19.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister“

KOM(2010) 484 endg. — 2010/0250 (COD)

(2011/C 54/14)

Hauptberichterstatter: Edgardo Maria IOZIA

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 13. Oktober 2010 bzw. am 7. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister“

KOM(2010) 484 endg. - 2010/0250 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 20. Oktober 2010 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 467. Plenartagung am 8./9. Dezember 2010 (Sitzung vom 8. Dezember), Edgardo Maria IOZIA zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 144 gegen 4 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Bemerkungen und Empfehlungen

1.1   Der Nominalwert aller Derivate zusammengenommen belief sich Ende 2009 laut Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) auf ca. 615 Billionen USD (615 000 000 000 000), d.h. mehr als das Zehnfache des globalen BIP. 2010 werden die Banken voraussichtlich bis zu 150 Milliarden USD Gewinne aus diesen Derivaten erzielen. 40 % dieses Umsatzes entfällt auf außerbörslich gehandelte Derivate („over the counter“ – OTC-Derivate). Der jüngsten Studie einer großen weltweit operierenden Bankengruppe zufolge werden die künftigen Reformen des außerbörslichen Handels in Europa und den USA zu Mindereinnahmen von mindestens 15 Milliarden USD führen.

1.2   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag für eine Verordnung über Derivate, den außerbörslichen Handel, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister. Er teilt die Ansicht von Kommissionsmitglied Michel Barnier, der unlängst erklärte: „Auf den Finanzmärkten darf es nicht zugehen wie im Wilden Westen. OTC-Derivate haben große Auswirkungen auf die Realwirtschaft und beeinflussen die Hypothekenzinssätze ebenso wie die Lebensmittelpreise. Das Fehlen jeglichen Regelungsrahmens für OTC-Derivate war Mitursache der Finanzkrise und ihrer schweren Folgen, unter denen wir alle leiden.“

1.3   Die Entscheidung, für die Regulierung dieses Bereichs eine Verordnung zu erlassen, ist angemessen und entspricht dem Erfordernis, allgemeine und einheitliche Pflichten für alle Akteure des Sektors einzuführen.

1.4   Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission, dass standardisierte OTC-Derivate grundsätzlich über eine zentrale Gegenpartei (CCP) abgewickelt werden müssen und dass die CCPs – die infolgedessen erhebliche Risiken eingehen – einheitlichen Aufsichtsregeln unterliegen sollten. Dies wurde im Übrigen bereits in einer früheren Stellungnahme des EWSA empfohlen: „Der OTC-Markt sollte nicht für den bilateralen Handel offenstehen, sondern ausschließlich mit einer zentralen Gegenpartei abgewickelt werden, die durch die Überwachung des Gesamtrisikos für zu stark gefährdete Parteien den Zugang zu den Transaktionen begrenzen kann. Außerdem sollten die Transaktionen entweder über eine einzige Plattform oder höchstens eine festgelegte Anzahl von Plattformen abgewickelt werden, um die Transparenz der Märkte zu verbessern.“

1.5   Der Ausschuss betrachtet es als sehr positiv, dass die Zuständigkeit für die Überwachung der Märkte für außerbörsliche gehandelte Derivate (OTC-Derivate), die Ermittlung der einzelnen zentral abzuwickelnden Derivatekategorien, die Erteilung bzw. der Entzug und die Änderung von Zulassungen für CCPs und ähnliche Befugnisse bezüglich Transaktionsregistern den nationalen Behörden und der ESMA zusammen übertragen werden.

1.6   Er hält es für unbedingt erforderlich, die Zusammenarbeit zwischen der ESMA und den einzelstaatlichen Behörden zu verstärken, da letztere sicherlich herangezogen werden, um ihre Erfahrungen und ihre Kenntnis der lokalen Märkte beizusteuern und zur allmählichen Steigerung der Interoperabilität zwischen den einzelnen CCPs beizutragen, indem sie deren Kompetenzniveau, interne Organisation und Fähigkeit zur Bewältigung von Risiken bewerten. Der Ausschuss hält die Entscheidung, die Interoperabilität zunächst auf Kassageschäfte zu beschränken, für zweckmäßig.

1.7   Mit dem Vorschlag für eine Verordnung werden die Empfehlungen des Financial Stability Board (Rat für Finanzstabilität, FSB) umgesetzt, wonach die Pflicht zur Abwicklung über eine zentrale Gegenpartei auf alle standardisierten OTC-Derivatekontrakte ausgedehnt werden sollte. Die G20-Staatengruppe hat festgelegt, dass diese Kontrakte spätestens Ende 2012 an Börsen bzw. elektronischen Handelsplattformen gehandelt und über CCPs gecleart werden müssen. Zudem müssen OTC-Derivatekontrakte an Transaktionsregister gemeldet werden.

1.8   Auf internationaler Ebene hat die gemeinsame CPSS-IOSCO-Arbeitsgruppe im Februar 2010 eine umfassende Überarbeitung der Standards für Marktinfrastrukturen (Zahlungs- und Wertpapierabrechnungssysteme sowie zentrale Gegenparteien) eingeleitet. Damit sollen die derzeitigen Grundsätze bzw. Empfehlungen auf den neuesten Stand gebracht und gestärkt werden, um den Lehren aus der jüngsten Finanzkrise Rechnung zu tragen. Als erstes wichtiges Ergebnis dieser Arbeiten wurden im Mai 2010 Empfehlungen für Transaktionsregister auf OTC-Derivatenmärkten (Considerations for trade repositories in OTC derivatives market) vorgelegt. Im Hinblick auf die Rolle der CCPs hatte der Technische Ausschuss der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (International Organization of Securities Commissions) bereits im März 2004 sinnvolle Empfehlungen vorgelegt, die leider unberücksichtigt blieben.

1.9   Der Vorschlag der Kommission enthält keine gesonderte Bestimmung über Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps – CDS). Der EWSA wünscht den baldigen Erlass einer weiteren Rechtsvorschrift über CDS, für die - ebenso wie für Leerverkäufe – ab dem 1. Juli 2012 Restriktionen festgelegt werden, während dies bei Derivaten spätestens Ende 2012 erfolgt.

1.10   Im Oktober 2009 hat die Kommission eine Mitteilung über die künftigen Maßnahmen zur Regulierung des Derivatemarkts veröffentlicht. Damit sollen die Transparenz verbessert, die operationellen Risiken durch Standardisierung verringert und Märkte für standardisierte Kontrakte entwickelt werden, wobei die MiFID-Richtlinie entsprechend zu ändern ist.

1.11   Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass die vorgeschlagenen Verfahren die Markttransparenz verbessern werden, vor allem durch die wachsende Bedeutung der Transaktionsregister, womit die Gegenparteiausfallrisiken durch eine allmähliche Zunahme der über CCPs abgewickelten Geschäfte verringert werden. Die CCPs werden ihrerseits strengeren Vorschriften hinsichtlich ihrer Verwaltung, internen Organisation und Kapitalanforderungen unterworfen, wodurch die operationellen Risiken sinken. Dazu kommen elektronische Abwicklungsverfahren zur Bestätigung der Bedingungen der OTC-Derivatekontrakte zur Anwendung.

1.12   Der EWSA erklärt sich sowohl mit dem Vorschlag bezüglich der zentralen Gegenparteien als auch mit der Beschränkung von Leerverkäufen einverstanden. Es gehört zu den Zielen der Kommission, für die Transparenz der Transaktionen und die Eigenverantwortung und Rechenschaft der Marktteilnehmer und Gegenparteien zu sorgen sowie zügellosen Spekulationen Einhalt zu gebieten. Die Kommission verfolgt diese Ziele auf wirksame Art und Weise, indem sie geeignete Maßnahmen auf den Weg bringt, um die bestehende Regelungslücke, die ja Mitursache der Finanzkrise war, zumindest zum Teil zu schließen.

Der Ausschuss gibt jedoch zu bedenken, dass damit auch nicht zu unterschätzende Risiken verbunden sind, so z. B. übersteigerte Erwartungen an die kurzfristigen positiven Auswirkungen der CCPs auf die CDS-Märkte. Die wettbewerbsorientierte Aktivität der verschiedenen CCPs im Clearinggeschäft und bei der Fragmentierung des gesamten Prozessesdarf ebenso wenig übersehen werden wie das Risiko einer Einschränkung der Palette zur Verfügung stehender Derivate und eines Anstiegs der Transaktionskosten für Finanzgeschäfte.

1.13.1   Um solchen Risiken wirkungsvoll zu begegnen, sollten vor allem die Fragen der Interoperationalität der CCP, die Vertraulichkeit des Datenaustausches, der Konzentration der Datensammlung und Meldepflichten bei der zentralen Gegenpartei und die Einbeziehung der Kunden bei der Governance der CCP sorgfältig geprüft werden.

1.14   Der EWSA empfiehlt den europäischen Institutionen:

die Verordnung über OTC-Derivate alsbald zu erlassen, um das Vertrauen in die Märkte wiederherzustellen, für Besonnenheit zu sorgen und die Sparer zu schützen;

die neuen Vorschriften über Derivate wie von der Kommission angekündigt zu ergänzen;

für die Vervollständigung der Reform der Finanzmarktregulierung auf institutioneller Ebene und bei den Rechtsvorschriften zu sorgen und diesen Prozess zu beschleunigen.

2.   Der Vorschlag der Kommission

2.1   Die G-20-Staatengruppe hat wiederholt bekräftigt, dass sie die Einführung weitreichender Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz und zur Schließung der Regelungslücke bei OTC-Derivaten beschleunigen will.

2.2   In der vorgeschlagenen Verordnung werden zahlreiche Maßnahmen aufgeführt, die auch in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Juni 2010 zu „Derivatemärkten – Künftige politische Maßnahmen“ empfohlen werden; der Verordnungsvorschlag liegt zudem auf einer Linie mit dem diesbezüglichen US-amerikanischen Gesetz, dem jüngst verabschiedeten Frank-Dodd Act.

2.3   Im Bereich Clearing, Meldepflicht und Risikominderung für OTC-Derivate ist das Clearing über CCPs allein für standardisierte OTC-Kontrakte vorgesehen. Um sicherzustellen, dass möglichst viele OTC-Derivate der Clearingpflicht unterliegen, sieht Verordnung für die Entscheidung der Frage, welche Kontrakte clearingpflichtig sind, zwei Ansätze vor.

2.4   Der erste Ansatz ist ein Bottom-up-Konzept, wonach eine CCP entscheidet, bestimmte Kontrakte zu clearen, wozu sie von der zuständigen Behörde ermächtigt wird. Diese Behörde muss wiederum die ESMA informieren, wenn sie der betreffenden CCP das Clearing der besagten Kontrakte erlaubt. Die ESMA kann dann entscheiden, ob für alle derartigen Kontrakte in der EU eine Clearingpflicht gelten sollte.

2.5   Der zweite Ansatz ist ein Top-Down-Konzept, um diejenigen Kontrakte zu ermitteln und zu erfassen, die nicht durch eine CCP gecleart wurden. Diesem Konzept zufolge soll die ESMA gemeinsam mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken festlegen, welche Kontrakte potenziell der Clearingpflicht unterliegen sollten. Clearingpflichtige Gegenparteien müssen auf eine CCP zurückgreifen.

2.6   Nichtfinanzgegenparteien (in Unternehmensform) fallen grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung, es sei denn, ihre OTC-Derivatepositionen erreichen einen bestimmten Schwellenwert und werden als systemisch bedeutend angesehen.

2.7   Mit der Verordnung wird ein Verfahren eingeführt, mit dem nichtfinanzielle Institute mit systemisch wichtigen Positionen in OTC-Derivaten ermittelt werden können und bestimmten Verpflichtungen unterworfen werden. Dieses Verfahren gründet sich auf zwei Schwellenwerte: a) einen Informationsschwellenwert und b) einen Clearingschwellenwert.

2.8   Dabei schreibt die Verordnung die Nutzung elektronischer Mittel und das Bestehen von Risikomanagementverfahren vor. Und schließlich müssen finanzielle und nichtfinanzielle Gegenparteien oberhalb der Clearingschwelle die Einzelheiten eingegangener Derivatekontrakte und jede Änderung derselben an ein Transaktionsregister melden.

3.   Anforderungen an CCPs

3.1   Da die CCPs zusätzlichen Risiken ausgesetzt sind, sieht die Verordnung für sie und zur Gewährleistung ihrer Sicherheit strenge organisatorische und aufsichtsrechtliche Anforderungen (Governance-Regelungen, verschärfte Kapitalanforderungen usw.) vor.

3.2   Eine CCP muss solide Governance-Regelungen haben, die potenziellen Interessenkonflikten zwischen Eigentümern, Geschäftsführung, Clearingmitgliedern sowie mittelbar Beteiligten gerecht werden. Die Rolle unabhängiger Mitglieder des Leitungsorgans ist von besonderer Bedeutung. Für die Zulassung zur Ausübung der Tätigkeiten einer CCP muss außerdem eine Mindestkapitalausstattung vorhanden sein. Der Verordnung zufolge muss eine CCP über einen Ausfallfonds verfügen, zu dem ihre Mitglieder einen Beitrag leisten.

4.   Zulassung und Beaufsichtigung von Transaktionsregistern

4.1   Die Verordnung sieht zur Steigerung der Transparenz des Derivatemarktes eine Meldepflicht für Transaktionen mit OTC-Derivaten vor, die an Transaktionsregister gemeldet werden müssen. Die Registrierung der Transaktionsregister erfolgt bei der ESMA, die auch deren Beaufsichtigung übernimmt.

4.2   Die Verordnung enthält überdies Bestimmungen, die gewährleisten, dass Transaktionsregister einer Reihe von Standards entsprechen. Damit soll sichergestellt werden, dass die von Transaktionsregistern für Regelungszwecke vorgehaltenen Informationen zuverlässig, gesichert und geschützt sind. Transaktionsregister werden insbesondere organisatorischen und operationellen Anforderungen unterliegen und müssen einen angemessenen Schutz gewährleisten.

5.   Bemerkungen des EWSA

5.1   Bei den Infrastrukturen der Wertpapiermärkte wurden erhebliche Mängel beim Risikomanagement für das Kontrahentenrisiko und hinsichtlich der Transparenz beim Handel auf den Märkten für OTC-Derivate - insbesondere für Kreditausfallversicherungen (CDS) - festgestellt, die für die große Rezession verantwortlich gemacht werden.

5.2   Dabei handelt es sich um atypische Kontrakte, die zu einer verminderten Risikowahrnehmung und zur Ausbreitung der derzeit andauernden Krise beitrugen, die insbesondere die Emittenten dieser Wertpapiere und damit schließlich die Sparer traf. In Bezug auf die Emittenten ist festzustellen, dass die von den Banken betriebene Spekulation in Form ungedeckter Leerverkäufe von CDS zu höheren Prämien und damit zu höheren finanziellen Belastungen für die Emittenten führte, die diese mitunter in den Bankrott trieben.

5.3   Aus diesem Grunde wurden sie auch als „bleierne Fallschirme“ bezeichnet, d.h. sie stellen ein potenziell tödliches Risiko für das weltweite Finanzsystem dar. Als einzige konkrete Lösung wurde beschlossen, keine Insolvenzen von Finanzinstituten zuzulassen, indem diese mit staatlichem Kapital ausgestattet und damit verstaatlicht werden. Diese Intervention führte schlicht und einfach dazu, dass die öffentlichen Schulden unweigerlich stiegen, was das Problem vom Bankensektor auf den jeweiligen Sitzstaat verlagerte, in der Eurozone starke Turbulenzen auf den Devisenmärkten verursachte und alle Länder zu harten Sparmaßnahmen zwang, die zu einer Verlangsamung der schwachen wirtschaftlichen Erholung beigetragen haben.

5.4   In den USA hat die Depository Trust and Clearing Corporation (DTCC) eigens eine Gesellschaft (Trade Information Warehouse) gegründet, die für die CDS als Transaktionsregister zugelassen ist. Die dortige Regierung hat eine Legislativreform für den Handel mit OTC-Derivaten auf den Weg gebracht, die für standardisierte Kontrakte eine Pflicht zum Clearing über zentrale Gegenparteien und die Zusammenfassung des Handels auf regulierten Märkten oder organisierten Plattformen vorsieht.

5.5   In Europa arbeitet die Europäische Kommission derzeit an einem Legislativvorschlag (European Market Infrastructures Legislation), mit dem die Transparenz und Stabilität des OTC-Derivatemarktes verbessert werden sollen. Die geplanten Maßnahmen liegen auf einer Linie mit dem US-amerikanischen Gesetzesvorschlag, da aufsichtliche Arbitrage vermieden werden soll (was wichtig ist).

5.6   Der EWSA möchte auch vor bestimmten Risiken warnen, die mit den vorgeschlagenen Maßnahmen für den Derivatemarkt verbunden sein könnten. Die Schuld für den Zusammenbruch der Finanzmärkte ist nämlich nicht nur bei den Derivaten, dem Fehlen von zentralen Gegenparteien oder eines Verbots von Leerverkäufen zu suchen.

5.7   Seit den achtziger Jahren finden immer komplexere Derivate auf den Finanzmärkten Verbreitung, welche die Effizienz dieser Märkte verbesserten und sie dem von der Wirtschaftswissenschaft beschrieben Ideal vollendeter Märkte näher brachten. In der Folge wurden auch die Regulierung, Überwachung und Beaufsichtigung dieses Sektors komplizierter, wobei die zur Debatte stehenden Reformpakete allesamt auf eine stärkere Marktkontrolle abstellen, die oft der Effizienz der Märkte abträglich ist.

5.8   Ein Markt ist um so effizienter, je besser der Preis (oder die Rendite) eines Wertpapiers die zur Verfügung stehenden Informationen widerspiegelt. Um einen Markt effizienter zu gestalten, sollte daher der Austausch und Umlauf der Informationen gefördert werden, damit diese möglichst schnell in die Preisbildung der Wertpapiere einfließen können. Es kommt darauf an, welche Trade-offs in puncto Effizienz zu erwarten sind.

5.9   Zunächst ist festzustellen, dass die Maßnahmen zur Einschränkung der Angebotspalette bei Finanzinstrumenten wie die Einschränkungen, die den sogenannten ungedeckten CDS oder Leerverkäufen auferlegt werden, die Markteffizienz möglicherweise nicht erhöhen. Eine Einschränkung der Angebotspalette verringert nämlich die Fähigkeit der Märkte, die den Marktteilnehmern zur Verfügung stehenden Informationen zu absorbieren und zu verbreiten.

5.10   Sicherlich kann man über den Nutzen ungedeckter CDS streiten, darüber, welche zusätzlichen Informationen sie im Vergleich zu anderen Instrumenten tragen und inwieweit sie die Finanzierungskosten beeinflussen. Ihr Verbot brächte jedoch keine großen Effizienzgewinne. Die Einschränkung der Möglichkeit von Leerverkäufen verringert die Liquidität des Systems und damit dessen Fähigkeit, auf neue verfügbare Informationen unmittelbar zu reagieren. Zudem könnte die Einschränkung des Handels mit OTC-Wertpapieren durch Einführung einer Pflicht für alle Marktteilnehmer, Derivate nur auf regulierten Märkten und über Clearingstellen zu handeln, zweierlei bewirken.

5.11   Zum einem würde dies zu mehr Markttransparenz beitragen (es wäre zum Beispiel einfacher, die Höhe und Risikobehaftetheit der von den Marktteilnehmern gehaltenen Wertpapieren zu überwachen) und erlauben, potentielle Quellen für Instabilität zumindest teilweise einzuschränken. Bei Spannungen auf den Finanzmärkten reicht jedoch Transparenz allein vielleicht nicht aus. Im Vorschlag der Kommission werden den nationalen Regulierungsbehörden klare Befugnisse eingeräumt, in Ausnahmesituationen das Verbot von Leerverkäufen für jedes beliebige Finanzinstrument zeitweilig einzuschränken oder auszusetzen, wobei sie sich dabei mit der ESMA abstimmen müssen. Letztere kann in jedem Fall selbst tätig werden, sofern zwei Voraussetzungen gegeben sind: wenn eine Bedrohung für das ordnungsgemäße Funktionieren bzw. die Integrität der Finanzmärkte besteht oder wenn die nationalen Behörden keine oder nur unzureichende Maßnahmen ergriffen haben.

5.12   Andererseits besteht wiederum die Gefahr eines eingeschränkten Angebots der zur Verfügung stehenden Finanzinstrumente und höherer Transaktionskosten für Finanzgeschäfte. Der Markt für Futures (börsengehandelte Termingeschäfte) ist stark vereinheitlicht und reguliert (damit die Preise der gehandelten Titel beobachtet werden können), während der Markt für Fowards (nicht börsengängige Termingeschäfte, ein den Futures ähnliches Finanzinstrument) dagegen an die Bedürfnisse der Gegenpartei angepasst ist und den Marktteilnehmern die flexible Gestaltung von Preis und Wert (payoffs) gestattet. Diese Titel sind kaum standardisiert und ohne Einschränkung der den Anlegern zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nur schwer in einem traditionellen regulierten Markt denkbar.

5.13   Die CCPs gelten als das Instrument, das Heilmittel, um Systemrisiken in den Griff bekommen zu können und die OTC-Märkte effizienter und transparenter zu machen. CCPs sind sicherlich ein wichtiger Faktor für die Senkung des Risikos und die Verbesserung der Effizienz der Märkte und sind bei börsennotierten Derivaten unverzichtbarer Bestandteil der Marktinfrastruktur. Die CCPs dürften also zur Weiterentwicklung der OTC-Märkte beitragen. Zahlreiche Finanzinstitute und Politiker blicken jedoch zu sehr auf die Vorteile, die die CCPs den CDS-Märkten kurzfristig bieten können.

5.14   Die CCPs können nämlich nicht als Lösung für das Gegenparteirisiko angesehen werden und sind möglicherweise auch nicht in der Lage, der Markt effizienter zu machen, wenn man bedenkt, in welchem Zustand sich dieser derzeit befindet. Unter den gegenwärtigen Umständen – Bestehen mehrerer CCPs in jeder Region, die sich nach CCPs für Kreditderivate und CCPs für Zinsswaps (interest rate swap - IRS) unterscheiden - ist die Möglichkeit, effizient akzessorische Sicherheiten einzusetzen und das Gegenparteirisiko zu vermindern, stark beeinträchtigt. Eine CCP kann das Risiko bei multilateralen Geschäften ausgleichen, jedoch nur für die Region, die Gegenparteien und die Klassen von Derivaten, die diese CCP handhabt. Das bedeutet, dass ein Clearing zwischen CDS-Positionen und IRS-Positionen nicht möglich ist.

5.15   Das bilaterale Clearing von Risikopositionen in mehreren Klassen von OTC-Derivaten mit einer einzigen Gegenpartei außerhalb der CCP kann einen effizienteren Einsatz akzessorischer Sicherheiten bewirken. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass Derivate immer innovative und maßgeschneiderte Finanzinstrumente bleiben werden und es stets eine große Zahl von Kontrakten geben wird, die sich nicht für ein Clearing eignen. Diese Positionen müssen unter Berücksichtigung des Kreditrisikos durch ein geeignetes Verfahren zur Handhabung der Besicherung, jedoch ohne die CCP, aufeinander abgestimmt werden.

5.16   Die CCPs bringen einen zusätzlichen Nutzen und tragen zur Aufteilung und Abgrenzung des Risikos für einen einzelnen Marktteilnehmer bei. Hierin stimmt der EWSA der Kommission zu. Ihre Beliebtheit wird zunehmen und die Vervollkommnung und Transparenz dieses Marktes beschleunigen, was eine wünschenswerte Ausweitung der OTC-Geschäfte in der Zukunft mit sich bringen wird.

5.17   Die CCPs sind jedoch nur ein Element einer soliden Infrastruktur für das Risikomanagement. Das Gegenparteirisiko wird nicht ausgeschaltet und das bilaterale Risiko muss für Positionen außerhalb der CCP weiterhin berücksichtigt werden.

5.18   Hinzu kommt schließlich, dass viele Gesellschaften nicht in Risikomanagementsysteme für das Risiko ihres eigenen Derivate-Bestands investieren. Diese Gesellschaften hegen wahrscheinlich auch weiterhin Erwartungen hinsichtlich ihrer Rettung, auch wenn ihr Risikomanagement völlig unangemessen ist.

Brüssel, den 8. Dezember 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON