URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

24. März 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 – Information der Verbraucher über Lebensmittel – Kennzeichnung – Verpflichtende Angaben – Zutatenverzeichnis – Spezielle Bezeichnung dieser Zutaten – Zusatz eines Vitamins zu einem Lebensmittel – Pflicht zur Angabe der speziellen Bezeichnung dieses Vitamins – Keine Pflicht zur Angabe der verwendeten Vitaminverbindung“

In der Rechtssache C‑533/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 20. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 2020, in dem Verfahren

Somogy Megyei Kormányhivatal

gegen

Upfield Hungary Kft.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Passer (Berichterstatter) sowie der Richter F. Biltgen und N. Wahl,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Somogy Megyei Kormányhivatal, vertreten durch Sz. Kovács-Tátrai als Bevollmächtigte,

der Upfield Hungary Kft., vertreten durch J. Kovács, Ügyved,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,

der kroatischen Regierung, vertreten durch G. Vidović Mesarek als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sipos, B. Rous Demiri und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Dezember 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (ABl. 2011, L 304, S. 18, berichtigt in ABl. 2014, L 331, S. 41).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Somogy Megyei Kormányhivatal (Regierungsbehörde für das Komitat Somogy, Ungarn) und der Upfield Hungary Kft. über einen Bescheid, mit dem diese Behörde Upfield Hungary dazu verpflichtete, die Kennzeichnung eines von ihr in Ungarn in den Verkehr gebrachten Lebensmittels zu ändern.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1169/2011

3

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 1169/2011 lautet:

„Diese Verordnung bildet die Grundlage für die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus in Bezug auf Informationen über Lebensmittel unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Erwartungen der Verbraucher und ihrer unterschiedlichen Informationsbedürfnisse bei gleichzeitiger Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts.“

4

Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. f, n, o und s dieser Verordnung bezeichnen die Ausdrücke „Zutat“, „rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung“, „verkehrsübliche Bezeichnung“ und „Nährstoff“ für die Zwecke der Verordnung Folgendes:

„f)

‚Zutat‘ jeden Stoff und jedes Erzeugnis, einschließlich Aromen, Lebensmittelzusatzstoffen und Lebensmittelenzymen, sowie jeden Bestandteil einer zusammengesetzten Zutat, der bei der Herstellung oder Zubereitung eines Lebensmittels verwendet wird und der – gegebenenfalls in veränderter Form – im Enderzeugnis vorhanden bleibt; …

n)

‚rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung‘ die Bezeichnung eines Lebensmittels, die durch die für dieses Lebensmittel geltenden Rechtsvorschriften der Union vorgeschrieben ist, oder, wenn es keine derartigen Unionsvorschriften gibt, die Bezeichnung, welche in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen ist, in dem das Lebensmittel an die Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung verkauft wird;

o)

‚verkehrsübliche Bezeichnung‘ eine Bezeichnung, die von den Verbrauchern in dem Mitgliedstaat, in dem das Lebensmittel verkauft wird, als Bezeichnung dieses Lebensmittels akzeptiert wird, ohne dass eine weitere Erläuterung notwendig wäre;

s)

‚Nährstoff‘ Eiweiße, Kohlenhydrate, Fett, Ballaststoffe, Natrium, Vitamine und Mineralstoffe, die in Anhang XIII Teil A Nummer 1 dieser Verordnung aufgeführt sind, sowie Stoffe, die zu einer dieser Klassen gehören oder Bestandteil einer dieser Klassen sind“.

5

Art. 3 („Allgemeine Ziele“) Abs. 1 der Verordnung lautet:

„Die Bereitstellung von Informationen über Lebensmittel dient einem umfassenden Schutz der Gesundheit und Interessen der Verbraucher, indem Endverbrauchern eine Grundlage für eine fundierte Wahl und die sichere Verwendung von Lebensmitteln unter besonderer Berücksichtigung von gesundheitlichen, wirtschaftlichen, umweltbezogenen, sozialen und ethischen Gesichtspunkten geboten wird.“

6

Art. 7 („Lauterkeit der Informationspraxis“) Abs. 2 der Verordnung sieht vor:

„Informationen über Lebensmittel müssen zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein.“

7

In Art. 9 („Verzeichnis der verpflichtenden Angaben“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 1169/2011 heißt es:

„Nach Maßgabe der Artikel 10 bis 35 und vorbehaltlich der in diesem Kapitel vorgesehenen Ausnahmen sind folgende Angaben verpflichtend:

b)

das Verzeichnis der Zutaten;

l)

eine Nährwertdeklaration.“

8

Art. 17 („Bezeichnung des Lebensmittels“) Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„Ein Lebensmittel wird mit seiner rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung bezeichnet. Fehlt eine solche, so wird das Lebensmittel mit seiner verkehrsüblichen Bezeichnung oder, falls es keine verkehrsübliche Bezeichnung gibt oder diese nicht verwendet wird, mit einer beschreibenden Bezeichnung bezeichnet.“

9

Art. 18 („Zutatenverzeichnis“) der Verordnung bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)   Dem Zutatenverzeichnis ist eine Überschrift oder eine geeignete Bezeichnung voranzustellen, in der das Wort ‚Zutaten‘ erscheint. Das Zutatenverzeichnis besteht aus einer Aufzählung sämtlicher Zutaten des Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils zum Zeitpunkt ihrer Verwendung bei der Herstellung des Lebensmittels.

(2)   Die Zutaten werden mit ihrer speziellen Bezeichnung, gegebenenfalls nach Maßgabe der Bestimmungen in Artikel 17 … bezeichnet.“

10

In Art. 30 Abs. 1 und 2 der Verordnung, der den Inhalt der Nährwertdeklaration gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. l der Verordnung betrifft, heißt es:

„(1)   Die verpflichtende Nährwertdeklaration enthält folgende Angaben:

a)

Brennwert und

b)

die Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz.

(2)   Der Inhalt der verpflichtenden Nährwertdeklaration gemäß Absatz 1 kann durch die Angabe der Mengen eines oder mehrerer der nachfolgenden Stoffe ergänzt werden:

f)

jegliche in Anhang XIII Teil A Nummer 1 aufgeführten und gemäß den in Anhang XIII Teil A Nummer 2 angegebenen Werten in signifikanten Mengen vorhandenen Vitamine oder Mineralstoffe.“

11

Anhang XIII („Referenzmengen“) der Verordnung Nr. 1169/2011 enthält einen Teil A über die Referenzmengen für die tägliche Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen (Erwachsene), in dessen Nr. 1 die Vitamine und Mineralstoffe, die angegeben werden können, sowie ihre Nährstoffbezugswerte aufgeführt sind. Zu diesen Vitaminen gehören u. a. Vitamin A und Vitamin D.

Verordnung Nr. 1925/2006

12

Die Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Zusatz von Vitaminen, Mineralstoffen und bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln (ABl. 2006, L 404, S. 26) in der durch die Verordnung Nr. 1169/2011 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1925/2006) enthält einen Art. 3 („Voraussetzungen für den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen“), dessen Abs. 1 bestimmt, dass „Lebensmitteln … nur die in Anhang I aufgeführten Vitamine und/oder Mineralstoffe in den in Anhang II aufgeführten Formen nach Maßgabe dieser Verordnung zugesetzt werden [dürfen]“.

13

Art. 7 („Kennzeichnung, Aufmachung und Werbung“) Abs. 3 dieser Verordnung sieht vor:

„Die Nährwertkennzeichnung von Erzeugnissen, denen Vitamine und Mineralstoffe zugesetzt wurden und die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, ist obligatorisch. Es sind die in Artikel 30 Absatz 1 der Verordnung [Nr. 1169/2011] aufgeführten Angaben zu machen, und es ist der Gesamtgehalt an Vitaminen und Mineralstoffen anzugeben, den das Lebensmittel nach dem Zusatz aufweist.“

14

Anhang I („Vitamine und Mineralstoffe, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen“) der Verordnung bezieht sich u. a. auf Vitamin A und Vitamin D.

15

In Anhang II der Verordnung sind bei den Vitamin- und Mineralstoffverbindungen, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, unter der Überschrift „Vitamin A“ vier Vitaminverbindungen aufgeführt, nämlich Retinol, Retinylacetat, Retinylpalmitat und β‑Carotin. Unter der Überschrift „Vitamin D“ sind zwei Vitaminverbindungen genannt, nämlich Cholecalciferol und Ergocalciferol.

Ungarisches Recht

16

Nach § 10 Abs. 1 des Az élelmiszerláncról és hatósági felügyeletéről szóló 2008. évi XLVI. törvény (Gesetz Nr. XLVI von 2008 über die Lebensmittelkette und die Lebensmittelaufsicht) darf ein Lebensmittel nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn seine Kennzeichnung die in den zur Durchführung dieses Gesetzes ergangenen Rechtsvorschriften und in den unmittelbar geltenden Unionsrechtsakten festgelegten Informationen in ungarischer Sprache, allgemein verständlich, eindeutig und gut leserlich enthält.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

17

Upfield Hungary vertreibt in Ungarn ein Erzeugnis mit dem Namen „Flóra ProActiv, Margarine mit einem Fettgehalt von 35 % mit zugesetzten Pflanzensterolen“. Die Kennzeichnung dieses Erzeugnisses enthält u. a. die Angabe „Vitamine (A, D)“.

18

Die Regierungsbehörde für das Komitat Somogy, die u. a. dafür zuständig ist, die Einhaltung der geltenden Verbraucherschutzvorschriften zu überwachen, vertrat die Auffassung, dass diese Angabe nicht mit der Verordnung Nr. 1169/2011 vereinbar sei, da diese verlange, dass bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln im Allgemeinen die spezielle Bezeichnung der verschiedenen in der Zusammensetzung des betreffenden Lebensmittels enthaltenen Zutaten und in dem besonderen Fall, in dem es sich bei diesen Zutaten um Vitamine handele, die enthaltenen Vitaminverbindungen anzugeben seien. Sie erließ daher einen Bescheid, in dem sie Upfield Hungary dazu verpflichtete, die Kennzeichnung des in Rede stehenden Erzeugnisses zu ändern.

19

Nachdem Upfield Hungary gegen den Bescheid geklagt hatte, erklärte das zuständige Gericht diesen aus zwei Gründen für nichtig. Zum einen sei in der Verordnung Nr. 1169/2011 nicht definiert, was allgemein als „spezielle Bezeichnung“ der Zutaten anzusehen sei, die in der Zusammensetzung von Lebensmitteln enthalten seien. Zum anderen sei in der Verordnung Nr. 1925/2006 nicht die Bezeichnung der Vitamine, Mineralstoffe und sonstigen Stoffe, auf die sie Bezug nehme, geregelt, während in ihrem Anhang II u. a. die verschiedenen Vitaminverbindungen der Vitamine A und D aufgeführt seien, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürften. Daher kam dieses Gericht zu dem Schluss, dass keine der beiden Verordnungen und auch keine andere Bestimmung des Unionsrechts einer Verwendung der Bezeichnungen „Vitamin A“ und „Vitamin D“ für die Kennzeichnung eines Lebensmittels entgegenstehe.

20

Die Regierungsbehörde für das Komitat Somogy hat daraufhin bei der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) Rechtsmittel eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, dass die Verordnung Nr. 1169/2011 allgemein verlange, dass in der Kennzeichnung von Lebensmitteln die spezielle Bezeichnung jeder in der Zusammensetzung des betreffenden Lebensmittels enthaltenen Zutat anzugeben sei. Bei Zutaten wie den Vitaminen A und D entspreche diese spezielle Bezeichnung der Vitaminverbindung, die einem bestimmten Lebensmittel zugesetzt worden sei, wobei diese Vitaminverbindung selbst zwingend zu denjenigen gehören müsse, deren Verwendung nach Anhang II der Verordnung Nr. 1925/2006 zulässig sei.

21

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wirft dieses Vorbringen die Frage auf, wie der Ausdruck „spezielle Bezeichnung“ in Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1169/2011 bei Zutaten wie Vitaminen zu verstehen ist. Da die nationalen Gerichte insoweit unterschiedliche Auffassungen verträten, sei es erforderlich, den Gerichtshof hierzu zu befragen.

22

Unter diesen Umständen hat die Kúria (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die Verordnung Nr. 1169/2011, insbesondere ihr Art. 18 Abs. 2, dahin auszulegen, dass im Fall des Zusatzes von Vitaminen zu Lebensmitteln bei der Angabe der Lebensmittelzutaten über die Bezeichnung der Vitamine hinaus auch die Bezeichnung der Vitaminverbindungen, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, anzugeben ist?

Zur Vorlagefrage

23

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 1169/2011 unter Berücksichtigung insbesondere ihres Art. 18 Abs. 2 dahin auszulegen ist, dass in dem Fall, dass einem Lebensmittel ein Vitamin zugesetzt wurde, das Zutatenverzeichnis dieses Lebensmittels über die Angabe der Bezeichnung dieses Vitamins hinaus auch die Angabe der Bezeichnung der verwendeten Vitaminverbindung enthalten muss.

24

Hierzu ist zunächst zum einen festzustellen, dass in der Verordnung Nr. 1169/2011 zwischen den Ausdrücken „Zutat“ und „Nährstoff“ unterschieden wird.

25

Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. f dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck „Zutat“ nämlich „jeden Stoff und jedes Erzeugnis, einschließlich Aromen, Lebensmittelzusatzstoffen und Lebensmittelenzymen, sowie jeden Bestandteil einer zusammengesetzten Zutat, der bei der Herstellung oder Zubereitung eines Lebensmittels verwendet wird und der – gegebenenfalls in veränderter Form – im Enderzeugnis vorhanden bleibt“.

26

Parallel dazu heißt es in Art. 2 Abs. 2 Buchst. s der Verordnung, dass der Ausdruck „Nährstoff“„Eiweiße, Kohlenhydrate, Fett, Ballaststoffe, Natrium, Vitamine und Mineralstoffe, die in Anhang XIII Teil A Nummer 1 dieser Verordnung aufgeführt sind“ umfasst.

27

Zum anderen sieht Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und l der Verordnung Nr. 1169/2011 vor, dass die Zutaten und Nährstoffe, die in in der Europäischen Union erzeugten oder in Verkehr gebrachten Lebensmitteln enthalten sind, Gegenstand zweier unterschiedlicher verpflichtender Angaben sind, nämlich eines „Verzeichnisses der Zutaten“ und einer „Nährwertdeklaration“.

28

Die erste der beiden verpflichtenden Angaben muss nach Art. 18 Abs. 1 dieser Verordnung sämtliche Zutaten umfassen, die in dem betreffenden Lebensmittel enthalten sind.

29

Die zweite dieser verpflichtenden Angaben muss gemäß Art. 30 Abs. 1 der Verordnung den Brennwert und die Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz, die in dem betreffenden Lebensmittel enthalten sind, umfassen. Außerdem kann sie nach Art. 30 Abs. 2 durch die Angabe u. a. der in dem Lebensmittel in signifikanter Menge vorhandenen Vitamine ergänzt werden.

30

Daraus folgt, dass Vitamine durch die Verordnung Nr. 1169/2011 grundsätzlich als Nährstoffe eingestuft werden und daher in der Nährwertdeklaration nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. l und Art. 30 dieser Verordnung angegeben werden können, wenn sie in signifikanter Menge in einem Lebensmittel vorhanden sind, ohne dass diese Angabe jedoch zwingend vorgeschrieben wäre.

31

Wie die Generalanwältin in den Nrn. 32 bis 34 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, bedeutet diese Einstufung allerdings nicht, dass Vitamine nicht gleichzeitig Zutaten im Sinne der Verordnung Nr. 1169/2011 darstellen können.

32

Vielmehr umfasst der Ausdruck „Zutat“, wie sich aus Rn. 25 des vorliegenden Urteils ergibt, jedes Erzeugnis, jeden Stoff sowie jeden Bestandteil, das bzw. der bei der Herstellung oder Zubereitung eines Lebensmittels „verwendet“ worden ist und im Enderzeugnis „vorhanden bleibt“, was bei Vitaminen der Fall sein kann.

33

Folglich muss ein Vitamin, wenn es einem Lebensmittel zugesetzt wird, zwingend in dem Zutatenverzeichnis gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und Art. 18 der Verordnung Nr. 1169/2011 angegeben werden. In der Nährwertdeklaration nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. l und Art. 30 dieser Verordnung muss es hingegen nicht unbedingt genannt und quantifiziert werden.

34

Zu der Frage, unter welcher Bezeichnung ein solches Vitamin in das auf dem betreffenden Lebensmittel anzubringende Zutatenverzeichnis aufzunehmen ist, ist festzustellen, dass nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1169/2011 die Zutaten, die in einem Lebensmittel enthalten sind, mit ihrer speziellen Bezeichnung, gegebenenfalls nach Maßgabe der Bestimmungen in Art. 17 dieser Verordnung, zu bezeichnen sind.

35

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1169/2011 unter der Bezeichnung einer Zutat deren rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung oder, falls es keine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung gibt, die verkehrsübliche Bezeichnung dieser Zutat oder, falls es keine solche verkehrsübliche Bezeichnung gibt oder diese nicht verwendet wird, eine beschreibende Bezeichnung zu verstehen ist.

36

Weder der Verweis auf die „spezielle Bezeichnung“ in Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1169/2011 noch der Verweis auf die „rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung“, die „verkehrsübliche Bezeichnung“ und die „beschreibende Bezeichnung“ in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung ermöglichen es jedoch für sich genommen und ohne zusätzliche textliche Präzisierungen, die Bezeichnung zu bestimmen, mit der ein Vitamin, das einem in der Union hergestellten oder in Verkehr gebrachten Lebensmittel zugesetzt wurde, im Zutatenverzeichnis dieses Lebensmittels aufzuführen ist.

37

Unter diesen Umständen sind bei der Auslegung dieser Vorschriften nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs über ihren Wortlaut hinaus auch der Zusammenhang, in dem sie stehen, und die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgten Ziele zu berücksichtigen (Urteile vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41, sowie vom 21. Januar 2021, Deutschland/Esso Raffinage, C‑471/18 P, EU:C:2021:48, Rn. 81).

38

Was als Erstes den Zusammenhang betrifft, in dem die fraglichen Vorschriften stehen, ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1169/2011 in den Buchst. n und o die Ausdrücke „rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung“ und „verkehrsübliche Bezeichnung“ definiert. Der erste Ausdruck verweist auf „die Bezeichnung eines Lebensmittels, die durch die für dieses Lebensmittel geltenden Rechtsvorschriften der Union vorgeschrieben ist, oder, wenn es keine derartigen Unionsvorschriften gibt, die Bezeichnung, welche in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen ist, in dem das Lebensmittel … verkauft wird“, der zweite Ausdruck auf die „Bezeichnung, die von den Verbrauchern in dem Mitgliedstaat, in dem das Lebensmittel verkauft wird, als Bezeichnung dieses Lebensmittels akzeptiert wird, ohne dass eine weitere Erläuterung notwendig wäre“.

39

Zweitens bezieht sich diese Verordnung in Art. 30 Abs. 2 Buchst. f und Anhang XIII Teil A Nr. 1 auf Vitamine, die in der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. l vorgesehenen Nährwertdeklaration angegeben und quantifiziert werden können, wenn sie in signifikanter Menge in einem in der Union erzeugten oder in Verkehr gebrachten Lebensmittel enthalten sind. Wie die Generalanwältin in Nr. 47 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sind die fraglichen Vitamine in Anhang XIII Teil A Nr. 1 allerdings mit Bezeichnungen wie „Vitamin A“, „Vitamin D“ oder „Vitamin E“ aufgeführt, ohne dass vorgesehen wäre, dass diese Bezeichnungen eine unionsrechtlich vorgeschriebene Bezeichnung darstellen.

40

Drittens beziehen sich weder diese Bestimmungen noch irgendeine andere Bestimmung der Verordnung Nr. 1169/2011 auf diese Vitamine unter anderen Bezeichnungen.

41

Viertens sieht die Verordnung Nr. 1925/2006, die die einzelstaatlichen Vorschriften über den Zusatz von Vitaminen, Mineralstoffen und bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln angleicht, in Art. 3 Abs. 1 vor, dass „Lebensmitteln … nur die in Anhang I aufgeführten Vitamine und/oder Mineralstoffe in den in Anhang II aufgeführten Formen … zugesetzt werden [dürfen]“. Wie sich aus dem ersten dieser beiden Anhänge ergibt, entsprechen die Bezeichnungen der verschiedenen in Rede stehenden Vitamine den in Anhang XIII Teil A Nr. 1 der Verordnung Nr. 1169/2011 genannten Bezeichnungen, wie sie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils wiedergegeben sind, wobei jedoch nur die im zweiten dieser Anhänge ausdrücklich aufgezählten Vitaminverbindungen in der Union erzeugten oder in Verkehr gebrachten Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen.

42

Fünftens ist es gleichwohl nicht Zweck der Verordnung Nr. 1925/2006, die Nährwertkennzeichnung oder generell die Information der Verbraucher über das Vorhandensein von Vitaminen in diesen Lebensmitteln zu regeln. Diese Frage ist vielmehr, wie aus Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung eindeutig hervorgeht und von der Generalanwältin in Nr. 45 ihrer Schlussanträge festgestellt wurde, ausschließlich in der Verordnung Nr. 1169/2011 geregelt. Die in Anhang II der Verordnung Nr. 1925/2006 aufgeführten Vitaminverbindungen können daher nicht als zu den in Rn. 39 des vorliegenden Urteils genannten Bezeichnungen hinzukommende Bezeichnungen angesehen werden, zumal in diesem Anhang klargestellt wird, dass es sich nur um andere „Formen“ des jeweiligen Vitamins handelt.

43

Aus der Gesamtheit der vorstehenden Bestimmungen ergibt sich somit, dass Vitamine, die in signifikanter Menge in in der Union erzeugten oder in Verkehr gebrachten Lebensmitteln enthalten sind, in der Verordnung Nr. 1169/2011 zum Zweck ihrer Angabe in der Nährwertdeklaration gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. l, Art. 30 und Anhang XIII dieser Verordnung mit Bezeichnungen wie „Vitamin A“, „Vitamin D“ oder „Vitamin E“ bezeichnet werden.

44

Um eine kohärente Auslegung und Anwendung der verschiedenen Bestimmungen dieser Verordnung zu gewährleisten, ist davon auszugehen, dass solche Vitamine mit denselben Bezeichnungen auch zum Zweck ihrer Angabe im Zutatenverzeichnis gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und Art. 18 der Verordnung bezeichnet werden sollten.

45

Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1169/2011, wie sich aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 ergibt, u. a. darauf abzielt, ein hohes Verbraucherschutzniveau in Bezug auf Informationen über Lebensmittel unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Erwartungen der Verbraucher zu gewährleisten, indem ihnen eine Grundlage für eine fundierte Wahl geboten wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Januar 2022, Tesco Stores ČR, C‑881/19, EU:C:2022:15, Rn. 43 und 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Dieses Ziel kommt insbesondere in dem in Art. 7 Abs. 2 dieser Verordnung festgelegten Erfordernis zum Ausdruck, dass die Informationen, die die Verbraucher über in der Union erzeugte oder in Verkehr gebrachte Lebensmittel erhalten, zutreffend, klar und leicht verständlich sein müssen.

47

Bei der Prüfung dieses Erfordernisses ist nicht nur, wie in Rn. 45 des vorliegenden Urteils erwähnt, zu berücksichtigen, dass die Verbraucher möglicherweise unterschiedliche Erwartungen haben, sondern auch, wie sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, auf einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen (Urteile vom 16. Juli 1998, Gut Springenheide und Tusky, C‑210/96, EU:C:1998:369, Rn. 31, sowie vom 10. September 2009, Severi, C‑446/07, EU:C:2009:530, Rn. 61).

48

Dieses Ziel und dieses Erfordernis stützen die Auslegung in Rn. 44 des vorliegenden Urteils. Dadurch, dass Vitamine in der Nährwertdeklaration und im Zutatenverzeichnis, wie sie in der Verordnung Nr. 1169/2011 vorgesehen sind, kohärent und ausschließlich mit Bezeichnungen wie „Vitamin A“ oder „Vitamin D“ bezeichnet werden, lässt sich nämlich für einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher eine zutreffende, klare und leicht verständliche Information gewährleisten.

49

Umgekehrt könnte es dazu führen, dass diese Information komplexer, technischer und damit für einen Durchschnittsverbraucher weniger klar und weniger leicht verständlich wird, wenn in der Nährwertdeklaration nur diese Bezeichnungen verwendet und parallel dazu die in Anhang II der Verordnung Nr. 1925/2006 aufgeführten relevanten Vitaminverbindungen wie „Retinylacetat“ oder „Cholecalciferol“ zum Zweck ihrer Aufnahme in das Zutatenverzeichnis hinzugefügt würden, da die meisten dieser Vitaminverbindungen für die breite Öffentlichkeit relativ schwer verständlich und wenig bekannt sind.

50

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 1169/2011 unter Berücksichtigung insbesondere ihres Art. 18 Abs. 2 dahin auszulegen ist, dass in dem Fall, dass einem Lebensmittel ein Vitamin zugesetzt wurde, das Zutatenverzeichnis dieses Lebensmittels über die Angabe der Bezeichnung dieses Vitamins hinaus nicht auch die Angabe der Bezeichnung der verwendeten Vitaminverbindung enthalten muss.

Kosten

51

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission ist unter Berücksichtigung insbesondere ihres Art. 18 Abs. 2 dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass einem Lebensmittel ein Vitamin zugesetzt wurde, das Zutatenverzeichnis dieses Lebensmittels über die Angabe der Bezeichnung dieses Vitamins hinaus nicht auch die Angabe der Bezeichnung der verwendeten Vitaminverbindung enthalten muss.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.