URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

12. November 2014 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts — Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Zuständigkeit in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung — Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 — Art. 12 Abs. 3 — Kind unverheirateter Eltern — Zuständigkeitsvereinbarung — Fehlen eines anderen anhängigen und im Zusammenhang stehenden Verfahrens — Anerkennung der Zuständigkeit — Bestreiten der Zuständigkeit eines Gerichts durch eine Partei, die dasselbe Gericht angerufen hat“

In der Rechtssache C‑656/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 12. November 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Dezember 2013, in dem Verfahren

L

gegen

M,

Beteiligte:

R,

K,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Herrn M, vertreten durch E. Zajíčková, advokátka,

von R und K, vertreten durch Z. Kapitán, advokát,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A.‑M. Rouchaud-Joët und J. Hradil als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau L, der Mutter der Kinder R und K, und Herrn M, dem Vater dieser Kinder, über die Sorge für diese Kinder, die sich mit ihrer Mutter in Österreich befinden, während ihr Vater in der Tschechischen Republik lebt.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 2201/2003

3

Die Erwägungsgründe 5 und 12 der Verordnung Nr. 2201/2003 lauten:

„(5)

Um die Gleichbehandlung aller Kinder sicherzustellen, gilt diese Verordnung für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht.

...

(12)

Die in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften wurden dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Die Zuständigkeit sollte vorzugsweise dem Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten sein außer in bestimmten Fällen, in denen sich der Aufenthaltsort des Kindes geändert hat oder in denen die Träger der elterlichen Verantwortung etwas anderes vereinbart haben.“

4

Art. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 legt den Anwendungsbereich dieser Verordnung fest. Er sieht insbesondere vor:

„(1)   Diese Verordnung gilt ... für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

...

b)

die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.

(2)   Die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere:

a)

das Sorgerecht und das Umgangsrecht,

...

(3)   Diese Verordnung gilt nicht für

...

e)

Unterhaltspflichten,

...“

5

In Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 2201/2003 wird „elterliche Verantwortung“ für die Zwecke dieser Verordnung definiert als „die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht“.

6

Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 2201/2003 besteht aus drei Abschnitten. Abschnitt 1 („Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und Ungültigerklärung einer Ehe“) dieses Kapitels enthält die Art. 3 bis 7. In Art. 3 werden die Kriterien angeführt, nach denen die Gerichte der Mitgliedstaaten, die für Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder die Ungültigerklärung einer Ehe zuständig sind, in erster Linie zu bestimmen sind. In Art. 7 wird die Restzuständigkeit für Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder die Ungültigerklärung einer Ehe behandelt.

7

Abschnitt 2 des Kapitels II der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, enthält die Art. 8 bis 15. Art. 8 („Allgemeine Zuständigkeit“) bestimmt:

„(1)   Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2)   Absatz 1 findet vorbehaltlich der Artikel 9, 10 und 12 Anwendung.“

8

Art. 12 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 2201/2003 sieht in Abs. 1 vor, dass „[d]ie Gerichte des Mitgliedstaats, in dem nach Artikel 3 über einen Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zu entscheiden ist, ... für alle Entscheidungen zuständig [sind], die die mit diesem Antrag verbundene elterliche Verantwortung betreffen“, wenn die dort aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind.

9

Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„Die Zuständigkeit gemäß Absatz 1 endet,

a)

sobald die stattgebende oder abweisende Entscheidung über den Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe rechtskräftig geworden ist,

b)

oder in den Fällen, in denen zu dem unter Buchstabe a) genannten Zeitpunkt noch ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung anhängig ist, sobald die Entscheidung in diesem Verfahren rechtskräftig geworden ist,

c)

oder sobald die unter den Buchstaben a) und b) genannten Verfahren aus einem anderen Grund beendet worden sind.“

10

Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 lautet:

„Die Gerichte eines Mitgliedstaats sind ebenfalls zuständig in Bezug auf die elterliche Verantwortung in anderen als den in Absatz 1 genannten Verfahren, wenn

a)

eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt,

und

b)

alle Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt haben und die Zuständigkeit in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.“

11

In Art. 15 („Verweisung an ein Gericht, das den Fall besser beurteilen kann“) der Verordnung Nr. 2201/2003 werden die Voraussetzungen genannt, unter denen in Ausnahmefällen das Gericht eines Mitgliedstaats, das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist, den Fall oder einen bestimmten Teil des Falls an ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, zu dem das Kind eine besondere Bindung hat, verweisen kann, wenn dieses Gericht den Fall seines Erachtens besser beurteilen kann.

12

Art. 16 („Anrufung eines Gerichts“) der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„Ein Gericht gilt als angerufen

a)

zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht wurde, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken,

oder

b)

falls die Zustellung an den Antragsgegner vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen.“

Verordnung (EG) Nr. 4/2009

13

Die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. 2009, L 7, S. 1, und – Berichtigung – ABl. 2011, L 131, S. 26) findet nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Anwendung „auf Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen“.

14

Art. 3 („Allgemeine Bestimmungen“) der Verordnung Nr. 4/2009 lautet:

„Zuständig für Entscheidungen in Unterhaltssachen in den Mitgliedstaaten ist

...

d)

das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien.“

Tschechisches Recht

15

§ 39 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 97/1963 über das internationale Privat- und Prozessrecht bestimmt:

„In Verfahren betreffend die Personensorge und den Unterhalt für Minderjährige und in anderen sie betreffenden Rechtssachen ist, wenn sie tschechoslowakische Staatsangehörige sind, auch dann die Zuständigkeit der tschechoslowakischen Gerichte gegeben, wenn sie im Ausland leben. ...“

16

§ 104 Abs. 1 der Zivilprozessordnung sieht vor:

„Handelt es sich um ein solches Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung, das nicht beseitigt werden kann, stellt das Gericht das Verfahren ein. Fällt die Rechtssache nicht in die Zuständigkeit des Gerichts oder hat ein anderes Verfahren Vorrang, leitet das Gericht die Rechtssache nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses über die Verfahrenseinstellung an die zuständige Stelle weiter; die mit der Klageerhebung (dem Antrag auf Verfahrenseinleitung) verbundenen Rechtswirkungen bleiben dabei erhalten.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Frau L und Herr M, die ein unverheiratetes Paar waren, zusammen zwei Kinder haben, R und K. Diese beiden Kinder sind in der Tschechischen Republik geboren und haben die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats. Bis Februar 2010 lebten die Eltern und ihre Kinder in der Tschechischen Republik. Ab Februar 2010 arbeitete Frau L in Österreich, und die Kinder lebten abwechselnd mit ihrer Mutter und mit ihrem Vater, der in Český Krumlov (Krumau, Tschechische Republik) lebt und arbeitet.

18

Am 20. Mai 2012 meldete Frau L die Kinder mit Wohnsitz in Österreich an, und im September 2012 teilte sie Herrn M mit, dass die Kinder nicht in die Tschechische Republik zurückkehren würden. Zu dieser Zeit wurden die Kinder in Österreich eingeschult. Die Frage, ob der Umzug der Kinder nach Österreich mit dem Einverständnis von Herrn M erfolgt war, ist im Verfahren über die Sorge für die Kinder streitig.

19

Am 26. Oktober 2012 stellte Herr M beim Okresní soud (Bezirksgericht) von Český Krumlov einen Antrag auf „Regelung der Eltern-Kind-Verhältnisse“, um die Sorge für die Kinder und Unterhalt zu erhalten.

20

Am 28. Oktober 2012 gab Herr M Frau L die Kinder, die bei ihm zu Besuch waren, entgegen einer mit Frau L getroffenen Vereinbarung nicht zurück.

21

Am 29. Oktober 2012 stellte Frau L ebenfalls einen Antrag beim Okresní soud von Český Krumlov, um die Sorge für die Kinder und Unterhalt zu erhalten. Später stellte sie einen entsprechenden Antrag bei den österreichischen Gerichten.

22

Am 1. November 2012 kehrten die Kinder aufgrund einer einstweiligen Anordnung des Okresní soud von Český Krumlov zu ihrer Mutter nach Österreich zurück und besuchen dort seither die Schule. Mit Entscheidung vom 12. Dezember 2012 bestätigte der Krajský soud (Regionalgericht) von České Budějovice (Budweis, Tschechische Republik) diese einstweilige Anordnung.

23

Mit Entscheidung vom 1. Februar 2013 stellte der Okresní soud von Český Krumlov seine Unzuständigkeit fest und stellte das Verfahren nach § 104 Abs. 1 der Zivilprozessordnung ein, und zwar mit der Begründung, dass, da die Kinder zur Zeit seiner Anrufung in Österreich wohnhaft gewesen seien, nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 die österreichischen Gerichte zuständig seien.

24

Am 19. März 2013 ging bei der österreichischen zentralen Behörde auf Veranlassung von Herrn M ein Antrag auf Rückgabe der Kinder in Anwendung des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Vertragssammlung der Vereinten Nationen, Bd. 1343, Nr. 22514) ein.

25

Mit Entscheidung vom 11. April 2013 änderte der Krajský soud von České Budějovice die Entscheidung des Okresní soud von Český Krumlov vom 1. Februar 2013 dahin gehend ab, dass das Verfahren nicht eingestellt wird. Dieses Gericht war der Auffassung, dass die internationale Zuständigkeit der tschechischen Gerichte durch Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 begründet werde, da eine wesentliche Bindung der Kinder zu der Tschechischen Republik bestehe, beide Eltern – wie auch der im Rahmen des Verfahrens später bestellte Vertreter der Kindesinteressen – die internationale Zuständigkeit dieser Gerichte akzeptiert hätten und die Zuständigkeit des Okresní soud von Český Krumlov in Einklang mit dem Wohl des Kindes stehe.

26

Was insbesondere die Frage der Anerkennung der internationalen Zuständigkeit der tschechischen Gerichte betrifft, führte der Krajský soud von České Budějovice aus, dass der Antrag von Herrn M vom 26. Oktober 2012 bei einem tschechischen Gericht gestellt worden sei, dass Frau L selbst bei demselben Gericht einen Antrag gestellt habe und dass sie erst später geltend gemacht habe, dass Herr M die österreichischen Gerichte hätte anrufen müssen, und einen Antrag bei einem österreichischen Gericht gestellt habe.

27

Frau L legte bei dem vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde gegen diese Entscheidung ein und beantragte, die Durchführung der Entscheidung des Krajský soud von České Budějovice auszusetzen. Diesem Antrag wurde mit Entscheidung vom 31. Juli 2013 stattgegeben.

28

Zur Stützung ihres Rechtsmittels trägt Frau L insbesondere vor, dass die in Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehene Voraussetzung der Anerkennung der internationalen Zuständigkeit der tschechischen Gerichte im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei. Sie habe ihren Antrag beim Okresní soud von Český Krumlov auf Anraten des tschechischen Amts für den sozialrechtlichen Schutz von Kindern gestellt, weil sie nicht gewusst habe, wo sich ihre Kinder befänden. Sie habe auch die zuständigen Stellen in Österreich befasst und ab dem 31. Oktober 2012, nachdem sie von dem gesamten Sachverhalt Kenntnis erhalten habe, klar zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der internationalen Zuständigkeit der tschechischen Gerichte nicht einverstanden sei.

29

Das vorlegende Gericht legt dar, dass einerseits mit einer Auslegung, die zwar sehr restriktiv sei, aber eine volle Wirksamkeit von Art. 15 der Verordnung Nr. 2201/2003 gewährleisten könne, angenommen werden könne, dass Art. 12 Abs. 3 dieser Verordnung nach dem Muster von Abs. 1 dieses Artikels eine Zuständigkeitsvereinbarung nur zugunsten eines Gerichts ermögliche, das bereits mit einem Antrag auf Ehescheidung oder Ungültigerklärung einer Ehe befasst sei, und zwar in Fällen, in denen seine Zuständigkeit auf Art. 7 dieser Verordnung gestützt werde. Andererseits sei denkbar, dass Art. 12 Abs. 3 selbst dann anwendbar sein könne, wenn es kein anderes Verfahren gebe, das im Zusammenhang mit dem Verfahren über die Sorge für die Kinder stehe.

30

Im Übrigen fragt sich dieses Gericht, ob man unter den Umständen des vorliegenden Falls davon ausgehen könne, dass Frau L die Zuständigkeit der tschechischen Gerichte „ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ habe. Es gibt an, dass der Krajský soud von České Budějovice seine Schlussfolgerung hinsichtlich der Anerkennung der Zuständigkeit der tschechischen Gerichte durch Frau L auf den von ihr am 29. Oktober 2012 beim Okresní soud von Český Krumlov gestellten Antrag gestützt habe. Das vorlegende Gericht legt allerdings dar, dass ihm die Eindeutigkeit dieser Willensäußerung nicht ersichtlich sei. Insbesondere erscheine es angesichts der Umstände der Rechtssache glaubhaft, dass Frau L beim Okresní soud von Český Krumlov einen Antrag nur deshalb gestellt habe, um Informationen zur Situation ihrer Kinder zu erhalten. Daher könne hier keine solche Anerkennung vorliegen. Dazu weist es auch darauf hin, dass Frau L bei der ersten von ihr in dem von Herrn M angestrengten Verfahren vorzunehmenden Handlung die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts geltend gemacht habe.

31

Der Nejvyšší soud (Oberstes Gericht) hat festgestellt, dass sich der Gerichtshof noch nicht zur Auslegung von Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 geäußert habe, und hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.   Ist Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 in der Weise auszulegen, dass er auch dann die Zuständigkeit in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung begründet, wenn kein weiteres damit zusammenhängendes Verfahren (d. h. ein „andere[s] als d[ie] in Absatz 1 genannten Verfahren“) anhängig ist?

2.   Falls die erste Frage zu bejahen ist:

Ist Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 in der Weise auszulegen, dass unter einer ausdrücklichen oder anderen eindeutigen Anerkennung der Zuständigkeit auch der Fall zu verstehen ist, wenn eine Partei, die das Verfahren nicht eingeleitet hat, einen eigenständigen Antrag auf Verfahrenseinleitung in derselben Sache stellt, jedoch unmittelbar darauf durch ihre erste Prozesshandlung die Unzuständigkeit des Gerichts im zuvor durch die andere Partei eingeleiteten Verfahren einwendet?

Verfahren vor dem Gerichtshof

32

Auf den Antrag des vorlegenden Gerichts hin hat die bestimmte Kammer die Notwendigkeit geprüft, die vorliegende Rechtssache dem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 107 der Verfahrensordnung zu unterwerfen. Diese Kammer hat nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, dem Antrag nicht stattzugeben.

33

Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 8. Januar 2014 wurde für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen eine vorrangige Behandlung gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung vorgesehen.

Zu den Vorlagefragen

34

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 2201/2003 der Begriff der elterlichen Verantwortung die gesamten Rechte und Pflichten umfasst, die insbesondere einer natürlichen Person durch gerichtliche Entscheidung oder kraft Gesetzes betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden, wozu namentlich das Sorge- und das Umgangsrecht gehören. Da Frau L und Herr M insbesondere über das Sorgerecht für ihre Kinder streiten, fällt der Ausgangsrechtsstreit gemäß Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung in deren Anwendungsbereich.

35

Dass das Ausgangsverfahren auch einen Antrag auf Unterhalt betrifft, ist insoweit ohne Bedeutung. Zwar sind nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 2201/2003 Unterhaltspflichten vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen. Allerdings sieht Art. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 4/2009 vor, dass für Entscheidungen in Unterhaltssachen in den Mitgliedstaaten das Gericht zuständig sein kann, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien. In Anwendung dieser Bestimmung ist das nach Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 zuständige Gericht grundsätzlich auch für die Entscheidung über einen Antrag auf Unterhalt zuständig, der eine Nebensache zu einer bei ihm anhängigen Klage in Bezug auf die elterliche Verantwortung darstellt.

Zur ersten Frage

36

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 in der Weise auszulegen ist, dass damit für ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung die Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats, der nicht der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ist, begründet werden kann, auch wenn bei dem gewählten Gericht kein anderes Verfahren anhängig ist.

37

Herr M, der Vertreter von R und K sowie die tschechische und die polnische Regierung machen geltend, dass diese Frage zu bejahen sei. Die Europäische Kommission trägt dagegen vor, dass sie zu verneinen sei, und erklärt dazu, dass das anhängige Verfahren, mit dem das Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung im Zusammenhang stehe, ein anderes Verfahren als die in Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 genannten sein müsse.

38

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile Merck, 292/82, EU:C:1983:335, Rn. 12, sowie Detiček, C‑403/09 PPU, EU:C:2009:810, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 die Gerichte eines Mitgliedstaats in Bezug auf die elterliche Verantwortung „in anderen als den in Absatz 1 genannten Verfahren“ zuständig sind, wenn zum einen eine wesentliche Bindung des Kindes zu diesem Mitgliedstaat besteht, insbesondere weil einer der Träger der elterlichen Verantwortung in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt, und zum anderen alle Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts die Zuständigkeit ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt haben und die Zuständigkeit in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht. Art. 12 Abs. 1 bestimmt, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem nach Art. 3 über einen Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder Ungültigerklärung einer Ehe zu entscheiden ist, für alle Entscheidungen zuständig sind, die die mit diesem Antrag verbundene elterliche Verantwortung betreffen, wenn die dort aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind.

40

Allein anhand des Wortlauts von Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 lässt sich somit nicht klären, ob das Gericht, dessen Zuständigkeit vereinbart werden soll, bereits mit einem anderen Verfahren befasst sein muss, damit eine Zuständigkeitsvereinbarung nach dieser Bestimmung möglich ist.

41

Allerdings ist in Bezug auf den Zusammenhang von Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung zusammen mit Art. 12 Abs. 1 eine der beiden mit der Verordnung Nr. 2201/2003 eröffneten Möglichkeiten darstellt, im Bereich der elterlichen Verantwortung eine Zuständigkeit zu vereinbaren.

42

Was Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 betrifft, geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung klar hervor, dass die damit eröffnete Möglichkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung nur zugunsten der Gerichte des Mitgliedstaats zum Tragen kommen kann, in dem nach Art. 3 derselben Verordnung über einen Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder Ungültigerklärung einer Ehe zu entscheiden ist. In Art. 12 Abs. 2 wird sodann geregelt, wann die Zuständigkeit nach Abs. 1 endet, nämlich dann, wenn die stattgebende oder abweisende Entscheidung über den Antrag auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder Ungültigerklärung einer Ehe rechtskräftig geworden ist oder – in den Fällen, in denen zu dem vorstehend genannten Zeitpunkt noch ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung anhängig ist – wenn die Entscheidung in diesem Verfahren rechtskräftig geworden ist oder wenn die Verfahren in den beiden vorstehend genannten Fällen aus einem anderen Grund beendet worden sind.

43

In Bezug auf die mit Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 eröffnete Möglichkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung ist indessen keine Bestimmung vorgesehen, die diesem Abs. 2 entspräche.

44

Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die nach Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 vereinbarte Zuständigkeit eines von den Trägern der elterlichen Verantwortung einvernehmlich angerufenen Gerichts eines Mitgliedstaats für Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung mit dem Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung in dem entsprechenden Verfahren erlischt (Urteil E, C‑436/13, EU:C:2014:2246, Rn. 50). Das bedeutet, dass die Zuständigkeit des gewählten Gerichts auch für nur dieses Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung vereinbart werden kann.

45

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die in Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 im Bereich der elterlichen Verantwortung vorgesehene Zuständigkeitsvereinbarung zur Anwendung kommen kann, ohne dass das Verfahren in diesem Bereich mit einem anderen, bei dem Gericht, dessen Zuständigkeit vereinbart werden soll, bereits anhängigen Verfahren im Zusammenhang stehen muss.

46

Nur mit dieser Auslegung lässt sich die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung wahren. Wenn nämlich ihr Anwendungsbereich auf Situationen beschränkt würde, in denen das Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung mit einem anderen, bereits anhängigen Verfahren verknüpft werden kann, würden die Möglichkeiten, auf eine entsprechende Zuständigkeitsvereinbarung zurückzugreifen, erheblich reduziert, wenn man bedenkt, dass sich die Notwendigkeit, ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung einzuleiten, unabhängig von jedem anderen Verfahren ergeben kann.

47

Auch die Beachtung der mit der Verordnung Nr. 2201/2003 verfolgten Ziele lässt sich nur mit dieser Auslegung gewährleisten.

48

So sind zum einen die in der Verordnung Nr. 2201/2003 festgelegten Zuständigkeitsvorschriften nach ihrem zwölften Erwägungsgrund dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Daraus folgt, dass die Verordnung auf der Leitidee beruht, dass dem Kindeswohl der Vorrang gebührt (vgl. in diesem Sinne Urteil Rinau, C‑195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 51). Wenn indessen, wie bereits in Rn. 46 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Möglichkeit, auf die in Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehene Zuständigkeitsvereinbarung zurückzugreifen, auf Situationen beschränkt würde, in denen das Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung mit einem anderen Verfahren verknüpft werden kann, würde die Möglichkeit, auf eine solche Vereinbarung zurückzugreifen, in zahlreichen Fallgestaltungen ausgeschlossen, obwohl die entsprechende Zuständigkeitsvereinbarung dem Wohl des betroffenen Kindes dienen könnte.

49

Insoweit ist hervorzuheben, dass, wie sich aus Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 ergibt – der in jedem Fall die Anwendbarkeit der in diesem Absatz vorgesehenen Zuständigkeitsvereinbarung nicht nur von der ausdrücklichen oder auf andere Weise eindeutigen Anerkennung aller Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, sondern auch davon abhängig macht, dass die Zuständigkeit der Gerichte des gewählten Mitgliedstaats in Einklang mit dem Wohl des Kindes steht –, der Rückgriff auf eine solche Vereinbarung in keinem Fall im Widerspruch zum Kindeswohl stehen kann.

50

Zum anderen gilt die Verordnung Nr. 2201/2003 nach ihrem fünften Erwägungsgrund, um die Gleichbehandlung aller Kinder sicherzustellen, für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht. Ein Ausschluss jeder Möglichkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung im Bereich der elterlichen Verantwortung allein deshalb, weil das betreffende Verfahren nicht mit einem anderen, bereits anhängigen Verfahren verknüpft werden kann, würde die vollständige Verwirklichung dieses Zieles beeinträchtigen. So verhielte es sich insbesondere dann, wenn die Wendung „in anderen als den in Absatz 1 genannten Verfahren“ im Sinne von Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 entsprechend dem Vorschlag des vorlegenden Gerichts dahin verstanden würde, dass damit auf Anträge auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder Ungültigerklärung einer Ehe abgestellt wird, für die die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats nicht durch Art. 3 dieser Verordnung begründet wurde, sondern durch eine andere in dieser Verordnung vorgesehene Zuständigkeitsvorschrift. Mit einer solchen Auslegung würde nämlich für Fragen betreffend die elterliche Verantwortung bei Kindern von Eltern, die nie verheiratet waren oder bereits geschieden sind oder getrennt leben oder deren Ehe für ungültig erklärt wurde, jede Möglichkeit einer Zuständigkeitsvereinbarung in Anwendung von Art. 12 Abs. 3 ausgeschlossen, was im Widerspruch zum Ziel der Gleichbehandlung aller Kinder stünde.

51

Im Übrigen ist die in Rn. 45 des vorliegenden Urteils dargelegte Auslegung nicht – wie das vorlegende Gericht meint – dazu angetan, die praktische Wirksamkeit von Art. 15 der Verordnung Nr. 2201/2003 zu beeinträchtigen, da es in diesem Artikel heißt, dass er nur „[i]n Ausnahmefällen“ zur Anwendung kommt. Damit ließen sich somit nicht die Lücken schließen, die sich hinsichtlich der Verwirklichung der mit der Verordnung Nr. 2201/2003 verfolgten Ziele aus einer Auslegung von Art. 12 Abs. 3 dieser Verordnung ergäben, mit der die Anwendbarkeit dieser Bestimmung bei Fehlen eines bereits anhängigen Verfahrens, mit dem das Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung verknüpft werden kann, ausgeschlossen wird.

52

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 in der Weise auszulegen ist, dass damit für ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung die Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats, der nicht der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ist, begründet werden kann, auch wenn bei dem gewählten Gericht kein anderes Verfahren anhängig ist.

Zur zweiten Frage

53

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 in der Weise auszulegen ist, dass die Zuständigkeit des von einer Partei angerufenen Gerichts für ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung im Sinne dieser Bestimmung von „alle[n] Parteien des Verfahrens … ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ wurde, wenn die in diesem ersten Verfahren beklagte Partei vor demselben Gericht später ein anderes Verfahren anhängig macht und im Rahmen der ersten von ihr in dem ersten Verfahren vorzunehmenden Handlung die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend macht.

54

Herr M sowie der Vertreter von R und K meinen, dass diese Frage zu bejahen sei, während die tschechische Regierung und die Kommission die gegenteilige Ansicht vertreten.

55

Nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 muss die Zuständigkeit des gewählten Gerichts von „alle[n] Parteien des Verfahrens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ... ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ worden sein. Art. 16 dieser Verordnung regelt, dass ein Gericht grundsätzlich zu dem Zeitpunkt als angerufen gilt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei ihm eingereicht wurde.

56

Der klare Wortlaut der genannten Bestimmung gibt somit im Licht von Art. 16 vor, dass spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei dem gewählten Gericht eingereicht wird, das Bestehen einer ausdrücklichen oder zumindest eindeutigen Vereinbarung zwischen allen Parteien des Verfahrens über die Zuständigkeit dieses Gerichts nachgewiesen werden muss.

57

Das ist offensichtlich nicht der Fall, wenn das fragliche Gericht nur von einer der Parteien des Verfahrens angerufen wird, eine andere Partei des Verfahrens dasselbe Gericht zu einem späteren Zeitpunkt mit einem anderen Verfahren befasst und diese andere Partei ab der ersten von ihr in dem ersten Verfahren vorzunehmenden Handlung die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestreitet.

58

Zu ergänzen ist, dass dann, wenn ein Gericht mit einem Verfahren nach Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 befasst wird, das Kindeswohl nur dadurch gewährleistet werden kann, dass in jedem Einzelfall geprüft wird, ob die gewollte Zuständigkeitsvereinbarung mit dem Kindeswohl vereinbar ist, und dass eine Zuständigkeitsvereinbarung auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 nur für das spezielle Verfahren gilt, für das das Gericht, dessen Zuständigkeit vereinbart wurde, angerufen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil E, EU:C:2014:2246, Rn. 47 und 49).

59

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 in der Weise auszulegen ist, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Zuständigkeit des von einer Partei angerufenen Gerichts für ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung im Sinne dieser Bestimmung von „alle[n] Parteien des Verfahrens … ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ wurde, wenn die in diesem ersten Verfahren beklagte Partei vor demselben Gericht später ein anderes Verfahren anhängig macht und im Rahmen der ersten von ihr in dem ersten Verfahren vorzunehmenden Handlung die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend macht.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 12 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist in der Weise auszulegen, dass damit für ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung die Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats, der nicht der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ist, begründet werden kann, auch wenn bei dem gewählten Gericht kein anderes Verfahren anhängig ist.

 

2.

Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 2201/2003 ist in der Weise auszulegen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Zuständigkeit des von einer Partei angerufenen Gerichts für ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung im Sinne dieser Bestimmung von „alle[n] Parteien des Verfahrens … ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ wurde, wenn die in diesem ersten Verfahren beklagte Partei vor demselben Gericht später ein anderes Verfahren anhängig macht und im Rahmen der ersten von ihr in dem ersten Verfahren vorzunehmenden Handlung die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend macht.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Tschechisch.