URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

2. September 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2011/98/EU – Rechte von Arbeitnehmern aus Drittländern, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind – Art. 12 – Recht auf Gleichbehandlung – Soziale Sicherheit – Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – Art. 3 – Leistungen bei Mutterschaft und Vaterschaft – Familienleistungen – Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, mit denen Drittstaatsangehörige, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind, von der Gewährung einer Geburtsbeihilfe und einer Mutterschaftsbeihilfe ausgeschlossen werden“

In der Rechtssache C‑350/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 8. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 2020, in dem Verfahren

O.D.,

R.I.H.V.,

B.O.,

F.G.,

M.K.F.B.,

E.S.,

N.P.,

S.E.A.

gegen

Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS),

Beteiligte:

Presidenza del Consiglio dei Ministri,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan, A. Kumin und N. Wahl, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan, D. Šváby und S. Rodin, der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter) und N. Jääskinen,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von O.D., R.I.H.V., B.O., F.G., M.K.F.B., E.S. und S.E.A., vertreten durch A. Guariso, L. Neri, R. Randellini, E. Fiorini und M. Nappi, avvocati,

von N.P., vertreten durch A. Andreoni und V. Angiolini, avvocati,

des Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS), vertreten durch M. Sferrazza und V. Stumpo, avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und D. Martin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und j der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigungen im ABl. 2004, L 200, S. 1, und im ABl. 2015, L 213, S. 65) sowie von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. 2011, L 343, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen O.D., R.I.H.V., B.O., F.G., M.K.F.B., E.S., N.P. und S.E.A., Drittstaatsangehörigen, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind, und dem Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) (Staatliche Sozialversicherungsanstalt, Italien) wegen dessen Weigerung, ihnen eine Geburtsbeihilfe und eine Mutterschaftsbeihilfe zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2011/98

3

In den Erwägungsgründen 20, 24 und 31 der Richtlinie 2011/98 heißt es:

„(20)

Alle Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in den Mitgliedstaaten aufhalten und dort arbeiten, sollten nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung zumindest ein gemeinsames Bündel gleicher Rechte wie die Staatsangehörigen des jeweiligen Aufnahmemitgliedstaates genießen, ungeachtet des ursprünglichen Zwecks bzw. der Grundlage ihrer Zulassung. Das Recht auf Gleichbehandlung in den in dieser Richtlinie geregelten Bereichen sollte nicht nur jenen Drittstaatsangehörigen zuerkannt werden, die zu Beschäftigungszwecken in einem Mitgliedstaa[t] zugelassen wurden, sondern auch denjenigen, die für andere Zwecke zugelassen wurden und denen der Zugang zum Arbeitsmarkt in jenem Mitgliedstaat im Rahmen anderer Vorschriften des Unionsrechts oder des einzelstaatlichen Rechts gewährt wurde, einschließlich der Familienangehörigen eines Drittstaatsarbeitnehmers, die gemäß der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung [(ABl. 2003, L 251, S. 12)] in dem Mitgliedstaat zugelassen werden, der Drittstaatsangehörigen, die gemäß der Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst [(ABl. 2004, L 375, S. 12)] in dem Mitgliedstaat zugelassen werden, und der Forscher, die gemäß der Richtlinie 2005/71/EG des Rates vom 12. Oktober 2005 über ein besonderes Zulassungsverfahren für Drittstaatsangehörige zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung [(ABl. 2005, L 289, S. 15)] zugelassen werden.

(24)

Drittstaatsarbeitnehmer sollten ein Recht auf Gleichbehandlung in Bezug auf die soziale Sicherheit haben. Die Zweige der sozialen Sicherheit sind in der [Verordnung Nr. 883/2004] definiert. Die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit sollten auch für Arbeitnehmer, die direkt aus einem Drittstaat in einem Mitgliedstaat zugelassen wurden, gelten. …

(31)

Diese Richtlinie wahrt im Einklang mit Artikel 6 [des Vertrags über die Europäische Union (EUV)] die Grundrechte und Prinzipien, die in der [Charta] verankert sind.“

4

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2011/98 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)

‚Drittstaatsangehöriger‘ jede Person, die nicht Unionsbürger im Sinne von Artikel 20 Absatz 1 [des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)] ist;

b)

‚Drittstaatsarbeitnehmer‘ jeden Drittstaatsangehörigen, der in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wurde, sich dort rechtmäßig aufhält und in diesem Mitgliedstaat im Rahmen eines unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisses im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht oder den einzelstaatlichen Gepflogenheiten arbeiten darf;

c)

‚kombinierte Erlaubnis‘ einen von den Behörden eines Mitgliedstaats ausgestellten Aufenthaltstitel, der es einem Drittstaatsangehörigen gestattet, sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zu Arbeitszwecken aufzuhalten;

…“

5

Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 2011/98 sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für

b)

Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat zu anderen als zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden und die eine Arbeitserlaubnis sowie einen Aufenthaltstitel im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 [des Rates vom 13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige (ABl. 2002, L 157, S. 1)] besitzen, und

c)

Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden.

(2)   Diese Richtlinie gilt nicht für Drittstaatsangehörige,

i)

die langfristig Aufenthaltsberechtigte gemäß der Richtlinie 2003/109/EG [des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44)] sind;

…“

6

In Art. 12 („Recht auf Gleichbehandlung“) der Richtlinie 2011/98 heißt es:

„(1)   Drittstaatsarbeitnehmer im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstaben b und c haben ein Recht auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, in dem sie sich aufhalten, in Bezug auf

e)

Zweige der sozialen Sicherheit nach der Verordnung [Nr. 883/2004];

(2)   Die Mitgliedstaaten können die Gleichbehandlung wie folgt einschränken:

b)

sie können die gemäß Absatz 1 Buchstabe e eingeräumten Rechte für Drittstaatsarbeitnehmer beschränken, wobei solche Rechte nicht für solche Drittstaatsarbeitnehmer beschränkt werden dürfen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder die mindestens sechs Monate beschäftigt waren und als arbeitslos gemeldet sind.

Zusätzlich können die Mitgliedstaaten beschließen, dass Absatz 1 Buchstabe e hinsichtlich Familienleistungen nicht für Drittstaatsangehörige gilt, denen die Erlaubnis erteilt wurde, für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu arbeiten, für Drittstaatsangehörige, die zu Studienzwecken zugelassen wurden oder für Drittstaatsangehörige, die aufgrund eines Visums die Erlaubnis haben zu arbeiten;

…“

7

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2011/98 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 25. Dezember 2013 nachzukommen. Sie übermitteln der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften.“

Verordnung Nr. 883/2004

8

Nach Art. 1 Buchst. z der Verordnung Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck „Familienleistungen“ für die Zwecke dieser Verordnung alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I der Verordnung.

9

Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

b)

Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft;

j)

Familienleistungen.“

10

Anhang I („Unterhaltsvorschüsse und besondere Geburts- und Adoptionsbeihilfen“) der Verordnung Nr. 883/2004 enthält in seinem Teil II eine nach Mitgliedstaaten geordnete Liste von besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen. Die Italienische Republik war in diesem Teil II des Anhangs I nie aufgeführt.

Italienisches Recht

11

Mit Art. 1 Abs. 125 der Legge n. 190 – Disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (legge di stabilità 2015) (Gesetz Nr. 190 – Bestimmungen über die Feststellung des staatlichen Haushaltsplans für ein oder mehrere Haushaltsjahre [Stabilitätsgesetz 2015]) vom 23. Dezember 2014 (GURI Nr. 300 vom 29. Dezember 2014, Supplemento ordinario zur GURI Nr. 99) (im Folgenden: Gesetz Nr. 190/2014) wurde eine monatlich ausgezahlte Geburtsbeihilfe (im Folgenden: Geburtsbeihilfe) für jedes geborene oder adoptierte Kind eingeführt, um die Geburtenrate zu erhöhen und „zu den Kosten ihrer Förderung beizutragen“.

12

Diese Bestimmung sieht vor, dass für jedes zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 31. Dezember 2017 geborene oder adoptierte Kind eine Beihilfe in Höhe von jährlich 960 Euro gewährt wird, die ab dem Monat der Geburt oder der Adoption monatlich bis zum dritten Geburtstag des Kindes oder dem dritten Jahrestag seiner Aufnahme in den Haushalt nach der Adoption gezahlt wird. Diese Beihilfe wird vom INPS unter der Bedingung gezahlt, dass sich der Haushalt, zu dem der antragstellende Elternteil gehört, in einer wirtschaftlichen Situation befindet, die einem bestimmten Minimalwert des Vergleichsindikators für die wirtschaftliche Situation (ISEE) entspricht, der mit der Verordnung festgelegt wird, die im Decreto del Presidente del Consiglio dei Ministri n. 159 – Regolamento concernente la revisione delle modalità di determinazione e i campi di applicazione dell’Indicatore della situazione economica equivalente (ISEE) (Dekret des Präsidenten des Ministerrats Nr. 159 – Verordnung zur Überarbeitung der Methoden und der Anwendungsbereiche des Vergleichsindikators für die wirtschaftliche Situation [ISEE]) vom 5. Dezember 2013 (GURI Nr. 19 vom 24. Januar 2014) vorgesehen ist.

13

Art. 1 Abs. 248 der Legge n. 205 – Bilancio di previsione dello Stato per l’anno finanziario 2018 e bilancio pluriennale per il triennio 2018-2020 (Gesetz Nr. 205 – Haushaltsplan des Staates für das Haushaltsjahr 2018 und mehrjähriger Haushaltsplan für den Dreijahreszeitraum 2018–2020) vom 27. Dezember 2017 (GURI Nr. 302 vom 29. Dezember 2017, Supplemento ordinario zur GURI Nr. 62) sieht vor, dass die Geburtsbeihilfe für jedes zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2018 geborene oder adoptierte Kind für die Dauer von einem Jahr bis zum ersten Geburtstag des Kindes oder dem ersten Jahrestag seiner Aufnahme in den Haushalt nach der Adoption gewährt wird.

14

Art. 23c Abs. 1 des Decreto legge n. 119 – Disposizioni urgenti in materia fiscale e finanziaria (Gesetzesdekret Nr. 119 – Sofortmaßnahmen im Bereich Steuern und Finanzen) vom 23. Oktober 2018 (GURI Nr. 247 vom 23. Oktober 2018), das mit Änderungen durch das Gesetz Nr. 136 vom 17. Dezember 2018 in ein Gesetz umgewandelt wurde, erstreckt die Gewährung der Geburtsbeihilfe auf jedes zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2019 geborene oder adoptierte Kind, und zwar bis zu seinem ersten Geburtstag oder dem ersten Jahrestag seiner Aufnahme in den Haushalt nach der Adoption, und sieht eine Erhöhung um 20 % für jedes weitere Kind nach dem ersten vor.

15

Mit Art. 1 Abs. 340 der Legge n. 160 – Bilancio di previsione dello Stato per l’anno finanziario 2020 e bilancio pluriennale per il triennio 2020-2022 (Gesetz Nr. 160 – Haushaltsplan des Staates für das Finanzjahr 2020 und mehrjähriger Haushaltsplan für den Dreijahreszeitraum 2020–2022) vom 27. Dezember 2019 (GURI Nr. 304 vom 30. Dezember 2019, Supplemento ordinario zur GURI Nr. 45) ist die Gewährung der Geburtsbeihilfe ebenfalls auf jedes zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2020 geborene oder adoptierte Kind ausgedehnt worden, und zwar bis zum ersten Geburtstag des Kindes oder dem ersten Jahrestag seiner Aufnahme in den Haushalt nach der Adoption, wobei der Betrag in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Situation des Haushalts gemäß ihrer Definition durch den in Rn. 12 des vorliegenden Urteils genannten Indikator variiert und für jedes weitere Kind nach dem ersten um 20 % erhöht wird.

16

Gemäß Art. 1 Abs. 125 des Gesetzes Nr. 190/2014 wird die Beihilfe italienischen Staatsangehörigen, Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörigen gewährt, die Inhaber der in Art. 9 des Decreto legislativo n. 286 – Testo unico delle disposizioni concernenti la disciplina dell’immigrazione e norme sulla condizione dello straniero (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 286 – Vereinheitlichter Text der Bestimmungen über die Regelung der Einwanderung und über die Rechtsstellung von Ausländern) vom 25. Juli 1998 (GURI Nr. 191 vom 18. August 1998, Supplemento ordinario zur GURI Nr. 139) vorgesehenen langfristigen Aufenthaltsberechtigung sind und in Italien wohnen.

17

Art. 74 des Decreto legislativo n. 151 – Testo unico delle disposizioni legislative in materia di tutela e sostegno della maternità e della paternità, a norma dell’articolo 15 della legge 8 marzo 2000, n. 53 (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 151 – Vereinheitlichter Text der Rechtsvorschriften zum Schutz und zur Unterstützung von Mutterschaft und Vaterschaft gemäß Art. 15 des Gesetzes Nr. 53 vom 8. März 2000) vom 26. März 2001 (GURI Nr. 96 vom 26. April 2001, Supplemento ordinario zur GURI Nr. 93) gewährt eine Mutterschaftsbeihilfe (im Folgenden: Mutterschaftsbeihilfe) für jedes ab dem 1. Januar 2001 geborene Kind oder für alle Minderjährigen, die an in Italien wohnhafte Frauen, die Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats oder eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder Inhaberinnen einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung sind, in adoptionsvorbereitende Betreuung gegeben oder adoptiert worden sind. Diese Beihilfe wird Frauen gewährt, die kein Mutterschaftsgeld im Zusammenhang mit nichtselbstständiger oder selbstständiger Tätigkeit oder der Ausübung eines freien Berufs erhalten, soweit der Haushalt nicht über Mittel oberhalb eines bestimmten, auf der Grundlage des Indikators für die wirtschaftliche Situation (ISE) berechneten Betrags verfügt, die im Decreto legislativo n. 109 – Definizioni di criteri unificati di valutazione della situazione economica dei soggetti che richiedono prestazioni sociali agevolate, a norma dell’articolo 59, comma 51, della legge 27 dicembre 1997, n. 449 (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 109 – Definition einheitlicher Kriterien für die Bewertung der wirtschaftlichen Situation der Personen, die soziale Beihilfeleistungen gemäß Art. 59 Abs. 51 des Gesetzes Nr. 449 vom 27. Dezember 1997 beantragen) vom 31. März 1998 (GURI Nr. 90 vom 18. April 1998) angegeben sind.

18

In italienisches Recht umgesetzt wurde die Richtlinie 2011/98 durch das Decreto legislativo n. 40 – Attuazione della direttiva 2011/98/UE relativa a una procedura unica di domanda per il rilascio di un permesso unico che consente ai cittadini di Paesi terzi di soggiornare e lavorare nel territorio di uno Stato membro e a un insieme comune di diritti per i lavoratori di Paesi terzi che soggiornano regolarmente in uno Stato membro (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 40 – Umsetzung der [Richtlinie 2011/98]) vom 4. März 2014 (GURI Nr. 68 vom 22. März 2014), mit dem eine „kombinierte Arbeitserlaubnis“ eingeführt wurde.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

19

Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in Italien aufhalten und die lediglich im Besitz der im Gesetzesvertretenden Dekret Nr. 40 vorgesehenen kombinierten Arbeitserlaubnis sind, wurde vom INPS die Gewährung der Geburtsbeihilfe mit der Begründung verweigert, dass sie nicht die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besäßen. Die Instanzgerichte, bei denen die Ablehnung angefochten wurde, gaben den Anträgen dieser Drittstaatsangehörigen in Anwendung des in Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 niedergelegten Gleichbehandlungsgrundsatzes statt.

20

Die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), die über die Kassationsbeschwerden gegen die Urteile mehrerer Berufungsgerichte zu befinden hat, ging davon aus, dass die Regelung zur Geburtsbeihilfe gegen mehrere Bestimmungen der italienischen Verfassung in Verbindung mit den Art. 20, 21, 24, 33 und 34 der Charta verstoße und befasste die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof, Italien) mit Fragen zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 Abs. 125 des Gesetzes Nr. 190/2014, soweit darin die Gewährung der Geburtsbeihilfe an Drittstaatsangehörige unter die Bedingung gestellt werde, dass sie die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besäßen.

21

Die Kläger der Vorinstanzen machen bei der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) die Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Bestimmung geltend und berufen sich darauf, dass diese auch gegen Art. 12 der Richtlinie 2011/98 verstoße. Das INPS als Beklagter der Vorinstanzen beantragt hingegen die Zurückweisung der Fragen zur Verfassungsmäßigkeit und bringt vor, dass die Geburtsbeihilfe ihrer Art nach eine Prämie sei, die nicht in den Bereich der sozialen Sicherheit falle und nicht dazu bestimmt sei, die unmittelbaren Grundbedürfnisse einer Person zu befriedigen. Die Richtlinie verleihe den Mitgliedstaaten des Weiteren das Recht, Drittstaatsangehörige, die nicht die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten hätten, unter Berücksichtigung der Begrenztheit der verfügbaren finanziellen Mittel nach eigenem Ermessen auszuschließen. Der in den Vorinstanzen als Streithelfer aufgetretene Presidente del Consiglio dei Ministri (Präsident des Ministerrats, Italien) beantragt die Zurückweisung der Fragen zur Verfassungsmäßigkeit als unzulässig oder, hilfsweise, als offensichtlich unbegründet. Er beruft sich darauf, dass die Geburtsbeihilfe nicht dazu bestimmt sei, die unmittelbaren Grundbedürfnisse einer Person zu befriedigen, und dass – auch nach Unionsrecht – allein die Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigte die vollständige Gleichstellung von Drittstaatsangehörigen mit Unionsbürgern im Hinblick auf Sozialleistungen ermögliche.

22

Mit der gleichen Begründung wie der zur Geburtsbeihilfe hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) das vorlegende Gericht auch mit einer Frage zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 74 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 151 vom 26. März 2001 über die Mutterschaftsbeihilfe befasst. Die Kläger der Vorinstanzen halten diese Bestimmung für verfassungswidrig, wohingegen der Präsident des Ministerrats die Zurückweisung der Frage zur Verfassungsmäßigkeit als unzulässig oder, hilfsweise, als offensichtlich unbegründet beantragt.

23

Zur Stützung seines Vorabentscheidungsersuchens führt das vorlegende Gericht u. a. aus, dass es für die Entscheidung über eine etwaige Unvereinbarkeit nationaler Bestimmungen mit den in der Charta verankerten Rechten und Grundsätzen zuständig sei. Wenn es im Wege der Vorabentscheidung mit einer Frage zur Verfassungsmäßigkeit befasst sei, die sich auf diese Rechte und Grundsätze beziehe, komme es nicht umhin, zu prüfen, ob die in Rede stehende Bestimmung sowohl gegen die Rechte und Grundsätze in der Verfassung als auch gegen die in der Charta verankerten verstoße, da die in der italienischen Verfassung vorgesehenen Garantien durch die in der Charta niedergelegten vervollständigt würden. Als nationales Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV befasse es den Gerichtshof in all denjenigen Fällen mit einem Vorabentscheidungsersuchen, in denen dies für eine Klärung der Bedeutung und der Wirkungen der Bestimmungen der Charta erforderlich sei; nach Abschluss der Würdigung könne es die angegriffene Bestimmung für verfassungswidrig erklären und sie somit mit Wirkung erga omnes aus der nationalen Rechtsordnung tilgen.

24

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) erwähnten Rechte und Verfassungsgrundsätze und die Rechte und Grundsätze, die in der Charta niedergelegt seien und durch das abgeleitete Recht ergänzt würden, untrennbar miteinander verbunden seien, sich gegenseitig ergänzten und miteinander in Einklang stünden. Das Verbot willkürlicher Diskriminierungen sowie der Mutter- und Kinderschutz, die durch die italienische Verfassung garantiert seien, müssten unter Beachtung der zwingenden Vorgaben des Unionsrechts ausgelegt werden.

25

Unter Bezugnahme auf Art. 12 der Richtlinie 2011/98 und die Rechtsprechung des Gerichtshofs führt das vorlegende Gericht aus, dass es das Recht auf Gleichbehandlung hinsichtlich der Zweige der sozialen Sicherheit, wie sie in der Verordnung Nr. 883/2004 definiert seien, zu prüfen habe, und präzisiert, dass die Italienische Republik nicht ausdrücklich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, die von der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen einzuführen. Vor einer Entscheidung über die von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) aufgeworfenen Fragen zur Verfassungsmäßigkeit ist seiner Auffassung nach der Gerichtshof zur Auslegung derjenigen Bestimmungen des Unionsrechts zu befragen, die sich auf die Beantwortung dieser Fragen auswirken.

26

Hierzu merkt das vorlegende Gericht an, dass die Geburtsbeihilfe aufgrund der erheblichen Änderungen, die sie im Verlauf der letzten Jahre erfahren habe, im Vergleich zu den bereits vom Gerichtshof geprüften Familienleistungen neue Aspekte aufweise. Die Beihilfe sei zwar an objektive, gesetzlich definierte Kriterien geknüpft und falle in die Kategorie der Leistungen der sozialen Sicherheit, habe aber mehrere Funktionen, die ihre Einstufung als Familienleistung ungewiss erscheinen ließen.

27

Zum einen habe die Geburtsbeihilfe die Funktion einer Prämie, mit der die Geburtenrate erhöht werden solle. Diese Zielsetzung werde durch die Entwicklung der Regelung bestätigt, durch die eine allgemeine Leistung mit einer Erhöhung für die auf das erste Kind folgenden Kinder eingeführt worden sei. Zum anderen könnte Art. 1 Abs. 125 des Gesetzes Nr. 190/2014 in seiner ursprünglichen Fassung insofern für eine Maßgeblichkeit der Hilfsbedürftigkeit der begünstigten Familie sprechen, als die Gewährung der Beihilfe an Einkommensvoraussetzungen geknüpft worden sei. Die Beihilfe ziele somit auch auf die Unterstützung von Haushalten in wirtschaftlich prekären Verhältnissen und die Sicherstellung der Grundversorgung von Minderjährigen. Dieser zuletzt genannte Zweck werde durch die jüngsten gesetzlichen Änderungen bestätigt, die die Geburtsbeihilfe zwar in eine universelle Vorsorgemaßnahme umgewidmet, ihren Betrag aber in Abhängigkeit verschiedener Einkommensschwellen und damit nach dem unterschiedlichen Grad der Bedürftigkeit angepasst hätten.

28

Das vorlegende Gericht wirft außerdem die Frage auf, ob die Mutterschaftsbeihilfe in Anbetracht des abgeleiteten Rechts, das auf der Grundlage der Gleichbehandlung mit Staatsangehörigen des Aufnahmestaats ein gemeinsames Bündel von Rechten für alle Drittstaatsangehörigen, die rechtmäßig in einem Mitgliedstaat wohnten und arbeiteten, sicherstellen solle, in die in Art. 34 der Charta garantierten Leistungen aufzunehmen sei.

29

Unter diesen Umständen hat die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 34 der Charta dahin auszulegen, dass die Geburtsbeihilfe und die Mutterschaftsbeihilfe auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und j der Verordnung Nr. 883/2004, auf den in Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 Bezug genommen wird, in seinen Anwendungsbereich fallen und somit das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, die diese Beihilfen, die Ausländern im Besitz einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung – EU bereits gewährt werden, nicht auch auf Ausländer im Besitz der in der Richtlinie 2011/98 geregelten kombinierten Erlaubnis ausweitet?

Verfahren vor dem Gerichtshof

30

Das vorlegende Gericht hat den Gerichtshof ersucht, die Rechtssache gemäß Art. 105 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

31

Zur Stützung seines Antrags macht es geltend, dass die im Rahmen des vorliegenden Ersuchens vorgelegte Frage von den italienischen Gerichten intensiv erörtert werde, was zu zahlreichen Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof Anlass geben könnte. Das Ausmaß der Rechtsstreitigkeiten zu dieser Frage habe nämlich zu Unsicherheiten bei der Auslegung des Unionsrechts zwischen der für die Gewährung der in Rede stehenden Beihilfen zuständigen Behörde einerseits und den italienischen Gerichten andererseits geführt, da lediglich Letztere Art. 12 der Richtlinie 2011/98 unmittelbare Wirkung zuerkennen würden.

32

Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen der Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

33

Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 17. September 2020 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, den in Rn. 30 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Antrag des vorlegenden Gerichts zurückzuweisen, da die Voraussetzungen für eine Stattgabe, insbesondere das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, nicht erfüllt sind.

34

Zum einen kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die beträchtliche Zahl von Personen oder Rechtsverhältnissen, die möglicherweise von der Entscheidung betroffen sind, die ein vorlegendes Gericht zu treffen hat, nachdem es den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, als solche nämlich keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen, der die Anwendung eines beschleunigten Verfahrens rechtfertigen könnte (Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge], C‑584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 36).

35

Zum anderen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Notwendigkeit, eine divergierende nationale Rechtsprechung zu vereinheitlichen, zwar legitim ist, für sich allein genommen aber nicht ausreichen kann, die Anwendung des beschleunigten Verfahrens zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 30. April 2018, Oro Efectivo, C‑185/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:298, Rn. 17).

36

Die Italienische Republik hat gemäß Art. 16 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt, dass die Große Kammer über die vorliegende Rechtssache entscheidet.

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage, soweit sie sich auf die Mutterschaftsbeihilfe bezieht

37

Die Kommission äußert Zweifel an der Zulässigkeit der Frage, soweit sie sich auf die Mutterschaftsbeihilfe bezieht, da die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) bei der Befassung des vorlegenden Gerichts, der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof), darauf hingewiesen habe, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens vor dem 25. Dezember 2013 – dem Ende der in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2011/98 vorgesehenen Frist für deren Umsetzung – liege. Die italienische Regierung zieht ihrerseits in Zweifel, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens Inhaber einer kombinierten Arbeitserlaubnis seien, und verweist darauf, dass sie offensichtlich im Besitz einer anderweitigen Aufenthaltsberechtigung seien. Insbesondere sei anzumerken, dass die Mutterschaftsbeihilfe Personen vorbehalten sei, die nicht als „Beschäftigte“ eingestuft werden könnten. Auf Drittstaatsangehörige mit dieser Eigenschaft sei Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2011/98 nicht anwendbar.

38

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen der mit Art. 267 AEUV eingerichteten Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 13. November 2018, Čepelnik, C‑33/17, EU:C:2018:896, Rn. 20).

39

Hieraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 13. November 2018, Čepelnik, C‑33/17, EU:C:2018:896, Rn. 21).

40

Im vorliegenden Fall können sich Einzelpersonen zwar für Sachverhalte vor der Umsetzung einer Richtlinie nicht auf diese Richtlinie berufen, um eine Nichtanwendung bestehender nationaler Vorschriften, die gegen sie verstoßen, zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom5. Februar 2004, Rieser Internationale Transporte, C‑157/02, EU:C:2004:76, Rn. 67 und 68 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Beim vorlegenden Gericht handelt es sich allerdings nicht um das Gericht, das selbst unmittelbar über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat, sondern um ein Verfassungsgericht, dem eine rein rechtliche Frage vorgelegt worden ist, die von dem Sachverhalt, der bei dem in der Sache entscheidenden Gericht vorgebracht wurde, unabhängig ist. Diese Frage hat das vorlegende Gericht sowohl hinsichtlich der nationalen Rechtsvorschriften als auch hinsichtlich der Vorschriften des Unionsrechts zu beantworten, um nicht nur dem Gericht, von dem die an es gerichtete Vorlage stammt, sondern auch allen italienischen Gerichten eine Entscheidung mit Wirkung erga omnes an die Hand zu geben, die diese Gerichte auf jeden einschlägigen Rechtsstreit anzuwenden haben, mit dem sie befasst werden können. Unter diesen Umständen hat die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung des Unionsrechts einen Bezug zu dem Gegenstand des bei ihm anhängigen Rechtsstreits, der ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der nationalen Vorschriften nach Maßgabe des nationalen Verfassungsrechts in seiner Auslegung im Licht des Unionsrechts betrifft.

41

Die Frage, ob Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2011/98 ausschließlich für Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel zum Zweck der Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat gilt oder ob diese Bestimmung demgegenüber auch Drittstaatsangehörige erfasst, die über einen Aufenthaltstitel für andere Zwecke als die Ausübung einer Beschäftigung verfügen und in diesem Mitgliedstaat arbeiten dürfen, weist einen Bezug zur Auslegung der Richtlinie und damit zur materiell-rechtlichen Würdigung der vorliegenden Rechtssache auf.

42

Folglich ist die Frage zulässig, und zwar auch insoweit, als sie sich auf die Mutterschaftsbeihilfe bezieht.

Zur Beantwortung der Frage

43

Das vorlegende Gericht befragt den Gerichtshof zur Auslegung von Art. 34 der Charta, um zu klären, ob die Geburtsbeihilfe und die Mutterschaftsbeihilfe in dessen Anwendungsbereich fallen und ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die Drittstaatsangehörigen, die im Besitz einer kombinierten Erlaubnis im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie sind, von der Gewährung dieser Beihilfen ausschließen.

44

Nach Art. 34 Abs. 1 der Charta anerkennt und achtet die Union das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Zudem hat jeder Mensch, der in der Union seinen rechtmäßigen Wohnsitz hat und seinen Aufenthalt rechtmäßig wechselt, Anspruch auf die Leistungen der sozialen Sicherheit und die sozialen Vergünstigungen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.

45

Außerdem sieht Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 – die, wie in ihrem 31. Erwägungsgrund ausgeführt, die Grundrechte und die Prinzipien, die in der Charta verankert sind, wahrt – vor, dass Drittstaatsarbeitnehmer im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie ein Recht auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, in dem sie sich aufhalten, in Bezug auf die Zweige der sozialen Sicherheit nach der Verordnung Nr. 883/2004 haben.

46

Aufgrund dieses Verweises auf die Verordnung Nr. 883/2004 ist daher festzustellen, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 das Recht auf Zugang zu den in Art. 34 Abs. 1 und 2 der Charta genannten Leistungen der sozialen Sicherheit konkretisiert.

47

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich einer Richtlinie fallen, die ein von der Charta vorgesehenes Grundrecht konkretisiert, unter Beachtung dieser Richtlinie vorgehen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2014, Schmitzer, C‑530/13, EU:C:2014:2359, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Vorlagefrage ist folglich anhand der Richtlinie 2011/98 zu prüfen. Der Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie wird durch die Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt.

48

Weiterhin ist festzustellen, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2011/98 sowohl für Drittstaatsangehörige gilt, die in einem Mitgliedstaat zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden, als auch für Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat zu anderen als zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden und die eine Arbeitserlaubnis sowie einen Aufenthaltstitel im Sinne der Verordnung Nr. 1030/2002 besitzen.

49

Wie sich dem 20. Erwägungsgrund der Richtlinie entnehmen lässt, beschränkt sich diese Bestimmung nicht darauf, die Gleichbehandlung für Inhaber einer kombinierten Arbeitserlaubnis zu gewährleisten, sie gilt vielmehr auch für Personen, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zu anderen als zu Arbeitszwecken sind und über eine Arbeitserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat verfügen.

50

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie genannten Drittstaatsangehörigen von der Gewährung einer in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Geburtsbeihilfe und Mutterschaftsbeihilfe ausschließen.

51

Unter Berücksichtigung des in Rn. 45 des vorliegenden Urteils ausgeführten Umstands, dass die fraglichen Leistungen, wie sich auch aus dem 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/98 ergibt, unter die in der Verordnung Nr. 883/2004 definierten Zweige der sozialen Sicherheit fallen müssen, damit für sie die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie vorgesehene Gleichbehandlung gelten kann, ist zur Beantwortung der Frage zu prüfen, ob die Geburtsbeihilfe und die Mutterschaftsbeihilfe Leistungen darstellen, die zu den in Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung aufgezählten Zweigen der sozialen Sicherheit gehören.

52

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hängt die Unterscheidung zwischen Leistungen, die vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 erfasst sind, und solchen, die von ihm ausgeschlossen sind, im Wesentlichen von den grundlegenden Merkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, nicht dagegen davon, ob eine Leistung von den nationalen Rechtsvorschriften als eine Leistung der sozialen Sicherheit eingestuft wird (Urteile vom 21. Juni 2017, Martinez Silva, C‑449/16, EU:C:2017:485, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 2. April 2020, Caisse pour l’avenir des enfants [Kind des Ehegatten eines Grenzgängers], C‑802/18, EU:C:2020:269, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass eine Leistung dann als eine Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden kann, wenn sie den Begünstigten ohne jede im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt wird und sie sich auf eines der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht (Urteile vom 21. Juni 2017, Martinez Silva, C‑449/16, EU:C:2017:485, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 2. April 2020, Caisse pour l’avenir des enfants [Kind des Ehegatten eines Grenzgängers], C‑802/18, EU:C:2020:269, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Was die erste, in der vorstehenden Randnummer genannte Voraussetzung betrifft, hat der Gerichtshof daher entschieden, dass Leistungen, die unabhängig von einer im Ermessen liegenden individuellen Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit ohne Weiteres solchen Familien gewährt werden, die bestimmte objektive Kriterien insbesondere hinsichtlich ihrer Größe, ihres Einkommens und ihrer Kapitalrücklagen erfüllen, und die dem Ausgleich von Familienlasten dienen, als Leistungen der sozialen Sicherheit anzusehen sind (Urteile vom 21. Juni 2017, Martinez Silva, C‑449/16, EU:C:2017:485, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 2. April 2020, Caisse pour l’avenir des enfants [Kind des Ehegatten eines Grenzgängers], C‑802/18, EU:C:2020:269, Rn. 37).

55

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Zusammenhang mit dieser Voraussetzung zu Leistungen, die gewährt oder verweigert werden oder deren Betrag unter Berücksichtigung der Höhe der Einkünfte des Empfängers berechnet wird, entschieden hat, dass die Gewährung dieser Leistungen nicht von der individuellen Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit des Antragstellers abhängt, wenn es sich um ein objektives und gesetzlich festgelegtes Kriterium handelt, dessen Vorliegen den Anspruch auf diese Leistung eröffnet, ohne dass die zuständige Behörde sonstige persönliche Verhältnisse berücksichtigen kann (Urteil vom 12. März 2020, Caisse d’assurance retraite et de la santé au travail d’Alsace-Moselle, C‑769/18, EU:C:2020:203, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56

Darüber hinaus hat der Gerichtshof klargestellt, dass nur dann davon ausgegangen werden kann, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, wenn sich der Ermessenscharakter der Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit des Empfängers einer Leistung durch die zuständige Behörde vor allem auf die Eröffnung des Anspruchs auf diese Leistung bezieht. Diese Erwägungen gelten entsprechend für den individuellen Charakter der Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit des Empfängers einer Leistung durch die zuständige Behörde (Urteil vom 12. März 2020, Caisse d’assurance retraite et de la santé au travail d’Alsace-Moselle, C‑769/18, EU:C:2020:203, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Zu der Frage, ob eine bestimmte Leistung unter Familienleistungen nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 fällt, ist festzustellen, dass nach Art. 1 Buchst. z dieser Verordnung der Ausdruck „Familienleistungen“ alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I dieser Verordnung, bezeichnet. Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Ausdruck „Ausgleich von Familienlasten“ dahin auszulegen ist, dass er u. a. einen staatlichen Beitrag zum Familienbudget erfassen soll, der die Kosten für den Unterhalt von Kindern verringert (Urteil vom 2. April 2020, Caisse pour l’avenir des enfants [Kind des Ehegatten eines Grenzgängers], C‑802/18, EU:C:2020:269, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Zur Geburtsbeihilfe ergibt sich im vorliegenden Fall aus den vom vorlegenden Gericht mitgeteilten und in den Rn. 11 bis 16 sowie 26 und 27 des vorliegenden Urteils dargestellten Angaben zum einen, dass sie für jedes geborene oder adoptierte Kind gewährt wird, dessen Eltern in Italien wohnen und die italienische Staatsangehörigkeit oder die eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eine langfristige Aufenthaltsberechtigung besitzen. Die Beihilfe wurde ursprünglich Haushalten gewährt, deren Einkommen einen bestimmten, gesetzlich festgelegten Höchstbetrag nicht überschritt, und später ohne eine das Einkommen betreffende Voraussetzung auf alle Haushalte ausgedehnt, wobei ihre Höhe in Abhängigkeit vom Haushaltseinkommen variierte und für jedes weitere Kind nach dem ersten um 20 % erhöht wurde. Die Leistung wird somit offensichtlich unabhängig von einer im Ermessen liegenden individuellen Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit des Antragstellers automatisch an Haushalte gewährt, die bestimmten objektiven, gesetzlich definierten Kriterien entsprechen. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich insbesondere, dass die Geburtsbeihilfe unter Berücksichtigung des Einkommens des Haushalts des antragstellenden Elternteils auf der Grundlage eines objektiven, gesetzlich definierten Kriteriums, nämlich des Vergleichsindikators für die wirtschaftliche Situation, gewährt oder verweigert wurde, ohne dass die zuständige Behörde andere persönliche Umstände berücksichtigen darf. In der Folge wurde die Geburtsbeihilfe unabhängig von der Höhe des Haushaltseinkommens gewährt, wobei ihr tatsächlicher Betrag im Wesentlichen anhand dieses Indikators berechnet wurde.

59

Zum anderen besteht die Geburtsbeihilfe in einem Geldbetrag, der monatlich vom INPS an die Begünstigten gezahlt wird und u. a. zum Ausgleich der Lasten beitragen soll, die durch die Geburt oder die Adoption eines Kindes entstehen. Es handelt sich folglich um eine Geldleistung, die im Sinne der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung u. a. dazu bestimmt ist, im Wege eines staatlichen Beitrags zum Familienbudget die Kosten für den Unterhalt eines Neugeborenen oder eines adoptierten Kindes zu verringern. Da die Italienische Republik außerdem, wie in Rn. 10 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nie in Teil II des Anhangs I der Verordnung Nr. 883/2004 aufgeführt war, der besondere Geburts- und Adoptionsbeihilfen betrifft, fällt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Geburtsbeihilfe nicht in den Anwendungsbereich dieses Anhangs und kann folglich nach Maßgabe dieses Anhangs nicht vom Begriff der „Familienleistungen“ im Sinne der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ausgenommen werden.

60

Folglich stellt die Geburtsbeihilfe eine Familienleistung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 dar. Dass diese Beihilfe, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, eine Doppelfunktion hat, nämlich gleichzeitig die eines Beitrags zum Ausgleich der Lasten, die sich aus der Geburt oder der Adoption eines Kindes ergeben, und die einer Prämie zur Erhöhung der Geburtenrate, ist insoweit unerheblich, da eine dieser Funktionen sich auf einen in dieser Bestimmung genannten Zweig der sozialen Sicherheit bezieht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 1992, Hughes, C‑78/91, EU:C:1992:331, Rn. 19 und 20, sowie vom 15. März 2001, Offermanns, C‑85/99, EU:C:2001:166, Rn. 45).

61

Was die Mutterschaftsbeihilfe betrifft, ergibt sich aus den vom vorlegenden Gericht mitgeteilten und in Rn. 17 des vorliegenden Urteils dargestellten Angaben, dass sie für jedes geborene oder adoptierte Kind sowie für alle Minderjährigen, die in adoptionsvorbereitende Betreuung gegeben wurden, an in Italien wohnhafte Frauen gewährt wird, die Staatsangehörige der Italienischen Republik oder eines anderen Mitgliedstaats oder im Besitz einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung sind, sofern sie kein Mutterschaftsgeld im Zusammenhang mit nicht selbständiger oder selbständiger Tätigkeit oder der Ausübung eines freien Berufs erhalten und das Einkommen des Haushalts, zu dem die Mutter gehört, einen bestimmten Betrag nicht überschreitet.

62

Zum einen wird die Mutterschaftsbeihilfe somit offensichtlich unabhängig von einer im Ermessen liegenden individuellen Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit der Antragstellerin automatisch an Mütter gewährt, die bestimmten objektiven, gesetzlich definierten Kriterien entsprechen. Abgesehen davon, dass die Mutterschaftsbeihilfe bei einem an ein Arbeitsverhältnis oder die Ausübung eines freien Berufs anknüpfenden Mutterschaftsgeld nicht gewährt wird, wird sie insbesondere unter Berücksichtigung des Einkommens des Haushalts, dem die Mutter angehört, auf der Grundlage eines objektiven, gesetzlich definierten Kriteriums, nämlich dem Indikator für die wirtschaftliche Situation, gewährt oder versagt, ohne dass die zuständige Behörde andere persönliche Umstände berücksichtigen darf. Zum anderen bezieht sie sich auf den in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 883/2004 genannten Zweig der sozialen Sicherheit.

63

Folglich fallen die Geburtsbeihilfe und die Mutterschaftsbeihilfe unter die Zweige der sozialen Sicherheit, für die den in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2011/98 genannten Drittstaatsangehörigen das Recht auf Gleichbehandlung nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie zusteht.

64

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Italienische Republik, wie das vorlegende Gericht ausführt, von der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, die Gleichbehandlung – wie in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2011/98 vorgesehen – zu beschränken, keinen Gebrauch gemacht hat.

65

Daher ist davon auszugehen, dass nationale Rechtsvorschriften, die die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2011/98 genannten Drittstaatsangehörigen von der Gewährung einer Geburtsbeihilfe und einer Mutterschaftsbeihilfe ausschließen, nicht mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie vereinbar sind.

66

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie genannten Drittstaatsangehörigen von der Gewährung einer in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Geburtsbeihilfe und Mutterschaftsbeihilfe ausschließen.

Kosten

67

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie genannten Drittstaatsangehörigen von der Gewährung einer in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Geburtsbeihilfe und Mutterschaftsbeihilfe ausschließen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.