nicht erwähnt (8).

2.2.2

Wenn die soziale Relevanz der Maßnahme offenkundig ist, werden soziale Aspekte weitgehend berücksichtigt und im gesamten Dokument der Folgenabschätzung relativ ausführlich behandelt (9). Unter den sozialen Folgen werden die Auswirkungen auf die Beschäftigung eindeutig am häufigsten genannt und herausgestellt (10).

2.2.3

Dem „Istituto per la ricerca sociale“ zufolge ist das Maß, in dem die sozialen Elemente berücksichtigt werden, nicht zwangsläufig „proportional“ zum Inhalt der Maßnahme und ihrer wahrscheinlichen Folgen. Vielfach werden diese Folgen nur auf unspezifische Weise beschrieben, wobei sie auf allgemeingültigen Annahmen beruhen. Diese Beziehungen werden aber nur selten erörtert, wenn der besondere Inhalt der Maßnahme, die Zielgruppen und die betroffenen Regionen, die spezifische Wahl der Politikinstrumente und der Effekt des Umsetzungsprozesses untersucht werden (11). In seiner Studie stellt das Institut auch fest, dass in mehreren Folgenabschätzungen die Wechselbeziehungen zu anderen Politikfeldern oder Maßnahmen der EU außer Acht gelassen werden. Die Folgenabschätzungen bereiten zwar erheblichen Arbeitsaufwand, dürfen aber nicht lückenhaft oder oberflächlich durchgeführt werden, da ansonsten der Wert der Rechtsetzung in Frage gestellt wird.

2.3   Rolle der Interessenträger in Folgenabschätzungen

2.3.1

Die Abschätzung der Folgen eines Legislativvorschlags ist keine „Liste zum Abhaken“. Sie muss auch überwacht werden — idealerweise von oder in enger Zusammenarbeit mit den Rechtsanwendern, insbesondere den unmittelbar betroffenen Akteuren. Da die soziale Dimension eines der drei Bewertungskriterien für EU-Maßnahmen ist, bedarf es eines — sowohl transparenten als auch einfachen — Standardverfahrens zur Sammlung spezifischer Informationen im Rahmen von Folgenabschätzungen. Folgende Optionen sind erwähnenswert:

Konsultation via Internet: Eine groß angelegte Online-Konsultation ist für spezifische Legislativvorschläge mit sozialen Folgen nicht geeignet. Online-Konsultationen müssen auf die unmittelbar betroffenen Akteure eingeschränkt werden. Gezielte Konsultationen erfordern die Bildung thematischer Netze („Web-Communities“ zum Thema Folgenabschätzungen?) und ein Mindestmaß an Struktur, Koordinierung und Überwachung;

Konsultation via Stakeholder-Foren: Aufgrund von Zeitzwängen ermöglicht diese Option u.U. nicht das erforderliche Maß an Präzision;

Konsultation der formellen Beratungsgremien: Damit verbunden ist die Frage der Einbeziehung von Gremien wie des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in die Durchführung einer sozialen Folgenabschätzung (z.B. möglicherweise auch im Falle einer Folgenabschätzung im Bereich der nachhaltigen Entwicklung). Grundsätzlich wurden diese Gremien eingerichtet, damit der Pluralismus zwischen verschiedenen Interessen und die Wechselbeziehung zwischen verschiedenen Politikbereichen Berücksichtigung finden;

gezielte Konsultation betroffener Interessenträger: Dies wird von einer Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen gefordert.

3.   Grundlegende methodische Überlegungen

3.1

Eine Reihe von Fragen kann dazu dienen, eine empfehlenswerte Methodik zu ermitteln:

Was ist der Stand der Dinge? D.h., was hat die Europäische Kommission hinsichtlich der Einbeziehung sozialer Aspekte in die Folgenabschätzungen erreicht?

Gilt eine Abschätzung der sozialen Folgen eines Legislativvorschlags für alle Vorschläge oder muss für jeden Vorschlag eine getrennte Untersuchung durchgeführt werden?

Welche Rolle spielen die Interessenträger? Wie können sie am besten in den Prozess eingebunden werden?

Welche Rolle könnte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss als eine Versammlung von Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft und als strategisch ideal positionierte „Kontaktbörse“ spielen?

Inwieweit hat die Kommission die Beiträge der Sozialpartner und der wichtigsten NRO bei der Abschätzung der sozialen Folgen ihrer Vorschläge berücksichtigt? Wie können diese am besten eingebunden werden?

Sollten wir nicht einen Verhaltenskodex, der genauer ist als der derzeit von der Kommission verwandte, oder ethische Regeln für solche sozialen Folgenabschätzungen erwägen?

Welche Leitlinien sollte es für soziale Folgenabschätzungen geben (intern oder extern durch Ausschreibungen — und falls ja: aufgrund welcher Kriterien)?

4.   Textbezogene Überlegungen

4.1

Angesichts der Komplexität und der Bedeutung der Abschätzung der sozialen Folgen von Legislativvorschlägen sollten alle betroffenen Akteure, d.h. Sozialpartner wie auch Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft, über folgende methodische Probleme nachdenken:

Welche Form und welchen Umfang sollte eine solche Untersuchung haben?

Sollte eine solche Abschätzung ein umfangreiches Themenspektrum (z.B. „bessere Rechtsetzung“, Grünbuch „Güterrecht, einschließlich der gegenseitigen Anerkennung“) abdecken oder sich auf Themen mit eindeutiger sozialer Relevanz (z.B. Hafendienste, Seeverkehrssicherheit, Grünbuch „Modernisierung des Arbeitsrechts“) konzentrieren?

Was bedeutet das für die Vorbereitung und Ausarbeitung?

Müssen wir angesichts der Notwendigkeit eines „wissenschaftlichen“ Ansatzes (im Titel ist von „Qualitätsstandards“ die Rede) implizite Standards, die auf praktischen Fällen und Erfahrungen beruhen, festlegen, oder sind diese Standards erst noch zu entwickeln?

4.2

Eine öffentliche Anhörung im Ausschuss ermöglichte es sozialen NRO, Sozialpartnern und anderen Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft sowie Fachleuten, ihre Ansichten zu äußern und den Stellungnahmeentwurf zu erörtern, sodass den europäischen Institutionen und der Kommission im Besonderen klare Botschaften übermittelt werden können.

4.3

Da schließlich die sozialen Folgenabschätzungen von größter Bedeutung für den Beschlussfassungsprozess der EU sind, sollte der Ausschuss Vorschläge zu der Frage vorlegen, wie Verbesserungen erreicht und die Organisationen der Zivilgesellschaft in diesen Prozess besser eingebunden werden können.

5.   Soziale Indikatoren: Allgemeine Überlegungen und methodologische Probleme

5.1

Es bestehen mehrere nationale und internationale Systeme sozialer Indikatoren, aber es ist zu überprüfen, wie brauchbar und geeignet sie für die spezifischen Erfordernisse von Folgenabschätzungen sind.

5.2

Vor ca. 30 Jahren begann man in mehreren Ländern mit der Entwicklung solcher Indikatoren, um die Zweckmäßigkeit und die Folgen wirtschaftspolitischer Maßnahmen auch über einfache quantitative Daten hinaus zu bewerten und somit die soziale Entwicklung im Einklang mit der wirtschaftlichen Entwicklung steuern und Mittel für die Bewertung der gesellschaftlichen Wohlfahrt und ihrer Entwicklung erhalten zu können.

5.3

Dies führte zu einer bedeutsamen Produktion von Sozialstatistiken, insbesondere in Bezug auf die gesellschaftlichen Kernaufgaben wie Bildung, Gesundheit, Sozialschutz, Umwelt, Wohnungswesen, Verkehr, Forschung und Arbeitslosigkeit. Daraus können aber nicht automatisch soziale Indikatoren gewonnen werden, vielmehr müssen die Daten aufgearbeitet, aggregiert und interpretiert werden.

5.4

„Ein Indikator ist lediglich eine Statistik, der mit Blick auf Wissen, Bewertung und/oder Handeln eine besondere Bedeutung beigemessen wird“ (12). Im Zusammenhang mit Folgenabschätzungen geht es also nicht nur darum, aus unterschiedlichen Quellen gespeiste Sozialstatistiken der Länder zu erstellen, sondern darum, diese Daten so aufzuarbeiten, um die Sachlage in ausgewählten Themenbereichen gemäß ihrer Relevanz für die Folgenabschätzung zu bewerten.

5.5

Für einige Bereiche liegen mitunter nur fragmentarische Studien und vereinzelte Untersuchungen vor, sodass eine Kosten-Nutzen-Analyse nicht möglich ist. So haben beispielsweise bestimmte Kategorien von Pestiziden bekanntlich gesundheitsschädliche Wirkungen und führen zum Ausbruch schwerer Erkrankungen, wenn bestimmte Belastungsdosen erreicht sind. Der Beschluss, die Verwendung bestimmter chemischer Pestizide einzuschränken, hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung und der Arbeitnehmer, die mit diesen Pestiziden umgehen. Allerdings können die langfristigen Vorteile solcher Maßnahmen im Rahmen von verhältnismäßigen Folgenabschätzungen nicht exakt quantifiziert werden.

5.6

Gleichwohl ist es klar, dass der gesellschaftliche Bereich der Gesundheit eine solche Maßnahme rechtfertigen würde und wirtschaftliche Abwägungen untermauert (z.B. durch Kostensenkungen bei der landwirtschaftlichen Erzeugung und die daraus resultierende Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit). Ferner kann das Grundrecht auf eine intakte Umwelt für den Vorschlag angeführt werden.

5.7

In der Praxis steht zwar eine erhebliche Anzahl von Sozialstatistiken zur Verfügung, die in Abhängigkeit von den jeweils aktuellen Themen der öffentlichen Debatten in den verschiedenen Ländern ausgearbeitet wurden (z.B. zu Arbeitsbedingungen, Beschäftigung von Jugendlichen, Senioren oder Frauen, Kriminalität, Einkommensunterschiede, Diskriminierung am Arbeitsplatz, Betriebsverlagerungen usw.). Bis vor kurzem sind aber nur wenige Sozialindikatoren aus der Masse der Statistiken herausgefiltert worden. In einem neuen, seit etwa zehn Jahren eingetretenen sozioökonomischem Kontext, der mit einer Neubewertung der Rolle des Staates in der Sozialpolitik und der wirtschaftspolitischen Regulierung einhergeht, sind nun aber diese Indikatoren glücklicherweise wieder aktuell.

5.8

Sozialindikatoren sind aber isoliert betrachtet nicht immer von hinreichendem Nutzen. Sie machen mehr Sinn, wenn sie in ein umfassenderes Konzept wie z.B. der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung oder der nachhaltigen Entwicklung eingefügt werden. Ihre Datenbasis hat sich verbreitert, sie stammen nicht mehr nur aus zentralstaatlichen Datensammlungen, sondern werden auch von NRO und Reflexionsgruppen (think tanks der großen Stiftungen) geliefert. Die Präsentation dieser Indikatoren ist ebenfalls sehr unterschiedlich und reicht von einer Auswahl von Statistiken über Datenaggregationen, um themenspezifische oder allgemeine zusammengesetzte Indikatoren zu erhalten, bis hin zu thematischen Untersuchungen.

5.9

Zahlreiche internationale Organisationen veröffentlichen soziale Indikatoren und Statistiken und führen Vergleiche zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten durch. Die in diesem Zusammenhang für die EU-Mitgliedstaaten wichtigsten Organisationen sind (in willkürlicher Reihenfolge) die OECD, das UN-Programm für Entwicklung (United Nations Development Programme — UNDP), die Europäische Kommission — insbesondere Eurostat —, die UNESCO, die Weltbank und die ILO.

5.10

Die große Unterschiedlichkeit der Quellen bringt das Problem der Qualität von Statistiken — da nicht alle Länder über hoch entwickelte statistische Ämter verfügen —, der Vergleichbarkeit der Daten und der Harmonisierung der Ansätze mit sich. „Die Wahl der Indikatoren zur Messung der sozialen Konvergenz der EU-Mitgliedstaaten ist von wahrhaft politischer Bedeutung. Die für Vergleiche eingesetzten Indikatoren sind nicht neutral: sie spiegeln die Prioritäten und mitunter den gewünschten Zustand der Gesellschaft wider, was sich zu Recht von Land zu Land unterscheiden kann. Das Beispiel der Arbeitslosigkeit zeigt, dass bestimmte Indikatoren reale — und vielleicht sogar konträre — Auswirkungen auf die politische Ausrichtung haben können (13). Es ist also festzuhalten, dass die Konzeption von Indikatorensystemen gegenwärtig ausschließlich Sache der Fachleute ist“ (14).

5.11

Die Kritik an BIP und Wachstum als Indikatoren für das soziale Wohlergehen geht insbesondere auf das UNDP zurück, in dessen Rahmen das Konzept des „Human Development Index“ (Index für menschliche Entwicklung, HDI) konzipiert wurde, insbesondere infolge der Arbeiten von Amartya Sen zu Armut, Hunger, Demokratie und der Kritik an rein quantitativen Indikatoren, für die ihm der Nobelpreis für Wirtschaft verliehen wurde.

5.12

Die Daten bezüglich des Zugangs zu Trinkwasser, die Alphabetisierungsrate von Männern und Frauen, das Gesundheitssystem und die Ergebnisse bei der Bekämpfung von Pandemien, die Teilhabe am demokratischen Prozess, die geschlechtsspezifische Lebenserwartung, die Sterblichkeitsrate von Neugeborenen und Kindern usw. sind weitere einschlägige Daten zur Bewertung des Wohlergehens einer Gesellschaft sowie der Lage der Umwelt. Diese Daten stehen dennoch nicht unmittelbar mit dem BNP in Zusammenhang.

5.13

So haben die ersten aggregierten HDI-Indikatoren des UNDP zu ausgedehnten und kontroversen Debatten geführt, da die „reichen“ Länder bei der Klassifizierung des „Bruttonationalglücks“ häufig nicht an oberster Stelle standen. Aber dieser Indikator wurde aufgrund seiner Solidität (Bildung, Lebenserwartung, angeglichene Einkommen zur Berücksichtigung von Armut) zur unbestrittenen Alternative für rein wirtschaftliche Indikatoren.

5.14

Die Sozialstatistiken stellen eine unverzichtbare Ergänzung zu den Wirtschaftsstatistiken dar, und die Bedeutung der großen sozialen Fragen für die Öffentlichkeit verleiht ihnen ein politisches Gewicht, das von den Regierenden unbedingt berücksichtigt werden muss.

5.15

Es ist festzuhalten, dass diese Berücksichtigung nicht nur durch die Fixierung auf wirtschaftliche Aspekte und auf kurz- oder mittelfristige finanzielle Vorteile, sondern ganz objektiv gesehen auch dadurch erschwert wird, dass soziale Fragen sehr vielgestaltig sind und sich schlecht subsumieren und im Hinblick auf ihre Berücksichtigung bei den wirtschaftspolitischen Leitlinien quantifizieren lassen.

5.16

Intuitiv könnte man bei der Erstellung von ökologischen Indikatoren, die externe Effekte des Wirtschaftswachstums berücksichtigen sollen, zum selben Schluss gelangen. Im Grunde genommen müsste das mit der Abholzung eines Urwalds verbundene Wachstum zur Ablehnung eines solchen Wachstumsmodells führen, wenn bei der Folgenabschätzung alle sozialen und ökologischen Faktoren berücksichtigt würden, die — wie wir inzwischen wissen — die wirtschaftlich-finanziellen Vorteile bei weitem aufwiegen. Es ist aber außerordentlich schwierig, die Kostenwirksamkeit der externen Faktoren zu beziffern, wie z.B. Klimawandel, Verlust der Biodiversität, das Los der Menschen, die von der Sammelwirtschaft oder der Nutzung medizinischer Pflanzen lebten, rasche Auszehrung der Böden und anschließende Erosion. Eine kurzfristig angelegte Bilanz könnte vielleicht einen hohen positiven Saldo aufweisen, während eine langfristige Bilanz, bei der auch externe Faktoren berücksichtigt werden, ein hohes Defizit aufweisen würde — und zwar nicht nur für die betroffenen Gebiete oder Länder, sondern für unseren gesamten Planeten.

5.17

Die objektiven Grenzen der Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte in Folgenabschätzungen werden deutlich vor Augen geführt bei der Kosten-Nutzen-Analyse, die zahlreichen Evaluierungen im Rahmen der „besseren Rechtsetzung“ zugrunde liegt und die auch bei gemeinschaftlichen Folgenabschätzungen praktiziert wird (15). Wenngleich die Auswirkungen auf der Grundlage eines maßgeblichen Indikators (Anzahl der verlorenen Arbeitsplätze, keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten) abgeschätzt werden, sind die sozialen Auswirkungen für den politischen Entscheidungsprozess nicht unbedingt ausschlaggebend. Dieser wird häufig durch kaum quantifizierbare Faktoren beeinflusst, insbesondere dann, wenn die Folgenabschätzungen von kurz- oder allenfalls mittelfristigen finanziellen Vor- und Nachteilen ausgehen. Langfristige Auswirkungen sind viel schwieriger zu greifen: wie auch soll der voraussichtliche finanzielle Nutzen gesunkener Sterblichkeit im Zusammenhang mit der Verhütung von Meeresverschmutzung durch Schiffstreibstoffe bewertet werden? (16)

5.18

Schließlich werden in der Debatte über soziale Fragen mitunter ungenau definierte Begriffe verwendet. So würde zum Beispiel ein Indikator bezüglich Flexicurity von Land zu Land unterschiedlich konzipiert, je nachdem, ob auf diesbezügliche Erfahrungen aufgebaut werden kann oder ob das Konzept in der europäischen (17) oder einzelstaatlichen Debatte erst eingeführt werden muss und dabei auf nationale Modelle Bezug genommen wird, die sich unter besonderen Rahmenbedingungen herausgebildet haben und kaum auf eine andere soziale Wirklichkeit übertragen werden können. Welche Faktoren sollten dabei berücksichtigt werden und vor allem welcher — positiver oder negativer — Wert würde ihnen beigemessen werden? „Die Berücksichtigung bestimmter Indikatoren — oder auch nicht — kann Aufschluss geben über unterschwellige Werte oder ideologische Ausrichtungen“ (18). Das Problem wird bei der Bildung zusammengesetzter Indizes noch um ein Vielfaches verschärft: Welche Indizes sollen mit eingeschlossen werden, welchen Koeffizienten sollen sie erhalten, und was ist die tatsächliche Bedeutung des so erhaltenen Indexes?

5.19

Zusammengesetzte Indizes können sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte umfassen und nach Alter, Geschlecht und weiteren signifikanten Merkmalen aufgeschlüsselt werden, sie müssen aber einfach zu verstehen sein. Wie könnte z.B. ein Index für die Lebensqualität in Europa aufgebaut sein? Sollte man dabei z.B. das Einkommen, die Lebenserwartung, die empfundene Effizienz des Gesundheitssystems, die Renten, das durchschnittliche Bildungsniveau, die Zufriedenheit mit der Arbeit usw. berücksichtigen? Wieso aber sollte man nicht auch die Rate von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung oder die Wohnungssituation mit einschließen? Und welche relative Bedeutung sollte jedem einzelnen Bestandteil beigemessen werden?

5.20

Daraus wird ersichtlich, dass dieses Unterfangen nicht nur eine rein technische Angelegenheit ist, sondern vielmehr auf ein gemeinsames Wertesystem oder in einer Gesellschaft lebendige Traditionen verweist und Anhörungen der gesellschaftlichen Organisationen erforderlich macht und damit schließlich ideologische oder politische Entscheidungen widerspiegelt. Derzeit „ist es selten, dass die Ansätze für soziale Indikatoren tatsächlich die Ziele der Gesellschaft beinhalten, die Werte und soziale Normen widerspiegeln. (…) Ein zentrales Element dieses Ansatzes ist die Erkennung und Klassifizierung von Bezugspunkten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen mithilfe von Anhörungen und im Konsens. Die Daten und die Ergebnisse sowie die Verbindungen zwischen diesen werden ebenfalls in diesem Prozess ermittelt. (…) Anders ausgedrückt: Damit die sozialen Indikatoren die Politik beeinflussen können, muss der Prozess Teil des Ergebnisses sein“ (Associés EKOS Inc. 1998).

5.21

Ferner stellt sich die Frage der Wahl des Gegenstands, der statistisch untersucht werden soll: sollen Individuen, Gemeinschaften oder Haushalte als kleinste wirtschaftliche und soziale Einheiten untersucht werden. Die Beschäftigung mit ethnischen Gruppierungen ist im Hinblick auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung problematisch, wäre aber sinnvoll, um Art und das Ausmaß von Diskriminierungen zu erfassen und Maßnahmen zu ihrer Reduzierung bzw. langfristigen Beseitigung vorzuschlagen.

5.22

Die Wahl der Statistiken und die Erstellung von Indikatoren können auch im Hinblick auf die Bewertung bereits laufender Maßnahmen oder zur Auslotung von Wahlmöglichkeiten erfolgen. Für den Beschluss von Maßnahmen ist ein umfangreicheres Spektrum statistischer Angaben erforderlich (Ziele und entsprechende Mittel), die im Folgenden eingegrenzt werden können, sobald sich geeignete Statistiken und Indikatoren abzeichnen. Diese Entscheidungen haben trotz allem eine stark empirische Ausrichtung, da es sich nicht um eine exakte Wissenschaft handelt und der gleiche Datensatz, der sowohl wirtschaftliche wie nicht-wirtschaftliche Daten enthält, verschiedene Interpretationsmöglichkeiten bieten kann.

5.23

Beispielsweise werden von der OECD für die Sozialindikatoren, die der Untersuchung „Gesellschaft auf einen Blick, 2005“ (siehe Literaturhinweise) zugrunde liegen, für jeden Indikator folgende Rohdaten erhoben:

Kontextindikatoren: Pro-Kopf-Nationaleinkommen, Altenquotient, Fertilitätsrate, Anteil der Ausländer und der im Ausland Geborenen an der Gesamtbevölkerung, Eheschließungen und Scheidungen;

Indikatoren für Autonomie: Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Haushalte ohne Erwerbstätige, erwerbstätige Mütter, Leistungen bei Nichterwerbstätigkeit, Sozialhilfe, Bildungsniveau, Renteneintrittsalter, Nichterwerbsbeteiligung von Jugendlichen, Schüler mit Benachteiligungen;

Indikatoren sozialer Gerechtigkeit: Armut, Einkommensungleichheit, Kinderarmut, Alterseinkommen, öffentliche Sozialausgaben, Sozialausgaben des privaten Sektors, Sozialausgaben insgesamt, Altersrenten, voraussichtliches künftiges Renteneinkommen;

Gesundheitsindikatoren: Lebenserwartung, um den Gesundheitszustand bereinigte Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Gesundheitsausgaben insgesamt, Langzeitpflege;

Indikatoren des sozialen Zusammenhalts: subjektives Wohlbefinden, soziale Isolierung, Mitgliedschaft in Vereinen, Geburten im Teenageralter, Suchtverhalten und damit zusammenhängende Todesfälle, Suizidraten.

5.24

Eurostat greift seinerseits auf folgende soziale Indikatoren zurück:

Strukturindikatoren

Beschäftigung: Beschäftigungsquote, Beschäftigungsquote älterer Erwerbstätiger, durchschnittliches Erwerbsaustrittsalter, geschlechtsspezifischer Lohnunterschied, Steuerquote von Niedriglohnempfängern, Steuerlast auf Arbeitskosten, Arbeitslosigkeitsfalle, lebenslanges Lernen, (schwere/tödliche) Arbeitsunfälle, (gesamte/geschlechterspezifische) Arbeitslosenquote;

sozialer Zusammenhalt: Ungleichheit der Einkommensverteilung, Armutsgefährdungsquote, Quote der dauerhaften Armutsgefährdung, Dispersion der regionalen Beschäftigungsquoten, frühe Schulabgänger, Langzeitarbeitslosenquote, Personen in erwerbslosen Haushalten.

nachhaltige Entwicklung

Armut und soziale Ausgrenzung: Armutsgefährdungsquote nach sozialen Transfers, monetäre Armut, Zugang zum Arbeitsmarkt, sonstige Aspekte der sozialen Ausgrenzung;

demografischer Alterungsprozess, Altenquotient, Angemessenheit der Renten, demografischer Wandel, Stabilität der öffentlichen Finanzen;

Gesundheit der Bevölkerung: gesunde Lebensjahre seit der Geburt (bei Männern und Frauen), Schutz der menschlichen Gesundheit und Lebensweisen, Nahrungsmittelsicherheit und -qualität, Umgang mit Chemikalien, Gesundheitsrisiken aufgrund von Umweltbedingungen.

Arbeitsmarkt

harmonisierte Arbeitslosigkeitsrate;

Arbeitskostenindex.

5.25

Es ist zu fragen, inwieweit diese und andere Indikatoren in folgende allgemeine Ziele der Methode der offenen Koordinierung (MOK) vom März 2006 wirkungsvoll einbezogen werden können:

Förderung des sozialen Zusammenhalts, Gleichstellung von Männern und Frauen sowie Chancengleichheit für alle durch soziale Sicherungssysteme und angemessene, zugängliche, finanzierbare, anpassungsfähige und effizientere Maßnahmen zur sozialen Eingliederung;

wirkungsvolles Zusammenspiel mit den Lissabon-Zielen zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums, zur qualitativen und quantitativen Verbesserung der Beschäftigung und zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts sowie mit der Strategie der Europäischen Union für nachhaltige Entwicklung;

Verbesserung des Regierens, der Transparenz und der Beteiligung der Betroffenen an der Entwicklung, Umsetzung und Überwachung der Politik.

5.26

Darüber hinaus müssen die für bestimmte Indikatoren verwandten Begriffe und Methoden präzisiert werden. So hat der Rat für Beschäftigung, Einkommen und sozialen Zusammenhalt (CERC) (19) die Vielschichtigkeit des Begriffs „Armut“ herausgestellt.

5.26.1

Demnach hat die Armut mehrere Dimensionen: ungenügende Geldmittel, schlechte Lebensbedingungen, unzureichende kognitive, soziale und kulturelle Ressourcen. Hinsichtlich jeder dieser Dimensionen gibt es zwei Ansätze zur Bestimmung der Armutssituationen:

Der erste Ansatz besteht in einer „absoluten“ Definition der Grundbedürfnisse. Die Personen, deren Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind, werden als arm definiert.

Der zweite Ansatz besteht in einer „relativen“ Definition der Armut. Dieser 1984 vom Europäischen Rat festgelegte Ansatz hat zu einer Armutsdefinition geführt, die den statistischen Arbeiten in der Europäischen Union zugrunde liegt. Ihr zufolge sind jene Personen arm, deren Einkommen und (materielle, kulturelle und soziale) Mittel derart ungenügend sind, dass sie über keine als akzeptabel geltenden Lebensbedingungen in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, verfügen können.

5.27

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die sozialen Indikatoren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Entscheidungsträger auf soziale Probleme lenken sollen, die sonst unterschätzt oder missverstanden werden könnten. Die Tatsache, dass sie grundlegende Fragen ins Bewusstsein der Entscheidungsträger rücken sollen, ist umso wichtiger, als letztere im Allgemeinen mit einem Übermaß an Informationen konfrontiert sind. Denn frei nach Herbert Simon führt Informationsflut zu Informationsverlust.

5.27.1

In funktionaler Hinsicht ergibt sich daraus, dass der Zweck der Indikatorsysteme die optimale Informationsaggregation ist.

5.28

Ein Indikator ist mehr als eine Statistik:

Ein Indikatorsystem geht über die bloße Datensammlung hinaus, was eine Reihe von Konsequenzen nach sich zieht:

1)

Jeder einzelne Indikator muss sich durch den Bezug zu einer Untersuchung der komplexen Phänomene, die er zusammenfassen soll, begründen lassen.

2)

In diesem Sinne müssen die Indikatoren über Aussagekraft verfügen, d.h. sie müssen in hohem Maße geeignet sein, die Realität darzustellen bzw. eine Vorstellung von der Realität zu geben. Mitunter ist hier von einer „metaphorischen“ Qualität der Indikatoren die Rede.

3)

Angesichts ihres Zwecks (sie sollen die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit auf die wichtigsten Tatsachen und Tendenzen aufmerksam machen, um auf die Politikgestaltung einzuwirken) beziehen sich die nützlichsten Indikatoren auf Größen, deren Schwankung durch einen eindeutigen (positiven oder negativen) Wert beeinflusst werden kann. In diesem Zusammenhang spricht man von „normativer Klarheit“. Ein Gegenbeispiel ist die Zunahme der Teilzeitarbeit, die nicht von allen als positives Phänomen betrachtet wird, sofern sie nicht vom Arbeitnehmer gewählt wurde. Dieses Kriterium der Klarheit kann dazu führen, dass eine bestimmte Anzahl von Indikatoren, die für unser Projekt von geringerer Bedeutung sind, z.B. bezüglich Lebensgewohnheiten und kulturellen Tendenzen (bevorzugte Kleidungs- oder Musikstile usw.) aus den Anzeigern entfernt werden, obwohl sie Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation und die Wirtschaft haben.

4)

Unter praktischen Gesichtspunkten ist es wünschenswert, die Wahl der Indikatoren mit ihrer Funktionalität zu begründen. Sie sind mehr oder weniger für folgende drei Verwendungsweisen geeignet: internationale oder interregionale Vergleiche, intertemporale Vergleiche, Weiterverfolgung und Bewertung der öffentlichen Maßnahme/Qualität und Leistung der öffentlichen Dienste.

5)

Schließlich müssen die Indikatoren in einem strukturierten Rahmen in Kategorien und Unterkategorien unterteilt werden, um ein gutes Gesamtverständnis zu ermöglichen. Insbesondere sind Kontext-, Mittel- und Ergebnisindikatoren sowie objektive und subjektive Indikatoren voneinander zu unterscheiden.

5.29

In der Praxis — Eigenschaften eines Indikators:

Eindeutigkeit: Ein Indikator ist nur dann nützlich, wenn es hinsichtlich der Natur des Phänomens, das er widerspiegelt, keine Doppeldeutigkeit gibt (typisches Gegenbeispiel: Daten über Verbrechen und Verstöße reflektieren sowohl die Entwicklung der Kriminalität als auch die Tätigkeit der Polizeidienste).

Repräsentativität: Ein Indikator ist umso nützlicher, je mehr Phänomene er in einer einzigen Zahl verlässlich zusammenfassen kann.

Normative Klarheit (siehe oben).

Zuverlässigkeit, Regelmäßigkeit: Die für die Erstellung des Indikators notwendigen Daten müssen regelmäßig durch zuverlässige Erhebungen erhoben werden.

Vergleichbarkeit in Zeit und/oder Raum (zwischen Ländern, Regionen usw.): Die Vergleichbarkeit steht in engem Zusammenhang mit der Eindeutigkeit und der Zuverlässigkeit.

5.30

Qualitäten eines Indikatorensystems:

Vollständigkeit: Die wichtigsten Aspekte des Phänomens, das untersucht werden soll, müssen berücksichtigt werden.

Ausgewogenheit: Anzahl und Status der Indikatoren, die für jedes Thema vorgesehen sind, müssen dessen relative Bedeutung widerspiegeln. Kein Aspekt der Wirklichkeit darf zu Ungunsten der übrigen Aspekte ungerechtfertigterweise bevorzugt werden.

Selektivität und/oder Hierarchie: Die Indikatoren müssen zahlenmäßig beschränkt oder klar hierarchisiert sein.

6.

Der EWSA fordert, die Abschätzung der sozialen Folgen der legislativen und politischen Initiativen der EU in alle Politikbereiche einzubinden. Mit anderen Worten: Die Kommission sollte die sozialen Folgen sämtlicher betroffener Initiativen sorgfältig untersuchen — ungeachtet der Frage, welche GD zuständig ist und um welches Thema es sich handelt. Das ist wichtig, wenn Europa wirklich ein „soziales Europa“ werden und die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger erlangen möchte. Die Initiative für eine bessere Rechtsetzung bietet die geeignete Grundlage für Schritte in diese Richtung.

6.1

Im Rahmen dieser Abschätzung sollten die Bevölkerungskreise, die von einem neuen Rechtsakt auf unterschiedliche Weise betroffen sein können, einzeln untersucht werden. Besondere Aufmerksamkeit gebührt dabei benachteiligten Gruppen wie Frauen, Behinderten oder Angehörigen ethnischer Minderheiten. In einigen Fällen könnte es abhängig vom Gegenstand der Initiative erforderlich sein, spezifische Untergruppen — wie z.B. Blinde — gesondert zu untersuchen.

7.   Schlussfolgerungen

7.1

Aus den vorstehenden Ausführungen sowie der öffentlichen Anhörung, die vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss am 28. März 2007 veranstaltet wurde, geht hervor, dass es aufgrund der Vielgestaltigkeit bestimmter Ansätze nicht möglich ist, einen sozialen Indikator anzulegen, der auf einem einheitlichen Kriterium beruht. Denn in der Debatte über soziale Fragen selbst werden ungenau definierte Begriffe verwendet, die sich zwangsläufig von Land zu Land oder von einer sozialen Realität zur anderen unterscheiden. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die Berücksichtigung bestimmter Indikatoren — oder auch nicht — über unterschwellige Werte oder ideologische Ausrichtungen Aufschluss geben kann. Die Wahl der Indikatoren hat ferner eine stark empirische Ausrichtung, die im Grunde jedwede starre Konzeption ausschließen dürfte.

7.2

Sicherlich ist es lobenswert und notwendig, wenn nicht gar unerlässlich, die Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger auf die sozialen Folgen einer geplanten Rechtsvorschrift hinzuweisen, wirft aber ein methodologisches Problem auf, da „Informationsflut zu Informationsverlust führt“. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die noch zu definierende Methodologie eines besonderen Einsatzes bedarf.

7.3

Der Ausschuss ist ferner der Auffassung, dass es zum gegenwärtigen Stand der Überlegungen von grundlegender Bedeutung ist, die Kommission u.a. auf die folgenden Qualitätskriterien hinzuweisen, die ein Indikator erfüllen muss:

Eindeutigkeit;

Repräsentativität;

Normative Klarheit;

Zuverlässigkeit und Regelmäßigkeit, ohne die Vergleichbarkeit in Zeit und/oder Raum zu vergessen. Ferner ist stets zu berücksichtigen, dass die Qualität eines Indikatorensystems selbst auf der erforderlichen Vollständigkeit, Ausgewogenheit und Selektivität und/oder Hierarchie beruht.

7.4

Der Ausschuss fordert die Kommission ebenfalls auf, die Abschätzung der sozialen Folgen der legislativen und politischen Initiativen der EU in alle Politikbereiche einzubinden, ungeachtet der Frage, welche Generaldirektion zuständig ist bei der Entscheidung, ob eine soziale Folgenabschätzung vorgenommen werden soll. Das ist von zentraler Bedeutung, wenn Europa wirklich ein „soziales Europa“ werden und die Unterstützung der Bürger erlangen möchte.

7.5

Der Ausschuss sollte den Fahrplan und die Folgenabschätzung gleichzeitig mit dem Vorschlag, zu dem er seine Stellungnahme abgeben soll, umfassend berücksichtigen. Es wäre sinnvoll, unverzüglich nach der Veröffentlichung der Mitteilung, die den Legislativvorschlag begleitet, mit den Arbeiten zu beginnen.

7.6

Es ist von zentraler Bedeutung, dass bei der Umsetzung sämtlicher Rechtsvorschriften, bei deren Erarbeitung eine Folgenabschätzung erfolgte, regelmäßig Bewertungen und eventuell Verbesserungen vorgenommen werden. Daran sollten die Sozialpartner und, falls erforderlich, auch die betroffenen NGO beteiligt werden. Dies ist für die Überprüfung der Stichhaltigkeit der bei der sozialen Folgenabschätzung eingesetzten Indikatoren und ihres Mischungsverhältnisses erforderlich, um daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls die Gesetzgeber aufzufordern, eine mögliche Überarbeitung zu erwägen.

7.7

In bestimmten Fällen von erstrangiger sozialer Bedeutung (z.B. Arbeitsrecht) sollte die Konsultation der Sozialpartner zu einem noch früheren Zeitpunkt erfolgen, um die am besten geeigneten Indikatoren zu suchen und eine möglichst vollständige und objektive Folgenabschätzung durchzuführen.

7.8

Die Initiative für eine bessere Rechtsetzung bietet zweifellos die geeignete Grundlage für Schritte in diese Richtung. Diese besteht darin, notwendige und wirksame Rechtsvorschriften vorzuschlagen, deren Folgen für die Adressaten vorhersehbar und von Bestand sind. Die Adressaten sollen von den beratenden Gemeinschaftsinstitutionen (EWSA und AdR) — je nach Art der vorgesehenen Rechtsvorschrift über die Sozialpartner oder die einschlägigen NGO in dem betreffenden Bereich — enger in den Prozess der Folgenabschätzung und -überprüfung eingebunden werden.

Brüssel, den 31. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Englische Abkürzung ‚IAs‘ für impact assessments.

(2)  „Europa gelingt gemeinsam“, Präsidentschaftsprogramm, 1. Januar — 30. Juni 2007, hrsg. von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland (vgl.:

http://www.eu2007.de).

(3)  Vgl.: „European Governance Reform: The Role of Sustainability Impact Assessment“, C. Kirkpatrick, S. Mosedale, Universität Manchester, 2002.

(4)  Das Parlament schlägt eine vierte Säule der Folgenabschätzungen vor, die die Grundrechte betrifft. Die Frage ist aber noch offen: Sollen die Grundrechte als eigenständiges Thema behandelt werden oder sind sie vielmehr ein Querschnittsthema der drei anderen Säulen? Grundrechtspezifische Auswirkungen sind aber in jedem Fall zu untersuchen.

(5)  Vgl.: „The inclusion of social elements in Impact Assessments“, S. 13, hrsg. vom „Istituto per la ricerca sociale“, Januar 2006 (Anm.d.Übers.: Dieser Text liegt nicht auf Deutsch vor). Dieses Institut hat in einem Zeitraum von drei Jahren (2003-2005) einschlägige Kommissionsdokumente (Beschlüsse, Verordnungen, Mitteilungen und Richtlinien) zusammengestellt.

(6)  Im Juli 2005 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Leitlinien für die Folgenabschätzung (SEK(2005) 791). Vgl. auch:

http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/better_regulation/impact_assessment/docs/sec_2005_791_guidelines_annexes.pdf.

(7)  Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Analyse impliziert Schwankungen bei der Detailbeschreibung der wahrscheinlichen Folgen des Vorschlags. Das bedeutet, dass die Genauigkeit der Untersuchung proportional zur Bedeutung der Folgen ist (vgl. KOM(2002) 276).

(8)  „The inclusion of social elements in Impact Assessments“, S. 28 (Anm.d.Übers.: Dieser Text liegt nicht auf Deutsch vor).

(9)  Ebd., S. 30.

(10)  Ebd., S. 31.

(11)  Ebd., S. 77.

(12)  Bernard PERRET, „Indicateurs sociaux, état des lieux et perspectives“, les Papiers du CERC, Nr. 2002/01,

www.cerc.gouv.fr

(13)  ‚Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit läuft stets Gefahr, in eine Bekämpfung der Arbeitslosenzahlen auszuarten‘, siehe: Jean-Baptiste de Foucault, in Joelle Affichard ‚La pertinence des indicateurs statistiques pour le pilotage des politiques sociales‘ Institut Paris La Défense.

(14)  Bernard PERRET, „Indicateurs sociaux, état des lieux et perspectives“, in: Les Papiers du CERC, Nr. 2002/01,

www.cerc.gouv.fr.

(15)  Die Reform der GMO Bananen der GAP zeigt, dass in Ermangelung von alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten in den Erzeugergebieten in äußerster Randlage der EU, die bereits eine hohe Arbeitslosigkeit aufweisen, unwiderrufbar insgesamt zehntausende von Vollzeitarbeitsplätzen verloren gehen. Man war entschlossen, trotz hoher sozialer Kosten unbedingt auf Anordnung der WTO eine Reform der GMO durchzuführen.

(16)  Siehe Folgenabschätzung zu diesem Thema, die den Geldwert geretteter Leben und vermiedener Krankheiten beziffern möchte. In einer Folgenabschätzung jüngeren Datums (zum Richtlinienvorschlag zu Pestiziden) wird darauf verzichtet.

(17)  Grünbuch über die Entwicklung des Arbeitsrechts.

(18)  Les Associés de Recherche EKOS Inc.: „L'utilisation d'indicateurs sociaux comme instruments d'évaluation“, 1998 (Für die kanadische Regierung erarbeiteter Bericht über die Verwendung sozialer Indikatoren als Bewertungsinstrumente).

(19)  http://www.cerc.gouv.fr


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Umsetzung der Richtlinie 1997/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz“

KOM(2006) 514 endg.

(2007/C 175/07)

Die Kommission beschloss am 21. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 61 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Mit dieser Mitteilung zu der Richtlinie 1997/7/EG erstattet die Kommission dem Rat, dem Europäischen Parlament und dem EWSA Bericht über die Ergebnisse der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie und eröffnet zugleich eine öffentliche Konsultation der interessierten Kreise mit dem Ziel, deren Meinung einzuholen. Die Kommission hält es jedoch nicht für angemessen, einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie vorzulegen, solange die umfassendere „Dialogphase“ im Rahmen der Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz („Acquis“) nicht abgeschlossen ist.

1.2

Der EWSA begrüßt die Initiative, merkt jedoch an, dass die Mitteilung im Vergleich zu den in der Richtlinie gesetzten Fristen verspätet vorgelegt wird. Er stimmt zum großen Teil den Bemerkungen der Kommission zu, von denen sich im Übrigen viele in seinen früheren Stellungnahmen finden (insbesondere in seinen Stellungnahmen zu den Richtlinienvorschlägen für den Fernabsatz im Allgemeinen und den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen im Besonderen), und teilt die Auffassung der Kommission, dass die Regelungen dieser Richtlinie mit anderen Rechtsinstrumenten in Einklang gebracht werden müssen, die in der Zwischenzeit — mitunter ohne die unverzichtbare Koordinierung und Verknüpfung — geschaffen wurden.

1.3

Der EWSA ist jedoch der Meinung, dass eine Überarbeitung dieser Rechtsvorschriften gleichzeitig mit den Vorschriften über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen sowie über bestimmte Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs am besten sofort stattfinden sollte, anstatt abzuwarten, bis die Arbeiten im Zusammenhang mit dem gemeinschaftlichen „Acquis“ im Verbrauchervertragsrecht abgeschlossen sind, um die auf verschiedene Rechtsinstrumente verteilten Bestimmungen in ihrer Gesamtheit zugänglicher und verständlicher zu gestalten.

1.4

Mit diesem Ziel vor Augen fordert der EWSA die Kommission auf, eine ausführliche Analyse der Antworten vorzunehmen, die auf ihre öffentliche Konsultation hin inzwischen eingegangen sind, diese um zuverlässige statistische Angaben darüber, wo und in welchem Umfang der Fernabsatz im Binnenmarkt zur Anwendung kommt, zu ergänzen und schließlich eine öffentliche Anhörung der interessierten Kreise durchzuführen.

1.5

Der EWSA stimmt den Vorschlägen der Kommission bezüglich einer besseren Formulierung und Strukturierung der Richtlinie grundsätzlich zu, bekräftigt jedoch seinen bereits in früheren Stellungnahmen vertretenen Standpunkt, dass sie sich nicht auf die Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern beschränken sollte, sondern dass es eine große Verbesserung wäre, ihren Geltungsbereich zu überdenken und in den wesentlichen Aspekten mit dem der Rechtsvorschriften über den elektronischen Geschäftsverkehr in Übereinstimmung zu bringen.

1.6

Der EWSA ist anderer Meinung als die Kommission, was die Konsequenzen der Anwendung der „Mindestklausel“ angeht, die seiner Meinung nach nicht für die zu Recht angeprangerten Schwierigkeiten bei der Anwendung der Richtlinie verantwortlich ist; es spricht jedoch nichts dagegen, die Möglichkeit einer vollständigen Harmonisierung mittels einer Verordnung ins Auge zu fassen, sofern ein höheres Verbraucherschutzniveau gewährleistet ist.

1.7

Um einen Beitrag zu einer tiefgreifenden Überarbeitung der einschlägigen Rechtsvorschriften über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz zu leisten, gibt der Ausschuss eine ganze Reihe von spezifischen Bemerkungen und Empfehlungen ab. Beim derzeitigen Entwicklungsstand des Binnenmarktes wäre die Berücksichtigung dieser Bemerkungen empfehlenswert, um die Verbrauchersicherheit und das Verbrauchervertrauen zu fördern, indem für diese Art von Transaktionen ein Schutzniveau garantiert wird, das dem gleichwertig ist, das die Verbraucher bei in Anwesenheit der Parteien geschlossenen und erfüllten Verträgen genießen.

1.8

Der EWSA weist überdies darauf hin, dass ein besonderer Schwerpunkt auf der effektiven Information der Vertragsparteien und insbesondere der am wenigsten gut informierten Vertragsparteien liegen muss, die durch wirksame Sanktionen für rechtswidrige Praktiken flankiert werden muss.

2.   Wesentlicher Inhalt der Kommissionsmitteilung

2.1

Mit der Mitteilung der Kommission zu der Richtlinie 1997/7/EG vom 20. Mai 1997 [KOM(2006) 514 endg. vom 21. September 2006] sollen der Rat, das Europäische Parlament und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Umsetzung und Anwendung dieser Richtlinie während des seit ihrer Veröffentlichung vergangenen Zeitraums von ungefähr zehn Jahren unterrichtet werden. Die Kommission kommt damit — wenn auch mit einer Verspätung von ca. sechs Jahren — ihrer Verpflichtung aus Artikel 15 Absatz 4 der Richtlinie nach.

2.2

Die Kommission zeigt einige Probleme bei der Anwendung (1) der Richtlinie auf, die angeblich hauptsächlich auf ihre „Formulierung“ sowie auf „Übersetzungsschwierigkeiten“ in einigen Sprachfassungen zurückzuführen sind. Daneben führt sie aus, inwiefern sich ihrer Meinung nach „- bedingt durch die Inanspruchnahme der Mindestklausel — die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie […] wesentlich unterscheiden“, und dass sich die Richtlinie möglicherweise nicht bewährt hat, um auch „neue Technologien und Absatztechniken“ zu erfassen.

2.3

Und schließlich legt die Kommission einen bis zum 21. November 2006 zu beantwortenden „Fragebogen“ vor, der als Rahmen für die „öffentliche Konsultation“ der interessierten Kreise dienen soll, um die Beobachtungen der Kommission zu belegen bzw. zu entkräften, und zieht außerdem die Durchführung einer öffentlichen Anhörung in Erwägung.

2.4

Die Kommission räumt zwar ein, dass die geschaffenen Regelungen Gestaltungsmängel aufweisen und Auslegungsprobleme aufwerfen, die die Anwendung erschweren, hält es jedoch für „nicht angemessen“, einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie vorzulegen, solange die „Diagnosephase“ im Rahmen der Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz („Acquis“), für die keine feste Frist vorgegeben ist, nicht abgeschlossen ist.

2.5

Bereits während der Ausarbeitung der vorliegenden Stellungnahme hat die Kommission 84 Antworten auf die vorgenannte Konsultation ins Internet gestellt und ein Arbeitsdokument vorgelegt, in dem ein großer Teil der eingegangenen Antworten zusammengefasst wird. Es wird vorgeschlagen, die Analyse der restlichen Antworten abzuschließen und eine vertieftere Folgenabschätzung durchzuführen.

3.   Wichtigste Bemerkungen des EWSA zu den Feststellungen der Kommission

3.1   Allgemeine Bemerkungen

3.1.1

Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission, bemängelt jedoch, dass sie nicht zu dem ursprünglich vorgesehenen Termin (Juni 2001) oder zumindest innerhalb von vier Jahren nach der Frist für ihre Umsetzung (Juni 2004) erfolgt ist. Er ist der Auffassung, dass die meisten der jetzt behandelten Fragen bereits vor mindestens drei Jahren hätten überprüft und bewertet werden können, was eindeutig von Vorteil gewesen wäre.

3.1.2

Der EWSA weist außerdem darauf hin, dass er viele der jetzt in der Mitteilung angesprochenen Fragen bereits in seinen Stellungnahmen aufgeworfen hatte, und zwar sogar noch während der Ausarbeitung der Richtlinie.

In seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (2) hatte er bereits auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, einige der Definitionen in Artikel 2 der Richtlinie zu überarbeiten, insbesondere bezüglich der unter die Richtlinie fallenden Verträge sowie der Bestimmung des Begriffs „Verbraucher“.

Zum andern hatte der EWSA bereits die Auffassung vertreten, dass die Kommission klarere Regelungen für das in der Richtlinie vorgesehene Widerrufsrecht vorsehen sollte, das seiner Meinung nach im Kontext des Rechts auf Bedenkzeit gesehen werden muss. Das Widerrufsrecht darf nicht mit dem Recht des Verbrauchers verwechselt werden, einen Vertrag zu kündigen, wenn dieser nicht erfüllt wurde oder wenn betrügerische Praktiken festgestellt werden, und darf dieses Recht auch nicht in Frage stellen.

Der EWSA hatte überdies darauf hingewiesen, dass ein Widerrufsrecht von 7 Tagen unter dem in anderen Richtlinien und in den bereits in einigen Mitgliedstaaten bestehenden Rechtsvorschriften geltenden Zeiträumen liegt, und der Kommission geraten, die Fristen für die Wahrnehmung dieses Rechts zu vereinheitlichen. Die Forderung des EWSA nach Klarstellung der Regelungen für die Bedenkzeit wurde in der Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (3) ebenfalls bekräftigt.

Auch in den renommiertesten Fachkreisen wird in diesen Punkten bereits seit langem Kritik geübt (4).

3.1.3

Der EWSA ist überrascht über die Aussage, dass der Kommission keine Informationen über das Datum des Inkrafttretens der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in verschiedenen Mitgliedstaaten vorliegen (5), und hält es auch für verwunderlich, dass angesichts der eklatanten Verstöße einiger Mitgliedstaaten bei der Umsetzung nichts über Verstoßverfahren gegen diese Mitgliedstaaten oder den Ausgang derartiger Verfahren vermerkt wird.

3.1.4

Außerdem wäre es nach Ansicht des EWSA für ein wirklich partizipatives Vorgehen passender gewesen, wenn die öffentliche Konsultation der Mitteilung vorausgegangen wäre, statt im Anschluss daran stattzufinden; dadurch hätte vermieden werden können, dass sich viele Beobachtungen und Feststellungen der Kommission lediglich auf subjektive „Eindrücke“ oder „Meinungen“ (6) stützen.

Der Ausschuss erinnert im Übrigen an den Bericht vom 10. März 2000 über Verbraucherbeschwerden im Zusammenhang mit Fernabsatz (KOM(2000) 127 endg.) und empfiehlt ein ähnliches Vorgehen, in diesem Fall anhand einer objektiven Analyse aller auf die öffentliche Konsultation hin eingegangenen Antworten, indem die Daten aktualisiert und abgeglichen werden, um so eine objektive Ausgangsgrundlage für Überlegungen zu schaffen.

3.1.5

Unter den gegebenen Umständen unterstützt der EWSA die Anregung der Kommission und dringt auf die Durchführung einer öffentlichen Anhörung mit allen interessierten Parteien, wobei dieses Thema allerdings nicht in der weitergefassten Debatte über den gemeinschaftlichen Besitzstand im Verbraucherrecht untergehen darf, zu dem erst kürzlich eine umfangreiche technische Studie von rund 800 Seiten (7) sowie das „Grünbuch“ der Kommission (8) veröffentlicht wurde.

3.1.6

Angesichts der Art und Weise, wie die Arbeiten im Zusammenhang mit dem Gemeinsamen Referenzrahmen (9) vonstatten gehen, bezweifelt der EWSA, dass es nützlich oder ratsam wäre, die Überarbeitung der hier erörterten Richtlinie vom Abschluss der Arbeiten und Konsultationen zu dem gesamten gemeinschaftlichen Besitzstand im Verbraucherrecht sowie den schließlich getroffenen Entscheidungen abhängig zu machen, auch wenn es sich nur um die komprimierte Fassung handelt, die von der Kommission zuletzt vorgelegt wurde (10).

3.1.7

Nach Ansicht des EWSA könnte es außerdem ratsam sein, über die Rechtsnatur des bei einer künftigen Überarbeitung der Richtlinie zu verwendenden Gemeinschaftsinstruments nachzudenken, sofern man zu der Auffassung gelangt, dass die Voraussetzungen gegeben sind, um die wesentlichen Aspekte in diesem Bereich auf dem Wege einer Verordnung zu regeln (11), wobei die maßgeblichen Zielsetzungen gewahrt bleiben müssen — d.h. die Wiederherstellung des Gleichgewichts und der Gleichheit zwischen den Parteien, wie dies bei geschäftlichen Transaktionen in Anwesenheit der Parteien zu erwarten ist.

3.2   Besondere Bemerkungen

3.2.1

Die Kommissionsmitteilung enthält zwei Arten von Bemerkungen/Kommentaren zu der Richtlinie:

a)

zur Abfassung und zum Aufbau und

b)

zur Anwendung der Richtlinie.

A)   Abfassung/Aufbau der Richtlinie

3.2.2

Was die Abfassung und den Aufbau der Richtlinie angeht, stimmt der EWSA der Kommission in folgenden Punkten zu:

a)

einige Begriffe und Definitionen müssen genauer herausgearbeitet werden (12);

b)

die Fristen und Modalitäten für die vorherige Unterrichtung müssen deutlicher angegeben werden, um abweichende Auslegungen zu vermeiden;

c)

einige Bestimmungen müssen mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Einklang gebracht werden (13);

d)

es ist eine verstärkte Unterrichtung über die Preise für Premium Rate Services notwendig;

e)

es besteht die Notwendigkeit einer vollständigeren Charakterisierung, Kategorisierung und Definierung der Rücktrittsfrist („cool down“) in ihrer Doppelfunktion als Maßnahme zum Schutz des vertraglichen Willens, um das volle Einverständnis des Verbrauchers zu garantieren, und als Sanktion für die Nichteinhaltung der Formalitäten, die der Anbieter erfüllen muss, um seiner Unterrichtungspflicht nachzukommen  (14), im Gegensatz zu den ähnlichen, aber juristisch klar unterschiedenen Konzepten der „Bedenkzeit“ („warm up“), des Widerrufs- und Kündigungsrechts;

f)

der Vereinheitlichung bedürfen auch die vorgenannte Frist, die Art ihrer Berechnung, die — insbesondere finanziellen — Auswirkungen, ihre Wahrnehmung (Rückzahlung, Rückgabe usw.), der Mangel aufgrund ihres ausdrücklichen oder stillschweigenden Ausschlusses in Verträgen sowie die Ausnahmeregelungen (15);

g)

es muss insbesondere der Ausschluss der „Auktionen“ überprüft werden, wobei nicht nur berücksichtigt werden muss, dass derselbe Begriff in den verschiedenen Übersetzungen und nationalen Rechtstraditionen unterschiedliche juristische Bedeutung hat (16), sondern auch, dass Internet-„Auktionen“ spezifische Probleme mit sich bringen, die zum Zeitpunkt der Ausarbeitung der Richtlinie nicht vorstellbar waren (17).

3.2.3

In folgenden Punkten ist der EWSA jedoch anderer Ansicht als die Kommission:

a)

bezüglich der Tatsache, dass Finanzdienstleistungen von vornherein völlig aus einer einzigen Richtlinie über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz ausgeklammert werden (18);

b)

bezüglich der Zweckmäßigkeit, die Unterscheidung zwischen den Richtlinien über „Vertragsabschlüsse im Fernabsatz“ und der Richtlinie über den „elektronischen Geschäftsverkehr“ beizubehalten, da sie sich inhaltlich teilweise überlappen und da sie in wesentlichen Aspekten einander widersprechende Bestimmungen für identische Sachverhalte enthalten (19), was nur damit begründet werden könnte, dass der interne „Ursprung“ der Rechtstexte nicht derselbe ist oder dass sie zwischen den Diensten nicht gebührend abgestimmt wurden.

3.2.4

Der EWSA empfiehlt außerdem, dass sich die Kommission bemühen sollte, die Bestimmungen über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz, die auf verschiedene Rechtsinstrumente verteilt sind, in ihrer Gesamtheit zugänglicher und verständlicher zu gestalten.

B)   Anwendung der Richtlinie

3.2.5

Was die Anwendung der Richtlinie angeht, kann der EWSA — in Anbetracht seiner Kenntnis bestimmter Erfahrungen in einigen Mitgliedstaaten — den Bemerkungen der Kommission alles in allem zustimmen, ist allerdings der Ansicht, dass eine gründlichere Auseinandersetzung mit der Thematik notwendig ist, um einen erschöpfenden und nicht nur rein kursorischen Überblick über die Divergenzen/Unvereinbarkeiten bei der Umsetzung/Auslegung der Richtlinie in sämtlichen Mitgliedstaaten zu erhalten.

Er fordert die Kommission daher eindringlich auf, im Anschluss an die Analyse der auf den Fragebogen hin eingegangenen Antworten auf der Grundlage der Ergebnisse eine derartige Untersuchung vorzunehmen.

Außerdem hat die Kommission bislang keine statistischen Daten vorgelegt, anhand derer die relative Bedeutung des Fernabsatzes an Verbraucher im Rahmen der grenzüberschreitenden Geschäfte oder sein Anteil an den Verbraucherverträgen in den einzelnen Mitgliedstaaten bewertet werden kann; derartige Informationen können nicht mit der notwendigen Objektivität den jüngsten Eurobarometer-Daten (20) entnommen werden, sind jedoch unverzichtbar, um die Kriterien für die Aufnahme in die Richtlinie und die Berechtigung der in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen zu bewerten.

3.2.6

Der EWSA betrachtet mit Besorgnis die Haltung der Kommission, die auf der einen Seite verschiedene Probleme bei der Umsetzung der Richtlinie aufzeigt, auf der anderen Seite jedoch Zweifel an ihrer Relevanz für das Vertrauen der Verbraucher bekundet, auf Änderungen verzichtet und keine energischen Maßnahmen zur Lösung der Umsetzungsprobleme ankündigt.

3.2.7

Zunächst einmal stellt die Kommission in Bezug auf den Geltungsbereich der Richtlinie 1997/7/EG selbst fest, dass die vorgesehenen Ausnahmen in den Mitgliedstaaten unterschiedlich umgesetzt wurden und einige dieser Ausnahmen überdacht werden müssen. Der EWSA ersucht daher die Kommission, in diesem Bereich konkretere Initiativen zu ergreifen.

3.2.8

Was die Auswirkungen der Inanspruchnahme der „Mindestklausel“ angeht, teilt der EWSA nicht die Ansicht der Kommission, dass alle von ihr aufgeführten Problemfälle auf eine unkorrekte Anwendung der Mindestklausel gemäß Artikel 14 zurückzuführen sind.

3.2.8.1

Der EWSA ist im Gegenteil der Meinung, dass die festgestellten tatsächlichen Diskrepanzen zumeist nicht die Folge eines unkorrekten Gebrauchs der Mindestklausel sind, sondern auf bereits aufgezeigte Mängel bei der Konzipierung, Formulierung und Umsetzung der Richtlinie zurückzuführen sind.

3.2.8.2

Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass die Mindestklausel, die es den Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit Artikel 153 des EG-Vertrags erlaubt, bei Richtlinien zur Mindestharmonisierung strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen, ein nützliches Instrument für einen hohen Verbraucherschutz ist, das es ermöglicht, die kulturellen, sozialen und juristischen Besonderheiten der Systeme in den einzelnen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.

3.2.8.3

Desungeachtet spricht sich der EWSA dafür aus, bestimmte Rechtsbereiche vollständig zu harmonisieren — vorzugsweise auf dem Wege einer Verordnung, um ihre einheitliche Anwendung sicherzustellen, wie dies auch bei der hier erörterten Richtlinie der Fall sein könnte —, wenn ein höheres Verbraucherschutzniveau effektiv gewährleistet werden kann.

C)   Nicht behandelte Fragen

3.2.9

Nach Ansicht des EWSA sollten bei einer Überarbeitung der Richtlinie weitere Fragen nochmals überprüft werden, die in der Mitteilung nicht behandelt wurden.

3.2.10

Dies gilt insbesondere für folgende Punkte:

a)

die Zweckmäßigkeit, die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen parallel zu der hier erörterten Richtlinie zu überarbeiten; der Ausschuss vertritt hier ausdrücklich eine andere Auffassung als die Kommission in ihrer Mitteilung vom 6.4.2006 (KOM(2006) 161 endg.);

b)

die Beibehaltung des Grundsatzes der „ausschließlichen“ Verwendung von Fernkommunikationstechniken statt einer „überwiegenden“ Verwendung (Artikel 2 Absatz 1);

c)

die Rechtsnatur des Vertragsangebots als Kaufaufforderung und die wesentliche Bedeutung seiner Bedingungen und Merkmale als wesentliche Elemente des Gegenstands des Kaufvertrags selbst;

d)

die „Beweislast“ insgesamt, die in der Richtlinie nicht bzw. nur schlecht geregelt ist, indem auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten verwiesen wird, die auf Verbraucherverträge anzuwenden sind, sofern nicht der in Artikel 11 Absatz 3 vorgesehene Mechanismus der Umkehrung der Beweislast zur Anwendung kommt;

e)

die Beibehaltung der Beziehungen zu den „Verbrauchern“ — unabhängig von der Diskussion über die Richtigkeit der entsprechenden Definition, worüber die Meinungen auseinandergehen — als einziger Schwerpunkt der Richtlinie, wo doch die Materie generell mit einer bestimmten Form des Verkaufs mit bestimmten Merkmalen zu tun hat und nicht einzig und allein mit dem Empfänger, wie dies im Übrigen in der Richtlinie über den „elektronischen Geschäftsverkehr“ zu Recht vorgesehen ist;

f)

die Klarstellung, was unter „Fernkommunikationstechnik“ und „für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem“ zu verstehen ist, und die Notwendigkeit eines eingehenderen Nachdenkens über die Berechtigung der Beibehaltung dieses Kriteriums und über die Gründe, die dafür sprechen, Verbraucher, die Verträge im Fernabsatz mit Unternehmen schließen, die diese Mittel nur sporadisch nutzen, von dem speziellen Schutz auszunehmen;

g)

die Beibehaltung der ungerechtfertigt erscheinenden Ausnahmeregelungen für Pauschalreisen, Teilnutzungsrechte an Immobilien und den Fernabsatz von Lebensmitteln, die nicht unter die Richtlinie fallen;

h)

die Nichtaufnahme der Kundendienstleistungen und Händlergarantien in die Liste der Informationen, die der Verbraucher vor Abschluss eines Vertrages erhalten muss und die im Einklang mit der Richtlinie über Garantien überarbeitet werden muss (21);

i)

die Regelung des Nießbrauchrechts, der Verwahrungspflicht und des Risikos des Verlusts oder der Beschädigung der Sache während der Rücktrittsfrist sowie während ihrer Beförderung vom Verkäufer zum Verbraucher und umgekehrt, im Falle ihrer Rückgabe unabhängig von den Gründen (Rücktritt oder Nichtkonformität/Mangel/Schaden) und in Verbindung mit den Regelungen gemäß der Richtlinie über Garantien;

j)

die Frage der Vertragssprache, die nicht mehr den „Mitgliedstaaten“ überlassen bleiben sollte (Erwägungsgrund 8);

k)

die Definition, was unter „Werktag“ im Gemeinschaftsrecht zu verstehen ist, da dies für eine einheitliche Berechnung der Fristen entscheidend ist, insbesondere bei grenzüberschreitenden Geschäften, oder schlicht und einfach die Angabe sämtlicher Fristen in aufeinanderfolgenden Kalendertagen;

l)

die Form der Benachrichtigung über die Wahrnehmung des Rücktrittsrechts — mit Empfangsbestätigung oder nicht — mit den jeweiligen rechtlichen Folgen;

m)

die Vermeidung der Risiken der Nichterfüllung des Vertrags und die Regelung im Falle einer nicht in allen Punkten vertragsgemäßen oder einer mangelhaften Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen zur Lieferung der Waren bzw. Erbringung der Dienstleistungen (22);

n)

die Beibehaltung der Ausklammerung von Gütern, die nach den Spezifikationen des Verbrauchers hergestellt werden;

o)

die Notwendigkeit einer stärkeren Beachtung des immer häufiger auftretenden Phänomens von Verkaufsgesprächen per Telefon oder Mobiltelefon („M-Commerce“), wobei die Festlegung einer allgemeinen „Opt-in“-Regelung zum Schutz gegen unerwünschte Angebote in Erwägung gezogen werden sollte;

p)

der Verweis in den Bestimmungen der Richtlinie auf Fragen der Fälschung und der Zertifizierung von Gütern sowie auf den Schutz der Urheberrechte und der damit verbundenen Rechte, die im Fernabsatz eine besondere Schwachstelle sind;

q)

die Ausweitung der Informationspflicht auf alle interessierten Parteien, insbesondere auf die schutzbedürftigsten Verbrauchergruppen wie z.B. Minderjährige, alte Menschen und Menschen mit Behinderung ähnlich den Bestimmungen, die in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken bereits vorgesehen sind;

r)

die Notwendigkeit, wirksame und ausreichend abschreckende Sanktionsregelungen für die Nichterfüllung der in der Richtlinie enthaltenen Verpflichtungen vorzusehen.

3.2.11

Nach Auffassung des EWSA ist eine angemessene Auseinandersetzung mit diesen Fragen von entscheidender Bedeutung, um das Ziel der Richtlinie zu verwirklichen — nämlich sicherzustellen, dass die Verbraucher bei Transaktionen von Gütern und Dienstleistungen im Fernabsatz ein genauso hohes Schutzniveau genießen wie bei Verträgen, die in Anwesenheit der Parteien geschlossen werden.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Bei ihren Bemerkungen und Kommentaren will die Kommission Aspekte wie „unbestellte Waren oder Dienstleistungen“, „Zahlungen per Bezahlkarte“ und „Rechtsbehelfe bei Gericht oder Verwaltungsbehörden“ ausdrücklich ausklammern.

(2)  EWSA-Stellungnahme veröffentlicht in ABl. C 19 vom 25.1.1993, S. 111, Berichterstatter: Roberto BONVICINI.

(3)  EWSA-Stellungnahme veröffentlicht in ABl. C 169 vom 16.6.1999, S. 43, Berichterstatter: Manuel ATAÍDE FERREIRA.

(4)  Vgl. zu sämtlichen Punkten „La protection des consommateurs acheteurs à distance“, Protokolle des vom CEDOC veranstalteten Kolloquiums, Hrsg. Bernd Stauder, 1999, wobei insbesondere die Texte von Hans MICKLITZ, Jules STUYCK, Peter ROTT und Geraint HOWELLS hervorzuheben sind (Bruylant, 1999).

(5)  Belgien(?), Ungarn, Lettland, Litauen.

(6)  Vgl. z.B. Abschnitt 3 zweiter Absatz „… dürfte nach ihrer Einschätzung …“ und dritter Absatz „Die Kommission ist der Über-zeugung …“.

(7)  „EC Consumer Law CompendiumComparative Analysis“, Prof. Dr. Hans Schulte-Nolke, Dr. Christian Twigg-Flesner und Dr. Martin Ebers, 12.12.2006, Universität Bielefeld (erstellt für die Europäische Kommission im Rahmen des Dienstleistungs-auftrags Nr. 17.020100/04/389299: „Annotated Compendium including a comparative analysis of the Community consumer acquis“).

(8)  KOM(2006) 744 endg. vom 8.2.2007; für die Ausarbeitung der Stellungnahme zu diesem Grünbuch wurde eine Studiengruppe eingesetzt, Berichterstatter wird Herr ADAMS sein.

(9)  Dessen Nutzen in einigen der besten neueren Fachveröffentlichungen in Frage gestellt wird (vgl. „The need for a European Contract LawEmpirical and Legal Perspectives“, JAN SMITS, Europa Law Publishing, Groningen, 2005).

(10)  Von ursprünglich 22 gemeinschaftlichen Rechtsinstrumenten, die die Kommission im Mai 2003 aufgeführt hatte, wurde der Umfang mittlerweile auf nur 8 Richtlinien verkleinert.

(11)  Die Entscheidung für eine Verordnung würde es ermöglichen, die verschiedenen von der Kommission aufgezeigten Problemfälle zu lösen, in denen die Richtlinie nicht oder nicht richtig umgesetzt wurde, z.B. bezüglich Artikel 4 Absatz 2 über den Grundsatz der Lauterkeit oder Artikel 6 über Rückzahlungen bei Widerruf und die Regelungen für die Fälle, in denen das Widerrufsrecht nicht ausgeübt werden kann. In einer solchen Verordnung könnte z.B. insbesondere Folgendes geregelt werden: Begriffsbestim-mungen, materieller und personeller Geltungsbereich und die jeweiligen Ausnahmen, Struktur, Inhalt, Umfang der Informationen und Zeitpunkt der Unterrichtung, Ausübung und Konsequenzen des Widerrufsrechts, Erfüllung des Vertrags und Zahlungs-modalitäten sowie die besonders im Handel anzuwendenden Grundsätze der Lauterkeit.

(12)  Z.B. die Begriffe „Vertriebssystem“, „Betreiber einer Kommunikationstechnik“, „Rechte an Immobilien“, insbesondere Teilzeit-nutzungs-rechte („Timesharing“), „häufige und regelmäßige Fahrten“, „Beförderung“ einschließlich Autovermietung, „besondere Umstände“, „dauerhafte Datenträger“ usw.

(13)  Richtlinie 2005/29/EG vom 11. Mai 2005, ABl. L 149 vom 11.6.2006; EWSA-Stellungnahme: ABl. C 108 vom 30.4.2004.

(14)  Vgl. Cristine AMATO, „Per un diritto europeo dei contratti con i consumatori“, S. 329, Gruffé Editore, Milano, 2003.

(15)  Es ist daran zu erinnern, dass der Rat bei der Annahme der Richtlinie 97/7/EG eine Erklärung abgab, in der er die Kommission aufforderte, die Möglichkeit einer Harmonisierung der Berechnungsmethode für die Bedenkzeit in den Verbraucher-schutzricht-linien zu prüfen.

(16)  Der Begriff „leilão“ im portugiesischen Recht deckt sich juristisch nicht mit „vente aux enchères“, „auction“ und „vendita all'asta“ im französischen, angelsächsischen bzw. italienischen Recht.

(17)  Siehe den wichtigen Artikel von Prof. Gerard SPINDLER von der Universität Göttingen „Internet-Auctions versus Consumer Protection: The Case of the Distant Selling Directive“, in „German Law Journal“, Vol. 6 2005, S. 725 ff.

(18)  Diese Auffassung hatte er im Übrigen bereits in seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (CESE-Stellungnahme veröffentlicht in ABl. C 169 vom 16.6.1999, S. 43, Berichterstatter: Manuel ATAÍDE FERREIRA) vertreten; das Europäische Parlament gelangte in seinen beiden Lesungen zu derselben Meinung.

(19)  Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 (ABl. L 178 vom 17.7.2000); diese Auffassung hatte er im Übrigen bereits in seiner Stellung-nahme zu dieser Richtlinie vertreten (ABl. C 169 vom 16.6.1999, S. 36, Berichterstatter: Harald GLATZ).

(20)  Vgl. Special Eurobarometer 252, „Consumer protection in the Internal Market“, September 2006, im Auftrag der GD Gesundheit und Verbraucherschutz und koordiniert von der GD Kommunikation, deren Daten indessen einige Rückschlüsse auf die allge-meinen Tendenzen bei der Haltung der Verbraucher angesichts der Maßnahmen der Gemeinschaft zur Vollendung des Binnen-marktes erlauben.

(21)  Richtlinie 1999/44/EG vom 25. Mai 1999 (ABl. L 171 vom 7.7.1999). Der EWSA hatte bereits in seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über den Fernabsatz darauf hingewiesen, dass die Verbraucher über die Existenz von Garantie-regelungen insbesondere bei Nichterfüllung oder verspäteter Erfüllung des Vertrags unterrichtet werden sollten.

(22)  Der EWSA hat seinen Standpunkt in dieser Sache bereits in seiner Stellungnahme zu der Richtlinie über den Fernabsatz kund-getan, in der er die Kommission auf die Notwendigkeit aufmerksam machte, die Wahrung der finanziellen Interessen und die Vermeidung der aus der Nichterfüllung des Vertrags entstehenden Risiken sicherzustellen, z.B. mittels der Festlegung von Ver-tragsstrafen. Der EWSA schlug außerdem vor, von den in dieser Branche tätigen Unternehmen einen Garantiefonds für derartige Fälle schaffen zu lassen.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 78/855/EWG des Rates betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften und der Richtlinie 82/891/EWG des Rates betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften hinsichtlich des Erfordernisses der Prüfung des Verschmelzungs- oder Spaltungsplans und der Erstellung eines Berichts durch einen unabhängigen Sachverständigen“

KOM(2007) 91 endg. — 2007/0035 (COD)

(2007/C 175/08)

Der Europäische Rat beschloss am 29. März 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. Mai 2007 an. Alleinberichterstatterin war Frau SÁNCHEZ MIGUEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 143 gegen 26 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der Änderungsvorschlag der Kommission bezüglich der Vorschriften betreffend die Verschmelzung oder Spaltung von Aktiengesellschaften erfolgt im Zusammenhang mit der Modernisierung des Gesellschaftsrechts und der Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union (1); dazu ist ein Aktionsplan vorgesehen, der kurz-, mittel- und langfristig eine tief greifende Änderung der Vorschriften vorsieht, die über die bloße Fertigstellung der noch ausstehenden Richtlinienvorschläge hinausreicht.

1.2

Darüber hinaus werden auf einer allgemeineren Ebene, nämlich in Anhang III des Aktionsprogramms zur Verringerung der Verwaltungslasten in der Europäischen Union (2), zehn konkrete Vorschläge für Sofortmaßnahmen mit dem Ziel gemacht, geringfügigere Vorschriften abzubauen, die das Schutzniveau der Rechtsvorschriften nicht berühren. Dies ist Zweck des hier behandelten Vorschlags, der sich darauf beschränkt, auf den Sachverständigenbericht über Verschmelzungs- oder Spaltungspläne zu verzichten, wenn „alle“ Aktieninhaber einverstanden sind.

1.3

Es sei darauf hingewiesen, dass bereits die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (3) in Artikel 8 Absatz 4 den Verzicht auf die Forderung eines Sachverständigenberichts über Verschmelzungspläne enthält, wenn alle Gesellschafter damit einverstanden sind. Im selben Sinne wurden bei der letzten Änderung der Richtlinie 77/91/EWG in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals (4) zwei neue Artikel 10 a) und 10 b) eingeführt, wonach unter der Voraussetzung, dass der tatsächliche Wert der einzubringenden Vermögensgegenstände gewährleistet ist, von einem Sachverständigenbericht über die Sacheinlagen abgesehen werden kann.

2.   Inhalt des Vorschlags

2.1

Zweck der Änderung der Richtlinien betreffend die Verschmelzung bzw. die Spaltung von Aktiengesellschaften ist die Harmonisierung ihres Inhalts mit der Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, und zwar in Bezug auf den Verzicht auf die Hinzuziehung von Sachverständigen für die Erstellung des Berichts über den Verschmelzungs- oder Spaltungsplan, sofern sich alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere darauf verständigt haben.

3.   Bemerkungen zu den Vorschlägen

3.1

Der EWSA verfolgt mit Interesse die Vereinfachungsbestrebungen und insbesondere die Verringerung der Verwaltungslasten für die europäischen Unternehmen. Dies sieht er als den Sinn des Vorschlags an, der vor allem den Aktionären Sicherheit bietet, indem für einen Verzicht auf einen Sachverständigenbericht über die Verschmelzungs- und Spaltungspläne das einstimmige Votum aller gefordert wird.

3.2

Doch sieht der EWSA auch die auftretenden Probleme, insbesondere bei der Verschmelzung von großen Gesellschaften und angesichts der Verschiedenartigkeit der Aktieninhaber, die in ihrer Mehrzahl Investoren sind. Wenn Aktien nicht unmittelbar verwaltet werden, kann geschehen, dass Minderheitsaktionäre ungeschützt sind und sich gezwungen sehen, die Vereinbarungen der Gesellschaften zu akzeptieren, die die Wertpapiertitel verwalten. Zwar gestatten die geltenden Bestimmungen ein Widerspruchs- und Rücktrittsrecht im Falle einer Ablehnung der wirtschaftlichen Folgen der betreffenden Maßnahmen, insbesondere des Aktientauschs, aber die Wahrnehmung dieses Rechts wird in großem Maße gerade durch den fehlenden Sachverständigenbericht über den Verschmelzungsplan erschwert.

3.3

Aus dem gleichen Grund sind Gläubiger und Beschäftige der Gesellschaften schutzlos, wenn sie wegen einer fehlenden objektiven Bewertung durch Sachverständige ohne Informationen bleiben. Gläubigern, deren Forderungen nicht abgesichert sind, wird zwar ein Widerspruchsrecht nach der Veröffentlichung der Verschmelzungspläne eingeräumt, aber es ist zu beachten, dass weder in der Richtlinie über Verschmelzungen noch in derjenigen über Spaltungen die Rechte der Beschäftigten geregelt werden, während in der Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten in Artikel 16 die Möglichkeit der Arbeitnehmermitbestimmung vorgesehen ist, was über angemessene Informationskanäle ein besseres Ergebnis gewährleistet.

3.4

Die Wirksamkeit von Rechtsvorschriften bemisst sich daran, wie die Rechte aller Beteiligten bei den juristischen Schritten, also in diesem Fall den Verschmelzungen und Spaltungen, gewahrt werden; denn da diese komplex sind, müssen Instrumente bereitgestellt werden, die die Vorgänge transparent machen und zwischen den Beteiligten keine Konflikte erzeugen. Der Verzicht auf den Sachverständigenbericht bei Zustimmung aller Aktionäre muss unter den Voraussetzungen von Artikel 10 a) der Richtlinie 2006/68/EG erfolgen, d.h., dass es um Vermögenswerte in Form von übertragbaren Wertpapieren, um Geldmarktinstrumente oder um kürzlich von unabhängigen Gutachtern bewertete Sacheinlagen geht, und dass der Zeitwert nachprüfbar ist und nach den für die Art der Vermögenswerte geltenden Normen bewertet wurde.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass der Vorschlag zur Änderung der Richtlinien betreffend die Verschmelzung bzw. die Spaltung von Aktiengesellschaften im Rahmen der Verringerung der Verwaltungslasten für die europäischen Unternehmen erfolgt. Doch ist zu bedenken, dass solche Rechtsvorgänge häufiger bei großen Kapitalgesellschaften stattfinden, in denen Aktieninhaber als Portfolioverwalter und Aktieninhaber als Investoren mit ihren unterschiedlichen Interessen nebeneinander existieren. Aktionäre als Investoren sind an der höchstmöglichen Rentabilität des Aktientauschs interessiert.

4.2

Der Sinn der Reform muss es sein, in diesen juristischen Verfahren das allgemeine Interesse aller Beteiligten zu finden; unter dieser Voraussetzung bieten die Bewertungen der Sachverständigen eine größere Transparenz und Glaubwürdigkeit der Angebote bei Verschmelzungs- oder Spaltungsplänen, da sie für die Berichte verantwortlich zeichnen und folglich objektive Kriterien für deren Inhalte aufstellen.

4.3

Nach Auffassung des EWSA befindet sich die grundlegende Bestimmung für die Hinzuziehung von Sachverständigen in den Artikeln 10, 10a) und 10b) der zweiten Richtlinie, nach denen der Verzicht auf ein Sachverständigengutachten davon abhängt, dass die Vermögenswerte erst kürzlich nachgeprüft wurden.

4.4

Andererseits wäre inhaltlich die 10. Richtlinie zu berücksichtigen, und zwar nicht nur, weil sie erst kürzlich vorgelegt wurde, sondern auch, weil sie besser mit den neuen Kriterien für die Interessen in Einklang steht, die durch die Bestimmungen des Gesellschaftsrechts geschützt werden, indem nicht nur die Aktionäre und Gläubiger berücksichtigt werden, sondern auch die Arbeitnehmer, die ein Teil der Unternehmensstruktur bilden. Diesbezüglich also sieht der EWSA die Notwendigkeit, den Vorschlag inhaltlich um die Bestimmungen von Artikel 16 der genannten Richtlinie zu erweitern, was mit dem Gedanken der Harmonisierung der einzelstaatlichen Vorschriften für Verschmelzungen und Trennungen besser übereinstimmt.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusse

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament; KOM(2003) 284 endg.

(2)  KOM(2007) 23 endg.

(3)  ABl. L 310 vom 25.11.2005, S. 1 ff.

(4)  Richtlinie 2006/68/EG, ABl. L 264 vom 25.9.2006, S. 32 ff.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, über die zusammen abgestimmt wurde und die ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurden abgelehnt:

1)   Ziffer 3.2 streichen:

3.2

Doch sieht der EWSA auch die auftretenden Probleme, insbesondere bei der Verschmelzung von großen Gesellschaften und angesichts der Verschiedenartigkeit der Aktieninhaber, die in ihrer Mehrzahl Investoren sind. Wenn Aktien nicht unmittelbar verwaltet werden, kann geschehen, dass Minderheitsaktionäre ungeschützt sind und sich gezwungen sehen, die Vereinbarungen der Gesellschaften zu akzeptieren, die die Wertpapiertitel verwalten. Zwar gestatten die geltenden Bestimmungen ein Widerspruchs- und Rücktrittsrecht im Falle einer Ablehnung der wirtschaftlichen Folgen der betreffenden Maßnahmen, insbesondere des Aktientauschs, aber die Wahrnehmung dieses Rechts wird in großem Maße gerade durch den fehlenden Sachverständigenbericht über den Verschmelzungsplan erschwert.

Begründung

Zweck der Änderung der Richtlinien betreffend die Verschmelzung bzw. die Spaltung von Aktiengesellschaften ist die Harmonisierung ihres Inhalts mit der Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, und zwar in Bezug auf den Verzicht auf die Hinzuziehung von Sachverständigen für die Erstellung des Berichts über den Verschmelzungs- oder Spaltungsplan, sofern sich alle Aktionäre und Inhaber anderer mit einem Stimmrecht verbundener Wertpapiere darauf verständigt haben. Der Vorschlag zur Vereinfachung der Verfahren trägt zu einer Verbesserung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit bei, ohne den Schutz für die Minderheitsaktionäre und die Gläubiger der Unternehmen einzuschränken.

Wenn Einstimmigkeit herrscht, stellen sich die in Ziffer 3.2 genannten Probleme nicht. Die Gesellschaften, die die Wertpapiertitel verwalten, werden von den Aktieninhabern gewählt, um ihre Interessen zu vertreten. Folglich kann das Problem einer Entscheidung, die im Widerspruch zu den Interessen der Minderheitsaktionäre stünde, gar nicht auftreten, denn ihre Zustimmung ist somit bereits vorausgesetzt.

2)   Ziffer 3.3 streichen

3.3

Aus dem gleichen Grund sind Gläubiger und Beschäftige der Gesellschaften schutzlos, wenn sie wegen einer fehlenden objektiven Bewertung durch Sachverständige ohne Informationen bleiben. Gläubigern, deren Forderungen nicht abgesichert sind, wird zwar ein Widerspruchsrecht nach der Veröffentlichung der Verschmelzungspläne eingeräumt, aber es ist zu beachten, dass weder in der Richtlinie über Verschmelzungen noch in derjenigen über Spaltungen die Rechte der Beschäftigten geregelt werden, während in der Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten in Artikel 16 die Möglichkeit der Arbeitnehmermitbestimmung vorgesehen ist, was über angemessene Informationskanäle ein besseres Ergebnis gewährleistet.

Begründung

Was Ziffer 3.3 betrifft, muss präzisiert werden, dass sowohl die Verschmelzung als auch die Spaltung typische Probleme von Unternehmen sind. Gläubiger haben unwiderruflich und anerkanntermaßen das Widerspruchsrecht, sobald ein Angebot oder ein Verschmelzungsvorhaben veröffentlicht wird. Die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie intendiert nicht die Unterdrückung dieses Rechts, sondern eine Vereinfachung der Verfahren. Was die Rechte der Beschäftigten angeht, ändert der Sachverhalt, ob ein Verschmelzungs- oder Spaltungsplan vorliegt oder eine Bewertung durch Sachverständige stattfindet oder nicht, nichts an ihrer Lage. Darüber hinaus bleiben die für ein Sachverständigengutachten erforderlichen — und zuweilen beträchtlichen — Gelder für etwaige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechte disponibel.

3)   Ziffer 3.4 streichen:

3.4

Die Wirksamkeit von Rechtsvorschriften bemisst sich daran, wie die Rechte aller Beteiligten bei den juristischen Schritten, also in diesem Fall den Verschmelzungen und Spaltungen, gewahrt werden; denn da diese komplex sind, müssen Instrumente bereitgestellt werden, die die Vorgänge transparent machen und zwischen den Beteiligten keine Konflikte erzeugen. Der Verzicht auf den Sachverständigenbericht bei Zustimmung aller Aktionäre muss unter den Voraussetzungen von Artikel 10 a) der Richtlinie 2006/68/EG erfolgen, d.h., dass es um Vermögenswerte in Form von übertragbaren Wertpapieren, um Geldmarktinstrumente oder um kürzlich von unabhängigen Gutachtern bewertete Sacheinlagen geht, und dass der Zeitwert nachprüfbar ist und nach den für die Art der Vermögenswerte geltenden Normen bewertet wurde.

Begründung

Ziffer 3.4 des Entwurfs der Stellungnahme bezieht sich auf Artikel 10 a) der Richtlinie 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates betreffend die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals. Artikel 10 a) gilt nicht für Barvermögen und wird von dem Richtlinienvorschlag nicht berührt. Er regelt die Bedingungen für eine Bewertung des beizulegenden Zeitwerts durch einen anerkannten unabhängigen Sachverständigen und für die Möglichkeit einer späteren Neubewertung auf Initiative und unter Verantwortung des Verwaltungs- oder Leitungsorgans. Wurde eine Neubewertung nicht vorgenommen, wird den Minderheitsaktionären, die mindestens 5 % des gezeichneten Kapitals halten, das Recht eingeräumt, eine Bewertung durch einen unabhängigen Sachverständigen zu verlangen. Da sich die Vorschrift auf eine äußerst seltene, aber klar definierte Situation bezieht, nämlich die Einstimmigkeit aller Aktieninhaber, stellt sich gar nicht das Problem der Konflikte zwischen verschiedenen Parteien, das in Ziffer 3.4 des Stellungnahmeentwurfs dargestellt wird.

4)   Ziffer 4.1 wie folgt ändern:

4.1

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass der Vorschlag zur Änderung der Richtlinien betreffend die Verschmelzung bzw. die Spaltung von Aktiengesellschaften im Rahmen der Verringerung der Verwaltungslasten für die europäischen Unternehmen erfolgt; deshalb befürwortet er den Vorschlag. Doch ist zu bedenken, dass solche Rechtsvorgänge häufiger bei großen Kapitalgesellschaften stattfinden, in denen Aktieninhaber als Portfolioverwalter und Aktieninhaber als Investoren mit ihren unterschiedlichen Interessen nebeneinander existieren. Aktionäre als Investoren sind an der höchstmöglichen Rentabilität des Aktientauschs interessiert.

Begründung

Erfolgt mündlich.

5)   Ziffer 4.2 streichen:

4.2

Der Sinn der Reform muss es sein, in diesen juristischen Verfahren das allgemeine Interesse aller Beteiligten zu finden; unter dieser Voraussetzung bieten die Bewertungen der Sachverständigen eine größere Transparenz und Glaubwürdigkeit der Angebote bei Verschmelzungs- oder Spaltungsplänen, da sie für die Berichte verantwortlich zeichnen und folglich objektive Kriterien für deren Inhalte aufstellen.

Begründung

Ziffern 4.2, 4.3 und 4.4 sind angesichts der Argumente für die Streichung der Ziffern 3.2, 3.3 und 3.4 zu streichen.

6)   Ziffer 4.3 streichen:

4.3

Nach Auffassung des EWSA befindet sich die grundlegende Bestimmung für die Hinzuziehung von Sachverständigen in den Artikeln 10, 10 a) und 10 b) der zweiten Richtlinie, nach denen der Verzicht auf ein Sachverständigengutachten davon abhängt, dass die Vermögenswerte erst kürzlich nachgeprüft wurden.

Begründung

Ziffern 4.2, 4.3 und 4.4 sind angesichts der Argumente für die Streichung der Ziffern 3.2, 3.3 und 3.4 zu streichen.

7)   Ziffer 4.4 streichen:

4.4

Andererseits wäre inhaltlich die 10. Richtlinie zu berücksichtigen, und zwar nicht nur, weil sie erst kürzlich vorgelegt wurde, sondern auch, weil sie besser mit den neuen Kriterien für die Interessen in Einklang steht, die durch die Bestimmungen des Gesellschaftsrechts geschützt werden, indem nicht nur die Aktionäre und Gläubiger berücksichtigt werden, sondern auch die Arbeitnehmer, die ein Teil der Unternehmensstruktur bilden. Diesbezüglich also sieht der EWSA die Notwendigkeit, den Vorschlag inhaltlich um die Bestimmungen von Artikel 16 der genannten Richtlinie zu erweitern, was mit dem Gedanken der Harmonisierung der einzelstaatlichen Vorschriften für Verschmelzungen und Trennungen besser übereinstimmt.

Begründung

Ziffern 4.2, 4.3 und 4.4 sind angesichts der Argumente für die Streichung der Ziffern 3.2, 3.3 und 3.4 zu streichen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 44

Nein-Stimmen: 104

Stimmenthaltungen: 28


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/37


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittelhygiene“

KOM(2007) 90 endg. — 2007/0037 (COD)

(2007/C 175/09)

Der Rat beschloss am 11. Mai 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) Herrn GKOFAS zum Hauptberichterstatter und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der dem EWSA zur Stellungnahme vorgelegte Vorschlag betrifft die Änderung zweier Verordnungen, und zwar der Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittelhygiene.

1.2

Der EWSA begrüßt die gemeinschaftspolitischen Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung, ist indes der Ansicht, dass für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Verwirklichung der Lissabon-Ziele unbedingt die administrative Belastung der Unternehmen durch Rechtsvorschriften gesenkt werden muss. In diesem Zusammenhang sind die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union“ sowie die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Aktionsprogramm zur Verringerung der Verwaltungslasten in der Europäischen Union“ sicher hilfreich.

1.3

Die erste Änderung betrifft die gewiss schon sehr weit zurückliegende Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Der EWSA befürwortet die Aufhebung der Pflicht zur Dokumentation von Beförderungsweg, Entfernung, Frachten und sonstigen Beförderungsbedingungen und die Möglichkeit der Verwendung des Frachtbriefes zur Dokumentation der weiterhin erforderlichen Angaben, weil dadurch die unnötige verwaltungsmäßige Belastung der Unternehmen gesenkt werden kann, während die notwendigen Informationen auch weiterhin zur Verfügung stehen.

1.4

Der EWSA ist denn auch damit einverstanden, dass die Verordnung Nr. 11 in der Weise geändert wird, dass Artikel 5 gestrichen wird, in Artikel 6 Absatz 1 der fünfte und der sechste Spiegelstrich gestrichen werden, in Artikel 6 Absatz 2 der dritte Satz gestrichen wird und Artikel 6 Absatz 3 folgende Fassung erhält: „3. Gehen aus den vorhandenen Papieren wie dem Frachtbrief oder anderen Beförderungspapieren alle Angaben gemäß Absatz 1 hervor und ermöglichen diese in Verbindung mit der Buchführung der Verkehrsunternehmer eine vollständige Nachprüfung der Frachten und Beförderungsbedingungen zum Zwecke der Beseitigung und Verhinderung der Diskriminierungen im Sinne des Artikels 75 Absatz 1 EG-Vertrag, so sind die Verkehrsunternehmer nicht verpflichtet, neue Beförderungspapiere einzuführen.“

1.5

Der EWSA unterschreibt die vorgeschlagene Änderung der Verordnung Nr. 852/2004, nach der die betreffenden Unternehmen von den Bestimmungen des Artikels 5 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 ausgenommen werden, wobei alle übrigen Bestimmungen der Verordnung für sie jedoch weiterhin gelten. Nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 müssen alle Unternehmen, die Kleinunternehmen sind, die ihre Lebensmittelprodukte überwiegend direkt an den Endverbraucher verkaufen, wie Bäckereien, Fleischereien, Lebensmittelgeschäfte, Marktstände, Gaststätten, und die Kleinstunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen sind, ein oder mehrere ständige Verfahren, die auf den HACCP-Grundsätzen beruhen, einrichten, durchführen und aufrechterhalten.

1.6

Gleichwohl ist der EWSA der Ansicht, dass diese Befreiung der vorgenannten Unternehmen, die ihre Lebensmittelprodukte direkt an den Endverbraucher verkaufen, wie Bäckereien, Fleischereien, Lebensmittelgeschäfte, Marktstände, Gaststätten, auch auf Kleinunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen ausgedehnt werden sollte.

1.7

In diesem Falle müssten im Zuge der Änderung von Artikel 5 der Verordnung Nr. 852/2004 zwei Parameter vorgesehen werden, dergestalt dass auch die Kleinunternehmen unter die Regelung fallen, deren Beschäftigtenzahl definitionsgemäß höchstens 50 Personen beträgt, was für eine Befreiung von den HACCP-Auflagen hoch erscheint, bzw. eine besondere Bezugnahme oder Abgrenzung hinsichtlich gastronomischer Unternehmen vorgenommen wird, wenn auch diese unter die Regelung fallen sollen.

1.8

Der erste Parameter könnte die Auflage der strikten Einhaltung der gesundheitsrechtlichen Vorschriften, der spezifischen Hygienevorschriften, wie sie in Artikel 4 der Verordnung Nr. 852/2004 festgelegt sind, sowie der entsprechenden Ausbildung des Personals beinhalten, dergestalt dass die Hygiene der produzierten Lebensmittel gewährleistet ist und die Unternehmen ihren rechtlichen Verpflichtungen leichter nachkommen können.

1.9

Der zweite Parameter im Zusammenhang mit der Befreiung der gastronomischen Kleinunternehmen, deren Beschäftigtenzahl unter 50 Personen liegt, könnte als zusätzliche Auflage vorsehen, dass speziell bei diesen Unternehmen die Zahl der mit der Lebensmittelzubereitung Beschäftigten (Betriebsräume/Küche) 10 Personen pro Arbeitsschicht nicht übersteigen darf. Das Unternehmen muss im Voraus auf einer Liste die Namen der Beschäftigten angeben, die in der Lebensmittelzubereitung arbeiten.

1.10

Durch die vorstehende Differenzierung aber zugleich auch Klarstellung wird der Richtlinie 2003/361/EG entsprochen, zugleich werden aber den einschlägigen Unternehmen, wie Bäckereien, Fleischereien, Lebensmittelgeschäfte, Marktstände, Gaststätten, Auflagen bezüglich Produktion und Schichtarbeit gemacht, um den gebotenen Anforderungen des Schutzes und der Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit Genüge zu tun.

2.   Einleitung

2.1

Die Kommission ersucht den EWSA um Stellungnahme zur Änderung zweier Verordnungen, und zwar der Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittelhygiene.

2.2

Was die Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angeht, sollen überholte Vorschriften gestrichen und andere Vorschriften so geändert werden, dass die Verwaltungslast der Unternehmen gemindert wird. Artikel 5 der Verordnung verpflichtet Verkehrsunternehmer und die Regierungen der Mitgliedstaaten, vor dem 1. Juli 1961 die in ihren Ländern bestehenden Tarife, Konventionen, Preisvereinbarungen und Beförderungsbedingungen mitzuteilen. Nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung muss ein Beförderungspapier ausgestellt werden, aus dem Name und Anschrift des Absenders, Art des Gutes, Herkunfts- und Bestimmungsort des Gutes, der Beförderungsweg oder die Entfernung und gegebenenfalls die Grenzübergangsstellen ersichtlich sind. Da die Angabe des Beförderungswegs, der Entfernung und der Grenzübergangsstellen nicht mehr erforderlich sind, um das Ziel der Verordnung zu erreichen, kann auf sie verzichtet werden. Artikel 6 Absatz 2 Satz 3 verpflichtet den Verkehrsunternehmer, eine Ausfertigung des Beförderungspapiers aufzubewahren, in der alle endgültigen Frachten, gleich welcher Art, und sonstige Kosten, etwaige Rückvergütungen sowie andere Bedingungen angegeben sind, die sich auf die Frachten und Beförderungsbedingungen auswirken. Dieser Satz kann gestrichen werden, weil diese Angaben in den Buchführungssystemen bereits vorhanden sind und deshalb kein zusätzliches Dokument erstellt und aufbewahrt zu werden braucht. In Artikel 6 Absatz 3 wird jetzt ausdrücklich der Frachtbrief genannt, ein allgemein bekannes und im Inlandsverkehr verbreitetes Frachtpapier. Damit erhalten die Transportunternehmer mehr Rechtssicherheit, denn nun ist eindeutig bestimmt, dass der Frachtbrief genügt, sofern er alle in Artikel 6 Absatz 1 genannten Angaben enthält.

2.3

Eine weitere „Sofortmaßnahme“ betrifft die Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittelhygiene. Mit ihr sollen kleine Unternehmen der Lebensmittelbranche, die die Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 an die Lebensmittelhygiene auch ohne ein HACCP-basiertes System erfüllen können, von der Pflicht befreit werden, ein oder mehrere ständige Verfahren, die auf den HACCP-Grundsätzen beruhen, einzurichten, durchzuführen und aufrechtzuerhalten. Betroffen sind Kleinstunternehmen, die Lebensmittel direkt an Endverbraucher verkaufen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA befürwortet die vorgeschlagene Änderung der Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, mit der überholte Vorschriften gestrichen und andere Vorschriften so geändert werden sollen, dass die Verwaltungslast der Unternehmen gemindert wird.

3.2

Der EWSA ist der Ansicht, dass bei der Änderung der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 auch Kleinunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 berücksichtigt werden sollten. Für Unternehmen dieser Größenordnung ist, wie sich in der Praxis gezeigt hat, eine gewisse Flexibilität erforderlich.

3.3

Es muss gesehen werden, dass wie für Kleinstunternehmen auch für bestimmte Kleinunternehmen es nicht möglich ist HACCP-Kriterien festzulegen, sondern es kann lediglich mit kritischen CCP-Kontrollpunkten operiert werden, weil die Vorhaltung von Dokumenten schwierig machbar ist und für diese Unternehmen eine übermäßige Belastung darstellt.

3.4

Nach der Empfehlung 2003/361/ΕG sind als Kleinstunternehmen Unternehmen einzustufen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz 2 Mio. EUR nicht überschreitet. Diese Definition mag zwar in Bezug auf die Beschäftigtenzahl in bestimmten Mitgliedstaaten richtig sein, die Umsatzhöchstgrenze von 2 Mio. EUR erscheint gemessen an der entsprechenden Beschäftigtenzahl in den betreffenden EU-Mitgliedstaaten zu restriktiv.

3.5

Außerdem wird in der Definition gemäß der Empfehlung 2003/361/EG keine Differenzierung zwischen den Unternehmen vorgenommen, d.h. danach, ob sie Gastronomie- oder Handelsunternehmen sind, zumindest bezüglich der Beschäftigtenzahlen, denn für die Handelsunternehmen wurde ja eigens das zusätzliche Kriterium der Umsatzgrenze von 2 Mio. EUR eingeführt, weil ein Handelsunternehmen mit nur drei Beschäftigten zumindest in einigen Mitgliedstaaten durchaus einen Jahresumsatz von mehr als 1,5 Mio. EUR erzielen kann. Dieser Schwachstelle wurde nur für eine bestimmte Kategorie von Unternehmen abgeholfen. Daher erscheint es nur logisch, in der vorliegenden Stellungnahme auch zu berücksichtigen, dass Gastronomieunternehmen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, unmöglich nur dann als Kleinstunternehmen gelten könnten, wenn sie weniger als 10 Beschäftigte haben und ihr Umsatz höchstens 2 Mio. EUR beträgt. Es gibt Mitgliedstaaten, in denen in Gastronomieunternehmen in zwei Schichten gearbeitet wird, so dass die Beschäftigtenzahl 10 Personen deutlich übersteigt, während der Umsatz gleichwohl weitaus weniger als 500 000 EUR beträgt.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Bezugnahme auf die Empfehlung 2003/361 für die Definition der Unternehmen bezüglich der Anwendung der HACCP-Grundsätze in dem zur Stellungnahme vorgelegten Kommissionstext anders angelegt sein.

4.2

Dabei müssten im Zuge der Änderung von Artikel 5 der Verordnung Nr. 852/2004 zwei Parameter vorgesehen werden, dergestalt dass auch die Kleinunternehmen unter die Regelung fallen, deren Beschäftigtenzahl definitionsgemäß höchstens 50 Personen beträgt, was für eine Befreiung von den HACCP-Auflagen hoch erscheint, bzw. eine besondere Bezugnahme oder Abgrenzung hinsichtlich gastronomischer Unternehmen vorgenommen wird, wenn auch diese unter die Regelung fallen sollen.

4.3

Der erste Parameter könnte die Auflage der strikten Einhaltung der gesundheitsrechtlichen Vorschriften, der spezifischen Hygienevorschriften, wie sie in Artikel 4 der Verordnung Nr. 852/2004 festgelegt sind, sowie der entsprechenden Ausbildung des Personals, dergestalt dass die Hygiene der produzierten Lebensmittel gewährleistet ist und die Unternehmen leichter ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen können.

4.4

Der zweite Parameter im Zusammenhang mit der Befreiung der Kleinunternehmen der Lebensmittelbranche, deren Beschäftigtenzahl unter 50 Personen liegt, könnte als zusätzliche Auflage vorsehen, dass speziell bei einschlägigen Unternehmen wie etwa Bäckereien, Fleischereien, Lebensmittelgeschäfte, Marktstände, Gaststätten die Zahl der mit der Lebensmittelzubereitung Beschäftigten (Betriebsräume/Küche) 10 Personen pro Arbeitsschicht nicht übersteigen darf. Das Unternehmen muss im Voraus auf einer Liste die Namen der Beschäftigten angeben, die in der Lebensmittelzubereitung arbeiten.

4.5

Durch die vorstehende Differenzierung aber zugleich auch Klarstellung wird der Richtlinie 2003/361/EG entsprochen, zugleich werden aber den einschlägigen Unternehmen, wie Bäckereien, Fleischereien, Lebensmittelgeschäfte, Marktstände, Gaststätten, Auflagen bezüglich Produktion und Schichtarbeit gemacht, um den gebotenen Anforderungen des Schutzes und der Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit Genüge zu tun.

4.6

Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (ΕG) Nr. 852/2004 sollte nach Meinung des Ausschusses folgender Wortlaut angefügt werden:

4.6.1

„Unbeschadet der übrigen Bestimmungen dieser Verordnung wird Absatz 1 dahingehend geändert, dass auch gastronomische Kleinunternehmen, Bäckereien, Fleischereien, Lebensmittelläden, Marktstände, Gaststätten im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG von Anwendung der HACCP-Grundsätze freigestellt werden können, sofern die Leitlinien und spezifischen Bestimmungen für Lebensmittelhygiene, wie sie in Artikel 4 der Verordnung Nr. 852/2004 festgelegt sind, strikt eingehalten werden und das Personal entsprechend ausgebildet ist, so dass die Hygiene der produzierten Lebensmittel gewährleistet ist und die Unternehmen leichter ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen können. Grundvoraussetzung für die Freistellung ist die Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit.“

4.6.2

„Als Voraussetzung für eine Freistellung gastronomischer Kleinunternehmen, Bäckereien, Fleischereien, Lebensmittelläden, Marktstände, Gaststätten, die weniger als fünfzig Beschäftigte haben, gilt des Weiteren, dass pro Schicht nicht mehr als 10 Personen mit der Zubereitung von Produkten (Betriebsräume/Küche) beschäftigt sein dürfen.“

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Anbau der Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen für land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern“

KOM(2007) 192 endg. — 2007/0066 (COD)

(2007/C 175/10)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 11. Mai 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 162 gegen 1 Stimme bei 8 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien“

KOM(2006) 745 endg. — 2006/0246 (COD)

(2007/C 175/11)

Der Rat beschloss am 21. Dezember 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 133 und 175 Absatz 1 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 148 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat stets die aktive Rolle unterstützt, die die Europäische Kommission bei der Erarbeitung und Umsetzung des Rotterdamer Übereinkommens über das PIC-Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung im internationalen Handel mit gefährlichen Chemikalien und Pestiziden sowie des Stockholmer Übereinkommens über persistente organische Schadstoffe (POP) gespielt hat.

1.2

Der Ausschuss teilt die Ansicht, dass ein harmonisiertes Vorgehen der Kommission notwendig ist, um den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt in den Einfuhrländern und besonders in den Entwicklungsländern zu verbessern, und dass es flexibler, klarer und transparenter Maßnahmen auf der Grundlage reibungsloser und homogener Verfahren bedarf, um — ohne Belastungen und Verzögerungen — eine angemessene Information der Länder, die gefährliche Chemikalien einführen, zu gewährleisten.

1.3

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die in der vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgrund einer falschen Rechtsgrundlage aufgehobenen Verordnung (EG) Nr. 304/2003 vorgesehenen und in dem neuen Verordnungsvorschlag wieder aufgenommenen strengeren Bestimmungen grundlegend für die globale Sicherheit und für den Umgang mit gefährlichen Chemikalien sind.

1.4

Der Ausschuss begrüßt es, dass die Kommission anlässlich der Korrektur der Rechtsgrundlage der Verordnung die Gemeinschaftsbestimmungen effektiver gestalten und — in enger Übereinstimmung mit der im Juni 2007 in Kraft tretenden Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 über Rechtsvorschriften für chemische Stoffe (REACH) — für mehr Rechtssicherheit sorgen will.

1.5

Nach Ansicht des Ausschusses sollte das neue Regelwerk zum einen die Erarbeitung von Anwendungsleitfäden und Informationsdokumenten und zum anderen Bildungsmaßnahmen auf der Grundlage von Gemeinschaftsstandards vorsehen, die sich vor allem an Zollbeamte richten und von Verantwortlichen der Kommissionsdienststellen und insbesondere des Gemeinsamen Forschungszentrums (GFZ) durchgeführt werden.

1.5.1

Der Ausschuss betont, wie wichtig es ist, dass die Kennzeichnung und die technischen Blätter in der Amtssprache des Einfuhrlandes verfasst sind.

1.6

Der EWSA begrüßt uneingeschränkt, dass Ausfuhren vorübergehend stattfinden können, während die Verfahren zur Einholung der ausdrücklichen Zustimmung fortgesetzt werden.

1.7

Nach Ansicht des Ausschusses sind die Zollkontrollverfahren sowie eine uneingeschränkte Zusammenarbeit der Zollbehörden und der für die Umsetzung der Verordnung zuständigen „bezeichneten nationalen Behörden“ (Designated National Authority — DNA) die wesentliche Voraussetzung dafür, dass die vorgeschlagenen Mechanismen effektiv, ordnungsgemäß und transparent funktionieren.

1.8

Der Ausschuss unterstreicht, dass die vorgeschlagenen Verbesserungen der Kombinierten Nomenklatur (KN) und eine speziell für die Zollbehörden erstellte Fassung der EDEXIM-Datenbank auf jeden Fall durch systematische und auf Gemeinschaftsebene abgestimmte Informationskampagnen und Bildungsmaßnahmen ergänzt werden müssen.

1.8.1

In diesem Zusammenhang hält der EWSA die verfügbaren Finanz- und Humanressourcen der Kommissionsdienststellen und insbesondere des GFZ für völlig unzureichend; diese sollten Folgendes gewährleisten:

Gestaltung von einheitlichen Informationspaketen und Bildungsmaßnahmen sowie von Leitfäden für die unterschiedlichen Benutzerkategorien

Korrektheit der technischen Sicherheitsblätter für die Zwischen- und Endnutzer, insbesondere für Arbeitnehmer

Dialog mit der technischen Unterstützung für die Einfuhrländer, insbesondere für die Entwicklungs- und Transitionsländer

stärkere Sensibilisierung der Zivilgesellschaft für die bestehenden Risiken und für deren Prävention.

2.   Begründung

2.1

Der Ausschuss hatte seinerzeit (1) die Ziele und Mechanismen des Rotterdamer Übereinkommens (2) begrüßt, in dem ein Verfahren der vorherigen Zustimmung bei der Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien festgelegt, zugleich der Zugang zu Informationen verbessert und den Entwicklungsländern eine technische Unterstützung angeboten wird.

2.2

Der Ausschuss hatte der Auffassung der Mitgliedstaaten zugestimmt, „dass es sinnvoll ist, über die Bestimmungen des Übereinkommens hinauszugehen, um die Entwicklungsländer umfassend … zu unterstützen“ (3).

2.3

Mit der am 18. Januar 2003 angenommenen und am 7. März 2003 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 304/2003 über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien sollte hauptsächlich das Rotterdamer Übereinkommen umgesetzt werden, was das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien und Pestizide im internationalen Handel angeht.

2.3.1

Die Verordnung enthielt jedoch Bestimmungen, die über die Vorschriften des Übereinkommens hinausgingen.

2.4

Diese Verordnung sieht insbesondere vor, dass der Exporteur einer in der Verordnung aufgeführten Chemikalie vor deren allerersten Ausfuhr der bezeichneten nationalen Behörde eine Notifikation vorlegen muss. Diese wird auf Vollständigkeit hin geprüft und anschließend der Kommission übermittelt, die sie in der EDEXIM-Datenbank als Gemeinschaftsausfuhrnotifikation erfasst und die jeweilige Chemikalie sowie das Einfuhrland vermerkt.

2.5

Entsprechend erhält die Kommission im Fall der Gemeinschaftseinfuhr einer Chemikalie aus einem Drittland die diesbezügliche Ausfuhrnotifikation, bestätigt ihren Empfang und speichert sie in der EDEXIM-Datenbank.

2.6

Generell muss die Kommission die effektive Umsetzung der Verordnung gewährleisten und daher — mit anderen Worten — die Aus- und Einfuhrnotifikationen verwalten.

2.7

Das EU-Ausfuhrnotifikationsverfahren gilt zurzeit für etwa 130 Chemikalien bzw. Chemikaliengruppen, die in Anhang I, Teil 1 der Verordnung (EG) Nr. 304/2003 (4) aufgeführt sind.

2.8

Die Verordnung sieht auch klare Verpackungs- und Kennzeichnungsverpflichtungen vor.

2.9

Des Weiteren umfasst die Verordnung (EG) Nr. 304/2003 Sanktionen gegen Verstöße und sieht vor, dass diese Sanktionen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein und von den Mitgliedstaaten festgelegt werden müssen.

2.9.1

Darüber hinaus wurde am 18. Dezember 2006 die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) angenommen, die am 1. Juni 2007 in Kraft tritt (5).

2.10

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in seinen Urteilen in den Rechtssachen C 94/03 und C 178/03 (beide vom 10. Januar 2006) befunden, dass Artikel 133 und 175 des EG-Vertrags und nicht nur Artikel 175 die Rechtsgrundlage der Verordnung (EG) Nr. 304/2003 hätten bilden sollen und die Verordnung daher aufgehoben wird; der EuGH hat jedoch präzisiert, dass die Verordnung so lange weiter gelten soll, bis innerhalb eines vernünftigen Zeitraums eine neue Verordnung angenommen ist, die auf angemessenen Rechtsgrundlagen beruht.

2.11

In dem Bericht 2003-2005 (6) vom 30. November 2006 werden entsprechend Artikel 21 der Verordnung (EG) Nr. 304/2003 folgende Aspekte behandelt:

Stand der Umsetzung der Verordnung

Probleme in den einzelnen Verfahrensphasen

notwendige Änderungen für eine größere Effektivität.

2.12

Gegenwärtig verfügen alle Mitgliedstaaten über die für die Anwendung und Durchsetzung der Verordnung notwendigen Bestimmungen und Verwaltungsverfahren: Bisher wurden 2 273 Ausfuhrnotifikationen ausgestellt (darunter über 80 % von Deutschland, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Frankreich und Spanien), und die Zahl der Einfuhrländer ist von 70 im Jahr 2003 auf 101 im Jahr 2005 gestiegen.

2.13

Der kritische Punkt der Regelung sind die Zollkontrollen, und die bezeichneten nationalen Behörden und die Zollämter müssen daher enger zusammen arbeiten — mit einem regelmäßigen Informationsaustausch und klareren Bestimmungen —, vor allem was die besonderen Verpflichtungen der Exporteure und bessere Kontrollinstrumente für die Kombinierte Nomenklatur und für den Gemeinschaftstarif TARIC anbelangt.

2.14

Der Ausschuss teilt die Ansicht, dass ein harmonisiertes Vorgehen der Kommission notwendig ist, um den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt in den Einfuhrländern und besonders in den Entwicklungsländern zu verbessern, und dass es flexibler, klarer und transparenter Maßnahmen auf der Grundlage reibungsloser und homogener Verfahren bedarf, um — ohne bürokratische Belastungen und Verzögerungen — eine angemessene Information der Einfuhrländer über die EU-Ausfuhren gefährlicher Chemikalien zu gewährleisten.

3.   Der Kommissionsvorschlag

3.1

Der Kommissionsvorschlag für eine neue Verordnung regelt die Frage der Rechtsgrundlagen, die zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 304/2003 geführt hatte, und sieht außerdem Änderungen zu folgenden Aspekten vor:

neue Rechtsgrundlagen

neue Definitionen; die Definition des Begriffs „Exporteur“ muss weiter gefasst und des Begriffs „Zubereitung“ korrigiert werden

ein neues Verfahren der ausdrücklichen Zustimmung

Intensivierung und Verschärfung der Zollkontrollen

neue Komitologieregeln (7).

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss bekräftigt seine uneingeschränkte Unterstützung der Gemeinschaftsstrategie für nachhaltige Entwicklung — einschließlich der freiwilligen Verpflichtung SAICM (8) — und betont, dass ein präventiver Ansatz für den Umgang mit Chemikalien zur Vorbeugung gegen mögliche Schadfolgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt nötig ist, wie er bereits wiederholt (9) in seinem Beitrag zur Annahme des REACH-Regelwerks bekräftigen konnte.

4.2

In diesem Sinne hat der EWSA die Einführung des REACH-Systems und insbesondere ein verantwortungsvolleres Verhalten der produzierenden, importierenden bzw. nutzenden Unternehmen bei der Erstellung der Dokumentation über Chemikalien zum Zwecke der Registrierung und einer ersten Gefahrenbewertung befürwortet und hat dementsprechend die Schaffung eines europäischen Registrierungssystems und einer gemeinschaftlichen Stelle für dessen Verwaltung positiv bewertet (10).

4.2.1

Hinsichtlich der in den besonderen Bestimmungen für gefährliche Chemikalien vorgesehenen Berichtspflicht fordert der EWSA die Kommission auf, die Liste der für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt gefährlichen Chemikalien zu überarbeiten und diese durch weniger gefährliche Stoffe und Präparate zu ersetzen, wenn von der technologischen Forschung und Innovation konkrete Alternativen entwickelt und getestet wurden.

4.3

Der EWSA hat stets die aktive Rolle unterstützt, die die Europäische Kommission bei der Erarbeitung und Umsetzung des Rotterdamer Übereinkommens über das PIC-Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung im internationalen Handel mit gefährlichen Chemikalien und Pestiziden sowie des Stockholmer Übereinkommens über persistente organische Schadstoffe (POP) zur Einstellung der Produktion und zur Nutzung bestimmter Chemikalien, darunter neun Pestizidarten, gespielt hat. Im Übrigen hat sich der Ausschuss unlängst zu dieser Thematik geäußert (11).

4.4

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die in der vom EuGH aufgrund einer falschen Rechtsgrundlage aufgehobenen Verordnung (EG) Nr. 304/2003 vorgesehenen und in dem neuen Verordnungsvorschlag (12) wieder aufgenommenen strengeren Bestimmungen grundlegend für die globale Sicherheit und für den Umgang mit gefährlichen Chemikalien sind.

4.5

Des Weiteren hält der Ausschuss Änderungen des Regelwerks für sinnvoll, um die in dem Bericht 2003-2005 genannten praktischen Mängel und Umsetzungsschwierigkeiten zu beseitigen.

4.6

Folglich begrüßt der Ausschuss es, dass die Kommission anlässlich der Korrektur der Rechtsgrundlage der Verordnung entsprechend dem EuGH-Urteil (hierzu hatte er sich bereits in einer früheren Stellungnahme geäußert (13)) die Gemeinschaftsbestimmungen effektiver gestalten will, indem sie mehr Klarheit, Transparenz und Rechtssicherheit für die Exporteure und Importeure gewährleistet.

4.7

Nach Ansicht des EWSA ist für die Rechtssicherheit, Eindeutigkeit und Transparenz des vorgeschlagenen neuen gemeinschaftlichen Regelwerks zu sorgen, indem die Definitionen der Begriffe „Exporteur“, „Zubereitung“ und „dem PIC-Verfahren unterworfene Chemikalie“ verbessert werden.

4.8

Als Beitrag zur Vereinfachung und zum Abbau des Verwaltungsaufwands sowie zur Verkürzung der Fristen begrüßt der EWSA uneingeschränkt die Möglichkeit vorübergehender Ausfuhren, während die Verfahren zur Einholung der ausdrücklichen Zustimmung fortgesetzt werden, sowie die Möglichkeit einer Ausnahmeregelung von der Zustimmungsverpflichtung für Chemikalien, die für den Export in OECD-Länder bestimmt sind.

4.9

Des Weiteren betont der Ausschuss, wie wichtig es ist, dass die Anträge auf Zustimmung und auf deren regelmäßige Überprüfung über die Kommission gestellt werden, um sinnlose Überschneidungen und Doppelarbeit sowie Missverständnisse und Ungewissheiten in den Einfuhrländern zu vermeiden. Seiner Ansicht nach müssen die einschlägigen Finanz- und Humanressourcen der Kommissionsdienststellen und insbesondere des GFZ so bemessen sein, dass sie auch einheitliche Informationspakete und Bildungsmaßnahmen, Leitfäden und Sicherheitsblätter für die verschiedenen Nutzerkategorien sowie einen Dialog mit den Einfuhrländern und insbesondere mit den Entwicklungsländern gewährleisten, damit Probleme mit den Ein- und Ausfuhrnotifikationen erkannt und gelöst werden.

4.9.1

Der Ausschuss bekräftigt, dass angesichts der schweren Arbeitsunfälle, die mitunter von gefährlichen Chemikalien verursacht werden, und unter Berücksichtigung der einschlägigen internationalen IAO-Übereinkommen (14) die Kennzeichnung und die technischen Sicherheitsblätter in der Amtssprache des Einfuhrlandes verfasst werden sollten — zugunsten der Zwischen- und Endverbraucher und vor allem der in der Landwirtschaft und in KMU Beschäftigten.

4.10

Nach Ansicht des Ausschusses sind die Zollkontrollverfahren sowie eine uneingeschränkte Zusammenarbeit der Zollbehörden und der für die Umsetzung der Verordnung zuständigen bezeichneten nationalen Behörden (DNA) die wesentliche Voraussetzung dafür, dass die vorgeschlagenen Mechanismen effektiv, ordnungsgemäß und transparent funktionieren. Die empfohlenen Verbesserungen — Einfügung von „Warnmarkern“ in die Kombinierte Nomenklatur und eine speziell für die Zollbehörden erstellte Fassung der EDEXIM-Datenbank — müssen durch systematische und auf Gemeinschaftsebene abgestimmte Informationskampagnen und Bildungsmaßnahmen ergänzt werden.

4.11

Nach Ansicht des Ausschusses sollte das neue Regelwerk die Erarbeitung von Anwendungsleitfäden und Informationsdokumenten sowie Bildungsmaßnahmen auf der Grundlage von Gemeinschaftsstandards — insbesondere für die Beitrittsländer — vorsehen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des EWSA vom 20.6.2002 zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Aus- und Einfuhr gefährlicher Chemikalien“, ABl. C 241 vom 7.10.2002, Seite 50.

(2)  Das am 11. September 1998 unterzeichnete und am 24. Februar 2004 in Kraft getretene Rotterdamer Übereinkommen regelt die Aus- und Einfuhr bestimmter gefährlicher Chemikalien und Pestizide und basiert auf dem Grundsatz der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung (das so genannte PIC-Verfahren, von prior informed consent) seitens des Importeurs einer Chemikalie. Entsprechend dem Übereinkommen unterliegen zurzeit über 30 Chemikalien dem PIC-Verfahren.

(3)  Vgl. die in Fußnote 1 genannte Stellungnahme.

(4)  Später geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 777/2006 der Kommission.

(5)  Vgl. ITACA, Nr. 3 (Dezember 2006, Seite 8 — ROM, Sergio Gigli).

(6)  Vgl. KOM(2006) 747 endg. vom 30. November 2006.

(7)  Vgl. Beschluss 1999/468/EG, geändert im Juli 2006.

(8)  SAICM, Strategic Approach to International Chemicals Management — UNEP.

(9)  Vgl. Stellungnahmen CESE 524/2004 und 850/2005 über Rechtsvorschriften für chemische Stoffe (REACH). ABl. C 112 vom 30.4.2004 und ABl. C 294 vom 25.11.2005.

(10)  Vgl. Stellungnahme CESE 524/2004, Ziffer 3.1. ABl. C 112 vom 30.4.2004.

(11)  Vgl. Stellungnahme NAT/331, CESE 23/2007. ABl. C 93 vom 27.4.2007.

(12)  Entsprechend den Gemeinschaftsbestimmungen muss die Ausfuhr jeder/jedes in der EU verbotenen oder strikt regulierten Chemikalie/Pestizids sowie der diese Stoffe enthaltenden Zusammensetzungen mit einer Notifikation und der ausdrücklichen Zustimmung des Importeurs einhergehen. Dies gilt für die Stoffe, die die Voraussetzungen für die PIC-Notifikation erfüllen, auch wenn sie nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen und nicht zu den bereits dem PIC-Verfahren unterworfenen Stoffen zählen.

(13)  Vgl. Fußnote 1, Ziffer 5.10.

(14)  Vgl. Artikel 7 und 8 des internationalen IAO-Übereinkommens Nr. 170 über die Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe aus dem Jahr 1990 sowie Artikel 9, 10 und 22 des internationalen IAO-Übereinkommens Nr. 174 über die Verhütung von industriellen Störfällen aus dem Jahr 1993.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln“

KOM(2006) 388 endg. — 2006/0136 COD

(2007/C 175/12)

Der Rat beschloss am 15. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 Absatz 2 und Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b) des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr VAN OORSCHOT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 31. Mai) mit 65 Stimmen gegen 1 Stimme bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (Fungiziden, Insektiziden, Herbiziden u.Ä. zu landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Zwecken).

1.2

Höchste Priorität hat neben dem Inverkehrbringen von guten und sicheren Pflanzenschutzmitteln auch deren nachhaltige und sichere Verwendung. Der EWSA nimmt daher erfreut zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission gleichzeitig mit diesem Verordnungsvorschlag auch einen Vorschlag für eine Richtlinie vorgelegt hat, in dem die nachhaltige Nutzung von Pflanzenschutzmitteln geregelt wird.

1.3

Der EWSA stellt fest, dass in den Erwägungsgründen des Vorschlags der Schwerpunkt sehr stark auf der Vermeidung und Eindämmung der negativen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Mensch und Umwelt liegt. Der EWSA hält es für wesentlich, dass negativen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Mensch und Umwelt vorgebeugt wird. Er weist darauf hin, dass bei einem nachhaltigen Vorgehen auch den wirtschaftlichen Belangen in gleicher Weise Rechnung getragen werden muss. Die weitaus meisten Verbraucher von heute interessieren sich nicht nur immer stärker für Produkte aus biologischem Anbau, sondern vor allem für Produkte guter Qualität, die noch dazu ganzjährig verfügbar und erschwinglich sind. Grundvoraussetzung ist dabei die Sicherheit eines Produkts für den Verbraucher. Dies stellt die Wertschöpfungskette für Agrarprodukte vor große Anforderungen. Die Verfügbarkeit guter und sicherer Pflanzenschutzmittel ist daher unverzichtbar.

1.4

Der EWSA ist besorgt über die Einführung von Zulassungskriterien für Pflanzenschutzmittel auf der Grundlage der Beschaffenheit ihrer Wirkstoffe und deren Folgen für die Einführung neuer besserer Produkte. Eine starre Handhabung kann dazu führen, dass ein Stoff, der zwar eines der Kriterien nicht erfüllt, im Hinblick auf alle anderen Kriterien jedoch eine Verbesserung darstellt, nicht zugelassen wird. Der EWSA plädiert daher für eine Risikobewertung, bei der sowohl die tatsächliche praktische Verwendung als auch die Anwenderexposition stärker berücksichtigt werden.

1.5

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass der Vorschlag einer zonenspezifischen Zulassung und gegenseitigen Anerkennung ein erster Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen europäischen Harmonisierung von Zulassungen ist. Der EWSA schlägt vor, die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen auch zonenübergreifend zu ermöglichen, wenn es sich um (benachbarte) Länder mit ähnlichen klimatischen und landwirtschaftlichen Bedingungen handelt.

1.6

Der EWSA unterstützt das Prinzip der vergleichenden Bewertung von Pflanzenschutzmitteln, die zu ersetzende Stoffe enthalten. Der EWSA plädiert allerdings für eine geringere Bewertungshäufigkeit und die Anwendung des normalen Datenschutzzeitraums für diese Stoffe, um die Investitionsbereitschaft der Industrie in solche Stoffe auch weiterhin zu gewährleisten und damit Engpässe in der Agrarproduktion zu verhindern.

1.7

Nach Ansicht des EWSA enthält der Vorschlag nicht genügend Anreize für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln für geringfügige Verwendungen. Der EWSA schlägt zwei Verbesserungsmaßnahmen vor: Erstens regt er ein System an, in dem der erste Antragsteller in dem Maße, wie mehr geringfügige Verwendungen hinzukommen, von einem längeren Datenschutzzeitraum profitiert, und zweitens ersucht er die Europäische Kommission, für die Mitgliedstaaten eine aktualisierte Liste zusammenzustellen, in der alle zugelassenen (geringfügigen) Verwendungen erfasst sind.

2.   Einleitung

2.1   Allgemeines

2.1.1

Pflanzenschutzmittel werden zum Pflanzenschutz und im Interesse der Pflanzengesundheit eingesetzt. Sie ermöglichen den Landwirten Ertragssteigerungen und eine flexiblere Anbauweise. Dies gewährleistet eine zuverlässige Produktion bezahlbarer, sicherer (Lebensmittel-) Erzeugnisse in der eigenen Region.

2.1.2

Die meisten Verbraucher in Europa stellen immer höhere Anforderungen an die Qualität ihrer Lebensmittel und deren ganzjährige Verfügbarkeit, wobei die Lebensmittelsicherheit als Grundvoraussetzung und Selbstverständlichkeit angesehen wird. Dies stellt die Agrarproduktionskette vor große Herausforderungen. Um die anspruchsvolle Nachfrage seitens dieser großen Gruppe von Verbrauchern erfüllen zu können, muss ein ausreichend breit gefächertes Angebot an guten und sicheren Pflanzenschutzmitteln vorhanden sein.

2.1.3

Andererseits kann der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln jedoch Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Ökosysteme haben, die Gesundheit der Verwender gefährden, die Qualität der Lebensmittel beeinflussen und negative Folgen für die Gesundheit der Verbraucher haben, insbesondere wenn bei ineffizienter (d.h. nicht der guten Verfahrenspraxis entsprechender) Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in den Lebensmitteln schädliche Pflanzenschutzmittelrückstände verbleiben.

2.2   Rechtsrahmen

2.2.1

Mit der vorgeschlagenen Verordnung soll die bisherige Richtlinie 91/414/EWG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln ersetzt werden; Zweck dieser Richtlinie ist es, durch eine sehr umfassende Risikobewertung für jeden Wirkstoff und jedes diesen Wirkstoff enthaltende Produkt vor Zulassung des Inverkehrbringens und der Verwendung das Risiko an der Quelle auszuschalten.

2.2.2

Des Weiteren soll mit dem Vorschlag die Richtlinie 79/117/EWG des Rates über das Verbot des Inverkehrbringens und der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, die bestimmte Wirkstoffe enthalten, aufgehoben werden.

2.2.3

Der Rechtsrahmen der Gemeinschaft für Pflanzenschutzmittel umfasst ferner die Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates; diese Verordnung legt Rückstandshöchstgehalte für Wirkstoffe in landwirtschaftlichen Erzeugnissen fest.

2.2.4

Zusammen mit der vorgeschlagenen Verordnung wird ein Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates für einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (KOM(2006) 373 endg.) vorgelegt. Damit sollen Verwendung und Vertrieb abgedeckt werden, insoweit dies nicht in dem Vorschlag für eine Verordnung bereits geschehen ist.

2.3   Hintergrund des Vorschlags

2.3.1

Im Anschluss an die Bewertung der Richtlinie 91/414/EWG durch die Kommission haben das Europäische Parlament und der Rat die Kommission im Jahr 2001 aufgefordert, die Richtlinie zu überarbeiten, um

Kriterien für die Zulassung von Wirkstoffen festzulegen,

Kriterien für die Zulassung von Stoffen mit hohem Risiko zu verschärfen,

ein vereinfachtes Verfahren für Stoffe mit geringem Risiko einzuführen,

das Prinzip der Bewertung von Alternativwirkstoffen und der Substitution einzuführen,

die gegenseitige Anerkennung durch die Einführung von Zonen für die Zulassung von Pflanzenschutzmittel zu verbessern.

2.3.2

Im Anschluss an einen ausgedehnten (fünfjährigen) Zeitraum der Konsultation aller Interessenträger und eine Folgenabschätzung legte die Kommission im Juli 2006 ihren Vorschlag für eine Neufassung der Richtlinie 91/414/EWG vor. Die Kommission beschloss, die Richtlinie zur Vereinfachung und zur Harmonisierung der Vorschriften in den EU-Mitgliedstaaten durch eine Verordnung zu ersetzen.

2.4   Kurze Zusammenfassung des Vorschlags

2.4.1

Auf EU-Ebene erstellt der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit eine Positivliste von Wirkstoffen. Die Zulassung von Wirkstoffen erfolgt anhand eindeutiger Kriterien, die ein hohes Schutzniveau für Mensch, Tier und die Umwelt gewährleisten sollen.

2.4.2

Bei der Bewertung des Wirkstoffs muss sich für den Verwender und den Verbraucher mindestens eine sichere Verwendung ergeben, und es dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt festgestellt werden. Es werden klare Fristen für die verschiedenen Phasen der Bewertung und Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Wirkstoffzulassung festgelegt.

2.4.3

Den Mitgliedstaaten wird auch weiterhin die Verantwortung für die nationale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln überlassen, die auf der Liste der zugelassenen Wirkstoffe beruhen müssen.

2.4.4

Bei der nationalen Bewertung der Zulassungsdossiers müssen die Mitgliedstaaten, sofern vorhanden, einheitliche Kriterien anwenden und nationale Besonderheiten berücksichtigen.

2.4.5

Für Stoffe mit einem geringen und normalen Risiko führt die Kommission durch die obligatorische gegenseitige Anerkennung von Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln ein System von Zulassungszonen ein. Diese „zonenspezifische“ Zulassung beinhaltet, dass in einer der drei vorgeschlagenen Klimazonen (die Kommission teilt die EU in drei Zonen ein) jeweils ein Mitgliedstaat die nationale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln bewertet und das Produkt nur in dem Mitgliedstaat zugelassen werden braucht, in dem der Hersteller eines Pflanzenschutzmittels einen Antrag auf gegenseitige Anerkennung der Zulassung gestellt hat.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Bedeutung von Pflanzenschutzmitteln für die Versorgung der EU mit hochwertigen Lebensmitteln

3.1.1

In der Präambel der Richtlinie werden die Überlegungen zusammengefasst, die zu dem Verordnungsvorschlag geführt haben. Die Bedeutung der hinreichenden Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln für eine gesicherte Versorgung mit hochwertigen und unbedenklichen Lebensmitteln für den anspruchsvollen europäischen Verbraucher sollten darin ausdrücklich erwähnt werden.

3.2   Gewährung vorläufiger Zulassungen unter bestimmten Bedingungen

3.2.1

Die Richtlinie sieht nicht die Möglichkeit vor, in einem Mitgliedstaat eine vorläufige Zulassung auf nationaler Ebene zu gewähren. Dies kann dazu führen, dass innovative und im Vergleich zur heutigen Situation verbesserte Stoffe verzögert in Verkehr gebracht werden. Die Kommission versucht dem entgegenzuwirken, indem sie kürzere Fristen anwendet, die zu einer schnelleren Aufnahme neuer Stoffe in die Positivliste führen sollen.

3.2.2

Der EWSA schlägt vor, in die Verordnung auch die Möglichkeit aufzunehmen, auf nationaler Ebene eine vorläufige Zulassung zu gewähren, wenn die vorgeschlagenen Fristen aufgrund administrativer Verzögerungen zwar überschritten wurden, die aus Verordnung (EG) Nr. 396/2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen erwachsende Verpflichtung jedoch erfüllt ist.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Risikoermittlung bei der Anwendung der Zulassungsbedingungen

4.1.1

In Artikel 4 des Vorschlags geht es unter Hinweis auf Anhang II um die Zulassungskriterien für Wirkstoffe. Eine strikte Anwendung dieser Kriterien führt dazu, dass die Wirkstoffe bereits aufgrund einer einzigen Eigenschaft nicht zugelassen werden können, da stets alle Anforderungen erfüllt werden müssen.

4.1.2

Derartige Zulassungskriterien für Pflanzenschutzmittel, die ausschließlich auf der Beschaffenheit ihrer Wirkstoffe beruhen, ohne die tatsächliche praktische Verwendung und die Anwenderexposition zu berücksichtigen, untergraben den Grundsatz der Entscheidungsfindung anhand von Risikobewertungen und werden dazu führen, dass eine Anzahl bereits vorhandener Produkte/Anwendungen, die aufgrund der Notwendigkeit, über ein breites Pflanzenschutzmittelangebot zu verfügen, durchaus erforderlich sein können, allmählich vom Markt verschwindet.

4.1.3

Auf diese Weise wird durch Artikel 4 verhindert, dass innovative Produkte auf den Markt kommen, die im Hinblick auf alle Kriterien eine Verbesserung aufweisen und bei denen nur ein einziges Kriterium nicht den Anforderungen genügt. Der EWSA kann dies nicht gutheißen, da die Innovation zur Entwicklung neuer, besserer Stoffe dadurch unnötig gebremst wird. Seiner Meinung nach sollten die beschaffenheitsbezogenen Zulassungskriterien lediglich der Identifizierung der zu ersetzenden Stoffe dienen und nicht herangezogen werden, um Mittel schon von vornherein ohne eine fundierte Bewertung abzuweisen.

4.2   Ausweitung von zonenspezifischer Zulassung und gegenseitiger Anerkennung

4.2.1

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass das System der zonenspezifischen Zulassung und gegenseitigen Anerkennung ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem vollständigen harmonisierten europäischen System für in Verkehr gebrachte Pflanzenschutzmittel ist.

4.2.2

Durch die Einführung einer obligatorischen gegenseitigen Anerkennung der Zulassungen in den Mitgliedstaaten, die derselben Zone angehören, parallel zum regulären Zulassungsverfahren auf nationaler Ebene wird Doppelarbeit in den Mitgliedstaaten vermieden und eine schnellere Verfügbarkeit von innovativen und umweltfreundlichen Pflanzenschutzmitteln gewährleistet.

4.2.3

Der EWSA schlägt vor, die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen auch zonenüberschreitend zu ermöglichen, wenn es sich um Nachbarländer mit vergleichbaren Produktionsbedingungen handelt.

4.2.4

Für die Verwendung in Gewächshäusern und die Behandlung nach der Ernte schlägt die Kommission ein Konzept vor, das eine obligatorische gegenseitige Anerkennung durch alle Mitgliedstaaten in sämtlichen Zonen beinhaltet (Artikel 39). Der EWSA ist der Ansicht, dass Saatgutbehandlungen als wichtige Säulen des integrierten Pflanzenschutzes ebenfalls unter diese Regelung fallen sollten.

4.3   Anpassung der vergleichenden Bewertung

4.3.1

Für Pflanzenschutzmittel, die kritischere (zu ersetzende Stoffe) enthalten, muss der Mitgliedstaat innerhalb von vier Jahren nach der Zulassung eine vergleichende Bewertung durchführen (Artikel 48), um einen Alternativwirkstoff zum Ersatz des schädlicheren Mittels zu finden, wenn dieses Mittel nach wie vor erforderlich ist, um im Fall von Resistenzverhalten die Pflanzen weiterhin schützen zu können.

4.3.2

Nach Auffassung des EWSA bieten die vierjährliche Bewertung und der siebenjährige Dossierschutzzeitraum für zu ersetzende Stoffe keine hinreichende Sicherheit für die Industrie; sie werden zu einer verfrühten Rücknahme dieser Mittel vom Markt führen und mögliche negativen Folgen für die Verfügbarkeit ausreichender Mittel in Verbindung mit Resistenz und geringfügigen Verwendungen nach sich ziehen.

4.3.3

Der EWSA plädiert für eine geringere Bewertungshäufigkeit und die Anwendung des normalen Datenschutzzeitraums für zu ersetzende Stoffe, um die Investitionsbereitschaft der Industrie in solche Stoffe auch weiterhin zu gewährleisten und dadurch Engpässe in der Agrarproduktion und im weiteren Verlauf der Wertschöpfungskette in Richtung Verbraucher zu verhindern.

4.4   Unzureichende Anreize für geringfügige Verwendungen

4.4.1

In Artikel 49 wird unter anderem anderen beruflichen Verwendern und landwirtschaftlichen Berufsorganisationen die Möglichkeit gewährt, eine Ausweitung der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels auf geringfügige Verwendungen zu beantragen. Gleichzeitig schreibt dieser Artikel den Mitgliedstaaten die Führung einer aktualisierten Liste geringfügiger Verwendungen vor.

4.4.2

Der EWSA begrüßt diesen Artikel, stellt jedoch fest, dass von ihm kein ausreichender Anreiz für die Zulassungsinhaber ausgeht, an der Ausweitung der geringfügigen Verwendungen zu arbeiten.

4.4.3

Der EWSA schlägt vor, den Zulassungsinhabern einen Bonus in Form einer Verlängerung des Datenschutzzeitraums zu gewähren, wenn sie als erste Antragsteller nach der Zulassung mehrere Anwendungen für geringfügige Verwendungen beantragen.

4.4.4

Der EWSA macht außerdem den Vorschlag, dass die Europäische Kommission als Ersatz der nach Artikel 49 Absatz 6 vorgesehenen einzelstaatlichen Listen eine zentrale europäische Liste geringfügiger Verwendungen zusammenstellt und den Mitgliedstaaten zur Einsicht vorlegt.

4.5   Informationsbereitstellung

4.5.1

In die Verordnung wurde die Möglichkeit einer Verpflichtung aufgenommen, vor Einsatz des Produkts die Anwohner zu informieren, die der Sprühnebelabdrift ausgesetzt sein könnten und eine Unterrichtung gefordert haben (Artikel 30).

4.5.2

Der EWSA vertritt die Meinung, dass Transparenz bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zwar sehr zu begrüßen ist, die vorgeschlagene Informationspflicht das Vertrauen in die dem Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln zugrunde liegende Rechtsetzung jedoch untergräbt; es geht nämlich um die Anwendung von für sicher befundenen Mitteln, und die Informationspflicht lässt womöglich den gegenteiligen Eindruck entstehen.

4.5.3

Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass die Umsetzung dieses Artikels kein gegenseitiges Verständnis zwischen Verwendern und Anwohnern fördert, sondern vielmehr den sozialen Zusammenhalt in ländlichen Gemeinmeinwesen stört, da durch die Informationspflicht der Anschein erweckt werden kann, dass mit Mitteln gearbeitet wird, die nicht sicher sind. Die Vorschrift wirkt damit kontraproduktiv.

Brüssel, den 31. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft“

KOM(2006) 818 endg. — 2006/0304 (COD)

(2007/C 175/13)

Der Rat beschloss am 8. Februar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175, Absatz 1 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr ADAMS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31.Mai 2007 (Sitzung vom 31. Mai) mit 50 gegen 8 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss begrüßt die vorgeschlagene Richtlinie, die einen sorgfältig abgewogenen und pragmatischen Ansatz zur Abmilderung und Kompensierung der rasch an Umfang zunehmenden Treibhausgasemissionen durch den Luftverkehrssektor bietet.

1.2

Durch die Einbeziehung des Luftverkehrs in das europäische Emissionshandelssystem (ETS) erfährt das System selbst eine potenzielle Stärkung und wird als das herausragende Modell zur Bewältigung der CO2-Emissionen auf globaler Ebene gefestigt.

1.3

Der Vorschlag ist realistisch; er berücksichtigt den starken Druck von Seiten der Politik, der Wirtschaft und der Verbraucher für einen weiteren Ausbau des Personen- und Güterluftverkehrs und nutzt zugleich die Marktmechanismen des Emissionshandelssystems, um einen der wichtigsten, durch den Luftverkehrssektor verursachten externen Schadensfaktoren auszugleichen.

1.4

Der Vorschlag hat dennoch seine Schwächen. Er steht und fällt mit dem Emissionshandelssystem — einem System, das von vielen betroffenen Kreisen kritisiert wurde, das sich erst noch bewähren muss und das seinerseits abhängig ist von der gerechten Zuteilung der CO2-Emissionszertifikate, erfindungsreichen und innovativen Investitionen in CO2-Reduzierung sowie der Durchführung der nationalen Zuteilungspläne der Mitgliedstaaten.

1.5

Der EWSA begrüßt, dass ab 2012 alle Flüge von und nach Europa in das System einbezogen werden sollen, ist jedoch der Ansicht, dass für europäische Betreiber dies ab 2011 gelten sollte.

1.6

Mit der Richtlinie wird es möglich, „externe“ flexible Gutschriften aus Projekten im Rahmen des Joint Implementation oder Clean Development Mechanism (JI/CDM) einzubeziehen. Die Unterstützung der Kohlendioxid-Reduzierung sowie zertifizierter Systeme für erneuerbare Energie/Energieeffizienz in Entwicklungsländern ist — unter der Bedingung, dass eine strenge Prüfung beibehalten wird — positiv zu bewerten.

1.7

Der Ausschuss erkennt an, dass es sich um ein komplexes Thema handelt, ist jedoch der Meinung, dass der Vorschlag etwas vage ausfällt und seine Vorzüge nicht deutlich genug herausgestellt werden. In dem Vorschlag wird in unterschiedlicher Weise und auf verschiedenen Ebenen auf die EU als Ganzes, die einzelnen Mitgliedstaaten, die verschiedenen Industriesektoren und die Öffentlichkeit Bezug genommen. Insbesondere sollte das positive Potenzial der Richtlinie zur Unterstützung und Stärkung des Emissionshandelssystems hervorgehoben werden. Ebenfalls ist darauf hinzuweisen, dass eine aktive und ergänzende Unterstützung durch andere Stellen der Kommission, insbesondere die Generaldirektionen Verkehr und Energie sowie Forschung erforderlich sein wird.

1.8

Der EWSA schlägt deshalb folgende Schritte vor:

1.8.1

Die Einbeziehung des Luftverkehrs in das Emissionshandelssystem wird dazu genutzt, das System einer Prüfung zu unterziehen, bestehende Fehler zu korrigieren und Schwachstellen abzuschaffen, damit ein echter und wirksamer Markt für den Kohlendioxid-Handel entstehen kann — ein kritischer Punkt in Zusammenhang mit der Verpflichtung der EU zu einer 20-prozentigen Reduzierung bis 2020.

1.8.2

Die vorgeschlagene Emissionsobergrenze wird herabgesetzt, um den Luftverkehrssektor zu Korrekturen zu verpflichten, die denjenigen anderer Sektoren, die bereits dem Emissionshandelssystem angehören, eher vergleichbar sind.

1.8.3

Die vorgeschlagene kostenlose Zuweisung von Zertifikaten an Betreiber sollte abgeschafft, bzw. deutlich reduziert werden, damit die Zertifikate insgesamt bzw. mehrheitlich in den Handel einbezogen werden.

1.8.4

Für den Zukauf von Zertifikaten aus dem JI/CDM-System sollte eine einheitliche Obergrenze gelten, um zu gewährleisten, dass die Emissionen zu einem hohen Prozentsatz innerhalb der EU reduziert werden.

1.8.5

Eine vorausschauende Planung im Hinblick darauf, wie die Auswirkungen der Richtlinie der Öffentlichkeit nahe zu bringen sind, sollte in Betracht gezogen werden. Hierdurch würde nicht nur das Bewusstsein für die Folgen des Luftverkehrs auf den Klimawandel geschärft, sondern auch die finanziellen Auswirkungen des Systems auf die Luftverkehrskunden und -betreiber transparenter und die Gefahr des Mitnahmegewinns reduziert werden.

1.8.6

Um mit gutem Beispiel voranzugehen, sollten die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert werden, die aus administrativen Gründen derzeit geltende Ausnahmeregelung für Reisen von Staats- und Regierungschefs oder Staatsministern (überwiegend von Militäreinheiten durchgeführte Flüge) freiwillig aufzuheben.

1.8.7

Ergänzenden Maßnahmen zur Reduzierung von CO2 außerhalb des Emissionshandelssystems sollte ebenfalls sehr große Bedeutung beigemessen werden. Hierzu gehört die Abschaffung von rechtlichen Hindernissen für steuerliche und gesetzliche Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf Flugzeugtreibstoff, die Begrenzung von Stickstoffoxidemissionen, die Verbesserung des Flugverkehrsmanagements und die Forschung im Hinblick auf größere Triebwerks- und Flugwerkeffizienz.

2.   Einleitung

2.1

Der Luftverkehr war und ist ein integraler und wichtiger Bestandteil der expandierenden Weltwirtschaft. In mehrfacher Hinsicht ist der Luftverkehr als Erfolgsgeschichte zu bezeichnen. Er verzeichnet seit 1960 ein jährliches Wachstum von durchschnittlich 9 % und somit eine 2,4-fach höhere Wachstumsrate als das globale BSP. Dieses Wachstum hält an, und wenn der gegenwärtige Trend anhält, wird sich das Luftverkehrsaufkommen bis 2020 verdoppeln.

2.2

Mit diesem Erfolg unvermeidlich verbunden waren Probleme, wie der Ausbau von Flughäfen und deren Auswirkungen auf die örtliche Umgebung; in Zusammenhang mit dem Klimawandel jedoch konzentriert sich das Dokument immer stärker auf die Frage, inwiefern die durch den Luftverkehr verursachten Treibhausgas- und andere Emissionen zur globalen Erwärmung beitragen. Die Luftfahrtindustrie trägt als Dienstleistungsbranche ca. 0,6 % zur Wertschöpfung der EU bei, verursacht aber 3,4 % ihrer Treibhausgasemissionen. Seit 1990 sind die durch den Flugverkehr in der EU verursachten Emissionen um 85 % gestiegen, während die Treibhausgasemissionen der EU aus allen Quellen zusammengenommen im gleichen Zeitraum um 3 % gesunken sind.

2.3

Internationale Flüge sind traditionell von der Mineralölsteuer ausgenommen und sind nicht betroffen von den Zielvorgaben des Kyoto-Protokolls. Berücksichtigt man die lange Einsatzfähigkeit von Flugzeugen und die Möglichkeiten noch größerer technischer und operationeller Effizienz, so bedeutet die Ausweitung des Flugverkehrs, dass die durch diesen Sektor verursachten Treibhausgasemissionen weiterhin ansteigen und somit die Bemühungen um Reduzierungen in anderen Bereichen zunichte gemacht werden. Obwohl generell im Luftverkehr große Verbesserungen bei der Regulierung, Koordinierung und der Einhaltung der Regeln in den Bereichen Schutz und Sicherheit zu verzeichnen sind, erwies sich eine Einigung auf internationaler Ebene zu Umweltthemen, die sich eventuell auch auf wirtschaftliche Interessen auswirken könnte, als schwierig.

2.4

Die Kommission sucht seit einiger Zeit nach Möglichkeiten, wie die Reduzierung der durch den Luftverkehr verursachten Treibhausgasemissionen gefördert bzw. durchgesetzt werden kann. 2005 nahm sie eine Mitteilung zur „Verringerung der Klimaauswirkungen des Luftverkehrs“  (1) an. Im April 2006 stellte der EWSA in seiner Stellungnahme (2) zu dieser Mitteilung fest, dass weitere politische Maßnahmen getroffen werden müssten, um die Auswirkungen des Luftverkehrs auf den Klimawandel unter Kontrolle zu bringen, und empfahl unter anderem, die Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten der Gemeinschaft. Auch der Rat der Umweltminister, der Europäische Rat und das Europäische Parlament vertraten eine ähnliche Position. Mit der von der Kommission nun vorgeschlagenen Richtlinie, die Gegenstand dieser Stellungnahme ist, soll der Luftverkehr in das gemeinschaftliche System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten einbezogen werden.

3.   Zusammenfassung der vorgeschlagenen Richtlinie

3.1

In der Einleitung zu dem Richtlinienvorschlag wird darauf hingewiesen, dass die Zunahme der Emissionen durch den Luftverkehr bis 2012 mehr als ein Viertel des im Rahmen des Kyoto-Protokolls erzielten Umweltschutzbeitrags der EU wieder zunichte machen könnten. Eine Einigung über Maßnahmen auf internationaler Ebene erweist sich als schwierig; die vorgeschlagene Richtlinie soll jedoch als Modell für Maßnahmen auf globaler Ebene dienen und sie stellt die einzige Initiative dar, die diese Möglichkeit eröffnet.

3.2

Mit diesem Vorschlag soll die Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geändert werden. Eine den Vorschlag begleitende Folgenabschätzung kommt zu dem Schluss, dass zwar der Emissionshandel die wirksamste Lösung zur Verringerung der Klimaauswirkungen der Luftfahrt ist, die Wirkung der Maßnahmen auf das „prognostizierte Nachfragewachstum“ und somit auf den Umfang der Emissionen aber „gering wäre“ (3). Aus diesem Grund muss gesehen werden, dass dieser Vorschlag nicht darauf ausgerichtet ist, die Zunahme des Luftverkehrs per se zu begrenzen, sondern gewährleisten soll, dass seine schädlichen Umweltfolgen zum Teil durch Maßnahmen meist in anderen Wirtschaftszweigen ausgeglichen werden.

3.3

In das gegenwärtige Emissionshandelssystem der EU (4) sind etwa 12 000 energieintensive Industrieanlagen einbezogen, die für 50 % des gesamten CO2-Ausstoßes der EU verantwortlich sind. Mit dem Vorschlag werden Fluglinien verhandelbare Emissionsrechte für eine bestimmte CO2-Menge jährlich zugeteilt, das Gesamtemissionslimit wird dabei anhand der Jahresdurchschnittsmenge der im Zeitraum 2004-2006 von der Luftverkehrindustrie verursachten Emissionen festgelegt. Die Betreiber können auf dem Markt des Emissionshandelssystems überzählige Emissionsrechte verkaufen oder weitere Emissionsrechte hinzukaufen — zum Beispiel von Industrieanlagen, die ihre Emissionen reduziert haben oder im Rahmen der Kyoto-Protokoll-Mechanismen von Projekten für umweltfreundliche Energie in Drittstaaten.

3.4

Die vorgeschlagene Richtlinie wird ab 2011 für die Emissionen von Flügen innerhalb der EU und ab 2012 für die Emissionen von Flügen mit Quelle oder Ziel an EU-Flughäfen gelten und sowohl die EU- als auch Drittstaaten-Flugzeugbetreiber erfassen. Schätzungen zufolge dürfte durch den Vorschlag ein Hin- und Rückflug innerhalb Europas bis 2020 um 1,8 bis 9 EUR teurer werden, ein Langstreckenflug um entsprechend mehr, z.B. 8 bis 40 EUR für einen Flug nach und von New York. Wegen der geringfügigen Folgen eines solchen Aufschlags innerhalb des preislich flexiblen Luftfahrtsektors dürfte dieses System sich kaum auf das Wachstum auswirken.

3.5

Die Kommission erkennt an, dass die Einbeziehung des Luftverkehrs in das Emissionshandelssystem nur eine der möglichen Maßnahmen darstellt, die auf internationaler Ebene getroffen werden müssen, um die immer stärkeren Auswirkungen der flugverkehrsbedingten Emissionen auf das Klima zu bewältigen. Nach einer Folgenabschätzung will sie 2008 Vorschläge zu Stickoxid-Emissionen vorlegen. Ebenso beabsichtigt die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation bei ihrer Versammlung im September 2007, weitere Vorschläge zu unterbreiten, obwohl es Anzeichen dafür gibt, dass sich Widerstand formiert, der auf eine Schwächung und Unterminierung der EU-Initiative abzielt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt den Umstand, dass durch die Einbeziehung des Luftverkehrs in das Emissionshandelssystem auf internationaler Ebene ein erster Schritt dahingehend getan wird, dass der Luftverkehr einen Teil der Umweltkosten trägt, die er bislang stets externalisiert hat. Die Einbeziehung von Betreibern aus Drittländern wird ebenfalls begrüßt. Zudem werden infolge des vorgeschlagenen Systems weniger treibstoffsparende Flugzeuge einen größeren Teil der Emissionsrechte nutzen müssen und somit — wenn auch in bescheidenem Maße — ein Anreiz zu größerer technischer und operationeller Effizienz geschaffen werden. Da die Auslastung bei Billigfluglinien im Durchschnitt um 10 % höher ist als bei traditionellen Fluggesellschaften, wird dieser Vorschlag sich auch etwas weniger auf die Billigfluglinien auswirken und zugleich alle Fluggesellschaften zum Verkauf von freien Plätzen zu günstigen Tarifen ermutigen.

4.2

Die Kommission erkennt an, dass Maßnahmen bezüglich der Effizienz der Flugrouten, Alternativtreibstoffe, verbesserter Konstruktion und höherer Auslastungsfaktoren dazu beitragen, den Anstieg von Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Obwohl jedoch die meisten dieser Maßnahmen seit 1990 in der Luftfahrt in die Praxis umgesetzt wurden, haben die Emissionen in diesem Zeitraum um mehr als 85 % zugenommen und steigen aufgrund des deutlich gewachsenen Flugpassagier- und Luftfrachtaufkommens weiterhin an.

4.3

Mit der vorliegenden Richtlinie soll durch die Einbeziehung in das Europäische Emissionshandelssystem dem wachsenden Beitrag des Luftverkehrssektors zum Klimawandel Rechnung getragen werden. Dieses Emissionshandelssystem ist der einzige internationale, marktbezogene, groß angelegte Regulierungs- und Ausgleichsmechanismus auf dem Gebiet der CO2-Emissionen, der allerdings in seiner 2007 auslaufenden Testphase erhebliche Anlaufschwierigkeiten zeigte. Dies war weitgehend auf die allzu großzügige Zuteilung von Zertifikaten durch die Mitgliedsländer zurückzuführen. Damit das EU-Emissionshandelssystem seinen Zweck als Marktinstrument für eine Reduzierung der CO2-Emissionen wirklich erfüllen kann, muss die Kommission mit der Unterstützung aller Mitgliedstaaten bei der Festlegung und Anwendung der CO2-Quoten sowie der Gewährleistung ihrer Einhaltung Standfestigkeit zeigen.

4.4

In der Praxis könnte sich die Einbeziehung des Luftverkehrs für das Emissionshandelssystem als sehr nützlich erweisen. Der Luftverkehr reagiert weniger deutlich auf Preisschwankungen als die meisten industriellen Verarbeitungs- und Energiegewinnungssektoren, die derzeit für den größten Teil der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Wenn der durch den Luftverkehr verursachte CO2-Anteil (zwangsläufig) ansteigt, werden dem Emissionshandelssystem beträchtliche zusätzliche finanzielle Mittel zufließen, die für Investitionen zur weiteren CO2-Reduzierung in anderen Bereichen genutzt werden können. Während der Luftverkehrssektor selbst nur eingeschränkt zu solchen Reduzierungen imstande ist, kann er als Zuführungskanal von Finanzmitteln fungieren, mit denen anderen Sektoren dieses sehr wohl ermöglicht wird.

4.5

Die Kommission ist der Auffassung, dass zum Beispiel bis 2020 mit der Richtlinie gegenüber dem bisherigen Verfahren eine Netto-Reduzierung von Treibhausgasen im Umfang von 183 Mio. Tonnen CO2 erreicht werden kann. Zwar kann der CO2-Preis für diesen Zeitraum nicht genau vorausberechnet werden und hängt von einem strengen Zuteilungssystem ab, wenn aber der Luftfahrtsektor in diesem Zeitraum 100 Mio. Tonnen zu einem Durchschnittspreis von 30 EUR kaufen würde, stünden im Prinzip 3 Mrd. EUR zur Reduzierung von CO2 zur Verfügung.

4.6

Der EWSA hat 2007 ein umfassendes Programm ins Leben gerufen, mit dem innerhalb der Zivilgesellschaft Maßnahmen und bewährte Verfahren in Zusammenhang mit dem Klimawandel gefördert werden sollen und bei dem es im Wesentlichen darum geht, weitere Beiträge zu den Treibhausgasemissionen möglichst gering zu halten. Der Ausschuss erkennt zwar an, dass dieser Vorschlag pragmatisch gesehen, den besten Ansatz zur Einbeziehung des Luftverkehrssektors in eine Strategie zur CO2-Reduzierung darstellt, muss aber darauf hinweisen, dass die vorgeschlagene Richtlinie für die Begrenzung der stetig anwachsenden Treibhausgasemissionen durch den Luftfahrtsektor so gut wie nichts bringen wird. Hierdurch entsteht ein erhebliches Präsentationsproblem: Die Luftverkehrsbranche ist bereits der Treibhausgasemittent mit der höchsten Zuwachsrate in Europa, und mit dieser Richtlinie wird dem Wachstumsbestreben der Industrie nachgegeben, ohne dass eine Begrenzung der Emissionen verlangt würde. Der Öffentlichkeit muss begreiflich gemacht werden, dass die Richtlinie beträchtliche finanzielle Mittel abwerfen kann, die ausgleichend zur Reduzierung von CO2 eingesetzt werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Im Hinblick auf die Erreichung des gesteckten Ziels, die von der Luftfahrtindustrie ausgehenden Emissionen deutlich zu reduzieren, ist die vorgeschlagene Richtlinie terminologisch ungenau. Da die Fluggesellschaften zur Abdeckung ihrer Emissionen oberhalb des zugeteilten Limits zu „Markt“-Preisen Emissionsrechte zukaufen können, wird die durch die Richtlinie bewirkte Senkung der Treibhausgasemissionen des Luftfahrtsektors minimal ausfallen: sie wird geschätzt auf einen eventuellen 3 %-igen Nettorückgang bis 2020 und ist somit geringer als der Anstieg der Treibhausgasemissionen durch die Luftfahrt in nur einem Jahr. Aus den Zahlen der Kommission selbst geht hervor, dass der minimale Anstieg der Preise für Flugtickets auf die Nachfrage nach Flügen nur geringe Auswirkungen haben wird.

5.2

Durch die mehrheitlich kostenlose Ausgabe der ersten Emissionsrechte an Fluglinienbetreiber und die Möglichkeit des Zukaufs innerhalb des allgemeinen Emissionshandelssystems (es handelt sich um ein offenes System anstatt eines geschlossenen Systems für den Luftverkehr oder gar für den Verkehr insgesamt) akzeptiert die Kommission den Status quo und tut wenig, um auf das kontinuierliche und rasche Wachstum des Luftfahrtsektors einzuwirken. Das zentrale Problem ist jedoch, dass eine Beschränkung dieser Art politisch und wirtschaftlich nicht akzeptabel ist. Um hier überhaupt Fortschritte verbuchen zu können, geht die Kommission davon aus, dass nicht nur die Einbeziehung des Luftverkehrssektors in das Emissionshandelssystem zu einer gewissen internen CO2-Reduktionseffizienz führen wird, sondern dass über den Ausgleich der stärkeren CO2-Emissionen der Luftfahrt durch Reduzierungen in anderen Sektoren auch echte Marktanreize geschaffen und finanzielle Mittel für neue Forschungen und Anwendungen für anderweitige CO2-Reduzierungen verfügbar werden.

5.3

Die Kommission weist darauf hin, dass in einem „geschlossenen“ System von Handelszertifikaten, d.h. innerhalb lediglich des Luftfahrtsektors, der Preis für ein Emissionsrecht zwischen 114 und 325 EUR betragen würde — der angenommene Preis beträgt im Vergleich dazu 30 EUR. Durch ein solches geschlossenes System werden die Preise für einen Kurzstreckenflug um 8 bis 30 EUR ansteigen. Obwohl dies ein realistischerer Weg sein könnte, um sowohl auf die Nachfrage einzuwirken als auch die Treibstoffeffizienz und die Forschung hinsichtlich Emissionsreduzierung zu unterstützen, ist es unwahrscheinlich, dass ein solches System auf EU-Ebene Rückhalt fände, da die Prioritäten für den Verkehr unterschiedlich gesetzt werden. Durch ein geschlossenes System, das nur den Verkehr berücksichtigt, würde eine Vereinbarung auf weltweiter Ebene noch unwahrscheinlicher.

5.4

In der vorgeschlagenen Richtlinie würdigte die Kommission zwar die fundierte Untersuchung, die besagt, dass die durch den Luftverkehr verursachten Emissionen das Klima um das zwei- bis vierfache stärker belasten als Emissionen aus anderen Sektoren, berücksichtigte diese Untersuchung jedoch nicht (5). (Diese stärkere Belastung ist weitgehend darauf zurückzuführen, dass die meisten Emissionen in der oberen Atmosphäre stattfinden und ist auch bedingt durch die Auswirkungen von Nicht-CO2-Emissionen wie Kondensstreifen und Stickstoffoxiden.) Es müssen ergänzende Maßnahmen zur Reduzierung bzw. zum Ausgleich von Stickstoffoxiden getroffen werden.

5.5

Flugzeugbetreiber profitieren bereits davon, dass Flugtreibstoff von der Besteuerung ausgenommen ist. Durch die kostenlose erstmalige Zuteilung von Kohlenstoffdioxid-Zertifikaten wird ihr staatlich geförderter Vorteil gegenüber anderen Verkehrsbranchen noch weiter gesteigert. Es besteht die Gefahr, dass die Betreiber die Einführung des Emissionshandelssystems zur pauschalen Preisanhebung nutzen. Wenn die Kommission die Öffentlichkeit deutlich darüber aufklärt, wie sich das System tatsächlich finanziell auf die Kosten des Sektors auswirkt, kann einer unberechtigten Gewinnmitnahme entgegengewirkt werden.

5.6

Die Darstellung der in der Richtlinie vorgeschlagenen „Ausnahmen“ sollten noch einmal überdacht werden. So ist zum Beispiel die Ausnahmeregelung für Staats- und Regierungschefs oder Staatsminister besonders unangemessen, da diese Personengruppe doch mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Ungeachtet der administrativen Gründe für diese Ausnahmeregelung (überwiegend von Militäreinheiten durchgeführte Flüge), sollten die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert werden, diese Ausnahmeregelung freiwillig aufzuheben. Einige Mitgliedstaaten haben diesen Schritt bereits getan.

5.7

Da die Kommission sich für ein offenes Zukauf-System entschieden hat, ist es kaum zu rechtfertigen, dass das Bezugsjahr des Systems nicht stärker auf die gegenwärtige Verpflichtung der EU für die erste Phase des Kyoto-Protokolls (zwischen 2008 und 2012 eine Reduzierung um 8 % gegenüber 1990) sowie künftige Verpflichtungen (zum Beispiel eine Reduzierung um 30 % gegenüber 1990 bis 2020) ausgerichtet wird. Durch die Wahl des Bezugsjahrs 2005 wird dem Sektor bereits eine Ausgangsposition geboten, die um etwa 100 % höher liegt als die von Kyoto. Da der Luftverkehr aber der erste Verkehrssektor ist, der in das EU-Emissionshandelssystem einbezogen wird, ist es nur recht und billig, wenn die anfängliche Zuteilung nach den im EU-Emissionshandelssystem festgelegten Grundsätzen erfolgt.

5.8

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die vorliegende Richtlinie eine Verlangsamung der Zunahme der Emissionen des Luftverkehrs insgesamt wenig bringen wird. Der Umstand jedoch, dass sie über das Emissionshandelssystem die CO2-Emissionen stabilisieren kann und damit zugleich finanzielle Mittel für weitere Reduzierungen bereitstellt, ist bereits ein guter Grund, um die Kosten und den administrativen Aufwand ihrer Umsetzung zu rechtfertigen. Die vorgeschlagene Richtlinie bewirkt mehr, als dem Luftfahrtsektor ein umweltpolitisches Feigenblatt zu bieten, sie wird möglicherweise das Bewusstsein der Öffentlichkeit schärfen, weitere finanzielle Mittel für die CO2-Reduzierung bereitstellen und eine Maßnahme darstellen zur Internalisierung der externen Umweltkosten, die der Luftverkehrssektor bislang ignorieren konnte.

Brüssel, den 31. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2005) 459 endg. vom 27.9.2005.

(2)  NAT/299 „Klimaauswirkungen des Luftverkehrs“.

(3)  Zusammenfassung der Folgenabschätzung — Abschnitt 5.3.1.

(4)  Siehe die kurze Beschreibung des Emissionshandelssystems in Anhang I.

(5)  IPCC Zusammenfassung für Entscheidungsträger 2007, Die Wissenschaft der Klimaänderung,

http://www.ipcc.ch/pub/sarsum1.htm.


ANHANG I

zu der Stellungnahme des Ausschusses

Die folgenden Änderungsanträge, die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurden abgelehnt:

Ziffer 1.8.2

Wie folgt ändern:

1.8.1

Die vorgeschlagene Emissionsobergrenze wird herabgesetzt, um den Luftverkehrssektor zu Korrekturen zu verpflichten, die denjenigen auf einem anderenr Sektoren, die bereits dem EU- Emissionshandelssystem angehören, eher vergleichbaren Niveau festgelegt. sind .“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 18

Nein-Stimmen: 33

Stimmenthaltungen: 9

Ziffer 1.8.3

Wie folgt ändern:

„1.8.3

Die vorgeschlagene kostenlose Zuweisung von Zertifikaten an Betreiber sollte im Rahmen der Vorschriften und Leitlinien für das Emissionshandelssystem der EU festgelegt werden abgeschafft, bzw. deutlich reduziert werden, damit die Zertifikate insgesamt bzw. mehrheitlich in den Handel einbezogen werden.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 13

Nein-Stimmen: 24

Stimmenthaltungen: 6


ANHANG II

2005 führte die Europäische Union für die Industriesektoren mit den höchsten Treibhausgasemissionen einen europaweiten Kohlendioxid-Emissionshandel ein. Dieses System ist Vorläufer eines ähnlichen Systems, das die Unterzeichnerstaaten des Kyoto-Protokolls von 2008 an betreiben werden. Das Emissionshandelsystem der EU soll die europäischen Staaten auf das Kyoto-Protokoll vorbereiten.

Das System beruht darauf, dass — unter Aufsicht der Europäischen Kommission — einzelnen Industriesektoren im Rahmen von nationalen Zuteilungsplänen Treibhausgasemissionszertifikate, so genannte EU-Berechtigungen, zugeteilt werden. Diese Zertifikate können gehandelt werden. Die erste Phase des Emissionshandelssystems der EU deckt den Zeitraum 2005-2007 ab, die zweite Phase umfasst zeitgleich mit der ersten Phase des Kyoto-Protokolls den Zeitraum von 2008 bis 2012.

In der ersten Phase des EU-Emissionshandelssystems sind 7 300 Unternehmen und 12 000 Anlagen in Schwerindustriesektoren der EU betroffen. Hierzu gehören: Energieunternehmen, Ölraffinerien, Eisen- und Stahlwerke, die Zellstoff- und Papierindustrie sowie Zement-, Glas-, Kalk-, Ziegel- und Keramikhersteller.

Für jeden EU-Mitgliedstaat werden im Rahmen des Emissionshandelssystems jährliche Zielvorgaben für den CO2-Ausstoß festgelegt. Jedes Land teilt dann seine Zertifikate unter den Unternehmen auf, deren Fabriken und Anlagen zu den größten Kohlendioxidemittenten gehören — Energieunternehmen, Baustoffproduzenten und anderen Unternehmen der Schwerindustrie.

Jede EU-Berechtigung berechtigt seinen Inhaber zum Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid. Unternehmen, die ihre Zertifikate nicht alle nutzen, deren Emissionen also unterhalb der ihnen erlaubten Menge liegen, können diese Zertifikate verkaufen. Unternehmen, die ihre Emissionsvorgaben überschreiten, müssen die überzähligen Emissionen durch den Zukauf von Berechtigungen ausgleichen oder eine Geldbuße von 40 EUR pro Tonne zahlen.

Für die Verwaltung des Zertifikatshandels und zur Überprüfung des Zertifikatsbesitzes sind alle EU-Mitgliedstaaten durch das Emissionshandelssystem dazu verpflichtet, ein Register der nationalen Emissionszertifikate anzulegen, in dem für alle an dem System beteiligten Unternehmen Konten geführt werden.

Der Markt läuft über Makler und den täglichen elektronischen Transfer von EU-Berechtigungen. Hauptsächlich gehandelt werden Forwards, d.h. EU-Berechtigungen, die für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen sind. Dieser spätere Zeitpunkt entspricht dem Ende des Kalenderjahrs, auf das sich die Berechtigungen beziehen.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/53


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit besonderen Vorschriften für den Obst- und Gemüsesektor und zur Änderung bestimmter Verordnungen“

KOM(2007) 17 endg. — 2007/0012 (CNS)

(2007/C 175/14)

Der Rat beschloss am 14. Februar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 36 und 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr CAMPLI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Nach Auffassung des EWSA können die Ziele der Reform in ihrer Gesamtheit eine kohärente Politik für die Entwicklung dieses wichtigen Zweigs der Agrar-, Industrie- und Nahrungsmittelwirtschaft der Europäischen Union gewährleisten.

1.2

Der EWSA begrüßt die Bestätigung der zentralen Stellung der Erzeugerorganisationen in der Gemeinsamen Marktorganisation für den Obst- und Gemüsesektor.

1.3

Der EWSA hält die finanzielle Ausstattung für einen wesentlichen Bestandteil einer kohärenten Politik, die geeignet ist, die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Obst- und Gemüsesektors zu garantieren; er fordert die Kommission daher zu eingehenderen Überlegungen über die finanziellen Auswirkungen der Neuerungen auf, so positiv und vertretbar sie auch sein mögen.

1.4

Der EWSA stellt fest, dass die Aufnahme neuer und wesentlicher Maßnahmen in die operationellen Programme (OP) de facto zu einer Senkung der für Investitionen und Beschäftigung verfügbaren Mittel führt.

1.5

Der EWSA unterstützt die Strategie der Kommission, den gesamten ersten Pfeiler bis 2013 zu einem homogenen und ausgewogenen Ganzen zu machen; zu diesem Zweck fordert er die Kommission auf, auch im Obst- und Gemüsesektor geeignete Modalitäten für den Übergang festzulegen, um alle zu dem Sektor gehörenden Wirtschaftsbeteiligten an das neue System heranzuführen und dem europäischen Verbraucher gleichzeitig die Sicherheit eines qualitativ wie quantitativ angemessenen Angebots zu bieten.

1.6

Der EWSA begrüßt die Politik der Kommission, die auf den aktiven Schutz der Umwelt abzielt; hierbei empfiehlt er flexible Maßnahmen, mit denen die Vorgehensweisen und Ansätze der verschiedenen Wirtschaftsbeteiligten honoriert werden. Was die Förderung des Verzehrs von Obst- und Gemüseerzeugnissen durch bestimmte Verbrauchergruppen betrifft, so empfiehlt sich eine wirkungsvollere Strategie im Rahmen der horizontalen Förderungspolitik.

1.7

Der EWSA empfiehlt die Beibehaltung der Vermarktungsnormen zum Schutz der Verbraucher, vor allem in Bezug auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit und den Ursprung der Erzeugnisse.

2.   Überlegungen und Vorschläge der Kommission

2.1

Die Kommission nennt folgende Ziele:

Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Marktorientierung des Obst- und Gemüsesektors der EU, in anderen Worten: Beitrag zur Erreichung einer nachhaltigen Erzeugung, die auf dem Binnen- wie auf dem Ausfuhrmarkt wettbewerbsfähig ist;

Verringerung von krisenbedingten Schwankungen im Einkommen der Obst- und Gemüseerzeuger;

Erhöhung des Obst- und Gemüsekonsums in der EU;

Fortführung der Bemühungen des Sektors zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt;

Vereinfachung und — wenn möglich — Verringerung des Verwaltungsaufwands für alle Beteiligten.

2.2

Die Struktur der Reform stützt sich auf drei wesentliche Elemente:

Haushaltsneutralität;

Anpassung der gemeinsamen Marktorganisation (GMO) an die GAP-Reform von 2003 und die anschließend erlassenen Verordnungen;

Konsolidierung der Struktur der GMO dank einer Stärkung der Erzeugerorganisationen (EO).

2.2.1

Die Kommission weist darauf hin, dass die vorgenannten Ziele der Reform unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der WTO-Kompatibilität, der Übereinstimmung mit der reformierten GAP und der Konformität mit der geltenden finanziellen Vorausschau festgelegt wurden.

2.2.2

Sie stellt fest, dass die Obst- und Gemüseerzeugung der EU-27 3,1 % des Gemeinschaftshaushalts und 17 % der gesamten EU-Agrarproduktion ausmacht.

2.2.3

Dem Reformvorschlag zufolge werden für frisches Obst und Gemüse weiterhin finanzielle Mittel von 4,1 % des Wertes der vermarkteten Erzeugung jeder Erzeugerorganisation bereitgestellt, während die nationalen Obergrenzen für Verarbeitungserzeugnisse entsprechend dem historischen Ausgabenniveau jedes Landes und für die neuen Mitgliedstaaten nach Maßgabe der in den Beitrittsverträgen festgelegten Beträge in die Betriebsprämienregelung übernommen werden.

2.2.4

In Regionen, in denen die Erzeuger nur in geringem Umfang organisiert sind, werden zusätzliche einzelstaatliche Finanzbeihilfen gewährt.

2.2.5

Die Kofinanzierung für die OP beträgt weiterhin 50 %; in einigen Sonderfällen erreicht sie ausnahmsweise 60 % (grenzübergreifende Maßnahmen, branchenübergreifende Maßnahmen, ökologischer Landbau, Erzeuger in den neuen Mitgliedstaaten, Zusammenschlüsse von EO, Regionen in äußerster Randlage, Regionen, in denen weniger als 20 % der Produktion von Erzeugerorganisationen vermarktet werden).

2.2.6

Marktrücknahmen bis zu einem Höchstwert von 5 % der Erzeugung können bei Verteilung an gemeinnützige Einrichtungen, Justizvollzugsanstalten, Schulen, Kinderferienlager, Krankenhäuser und Altenheime zu 100 % von der Kommission finanziert werden.

2.2.7

Artikel 51 der Verordnung 1782/2003 soll aufgehoben werden, wodurch die Obst- und Gemüsekulturen in die Betriebsprämienregelung einbezogen werden können.

2.2.8

Die Mitgliedstaaten sollen die Referenzbeträge und zuschussfähigen Flächen im Rahmen der Betriebsprämienregelung auf der Grundlage eines für den Markt jedes Obst- und Gemüseerzeugnisses geeigneten Bezugszeitraums sowie angemessener objektiver und nichtdiskriminierender Kriterien festsetzen.

2.2.9

Die Kommission sieht vor, dass mindestens 20 % der Gesamtausgaben jedes OP für Agrarumweltmaßnahmen aufgewendet werden.

2.2.10

Der Vorschlag berührt nicht die für den Außenhandel geltende Regelung; allerdings wird die Abschaffung der Ausfuhrerstattungen vorgeschlagen.

2.2.11

Ein Teil der in dem erörterten Vorschlag vorgesehenen Regelung für den Obst- und Gemüsesektor ist auch bereits in dem Vorschlag für die Verordnung über eine „einzige GMO“ (der derzeit vom Rat geprüft wird) enthalten.

2.2.12

Dem Reformvorschlag der Kommission zufolge sollen anschließend auch die Vermarktungsnormen überprüft werden, insbesondere was die Einteilung nach Güte- und Gewichtsklassen, die Größensortierung, die Verpackung, die Umhüllung, die Einlagerung, die Beförderung, die Aufmachung, das Inverkehrbringen und die Etikettierung betrifft. Der Vorschlag der Kommission bestätigt die wesentliche Rolle der EO für den Obst- und Gemüsesektor, indem

die Liste der Erzeugnisse geändert wird, für die EO gegründet werden können;

den EO die Verantwortung für Krisenmanagementmaßnahmen übertragen wird, deren Kosten bis zu einem Drittel des operationellen Programms betragen dürfen;

ein Prozentsatz für den Direktverkauf eingeführt wird, der von den Mitgliedstaaten auf mindestens 10 % festzusetzen ist.

2.2.13

Mit dem Vorschlag werden Branchenverbände anerkannt und er sieht die Ausdehnung der für einer EO angeschlossene Erzeuger geltenden Bestimmungen auf nicht angeschlossene Erzeuger vor, sofern auf die EO mindestens 60 % des Angebots in dem betreffenden Wirtschaftsbezirk entfallen.

2.2.14

Die Kommission schlägt vor, dass die Mitgliedstaaten eine nationale Strategie ausarbeiten, die die Bewertung der operationellen Programme der EO ermöglicht.

2.2.15

Jedes OP muss zwingend Förderungsmaßnahmen zugunsten von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren beinhalten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Nach Auffassung des EWSA können die Ziele der Reform in ihrer Gesamtheit eine kohärente Politik für die Entwicklung dieses wichtigen Zweigs der Agrar-, Industrie- und Nahrungsmittelwirtschaft der Europäischen Union gewährleisten. Die Kommission selbst hebt in den „Gründen für die Reform“ hervor: „Von den 9,7 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben in der Europäischen Union (EU) der 25 erzeugen 1,4 Millionen Obst und Gemüse (O&G). Der Sektor bebaut 3 % des Kulturlandes und erzeugt 17 % des Wertes der Agrarproduktion der EU. Der Sektor steht unter dem Druck stark konzentrierter Einzelhandelsketten und eines wachsenden Wettbewerbs durch Drittlanderzeugnisse. […] Der O&G-Sektor macht rund 3,1 % des gemeinsamen Agrarhaushalts aus […]“ (1). Der EWSA unterstreicht seinerseits, dass der Obst- und Gemüsesektor — bezogen auf die Nutzfläche — derjenige produktive Sektor mit dem höchsten Beschäftigungsniveau ist. Darüber hinaus sieht sich der Obst- und Gemüsesektor einem internationalen Wettbewerb gegenüber (WTO-Verhandlungen, Freihandelszone Europa-Mittelmeerraum ab 2010), der die Entwicklung der europäischen Obst- und Gemüseerzeugung immer stärker beeinflussen wird.

3.2

Im Übrigen fordert der Europäische Rechnungshof in seinem Sonderbericht Nr. 8/2006 mit dem Titel „Wachsender Erfolg? Wirksamkeit der Unterstützung der Europäischen Union für die operationellen Programme der Obst- und Gemüseerzeuger“, in dem er auch die Funktionsweise der EO kritisch prüft und „einen erheblichen Fortschritt […] im Vergleich zur Ausgangssituation“ feststellt, eine verbesserte Überwachung der Wirksamkeit der Hilfe und eine zielgerichtetere Politik, um die EO zu stärken.

3.3

Der EWSA weist auf die Diskrepanz zwischen den genannten Zielen und der Höhe der für ihre Verwirklichung bereitgestellten Finanzmittel hin, die doch einen unentbehrlichen Bestandteil jeder kohärenten Politik ausmachen; hierdurch wird das Ungleichgewicht der GAP in Bezug auf die Erzeugung des Mittelmeerraums konsolidiert.

Der EWSA stellt fest, dass die Höhe der Haushaltsmittel durch die Vorschläge der Kommission nicht berührt wird. Er nimmt außerdem zur Kenntnis, dass die Kommission durch die Abschaffung der Marktrücknahmen und der Ausfuhrerstattungen eine Erhöhung der potenziell für künftige OP verfügbaren Mittel bewirkt, die allerdings ungenutzt zu bleiben drohen und nicht von den effizienteren EO investiert werden können.

3.4

Der EWSA stellt außerdem fest, dass mit dem Vorschlag zum einen neue Maßnahmen von großer politischer und wirtschaftlicher Bedeutung in die OP aufgenommen werden (Bewältigung von Marktkrisen, Umweltpolitik, Konsumförderung) und zum anderen die Kofinanzierung bestimmter als strategisch wichtig eingestufter Maßnahmen erhöht wird (auf bis zu 60 %).

Dieses neuartige Konzept führt in Verbindung mit der weiter geltenden Obergrenze der finanziellen Beihilfe der Gemeinschaft für die OP, die maximal 4,1 % des Wertes der vermarkteten Erzeugung der EO beträgt, de facto zu einer Senkung der für Investitionen verfügbaren Mittel.

3.5

Der EWSA weist ferner darauf hin, dass die Einführung der vollständigen Entkoppelung der Beihilfen für Verarbeitungserzeugnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Senkung des Wertes der vermarkteten Erzeugung und damit zu einer Senkung der insgesamt verfügbaren Finanzmittel im Vergleich zur jetzigen Situation führen würde.

3.6

Aus den vorgenannten Gründen vertritt der EWSA die Auffassung, dass mindestens drei Korrekturen vorgenommen werden müssen, bei denen der Grundsatz einer „echten“ Haushaltsneutralität gewahrt bleibt:

Die Finanzierung der Bewältigung von Marktkrisen sollte nicht in die OP der EO einbezogen werden.

Von der Höchstgrenze von 4,1 % sollte bei einer 60 %-igen Kofinanzierung abgewichen werden, damit auch bereits etablierte EO weiter ihre Aufgabe erfüllen können, der Marktmacht der großen Einzelhandelsunternehmen zu begegnen (2).

Aufnahme gemeinsamer Aktionen von zwei oder mehr Erzeugerorganisationen, um die Zusammenarbeit zwischen Erzeugerorganisationen und die Angebotskonzentration zu fördern.

3.7

Der EWSA nimmt im Übrigen den Vorschlag der Kommission zur Kenntnis, das Krisenmanagement den EO zu übertragen, und fordert die Kommission auf, transparente Kriterien für das Krisenmanagement aufzustellen und dafür zu sorgen, dass die zu diesem Zweck verfügbaren Instrumente von allen Erzeugern so genutzt werden können, dass etwaige Kriseninterventionen Wirkung zeigen und es ermöglichen, die ursprünglichen Märkte zurückzugewinnen.

3.8

Dem EWSA ist bekannt, dass die Kommission mehrfach auf ihre langfristige Strategie hingewiesen hat, der zufolge sämtliche GMO bis 2013 in die Betriebsprämienregelung einbezogen werden sollen. Der EWSA hält es — auch im Einklang mit den bisher verabschiedeten Reformen — für denkbar, dass eine angemessene Übergangszeit in Betracht gezogen wird, um den Besonderheiten der einzelnen Mitgliedstaaten und Erzeugnisse Rechnung zu tragen. Der EWSA ist sich bewusst, dass ein zu rasches Vorgehen störenden Einfluss auf die Beschäftigung und die Verarbeitungsindustrie nehmen könnte, die sich einer komplexen Umstrukturierungsstrategie gegenübersieht — welche möglicherweise auch die Schließung von Standorten umfassen wird -, für die in dem Reformvorschlag keine spezifischen Begleitmaßnahmen vorgesehen sind.

3.9

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission es aus Gründen der WTO-Vereinbarkeit für erforderlich hält, Artikel 51 der Verordnung 1782/2003 zu ersetzen. Dies würde innerhalb des Sektors zu einem zusätzlichen Wettbewerb zwischen traditionellen Obst- und Gemüseanbauern und möglichen neuen Erzeugern führen. Um künstliche Störungen der Ertragsdynamik des Sektors zu vermeiden, hält der EWSA es für unumgänglich, den Mitgliedstaaten — während eines Übergangszeitraums — zu gestatten, Artikel 51 in selektiver Weise auf bestimmte empfindliche Waren weiter anzuwenden oder neue Rechte für diejenigen Obst- und Gemüseanbauer einzuführen, die mit ihrer bisherigen Erzeugung keine solchen benötigten.

3.10

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission in Bezug auf den Handel mit Drittländern die Abschaffung der Ausfuhrerstattungen für den Sektor vorschlägt, und stellt fest, dass dies zu einer allgemein uneinheitlichen EU-Politik für die verschiedenen Landwirtschaftssektoren beiträgt. Er ersucht die Kommission, keine Handelskonzessionen zu machen, die den Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz beeinträchtigen, und empfiehlt ihr, für die strikte Anwendung der Zollkontingente und die Beibehaltung der besonderen Schutzklausel zu sorgen, zumal die EU der weltweit größte Einführer von Obst und Gemüse ist, über 70 % ihrer Einfuhren aus Ländern stammen, die in den Genuss präferenzieller Handelsabkommen kommen und einige der Erzeugnisse des Sektors so genannte „empfindliche Waren“ sind.

3.11

Der EWSA unterstützt zwar das Ziel einer tendenziellen Vereinfachung, hält jedoch die Beibehaltung der Vermarktungsnormen für ein wichtiges Instrument sowohl für den Verbraucherschutz mit Blick auf Sicherheit und Ursprung der Erzeugnisse als auch wegen der wesentlichen Rolle solcher Normen für die Marktregulierung. Vor diesem Hintergrund hebt der EWSA hervor, wie wichtig es ist, dass es der EU gelingt, in den internationalen Handelsbestimmungen das Prinzip der Rückverfolgbarkeit durchzusetzen, um eine Bewertungsgrundlage für den Umgang mit sanitären und phytosanitären Risiken zu erhalten.

3.12

Der EWSA hält es außerdem für erforderlich, dass die Europäische Union auf internationaler Ebene die Einführung und Anerkennung umweltbezogener und sozialer Standards mit Blick auf die in den Produktionsprozessen tätigen Arbeitnehmer fördert.

3.13

Der EWSA begrüßt die Politik der Kommission, die auf den aktiven Schutz der Umwelt abzielt. Wesentlich effizienter als Höchstgrenzen und feste Prozentsätze wäre hierfür nach Ansicht des EWSA ein Kofinanzierungssystem mit einer verbindlichen Mindestgrundlage und gestaffelten Sätzen, das operationellen Programmen zugute käme, die der Verwirklichung dieser Ziele dienen.

3.14

Was die Förderung des Verzehrs von Obst- und Gemüseerzeugnissen durch bestimmte Verbrauchergruppen betrifft, so misst der EWSA diesem Ziel dieselbe Bedeutung bei wie die Kommission und fordert letztere daher auf, im Rahmen der horizontalen Förderungspolitik eine spezifische Strategie auszuarbeiten; er bezweifelt allerdings, ob obligatorische Förderungsmaßnahmen innerhalb der OP sinnvoll sind, da sie unvermeidlich nur von geringem Umfang sein können.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss weist darauf hin, dass mit dem Vorschlag der Kommission das Problem der Produzenten von rotem Obst für die Verarbeitung nicht gelöst wird. Der EWSA hält es für angebracht, ähnlich wie für andere Obst- und Gemüsesorten zur Verarbeitung (z.B. Trockenobst), für diesen Sektor ein System zur direkten Unterstützung zu schaffen.

4.2

Der EWSA begrüßt die Aufnahme von Küchenkräutern in die Liste der Erzeugnisse, für die eine EO gegründet werden kann, und fordert die Kommission ferner auf, zu überprüfen, ob die in ihrem Vorschlag festgelegte Liste den Anforderungen sämtlicher Gebiete der EU entspricht.

4.3

In Anbetracht früherer Erfahrungen mit der Verteilung an gemeinnützige Einrichtungen weist der EWSA die Kommission auf das Erfordernis hin, Vorkehrungen für eine rasche und wirksame Durchführung zu treffen.

4.4

Der EWSA fordert die Kommission auf, im Rahmen der Maßnahmen der kostenlosen Verteilung auch Nichternährungszwecke in Betracht zu ziehen.

4.5

Der EWSA ersucht die Kommission, die besonderen Schwierigkeiten der Erzeuger aus den neuen Mitgliedstaaten bei der Kofinanzierung des Krisenmanagements zu bedenken.

4.6

Nach Auffassung des EWSA steht die Festlegung eines Mindestsatzes für den Direktverkauf durch den Erzeuger im Widerspruch zu den Reformzielen, weshalb er vorschlägt, den Wortlaut der vorhergehenden Verordnung beizubehalten.

4.7

Der EWSA lehnt die Ausarbeitung einer nationalen Strategie für die OP durch die Mitgliedstaaten — auch mit Blick auf eine verbesserte Nutzung bereits vorhandener öffentlicher Strukturen — nicht ab, vertritt jedoch die Auffassung, dass diese Strategien für den betreffenden Mitgliedstaat fakultativ sein müssen und nicht zur Neuauflage von Listen mit nationalen Positivmaßnahmen führen dürfen.

4.8

Der EWSA stellt außerdem fest, dass sich in manchen Fällen ein Widerspruch zwischen der Gemeinschaftspolitik, die auf die Förderung der Angebotskonzentration — u.a. durch den Zusammenschluss von EO — abzielt, und den Maßnahmen der gemeinschaftlichen oder einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörde ergeben kann. Er fordert daher, dass bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln der europäischen Dimension des Obst- und Gemüsemarkts Rechnung getragen wird.

4.9

Der EWSA schlägt der Kommission vor, eine gemeinschaftliche Beobachtungsstelle für Preise und Handelsgepflogenheiten einzurichten, wodurch die Markttransparenz zum Nutzen aller Wirtschaftsbeteiligten erhöht werden könnte.

4.10

Der EWSA, der der Ansicht ist, dass mit der vorgeschlagenen Reform eine unabhängige gemeinsame Marktorganisation für den Sektor bestätigt wird, fordert die Kommission auf, in die Verordnung über die so genannte „einzige GMO“ keine zusätzlichen spezifischen Bestimmungen für Obst und Gemüse aufzunehmen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen SEK(2007) 75 — Wege zu einer Reform der gemeinsamen Marktorganisationen für frisches Obst und Gemüse sowie Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse — Zusammenfassung der Folgenabschät-zung.

(2)  ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 44, Stellungnahme CESE 381/2005 — Große Einzelhandelsunternehmen — Tendenzen und Aus-wirkungen auf Landwirte und Verbraucher.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/66/EG über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren hinsichtlich der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“

KOM(2007) 93 endg. — 2007/0036 (COD)

(2007/C 175/15)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 19. April 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 Absatz 1 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss sich bereits in seiner Stellungnahme vom 28. April 2004 (1) zu dem Inhalt dieses Vorschlags geäußert hat, beschloss er auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 159 Ja-Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

 

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  2003/0282 (COD), ABl. C 117 vom 30.4.2004.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung“

(2007/C 175/16)

Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie der Bundesrepublik Deutschland, Herr Michael GLOS, ersuchte in seinem Schreiben vom 26. September 2006 im Zusammenhang mit den Aktivitäten des deutschen Ratsvorsitzes den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer zu folgendem Thema „Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 4. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr MALOSSE, Mitberichterstatter war Herr NILSSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 31. Mai) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

Für eine gemeinsame Globalisierungsstrategie

Die EU kann als Laboratorium einer globalisierten Welt aufgefasst werden. Sie ist nach demokratischen Grundsätzen und ohne hegemoniale Bestrebungen entstanden und der Vielfalt der Meinungen und Kulturen sowie dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und der Offenheit verpflichtet. Wenngleich die neue Weltordnung nicht dem EU-Modell entsprechen kann, muss die Europäische Union doch ihre Werte und Grundsätze zur Geltung bringen und sich zugleich für eine globale Governance einsetzen, die sich an den maßgeblichen Errungenschaften des europäischen Aufbauwerks orientiert. Die EU ist dann glaubhaft, wenn sie ihre Werte transportiert und ihr Integrationsmodell ohne Arroganz oder hegemoniale Bestrebungen vertritt. Verfügt die EU aber über keine gemeinsamen Visionen oder Vorstellungen in Bezug auf die Herausforderungen und Chancen der Globalisierung, könnten sich die Einwohner Europas im Stich gelassen fühlen und nach dem Nutzen der EU fragen.

1.1   Ein „globaler Rechtsstaat“

Die erste Antwort der EU muss darin bestehen, mehr zur Entstehung eines „Rechtsstaats“ beizutragen, der den nüchternen Realitäten gerecht wird. Für seine Entstehung dürfen aber keine Mühen gescheut werden, um mit allen Mitteln eine menschenwürdige Globalisierung zu fördern, die auf Multilateralismus und nicht auf den Kräfteverhältnissen basiert; auf den Grundrechten des Einzelnen insbesondere hinsichtlich Arbeitsrecht und Arbeitsbedingungen; auf einem verantwortungsbewussten Umgang mit unserem Naturerbe; auf größerer Transparenz der Finanzmärkte; auf einem höheren Niveau des Gesundheitsschutzes und der Lebensmittelsicherheit für alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere die schwächsten; auf der kulturellen und sprachlichen Vielfalt sowie auf der Teilung und der allgemeinen Verbreitung von Wissen.

1.2   Als Vorbild fungieren

Zweitens kann und muss die EU regionale Integrationsprozesse fördern. Es ist festzustellen, dass die meisten Länder der Erde — von wenigen Ausnahmen abgesehen — in verschiedene Prozesse der Annäherung eingebunden sind, die von einer einfachen thematischen Zusammenarbeit bis hin zu einem echten, mit dem der EU vergleichbaren Integrationsprozess reichen. Die Globalisierung wäre sicherlich besser zu steuern, wenn die EU häufiger zum Vorbild genommen und wenn mehr aufeinander abgestimmte regionale Gemeinschaften, die ebenfalls auf Pluralismus, der Wahrung der Vielfalt und dem Konsensprinzip basieren, miteinander in Dialog treten, anstatt der Logik der Kräfteverhältnisse verhaftet zu bleiben. Die regionale Integration ist sicherlich auch eines der Schlüsselrezepte für die Zukunft der schwächsten Regionen der Welt, für die die Begrenztheit ihrer Märkte ein unüberwindbares Handicap darstellt und die sich heute kein Gehör verschaffen können.

1.3   Eine ausgewogene und verantwortungsbewusste Öffnung des Handels

Der Ausschuss ist bezüglich der internationalen Handelsbeziehungen der Auffassung, dass bilaterale Ansätze nur als Ergänzung zum multilateralen Konzept der WTO Sinn machen. Er empfiehlt, in Fragen des Marktzugangs, der Gegenseitigkeit sowie der Bekämpfung von Handelsbarrieren und unlauteren Praktiken Fortschritte zu erzielen. Der Ausschuss schlägt vor, einen Dialog über die anderen Aspekte der globalen Governance mit handelsspezifischen Auswirkungen (vor allem soziale Standards und Umwelt) zu eröffnen. Die EU muss auch auf eine Strategie der Teilhabe hinwirken, damit alle Entwicklungsländer, vor allem in Afrika, vom Globalisierungsprozess profitieren.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Auswirkungen aller neuer Handelszugeständnisse auf Gemeinschaftsebene gründlich zu untersuchen sind, der Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente, insbesondere zum Schutz der Interessen der EU-Hersteller, verbessert und gemeinsame Maßnahmen auf den Außenmärkten gefördert werden müssen. Nach Auffassung des EWSA muss der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung als strategisches beschäftigungsspezifisches Instrument für die von der Globalisierung betroffenen Personen und Regionen eingesetzt und durch einzelstaatliche Fonds ergänzt werden.

1.4   Das Integrationstempo forcieren und die kulturelle Vielfalt erhalten

In dem Maße, in dem Europa seine Kohärenz und Integration steigert, in dem Maße wird es auch an Überzeugungskraft gewinnen und sich mit dem entsprechenden Gewicht für eine multipolare und verantwortungsbewusste globale Governance stark machen können. Die Globalisierung kann heute eine Chance für den europäischen Einigungsprozess darstellen, da sie uns alle zu erhöhtem Tempo zwingt. Derzeit ist ein Wettlauf im Gange. Innovation, allgemeine Verbreitung von Wissen und Demokratisierung könnten die Schlüssel zum Erfolg sein. Es ist allerhöchste Zeit, den Binnenmarkt tatsächlich zu vollenden, die Abschottung der Bildungssysteme und Forschungsnetze zu beseitigen und vor allem in den Bereichen Energie, Umwelt und Forschung neue Gemeinschaftspolitiken zu verwirklichen.

1.5   Engagement der organisierten Zivilgesellschaft für eine Globalisierung mit menschlichem Antlitz

Die Union selbst muss ihre Bürger mehr beteiligen und teilhaben lassen und dabei den weltweiten Dialog zwischen den Zivilisationen fördern. Der Weg über die organisierte Zivilgesellschaft und ihre Einrichtungen wie den EWSA ist eine bislang noch unzureichend erkundete Möglichkeit. In der Frage der Globalisierung ist die organisierte Zivilgesellschaft von besonderer Bedeutung, da die internationalen Beziehungen heute nicht mehr nur die staatliche Ebene betreffen, sondern auch Sache der Medien, der Sozialpartner, der Unternehmen, der Wissenschaft und Kultur, der Verbände und aller anderen Kräfte der Zivilgesellschaft sind.

2.   Die Herausforderungen der Globalisierung mit einem globalen Ansatz verdeutlichen

2.1

Das europäische Aufbauwerk hat sich seit seinen Anfängen im Zuge der Öffnung weiterentwickelt. Durch sukzessive Beseitigung der Binnengrenzen konnte die EU einen großen Binnenmarkt schaffen, ihre Wirtschaft modernisieren, ihre Infrastrukturen ausbauen und einen Spitzenplatz im internationalen Handel einnehmen.

2.2

Die europäische Integration ist weit mehr als nur ein Binnenmarkt. Die Europäische Union verfügt über gemeinsame Vorschriften, über eine eigene Rechtsordnung und Gerichtsbarkeit, über eine Menschenrechtscharta und über gemeinsame Politiken. Besonderer Erwähnung bedarf die Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, Mittel zur Umsetzung des Grundsatzes der Solidarität zwischen den Ländern und Regionen, die zur Verringerung der — im Zuge der letzten Erweiterung größer gewordenen — Entwicklungsunterschiede beitragen soll.

2.3

Die heutige Herausforderung der Globalisierung steht in einem ganz anderen Kontext und basiert auf völlig anderen Bedingungen. Diese sind insbesondere durch eine noch in den Kinderschuhen steckende globale Governance, durch hegemoniale Bestrebungen sowie wachsende Spannungen zwischen den Industrieländern und den Schwellenländern gekennzeichnet. Diese globalen Ungleichgewichte stellen eine ganz und gar neue Sachlage für die Europäische Union dar.

2.4

Das Projekt Europa war ursprünglich überhaupt nicht „eurozentriert“. Die Väter der Verträge konnten sich bereits die Öffnung der Europäischen Gemeinschaft für alle Völker Europas vorstellen, sobald diese erst einmal von den Diktaturen befreit wären. Es könnte somit auch als Modell für eine neue Weltordnung dienen, die auf Rechtsstaatlichkeit, Offenheit und Vertrauen basiert.

2.5

Die Globalisierung ist daher unter mehreren Gesichtspunkten mit den bereits von den europäischen Ländern bei ihrer gegenseitigen Öffnung verzeichneten positiven Auswirkungen vergleichbar, wie z.B. die Nutzung von komparativen Vorteilen und von Skaleneffekten und die Nutzung neuer Entwicklungsdynamiken und neuer Märkte.

2.6

Die Globalisierung weist aber auch zahlreiche neuartige Herausforderungen auf, die mitunter sehr komplexe Antworten und Anpassungen erforderlich machen, vor allem mit Blick auf die zahlreichen Schwierigkeiten und Verzerrungen beim Zugang zu den Märkten, den Brain Drain, die Erhaltung von Mehrsprachigkeit und kultureller Vielfalt, Migrationsströme, die extremen Unterschiede in puncto Arbeits- und Produktionsbedingungen, insbesondere in Bezug auf die Kosten; die Internationalisierung des Kapitals und der Finanzmärkte von nie zuvor gekanntem Ausmaß; die Bedrohung der sozialen Standards der Industrieländer infolge des globalisierten Wettbewerbs; und schließlich die erhöhten Herausforderungen mit Blick auf den Schutz von Umwelt, Gesundheit und Sicherheit.

2.7

Die Globalisierung hat nicht überall dieselben Auswirkungen. Während sie in einigen Teilen der Welt die wirtschaftliche und soziale Entwicklung fördert, werden wiederum andere geschwächt: Industrieregionen sind stärkerem Wettbewerb ausgesetzt und die Lage benachteiligter Länder verschlechtert sich weiter.

2.8

Will die EU diese Herausforderungen bewältigen, muss sie zeigen, dass sie die Globalisierung zu nutzen weiß und sie nicht einfach passiv über sich ergehen lässt. Sie muss zugleich alle sich bietenden Möglichkeiten ergreifen, aber auch feststellen, auf welche Art und Weise die verschiedenen Regionen, Branchen und Bevölkerungskreise von der Globalisierung betroffen sind, um zusammen mit den Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und anderen betroffenen zivilgesellschaftlichen Akteuren über erforderliche konkrete Maßnahmen für erfolgreiche Anpassungen zu entscheiden.

2.9

Den Herausforderungen der Globalisierung ist nicht nur mit einem rein wirtschaftlichen Ansatz zu begegnen. Politische, soziale, ökologische, aber auch kulturelle Fragen sind mit der Problematik eng verzahnt. Die Antwort der EU muss folglich all diese Themen berücksichtigen, denn sonst läuft sie Gefahr, nicht über die erforderliche Überzeugungskraft zu verfügen.

2.10

Der Ansatz der regionalen Integration, der die EU kennzeichnet, gestattet es ihr, in der WTO im Namen ihrer Mitgliedstaaten zu sprechen. Es gibt weitere Beispiele für regionale Integration in der Welt, aber keines hat ein mit der EU vergleichbares Stadium erreicht. Mit Ausnahme der CARICOM, in der die Karibikstaaten vereint sind, vertreten diese regionalen Zusammenschlüsse in der WTO keine gemeinsamen Positionen. Eine Entwicklung in dieser Richtung könnte aber viel zu einer besser strukturierten und effizienteren globalen Governance beitragen.

2.11

In der EU ist je nach Bevölkerungsgruppe und Mitgliedstaat eine unterschiedliche Auffassung der Globalisierung festzustellen. Diese Vielfalt mag eine Bereicherung sein, aber die Beschleunigung und Ausweitung der durch die Globalisierung verursachten Herausforderungen machen heute einen gemeinsamen Ansatz mit konkreten Vorschlägen erforderlich.

3.   Einen Beitrag zu effizienteren weltweiten Regelungen im Sinne einer „Globalisierung mit menschlichem Antlitz“ leisten

3.1

Die dem Projekt Europa zugrunde liegenden Werte (insbesondere Vielfalt und Solidarität, Rechtsstaatlichkeit, Subsidiarität, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wirtschaftlichen und sozialen Fragen sowie nachhaltige Entwicklung) sind heutzutage auf internationaler Ebene nicht ausreichend verbreitet.

3.2

Die ganze Bandbreite des Phänomens der Globalisierung kann heute nicht ausschließlich im Rahmen zwischenstaatlicher Beziehungen angegangen werden, unter anderem mit Blick auf Migrationsbewegungen, Kapitalströme, Umweltverschmutzung und Klimaschäden und Informationsflüsse, vor allem via Internet. Neben den Staaten werden auch folgende Akteure mehr oder weniger stark vom Prozess der Globalisierung erfasst: multinationale Unternehmen, Finanzmärkte, Medien, Wissenschaft, die organisierte Zivilgesellschaft und ihre Einrichtungen, die Sozialpartner, die NGO sowie viele andere Akteure.

3.3

Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich die EU weiterhin und noch entschiedener für eine globale Governance einsetzt, d.h. für:

die Wiederaufnahme der Doha-Verhandlungen der WTO im Sinne weiterer Handelserleichterungen, die aber auch mit Bestimmungen für ausgewogenere und gerechtere Handelsbeziehungen einhergehen;

die Weiterentwicklung und effektive Anwendung der übrigen internationalen Regelungen wie z.B. der ILO-Übereinkommen (zum Arbeitsrecht), der Übereinkommen der UNESCO im Kulturbereich (zur Vielfalt), dem Kyoto-Protokoll im Umweltbereich, der Beschlüsse der IAEA in Energiefragen, der Übereinkommen der WIPO im Bereich des geistigen Eigentums, der WHO-Empfehlungen im Bereich der Gesundheit, der UNIDO für industrielle Zusammenarbeit usw.;

die Koordination zwischen den verschiedenen Instanzen der globalen Governance unter der Federführung der Vereinten Nationen zur Redaktion von „Leitlinien der Rechtsstaatlichkeit“ mit entsprechenden Verfahren der Regulierung und Rechtsprechung, die auf der Wahrung des Pluralismus basieren.

3.4

In diesem Zusammenhang muss auf der Ebene der internationalen Handelsregeln vor allem

das WTO-Handelserleichterungsabkommen abgeschlossen werden. Damit sollen Standards angenommen werden im Bereich der Zollregeln und Zollverfahren sowie der Vereinfachung und Straffung der Verfahren, insbesondere mittels Schaffung einer einzigen Anlaufstelle sowie der Förderung wirksamer und transparenter Vorschriften und des Einsatzes von Datenverarbeitungssystemen;

die Annahme, Umsetzung und Einhaltung der Maßnahmen des WTO-Übereinkommens über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS) (Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit und Pflanzenschutz) sichergestellt und der Schutz und das Wohlbefinden von Tieren einbezogen werden;

wirksamer gegen Produkt- und Markenpiraterie vorgegangen werden, die den europäischen Herstellern einen erheblichen und immer größeren Schaden zufügt, insbesondere durch Ausarbeitung einer umfassenden und wirkungsvollen Strategie zum Schutz des geistigen Eigentums durch das TRIPS-Abkommen;

die Fortschritte im Bereich des Handels an die Einhaltung sozialer, ethischer und ökologischer Standards geknüpft werden;

ein Beitrag dazu geleistet werden, die Kapazitäten der Schwellenländer (insbesondere Chinas und Indiens) und der Entwicklungsländer auszubauen.

3.5   Andere Regelungen

3.5.1

Selbst wenn bedeutende Fortschritte in allen Handelsfragen erzielt werden sollten, würden diese alleine nicht ausreichen, um die Bedingungen für eine wahrhaft „nachhaltige Entwicklung“ zu gewährleisten, wenngleich dieses Ziel von der WTO in der Doha-Agenda ausdrücklich anerkannt wurde. Weitere Regelungen sind im Sinne dieses Ziels erforderlich, und die Europäische Union könnte hier ebenfalls Impulse geben. Diese betreffen insbesondere die Themenkomplexe Umwelt, Sicherheit, Grundrechte, Arbeitsbedingungen und kulturelle Vielfalt.

3.5.2

Ein wesentliches Erfordernis ist der Schutz der Umwelt vor wachsenden Bedrohungen (Schutz des Lebensumfelds, Artenschutz, Bekämpfung des Treibhauseffekts und der Umweltverschmutzung usw.). Diese Problematik, die per definitionem keine Grenzen kennt, ist mit dem Phänomen der Globalisierung unauftrennbar verwoben und sollte ein eigenständiger Bestandteil der Handelsverhandlungen werden, der als Querschnittsthema in den verschiedenen Verhandlungsbereichen berücksichtigt wird. Die Europäische Union sollte dieser Erfordernis oberste Priorität einräumen,

indem sie eine Initiative zur Erneuerung der Vereinbarungen von Kyoto bezüglich der Verringerung der Treibhausgasemissionen ergreift mit dem Ziel, alle Länder der Erde daran zu beteiligen, um die globale Erwärmung einzudämmen (siehe den auf internationaler Ebene angenommenen Bericht des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimafragen (IPCC), der das Ziel der EU bestätigt);

indem sie außerdem gemeinsame Aktivitäten im Bereich der Forschung und der Beherrschung von Umwelttechnologien entfaltet, die mit Blick auf neue weltweite Bedürfnisse Spitzen-Knowhow bezüglich Prozesse, Produkte und Dienstleistungen für unterschiedliche Bereiche (von Landwirtschaft und ländlichem Raum über Wasser, Energie, Industrie und Recycling bis hin zu Wohnungsbau und Urbanistik) anbieten kann.

3.5.3

Die Sicherheitsbedürfnisse haben ebenfalls eine gesteigerte und vielfältige Bedeutung erlangt. Verwiesen sei hier auf den Gesundheitsschutz, insbesondere den Schutz vor Pandemien, die Verbrechensbekämpfung, die Atomaufsicht, den Schutz des elektronischen Datenaustauschs, die Produkt- und insbesondere die Lebensmittelsicherheit. Die Globalisierung darf unter keinen Umständen mit größerer Unsicherheit einhergehen. Folglich müssen wirksame Regelungen gefunden werden, die einen sichereren Rahmen sowohl für die Entwicklung des Handels als auch für die grundlegenden staatlichen Aufgaben und die Lebensbedingungen gewährleisten. Dieser Fortschritt muss ebenfalls mit Verbesserungen im Bereich der Regierungsführung sowie der Bekämpfung der Korruption und sonstiger Bedrohungen einhergehen.

3.5.4

Die soziale Dimension der Globalisierung und vor allem die entsprechenden Arbeitsnormen, die auf den ILO-Übereinkommen (1) basieren, müssen weltweit wirkungsvoll Anwendung finden. Die EU kann in Partnerschaft mit der ILO mittels der Konzepte der menschenwürdigen Arbeit, aber auch des fairen und ethischen Handels ein Fundament von Werten und vorbildlichen Verfahren erarbeiten. Es stellt sich die Frage nach der effektiven Anwendung der ILO-Normen, die auch die Schaffung einer entsprechenden Jurisdiktion einschließt.

3.5.5

Nichtstaatliche Akteure, Unternehmen und Sozialpartner haben in den Entwicklungsländern zahlreiche Erfolg versprechende soziale Initiativen ergriffen. Genannt seien die von zahlreichen europäischen Unternehmen — auf der Grundlage der im Rahmen der OECD vereinbarten Leitprinzipien und der sozialen Standards der ILO — entwickelten Maßnahmen. Insbesondere erwähnt werden sollten die Initiativen nichtstaatlicher Akteure in den Bereichen Beschäftigung, Ausbildung, Gesundheit und Lebens- und Arbeitsbedingungen, auch im Rahmen eines regionalen, nationale Grenzen überwindenden sozialen Dialogs. Die Unterstützung der EU für solche Initiativen, vor allem in den AKP-Ländern, sollte ausgebaut werden. Die Hilfe der Europäischen Union sollte in größerem Maße auf Programme zugeschnitten sein, die sich durch eine aktive Teilhabe zivilgesellschaftlicher Akteure — auch und vor allem auf regionaler Ebene — auszeichnen.

3.5.6

Angesichts der zunehmenden Internationalisierung der Finanzmärkte muss die EU mit einer Stimme sprechen, damit der Internationale Währungsfonds wirklich eine stabilisierende Funktion haben kann. Die Euroländer sollten sich für die Zusammenlegung zu einer einzigen Stimmrechtsgruppe entscheiden, um das Gewicht Europas zu stärken. Gleichzeitig sollte Europa die globale Governance im Bereich der Bekämpfung von Geldwäsche und Betrug nach Maßgabe der OECD-Konventionen fördern.

3.5.7

Der Bereich der Bildung und des Wissenstransfers ist unter dem Aspekt einer globalen Governance im Dienst der Bürger von zentraler Bedeutung. Es gilt, die Projekte der UNESCO zu fördern und Netzwerke zu unterstützen, mit denen im Rahmen eines pluralistischen und interkulturellen Dialogs einem möglichst umfassenden Personenkreis Wissen und Kenntnisse zur Verfügung gestellt werden können. Bei dem Ansatz der EU für eine bessere globale Governance muss auch die Frage der kulturellen und sprachlichen Vielfalt berücksichtigt werden. Dies sind — heute allerdings bedrohte — Stärken Europas.

3.5.8

Schließlich muss sich die EU im Bereich der Grundrechte einvernehmlich dafür einsetzen, die Wirksamkeit der verschiedenen Bestimmungen der VN-Menschenrechtserklärung — unter Wahrung der Vielfalt der Kulturen — zu steigern und die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs auszubauen.

3.6   Die Besonderheit des Beitrags der EU

3.6.1

Im Hinblick auf eine verstärkte globale Governance kann die EU im Sinne einer möglichst breiten Akzeptanz auch auf ihre Erfahrungen in folgenden Schlüsselbereichen zurückgreifen:

Subsidiarität, die eine adäquate Zuordnung der Befugnisse ermöglicht und folglich den Staaten, Regionen sowie den Akteuren der Zivilgesellschaft realen Handlungsspielraum gibt;

Erfahrungen beim Komplexitätsmanagement, das von unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der Anerkennung kultureller Vielfalt ausgeht;

Konsultation und Teilhabe der wirtschaftlichen und sozialen Akteure am Entscheidungsprozess.

3.6.2

Die Europäische Union sollte also einen regionalen Ansatz für die politischen, wirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen zu ihren Partnern wählen, wo immer dies möglich erscheint — und wie dies auch bereits in den Beziehungen zu den AKP-Ländern praktiziert wird. Die Entwicklung solcher wechselseitiger Beziehungen zwischen der EU und anderen regionalen Zusammenschlüssen im Sinne eines positiven Wettbewerbs und gegenseitiger Öffnung würde allen Betroffenen zum Vorteil gereichen und dabei in sicherlich entscheidendem Maße zur Vervollständigung und Stärkung des multilateralen Handlungsrahmens der WTO beitragen.

4.   Entwicklung einer gemeinsamen Welthandelsstrategie der EU

4.1   Multilateralismus oder Bilateralismus?

Dieser Ansatz wird von der Europäischen Kommission im Rahmen der Mitteilung „Das globale Europa — im Wettbewerb mit der Welt“ vom 4. Oktober 2006 skizziert.

4.1.1

Die Europäische Union muss aufgrund der Schwierigkeiten der WTO, bei der Doha-Agenda Fortschritte zu erzielen, sowie aufgrund der Begrenztheit dieser Agenda neue Initiativen ergreifen. Der Ausschuss begrüßt, dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung vom Oktober 2006 die Empfehlung ausgesprochen hat, eine neue Handelsstrategie zu konzipieren, die sowohl auf bilateralen als auch auf multilateralen Ansätzen beruht.

4.1.2

Der multilaterale Ansatz zur Bewältigung der mit der Globalisierung verbundenen Probleme ist vorzuziehen, da ausgewogene und nachhaltige Ergebnisse so besser gewährleistet werden. Der Ausschuss begrüßt folglich die von der Kommission bekräftigte Unterstützung für die eigentlichen Vorteile des Multilateralismus und der WTO. Ziel bleibt es, die Doha-Agenda in einem übergreifenden Rahmen, der alle teilnehmenden Länder zur Beachtung der gemeinsamen Regeln verpflichtet, zum Erfolg zu führen.

4.1.3

Der Ausschuss betont, dass die Vorschläge der Kommission, denen zufolge die EU angesichts anhaltender Schwierigkeiten der im Rahmen der WTO geführten Verhandlungen nun verstärkt andere, ergänzende Ansätze insbesondere bilateraler Natur zu sondieren habe, besser eingegrenzt werden müssen. Dabei ginge es um eine Vertiefung der Gespräche mit den durch hohe Wachstumsraten gekennzeichneten Schwellenwirtschaften (China, Indien, Asean-Staaten, Mercosur-Staaten und Golfstaaten), aber auch um die Stärkung unserer strategischen Verbindungen zu den Volkswirtschaften der Nachbarregionen (Russland, Ukraine, Moldawien und Mittelmeerraum) sowie die erfolgreiche Erneuerung unserer Beziehungen zu den AKP-Staaten (Afrika, Karibik und Pazifik) mittels der regionalen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die gerade ausgehandelt werden.

4.1.4

Der Ausschuss betont, dass eine solche Neuausrichtung der internationalen Strategie der EU unter bilateralen Gesichtspunkten nicht den multilateralen Ansatz ersetzen darf. Dieser muss das Hauptziel bleiben, weil er den europäischen Werten entspricht.

4.1.5

Es ist nicht nur darauf zu achten, dass ein solcher Ansatz mit den von der Kommission deutlich betonten Verpflichtungen im Rahmen der WTO vereinbar ist, sondern auch darauf, dass

die Chancen eines Vorankommens der multilateralen Verhandlungen nicht konterkariert werden;

diese im Gegenteil letztlich durch eine Vertiefung der Gespräche und eine Annährung der Standpunkte im Rahmen der bilateralen Ansätze erleichtert werden.

4.1.6

Jedweder bilaterale Ansatz der EU sollte folglich auf die Funktion der Ergänzung des multilateralen Ansatzes beschränkt sein und folgende Zielsetzungen haben:

das Terrain für multilaterale Verhandlungen vorzubereiten und insbesondere die für die EU wichtigsten Punkte hervorzuheben (Desiderata der Doha-Runde, Handelspraktiken, Bekämpfung der Markenpiraterie, öffentliches Auftragswesen etc.);

auf bilateralem Wege Fortschritte in den anderen Bereichen der globalen Governance zu erzielen: Politik, Soziales, Umwelt, Kulturpolitik und Energie.

4.1.7

Zahlreiche Präzisierungen und Anpassungen sind noch erforderlich. Sie betreffen insbesondere die Modalitäten für die Anwendung der Kriterien sowie die gegenüber bestimmten Ländern — in erster Linie gegenüber China, Korea, Indien und auch Russland — zu verfolgende Politik.

4.2   Ausbau der nachbarschaftlichen Beziehungen und der privilegierten Beziehungen

4.2.1

Die Nachbarländer (vor allem Russland, Ukraine, Belarus, Moldawien und die Mittelmeerländer) sollten mittels privilegierter Partnerschaften im Rahmen einer kohärenten Nachbarschaftsstrategie und von Interessensgemeinschaften besondere Beachtung finden.

4.2.2

Die EU und die USA sollten im Rahmen des transatlantischen Dialogs zu einer Annäherung ihrer Auffassungen der Globalisierung gelangen und einen stabilen Rahmen für ihre Zusammenarbeit und ihren Handelsaustausch schaffen.

4.2.3

Die EU muss im Rahmen ihrer bilateralen Kontakte weiterhin die Entwicklung regionaler Zusammenschlüsse in anderen Kontinenten fördern (z.B. AKP-Länder, Mercosur, ASEAN usw.), die eine bessere Strukturierung und Austarierung des Welthandels ermöglichen, sowie auf Fortschritte bei den WTO-Verhandlungen hinwirken. Die im Zuge der europäischen Integration gemachten Erfahrungen sollten — unbeschadet der Besonderheiten dieses Phänomens — auch weiterhin Impulse für regionale Zusammenschlüsse geben und diese unterstützen, denn diese sind für eine durch Nachhaltigkeit gekennzeichnete und strukturierte Globalisierung unabdingbar. Dieser Ansatz ist besonders wertvoll für die Beziehungen zu den Entwicklungsländern, z.B. den AKP-Ländern. Die Aushandlung von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) muss einhergehen mit der Förderung regionaler Integrationsprozesse, die zweifellos einen entscheidenden Beitrag dazu leisten können, dass diese Länder nicht Globalisierungsverlierer bleiben. Das positive Beispiel der CARICOM ist diesbezüglich sehr bedeutsam und gibt Anlass zu Hoffnung. Die EU muss in diesem Zusammenhang sowohl den Auf- und Ausbau der Verwaltungskapazitäten für regionale Integrationsprozesse als auch Zusammenschlüsse zivilgesellschaftlicher Akteure fördern.

4.2.4

Man könnte auch versuchen, Lehren aus den guten bzw. weniger guten Verfahrensweisen anderer Länder oder regionaler Zusammenschlüsse (Mercosur, Asean etc.) zu ziehen. Die EU muss weiterhin die regionalen Zusammenschlüsse, die — mit unterschiedlicher Dynamik und Zielsetzung — einen ähnlichen Weg wie die EU gehen, unterstützen und bevorzugt behandeln.

4.2.5

Die Rolle und die Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Akteure im Rahmen dieses bilateralen Ansatzes dürfen nicht unterschätzt werden. Die Beteiligung des EWSA an dem von der Kommission eingerichteten zivilgesellschaftlichen Dialog im Rahmen der WTO sowie die strategische Bedeutung der vom Ausschuss — mittels der verschiedenen dafür geschaffenen Gremien — durchgeführten Aktivitäten sollten deutlich wahrgenommen und bekannt gemacht werden.

4.3   Eine verantwortungsbewusstere Öffnung für den Handel

4.3.1

Es sollte sichergestellt sein, dass die Folgenabschätzungen, die mit Blick auf Vorteile, Zwänge und Zugeständnisse eines jeden Übereinkommens durchgeführt wurden, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen, insbesondere auf Branchenebene (einschließlich Agrarsektor und arbeitsintensive Industriezweige) berücksichtigen. An diesen Untersuchungen, die auf Initiative der Kommission bei jeder neuen Verhandlung durchgeführt werden, sollten mehr lokale Sachverständige und Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt werden. Ferner müsste auch die von der Kommission in ihrer Mitteilung angeschnittene Strategie des Risikomanagements vertieft werden.

4.3.2

Der Ausschuss hat sich für die Errichtung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung ausgesprochen. Er ist der Auffassung, dass dieser als strategisches beschäftigungsspezifisches Instrument für von der Globalisierung betroffene Personen und Regionen eingesetzt werden sollte. Dieser Fonds sollte, wenngleich er die nationale Finanzierung lediglich ergänzt, sichtbar sein und eine kritische Finanzmasse bilden. Der Ausschuss setzt sich — in Analogie zum Europäischen Sozialfonds — mit Nachdruck für eine Verwaltung des Fonds durch einen dreigliedrigen Ausschuss ein, an dem auch die Sozialpartner beteiligt sind.

4.3.3

Der Agrarsektor bedarf in diesem Zusammenhang besonderer Aufmerksamkeit. Über die landwirtschaftliche Erzeugung im eigentlichen Sinne hinaus muss auch die Agrarnahrungsmittelindustrie berücksichtigt werden, die für 14 % der Wertschöpfung in der EU verantwortlich ist und die 4 Mio. Beschäftigte zählt. Um ein Einverständnis im Rahmen der WTO zu ermöglichen, wurde 2003 eine grundlegende Reform der GAP eingeleitet, was für die betroffenen Berufskategorien erhebliche Opfer bedeutete. Ein künftiges Übereinkommen der WTO setzt folglich Gegenseitigkeit beim Zugang zu den Märkten und eine äquivalente und deutliche Senkung der Beihilfen für die amerikanischen Erzeuger voraus.

4.4   Gemeinsame Aktionen auf den Außenmärkten

4.4.1

Die EU-Mitgliedstaaten sollten sich schließlich mehr mit den Zielen und Mitteln einer echten gemeinsamen Strategie für den Zugang zu den Weltmärkten beschäftigen, um insbesondere folgenden drei Missständen abzuhelfen:

4.4.2

Die Exportkreditversicherungssysteme sind immer noch vorwiegend national strukturiert, trotz der politischen, wirtschaftlichen und — im Rahmen des Euro — auch monetären Integration Europas. Die EU sollte diese einzelstaatlichen Systeme unterstützen, um sie für alle europäischen Unternehmen, vor allem KMU, zu koordinieren und harmonisieren.

4.4.3

An unsere großen Handelspartner treten regelmäßig Handelsmissionen heran, die vorwiegend nationalen Charakter haben und miteinander im Wettbewerb stehen. Es geht nicht darum, bilaterale Ansätze, die oft auf historisch gewachsenen Beziehungen basieren, in Frage zu stellen. Diese sollen vielmehr, sofern wirtschaftlich gerechtfertigt, durch Missionen zur sektorialen Wirtschaftsförderung mit europäischem Zuschnitt, die unsere gemeinsame Identität betonen, aufgewertet werden.

4.4.4

Die handelspolitischen Schutzmaßnahmen (insbesondere Antidumping) sollten besser bekannt und besser genutzt werden, wofür die Kommission mehr Ressourcen bereitstellen muss.

5.   Verstärkte Integration, damit die Globalisierung für die Unionsbürger zu einer Chance wird

Die EU muss den Herausforderungen der Globalisierung begegnen, indem sie sich auf ihre wirtschaftliche Integration, Solidarität und ihr permanentes Streben nach Steigerung der Produktivität als zentralem Bestandteil der Lissabon-Strategie stützt. Nur eine gestärkte Europäische Union ist in der Lage, im Globalisierungsprozess gegenüber Handelsmächten von kontinentalen Ausmaßen zu bestehen.

5.1   Die Attraktivität des Standorts Europa steigern

5.1.1

In erster Linie müssen wir uns auf einen in ausreichendem Maße integrierten, effizienten und leistungsfähigen Binnenmarkt stützen können. Wir können schlecht von unseren Handelspartnern in der Welt Zugeständnisse einfordern, die wir uns gegenseitig in Europa kaum gewähren wollen. Hier ist noch viel zu tun.

5.1.2

Zahlreiche alte Hindernisse bestehen unverändert fort und die europäischen Unternehmen haben kaum Mittel und Möglichkeiten, sich als solche zu empfinden. Die Märkte für Dienstleistungen, die zwei Drittel des BIP ausmachen, sind immer noch weitgehend voneinander abgeschottet, und was das öffentliche Auftragswesen der Mitgliedstaaten anbelangt — sowohl in Bezug auf Lieferungen, Dienstleistungen, Bauaufträge oder den gesamten Verteidigungsbereich —, so deuten zuletzt in diesem Bereich durchgeführte Untersuchungen, die bereits zehn Jahre zurückliegen, darauf hin, dass mehr als 90 % der Aufträge in diesem Sektor nationalen Anbietern erteilt werden.

5.1.3

Es muss darauf geachtet werden, dass der gemeinschaftliche Besitzstand nicht durch einen sinnlosen Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten bedroht wird, der mit folgenden Phänomenen einhergeht: Dumping, Subventionen, Politik nationaler „Platzhirsche“, neue Schranken und Hemmnisse. Die Entwicklung einer europäischen Industriepolitik, die auch den Verteidigungssektor umfasst, könnte erheblich zur Stärkung der EU im Globalisierungsprozess in puncto Wirtschaft und Technologie beitragen. Es ist ferner unerlässlich, die gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik auszubauen, einen transparenten finanzpolitischen und sozialen Rahmen in der EU zu finden und die Doppelbesteuerung, die eklatantesten Wettbewerbsverzerrungen und den innergemeinschaftlichen Mehrwertsteuerbetrug zu bekämpfen.

5.1.4

Die Fähigkeit Europas, optimale Investitionsmöglichkeiten für den immer noch größten Markt der Welt zu bieten, wird derzeit durch unzureichende Infrastrukturen von wirklich europäischer Dimension (in den Bereichen Verkehr, Energie, neue Technologien, Technologieparks, Forschungszentren usw.) beeinträchtigt.

5.2

Entwicklung von Qualifikationen und Ausbildung der Europäer im Sinne einer innovativen Gesellschaft, die allen den Zugang zu Wissen gewährleistet

5.2.1

Europa ist rohstoffarm und kann nicht mit dem Rest der Welt mithilfe von Sozial—, Umwelt- oder Steuerdumping konkurrieren. Europa kann auch nicht zum „Supermarkt der Welt“ werden und Asien die Rolle der „Fabrik der Welt“ überlassen. Europas Zukunft hängt vor allem von der Innovationsfähigkeit, dem Unternehmergeist sowie von den Fähigkeiten seiner Bürgerinnen und Bürger ab. Langfristige Investitionen in lebenslanges Lernen bieten den Schlüssel für eine ausgeglichene Entwicklung. Folglich sollten nicht nur alle Bereiche der Bildung und Ausbildung gefördert werden, sondern auch eine ausgewählte Mobilität innerhalb der EU, die durch Mehrsprachigkeit und eine entsprechende Laufbahngestaltung — auch im öffentlichen Dienst — mit einer europäischen und internationalen Dimension unterstützt werden.

5.2.2

Europa ist noch zu stark in Einzelmärkte unterteilt. Der EWSA plädiert für umfassende Projekte mit folgenden Charakteristika: Entwicklung effektiver Mehrsprachigkeit in der Schule; Mobilitätsprogramme für Jugendliche — sowohl während der Schulzeit, als auch in der Ausbildung sowie für junge Arbeitnehmer; europäische Universitäten; europäische Wege für das lebenslange Lernen und einen gemeinsamen Rahmen für die Anerkennung aller Abschlüsse.

5.2.3

Europa bedarf folglich einer umfassenden europäischen Initiative in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Wissensverbreitung. Besondere Beachtung sollte den Personen und Gebieten geschenkt werden, die Opfer von Umstrukturierungen und Betriebsverlagerungen sind, indem Weiterbildungsmaßnahmen organisiert und neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden.

5.3   Die EU sollte über entsprechende Mittel verfügen, um die Herausforderungen der Globalisierung meistern zu können

5.3.1

Die Herausforderung der Globalisierung macht es erforderlich, dass die EU die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen erhöht. Die wirtschaftlichen Interessen der EU sind nicht nur sehr umfangreich, sondern auch ausgesprochen vielfältig. Damit die EU weiterhin die Nummer 1 im Welthandel bleiben kann, muss sie insbesondere ihre Positionen ausbauen: sowohl im Bereich qualitativ anspruchsvoller Produkte und Dienstleistungen — die der Hälfte der EU-Exporte und einem Drittel der weltweiten Nachfrage entsprechen —, als auch im Bereich anderer Kategorien von Erzeugnissen und Dienstleistungen, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden.

5.3.2

Eine europäische Politik zur Unterstützung der unternehmerischen Tätigkeit und der Innovation sollte zusammen mit Bildung, Ausbildung und Wissensverbreitung im Rahmen einer neuen europäischen „Post-Lissabon-Strategie“ in den kommenden Jahren maßgebliche Priorität erlangen. Der Ausschuss schlägt vor, einen Fahrplan für diese Bereiche zu erarbeiten, bei dem die Anstrengungen der Mitgliedstaaten und der EU sowie die öffentlichen und privaten Finanzierungen miteinander verknüpft werden.

5.3.3

Wenngleich es nicht mehr möglich ist, die EU mit einem besseren Haushalt für den Zeitraum 2007-2013 auszustatten, so können diese Mittel doch optimal eingesetzt werden, insbesondere mittels

Gewährleistung einer angemessenen Finanzierung der prioritären transeuropäischen Netze mithilfe öffentlich-privater Partnerschaften;

Ausbau der Kapazitäten für Kredite und Versicherungen der EU und Konzipierung einer innovativeren Steuerung der Strukturfondsmittel, die derzeit zu sehr den Charakter von Subventionen haben.

5.3.4

Der Euro stellt heute für Europa einen großen Vorteil dar, denn er wurde nicht nur zur Einheitswährung von 13 Mitgliedstaaten, sondern ist überdies eine große internationale Reserve- und Handelswährung. Der Euro ist heute für eine wachsende Zahl von Ländern eine glaubhafte Alternative zum Dollar. Er erleichtert den Abschluss und die finanzielle Absicherung der Handelsverträge unserer Unternehmen. Er veranschaulicht sowohl nach innen als auch nach außen ein wirkliches Zusammengehörigkeitsgefühl. Nach wie vor fehlt ein wirtschaftspolitisches Entscheidungszentrum für den Euro, weshalb er hinter den Erwartungen zurückbleibt.

5.3.5

Der Zusammenhalt der Europäischen Union basiert auf den Gemeinschaftspolitiken. Wenngleich Kohle und Stahl heute nicht mehr als die Grundlagen des Zusammenhalts aufgefasst werden, so hegen die wirtschaftlichen und sozialen Akteure doch sehr große Erwartungen bezüglich einer gestiegenen Verantwortung der EU in den Bereichen Energiepolitik (Ressourcenerhaltung, Versorgungssicherheit, neue Investitionen in saubere Energieträger, Wirtschaftlichkeit und Energieeinsparung) und Umweltschutz. In diesen beiden Bereichen ist heute eine stärkere Rolle Europas mit einer echten gemeinsamen Politik erforderlich.

5.3.6

Die Union braucht auch eine umfassendere und kohärentere Migrationspolitik. Diese sollte koordinierte Maßnahmen für Aufnahme und Integration vorsehen, die mit der europäischen Grundrechtecharta und der Genfer Flüchtlingskonvention in Einklang stehen, gleichzeitig aber auch eine wirksamere gemeinsame Bekämpfung der illegalen Einwanderung ermöglichen. Die EU sollte auch die Schaffung qualifizierter Beschäftigung in den Entwicklungsländern stärker fördern, indem sie regionale Integrationsprozesse unterstützt, die unter Umständen neue Möglichkeiten im Hinblick auf Mobilität, Weiterbildung und Austausch eröffnen.

5.4   Der Globalisierung ein menschliches Antlitz geben

5.4.1

Die Europäische Union kann im Rahmen einer Strategie zur Bewältigung der Globalisierung die Unionsbürger wieder für das europäische Integrationsprojekt mobilisieren.

5.4.2

Der Ausschuss betont generell, dass die Sozialpartner und die verschiedenen Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft voll und ganz an dem neuen, von ihm zur Bewältigung der Herausforderungen der Globalisierung empfohlenen globalen Ansatz beteiligt werden müssen. Der Rat und die Kommission sollten für ein transparenteres Vorgehen sorgen, auch im Bereich der Handelsverhandlungen. Der Ausschuss würde es besonders begrüßen, wenn er zusammen mit seinen zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen in Drittländern an den sowohl auf multilateraler als auch auf bilateraler Ebene ergriffenen Maßnahmen beteiligt würde.

5.4.3

Der Ausschuss empfiehlt ganz konkret, die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Akteure an folgenden Maßnahmen zu beteiligen:

an den von den Organisationen der Zivilgesellschaft organisierten europäischen Informationskampagnen und Debatten über die Bedeutung der Globalisierung;

an den regelmäßigen Informationssitzungen und der Anhörung in Bezug auf die von der Kommission und dem Rat angestrebte neue internationale Strategie, wie sie der EWSA im Rahmen des Europäischen Konvents veranstaltet hatte;

an den Folgenabschätzungen in Bezug auf die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen neuer Handelsabkommen und an der Verwaltung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung;

an den verschiedenen Maßnahmen, die zur Stärkung der Politiken der EU (Binnenmarkt, Strategien der Zusammenarbeit, Kohäsion, Euro usw.) erforderlich sind;

an der Unterstützung für die Entwicklung eines wirksamen sozialen Dialogs über die verschiedenen Aspekte der in der EU, den Mitgliedstaaten und Regionen — auch auf transnationaler Ebene — erforderlichen Anpassungen und Reformen;

an der Beobachtung der bilateralen Verhandlungen mit regionalen Zusammenschlüssen wie z.B. den WPA mit den AKP-Regionen, zu denen der EWSA sein Fachwissen und das seiner Partnerorganisationen in den Drittländern beisteuern kann.

5.4.4

Der Ausschuss plädiert für eine über die einfache Zusammenarbeit hinausgehende gemeinsame Wahrnehmung staatlicher Aufgaben auf europäischer Ebene, was integrierte Ressourcen in den Bereichen wirtschaftliche Sicherheit, Zivil- und Umweltschutz, Zollkontrollen an den Außengrenzen, Polizei und selbst Verteidigung erforderlich macht, anstatt ein solches Konzept ausschließlich nationalen Interessenlagen zu überlassen, die weiteren europäischen Integrationserfolgen entgegenstehen.

5.4.5

Der Ausschuss unterstützt auch eine stärker partizipativ ausgerichtete Konzeption des Binnenmarkts, indem Initiativen von Vereinigungen, der soziale Dialog, die soziale Verantwortung der Unternehmen und die sozioökonomische Selbst- und Ko-Regulierung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure (insbesondere bezüglich Dienstleistungen, Handel, Finanzmärkte, Umwelt, Energie, soziale Aspekte und Verbraucherrechte) unterstützt werden.

5.4.6

Die Akteure der organisierten Zivilgesellschaft haben eine unmittelbare und eigenständige Rolle zu spielen beim Knüpfen der Kontakte zu analogen Akteuren der Länder und Regionalgruppierungen, die Handelspartner der EU sind.

5.4.7

Die menschliche Dimension der Globalisierung — wie der europäischen Integration — ist Sache der Bürger und der organisierten Zivilgesellschaft. Werden die Bürger besser informiert und konsultiert, dann unterstützen sie auch eine Strategie, die sie selbst mit entschieden haben und die sie sich zu eigen machen können.

Brüssel, den 31. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ILO-Übereinkommen: Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes; Nr. 98 über das Recht auf kollektive Organisierung und Tarifverhandlungen; Nr. 29 über Zwangs- und Pflichtarbeit; Nr. 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit; Nr. 138 über das Mindestalter; Nr. 182 über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit; Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts, Nr. 111 über Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf).


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/65


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch — Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“

KOM(2006) 708 endg.

(2007/C 175/17)

Der Kommission beschloss am 22. November 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen „Grünbuch — Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 140 gegen 82 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Das Grünbuch zur Modernisierung des Arbeitsrechts soll dazu dienen:

die zentralen Probleme zu ermitteln, die eine klare Diskrepanz zwischen dem derzeitigen Rechtsrahmen und der Arbeitsvertragssituation und den Gegebenheiten der Arbeitswelt erkennen lassen; dabei soll die Betonung eher auf den personenbezogenen Aspekten des Arbeitsrechts als auf tarifrechtlichen Fragen liegen;

eine Diskussion darüber einzuleiten, wie das Arbeitsrecht zur Förderung der Flexibilität in Verbindung mit Beschäftigungssicherheit, unabhängig von der Form des Arbeitsvertrags, sowie zu mehr Beschäftigung und zur Verringerung der Arbeitslosigkeit beitragen könnte;

die Diskussion darüber anzuregen, wie durch unterschiedliche Arten vertraglicher Beziehungen bei gleichen Arbeitsrechten für alle Arbeitnehmer und durch Vereinfachung des Eintritts in den Arbeitsmarkt sowie durch Unterstützung des lebenslangen Lernens und Förderung der Kreativität aller Arbeitskräfte sowohl den Arbeitnehmern als auch den Unternehmen geholfen werden kann;

einen Beitrag zur Agenda für bessere Rechtsetzung zu leisten durch Förderung der Modernisierung des Arbeitsrechts unter Berücksichtigung der Gesamtvorteile und Gesamtkosten und insbesondere der Probleme der kleinen und mittleren Unternehmen.

1.2

Das bedeutet, dass mit dem Grünbuch richtigerweise so unterschiedliche Bereiche wie dreiseitige Arbeitsverhältnisse, der Fall der selbständig, aber de facto wirtschaftlich vom Arbeitgeber abhängigen Erwerbstätigen, aber auch die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie sowie das schwerwiegende Problem der Schwarzarbeit angesprochen werden sollen.

1.3

Bei den möglichen Leitlinien zur Modernisierung des Arbeitsrechts, bei denen die EU die Maßnahmen der Mitgliedstaaten ergänzen kann, wird im Grünbuch davon ausgegangen, dass sich der Standardvertrag (unbefristeter Vollzeitvertrag) und die damit einhergehenden Schutzmechanismen für viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer als ungeeignet erweisen könnten, da sie die schnelle Anpassung der Unternehmen und die Entwicklung des Marktes erschweren, weshalb sie ein Hindernis für die Schaffung neuer Arbeitsplätze darstellen könnten und überarbeitet werden sollten.

1.4

Die Kommission kündigt an, dass mit dem Grünbuch — abgesehen von der Behandlung der Frage des individuellen Arbeitsrechts — eine Diskussion vorbereitet wird, die zu einer Mitteilung zur Flexicurity beitragen soll. Diese Mitteilung soll im Juni 2007 veröffentlicht werden und der Ausarbeitung dieses in mehreren Mitgliedstaaten bestehenden Begriffs dienen. Der Begriff „Flexicurity“ verknüpft anscheinend externe und interne Flexibilität der Arbeitnehmer mit einer Sicherheit, deren Umfang und Finanzierung bisher noch nicht besonders klar dargelegt sind. Die Diskussion soll also im zweiten Halbjahr über eine breitere Thematik fortgesetzt werden, wobei sicherlich die bereits per Gesetz oder Tarifvereinbarung eingeführten Elemente der Flexibilität sowie die Finanzierung dieser Flexicurity angesprochen werden sollten, ohne sich auf das eine oder andere Modell zu konzentrieren.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Ausschuss nimmt mit Interesse die von der Kommission ergriffene Initiative zur Kenntnis, Überlegungen dazu anzustellen, inwiefern das Arbeitsrecht den Zielen der Lissabon-Strategie gerecht wird, die — abgesehen von sozialem Zusammenhalt und nachhaltiger Entwicklung — auf beständiges Wachstum sowie mehr und bessere Arbeitsplätze ausgerichtet sind. Er bedauert allerdings, dass diese Befassung in einem so engen Zeitrahmen erfolgt und verschiedene vorbereitende Arbeiten fehlen.

2.2

Im Kok-Bericht von November 2003 wurde Folgendes betont: „Die Flexibilität in Kombination mit der Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt sollte gefördert werden; dabei sollten vor allem sowohl Standard- als auch Nicht-Standardarbeitsverträge — für die Arbeitnehmer wie für die Arbeitgeber — attraktiv gemacht werden, um die Entstehung eines doppelten Arbeitsmarkts zu vermeiden. Der Begriff der Arbeitsplatzsicherheit sollte dahingehend modernisiert und ausgeweitet werden, dass er nicht allein die Sicherheit des Arbeitsplatzes umschließt, sondern auch die Mobilisierung der Fähigkeiten der Arbeitnehmer, damit sie im Arbeitsprozess bleiben und am Arbeitsplatz vorankommen können. Es ist wichtig, möglichst viele neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Produktivität zu steigern, indem Hindernisse für Unternehmensgründungen abgebaut und Umstrukturierungen besser vorweggenommen und gemeistert werden.“

2.3

Es ist sinnvoll, all diese verschiedenen Elemente der vom Rat gebilligten Schlussfolgerungen der Task-Force in Erinnerung zu rufen, da sie einen umfassenderen Überblick über die als Reaktion auf die überarbeitete Lissabon-Strategie vorgesehenen Arbeitsmarktreformen geben als das Grünbuch der Kommission, das sich auf begrenzte Bereiche des individuellen Arbeitsrechts konzentriert. Denn im Grünbuch werden die von Kok angestrebten Elemente nur teilweise aufgegriffen und wird die in der Sozialpolitischen Agenda angesprochene Frage des „sichereren Umfelds“ nicht thematisiert.

2.4

Durch einen verkürzten Ansatz bestünde die Gefahr eines Vertrauensverlusts der europäischen Bürger, deren Skepsis gegenüber dem europäischen Sozialprojekt sowieso schon immer größer wird. Die Kommission hält es für sinnvoll, die Anpassung des in Standardverträgen (unbefristeter Vollzeitvertrag) vorgesehenen Ausmaßes an Flexibilität bezüglich Kündigungsfristen, Kosten und Verfahren bei Einzel- oder Massenentlassungen oder auch der Definition von „ungerechtfertigter Kündigung“ in Betracht zu ziehen, obwohl es sich dabei doch um den historischen Dreh- und Angelpunkt der beruflichen Absicherung der Arbeitnehmer handelt.

2.5

Der Ausschuss ist besorgt über die implizite Feststellung, dass das Arbeitsrecht derzeit mit der überarbeiteten Lissabon-Strategie nicht zu vereinbaren wäre, ihr als Beschäftigungshemmnis entgegenstünde und in seiner jetzigen Form keine ausreichende Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und der Arbeitnehmer garantieren könne.

2.6

Der Ausschuss stellt fest, dass nicht alle Ziele der 2000 festgelegten Strategie erreicht wurden, hält es aber für erforderlich, bei der Analyse der Gründe für diese Situation vorsichtig vorzugehen und sich nicht ausschließlich auf das Arbeitsrecht zu konzentrieren. Die überarbeitete Lissabon-Strategie muss darauf ausgerichtet sein, Europa wettbewerbsfähiger zu machen, aber auch zu befähigen, wieder Vollbeschäftigung in einer Gesellschaft zu erreichen, die mehr auf die Wahrung des Gleichgewichts zwischen Familie und Arbeit ausgerichtet und den Karriereentscheidungen der Menschen besser angepasst ist, indem in die Anpassungsfähigkeit der Menschen investiert und die soziale Ausgrenzung bekämpft wird. Die Modernisierung des Arbeitsrechts darf nur ein Element unter anderen sein, um diese Ziele zu erreichen.

2.7

Deshalb beabsichtigt der Ausschuss, bevor er sich zur Ausrichtung einer Modernisierung des Arbeitsrechts in Europa ausspricht, verschiedene Erwägungen und Initiativen der Kommission selbst wieder aufzugreifen. Dazu gehören der bei Professor Supiot in Auftrag gegebene Bericht, von dem in diesem Zusammenhang zu wenig gesprochen wird, oder z.B. die Schlussfolgerungen des Rates „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ vom 30.11./1.12.2006 zu „einer menschenwürdigen Arbeit für alle“. Mit dem Supiot-Bericht sollte eine konstruktive Längsschnittuntersuchung über die Zukunft von Beschäftigung und Arbeitsrecht in einem interkulturellen und interdisziplinären Gemeinschaftsrahmen durchgeführt werden, aber das Grünbuch scheint nicht hinreichend daran anzuknüpfen.

2.8

Welches Bild ergibt sich bzw. welche Bilanz lässt sich aus den öffentlichen Statistiken und den Erfolgen des durch das Arbeitsrecht bestehenden Schutzrahmens im Hinblick auf das Ziel „mehr und bessere Arbeitsplätze“ ziehen?

2.9

Im Schlussbericht der Supiot-Gruppe wurden verschiedene Themen aufgegriffen, die die richtigen Fragen zur Entwicklung des Arbeitsverhältnisses bündeln: Globalisierung des Wettbewerbs und der Wirtschaftstätigkeit, Auswirkungen der Konsumhaltungen und -gewohnheiten, Liberalisierung der Märkte, technologische Veränderungen, die Veränderung der Arbeitnehmer selbst hin zu mehr Bildung, Qualifikationen, Selbständigkeit, Mobilität und Individualismus, ohne die neuen Unternehmenspraktiken bei der Humanressourcenverwaltung, der Entlohnung der Arbeitnehmer und den Anforderungen in punkto Vielseitigkeit oder Arbeitszeitflexibilität zu vergessen. In dem Bericht wurden die Frage der Flexibilität und der Sicherheit sowie das sehr wichtige Thema „beruflicher Richtungswechsel“ unter Ankündigung des „Endes der linearen Berufslaufbahn“ behandelt.

2.10

Von den spezifischen demokratischen Forderungen, die durch das Arbeitsrecht im sozialwirtschaftlichen Bereich geschaffen wurden, hat die Supiot-Gruppe vier herausgegriffen, die in der durch das Grünbuch eingeleiteten Diskussion nichts an Aktualität verloren haben (1):

die Forderung nach Gleichheit, einschließlich der Problematik der Gleichstellung der Geschlechter und ganz allgemein der Nichtdiskriminierung, ist nach wie vor ein aktueller Ansatz, da dadurch die Lösung der Probleme der Prekarität und des doppelten Arbeitsmarkts besser angegangen werden kann;

die Forderung nach Freiheit, die den Schutz des Erwerbstätigen vor Abhängigkeit impliziert, ist nach wie vor eine Lösung für die Probleme des verdeckten Arbeitsverhältnisses, der Scheinselbständigkeit und der Schwarzarbeit;

die Forderung nach individueller Sicherheit stellt weiterhin eine Lösung für das Problem der sozialen Unsicherheit im weitesten Sinne dar, die die Arbeitnehmer bzw. Sozialhilfeempfänger empfinden;

die Forderung nach kollektiven Rechten, die sich in der Mitwirkung der Arbeitnehmer am Sinn und Zweck der Arbeit sowie an der Wirtschaftsentwicklung konkretisieren.

2.11

Nach Meinung des Ausschusses sollte sich die Kommission bei der Diskussion um die Modernisierung des Arbeitsrechts und die normalerweise mit einem Arbeitsvertrag einhergehenden Schutzmechanismen wie Gesundheitsschutz und Sicherheit, Arbeitsunfälle, Arbeitszeitgestaltung oder bezahlter Urlaub von den vorgenannten Forderungen leiten lassen.

2.12

Im Grünbuch wird die in den meisten Ländern bestehende Kluft zwischen den existierenden rechtlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen und der derzeitigen Realität der Arbeitswelt hervorgehoben, die in einem relativ kurzen Zeitraum, seit Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, entstanden ist. Zu keinem Zeitpunkt aber wird die historische Schutz- und Emanzipationsfunktion des Arbeitsrechts im weiteren Sinne, einschließlich des aus den Tarifverhandlungen hervorgegangenen Arbeitsrechts, mit seinen Besonderheiten angesprochen, die durch die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und juristischen Ansätze der verschiedenen Mitgliedstaaten bedingt sind.

2.13

Die Wahrung eines gewissen Gleichgewichts zwischen den Parteien wird nicht nur durch das Arbeitsrecht, sondern auch durch den sozialen Dialog gewährleistet.

2.14

Jede Argumentation, die ein Arbeitsrecht mit Schutzmechanismen als Hindernis für Wachstum und Beschäftigung ansieht, wäre eine verkürzte Sichtweise, bei der das Arbeitsrecht auf ein schlichtes arbeitsmarktpolitisches Instrument bzw. eine wirtschaftliche Variable reduziert würde.

2.15

Da die Arbeitnehmer immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Arbeitgebern stehen, sollte die im Wesentlichen auf Schutz und Emanzipation ausgerichtete Funktion des Arbeitsrechts bekräftigt werden. Seine Anwendung sollte unter Berücksichtigung der neuen Herausforderungen von Globalisierung und Überalterung der Bevölkerung besser gewährleistet werden, um Druck auf die Arbeitnehmer zu vermeiden. Dabei kommt der Europäischen Union gewiss eine Rolle gegenüber den Mitgliedstaaten zu.

2.16

Im Jahr 2000 wurde von der Kommission eine Initiative gestartet, die auf eine Debatte über das Erfordernis, die wesentlichen Elemente des Rechtssystems und der Tarifvereinbarungen zu bewerten, hinauslaufen sollte, um sich zu vergewissern, dass sie einer modernen Organisation, aber auch einer Verbesserung der Arbeitsbeziehungen entsprachen.

2.17

Diese Verbesserungsinitiative wurde nicht fortgesetzt, obwohl es offensichtlich erscheint, dass sie hätte abgeschlossen werden müssen, um das Ziel einer Modernisierung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen; Jahre später wurde dieses Thema von der derzeitigen Kommission wieder aufgegriffen, aber unter einem anderen Blickwinkel.

2.18

Der Ausschuss sieht sich verpflichtet, auf verschiedene, erhebliche Lücken hinzuweisen, die die im Grünbuch geführte Argumentation und die dort dargelegten Perspektiven außerordentlich schwächen. Folglich hebt er verschiedene Punkte hervor, die bedauerlicherweise nicht vertieft oder herausgestellt wurden:

das Bemühen um ein wettbewerbsfähiges Wirtschaftswachstum steht nicht im Widerspruch zur sozialen Dimension der europäischen Integration und ihrer Entwicklung;

das Arbeitsrecht beschränkt sich nicht auf den individuellen Arbeitsvertrag, sondern umfasst auch das kollektive Arbeitsrecht;

der Begriff „menschenwürdige Arbeit“, der in den Verpflichtungen zur Zusammenarbeit zwischen EU und Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) festgeschrieben ist, und die positiven Bemühungen der Mitgliedstaaten und Kandidatenländer der EU im Juni 2006 anlässlich der Annahme der Empfehlung Nr. 198 der ILO müssen in der Praxis zum Tragen kommen. Die ILO-Empfehlung enthält sinnvolle Definitionen und operative Grundsätze, um die Unsicherheiten bezüglich des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses zu beseitigen und so einen fairen Wettbewerb und den tatsächlichen Schutz der Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis zu gewährleisten; (2)

die Sozialpartner haben sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene durch ihre Abkommen und Tarifvereinbarungen bereits zur Sicherung der neuen, auch atypischen Vertragsformen beigetragen und so ihre Fähigkeit bewiesen, das Arbeitsverhältnis an neue Gegebenheiten anzupassen und flexible Formen mit angemessenen Garantien ins Auge zu fassen;

der soziale Dialog ist ein Instrument zur Koregulierung, das es von nun an zu fördern und effektiver und effizienter zu gestalten gilt, damit die Flexibilität des Arbeitsvertrags besser flankiert werden kann;

Sicherheit im Arbeitsverhältnis ist Voraussetzung für die Steigerung der Produktivität, denn materielle Unsicherheit schafft keine neuen Arbeitsplätze. Mobilität und Flexibilität können zu einer Steigerung der Produktivität und Sicherheit führen, aber die Änderungen dürfen nicht zur Zunahme der Working Poor (unter der Armutsgrenze lebende Erwerbstätige) führen;

die Lösung liegt nicht in einer Argumentation, die die Arbeitnehmer zu Gegnern macht und ihnen die Verantwortung zuschiebt, eine Lösung für die Arbeitslosigkeit sowie das Missverhältnis zwischen Ausbildung und geforderten Kompetenzen zu finden;

dieser neue flexible Standardvertrag, mit dem vorgeblich der Konflikt zwischen innerhalb und außerhalb des Systems befindlichen Arbeitnehmern gelöst werden soll, kann ihnen nicht die Verantwortung für die Entscheidungen zur Überwindung des doppelten Arbeitsmarktes aufbürden; dieser Vertrag würde zudem, wenn er zustande käme, die eigentlichen Beschäftigungshemmnisse nicht beseitigen.

2.19

Nach Ansicht des Ausschusses ist die Zeit reif, um eine vollständige und ernsthafte Analyse hauptsächlich zu folgenden Aspekten durchzuführen:

zu einer Bilanz der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten bezüglich der bestehenden Schutzmechanismen, ihren Zielen, ihrer Wirksamkeit sowie des Zugangs zu gerichtlichen und außergerichtlichen Konfliktbeilegungsgremien und -verfahren;

zum Beitrag des sozialen Dialogs zum Ansatz für die Modernisierung und Verbesserung des Arbeitsrechts und für menschenwürdige Arbeit sowie zur Bekämpfung der Schwarzarbeit; zur Frage des Funktionierens des Arbeitsmarkts und der Arbeitsorganisation in Unternehmen auf geeigneter Ebene (EU, Mitgliedstaaten, Regionen, Unternehmen oder Gruppen sowie auch grenzübergreifend);

zur Berücksichtigung der öffentlichen Dienste und der aktiven Rolle, die effiziente und hochwertige öffentliche Dienste für Beschäftigung und Wachstum spielen;

zur Berücksichtigung der Unternehmensführung, der Einbindung der Arbeitnehmer sowie der Kontroll- und Warnmechanismen der Arbeitnehmervertretungen (insbesondere innerhalb der Betriebsräte) bei der Anpassung an den Wandel und im Hinblick auf Umstrukturierungen;

zu dem Platz, der den wirklich Selbständigen zugestanden wird, die — auch in der Sozialwirtschaft — eine entscheidende Rolle für die Förderung des Unternehmergeists und die Gründung von KMU spielen, und zur Einführung geeigneter Schutzmechanismen für wirtschaftlich abhängige Erwerbstätige, wobei die besonderen Umstände für bestimmte selbständige Berufe (z.B. im Bereich Direktvertrieb) zu berücksichtigen sind;

zur Propagierung der ILO-Empfehlung von 2006 betreffend das Arbeitsverhältnis (Nr. 198);

zu den Auswirkungen der Schwarzarbeit und zur Frage eines sozialen Europols auf der Grundlage der Instrumente zur Ahndung der Schwarzarbeit durch eine bessere Koordinierung der zuständigen Verwaltungen auf europäischer Ebene;

zu den Auswirkungen der Migrationsbewegungen, die es besser zu koordinieren gilt;

zu den Lösungen, von denen alle profitieren, d.h. zu einer sinnvollen Nutzung der Flexibilität angesichts der Bedürfnisse der Unternehmen sowie der Bedürfnisse und Forderungen der Arbeitnehmer, die so wieder selbst über ihren Lebensplan bestimmen können;

zu den Überlegungen und Initiativen zu Bildung, Erstausbildung und Weiterbildung beispielsweise von aktiven, durch Umstrukturierungen bedrohten oder nach einer Laufbahnunterbrechung aus persönlichen Gründen auf den Arbeitsmarkt zurückkehrenden Arbeitnehmern sowie zu einer Absicherung der Berufslaufbahnen, statt auf bestimmte Vorschläge eines hypothetischen „Einheitsvertrags“ zu setzen.

2.20

Die Agenda der deutschen Präsidentschaft, das Wiederaufgreifen der „Qualität“ der Arbeit anlässlich des informellen Treffens der für Beschäftigung und Sozialpolitik zuständigen Minister im Januar 2007 sowie das kürzlich von 9 Arbeitsministern verfasste Schreiben für „neuen Schwung für das soziale Europa“, einschließlich insbesondere der im Anhang aufgezeigten Ansätze zu Beschäftigungspolitik und Flexicurity, haben Perspektiven für die vom Ausschuss gewünschte detaillierte Analyse und für die Neubelebung der sozialen Komponente der europäischen Integration eröffnet.

3.   Besondere Bemerkungen: Antworten bzw. Kommentare zu den von der Europäischen Kommission gestellten Fragen

3.1   Welche Punkte sollten Ihrer Ansicht nach auf der Agenda einer sinnvollen Arbeitsrechtsreform ganz oben stehen?

3.1.1

Das Arbeitsrecht hat seine Gültigkeit als Schutzrecht für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber nicht verloren: Ersteren gewährleistet es eine faire Grundlage für die Festlegung eines legalen Arbeitsvertrags mit ausgewogenen Rechten und Pflichten unter Berücksichtigung des Direktions- und Weisungsrechts des Arbeitgebers, dem sie unterstehen; Letzteren bietet es eine äußerst wichtige Rechtssicherheit, insofern als die verschiedenen Standardverträge klar definiert und ihre wesentlichen Klauseln je nachdem festgelegt bzw. mit einem Rechtsrahmen versehen sind, auch bei einseitiger Vertragsauflösung; zudem sorgt das Arbeitsrecht z.B. im Bereich zivilrechtliche Haftung für Garantien und Rechtssicherheit bei Entschädigung und Anerkennung möglicher Invaliditäten des Arbeitnehmers und — wenn die Sicherheitsnormen eingehalten wurden — bei Begrenzung der Haftpflicht ohne Schuld des Arbeitgebers; Tarifverhandlungen und beratende Gremien tragen zu guten Arbeitsbeziehungen und, wenn nötig, zu geeigneten Lösungen im Streitfall bei.

3.1.2

Bei wünschenswerten vorrangigen Änderungen sollte das Arbeitsrecht unter Beachtung der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Gesetze und üblichen Verfahrensweisen einen Rahmen für die sich entwickelnden, neuen flexiblen Vertragsformen bilden, um seiner Funktion für den Schutz und die Ausgewogenheit des Arbeitsverhältnisses sowie für die Gewährleistung der Rechtssicherheit für die Parteien im Falle einer begründeten Kündigung, eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit unter neuen Bedingungen weiterhin gerecht zu werden; im Übrigen sollte das moderne Arbeitsrecht den Arbeitnehmern die Möglichkeit bieten, während ihres gesamten Erwerbslebens Rechte für ihre berufliche Laufbahn zu erlangen, um zwischen ständiger Weiterbildung und verschiedenen Vertragsformen abzuwechseln, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den individuellen Bedürfnissen, z.B. nach Abstimmung von Arbeits- und Privatleben, nach Beförderung oder Umschulung, entsprechen können. Von der Arbeit, die von zufriedenen Arbeitnehmern geleistet wird, können auch die Arbeitgeber langfristig gesehen nur profitieren.

3.1.3

Bei der Reform des Arbeitsrechts müssen positive Maßnahmen im Interesse der Menschen gefördert werden, die völlig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Die Arbeitsrechtsreformen müssen daher dazu genutzt werden, ohne prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, neue Wege für den Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden, was die Förderung des Zugangs zu lebenslangem Lernen und sozialwirtschaftlicher Initiativen zur beruflichen Eingliederung einschließt.

3.1.4

Ferner sollte für dreiseitige Arbeitsverhältnisse ein besserer Rahmen geschaffen werden, um die Rechte und Pflichten aller Beteiligten, einschließlich zivil- und strafrechtlicher Haftung, zu präzisieren; auch für die wirtschaftlich von einem Hauptarbeitgeber, dem sie de facto bei der Ausführung der Arbeit unterstellt sind, abhängigen Erwerbstätigen sollte es geeignete Schutzmechanismen geben, insbesondere bezüglich Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Sozialschutz. Eine Änderung der Normen in diesem Bereich muss jedoch mit größter Umsicht vorgenommen werden und den besonderen Umständen der verschiedenen Gruppen wirtschaftlich abhängiger Selbständiger (z.B. im Direktvertrieb) ist Rechnung zu tragen, damit diese nicht ihre Erwerbsquelle und die Möglichkeit zur Ausübung einer ihren Erwartungen entsprechenden Tätigkeit verlieren.

3.1.5

Außerdem sind die Bekämpfung von Schwarzarbeit und die rechtliche Formalisierung von Arbeitsverhältnissen unabdingbar; hierzu und ganz allgemein zur Gewährleistung der Wirksamkeit der anwendbaren Rechts- und Vertragsbestimmungen ist eine verstärkte Arbeitsaufsicht wünschenswert.

3.1.6

Die im Juni 2006 von der internationalen Arbeitskonferenz angenommene ILO-Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis bietet den Mitgliedstaaten wichtige Inspirationsquellen für die Anpassung des Arbeitsrechts an die technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen, die Produktion, Dienstleistungen und Welthandel seit mehr als zwanzig Jahren von Grund auf verändern (3).

3.2   Kann eine Anpassung des Arbeitsrechts und der Tarifverträge zur Erhöhung der Flexibilität und der Beschäftigungssicherheit sowie zur Verringerung der Segmentierung des Arbeitsmarktes beitragen? Wenn ja, wie?

3.2.1

Die Praxis zeigt, dass die Marktsegmentierung durch die Zunahme der flexiblen Verträge ohne entsprechende Regelung steigt und die Unsicherheit zunimmt, z.B. in Form geringerer Einkommen bei den am weitesten verbreiteten Verträgen (Teilzeit), weshalb Grundbedürfnisse nicht hinreichend befriedigt werden können, sowie in Form geringeren Sozialschutzes (Schwellen für den Zugang zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit, zu einer Zusatzrente oder zur Weiterbildung). Der Länge des Arbeitstages sollte ebenfalls Rechnung getragen werden, da die Arbeitnehmer bei Aufteilung der Teilzeit- oder Vollzeitarbeit auf den gesamten Tag in der Praxis die Zeit, in der sie nicht arbeiten, nicht für ihre persönlichen Tätigkeiten nutzen können.

3.2.2

Außerdem zeigt die Praxis, dass die am weitesten verbreiteten flexiblen Verträge (befristete und Teilzeitverträge) häufig Personen angeboten werden, die eher eine Vollzeitbeschäftigung vorziehen würden. Zwar können diese Verträge einen guten Startpunkt für das weitere Arbeitsleben junger Menschen und eine ausgezeichnete Möglichkeit für die Vereinbarung von Arbeit und Familienleben darstellen, sie werden aber nicht immer freiwillig eingegangen. Ältere Arbeitnehmer hingegen finden nur schwer selbst eine zeitlich befristete Beschäftigung. Die Marktsegmentierung ist nicht den Arbeitnehmern anzulasten, sie ist auf die Arbeitgeber zurückzuführen, die in letzter Instanz einseitig über die Art des angebotenen Vertrags entscheiden. Das Arbeitsrecht muss darauf abzielen, Diskriminierungen gegenüber Jugendlichen, Frauen und älteren Arbeitnehmern beim Zugang zum Arbeitsmarkt und bei der Entlohnung zu verhindern.

3.2.3

Damit die Flexibilität freiwillig und nicht diskriminierend ist, um mehr Sicherheit zu bieten und es den Arbeitnehmern zu ermöglichen, ihr Leben eigenständig zu organisieren (Jugendliche mit befristetem Vertrag, die aufgrund der zu hohen Wohnungskosten gezwungen sind, bei ihren Eltern zu leben; Alleinerziehende mit einem nicht freiwillig eingegangenen Teilzeitvertrag, die dadurch häufig zu „Armen trotz Erwerbstätigkeit“(Working Poor) werden), sollte das Arbeitsrecht vorrangig über den — je nach Land zwei- oder dreiseitigen — sozialen Dialog sowie auf geeigneter Ebene in dem in der Antwort auf die erste Frage genannten Sinn grundlegend reformiert werden.

3.3   Wirken die geltenden Regelungen, seien es Gesetze oder Tarifverträge, hemmend oder fördernd auf Unternehmen und Beschäftigte, die die Chancen zur Erhöhung der Produktivität nutzen und sich an die Einführung neuer Technologien und an die mit dem internationalen Wettbewerb verbundenen Veränderungen anpassen wollen? Wie können die für die KMU relevanten Regelungen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der angestrebten Ziele verbessert werden?

3.3.1

Der Ausschuss kann nicht im Namen der 27 Mitgliedstaaten antworten, formuliert jedoch einige besondere Bemerkungen. Für den Wettbewerb gewappnet zu sein bedeutet, fast ständig Innovationen durchzuführen oder auf Qualität zu setzen.

3.3.2

Die tatsächlichen Produktivitätsfaktoren liegen in der Kompetenz der Arbeitnehmer, also in Ausbildung und Erfahrung, sowie in der Umsetzung neuer Technologien, was von den öffentlichen wie privaten Investitionen in Bildung und Ausbildung sowie in Forschung und Entwicklung abhängt (wobei es in Europa hauptsächlich an privaten Investitionen mangelt).

3.3.3

Die (rechtlichen und vertraglichen) Regelungen (wie der Handlungsrahmen der Sozialpartner zur Ausbildung) müssen also auf fortgesetzte Bildung und Ausbildung sowie Anpassung an die neuen Technologien im Rahmen der Beschäftigung bzw. der beruflichen Laufbahn ausgerichtet sein und gerecht auf die verschiedenen Arbeitnehmerkategorien angewandt werden; Unternehmen, die Kompetenzen schaffen und erhalten wollen, müssen gemeinsam mit der öffentlichen Hand oder geeigneten Einrichtungen Anstrengungen leisten. Im Gegenzug erlangen die Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil und die Arbeitnehmer eine höhere Beschäftigungsfähigkeit; die Rechtsetzung kann den Ausbau von Kompetenzen und Qualifikationen fördern, indem die Finanzierung und die Einrichtung der Ausbildungsstrukturen organisiert bzw. erleichtert sowie Ausbildungsrechte und -anreize (Bildungsurlaub, Zeitkonto) während der gesamten beruflichen Laufbahn (über aufeinander folgende Verträge und Arbeitgeber hinweg) entsprechend den bestehenden oder noch einzuführenden Gesetzen und Verfahrensweisen sowie durch Tarifverhandlungen präzisiert werden (4).

3.3.4

Mit Hilfe der Rechtsetzung und lokaler Finanzierungen, z.B. für KMU, lassen sich genossenschaftlich organisierte Anstrengungen für Qualifizierung und Ausbildung fördern, um die Kosten innerhalb eines Gebietes zu verteilen, da es für Kleinstunternehmen und Selbständige unmöglich ist, neben dem Sammeln von Erfahrungen am Arbeitsplatz selbst, Ausbildungen von einer gewissen Dauer zu organisieren und zu finanzieren.

3.3.5

Mit dem Arbeitsrecht im weiteren Sinne lässt sich jedoch nur ein kleiner Teil (Weiterbildung, Einbindung der Arbeitnehmer) der für die Beherrschung der neuen Technologien und die Anpassung an den industriellen und gesellschaftlichen Wandel unabdingbaren Aspekte abdecken; auch Hochschulbildung, Forschung, Risikokapital, Gründer- und Innovationszentren haben ihre Funktion im Rahmen einer wettbewerbsfähigen und koordinierten Industriepolitik auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene.

3.4   Wie könnte die Aufnahme befristeter oder unbefristeter Arbeitsverhältnisse arbeitsrechtlich oder tarifvertraglich erleichtert werden, sodass im Rahmen der zu Grunde liegenden Arbeitsverträge ein höherer Grad an Flexibilität ermöglicht und gleichzeitig aber auch eine angemessene Beschäftigungssicherheit und ein angemessener sozialer Schutz gewährleistet werden?

3.4.1

Ein derartiger Ansatz ist kaum akzeptabel, wenn unter Flexibilität mehr oder unsicherere Beschäftigungsformen verstanden werden; Flexicurity wird als Möglichkeit definiert, verschiedene Formen der Arbeitsmarktflexibilität und Sicherheit kombinieren zu können, um auf ausgewogene Weise eine bessere Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer und der Unternehmen sicherzustellen und diese zugleich vor Risiken zu schützen. Bei Flexicurity geht es somit um mehr als um den Ausgleich zwischen externer Flexibilität und den Systemen der sozialen Sicherheit. Je flexibler ein Vertrag ist, desto geringer ist die Beschäftigungssicherheit und desto stärker müssen die Schutzmechanismen sein (Sozialschutz, abgesicherte berufliche Laufbahn oder soziale Sicherung im beruflichen Bereich während des gesamten Erwerbslebens) (5).

3.4.2

Die Frage impliziert, dass Flexibilität Arbeitsplätze schafft, wobei diese Behauptung in keiner Weise dokumentiert oder bewiesen wird. Die Sicherheit fällt eher unter das Sozialrecht, das im Grünbuch nicht behandelt wird.

3.5   Wäre es hilfreich, über eine Kombination von flexibleren Kündigungsschutzgesetzen und gut durchdachten Unterstützungsleistungen für Arbeitslose nachzudenken, sowohl in Form von Lohnersatzleistungen (d.h. passiver Leistungen der Arbeitsmarktpolitik) als auch von aktiven Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik?

3.5.1

Eine wirklich gut konzipierte Unterstützung der Arbeitslosen muss in jedem Fall und unabhängig vom Umfang des „Schutzes“ mit ernsthaften Schulungen bzw. glaubhaften Umschulungen einhergehen. Zudem umfasst sie eine maßgeschneiderte Unterstützung für Unternehmen, die bereit sind, am Rande des Arbeitsmarkts stehende Menschen (z.B. Langzeitarbeitslose) einzustellen. Eine „aktive Arbeitsmarktpolitik“ bedeutet nicht, jede angebotene, selbst weniger qualifizierte und weniger gut bezahlte Stelle annehmen zu müssen, um nicht jegliche Unterstützung zu verlieren.

3.5.2

Je nach Geschichte, sozialer Situation und Rolle der Tarifverhandlungen werden die Lösungen in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausfallen; der Subsidiarität kommt im Arbeitsrecht eine wichtige Rolle zu, was auch für die Umsetzung der europäischen Richtlinien gilt, unabhängig davon, ob sie einem europäischen Rahmenabkommen oder einer Gemeinschaftsinitiative entspringen; selbstverständlich muss auch die europäische Ebene ihrer Verantwortung gerecht werden, Verhandlungen fördern, in ihren Zuständigkeitsbereichen konkrete Vorschläge unterbreiten und „bessere Rechtsetzung“ nicht mit „Deregulierung“ verwechseln.

3.6   Welche Rolle könnten Gesetze und/oder von den Sozialpartnern ausgehandelte Tarifverträge spielen im Hinblick auf die Förderung des Zugangs zur Ausbildung und die Erleichterung von Übergängen zwischen verschiedenen Vertragsformen mit dem Ziel, eine zunehmend bessere Beschäftigungssituation im Laufe eines durchgehend aktiven Berufslebens zu erlangen?

3.6.1

Zur Gewährleistung ständiger Weiterbildung und beruflicher Richtungswechsel sind solide und beständige Normen erforderlich; der jeweilige Anteil von Normen und Tarifvereinbarungen wird je nach den in den Ländern bestehenden „Modellen“ variieren, da die dortigen rechtlichen und sozialen Bedingungen, die Stärke der Vertretungsorganisationen sowie die Traditionen und Verfahrensweisen je nach Sozialgeschichte und Möglichkeiten, von den Sozialpartnern eingegangene Kompromisse sehr langfristig einzuhalten, voneinander abweichen. Das liefe auf die Einführung eines echten Statuts zum Schutz der Arbeitnehmer hinaus.

3.6.2

Das einzuführende System betrifft die Arbeitsverträge und muss gleichzeitig durch für die Unterstützung der Übergänge und die finanzielle Unterstützung (Finanzierungsformen sind noch auszuhandeln bzw. zu diskutieren) zuständige Institutionen sowie durch öffentliche, kollektive oder genossenschaftlich organisierte Ausbildungseinrichtungen oder durch Ausbildungskonzepte im Unternehmen (lernendes Unternehmen) eine konkrete Form erhalten.

3.6.3

Hier könnte das Arbeitsrecht wirksam zur Verwirklichung der Ziele von Lissabon beitragen und zwar sowohl im Bereich der Wissensgesellschaft als auch im Bereich der Sicherheit, die es ermöglicht, sein Leben zu gestalten und Zukunftspläne zu schmieden, wodurch auch Produktivität und Qualität der Arbeit direkt gesteigert werden.

3.7   Ist bei den in den Mitgliedstaaten geltenden juristischen Definitionen von Beschäftigung und Selbstständigkeit größere Klarheit erforderlich, um „Bona-fide“-Übergänge zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit und umgekehrt zu erleichtern?

3.7.1

Solche Überlegungen lassen sich zwar auf der Grundlage ausreichend detaillierter Vergleichsstudien anstellen, aber diese Frage scheint weitgehend theoretischer Natur zu sein, da die Harmonisierung des Arbeitsrechts oder des Sozialschutzes nicht auf der Tagesordnung stehen; die nationalen Definitionen und die dazugehörige Rechtsprechung sind operativ, und es scheint sinnvoller zu sein, sie beizubehalten, da es hier um die oberste Einteilung zwischen Arbeitsrecht und Zivil- bzw. Handelsrecht geht.

3.8   Braucht man einen Grundstock an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten, unabhängig von der Form ihres Vertrags, regeln? Wie würden sich derartige Mindesterfordernisse Ihrer Ansicht nach auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf den Schutz der Beschäftigten auswirken?

3.8.1

Alles hängt davon ab, was in diesen „Grundstock an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen regeln“ aufgenommen wird; wenn es sich um Fragen wie Arbeitszeit, Anpassung der Arbeitszeiten oder Entgelt handelt, so werden diese durch die Vertragsform und die rechtlich anwendbaren allgemeinen Bedingungen geregelt.

3.8.2

Mitwirkungsrechte, Grundfreiheiten, der Gleichheits- und der Nichtdiskriminierungsgrundsatz, das Recht auf Schutz vor Risiken (wie Unfall, Krankheit und Arbeitslosigkeit) u.a. sind ganz eindeutig von ihrer Natur als Grundrechte her vom Arbeitsvertrag unabhängig. Es ist völlig ausgeschlossen, ihre Qualifizierung als „Mindesterfordernisse“ oder ihre „Flexibilität“ ins Auge zu fassen.

3.9   Sollten Ihrer Ansicht nach die Verantwortlichkeiten der einzelnen Parteien in mehrseitigen Beschäftigungsbeziehungen eindeutiger geregelt werden, um festzulegen, wer für die Einhaltung von Beschäftigtenrechten verantwortlich ist? Wäre die Anordnung einer nachrangigen Haftung eine wirksame und praktikable Möglichkeit, um diese Verantwortlichkeiten bei der Einbeziehung von Subunternehmern sicherzustellen? Wenn nein, sehen Sie andere Möglichkeiten, einen angemessenen Schutz der Beschäftigten in „dreiseitigen Rechtsverhältnissen“ zu gewährleisten?

3.9.1

Das Arbeitsrecht beruht auf einer Sozialordnung, der alle Parteien unterliegen. Die Auftraggeber müssen über ein gewisses Kontroll- oder Überwachungsrecht über ihre Zulieferer verfügen und vorsichtshalber bestimmte Grundsätze (Einhaltung der geltenden sozialen und technischen Normen) in die Verträge aufnehmen, wenn sie nicht ungewollt an einem Verstoß gegen das Arbeitsrecht oder sonstige nationale, auf Baustellen oder Betriebe anwendbare Normen mitschuldig werden wollen.

3.9.2

Eine Solidarhaftung, die für den Auftraggeber die Möglichkeit beinhaltet, sich gegen seine ausgefallenen Zulieferer zu wenden, scheint die Lösung zu sein, die den größten Schutz für die Arbeitnehmer bietet, die große Schwierigkeiten haben können, sich selbst zu verteidigen, wenn der Zulieferer seinen Sitz in einem anderen Staat, möglicherweise einem Drittstaat, hat, während sie auf einer vom Auftraggeber geleiteten Baustelle arbeiten. Diese Solidaritätsregel für die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung sollte unabhängig davon angewendet werden, ob der Auftraggeber eine juristische Person des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts oder eine Kombination aus beiden ist.

3.9.3

Der Schutz der Arbeitnehmer, die im Ausland arbeiten, muss erhöht werden. Nicht nationale Zulieferer sollten in die Kassen oder Institutionen zum Schutz der Ansprüche der Arbeitnehmer im Falle des Ausfalls des Arbeitgebers einzahlen; zudem sollten die Mitgliedstaaten in den gesetzlichen Verpflichtungen des Auftraggebers eine Entschädigung für die eventuelle Heimreise im Falle des Ausfalls seines Zulieferers vorsehen.

3.9.4

Eines der Probleme bei dreiseitigen oder gar verschachtelten Arbeitsbeziehungen liegt im größeren Risiko für die Angestellten bzw. Arbeiter, dass ein Glied der Kette ausfällt und die Zuständigkeiten verwässert werden. Den Arbeitnehmern nicht nationaler Subunternehmen bietet nur die Solidarhaftung zwischen Auftraggeber auf der einen und allen seinen Zulieferern auf der anderen Seite, gestützt durch die gesetzlichen Regelungen, ausreichenden Schutz für die Wahrung der Rechte, die Entlohnung der geleisteten Arbeit und die Zahlung der Sozialbeiträge. Die entsprechenden nationalen Garantiesysteme auf der Grundlage der Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sollten wirksam genug sein und sogar auf Unternehmen in Drittstaaten ausgedehnt werden, wenn deren nationales Garantiesystem nicht genügt oder dort gar keines besteht; in diesem Fall würde die Solidarhaftung des Auftraggebers entsprechend sinken. Zusätzlich müssen die einzelstaatlichen Rechtssysteme Verfahren vorsehen, wonach ein Teil der Zahlungen der Auftraggeber an ausländische Subunternehmen als Einzahlung in einen Garantiefonds zur Deckung von ausstehenden finanziellen Verpflichtungen der Subunternehmen im Falle ihrer Zahlungsunfähigkeit geleistet wird (6).

3.10   Halten Sie es für notwendig, den Beschäftigungsstatus von Leiharbeitnehmern zu klären?

3.10.1

Das Fehlen eines gemeinschaftlichen Rechtsrahmens brächte die Gefahr des Missbrauchs, wie die Umgehung der Rechtsvorschriften zur vorübergehenden Entsendung, mit sich. Es sollte alles getan werden, um im Rat zu einem Konsens über die Regelung der Tätigkeit von Zeitarbeitsfirmen auf europäischer Ebene zu kommen.

3.11   Wie könnten Mindestanforderungen im Zusammenhang mit der Organisation der Arbeitszeit so geändert werden, dass sie sowohl zu mehr Flexibilität für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer führen, als auch zu einem höheren Schutzniveau für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer? Mit welchen Aspekten der Arbeitszeitorganisation sollte die Gemeinschaft sich vorrangig befassen?

3.11.1

Die geltende Richtlinie von 1993 bietet, vorbehaltlich der Übernahme der Rechtsprechung des Gerichtshofs, einen Schutzrahmen, der auf nationaler Ebene und ggf. — insbesondere über Tarifverhandlungen — auf weiteren Ebenen angepasst, ergänzt oder weiterentwickelt werden kann.

3.11.2

In der Frage wird die Verbindung zwischen Arbeitszeit bzw. Länge der Arbeitszeiten und Unfall- bzw. Gesundheitsrisiken implizit anerkannt; eine solche Verbindung ist tatsächlich gegeben und die Verkürzung der tatsächlichen Arbeitszeit würde insbesondere aufgrund des geringeren Stresses und der Vermeidung permanenter Übermüdung langfristig zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands von Arbeitnehmern führen und überdies die Schaffung neuer Arbeitsplätze ermöglichen.

3.12   Wie können die Beschäftigtenrechte von Beschäftigten, die in einem grenzüberschreitenden Bezug arbeiten, insbesondere von Grenzgängern, überall in der Gemeinschaft gewährleistet werden? Besteht Ihrer Ansicht nach Bedarf an einer einheitlicheren Definition des Begriffs „Arbeitnehmer“ in den EU-Richtlinien, um sicherzustellen, dass diese Beschäftigten ihre Beschäftigungsrechte unabhängig davon wahrnehmen können, in welchem Mitgliedstaat sie arbeiten? Oder sind Sie der Ansicht, dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten in dieser Frage nicht beschränkt werden sollte?

3.12.1

Siehe Antwort zu Frage 1 und ILO-Empfehlung Nr. 198; aufgrund der derzeitigen Divergenzen sollte die Definition weiterhin unter die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen, denn sie betrifft nicht nur die Arbeitsverträge, sondern auch die Anwendung des Sozialrechts (Festlegung der Begünstigten und der Bedingungen für den Zugang zu den Leistungen).

3.12.2

Es scheint kein wirkliches Problem aufgrund der EU-Richtlinien zu geben, in denen die betreffenden Personen entsprechend der Art der Rechtsvorschriften definiert werden; bevor ggf. eine Änderung ins Auge gefasst werden könnte, wäre wahrscheinlich eine detaillierte Studie zu diesem Thema erforderlich.

3.13   Halten Sie eine verstärkte Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden für erforderlich, um das gemeinschaftliche Arbeitsrecht wirksamer durchsetzen zu können? Können Ihrer Ansicht nach die Sozialpartner bei dieser Zusammenarbeit eine Rolle spielen?

3.13.1

Die Sozialpartner spielen im sozialen Dialog und im Sinne der Verträge und der Charta eine unabdingbare Rolle bei der Überprüfung der Umsetzung und Einhaltung des gemeinschaftlichen Arbeitsrechts.

3.14   Bedarf es Ihrer Auffassung nach auf EU-Ebene weiterer Maßnahmen, um die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit zu unterstützen?

3.14.1

Die Rolle von Eurostat sollte weiter ausgebaut werden, um die in den verschiedenen Staaten bestehenden Phänomene richtig zu verstehen; der Anteil der informellen bzw. Schwarzarbeit am Zustandekommen der nationalen BIP scheint unterschätzt zu werden; wenn die Ursachen eher in der besonderen Situation der einzelnen Staaten liegen, wie bestimmte Studien vermuten lassen, so müssten die Maßnahmen der Mitgliedstaaten selbst besonders unterstützt und gefördert werden.

3.14.2

Dennoch sollten — da es sich hier um wenig bekannte Phänomene handelt — die Verbindungen zwischen diesen Arbeitsformen und der Nachahmung, die Bedeutung krimineller Kreise für die Schwarzarbeit sowie der Zusammenhang mit der illegalen Zuwanderung geklärt werden, was eine aktive justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Union und eine stärkere Rolle der EU rechtfertigen könnte, da diese Arbeitsformen überdies Binnenmarkt und Wettbewerb betreffen.

3.14.3

Den Sozialpartnern kommt eine wichtige Rolle bei der Verhinderung der Schwarzarbeit und der Zurückdrängung der Schattenwirtschaft zu. Durch Maßnahmen auf Unionsebene sollten die Sozialpartner der Mitgliedstaaten angeregt werden, gemeinsam sowie in Zusammenarbeit mit den Behörden nationale und branchenbezogene Projekte zur Lösung dieser Probleme zu entwickeln. Auf Unionsebene könnten die Sozialpartner gemeinsam analysieren, welche Vorgehensweisen sich in den Mitgliedstaaten bewährt haben, und darüber informieren.

3.14.4

Die Bekämpfung der Schwarzarbeit setzt eine effiziente grenzübergreifende Zusammenarbeit der einzelstaatlichen Behörden, die Überwachung und die Informierung über die Strafmaßnahmen voraus, mit denen die Auftraggeber und die Ausführenden von Schwarzarbeit rechnen müssen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  „Au delà de l'emploi“, editions Flammarion 1999, Seite 294 ff.

(2)  Die Gruppe der Arbeitgeber hat die Annahme der ILO-Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis nicht unterstützt.

(3)  Die Gruppe der Arbeitgeber hat die Annahme der ILO-Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis nicht unterstützt.

(4)  Vgl. OECD, PISA 2003 und PISA 2006 zur Wirksamkeit der Bildungssysteme; die nordischen Staaten schneiden dort sehr gut ab und Finnland steht an der Spitze.

(5)  In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daran zu erinnern, dass 78 % der Arbeitsverträge in Europa unbefristete Vollzeitver-träge sind und dass 18,4 % der Arbeitnehmer über einen ebenfalls unbefristeten Teilzeitvertrag verfügen. 14,5 % der Arbeits-kräfte in der EU haben einen befristeten Arbeitsvertrag und Leiharbeit macht 2 % der Beschäftigung in der EU-27 aus; allerdings handelt es sich bei mehr als 60 % der neuen Arbeitsverträge um flexible Verträge.

(6)  Siehe Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283 vom 28.10.1980, S. 23).


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurden abgelehnt:

Die gesamte Stellungnahme durch folgenden Text ersetzen:

Europa steht heute vor wichtigen Herausforderungen wie dem Wandel einer industriellen in eine dienstleistungsorientierte und wissensbasierte Wirtschaft, Globalisierung, raschem technologischem Fortschritt, Überalterung der europäischen Bevölkerung, sinkenden Geburtenraten sowie die Veränderung der Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse.

Für die Bewältigung dieser Herausforderungen und die Wahrung unseres europäischen Sozialmodells ist u.a. die Modernisierung des Arbeitsrechts erforderlich.

Deshalb begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) das Grünbuch der Kommission, das eine öffentliche Debatte über die Modernisierung des Arbeitsrechts anstößt. Die Beiträge zu diesem Grünbuch sollten in die geplante Mitteilung der Kommission über Flexicurity einfließen. Das Gleichgewicht zwischen Beschäftigungsflexibilität und Sicherheit sollte sowohl den Bedürfnissen der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen gerecht werden.

Durch die Modernisierung des Arbeitsrechts sollten die in der Lissabon-Strategie festgeschriebenen Ziele, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, mehr und bessere Arbeitsplätze sowie soziale Integration, gefördert werden. Zur Erreichung dieser Ziele schlägt der EWSA Folgendes vor:

1.

Die bestehende Vielfalt von Arbeitsvertragsformen sollte erhalten bleiben, unter der Voraussetzung, dass ein stabiler Rechtsrahmen besteht, der sowohl die Bedürfnisse der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen, insbesondere der KMU, berücksichtigt. Bei 78 % der Arbeitsverträge handelt es sich um unbefristete Vollzeitverträge, allerdings steigt die Zahl der neuen, flexiblen Vertragsvereinbarungen überall in Europa. Flexible Arbeitsverträge, wie Teilzeitverträge und befristete Verträge, können zur Entwicklung von Fähigkeiten beitragen, die im schulischen Umfeld nicht gelernt werden, und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, einen unbefristeten Vollzeitvertrag zu bekommen. Flexible Arbeitsverträge können einen guten Startpunkt für das weitere Arbeitsleben junger Menschen und eine ausgezeichnete Möglichkeit für die Vereinbarung von Arbeit und Familienleben darstellen und so zur Schaffung eines integrativen Arbeitsmarktes beitragen. Der in den europäischen Richtlinien zu Teilzeit- und Leiharbeit auf der Grundlage von Vereinbarungen der europäischen Sozialpartner definierte Schutz gegen Diskriminierung ist für diese Arbeitnehmer wichtig.

2.

Die Modernisierung des Arbeitsrechts muss hauptsächlich auf Ebene der Mitgliedstaaten stattfinden. Da das Arbeitsrecht nur einen Teil des Flexicurity-Prinzips ausmacht, muss das richtige Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit innerhalb des jeweiligen einzelstaatlichen Rahmens festgelegt werden. Nationale Reformen sollten durch Maßnahmen auf europäischer Ebene ergänzt werden, die durch die Bestimmung vorbildlicher Verfahrensweisen und die Vereinfachung ihres Austauschs auf Sensibilisierung ausgerichtet sind.

3.

Die wichtige Rolle, die die Sozialpartner auf Ebene der Mitgliedstaaten, Sektoren und Unternehmen für die Modernisierung des Arbeitsrechts sowie die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit spielen, ist zu fördern. Tarifverhandlungen müssen auf dem Grundsatz der Autonomie der Sozialpartner beruhen und werden je nach Geschichte und Kultur der Arbeitsbeziehungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich geführt werden .

4.

Ein flexiblerer Beschäftigungsschutz für unbefristete Arbeitsverträge sollte mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik kombiniert werden, die Arbeitnehmern, die ihre Qualifikationen entsprechend den Anforderungen des Arbeitsmarktes verbessern, maßgeschneiderte Unterstützung bietet. Der Schwerpunkt sollte eher auf Beschäftigungssicherheit liegen als auf dem Schutz einzelner Arbeitsplätze. Positive Maßnahmen von Sozialwirtschaft und Unternehmen, um die am stärksten Ausgegrenzten in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sollten unterstützt werden. Eine enge dreiseitige Partnerschaft zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und dem öffentlichen Sektor trägt dazu bei, Ausbildungserfordernisse festzustellen und die finanziellen Belastungen zu teilen. Beschäftigungsfreundliche Sozialschutzsysteme für Arbeitnehmer wie für Selbständige sollten die Übergänge zwischen verschiedenen Arbeitsformen erleichtern.

5.

Selbständigkeit fördert den Unternehmergeist, ein Aspekt, bei dem Europa im Vergleich zu seinen zahlreichen Wettbewerbern in der Welt hinterherhinkt, und ist das beste Zeichen für die Dynamik einer modernen Volkswirtschaft. Wirtschaftlich abhängige Selbständige müssen allerdings deutlich von Scheinselbständigen unterschieden werden: Scheinselbständige sollten z.B. in punkto soziale Sicherheit, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sowie Beschäftigungsschutz dasselbe Schutzniveau haben wie Arbeitnehmer.

6.

Schwarzarbeit verzerrt den Wettbewerb und zerstört die finanzielle Grundlage der nationalen Systeme für soziale Sicherheit sowie der Steuersysteme. Schwarzarbeit ist ein komplexes Phänomen, für das es mehrere Ursachen gibt. Deshalb ist für die Bekämpfung der Schwarzarbeit eine gute Mischung aus politischen Maßnahmen erforderlich, die die Anpassung des Arbeitsrechts, die Verringerung der administrativen Verpflichtungen, eine kohärente Lohnpolitik, Steueranreize, eine Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur und der öffentlichen Dienstleistungen, aber auch Kontrollen und abschreckende Sanktionen umfasst. Aus diesem Grund sollte die Europäische Kommission die Initiative ergreifen, um vorbildliche Verfahrensweisen zusammenzutragen, ihre Verbreitung unter den Mitgliedstaaten zu erleichtern und so Maßnahmen gegen die Schwarzarbeit anzuregen.

Begründung

Erfolgt mündlich.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 89

Nein-Stimmen: 126

Stimmenthaltungen: 7

Neue Ziffer 3.9.2 hinzufügen

Ein Auftraggeber hat im Allgemeinen keinerlei Einfluss darauf, ob ein Subunternehmer den Verpflichtungen, die er seinen Arbeitnehmern gegenüber hat, laufend nachkommt; weder kennt er dessen finanzielle Situation noch kann er sie beeinflussen und ist daher auch nicht in der Lage einzuschätzen, ob der Subunternehmer den Verpflichtungen, die er seinen Arbeitnehmern gegenüber hat, nachkommen kann. Somit kann das damit verbundene finanzielle Risiko nicht dem Auftraggeber aufgebürdet werden.

Begründung

Die Frage der Kommission ist im Grünbuch sehr allgemein formuliert und bezieht sich nicht nur auf grenzüberschreitende Beschäftigungsverhältnisse. Aus diesem Grunde schlage ich vor, zwischen den Ziffern 3.9.1 und 3.9.2 eine zusätzliche Ziffer allgemeinen Inhalts einzufügen. In diesem Fall könnte Ziffer 3.9.2, in der ausführlich auf die Ausnahme zu dieser allgemeinen Aussage (grenzüberschreitende Verhältnisse) eingegangen wird, unverändert bleiben.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 75

Nein-Stimmen: 122

Stimmenthaltungen: 12


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/74


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“

KOM(2006) 479 endg. — 2006/0163 (COD)

(2007/C 175/18)

Der Rat beschloss am 19. Oktober 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 156 Stimmen bei einer Gegenstimme und einer Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hält den Vorschlag zur Schaffung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für notwendig. Durch die gebührende Transparenz der Qualifikationen und Kompetenzen wird die Mobilität in der EU gefördert und ein standardisierter, allgemeiner Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt ermöglicht, da die in einem Mitgliedstaat erworbenen Zeugnisse in einem anderen verwendet werden können. Dessen ungeachtet wirft das vorgeschlagene Modell einige Probleme auf, die seine Umsetzung behindern könnten und die in dieser Stellungnahme aufgezeigt werden.

1.2

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass der vorgelegte Vorschlag als Empfehlung, das heißt als ein gemäß Artikel 249 des EG-Vertrags unverbindlicher Rechtsakt, angenommen werden soll.

1.3

Nach Auffassung des EWSA sollten die Deskriptoren des Modells insbesondere für die beruflichen Qualifikationen klarer und einfacher formuliert werden, damit sie für die Bürger insgesamt sowie für die Unternehmen und Fachleute verständlicher sind. Neben dieser Vereinfachung sollte auch ein Anhang angefügt werden, in dem den Mitgliedstaaten Referenzen an die Hand gegeben werden, auf die sie sich bei der Erstellung ihrer Nationalen Qualifikationssysteme beziehen können, um so die gewünschte Kohärenz des gesamten Referenzsystems zu erreichen.

2.   Einleitung

2.1

Der dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Stellungnahme vorgelegte Kommissionsvorschlag entspricht einem der Ziele, die 2000 vom Europäischen Rat von Lissabon formuliert wurden, nämlich dass sich durch eine Verbesserung der Transparenz der Qualifikationen und die Förderung des lebenslangen Lernens eine Anpassung der europäischen Systeme für allgemeine und berufliche Bildung erreichen ließe, was den vom Rat festgelegten Zielen in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum, Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt in Europa dienen würde.

2.2

Diese Schlussfolgerung wurde 2002 vom Europäischen Rat von Barcelona bekräftigt. So fordert der Rat die Mitgliedstaaten in seiner Entschließung zum lebenslangen Lernen auf, die Zusammenarbeit zu verstärken, um formales, nicht formales und informelles Lernen besser kombinierbar zu machen. Dies wurde als Voraussetzung für die Schaffung eines europäischen Raumes für lebenslanges Lernen gesehen, der auf den Errungenschaften des Bologna-Prozesses aufbaut. Damit will man erreichen, dass die europäischen Bildungssysteme bis 2010 zu einer weltweiten Qualitätsreferenz werden.

2.3

Im gleichen Jahr lud der Europäische Rat von Sevilla die Kommission ein, in enger Zusammenarbeit mit dem Rat und den Mitgliedstaaten einen Rahmen für die Anerkennung von Qualifikationen in der allgemeinen und beruflichen Bildung zu entwickeln.

2.4

Im Zwischenbericht des Rates und der Kommission von 2004 über die Durchführung des Programms „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ wurde auf die Notwendigkeit der Schaffung eines europäischen Rahmens für Qualifikationen abgehoben. Auch der Rat von Kopenhagen vom Herbst 2004 forderte, der Entwicklung eines offenen und flexiblen, auf Transparenz und gegenseitiger Anerkennung beruhenden europäischen Rahmens für Qualifikationen, der zu einer gemeinsamen Bildungsreferenz würde, Priorität einzuräumen.

2.5

Die Bildungsminister unterstrichen auf ihrer Konferenz im Frühjahr 2005 in Bergen, auf der ein Europäischer Qualifikationsrahmen für den Europäischen Hochschulraum verabschiedet wurde, wie wichtig die Wahrung der Komplementarität zwischen dem Europäischen Hochschulraum und dem Europäischen Qualifikationsrahmen ist.

2.6

In den beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2005-2008 wurde im Zusammenhang mit der Revision der Lissabon-Strategie nachdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Zugang zu flexiblem Lernen zu gewährleisten, weil dies die Mobilitätschancen der Studierenden und Auszubildenden erhöhen und die Transparenz der Qualifikationen und die Validierung des nicht formalen Lernens in ganz Europa verbessern würde.

2.7

Der Europäische Rat vom März 2005 beschloss die Verabschiedung eines Europäischen Qualifikationsrahmens im Jahr 2006. Dieser Beschluss wurde auf der Ratstagung im März 2006 bestätigt.

2.8

Ausgearbeitet wurden der vorliegende Vorschlag und konkret die Deskriptoren, die den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) definieren, im Zuge eines methodischen Konsultationsprozesses unter Leitung der Kommission in Zusammenarbeit mit dem CEDEFOP und dem Begleitausschuss für den Bologna-Prozess auf der Grundlage des Arbeitsdokuments „Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (1), zu dem die 32 am Arbeitsprogramm „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ beteiligten Länder sowie die Sozialpartner, sektorale Organisationen, Bildungseinrichtungen und nichtstaatliche Organisationen beitrugen; darin eingeflossen sind auch die Diskussionen der Konferenz von Budapest vom Februar 2006 und die Arbeit der Gruppen von Sachverständigen und Beratern, die die Kommission unterstützten.

2.9

Nach einer Prüfung der Auswirkungen der Maßnahme je nach den verschiedenen Möglichkeiten, wie der Vorschlag zur Schaffung des Europäischen Qualifikationsrahmens vorgelegt werden könnte, entschied man sich für die Form einer Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates.

2.10

Das Europäische Parlament nahm Ende September 2006 einen Bericht über die Schaffung des Europäischen Qualifikationsrahmens an (2).

3.   Zusammenfassung des Vorschlags

3.1

Der Vorschlag für eine Empfehlung enthält ein Referenzinstrument, das es ermöglicht, die Qualifikationsniveaus der verschiedenen nationalen Qualifikationssysteme miteinander zu vergleichen. Es basiert auf einem Satz von acht Referenzniveaus, die anhand der Lernergebnisse beschrieben werden und die allgemeine Bildung, Erwachsenenbildung, berufliche Bildung sowie Hochschulbildung abdecken. Der Vorschlag enthält den Text der Empfehlung, eine Reihe von Begriffsbestimmungen sowie zwei Anhänge: einen mit den Deskriptoren zur Beschreibung der Niveaus des Europäischen Qualifikationsrahmens und einen mit den Grundsätzen für die Qualitätssicherung in der allgemeinen und beruflichen Bildung.

3.2

Das Europäische Parlament und der Rat empfehlen den Mitgliedstaaten,

diesen Rahmen als Referenzinstrument zum Vergleich der Qualifikationsniveaus zu verwenden;

ihr nationales Qualifikationssystem bis 2009 an den Europäischen Qualifikationsrahmen zu koppeln und nationale Qualifikationsrahmen zu erstellen;

bis 2011 dafür zu sorgen, dass alle neuen Qualifikationsnachweise und Europass-Dokumente einen Verweis auf das zutreffende Niveau des Europäischen Qualifikationsrahmens enthalten;

bei der Beschreibung und Definition von Qualifikationen einen Ansatz zu verwenden, der auf Lernergebnissen beruht;

die Validierung nicht formalen und informellen Lernens zu fördern;

ein nationales Zentrum zu benennen, das die Beziehung zwischen dem nationalen Qualifikationssystem und dem Europäischen Qualifikationsrahmen unterstützt und koordiniert, um

die Niveaus beider zu verknüpfen;

bei der Koppelung die Grundsätze für die Qualitätssicherung zu fördern und anzuwenden;

die Transparenz der Methodik zu gewährleisten, mit deren Hilfe die Entsprechungen zwischen den Niveaus festgelegt werden;

die Betroffenen zu informieren und ihre Einbindung zu gewährleisten.

3.3

Das Europäische Parlament und der Rat unterstützen die Absicht der Kommission,

die Mitgliedstaaten und die internationalen sektoralen Organisationen bei der Verwendung der Referenzniveaus und der Grundsätze des EQR zu unterstützen;

eine beratende Gruppe für den EQR einzurichten, die die Qualität und Gesamtkohärenz des Prozesses der Koppelung von Qualifikationssystemen an den EQR überwacht, koordiniert und gewährleistet;

die durchgeführten Maßnahmen zu überwachen und fünf Jahre nach der Annahme der Empfehlung dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die gewonnenen Erfahrungen sowie Schlussfolgerungen für die Zukunft vorzulegen.

3.4

In Anhang I werden die acht Referenzniveaus ausgehend von den Lernergebnissen beschrieben, d.h. sie machen Aussagen darüber, was der Betreffende weiß, versteht und in der Lage ist zu tun. Diese Elemente schlagen sich in den Deskriptoren der Niveaus im Sinne von Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen nieder.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt den ihm vorgelegten Vorschlag für eine Empfehlung vorbehaltlich der in dieser Stellungnahme enthaltenen Bemerkungen. Er ist der Meinung, dass durch die gebührende Transparenz der Qualifikationen und Kompetenzen die Mobilität in der EU gefördert und ein standardisierter, allgemeiner Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt ermöglicht wird, da die in einem Mitgliedstaat erworbenen Zeugnisse in einem anderen verwendet werden können.

4.2

Der EWSA sprach sich in den Schlussfolgerungen seiner Stellungnahme (3) zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (4) für eine gemeinsame Plattform zur Anerkennung von Qualifikationen aus, die das gesamte Bildungsspektrum umfasst, d.h. die Hochschulbildung, die allgemeine und berufliche Bildung sowie die nicht formale und informelle Bildung. Nach Ansicht des EWSA stellt der Europäische Qualifikationsrahmen einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Anerkennung und Transparenz von Qualifikationen dar.

4.3

Da der Europäische Qualifikationsrahmen auf Lernergebnissen basiert, sollte er dazu beitragen, die Entsprechung zwischen den Anforderungen des Arbeitsmarktes und dem Aus- und Weiterbildungsangebot zu verbessern und auch die Validierung des nicht formalen oder informellen Lernens erleichtern sowie die Übertragbarkeit und die Verwendung von Qualifikationen über verschiedene Länder und Bildungssysteme hinweg fördern. Nach Auffassung des EWSA sind dies — neben den Auswirkungen der Referenzniveaus auf die Beschäftigung — die wichtigsten Vorzüge der Initiative.

4.4

Der Europäische Qualifikationsrahmen muss verschiedene Aspekte berücksichtigen, wie die Erfordernisse der Lernprozesse des Einzelnen, die Validierung des Wissens, die Kompetenzen, deren soziale Einbettung, die Beschäftigungsfähigkeit und die Entwicklung und den Einsatz der Humanressourcen. Die Validierung des nicht formalen oder informellen Lernens der europäischen Arbeitnehmer muss eine der Prioritäten sein, an denen sich der Europäische Qualifikationsrahmen orientieren sollte.

4.5

Nach Ansicht des Ausschusses wird der Europäische Qualifikationsrahmen dazu beitragen, die europäischen Bildungssysteme für die Bürgerinnen und Bürger generell verständlicher und zugänglicher zu machen. Die Arbeitnehmer in der EU und ihre potenziellen Arbeitgeber benötigen einen Referenzrahmen, damit die Qualifikationen, die jemand in einem oder mehreren Mitgliedstaaten erworben hat, mit den Referenzqualifikationen in den Mitgliedstaaten verglichen werden können, in denen er arbeiten möchte. In diesem Sinn sieht der EWSA den Auswirkungen, die der Vorschlag auf die Beseitigung der Hindernisse für die transnationale Mobilität haben wird, positiv entgegen. Der Europäische Qualifikationsrahmen sollte eine Brückenfunktion zwischen den Bildungssystemen erfüllen und die Mobilität zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung einschließlich Hochschulbildung ermöglichen.

4.6

In Bezug auf die dem Europäischen Qualifikationsrahmen verliehene Rechtsform begrüßt der EWSA die Analyse, die die Kommission in dem Dokument zur Abschätzung der Folgen des Vorschlags (5) vorgenommen hat, und stellt fest, dass sukzessive Empfehlungen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung und der Mobilität von den Mitgliedstaaten in mehr oder weniger großem Umfang befolgt worden sind. Der EWSA vertritt jedoch die Auffassung, dass eine Empfehlung als unverbindlicher Rechtsakt ohne Rechtsbindung für die Empfänger ein Instrument von kurzer Anwendungsdauer sein könnte, das sein angestrebtes Ziel mittelfristig nicht erreicht — insbesondere dann, wenn die Referenz mithilfe eines hypothetischen Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) für jeden Mitgliedstaat erstellt werden muss.

4.7

Vor diesem Hintergrund haben fünf EU-Mitgliedstaaten im Einklang mit den Ergebnissen der Konferenz von Budapest vom Februar 2006 bereits einen Nationalen Qualifikationsrahmen erstellt, und die übrigen Mitgliedstaaten sind entweder gerade dabei, ihren Qualifikationsrahmen zu erstellen bzw. haben ihre diesbezügliche Bereitschaft bekundet oder beabsichtigen nicht, einen Nationalen Qualifikationsrahmen in ihrem Land zu entwickeln.

4.8

Diese Anzeichen deuten darauf hin, dass es sehr schwierig werden könnte, dieses Vorhaben zu Ende zu führen und es dem Europäischen Qualifikationsrahmen ohne einen Nationalen Qualifikationsrahmen an Inhalt fehlt, denn wie es die Kommission in ihrem Papier „Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (6) formulierte: „Vom Standpunkt eines EQR aus wäre es optimal, wenn jedes Land einen einzigen Nationalen Qualifikationsrahmen erstellen und diesen zum EQR in Bezug setzen würde.“

4.9

Nach Ansicht des EWSA muss der effektiven Validierung und Anerkennung der verschiedenen Formen von Qualifikationen, die aus dem formalen, nicht formalen und informellen Lernen in den einzelnen Ländern und Bildungssektoren resultieren, durch mehr Transparenz und eine bessere Qualitätssicherung Priorität eingeräumt werden. Damit macht sich der EWSA die Entschließung des Rates vom 27. Juni 2002 zum lebensbegleitenden Lernen (7) zu Eigen. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass der Rat in eben dieser Entschließung die Kommission auffordert, einen Rahmen für die Anerkennung von Qualifikationen im Bereich der Hochschulbildung und der beruflichen Bildung zu entwickeln. Daher verweist der EWSA mit diesem neuen Argument nachdrücklich darauf, dass die Bemühungen um die Fertigstellung der acht Referenzniveaus des Europäischen Qualifikationsrahmens nicht am Ende des Prozesses stehen und der Freiwilligkeit der Mitgliedstaaten, d.h. der Rechtsform einer Empfehlung, unterworfen sein dürfen.

4.10

Nach Auffassung des EWSA muss die Kommission klarstellen, welche Konsequenzen es für diesen Prozess haben würde, wenn einer oder mehrere Mitgliedstaaten keinen Nationalen Qualifikationsrahmen verabschieden bzw. diesen nicht mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen verknüpfen. Der EWSA hält es daher für zweckmäßig, dass die Kommission dieses Szenario analysiert und entsprechende Lösungsmöglichkeiten vorschlägt, damit sie nicht später die Fähigkeit verliert, auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren. In dem endgültigen Vorschlag sollten Anreize für die Übernahme dieses Instruments durch die Mitgliedstaaten vorgesehen werden.

4.11

Der EWSA ist weder bestrebt, ein einheitliches System der allgemeinen und beruflichen Bildung in der EU zu schaffen, noch will er den Mitgliedstaaten vorschreiben, welche Qualifikationen ihre Bildungseinrichtungen vermitteln müssen. Der Ausschuss möchte vielmehr darauf hinweisen, dass die Schritte auf dem Weg zu Transparenz und zur Anerkennung und Übertragung von Qualifikationen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten konsolidiert werden müssen. Dies erfordert auch gut ausgearbeitete Mechanismen zur Qualitätssicherung, insbesondere bei den Zeugnisausstellenden, auf der Ebene der Mitgliedstaaten. Ohne diesen Handlungsrahmen hat die Mobilität von Studierenden und Auszubildenden nämlich wenig Sinn, und die Mobilität der Arbeitnehmer wird behindert.

Die Entscheidungen betreffend den Nationalen Qualifikationsrahmen sollten auf nationaler wie regionaler Ebene gemeinsam mit den Sozialpartnern getroffen werden. Diese sollten zusammen mit den zuständigen Behörden Grundsätze, Vorschriften und Ziele für die Aufstellung des jeweiligen Nationalen Qualifikationsrahmens definieren und umsetzen. Ebenso gilt es, die Rolle der in diesem Bereich tätigen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu berücksichtigen.

4.12

Der Vorschlag für eine Empfehlung sieht die Einrichtung einer beratenden Gruppe für den Europäischen Qualifikationsrahmen vor, die die Aufgabe hat, die Qualität und Kohärenz des Prozesses der Koppelung von Qualifikationssystemen an den Europäischen Qualifikationsrahmen zu überwachen, zu koordinieren und zu gewährleisten. Um die Homogenität der Kriterien zur Koppelung der nationalen Systeme an den Europäischen Qualifikationsrahmen zu gewährleisten, sollte diese Gruppe angesichts des Profils der vorgeschlagenen Mitglieder auch mit der Validierung der Verknüpfung der nationalen Niveaus mit dem Referenzrahmen beauftragt werden, bevor diese Verknüpfung endgültig festgelegt wird.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

In dem Vorschlag für eine Empfehlung wird gegen Ende des Abschnitts „Rechtliche Aspekte des Vorschlags — Subsidiaritätsprinzip“ auf die 25 Mitgliedstaaten der EU Bezug genommen. Dieser Passus ist dahingehend zu ändern, dass es sich nach der letzten Erweiterung um nunmehr 27 Länder handelt.

5.2

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die in der Empfehlung an die Mitgliedstaaten gesetzten Fristen und insbesondere der unter Ziffer 2 genannte Zeitraum angesichts des Entwicklungsstandes der Nationalen Qualifikationsrahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu kurz ausfallen. Die Frist ist zwar eine freiwillige, doch in der Realität lässt sich absehen, dass dieser Prozess länger dauern wird.

5.3

Der Kommission wird in dem Vorschlag für eine Empfehlung unter Ziffer 3 u.a. die Aufgabe zugewiesen, die durchgeführten Maßnahmen zu überwachen und dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die gewonnenen Erfahrungen vorzulegen; das schließt, falls nötig, eine Überprüfung dieser Empfehlung mit ein. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass dieser Bericht im Sinne von Artikel 149 Absatz 4 und 150 Absatz 4 des EG-Vertrags auch dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vorgelegt werden sollte.

5.4

Die Beschreibung der Deskriptoren in Anhang I des Vorschlags sollte nach Auffassung des EWSA vereinfacht und dadurch verständlicher, klarer und konkreter gemacht werden, das heißt, sie sollte sprachlich weniger auf die Wissenschaft und stärker auf die Berufsbildung ausgerichtet sein, da es sich um Kriterien handelt, auf denen die Niveauverknüpfung aufbauen soll. Diesem Anhang mit Deskriptoren sollte ein zweiter erläuternder Anhang beigefügt werden, der es ermöglicht, die Qualifikationen auf die Niveaus abzustimmen und auf diese Weise ihre spätere Transposition zu Zwecken des Vergleichs zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern.

5.5

Durch klar formulierte Definitionen wird verständlicher, was die in dem Dokument verwendeten Begriffe bedeuten. In diesem Sinne schätzt der Ausschuss ein, dass einige der in dem Kommissionsdokument „Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (8) verwendeten Definitionen klarer formuliert sind als die in dem hier erörterten Vorschlag für eine Empfehlung. Konkret heißt das, dass beispielsweise die Definition für „Kompetenzen“ durch die im oben genannten Kommissionsdokument auf Seite 47 enthaltene ersetzt werden sollte.

5.6

Der EWSA befürwortet die Entsprechung zwischen den drei letzten Niveaus des Europäischen Qualifikationsrahmens und den akademischen Graden der Bologna-Abschlüsse (Bachelor, Master und Doktor). Auf diesen Bildungsstufen müssen die Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen je nach erworbener Hochschulbildung eingeteilt werden.

5.7

Der EWSA schließt sich der Meinung an, dass auf allen Bildungsniveaus der Mitgliedstaaten auch weiterhin Qualitätskriterien angewandt werden sollten. Er hat sich wiederholt dafür ausgesprochen, und zwar sowohl in seiner Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu europäischer Zusammenarbeit in der Sicherung der Qualität der Hochschulbildung“ (9) als auch in der Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates und des Europäischen Parlaments betreffend die verstärkte europäische Zusammenarbeit zur Qualitätssicherung in der Hochschulbildung“ (10). In der letztgenannten Stellungnahme bemerkte der EWSA konkret: „Die Forderung eines hohen Qualitätsniveaus der allgemeinen und beruflichen Bildung spielt bei der Erreichung der Ziele der Lissabon-Strategie eine zentrale Rolle“.

5.8

Insgesamt befürwortet der EWSA den Inhalt von Anhang II des Vorschlags. Im Hinblick auf eine Anpassung an die Qualitätstendenzen, die sich heutzutage auf allen Gebieten abzeichnen, sollte der Titel von Anhang II seiner Auffassung nach jedoch in „Grundsätze für die kontinuierliche Verbesserung der Qualität in der Aus- und Weiterbildung“ umbenannt und der Wortlaut dieses Anhangs entsprechend angepasst werden.

5.9

Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten und ihren Bildungszentren sowie den Sozialpartnern, mit dem Modell der Europäischen Stiftung für Qualitätsmanagement (EFQM) zu arbeiten. Dieses von der EU unterstützte, weithin anerkannte Modell könnte als Referenzgrundlage dienen, auf der die Bildungszentren ihre Bemühungen zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung aufbauen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  SEK(2005) 957.

(2)  A6-0248/2006, Berichterstatter: Herr Mann.

(3)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Anerkennung von Berufsqualifikationen“ vom 18.9.2002, Berichterstatter: Herr Ehnmark (ABl. C 61 vom 14.3.2003).

(4)  KOM(2002) 119 endg.

(5)  KOM(2006) 479 endg.

(6)  SEK(2005) 957.

(7)  ABl. C 163/1 vom 9.7.2002.

(8)  SEK(2005) 957.

(9)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Europäische Zusammenarbeit in der Sicherung der Qualität der Hochschulbildung“ vom 29.10.1997, Berichterstatter: Herr Rodríguez Garcia-Caro (ABl. C 19 vom 21.1.1998).

(10)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Qualitätssicherung in der Hochschulbildung“ vom 6.4.2005, Berichterstatter: Herr Soares (ABl. C 255 vom 14.10.2005).


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/78


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Eine EU-Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verringerung alkoholbedingter Schäden“

KOM(2006) 625 endg.

(2007/C 175/19)

Die Kommission beschloss am 24. Oktober 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Mai 2007 an. Berichterstatterin war Frau Van TURNHOUT, Mitberichterstatter Herr JANSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 96 gegen 14 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission „Eine EU-Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verringerung alkoholbedingter Schäden“. Er bedauert jedoch, dass darin bei weitem keine „umfassende Strategie“ dargelegt wird, um deren Ausarbeitung in den Schlussfolgerungen des Rates vom 5. Juni 2001 ersucht worden war.

1.2

Gegenstand dieser Stellungnahme ist das gesundheitspolitische Anliegen, alkoholbedingte Schäden zu verringern: Der schädliche, riskante Konsum von Alkohol sowie der Alkoholkonsum durch Minderjährige tragen zu alkoholbedingten Schäden bei.

1.3

Der EWSA hätte von der Kommission eigentlich eine umfassendere, transparentere Analyse erwartet, in der sie nicht nur alle in der Folgenabschätzung aufgezeigten relevanten EU-Politikfelder untersucht, sondern auch die Schwierigkeiten beleuchtet, mit denen einige Mitgliedstaaten wegen der EU-Binnenmarktvorschriften zu kämpfen haben, wenn sie eine wirkungsvolle Gesundheitspolitik zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs weiterführen wollen.

1.4

Der Ausschuss fordert die Kommission angesichts ihrer in den Verträgen verankerten Verpflichtungen auf, einen engagierten Vorstoß zur tatkräftigen Unterstützung der Mitgliedstaaten bei deren Bemühungen um ein hohes Gesundheitsschutzniveau durch die Verringerung von alkoholbedingten Schäden zu unternehmen und sicherzustellen, dass die diesbezügliche Politik der Mitgliedstaaten durch Gemeinschaftsmaßnahmen ergänzt wird.

1.5

Der EWSA erkennt an, dass die kulturellen Gewohnheiten in Europa unterschiedlich sind. Diesen Unterschieden ist bei den einzelnen Initiativen und Aktionen, die vorgeschlagen werden, Rechnung zu tragen.

1.6

Der EWSA begrüßt die vorgesehene Entwicklung einer gemeinsamen Grundlage wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse einschließlich einheitlicher Definitionen für die Datenerhebung, durch die auf EU-Ebene ein erheblicher Mehrwert geschaffen wird. Er bemängelt jedoch, dass für die meisten als Schwerpunkte ermittelten Bereiche keine spezifischen Ziele mit klar quantifizierbaren Vorgaben und Fristen festgelegt werden.

1.7

Leider wird nirgends in der Mitteilung klar ausgesagt, dass Alkohol unter anderem deshalb so viele Schäden verursacht, weil er eine psychoaktive Droge ist, bei übermäßigem Konsum Vergiftungserscheinungen hervorruft und man davon abhängig werden kann.

1.8

Der Ausschuss tritt mit Nachdruck für die Rechte von Kindern ein und ist der Auffassung, dass sie aufgrund ihrer schwachen Position und ihrer besonderen Bedürfnisse besonders viel Fürsorge und Schutz brauchen, u.a. auch einen angemessenen rechtlichen Schutz. Er empfiehlt, der Alkoholstrategie eine Definition im Einklang mit dem „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ der Vereinten Nationen zugrunde zu legen, nach der ein Kind jeder Mensch ist, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

1.9

Nach Auffassung des EWSA sollten Maßnahmen, die dafür sorgen, dass Kinder künftig weniger mit alkoholischen Erzeugnissen, einschlägiger Werbung und Absatzförderungsaktionen konfrontiert werden, als spezifisches Ziel aufgenommen werden, um Kinder besser zu schützen.

1.10

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die wirtschaftlichen Folgen alkoholbedingter Schäden zu untersuchen. Die nachteiligen Auswirkungen laufen den Zielen der Lissabon-Strategie zuwider und haben Konsequenzen für Arbeitsumgebung, Gesellschaft und Wirtschaft.

1.11

Der EWSA begrüßt die Gründung eines Forums für Alkohol und Gesundheit, das eine nützliche Plattform für den Dialog zwischen allen relevanten Beteiligten sein und konkrete Aktionen zur Verringerung alkoholbedingter Schäden hervorbringen kann. Er würde es begrüßen, wenn ihm die Gelegenheit gegeben würde, als Beobachter an dem Forum für Alkohol und Gesundheit teilzunehmen.

1.12

Der EWSA spricht sich nachdrücklich dafür aus, dass Aufklärungs- und Bewusstseinsbildungskampagnen in eine integrierte Gesamtstrategie zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs eingebettet sein sollten.

1.13

Der EWSA stellt eine augenfällige Nichtübereinstimmung zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen über wirkungsvolle Maßnahmen zur Verringerung alkoholbedingter Schäden und den vorgeschlagenen Gemeinschaftsmaßnahmen fest. In der gesamten Mitteilung werden Aufklärung und Information häufig unter den geplanten Maßnahmen genannt, obwohl die Untersuchungsergebnisse den Schluss nahe legen, dass derartige Maßnahmen bei der Eindämmung des Alkoholmissbrauchs nur eine sehr geringe Wirksamkeit haben.

2.   Hintergrund

2.1

Die Europäische Union hat die Zuständigkeit und die Verantwortung, sich mit Problemen der öffentlichen Gesundheit im Zusammenhang mit schädlichem und riskantem Alkoholkonsum zu beschäftigen. Artikel 152 Absatz 1 des Vertrags (1) besagt: „Bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt“, und weiter: „Die Tätigkeit der Gemeinschaft ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerichtet“.

2.2

Der Rat verabschiedete 2001 eine Empfehlung zum Alkoholkonsum junger Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen (2), und forderte die Kommission auf, die Entwicklungen und die durchgeführten Maßnahmen zu beobachten, zu bewerten und zu überwachen sowie zu berichten, ob weitere Maßnahmen notwendig sind.

2.3

In seinen Schlussfolgerungen vom 5. Juni 2001 ersuchte der Rat die Kommission um Vorschläge für eine umfassende Gemeinschaftsstrategie zur Minderung der schädlichen Wirkungen des Alkohols in Ergänzung der einzelstaatlichen Maßnahmen. Der Rat hat diese Aufforderung im Juni 2004 bekräftigt (3).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission „Eine EU-Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verringerung alkoholbedingter Schäden“  (4).

3.1.1

Im Alkoholkonsum und bei alkoholbedingten Schäden bestehen erhebliche Unterschiede von Land zu Land sowohl im Hinblick auf die konsumierten Mengen und die Art und Weise des Umgangs mit der Problematik als auch hinsichtlich der gesundheitlichen und sozialen Gefahren. Angesichts dessen vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass die umzusetzenden Gemeinschaftsmaßnahmen „unter Beachtung der Befugnisse der Mitgliedstaaten“ eher als „gemeinschaftliche Leitlinien“ zu verstehen sind, die von gemeinsamen Vorstellungen in Bezug auf die Bekämpfung alkoholbedingter Schäden in all ihren Formen getragen sind. Im Rahmen solcher gemeinschaftlichen Leitlinien obliegt es dem einzelnen Mitgliedstaat, die Form, die Methoden und den Umfang der durchzuführenden Maßnahmen zu bestimmen.

3.2

Der EWSA bedauert jedoch, dass die Mitteilung der in den Schlussfolgerungen des Rates geforderten „umfassenden Strategie“ bei weitem nicht gerecht wird, obwohl ihr ein langwieriger Ausarbeitungsprozess vorausgegangen ist und obwohl die EU-weiten Probleme in Verbindung mit dem Alkoholkonsum und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit, das soziale Wohlergehen und die wirtschaftliche Prosperität der Unionsbürger hinlänglich bekannt sind.

3.3

Der Rat forderte die Kommission auf, eine Reihe von Gemeinschaftsmaßnahmen in allen relevanten Politikbereichen vorzulegen, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen. Unter Beachtung der Befugnisse der Mitgliedstaaten gehören zu den einschlägigen Politikbereichen: Verbrauchssteuern, Verkehr, Werbung, Marketing, Sponsoring, Verbraucherschutz und Forschung.

3.4

Der EWSA begrüßt das Anerkenntnis, dass ein schädlicher, riskanter Alkoholkonsum ein bedeutender Risikofaktor für die Gesundheit und eine der Hauptursachen für einen schlechten Gesundheitszustand und eine kürzere Lebenserwartung in der EU ist. In vielen alkoholisierten Zuständen gibt es keinen Alkoholspiegel, der noch als „sicher“ betrachtet werden kann (5).

3.5

Der Ausschuss bedauert, dass die Kommission nirgends in der Mitteilung klar sagt, dass Alkohol unter anderem deshalb so viele Schäden verursacht, weil er eine psychoaktive Droge ist, bei übermäßigem Konsum Vergiftungserscheinungen hervorruft und man davon abhängig werden kann. Dies ist umso enttäuschender, als die Strategie von der Generaldirektion „Gesundheit“ der Kommission entwickelt wurde, die über einen umfangreichen medizinischen Sachverstand verfügt.

3.6

Der EWSA begrüßt die Feststellung, dass der Konsum von Alkohol in schädlichen, gesundheitsgefährdenden Mengen nachteilige Folgen nicht nur für die Konsumenten selbst hat, sondern auch für Menschen in ihrer Umgebung, insbesondere durch Unfälle, Verletzungen und Gewalt. Am stärksten bedroht sind hier nach Ansicht des Ausschusses Kinder; auch andere Gruppen, wie Menschen mit Lernschwächen, psychischen Störungen sowie Alkohol- und Drogensüchtige, können in Mitleidenschaft gezogen werden.

3.7

Häusliche Gewalt ist in vielen Ländern ein ernstes Problem (6). Der EWSA ruft dazu auf, sich dieser Frage mit besonderer Aufmerksamkeit zuzuwenden, denn zwischen häuslicher Gewalt und starkem Alkoholkonsum besteht ein enger Zusammenhang (7). Natürlich gibt es Fälle häuslicher Gewalt, bei denen kein Alkohol im Spiel ist, doch kann starkes Trinken bei manchen Menschen unter gewissen Umständen die Gewaltbereitschaft erhöhen. Heftiger Alkoholkonsum kann die Häufigkeit und die Schwere der Gewaltanwendung vergrößern. Es hat sich gezeigt, dass die Behandlung einer Alkoholabhängigkeit zu weniger Gewalt in der Partnerschaft führt. Etwas gegen starkes Trinken zu tun, hilft nicht nur dem Gewaltopfer und dem Gewalttäter, sondern auch den Kindern, die in einer solchen Familie leben.

3.8

Die Zukunft Europas hängt von einer gesunden, produktiven Bevölkerung ab. Die wissenschaftlich belegten Hinweise, dass gerade bei jungen Menschen ein höherer Anteil von Erkrankungen festzustellen ist, die aus einem schädlichen, riskanten Alkoholkonsum resultieren, sind daher für den EWSA ein besonderer Anlass zur Sorge (8).

3.9

Auch wenn es nach wie vor von Land zu Land unterschiedliche kulturelle Gewohnheiten beim Alkoholkonsum gibt, nähern sich bei jungen Leuten und Kindern die Trinkgewohnheiten mehr und mehr an. Mit Sorge sieht der Ausschuss die Zunahme des schädlichen, riskanten Trinkens bei jungen Erwachsenen und Kindern in vielen Mitgliedstaaten in den letzten zehn Jahren, insbesondere die heftigen gelegentlichen Alkoholexzesse („Koma-Trinken“). Die gesellschaftliche Akzeptanz einer Lebensweise, in der Alkohol immer gegenwärtig ist, leistet diesen schädlichen Trinkmustern Vorschub.

3.10

Die Kommission sollte nach Ansicht des EWSA anerkennen, dass, wer regelmäßig und in Maßen trinkt, sich aber hin und wieder einem schädlichen Alkoholgenuss hingibt, zu einer akuten Gefährdung durch Alkohol beiträgt, wie z.B. Alkohol am Steuer, durch Alkohol ausgelöste Gewalt an öffentlichen Plätzen, übermäßiges Trinken rund um Sport- oder andere besondere Veranstaltungen. Solche Fälle von gelegentlichem schädlichem Trinken bei der Mehrheit der gemäßigten Alkoholkonsumenten können zu ernsten Problemen für die öffentliche Gesundheit und die öffentliche Sicherheit führen (9).

3.11

In der Strategie wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Europäische Union gemäß dem Vertrag die Zuständigkeit hat, die einzelstaatlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit zu ergänzen. Außerdem wird darin festgehalten, dass der Europäische Gerichtshof wiederholt bestätigt hat, dass die Minderung alkoholbedingter Schäden ein wichtiges und berechtigtes gesundheitspolitisches Ziel darstellt. Die dazu eingesetzten Maßnahmen müssen angemessen sein und im Einklang mit dem Grundsatz der Subsidiarität stehen.

3.12

Angesichts dessen hätte der EWSA eine umfassendere, transparentere Analyse aller relevanten Politikbereiche der EU von der Kommission erwartet.

3.13

Die von der Kommission vorgenommene Folgenabschätzung führte alle einschlägigen Politikbereiche auf und machte ebenfalls deutlich, dass einige Mitgliedstaaten aufgrund grenzüberschreitender Aktivitäten, wie z.B. privat über die Grenze gebrachten Einfuhren und der Werbung über Ländergrenzen hinweg, Schwierigkeiten haben, eine wirkungsvolle Gesundheitspolitik zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs zu betreiben. Die Alkoholstrategie enthält jedoch keinerlei Vorschlag zur Lösung dieses Problems.

4.   Die Schäden im Überblick

4.1

Die Europäische Union hat mit 11 Litern reinen Alkohols pro Kopf pro Jahr weltweit den höchsten Alkoholkonsum (10). Während der Gesamtalkoholverbrauch tendenziell zurückgeht, gibt es gleichzeitig einen Trend hin zu schädlicheren Trinkmustern.

4.2

Während die meisten Menschen überwiegend verantwortungsbewusst mit Alkohol umgehen, findet der EWSA die Feststellung beunruhigend, dass schätzungsweise 55 Mio. Erwachsene in der EU (d.h. 15 % der Bevölkerung im Erwachsenenalter) regelmäßig Alkohol in schädlichen Mengen zu sich nehmen (11). Schadwirkungen des Alkoholkonsums verursachen Schätzungen zufolge jährlich rund 195 000 Todesfälle in der EU durch Unfälle, Lebererkrankungen, Krebs u.a. Alkoholmissbrauch ist die dritthäufigste Ursache für frühe Sterblichkeit und Gesundheitsschädigungen in der EU (12).

4.3

Der Alkoholmissbrauch hat auch Folgen für die Wirtschaft, denn er führt zu höheren Gesundheits- und Sozialausgaben und Produktivitätseinbußen. Die Kosten alkoholbedingter Schäden für die europäische Wirtschaft werden auf 125 Mrd. Euro für 2003 geschätzt, was etwa 1,3 % des BIP entspricht; darin eingerechnet sind durch Straftaten, Verkehrsunfälle, Gesundheitspflege, frühe Sterblichkeit und Krankenbehandlung sowie Prävention verursachte Kosten (13).

5.   Schwerpunktbereiche

5.1

Der EWSA bemängelt, dass die Mitteilung für vier der fünf Schwerpunktbereiche keine spezifischen Ziele mit klar quantifizierbaren Vorgaben und Fristen enthält.

Kinderschutz

5.2

Kinder sind besonders anfällig für Schäden durch Alkoholmissbrauch. Man schätzt, dass 5 bis 9 Mio. Kinder unter Alkoholproblemen in der Familie leiden, dass Alkohol in 16 % der Fälle Mitursache von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung ist und dass jährlich rund 60 000 Neugeborene durch Alkoholeinwirkung untergewichtig auf die Welt kommen (14).

5.3

Die Kommission hat die Rechte des Kindes anerkannt und unterstützt die Schritte, die nötig sind, um den grundlegenden Bedürfnissen von Kindern gerecht zu werden. Die Kommission sieht die Rechte des Kindes als Priorität und hat darauf hingewiesen, dass Kinder ein Recht auf einen wirkungsvollen Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung und allen Formen von Misshandlung haben (15).

5.4

Der Ausschuss tritt mit Nachdruck für die Rechte von Kindern ein und ist der Auffassung, dass sie aufgrund ihrer schwachen Position und ihrer besonderen Bedürfnisse besonders viel Fürsorge und Schutz brauchen, einschließlich eines angemessenen rechtlichen Schutzes. Er hat darüber hinaus die wichtige Rolle der Familie hervorgehoben und auf die Verantwortung der Mitgliedstaaten hingewiesen, die Eltern in ihren Erziehungsaufgaben zu unterstützen (16).

5.5

Der EWSA ist überzeugt, dass Alkoholmissbrauch ernste nachteilige Folgen für Kinder haben kann, u.a. Vernachlässigung, Armut, soziale Ausgrenzung, Misshandlung und Gewalttätigkeit, was ihrer Gesundheit, ihrer Erziehung und ihrem Wohlergehen jetzt und in der Zukunft schaden kann.

5.6

Der EWSA dringt darauf, dass der Schutz von Kindern vor alkoholbedingten Schäden in die spezifischen Ziele der vorgeschlagenen EU-Kinderrechtsstrategie aufgenommen und bei der Prioritätenfestlegung und im Konsultationsprozess berücksichtigt wird.

5.7

Der Ausschuss empfiehlt, dass die EU ihrer Alkoholstrategie eine Definition zugrunde legt, nach der ein Kind jeder Mensch ist, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im Einklang mit dem „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ der Vereinten Nationen (UNKRK) und in dieser Form aufgegriffen in der „Mitteilung im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie“.

5.8

Der EWSA empfiehlt der Kommission, Aktionen zu unterstützen, die örtliche Gruppen ansprechen, denn Untersuchungen belegen, dass sich durch solche zielgruppenorientierten Ansätze eine Verminderung des Alkoholkonsums und der alkoholbedingten Schäden bei Minderjährigen erreichen lässt. Eine erfolgreiche Zielgruppenarbeit impliziert die Gestaltung lokaler Pläne und Maßnahmen, flankiert durch Information und Aufklärung, und die Einbeziehung aller relevanten Betroffenen (17).

5.9

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die 1995 von allen EU-Mitgliedstaaten angenommene „Europäische Alkohol-Charta“ (18) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anzuerkennen und sich insbesondere den ethischen Grundsatz zu Eigen zu machen, dass „alle Kinder und Jugendlichen das Recht haben, in einer Umwelt aufzuwachsen, in der sie vor den negativen Folgen des Alkoholkonsums und soweit wie möglich vor Werbung für Alkohol geschützt werden“.

5.10

Der Rat der Europäischen Union forderte die Mitgliedstaaten in seiner Empfehlung auf, wirksame Mechanismen in den Bereichen Werbung, Vermarktung und Abgabe an den Verbraucher einzuführen und dafür zu sorgen, dass alkoholische Erzeugnisse nicht gezielt für Kinder und Jugendliche aufgemacht und produziert werden. Der EWSA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass immer mehr Teenager in Europa sog. Alkopops trinken (19).

5.11

Dass in vielen Mitgliedstaaten ein zunehmender Trend zu einem exzessiven „Koma-Trinken“ und ein niedriges Alkoholeinstiegsalter bei Kindern festzustellen ist, kann darauf hindeuten, dass die gegenwärtigen Maßnahmen nicht in gewünschter Weise greifen. So spricht die Kommission in ihrer Mitteilung denn auch von der Notwendigkeit, „ein gemeinsames Vorgehen zu erwägen, um dem Alkoholkonsum Minderjähriger und schädlichen Konsummustern bei Jugendlichen entgegenzuwirken“.

5.12

Der EWSA dringt darauf, eine Verminderung der Exposition von Kindern gegenüber Alkoholerzeugnissen, Werbung und Promotion-Aktionen als spezielles Ziel aufzunehmen, um Kinder besser zu schützen.

5.13

Der EWSA ist erfreut über die in der Mitteilung enthaltene Erklärung der Akteure der Spirituosenkette, sie seien bereit, eine aktivere Rolle bei der Durchsetzung von Regulierungs- und Selbstregulierungsmaßnahmen zu übernehmen. Den Vertretern der Spirituosenindustrie kommt die wichtige Aufgabe zu, dafür zu sorgen, dass Herstellung, Vertrieb und Marketing ihrer Erzeugnisse in verantwortungsvoller Weise geschehen, und dadurch zur Verminderung alkoholbedingter Schäden beizutragen.

5.14

Der Ausschuss dringt darauf, dass sich die Mitgliedstaaten im Sinne des Jugendschutzes die Flexibilität bewahren sollten, mit steuerlichen Maßnahmen gegen die Probleme vorzugehen, die mit speziellen alkoholischen Getränken zusammenhängen, wie z.B. „Alkopops“, die für junge Menschen besonders verlockend sind.

Senkung der Zahl alkoholbedingter Straßenverkehrsunfälle

5.15

Der EWSA begrüßt die ausdrückliche Zielsetzung, für weniger Straßenverkehrsunfälle zu sorgen, wobei die Zahl der Verkehrstoten auf europäischen Straßen innerhalb von zehn Jahren (2000-2010) von 50 000 auf 25 000 halbiert werden soll (20). Durch Alkohol am Steuer verursachte Verkehrsunfälle können u.a. auch Langzeitbehinderungen zur Folge haben.

5.16

Der Ausschuss schließt sich der Auffassung an, dass die Durchsetzung häufiger, systematischer Atemalkoholtests eine deutlich höhere Wirksamkeit zur Eindämmung alkoholbedingter Straßenverkehrsunfälle hat und dass Aufklärungs- und Bewusstseinsbildungskampagnen eine flankierende Funktion haben, sie sich aber nicht als wirksam zur Verminderung der Zahl der Verkehrstoten durch Alkohol am Steuer erwiesen haben (21). Der EWSA empfiehlt eine maximale Blutalkoholkonzentration von 0,5 mg/ml und niedrigere Höchstwerte für Fahranfänger und Berufsfahrer entsprechend der EU-Empfehlung für Straßenverkehrssicherheit (22). Eine strengere Gesetzgebung für den Blutalkoholspiegel muss von einer wirkungsvollen Überwachung und Durchsetzung begleitet sein.

Vorbeugung alkoholbedingter Schädigung bei Erwachsenen und am Arbeitsplatz

5.17

Der EWSA fordert die Kommission auf, die wirtschaftlichen Folgen alkoholbedingter Schäden zu untersuchen. Die nachteiligen Auswirkungen laufen den Zielen der Lissabon-Strategie zuwider und haben Konsequenzen für Arbeitsumgebung, Gesellschaft und Wirtschaft.

5.18

Aus Sicht des Ausschusses ist es notwendig, die Verfügbarkeit, den Vertrieb und die Absatzförderung von Alkohol stärker zu regeln, zum Beispiel im Hinblick auf Öffnungszeiten, Lockangebote („Zwei Drinks zum Preis von einem“) und Altersbeschränkungen. Für Selbstregulierung sieht der Ausschuss hier keinen Raum.

5.19

Der Arbeitsplatz ist eine Umgebung, in der Alkohol eine schädigende Wirkung nicht nur auf den Einzelnen, sondern auch auf Dritte entfalten kann. Gegen Alkoholmissbrauch sollte im Rahmen der Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen auch am Arbeitsplatz etwas getan werden; dies liegt in erster Linie in der Verantwortung des Arbeitgebers. Kampagnen zur Eindämmung des Alkoholkonsums bei der Arbeit könnten zur Verringerung alkoholbedingter Unfälle und Fehlzeiten und zu einer höheren Arbeitsleistung beitragen (23).

5.20

Der EWSA richtet an Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kommunalbehörden und andere einschlägige Organisationen die Aufforderung, dieser Frage mehr Gewicht beizumessen und zusammenzuarbeiten, um Schäden durch Alkohol am Arbeitsplatz zu verringern. In den Mitgliedstaaten gibt es Beispiele für eine enge, langfristige Zusammenarbeit der Sozialpartner in dem Bemühen um eine alkoholfreie Arbeitsumgebung (24).

Information, Aufklärung und Bewusstseinsbildung

5.21

Der EWSA begrüßt die Einstellung der Kommission, die eine der Hauptaufgaben von Aufklärung und Information darin sieht, die Unterstützung der Öffentlichkeit für energische Maßnahmen zu gewinnen. Eine weitere, in der Mitteilung ausdrücklich genannte wichtige Funktion ist die Bereitstellung zuverlässiger, sachdienlicher Informationen über die gesundheitlichen Risiken und Folgen eines schädlichen, riskanten Alkoholkonsums.

5.22

Der Ausschuss spricht sich entschieden dafür aus, dass Aufklärungs- und Bewusstseinsbildungskampagnen in eine integrierte Gesamtstrategie eingebettet sein sollten. Alkoholaufklärung sollte sich nicht nur an junge Menschen richten, sondern von der Einsicht getragen sein, dass ein schädlicher Alkoholkonsum in allen Altersgruppen vorkommt. Solche Kampagnen sollten junge Leute zu einer gesunden Lebensführung ermutigen und versuchen, dem in den Medien oft vermittelten Image, Alkoholtrinken sei cool und ein übermäßiger Konsum etwas Normales, entgegentreten.

Eine gemeinsame Grundlage wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse

5.23

Der EWSA begrüßt es, dass die Kommission eine gemeinsame Grundlage wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse entwickeln und unterstützen will, einschließlich der Festlegung einheitlicher Definitionen für Daten über Alkoholkonsum und alkoholbedingte Schäden, jeweils unterschieden nach Geschlecht, Altersgruppen und sozialem Hintergrund. Der Ausschuss befürwortet außerdem die Prüfung der Wirkungen der Alkoholpolitik und die in der Mitteilung genannten Initiativen. Er würde es für sehr zweckdienlich halten, eine Reihe messbarer Indikatoren zu entwickeln, anhand derer sich die Fortschritte bei der Verminderung alkoholbedingter Schäden in Europa verfolgen lassen. Die in diesem Bereich vorgeschlagenen Maßnahmen machen den besonderen Nutzen eines Handelns auf EU-Ebene deutlich.

6.   Erfassung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten

6.1

In Anbetracht dessen, dass die Kommission im Rahmen der Vorarbeiten für die Erstellung dieser EU-Strategie einen umfassenden Bericht über die gegenwärtige Situation mitsamt wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse darüber, was bei der Verminderung alkoholbedingter Schäden wirklich Wirkung verspricht, in Auftrag gegeben hat, ist es erstaunlich festzustellen, dass die Untersuchungsergebnisse in der Strategie außer Acht gelassen werden (25).

6.2

Der EWSA stellt eine augenfällige Nichtübereinstimmung zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen über wirkungsvolle Maßnahmen zur Verringerung alkoholbedingter Schäden und den vorgeschlagenen Gemeinschaftsmaßnahmen fest. In der gesamten Mitteilung der Kommission werden Aufklärung und Information häufig unter den geplanten Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholmissbrauchs genannt, obwohl die Untersuchungsergebnisse den Schluss nahe legen, dass sich mit Aufklärung und Information nur sehr wenig ausrichten lässt, um einen schädlichen Alkoholkonsum zu vermindern.

6.3

Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission bei der Erfassung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten zwei wirksame Strategien übergeht, nämlich die Beeinflussung der Preise durch hohe Steuern auf Alkohol und die gesetzliche Regulierung der Alkoholvermarktung; beide werden von einigen Mitgliedstaaten erfolgreich zur Eindämmung alkoholbedingter Schäden angewandt.

7.   Maßnahmenkoordinierung auf EU-Ebene

7.1

Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, in Erfüllung ihrer Vertragspflichten energisch die Rolle eines Vorreiters zu übernehmen und die Mitgliedstaaten aktiv in ihren Bemühungen zu unterstützen, durch die Verringerung alkoholbedingter Schäden ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen, und dafür Sorge zu tragen, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft die Politik der Mitgliedstaaten ergänzt.

7.2

Der Ausschuss begrüßt die Rolle der Kommission, die Mitgliedstaaten beim Austausch bewährter Praktiken zu unterstützen, und ihre Entschlossenheit, für eine bessere Kohärenz zwischen Politikbereichen der EU, die für die Eindämmung alkoholbedingter Schäden relevant sind, zu sorgen.

7.3

Der EWSA befürwortet die Errichtung eines Forums für Alkohol und Gesundheit. Wenn es die Aufgabe erfüllt, die ihm in der Kommissionsmitteilung zugewiesen wird, könnte das Forum eine nützliche Plattform für den Dialog zwischen allen relevanten Beteiligten sein und konkrete Aktionen zur Verringerung alkoholbedingter Schäden hervorbringen. Der EWSA würde es begrüßen, wenn ihm die Gelegenheit gegeben würde, als Beobachter an dem Alkohol-Forum teilzunehmen.

7.4

Mit Ausnahme der breiteren Grundlage wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse, die auf Gemeinschaftsebene geschaffen werden soll, baut die EU-Alkoholstrategie auf die Mitgliedstaaten, die ihre politischen Maßnahmen zur Verringerung alkoholbedingter Schäden weiter vorantreiben sollen. Das EU-Binnenmarktrecht wird allerdings einigen Mitgliedstaaten auch künftig Probleme bereiten und sie damit wahrscheinlich im Tempo, mit der sie gegen alkoholbedingte Schäden vorgehen, bremsen. Der EWSA bedauert, dass die EU-Alkoholstrategie keine Wege aufzeigt, wie diese Schwachstelle zu beseitigen wäre.

7.5

Gern sähe der EWSA eine feste Zusage der Kommission, Gesundheitsfolgeabschätzungen im Sinne von Best Practice vorzunehmen, um ein hohes Schutzniveau in anderen Politikbereichen der Gemeinschaft sicherzustellen und somit ihrer Verpflichtung aus Artikel 152 des Vertrags besser nachzukommen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft:

http://europa.eu.int/eur-lex/de/treaties/selected/livre235.html

(2)  Empfehlung des Rates vom 5. Juni 2001 (2001/458/EG). Vollständiger Bericht unter

http://ec.europa.eu/comm/health

(3)  Schlussfolgerungen des Rates 2001 und 2004, siehe

http://ue.eu.int/ueDocs/newsWord/de/lsa/80957.doc

(4)  „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine EU-Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verringerung alkoholbedingter Schäden“ (KOM(2006) 625 endg.). Zu der Mitteilung gehören zwei umfassende, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Berichte: P. Anderson und A. Baumberg, „Alcohol in Europe: A Public Health Perspective“, St. Ives/Cambridgeshire, Institute of Alcohol Studies, 2006 ( http://ec.europa.eu/health-eu/news_alcoholineurope_en.htm), sowie eine im Rahmen der Fol-genabschätzung durchgeführte ausführliche ökonomische Analyse der Auswirkungen von Alkohol auf die Wirtschaftsentwick-lung in der EU („RAND Report“) (http://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/alcohol/documents/alcohol_com_625_a1_en.pdf).

(5)  „Alcohol in Europe — A Public Health Perspective“.

(6)  Stellungnahmen des EWSA vom 16.3.2006 zum Thema „Häusliche Gewalt gegen Frauen“ (ABl. Nr. C 110 vom 9.5.2006) und vom 14.12.2006 zum Thema „Kinder als indirekte Opfer häuslicher Gewalt“ (ABl. Nr. C 325 vom 30.12.2006), Berichterstatterin: Frau Heinisch.

(7)  „Alcohol in Europe — A Public Health Perspective“.

(8)  „Alcohol-related harm in Europe — Key data October 2006“, Brüssel, MEMO/06/397 vom 24. Oktober 2006. Quelle: Global Burden of Disease Project (Rehm et. al. 2004).

(9)  „Alcohol in Europe — A Public Health Perspective“.

(10)  Ibid.

(11)  Mehr als 40 g Alkohol, das entspricht 4 alkoholischen Getränken pro Tag, bei Männern oder mehr als 20 g, das entspricht 2 alko-holischen Getränken pro Tag, bei Frauen.

(12)  „Alcohol-related harm in Europe — Key data October 2006“, Brüssel, MEMO/06/397 vom 24. Oktober 2006. Quelle: Global Burden of Disease Project (Rehm et. al. 2004).

(13)  Ibid.

(14)  „Alcohol in Europe — A Public Health Perspective“.

(15)  Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie (KOM(2006) 367 endg.).

(16)  Stellungnahme des EWSA vom 13.12.2006 zu der „Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie“ (ABl. Nr. C 325 vom 30.12.2006), Berichterstatterin: Frau van Turnhout.

(17)  „Alcohol in Europe — A Public Health Perspective“.

(18)  „Europäische Alkohol-Charta“ der Weltgesundheitsorganisation; Kopenhagen, Weltgesundheitsorganisation, Regionalbüro für Europa, 1995.

(19)  „Alkopop“ ist ein von den Massenmedien geprägter Ausdruck für alkoholische Getränke in Flaschen, die ähnlich aufge-macht sind wie Erfrischungsgetränke und Limonade. Siehe dazu auch

http://de.wikipedia.org/wiki/Alkopop

(20)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die europäische Straßenverkehrssicherheitspolitik und die Berufskraftfahrer“ (TEN/290), Berichterstatter: Herr Etty.

(21)  „Alcohol in Europe — A Public Health Perspective“.

(22)  Empfehlung der Kommission Nr. 2004/345/EG vom 6. April 2004 zu Durchsetzungsmaßnahmen im Bereich der Straßen-verkehrssicherheit (ABl. L 111 vom 17.4.2004).

(23)  „Alcohol in Europe — A Public Health Perspective“.

(24)  Siehe beispielsweise www.alna.se

(25)  „Alcohol in Europe: A Public Health Perspective“.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt (und werden hier gemäß Artikel 54 Ziffer 3 der Geschäftsordnung wiedergegeben):

Ziffer 1.1

Wie folgt ändern:

„Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission ‚Eine EU-Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verringerung alkoholbedingter Schäden‘und unterstützt den Vorschlag der Kommission für eine umfassende Gemeinschaftsstrategie für ganz Europa zur Minderung der schädlichen Wirkungen des Alkohols. Er bedauert jedoch, dass darin bei weitem keine ‚umfassende Strategie‘ dargelegt wird, um deren Ausarbeitung in den Schlussfolgerungen des Rates vom 5. Juni 2001 ersucht worden war.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 31

Nein-Stimmen: 67

Stimmenthaltungen: 6

Ziffer 1.5

Die Ziffer ersatzlos streichen:

Leider wird nirgends in der Mitteilung klar ausgesagt, dass Alkohol unter anderem deshalb so viele Schäden verursacht, weil er eine psychoaktive Droge ist, bei übermäßigem Konsum Vergiftungserscheinungen hervorruft und man davon abhängig werden kann.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 29

Nein-Stimmen: 74

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 1.11

Die Ziffer ersatzlos streichen:

Der EWSA stellt eine augenfällige Nichtübereinstimmung zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen über wirkungsvolle Maßnahmen zur Verringerung alkoholbedingter Schäden und den vorgeschlagenen Gemeinschaftsmaßnahmen fest. In der gesamten Mitteilung werden Aufklärung und Information häufig unter den geplanten Maßnahmen aufgeführt, obwohl die Untersuchungsergebnisse den Schluss nahe legen, dass derartige Maßnahmen bei der Eindämmung des Alkoholmissbrauchs nur eine sehr geringe Wirksamkeit haben.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 27

Nein-Stimmen: 80

Stimmenthaltungen: 2

Ziffer 3.5

Die Ziffer ersatzlos streichen

Der Ausschuss bedauert, dass die Kommission nirgends in der Mitteilung klar sagt, dass Alkohol unter anderem deshalb so viele Schäden verursacht, weil er eine psychoaktive Droge ist, bei übermäßigem Konsum Vergiftungserscheinungen hervorruft und man davon abhängig werden kann. Dies ist umso enttäuschender, als die Strategie von der Generaldirektion „Gesundheit“ der Kommission entwickelt wurde, die über einen umfangreichen medizinischen Sachverstand verfügt.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 30

Nein-Stimmen: 82

Stimmenthaltungen: 4

Ziffer 6.2

Ersatzlos streichen:

Der EWSA stellt eine augenfällige Nichtübereinstimmung zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen über wirkungsvolle Maßnahmen zur Verringerung alkoholbedingter Schäden und den vorgeschlagenen Gemeinschaftsmaßnahmen fest. In der gesamten Mitteilung der Kommission werden Aufklärung und Information häufig unter den geplanten Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholmissbrauchs aufgeführt, obwohl die Untersuchungsergebnisse den Schluss nahe legen, dass sich mit Aufklärung und Information nur sehr wenig ausrichten lässt, um einen schädlichen Alkoholkonsum zu vermindern.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 31

Nein-Stimmen: 81

Stimmenthaltungen: 3

Ziffer 7.4

Die beiden letzten Sätze streichen:

Mit Ausnahme der breiteren Grundlage wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse, die auf Gemeinschaftsebene geschaffen werden soll, baut die EU-Alkoholstrategie auf die Mitgliedstaaten, die ihre politischen Maßnahmen zur Verringerung alkoholbedingter Schäden weiter vorantreiben sollen. Das EU-Binnenmarktrecht wird allerdings einigen Mitgliedstaaten auch künftig Probleme bereiten und sie damit wahrscheinlich im Tempo, mit der sie gegen alkoholbedingte Schäden vorgehen, bremsen. Der EWSA bedauert, dass die EU-Alkoholstrategie keine Wege aufzeigt, wie diese Schwachstelle zu beseitigen wäre.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 28

Nein-Stimmen: 83

Stimmenthaltungen: 4


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/85


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (Neufassung)“

KOM(2006) 396 endg. — 2006/0130 (COD)

(2007/C 175/20)

Der Rat beschloss am 15. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr McDONOGH.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 31. Mai) mit 58 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Empfehlungen:

1.

Von allen mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betrauten Luftfahrtunternehmen sollte eine Leistungsgarantie verlangt werden.

2.

Zwischen den Flughäfen, die von Flügen im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen bedient werden, und dem Vertragsstaat sollte ein Abkommen über den Umfang der Dienstleistungen geschlossen werden.

3.

Die Passagiere von im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen durchgeführten Flügen sollten höhere Ausgleichsleistungen als die in Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vorgesehenen erhalten, da möglicherweise kein anderes Verkehrsmittel verfügbar ist.

4.

Das Ausschreibungsverfahren für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen sollte mindestens zwei Angebote vorsehen.

5.

Bei innereuropäischen Flügen sollte der Rückflug genauso viel kosten wie der Hinflug. Etwaige deutliche Preisunterschiede sollten rechtfertigungspflichtig sein.

6.

Flugscheine für im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen durchgeführte Flüge sollten genau wie alle anderen Flugtickets unter bestimmten Bedingungen zurückgegeben werden können.

7.

Auf den Flugscheinen sollte deutlich angegeben sein, wie sich der Flugpreis zusammensetzt, d.h. es sollten auch Steuern, Flughafengebühr usw. ausgewiesen sein.

8.

a)

Das Intermodalitätskonzept sollte Bedingungsgleichheit für alle Verkehrsträger garantieren.

b)

Der Luftverkehrssektor hat unverhältnismäßig hohe Kosten für Sicherheitsmaßnahmen zu tragen. Hier sollte Abhilfe geschafft werden.

9.

Die Bezugnahme auf Hochgeschwindigkeitszüge sollte beibehalten werden, weil es in einigen Mitgliedstaaten solche Züge nicht gibt.

10.

Die Kommission sollte Audits durchführen, um dafür zu sorgen, dass die einzelstaatlichen Luftfahrtbehörden ihren Aufgaben in gerechter und lauterer Weise nachkommen und keine ihrer Maßnahmen den Wettbewerb verfälschen.

11.

Das Konzept der einmaligen Sicherheitskontrolle („One Stop Security“), wie es die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte, sollte für Fluggäste eingeführt werden, die auf europäischen Flughäfen umsteigen.

12.

Hierzu sollte eine Änderung der Passagierkontrolle in den Flughäfen gehören, in deren Rahmen ein Schnellabfertigungssystem (Biometrie) eingeführt wird, um Vielfliegern das Reisen zu erleichtern.

13.

Bei einen Monat im Voraus gekauften Flugscheinen sollte eine Bedenkzeit von 48 Stunden eingeräumt werden, innerhalb derer der Kunde den Flug ohne Einbehalt stornieren kann. Im Falle der Flugstornierung sollte der Kunde außerdem Anspruch auf die Erstattung sämtlicher Flugsteuern haben.

1.   Einleitung

1.1

Mehr als zehn Jahre nach Inkrafttreten hat das dritte Paket seine Aufgabe weitgehend erfüllt und eine zuvor unerreichte Expansion des Luftverkehrs in Europa ermöglicht. Alte Monopole wurden beseitigt, die innergemeinschaftliche Kabotage wurde eingeführt und der Wettbewerb hat sich in allen Märkten zugunsten der Verbraucher verstärkt.

1.2

Trotz dieser Erfolge leiden die meisten Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft weiterhin unter Überkapazitäten und einer übermäßigen Zersplitterung des Markts. Die uneinheitliche Umsetzung dieses dritten Maßnahmenpakets in den einzelnen Mitgliedstaaten und die Beschränkungen, die nach wie vor für die innergemeinschaftlichen Luftverkehrsdienstleistungen gelten, wirken sich wie folgt aus:

1.3

infolge ungleicher Wettbewerbsbedingungen wird die Markteffizienz durch Wettbewerbsverfälschungen beeinträchtigt (z.B. unterschiedliche Anforderungen für die Erteilung von Betriebsgenehmigungen; Diskriminierung zwischen EU-Luftfahrtunternehmen aufgrund ihres „Herkunftslandes“, Benachteiligung von Drittländern bei der Routenbedienung usw.);

1.4

uneinheitliche Anwendung der Vorschriften für das Leasing von Luftfahrzeugen aus Drittländern mit Besatzung, und daraus resultierende Wettbewerbsverzerrungen und soziale Auswirkungen;

1.5

wegen mangelnder Preistransparenz und Diskriminierung auf der Basis des Wohnsitzlandes kommt der Binnenmarkt den Fluggästen nicht in vollem Umfang zugute.

2.   Bestehende Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet

2.1

Der Vorschlag bezweckt die Überarbeitung und Konsolidierung der bestehenden Verordnungen.

2.2

Der Vorschlag stärkt den Binnenmarkt durch die Förderung eines stärker wettbewerbsorientierten Umfelds, in dem die europäischen Luftfahrtunternehmen es mit ihren internationalen Wettbewerbern aufnehmen können.

2.3

Einige der vorgeschlagenen Änderungen können sich auf die Umwelt auswirken, da sie eine weitere Expansion des Luftverkehrs begünstigen werden. Der EWSA ist sich bewusst, dass das anhaltende Wachstum des Luftverkehrs mittlerweile maßgeblich zur Zunahme der Treibhausgasemissionen beiträgt und erarbeitet derzeit eine Stellungnahme zu diesem Thema. Ungeachtet der in diesem Zusammenhang erforderlichen Maßnahmen befürwortet der Ausschuss jedoch, wie im vorliegenden Vorschlag von der Kommission angeregt, die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen im Luftfahrtsektor.

3.   Folgenabschätzung

3.1

Mit der Überarbeitung des dritten Pakets wird keine radikale Änderung des Rechtsrahmens angestrebt, es soll vielmehr eine Reihe von Anpassungen zur Behebung der erkannten Probleme vorgenommen werden.

3.2

Bei der Option „keine Änderung“ bleiben die geltenden drei Verordnungen, aus denen das dritte Paket für den Luftverkehrsbinnenmarkt besteht, unverändert.

3.3

Die Option „Änderung“ umfasst eine Reihe von Abänderungen des dritten Pakets, um eine einheitliche und wirksame Anwendung der betreffenden Bestimmungen zu gewährleisten. Hierzu sollte eine Änderung der Passagierkontrolle in den Flughäfen gehören, in deren Rahmen ein Schnellabfertigungssystem (Biometrie) eingeführt wird, um Vielfliegern das Reisen zu erleichtern.

3.4

Der Entwurf der Verordnung wird eine effiziente und einheitliche Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für den Luftverkehrsbinnenmarkt durch strengere und präzisere Anwendungskriterien (z.B. für Betriebsgenehmigungen, Flugzeug-Leasing, gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Regeln für die Verkehrsaufteilung) gewährleisten. Ebenfalls gestärkt wird der Binnenmarkt durch die Aufhebung aller noch bestehenden Einschränkungen für die Erbringung von Luftverkehrsdienstleistungen, die noch aus alten bilateralen Abkommen zwischen Mitgliedstaaten herrühren, sowie durch die Übertragung des Rechts an die Gemeinschaft, über innergemeinschaftliche Verkehrsrechte mit Drittländern zu verhandeln. Der Vorschlag stärkt die Verbraucherrechte, indem er die Preistransparenz und Nichtdiskriminierung fördert.

3.5

Die Erfahrungen mit dem dritten Paket zum Luftverkehrsbinnenmarkt haben gezeigt, dass die Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich ausgelegt und angewendet werden. Dadurch werden gleiche Wettbewerbsbedingungen für Luftfahrtunternehmen in der Gemeinschaft vereitelt.

3.6

Mit dem Vorschlag sollen die Rechtsvorschriften vereinfacht werden.

4.   Nähere Erläuterung des Vorschlags

4.1

Verschärfung der Anforderungen für die Erteilung und Aufhebung von Betriebsgenehmigungen. Je nachdem, welcher Mitgliedstaat die Betriebsgenehmigung erteilt hat, wird die finanzielle Gesundheit der Luftfahrtunternehmen unterschiedlich streng geprüft.

4.2

Der Vorschlag verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, die Betriebsgenehmigungen stärker zu kontrollieren und auszusetzen oder aufzuheben, wenn die Anforderungen der Verordnung nicht mehr erfüllt werden (Artikel 5 bis 10).

4.3

Der Vorschlag wurde so gefasst, dass einer etwaigen künftigen Ausweitung der Kompetenzen der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) im Bereich der Sicherheitsaufsicht und/oder Erteilung von Genehmigungen Rechnung getragen wird, um eine möglichst effiziente und einheitliche Beaufsichtigung der Luftfahrtunternehmen zu gewährleisten.

5.   Der Vorschlag verschärft die Anforderungen hinsichtlich des Leasings von Luftfahrzeugen

5.1

Das „Wet Leasing“ von Luftfahrzeugen aus Drittländern verschafft EU-Luftfahrtunternehmen eine große Flexibilität. Diese Praxis bringt jedoch gewisse Nachteile mit sich und, wie verschiedene Unfälle der jüngsten Zeit gezeigt haben, sogar schwerwiegende Sicherheitsrisiken.

5.2

Die Sicherheitsbewertung geleaster Luftfahrzeuge aus Drittländern wird nicht in allen Mitgliedstaaten mit derselben Strenge durchgeführt. Daher ist es wichtig, dass Artikel 13 (Leasing mit/ohne Besatzung) von der Genehmigungsbehörde in vollem Umfang umgesetzt wird.

6.   In dem Vorschlag werden die Regeln für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen deutlicher gefasst

6.1

Die für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen geltenden Regeln wurden überarbeitet, um den Verwaltungsaufwand zu verringern, einen übermäßigen Rückgriff auf solche Verpflichtungen zu vermeiden und mehr Wettbewerbern einen Anreiz für die Teilnahme an den Ausschreibungen zu bieten.

6.2

Um einen übermäßigen Rückgriff auf gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen zu verhindern, kann die Kommission in Einzelfällen die Vorlage eines Wirtschaftsberichts verlangen, der Erläuterungen zum Kontext der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen enthält; die Angemessenheit gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ist besonders sorgfältig zu bewerten, wenn sie für Strecken auferlegt werden sollen, die bereits von Hochgeschwindigkeitszügen mit einer Reisezeit unter drei Stunden bedient werden. Die Ausschreibungsverfahren wurden dahingehend geändert, dass die zulässige Höchstdauer der Genehmigung von drei auf vier Jahre angehoben wurde.

7.   Wettbewerb

7.1

Zur Gewährleistung einer größeren Kohärenz zwischen dem Binnenmarkt und seinen externen Aspekten — einschließlich derjenigen, die den einheitlichen europäischen Luftraum betreffen -, sollte der Zugang von Luftfahrtunternehmen aus Drittstaaten zum innergemeinschaftlichen Markt in schlüssiger Weise durch Verhandlungen auf Gemeinschaftsebene über Verkehrsrechte mit Drittländern gehandhabt werden.

7.2

Die noch geltenden Beschränkungen aus bilateralen Abkommen zwischen Mitgliedstaaten werden aufgehoben, damit es bei Flügen in Drittländer, auf deren Route Orte liegen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat des jeweiligen Luftfahrtunternehmens befinden, zu keinen Diskriminierungen beim Code-Sharing und bei der Preisbildung der EU-Luftfahrtunternehmen kommt.

8.   Der Vorschlag fördert die Preistransparenz für Fluggäste und ein faires Preisverhalten

8.1

Die Veröffentlichung von Flugpreisen ohne Angabe von Steuern, Gebühren oder sogar Kraftstoffzuschlägen hat sich zu einer weit verbreiteten Praxis entwickelt, die der Preistransparenz entgegensteht. Eine unzureichende Preistransparenz führt zu Wettbewerbsverfälschungen, wodurch die Verbraucher durchschnittlich höhere Flugpreise zu zahlen haben. Die Kommission muss auch feststellen, dass es noch immer zu Fällen von Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzlandes der Fluggäste kommt.

8.2

Gemäß dem Vorschlag müssen die Flugpreise alle anwendbaren Steuern, Gebühren und Entgelte enthalten, und die Luftfahrtunternehmen müssen die Öffentlichkeit umfassend über Flugpreise und Frachtraten informieren.

8.3

Die Flugpreise sind ohne Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzes oder der Staatsangehörigkeit des Fluggastes innerhalb der Gemeinschaft festzusetzen. Hinsichtlich der Verfügbarkeit von Flugpreisen eines Luftfahrtunternehmens darf es keine Diskriminierung aufgrund des Niederlassungsorts des Reisebüros geben.

8.4

Die Flugpreise sollten klar angegeben werden. Derzeit werden viele Zusatzgebühren aufgeschlagen, wodurch sich der Gesamtpreis deutlich erhöhen kann. Besonders hervorzuheben sind hier die Flughafengebühren, die bekanntermaßen von den Luftfahrtunternehmen künstlich aufgebläht wurden, um ihren Gewinn zu steigern.

Innerhalb Europas werden die Flugpreise durch Währungsunterschiede verzerrt, obwohl dies aufgrund der Einführung des Euro nun immer seltener der Fall sein dürfte. Dennoch lässt sich nur schwer erklären, warum ein Hinflug in Städte wie London, Rom und Madrid günstiger ist als der Rückflug.

Dieser Preisunterschied zwischen Hin- und Rückflug ist bei den meisten innereuropäischen Flugverbindungen zu beobachten.

8.5

Der Ausschuss befürwortet voll und ganz den Vorschlag, die EASA angemessen mit Finanz- und Humanressourcen auszustatten und sie zu ermächtigen, in allen EU-Mitgliedstaaten verbindliche Rechtsvorschriften festzulegen. Dies hatte er bereits in einem früheren Dokument (1) vorgeschlagen.

8.6

Die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen sind erforderlich und nach wie vor wünschenswert, um Flugverbindungen in stärker entlegene Gebiete zu fördern. Die Regelungen und Vorschriften für die mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betrauten Luftfahrtunternehmer sind jedoch sehr locker. Zwar werden bei den gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen die Zahl der Flüge und die Sitzkapazität des Flugzeugs vorgegeben, doch scheinen keinerlei Strafen für die Nichteinhaltung der Flugzeiten oder Flugverspätungen auferlegt zu werden.

Brüssel, den 31. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 51-54.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/88


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die europäische Straßenverkehrssicherheitspolitik und die Berufskraftfahrer — sichere Rastplätze“

(2007/C 175/21)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine zu folgendem Thema zu erarbeiten „Die europäische Straßenverkehrssicherheitspolitik und die Berufskraftfahrer — sichere Rastplätze“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2007 an. Berichterstatter war zunächst Herr ETTY, anschließend Herr CHAGAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 118 gegen 4 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Aus Gründen der Straßenverkehrssicherheit, aufgrund der Kriminalität im Straßengüterverkehr und im Sinne der Gesundheit und Sicherheit der Kraftfahrer sind in der gesamten EU sicherere Parkplätze erforderlich.

1.2

Der Internationale Straßentransport-Verband (IRU) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) haben gemeinsame Kriterien aufgestellt, die gut gewählt und praktisch umsetzbar sind und beim Bau solcher Rastanlagen berücksichtigt werden müssen.

1.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die von der Europäischen Kommission unterstützte Initiative des Europäischen Parlaments, ein Pilotprojekt zu starten, um die Machbarkeit zu testen und Starthilfe zu leisten, damit sichere Parkplätze für Berufskraftfahrer geschaffen werden.

Der Ausschuss spricht folgende Empfehlungen aus:

1.4

Die Kommission sollte das Thema sichere Parkplätze für Berufskraftfahrer in die Konzipierung und Kofinanzierung des transeuropäischen Straßennetzes aufnehmen.

1.5

Gleiches sollte auch bei der Bewilligung von Straßeninfrastrukturprojekten geschehen, die im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung kofinanziert werden. Die Europäische Investitionsbank sollte bei Darlehen für die Straßeninfrastruktur dasselbe tun.

1.6

Die Mitgliedstaaten sollten aufgerufen werden, dieses Thema im Rahmen ihrer Umsetzung des Aktionsprogramms für die Straßenverkehrssicherheit zu berücksichtigen.

(NB: Mit Blick auf diese drei Vorschläge sollte der Tatsache, dass mehr Rastplätze für Berufskraftfahrer erforderlich sind, besonders Rechnung getragen werden, insbesondere da der Verkehr zwischen den „alten“ und den „neuen“ Mitgliedstaaten weiter zunimmt.)

1.7

Die Kommission sollte im Zeitraum von heute bis April 2009 die mögliche Rolle der EU bei der Regulierung relevanter Aspekte des Themas sowie bei der Entwicklung von unverbindlichem Recht („soft law“) in Bereichen, die primär Zuständigkeit der Mitgliedstaaten sind, bewerten. So würden die Kommission und die Mitgliedstaaten nach Abschluss des in Ziffer 2.9, 2.10 und 2.11 erwähnten Projekts rasch und koordiniert Maßnahmen ergreifen. Diese Bewertung sollte vor dem Hintergrund von Artikel 71 des EG-Vertrags geschehen und gleichzeitig auch die Verknüpfung zwischen Maßnahmen in Bezug auf die Arbeitszeiten und die Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern berücksichtigen. Dies könnte Maßnahmen für sichere Parkplätze für Berufskraftfahrer umfassen.

1.8

Die Kommission sollte die Sozialpartner umfassend in dieses Unterfangen einbinden.

1.9

Die Kommission sollte untersuchen, wie die von der organisierten Zivilgesellschaft in Bezug auf sichere Parkplätze ergriffenen Initiativen gestärkt werden können und ihre Umsetzung gefördert werden kann und wie die beteiligten Organisationen dabei unterstützt werden können, dass die bestehenden und neu angelegten Rastanlagen von ihren Mitgliedern optimal genutzt werden. Beispielsweise könnte die Kommission sie bei der Sammlung und Verbesserung von Informationen zu bestehenden Rastanlagen sowie dabei behilflich sein, diese Informationen ihren Mitgliedern auch online besser zugänglich zu machen. Weitere Beispiele wären ein Zertifizierungssystem für sichere Parkplätze (unter Zuhilfenahme der gemeinsamen Kriterien von IRU und ETF) sowie ein täglich aktualisiertes Informationssystem über noch freie Parkplätze. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und betroffenen Organisationen könnte die Kommission Verfahren entwickeln, um die Fahrer rechtzeitig zu informieren.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Zielgruppe der europäischen Straßenverkehrssicherheitspolitik, einschließlich des Dritten Europäischen Aktionsprogramms für die Straßenverkehrssicherheit (2003) sowie des „Europäischen Aktionsprogramms für die StraßenverkehrssicherheitHalbzeitbilanz“ (2006), sind u.a. Motorradfahrer, Fußgänger und Jugendliche. Auch auf die Berufskraftfahrer zielt diese Politik ab, doch lässt die Kommission einige Aspekte außer Acht, von denen einer auch für die Sozialpartner von ganz wesentlicher Bedeutung ist: Es geht im Rahmen der Sicherheit der Straßenverkehrsinfrastruktur um die Rastplätze für Berufskraftfahrer. Und insbesondere um sichere und bewachte Rastplätze.

2.2

Warum ist dieses Thema so wichtig? Zur Beantwortung dieser Frage können mindestens drei gute Gründe angeführt werden:

2.3

Erstens: Das Problem der Sicherheit im Straßenverkehr. Die neue Verordnung (EG) Nr. 561/2006 über Lenk- und Ruhezeiten ist vor kurzem in Kraft getreten. Implizit wird in Artikel 12 dieser Verordnung die Bedeutung einer ausreichenden Menge sicherer Rastanlagen für Berufskraftfahrer entlang dem Autobahnnetz der EU anerkannt (1). Neben dieser Überlegung in Bezug auf EU-Rechtsvorschriften sollte darauf hingewiesen werden, dass in einigen Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften den Schwerlastverkehr am Wochenende untersagen. Dies erfordert einen besseren Informationsfluss und eine bessere Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten.

2.4

Zweitens: Das Ausmaß der Kriminalität im Straßengüterverkehr. Zwar sind die statistischen Angaben der Mitgliedstaaten in mancherlei Hinsicht nicht vollständig und nur schwer vergleichbar, doch scheinen Diebstähle (von LKW und Ladung) und Angriffe auf Fahrer zuzunehmen. Aus unterschiedlichen Quellen geht hervor, dass sich im internationalen Straßengüterverkehr ca. 40 % der Straftaten auf Parkplätzen entlang der Autobahnen ereignen. In einer derzeit von der Europäischen Verkehrsministerkonferenz (CEMT) und dem Internationalen Straßentransport-Verband (IRU) erarbeiteten Studie werden demnächst neue Daten über Angriffe und gewalttätige Handlungen zusammengetragen, denen die Berufskraftfahrer an den Rastplätzen ausgesetzt sind.

2.4.1

Das Europäische Parlament hat kürzlich (im Mai 2007) eine Studie über den organisierten Diebstahl von Nutzfahrzeugen und ihrer Ladung in der Europäischen Union (2) veröffentlicht, der zufolge durch derartige Diebstähle mehr als 8,2 Mrd. EUR an Wert sprich 6,72 EUR pro Ladung verloren gehen. Laut dieser Studie werden jedes Jahr ca. 9 000 Berufskraftfahrer Opfer solcher Kriminalität im Straßengüterverkehr am Rande der EU-Autobahnen.

2.5

Drittens: Der Gesundheit und Sicherheit der Fahrer sollte Rechnung getragen werden. Ein müder Fahrer ist ein Sicherheitsrisiko im Straßenverkehr. Die Beschränkung der Fahrtzeiten ist jedoch in der Verkehrspolitik vor allem in Bezug auf den Wettbewerb von Bedeutung. Dieser Aspekt hat in den bestehenden Rechtsvorschriften bislang keine große Beachtung gefunden.

2.6

Auch andere Aspekte spielen indes eine Rolle. So gelten die europäischen Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten und die Geschwindigkeitsbegrenzungssysteme beispielsweise nicht für Berufskraftfahrer in Fahrzeugen unter 3,5 Tonnen. Allerdings wächst der Güterverkehr mit dieser Art von Fahrzeugen, in denen auch sehr wertvolle Fracht transportiert wird, außerdem steigt die Zahl der Unfälle, an denen Fahrzeugen dieser Art beteiligt sind, stetig an.

2.7

Und schließlich wäre da noch die Thematik der Erleichterung der Anwendung der Sozialvorschriften für Fernfahrer, der bislang noch nicht ausreichend Rechnung getragen worden ist.

2.8

Schließlich könnten sich sichere Parkplätze in geeigneten Abständen voneinander an den Autobahnen der EU auch positiv auf die Umwelt auswirken und zu einem besseren Verkehrsfluss beitragen.

2.9

Die Bedeutung sicherer Rastplätze für Berufskraftfahrer ist derzeit Gegenstand der Diskussion. Ein wesentliches Element dieser Debatte ist das Ersuchen aus dem Jahr 2006 der Arbeitgeber und Gewerkschaften der Branche, IRU und ETF (Europäische Transportarbeiter-Föderation), an die EU und staatliche, regionale und lokale Behörden in den Mitgliedstaaten, eine ausreichende Zahl solcher Anlagen zu schaffen, die den von ihnen gemeinsam aufgestellten Kriterien entsprechen.

2.10

Das Thema sichere Parkplätze wurde im Rahmen der Beratungen über die neue Verordnung 561/2006 im Europäischen Parlament angesprochen. Besorgnis kam insbesondere über die Kriminalität im Straßengüterverkehr zum Ausdruck. Auf Initiative des Parlaments und mit Unterstützung durch die Kommission wurden Mittel in Höhe von 5,5 Mio. EUR für ein Pilotprojekt bereitgestellt. Dieses Projekt ist inzwischen angelaufen, es umfasst Machbarkeitsstudien und stellt Starthilfen für die Einrichtung sicherer Parkanlagen bereit.

2.11

Die Europäische Kommission hat 2006 eine Machbarkeitsstudie in Bezug auf die Schaffung eines Netzes sicherer Rastplätze für Akteure im Straßenverkehr entlang dem transeuropäischen Straßennetz in Auftrag gegeben, die Anfang 2007 abgeschlossen wurde (3).

2.12

Fünf Modellprojekten wurden Startbeihilfen gewährt. Die wesentlichen Ziele sind: Die Festlegung gemeinsamer Anforderungen für sichere Parkplätze und den Bau einiger weniger neuer sicherer Parkanlagen in mindestens zwei Mitgliedstaaten. Schwerpunktmäßig untersucht werden sollen u.a. Modelle für öffentlich-private Partnerschaften.

2.13

Die Europäische Kommission wird das Pilotprojekt sofort nach seinem Abschluss im April 2009 evaluieren. Sie wird die direkt betroffenen Akteure in diese Evaluierung einbeziehen, ebenso wie in die Durchführung des Projekts. 2009 kann die Kommission auf der Grundlage der Evaluierung Vorschläge für Maßnahmen (Rechtsvorschriften, unverbindliches Recht („soft law“), Koordinierung, Austausch bewährter Verfahren) vorlegen.

2.14

Des Weiteren hat das Europäische Parlament im Haushaltsplan 2007 2 Mio. EUR für die Entwicklung eines Zertifizierungssystems für sichere Parkplätze vorgesehen.

2.15

Der EWSA ist vor kurzem in seinen Stellungnahmen TEN/217 (4) und TEN/270 (5) auf das Thema sichere Parkplätze für Berufskraftfahrer kurz eingegangen.

2.16

Die Verfügbarkeit von Parkplätzen wird auch im Bericht des Europäischen Parlaments zum Thema „Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur“ (2006/0182/COD, Entwurf) vom 20.3.2007 angesprochen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Nach Auffassung des Ausschusses hat die Kommission durch die Aufstellung von Regeln für die Lenk- und Ruhezeiten auch die Verantwortung dafür übernommen, Berufskraftfahrer in die Lage zu versetzen, diesen Regeln nachzukommen. Dies bedeutet, dass für geeignete Parkplätze entlang der wichtigsten Autobahnen in Europa gesorgt werden muss, deren Entfernung voneinander so bemessen ist, dass die Fahrer Ruhezeiten dann, wenn vorgeschrieben, einlegen können.

3.2

Die Kriterien für solch geeignete Parkplätze, wie von IRU und ETF im März 2006 aufgestellt, sind gut gewählt und praktisch umsetzbar. In ihnen wurden mehrere Empfehlungen aus der in Ziffer 2.10 erwähnten Machbarkeitsstudie auf geeignete Weise umgesetzt. Die Kriterien decken zwei Arten von Rastanlagen ab: Zum einen Rastanlagen, die eine absolute Grundversorgung bieten, und zum anderen Rastplätze, die für strategische Knotenpunkte weitere obligatorische Einrichtungen bzw. Anlagen erfordern. IRU und ETF haben zusätzlich weitere Einrichtungen oder Dienstleistungen vorgeschlagen, die vorbehaltlich ausreichender Nachfrage für Raststättenbetreiber sehr empfehlenswert oder optional sind. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Kriterien der Sicherheit im Straßenverkehr, der Sicherheit der Fahrer und der Fracht, der Sicherheit am Arbeitsplatz und der Gesundheit der Fahrer gleichermaßen Rechnung tragen.

3.3

Derzeit gibt es in der EU weder in den „alten“ noch in den „neuen“ Mitgliedstaaten genügend Parkplätze, die den Kriterien der IRU/ETF entsprechen. Sie sollten in die Planungs- und Bauphase neuer Autobahnen in Mittel- und Osteuropa aufgenommen werden. Besonders berücksichtigt werden müssen Grenzübergänge an den Außengrenzen der EU, an denen die Fahrer häufig lange Wartezeiten haben.

3.4

Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sollten sich dieses Problems umgehend annehmen und dabei ihre jeweiligen Zuständig- und Verantwortlichkeiten berücksichtigen. Der Ausschuss nimmt die Initiativen des Parlaments und der Kommission mit Interesse zur Kenntnis und hofft, dass diese im Hinblick auf die Aufstellung von Maßnahmen nach Abschluss der in Ziffer 2.11 genannten Pilotprojekte zu einem frühzeitige Tätigwerden der Kommission und der Mitgliedstaaten führen werden.

3.5

Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich die organisierte Zivilgesellschaft, vor allem die Sozialpartner in der Straßenverkehrsbranche, des Themas sichere Parkplätze konstruktiv und konkret angenommen haben. Er fordert die Kommission auf, zu untersuchen, wie diese Initiative gestärkt und ihre Umsetzung gefördert werden kann und wie die beteiligten Organisationen dabei unterstützt werden können, dass die bestehenden und neu angelegten Rastanlagen von ihren Mitgliedern optimal genutzt werden. Beispielsweise könnte die Kommission ihnen bei der Sammlung und Verbesserung von Informationen zu bestehenden Rastanlagen sowie dabei behilflich sein, diese Informationen ihren Mitgliedern auch online besser zugänglich zu machen. Ein weiteres Beispiel wäre ein täglich aktualisiertes Informationssystem über noch freie Parkplätze. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und betroffenen Organisationen könnte die Kommission Verfahren entwickeln, um die Fahrer rechtzeitig zu informieren.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Artikel 12: Sofern die Sicherheit im Straßenverkehr nicht gefährdet wird, kann der Fahrer von den Artikeln 6 bis 9 abweichen, um einen geeigneten Halteplatz zu erreichen, soweit dies erforderlich ist, um die Sicherheit von Personen, des Fahrzeugs oder seiner Ladung zu gewährleisten. Der Fahrer hat Art und Grund dieser Abweichung spätestens bei Erreichen des geeigneten Halteplatzes handschriftlich auf dem Schaublatt des Kontrollgeräts oder einem Ausdruck aus dem Kontrollgerät oder im Arbeitszeitplan zu vermerken.

(2)  Vorläufige Fassung, 3.5.2007, IP/B/TRAN/IC/2006-194. Die Studie wurde von NEA Transport Research and Training im Auftrag des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments erstellt.

(3)  NEA, Transport Research Training, Rijswijk, Niederlande, Januar 2007.

(4)  Stellungnahme zum Thema „Sicherheit der Verkehrsträger“, CESE 1488/2005 vom 14.12.2005, Ziffer 3.10. ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(5)  Stellungnahme zum Thema „Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur“, CESE 613/2007 vom 26.4.2007, Ziffer 4.8.


27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Künftige Rechtsvorschriften zur eAccessibility

(2007/C 175/22)

Mit Schreiben vom 26. Februar 2007 ersuchte die Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine zum Thema „Künftige Rechtsvorschriften zur eAccessibility“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr HERNÁNDEZ BATALLER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 136 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die Maßnahmen der Kommission zur eAccessibility und fordert sie auf, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Angesichts des großen Interesses, das diesem Thema entgegengebracht wird, behält sich der Ausschuss die Möglichkeit vor, eine ergänzende Stellungnahme zu erarbeiten.

1.2

Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission eine Reihe von Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene einleiten, um Folgendes zu bewirken:

Stärkung der bestehenden Rechtsvorschriften, so dass diese einheitlich und rechtsverbindlich werden, zur Vermeidung von Unterschieden und Verschiebungen wie sie derzeit insbesondere in den Bereichen elektronische Kommunikation (vor allem bei Universaldiensten) und öffentliches Auftragswesen zwischen den Mitgliedstaaten bestehen, sowie Erweiterung des gemeinsamen Besitzstandes durch die Annahme neuer supranationaler Vorschriften auf der Grundlage von Artikel 13 und 95 EGV, so dass die Zugangsanforderungen als gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen gewahrt werden;

Ausweitung der eAccessibility als Querschnittsmaßnahme auf die übrigen Gemeinschaftspolitiken;

Annahme nicht bindender Maßnahmen zur eAccessibility, mit denen die Lebensqualität behinderter und älterer Menschen verbessert wird.

1.3

Eine Einbindung der Organisationen der organisierten Zivilgesellschaft ist maßgeblich für die Umsetzung einer angemessenen Politik im Bereich der eAccessibility, da dadurch z.B. im Zusammenhang mit Verhaltenskodizes oder der Koregulierung Anstöße für Begleitmaßnahmen gegeben werden können.

1.4

Die Unterstützungsmaßnahmen sollten auf Bereiche konzentriert werden, die behinderten und älteren Menschen den Zugang zur Informationsgesellschaft erleichtern und sie mit dem Gebrauch der neuen Technologien als idealem Instrument zur Erreichung ihrer gesellschaftlichen Integration, zur Vermeidung digitaler Ausgrenzung und zur Verbesserung ihrer Lebensqualität vertraut machen.

1.5

Die Behörden in den Mitgliedstaaten sollten den supranationalen Leitlinien entsprechend unterstützende Maßnahmen einleiten, um den Verbänden der Behinderten und älteren Menschen die Einbindung in die digitale Welt und ihren Zugang dazu durch finanzielle Unterstützung zu ermöglichen.

2.   Einleitung

2.1

Die Kommission hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss mit einem Schreiben ersucht, eine Sondierungsstellungnahme zum künftigen Rechtsrahmen für die eAccessibility unter besonderer Berücksichtigung älterer Menschen auszuarbeiten.

Die Überwindung technischer Hindernisse und Schwierigkeiten, die behinderte Menschen sowie andere Bevölkerungsgruppen erfahren und erleiden, wenn sie gleichberechtigt an der Informationsgesellschaft teilhaben wollen, wird als Barrierefreiheit („eAccessibility“) thematisiert. Dieser Aspekt ist Teil des umfassenderen Konzepts der „eInclusion“, bei dem auch Hemmnisse anderer Art — etwa finanzielle, geografische oder bildungsbezogene Hindernisse — berücksichtigt werden.

2.2

Im Wesentlichen soll ermittelt werden, auf der Grundlage welcher Art Rechtsvorschriften des abgeleiteten Rechts die EU ihr Ziel verfolgen sollte, im aktuellen Kontext des raschen wirtschaftlichen und sozialen Wandels die Entstehung einer uneingeschränkt integrativen Gesellschaft zu fördern.

2.3

Dieses Rechtsetzungsvorhaben muss selbstverständlich fest auf den Rechtsgrundlagen fußen, die die europäischen Werte und Grundsätze verkörpern, wie Artikel 13 des EG-Vertrags oder die spezifischen Bezugnahmen auf die Beteiligung aller Bewohner Europas am demokratischen Leben und am sozialen Fortschritt, die im zweiten und vierten Absatz der Präambel des Vertrags über eine Verfassung für Europa und in dessen Artikeln I-3 Absatz 3, II-81 und II-86 sowie weiteren Bestimmungen enthalten sind.

2.4

Gleichzeitig bieten die einschlägigen Stellungnahmen und Beschlüsse der Organe und Einrichtungen der EU bereits ein umfangreiches Regelwerk, das trotz seiner Mannigfaltigkeit zur Herausbildung von Gemeinschaftspolitiken beiträgt, die gezielt auf eine Nichtdiskriminierung und die eAccessibility abstellen. Hier sind zu nennen:

Die Entschließung des Rates vom 2. Dezember 2002„eAccessibility“Verbesserung des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zur Wissensgesellschaft, mit der die Kommission ersucht wurde, das Potenzial der Informationsgesellschaft für Menschen mit Behinderungen zu erschließen und insbesondere Schranken jeglicher Art zu beseitigen.

Der Rat „Telekommunikation“ betonte seinerseits die Notwendigkeit, die eAccessibility in Europa zu verbessern (1), und der Rat in der für Sozialpolitik zuständigen Formation rief die Mitgliedstaaten in seiner Entschließung zur eAccessibility aus dem Jahr 2003 (2) auf, alle erforderlichen Maßnahmen für die Verwirklichung einer offenen, integrativen und für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglichen Wissensgesellschaft zu ergreifen.

2.4.1

Die Kommission veröffentlichte 2005 die Mitteilung „i2010“ (3), mit der ein neuer strategischer Rahmen für eine europäische Informationsgesellschaft festgelegt werden sollte, sowie später die Kommissionsmitteilung zur eAccessibility  (4), die eine Reihe von Vorschlägen für politische Maßnahmen zur Förderung der eAccessibility enthält.

2.4.2

Im Einzelnen wurden in dieser Mitteilung zur eAccessibility drei verschiedene Ansätze genannt, um das Problem anzugehen:

die Förderung der Barrierefreiheit im öffentlichen Beschaffungswesen;

die Zertifizierung der Barrierefreiheit;

die bessere Nutzung geltender Rechtsvorschriften.

Zwei Jahre nach Veröffentlichung der Kommissionsmitteilung waren Folgemaßnahmen vorgesehen, um zu prüfen, welche zusätzlichen Maßnahmen gegebenenfalls getroffen werden können.

2.4.3

Der Ausschuss verabschiedete eine Stellungnahme zu dieser Mitteilung (5), in der er u.a. auf folgende Themen einging: harmonisierte Normen und Interoperabilität, öffentliches Auftragswesen, Zertifizierung durch Dritte oder Eigenerklärung, Nutzung der Rechtsvorschriften, Berücksichtigung von Barrierefreiheit und barrierefreies Internet. Ferner wurden darin das Thema Rechtsvorschriften und Barrierefreiheit sowie der neue strategische Rahmen für die Informationsgesellschaft behandelt.

2.5

Auch in Ziffer 6 der jüngsten Entschließung des Rates vom 22. März 2007 zu einer Strategie für eine sichere Informationsgesellschaft in Europa wird hervorgehoben, dass „den Nutzern mit besonderen Bedürfnissen und solchen mit einem geringen Bewusstsein für Fragen der Netz- und Informationssicherheit […] besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden [sollte]“; zu diesen Nutzern gehören auch ältere Personen und Menschen mit Behinderungen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nimmt das Ersuchen der Kommission um Ausarbeitung dieser Sondierungsstellungnahme mit großem Interesse entgegen und weist darauf hin, dass das Ziel der Gemeinschaftsaktionen, mit denen die Integration auf dem Gebiet der Informationsgesellschaft angestrebt wird, im Grunde zwar globaler Natur sein muss, dass aber bestimmte gesellschaftliche Gruppen — wie ältere und behinderte Menschen (6) — besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, damit sie auf angemessene Weise in diese Informationsgesellschaft eingegliedert werden.

Da das Thema dieser Befassung von großem Interesse ist, behält sich der EWSA darüber hinaus die Möglichkeit vor, eine zusätzliche oder ergänzende Stellungnahme zu der vorliegenden zu erarbeiten.

3.1.1

Dies steht auch voll und ganz im Einklang mit Ziffer 8 der vorgenannten Ministererklärung von Riga (7), in der es heißt: „Um eEingliederung überzeugend vorantreiben zu können, sollten die Unterschiede in der Nutzung des Internets zwischen der derzeitigen durchschnittlichen Nutzung durch die EU-Bevölkerung und der Nutzung durch ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Frauen, weniger gebildete Bevölkerungsgruppen, Beschäftigungslose und Menschen in ‚weniger entwickelten‘ Regionen in den Jahren bis 2010 auf die Hälfte reduziert werden“.

Der EWSA ist der Auffassung, dass wegen der einschlägigen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre eine Gemeinschaftsmaßnahme zur eAccessibility vorrangige Bedeutung gewinnt, mit der der Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in den öffentlichen Diensten als Bürgerrecht festgeschrieben werden sollte.

Angesichts des Mehrwerts eines gemeinschaftlichen Vorgehens sollte bei dieser Gemeinschaftsmaßnahme ein Rechtsinstrument zur Stärkung der geltenden Rechtsvorschriften mit weiteren, nicht bindenden Begleitmaßnahmen in verschiedenen Politikbereichen einhergehen.

Der EWSA befürwortet ein solches Tätigwerden der Gemeinschaft, da

dadurch in sozialer Hinsicht die Rechte der Bürgerinnen und Bürger aufgewertet werden und aus wirtschaftlicher Sicht die Skalenerträge, das Funktionieren des Binnenmarktes, die Wettbewerbsfähigkeit in einem Schlüsselsektor sowie die Innovation verbessert werden;

dadurch verdeutlicht wird, dass die Diversität und Fragmentierung der Ansätze auf Ebene der Mitgliedstaaten bestimmte Probleme verursacht, die sich vor allem aufgrund der unterschiedlichen Umsetzung der geltenden Richtlinien ergeben; hier besteht Klärungsbedarf, insbesondere in den Bereichen öffentliches Auftragswesen und Universaldienste.

Hierbei sollte stets eine bestmögliche Anwendung der angenommenen Unterstützungsmaßnahmen gewährleistet bleiben.

3.2

In Bezug auf die Rechtsgrundlage für Vorschriften über die Zugänglichkeit zu elektronischen Dokumenten empfiehlt es sich:

zum einen Artikel 13 EGV heranzuziehen, der dem Rat die allgemeine Befugnis verleiht, jegliche Art von Gemeinschaftsrechtsakten anzunehmen, um Diskriminierungen zu bekämpfen.

Zum anderen muss auch Artikel 95 EGV herangezogen werden, da es sich um Fragen handelt, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben; hier sollte bei den Vorschlägen von einem hohen Schutzniveau ausgegangen werden.

Dabei muss die Querschnittswirkung, die die Maßnahmen im Zusammenhang mit der eAccessibility haben sollten, gewahrt bleiben.

3.2.1

Da der europäische Verfassungsvertrag bedauerlicherweise noch nicht in Kraft ist, können die genannten Rechtsakte nicht auf der Grundlage des Artikels III-124 Absatz 1 erlassen werden, dem zufolge der Rat „nach Zustimmung des Europäischen Parlaments“ einstimmig beschließen würde. Der geltende Artikel 13 EGV sieht lediglich eine „Anhörung des Europäischen Parlaments“ vor der einstimmigen Annahme der Rechtsakte vor, wodurch diese von einer umfassenden demokratischen Debatte und von der größeren Legitimierung ausgeschlossen sind, die die nach dem Mitentscheidungsverfahren erlassenen EU-Vorschriften genießen.

3.2.2

Allerdings ist die ausdrücklich vorgesehene Einstimmigkeit des Rates insofern angezeigt, als alle betreffenden Rechtsvorschriften dem Subsidiaritätsprinzip Genüge tun müssen. Dank der einstimmigen Unterstützung durch die Regierungen der EU werden die einzelstaatlichen Verwaltungen selbstverständlich wirksamer in die innerstaatliche Anwendung und Ausgestaltung der Vorschriften einbezogen. Dies bedeutet auch, dass die Ziele der entsprechenden Maßnahmen sich nicht auf die Beseitigung bestehender Hindernisse auf diesem Gebiet beschränken, sondern darüber hinaus echte integrationsfördernde Elemente beinhalten und so zielgerichtet sein werden, wie es die auf Artikel 13 und Artikel 95 EGV gestützten gemeinschaftlichen Regelungen sein sollten.

3.2.3

Geeignete Sekundärrechtsakte wären daher Richtlinien, da sie den Mitgliedstaaten in der Regel einen breiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Mittel für die Verwirklichung der auf supranationaler Ebene festgelegten Ziele lassen.

3.3

Für den konkreten Inhalt der künftigen Gemeinschaftsvorschriften ist unter anderem die Einbeziehung der nachstehend genannten Ziele unerlässlich, bei denen nach allgemeinem und spezifischem Charakter zu unterscheiden ist.

3.4

Folgende allgemeinen Ziele sollten in Betracht gezogen werden:

a)

Förderung der Interoperabilität der Dienste, die im Bereich der IKT auf Basis gemeinsamer Standards und Spezifikationen erbracht werden, damit die europäischen Normungsorganisationen bei der Annahme und Weiterentwicklung der betreffenden Normen den barrierefreien Zugang berücksichtigen.

Stärkung der Bestimmungen zur eAccessibility in den Richtlinien zur elektronischen Kommunikation im Einklang mit den Empfehlungen der Inclusive Communications Group (INCOM) (8) und gleichzeitig Förderung der eAccessibility in Bereichen wie z.B. der Überarbeitung der Richtlinie zu den audiovisuellen Diensten („Fernsehen ohne Grenzen“) — wie bereits vom Ausschuss angemerkt (9) — und der Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft.

b)

Erleichterung des Zugangs zu den IKT-Netzen durch die Ausstattung der unter dem digitalen Gefälle leidenden europäischen Gebiete und Regionen mit Endgeräten und -infrastruktur. Im Rahmen der Strukturfonds und des Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums sowie des kürzlich gegründeten Fonds für Forschung und Entwicklung sollten spezifische Komponenten zur Integration in Betracht gezogen werden, damit bis 2010 auf 90 % des Unionsgebiets der Zugang zu den IKT gewährleistet ist.

c)

Alle Produkte und Dienstleistungen im Bereich der IKT sollten sämtlichen Mitgliedern der Gesellschaft zugute kommen, was erfordert, dass bei ihrer Konzipierung und ihrem Betrieb auch die am stärksten benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt werden, insbesondere Behinderte und ältere Menschen. Zu diesem Zweck sollte auf zwei Ebenen Verantwortung übernommen werden, nämlich aufseiten der staatlichen Behörden und der Privatwirtschaft.

3.4.1

Zum einen sollten die Gemeinschaftsinstitutionen und die Behörden der Mitgliedstaaten in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Handlungsparameter für die Unternehmen festlegen, die im Binnenmarkt auf dem Gebiet der IKT — insbesondere in Bereichen wie der Normung -tätig sind, und die ordnungsgemäße Anwendung dieser Parameter überwachen.

3.4.2

Nach Möglichkeit werden diese Anforderungen so auf die gemeinsame Handelspolitik angewandt, dass die Vorteile der Zugänglichkeit eine nicht nur europäische, sondern auch weltweite Dimension erhalten; zum anderen werden Verhaltenskodizes gefördert, die an den Bedürfnissen der einzelnen benachteiligten Gruppen ausgerichtet sind, um in diesem Bereich eine Kultur der sozialen Verantwortung der Unternehmen zu schaffen.

3.4.3

Darüber hinaus müssen die betroffenen Akteure der Zivilgesellschaft in den Bereich der technischen Innovation und in die Verbreitung bewährter Methoden für den Zugang zu den IKT und für ihre Nutzung einbezogen werden, indem transnationale Netze errichtet werden, an die die Hochschulforschungszentren und die Forschungszentren der Unternehmen der Branche angeschlossen werden. Neben anderen Maßnahmen sollten jährliche Projekte mit der genannten Zweckbestimmung ausgeschrieben werden, die von der EU und den einzelstaatlichen Behörden kofinanziert werden und eine Kultur der Spitzenforschung fördern, die auch die Schaffung der europäischen Voraussetzungen für die Qualität der neuen Technologien beinhaltet, die die eEingliederung erleichtern.

3.5

Folgende spezifischen Ziele sollten in Betracht gezogen werden:

a)

Der Anwendungsbereich der Richtlinie über den Universaldienst, die den Zugang zu öffentlichen gebührenpflichtigen Telefonen, zu den Notdiensten und zur Auskunft über die Rufnummern der angeschlossenen Teilnehmer abdeckt, sollte erweitert werden, und zwar um die Breitband- und die Mobilfunktechnologie, wie der EWSA bereits mehrfach gefordert hat.

b)

Den Behörden sollte untersagt werden, IKT-Produkte und -Dienstleistungen zu nutzen, die den geltenden Vorschriften über die Zugänglichkeit nicht entsprechen, und in die künftigen Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Aufträge sollten verbindliche Vorschriften über die Zugänglichkeit aufgenommen werden.

c)

Die Zugangsvoraussetzungen für die Nutzung der IP-Netze sollten harmonisiert werden und Notdienste sowie interaktive Digitalfernsehdienste einschließen.

d)

Die Mitgliedstaaten sollten Version 2 der Richtlinien der WAI (Web Accessibility Initiative) vollinhaltlich übernehmen und sie in die öffentlichen Internetportale aufnehmen, wie dies der Ausschuss bereits zuvor gefordert hatte (10).

e)

Die Nutzung von „Autorenwerkzeugen“ sollte allgemein verbreitet werden, wobei sie mit Version 2 der WAI-Richtlinien im Einklang stehen müssen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerungspyramide bzw. Bevölkerungsstruktur nimmt zu. Hauptursachen hierfür sind die niedrige Geburtenrate und die Verbesserung der Lebensqualität und die höhere Lebenserwartung. Daher haben die Ratsvorsitze die Alterung der Bevölkerung als Thema in die gemeinsamen Arbeitsprogramme aufgenommen.

4.2

In der heutigen Gesellschaft der Älteren gibt es Faktoren, die zu Einsamkeit führen können, wie das allmähliche Aussterben der Großfamilie und die immer größere Zahl Alleinerziehender. Die Informationsgesellschaft bietet neue Möglichkeiten zur Durchbrechung der sozialen Isolation, die von älteren Menschen genutzt werden müssen, wobei Aktionen zu fördern sind, die das derzeitige digitale Gefälle verringern.

Besonders offensichtlich ist dies im Bereich der eAccessibility. Wie in der einstimmig angenommenen Ministererklärung von Riga festgestellt wurde, nutzen nur 10 % der über 65-Jährigen in Europa das Internet.

4.3

Um die soziale Integration älterer und behinderter Menschen in die Informationsgesellschaft zu erleichtern, müssen — neben der Einführung des universalen Zugangs zum Internet — unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bereichsübergreifende sozialpolitische Maßnahmen vorgeschlagen werden, die auf die Gleichberechtigung und die Verbesserung der Lebensqualität abzielen. Dazu müssen die Dienste optimiert, die Beteiligung älterer Menschen an der Informationsgesellschaft gefördert und Hindernisse für die digitale Alphabetisierung sowie für den Zugang zu freier Software beseitigt werden.

Die Erleichterung des Zugangs älterer und behinderter Menschen zur Informationsgesellschaft durch die Erbringung von Dienstleistungen, wie sie nachstehend aufgeführt werden, kann die geistige Beweglichkeit dieser Menschen anregen und ihnen das Leben komfortabler gestalten:

kostenlose Beratung;

Lieferung von Unterlagen ins Haus;

Rechtsberatung für Einzelpersonen oder für Seniorenzentren und Behinderteneinrichtungen;

Freizeitaktivitäten;

gerontologische Unterstützung und Anschluss an lokale Sozialdienste;

Schulungen in virtuellen Klassenräumen;

Ferienprogramme;

telemedizinische Dienstleistungen.

Der EWSA betont die Bedeutung der IKT für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Einbindung älterer und behinderter Menschen über ihre jeweiligen Vertretungsorganisationen, um eine Verbesserung der derzeitigen Lage in der EU herbeizuführen. Die Beteiligung der Akteure der organisierten Zivilgesellschaft kann maßgeblich sein, wenn es um Bereiche wie Koregulierung, die Erarbeitung von Verhaltenskodizes und die soziale Verantwortung der Unternehmen geht.

4.4

Nach Auffassung des EWSA sollten Maßnahmen zur Unterstützung von Projekten und Initiativen angenommen werden, die behinderten und älteren Menschen den Zugang zur Informationsgesellschaft erleichtern und sie mit dem Gebrauch der neuen Technologien als idealem Instrument zur Erreichung ihrer gesellschaftlichen Integration, zur Vermeidung digitaler Ausgrenzung und zur Verbesserung ihrer Lebensqualität vertraut machen. Im Einzelnen sollten diese Maßnahmen darauf abzielen,

digitale Netze zu schaffen und auszubauen, die dazu beitragen, die Verwaltungssysteme der verschiedenen Einrichtungen und Verbände professioneller und effizienter zu gestalten; diese sollten angemessen ausgestattet und auf die Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen älterer und behinderter Menschen abgestimmt sein;

Pilotprojekte auf der Grundlage von Anwendungen und Instrumenten durchzuführen, die zur Förderung eines aktiven und selbstständigen Lebens behinderter und älterer Menschen beitragen, indem diese in die Informationsgesellschaft eingebunden werden.

4.5

Der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt kann verstärkt werden, indem die Grundsätze der Vereinten Nationen für ältere Menschen in die von der EU entwickelten Strategien übernommen werden, um den Zugang zu geeigneten Schulungsprogrammen zu fördern.

4.6

Bei der von der Kommission vorzunehmenden Überprüfung des „neuen Konzepts“ müssen die Bedürfnisse älterer Menschen mit Blick auf die Ausarbeitung von Rechtsvorschriften Berücksichtigung finden, damit die Dienstleistungen für neu entwickelte Produkte erleichtert werden; darüber hinaus müssen auch die Normungsorganisationen und die Industrie die genannten Faktoren in ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern berücksichtigen.

4.7

Vom Standpunkt des Umweltschutzes aus gesehen, könnten durch die vermehrte Anwendung digitaler Technologien Wege vermieden werden, indem bestimmte Dienste „in situ“ verfügbar gemacht werden. Die Kommission sollte dieses Potenzial prüfen, um ehrgeizigere supranationale Maßnahmen für die eAccessibility vorzuschlagen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Entschließung des Rates über den Aktionsplan eEurope 2002: Zugänglichkeit öffentlicher Webseiten und ihres Inhalts, ABl. C 86 vom 10.4.2002.

(2)  Entschließung des Rates 14892/02.

(3)  KOM(2005) 229 endg., Stellungnahme des EWSA zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — „i2010 — Eine europäische Informations-gesellschaft für Wachstum und Beschäftigung“, ABl. C 110 vom 9.5.2006, S. 83.

(4)  KOM(2005) 425 endg.

(5)  Stellungnahme CESE 404/2006, verabschiedet im Plenum am 15. März 2006, Berichterstatter: Herr CABRA DE LUNA. ABl. C 110 vom 9.5.2006.

(6)  In der Stellungnahme CESE 404/2006, Ziffer 3.4, heißt es: „Menschen mit Behinderungen sind eine heterogene Gruppe. Von den Schwierigkeiten beim Zugang zu IKT sind aber im Wesentlichen folgende Behinderungen betroffen: Menschen mit kognitiven oder Lernschwierigkeiten, Menschen mit sensorischen Behinderungen (gehörlose oder schwerhörige, blinde oder sehbehinderte Menschen, Taubblinde, Menschen mit Sprachbeeinträchtigungen) und Menschen mit körperlichen Behinderungen.“ABl. C 110 vom 9.5.2006.

(7)  In der am 11. Juni 2006 in Riga im Kontext der Initiative i2010 verabschiedeten Erklärung der EU-Minister über eEingliederung wurde die politische Zusage der Verbesserung der eAccessibility bekräftigt

http://ec.europa.eu/information_society/events/ict_riga_decl_de.pdf

(8)  Die Inclusive Communications Group (INCOM) wurde 2003 eingerichtet und besteht aus Vertretern von Mitgliedstaaten, Tele-kommunikationsbetreibern, Nutzerverbänden und Normungsgremien.

(9)  Stellungnahme CESE 486/2006. ABl. C 185 vom 8.8.2006.

(10)  In der Stellungnahme CESE 404/2006, Ziffer 7.5.1, heißt es: „Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, formell Version 2 der Richtlinien der WAI (Web Accessibility Initiative) in der vorliegenden Form anzunehmen und diese für alle öffentlichen Websites anzuwenden.“ABl. C 110 vom 9.5.2006.