Rechtssache C‑139/08

Procédure pénale

gegen

Rafet Kqiku

(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Karlsruhe)

„Visa, Asyl, Einwanderung – Drittstaatsangehöriger, der im Besitz eines schweizerischen Aufenthaltstitels ist – Einreise in einen Mitgliedstaat und Aufenthalt in dessen Hoheitsgebiet zu anderen Zwecken als zur Durchreise – Fehlen eines Visums“

Leitsätze des Urteils

Visa, Asyl, Einwanderung – Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten – Voraussetzungen für den Reiseverkehr visapflichtiger Drittstaatsangehöriger

(Verordnung Nr. 539/2001 des Rates, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2; Entscheidung Nr. 896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates)

Die Entscheidung Nr. 896/2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen, ist dahin auszulegen, dass die im Anhang dieser Entscheidung aufgeführten Aufenthaltserlaubnisse, die visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und vom Fürstentum Liechtenstein erteilt worden sind, lediglich einem Durchreisevisum gleichgestellt sind. Für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zum Zweck der Durchreise ist den in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 der Verordnung Nr. 539/2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, genannten Anforderungen Genüge getan, wenn die von der Entscheidung betroffene Person im Besitz einer von der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellten, im Anhang der Entscheidung aufgeführten Aufenthaltserlaubnis ist.

(vgl. Randnr. 32 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

2. April 2009(*)

„Visa, Asyl, Einwanderung – Drittstaatsangehöriger, der im Besitz eines schweizerischen Aufenthaltstitels ist – Einreise in einen Mitgliedstaat und Aufenthalt in dessen Hoheitsgebiet zu anderen Zwecken als zur Durchreise – Fehlen eines Visums“

In der Rechtssache C‑139/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Oberlandesgericht Karlsruhe (Deutschland) mit Entscheidung vom 4. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 2008, in dem Strafverfahren gegen

Rafet Kqiku

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter A. Ó Caoimh, J. N. Cunha Rodrigues und U. Lõhmus sowie der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Kqiku, vertreten durch Rechtsanwalt A. Heidegger,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Wilderspin und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen (ABl. L 167, S. 8).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das in Deutschland gegen den serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen Rafet Kqiku eingeleitet wurde. Er wird beschuldigt, am 4. August 2006 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein und sich dort bis zum 6. August 2006 aufgehalten zu haben, ohne im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels in Form eines Visums gewesen zu sein.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

 Schengen-Besitzstand

3        Mit den Art. 10 und 11 des am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19) wurde für alle Personen außer Angehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften für kurzfristige Aufenthalte ein einheitlicher Sichtvermerk eingeführt, der für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten erteilt werden kann. Dieses Übereinkommen unterscheidet jedoch zwischen Sichtvermerken und Durchreisesichtvermerken (im Folgenden auch: Visa und Durchreisevisa). Letztere werden für die Dauer einer Durchreise ausgestellt, die fünf Tage nicht überschreiten darf.

 Die Verordnung (EG) Nr. 539/2001

4        Gemäß Art. 1 Abs. 1 und Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 81, S. 1), müssen Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien-Montenegro) beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein.

5        Art. 2 der Verordnung Nr. 539/2001 bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung gilt als ‚Visum‘ eine von einem Mitgliedstaat ausgestellte Genehmigung oder eine von einem Mitgliedstaat getroffene Entscheidung, die erforderlich ist für

–        die Einreise zum Zwecke eines Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat oder in mehreren Mitgliedstaaten, der insgesamt drei Monate nicht überschreitet;

–        die Einreise zum Zwecke der Durchreise durch das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten, mit Ausnahme des Flughafentransits.“

 Die Entscheidung Nr. 896/2006

6        In den Erwägungsgründen 2, 3, 6 und 7 der Entscheidung Nr. 896/2006 heißt es:

„(2)      Die geltenden Gemeinschaftsvorschriften sehen … keine vereinfachte Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen vor, nach der die Aufenthaltserlaubnisse von Drittländern für die Zwecke der Durchreise durch den gemeinsamen Raum oder des kurzfristigen Aufenthalts im [Schengen-Raum] als dem einheitlichen Visum gleichwertig anerkannt werden.

(3)      Die Staatsangehörigen von Drittländern, die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis der Schweiz sind und die nach der [Verordnung Nr. 539/2001] der Visumpflicht unterliegen, müssen ein Visum beantragen, wenn sie bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland durch den gemeinsamen Raum reisen wollen. …

(6)      Um die Probleme in den Konsulaten sowohl der Schengen-Mitgliedstaaten als auch der neuen Mitgliedstaaten in der Schweiz und in Liechtenstein zu lösen, sollte eine vereinfachte Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen eingeführt werden, die darauf beruht, dass bestimmte von den Behörden der Schweiz und Liechtensteins ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse einseitig als dem einheitlichen Visum bzw. dem nationalen Visum gleichwertig anerkannt werden.

(7)      Diese Anerkennung sollte auf den Zweck der Durchreise beschränkt werden, ohne den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu nehmen, ein Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt auszustellen.“

7        Art. 1 der Entscheidung Nr. 896/2006 bestimmt:

„Mit dieser Entscheidung wird eine vereinfachte Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen eingeführt, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten Aufenthaltserlaubnisse, die Staatsangehörigen von Drittländern, die nach der Verordnung … Nr. 539/2001 der Visumpflicht unterliegen, von der Schweiz oder von Liechtenstein ausgestellt worden sind, für die Zwecke der Durchreise einseitig als ihren einheitlichen oder nationalen Visa gleichwertig anerkennen.

…“

8        Art. 2 dieser Entscheidung lautet:

„Die Schengen-Mitgliedstaaten erkennen die im Anhang aufgeführten Aufenthaltserlaubnisse, die von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellt worden sind, einseitig an.

…“

9        Art. 3 Abs. 1 der Entscheidung bestimmt:

„Die Durchreise des Staatsangehörigen eines Drittlands durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten darf nicht mehr als fünf Tage dauern.“

10      Zu den von der Schweizerischen Eidgenossenschaft ausgestellten Aufenthaltserlaubnissen im Sinne von Art. 2 der Entscheidung Nr. 896/2006, die in der Liste im Anhang der Entscheidung aufgeführt sind, gehört insbesondere der Ausländerausweis C, verbunden mit einer Niederlassungsbewilligung C.

 Nationales Recht

11      Nach dem deutschen Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (BGBl. 2004 I S. 1950) (im Folgenden: AufenthG) bedürfen Ausländer eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist. Die Aufenthaltstitel werden u. a. als Visum oder Aufenthaltserlaubnis erteilt.

12      Dem vorlegenden Gericht zufolge ist die Einreise eines Ausländers nach Deutschland unerlaubt, wenn er keinen nach diesem Gesetz vorgeschriebenen Aufenthaltstitel besitzt. Nach § 95 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer sich im Bundesgebiet ohne erforderlichen Aufenthaltstitel aufhält. Dieselbe Strafe ist für den Fall vorgesehen, dass der Ausländer nach Deutschland einreist, ohne im Besitz eines Reisepasses oder eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein.

13      Das Oberlandesgericht Karlsruhe führt in dem Vorlagebeschluss aus, dass es nach deutschem Recht bei der Prüfung, ob ein strafbares Verhalten im Sinne des § 95 AufenthG gegeben ist, allein auf das Vorliegen einer formell wirksamen Einreise‑ und Aufenthaltsgenehmigung ankomme.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

14      Herr Kqiku, der ausweislich seines Passes serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger ist, lebt seit Juni 1993 ständig in der Schweiz. Seit dem 27. März 2006 ist er Inhaber eines von der Schweizerischen Eidgenossenschaft ausgestellten Ausländerausweises C, verbunden mit einer Niederlassungsbewilligung C, deren Kontrollfrist am 19. Juni 2009 ablaufen wird. Auch alle Familienangehörigen sind im Besitz gültiger Ausländerausweise oder, was die Kinder betrifft, entsprechender Nachweise.

15      Am 4. August 2006 reiste Herr Kqiku zusammen mit seiner Ehefrau und seinen drei Kindern von der Schweiz nach Deutschland ein. Während ihres Aufenthalts in Deutschland besuchten sie Familienangehörige in Köln und Stuttgart.

16      Dabei und bis zur Rückkehr in die Schweiz am 6. August 2006 führte Herr Kqiku einen gültigen Pass, seinen Ausländerausweis C und seine gültige schweizerische Fahrerlaubnis mit sich. Auch alle mitfahrenden Familienangehörigen führten gültige Pässe und Ausländerausweise oder, was die Kinder betrifft, entsprechende Ausweise mit sich.

17      Im Gegensatz zu seinen früheren kurzfristigen Aufenthalten in Deutschland hatte Herr Kqiku für diesen Aufenthalt in Deutschland kein Visum für sich und seine Familie beantragt.

18      Er wurde angeklagt, nach Deutschland eingereist zu sein und sich dort vom 4. bis 6. August 2006 aufgehalten zu haben, obwohl er nicht im Besitz des für ihn als serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen erforderlichen Aufenthaltstitels in Form eines Visums gewesen sei.

19      Das Amtsgericht Singen (Deutschland) sprach Herrn Kqiku mit Urteil vom 29. November 2006 vom Vorwurf der unerlaubten Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt im Sinne des Aufenthaltsgesetzes mit der Begründung frei, dass sein Verhalten in Anbetracht der Entscheidung Nr. 896/2006 keinen Straftatbestand erfülle. Die Staatsanwaltschaft legte gegen diese Entscheidung Revision ein. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat als letzte Instanz über diesen Rechtsstreit zu entscheiden.

20      Da die Beurteilung der Frage, ob sich Herr Kqiku wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts in Deutschland nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 AufenthG strafbar gemacht hat, nach Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe von der Auslegung der Entscheidung Nr. 896/2006 über die einseitige Anerkennung von Aufenthaltserlaubnissen abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Regelung in Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006 dahin auszulegen, dass den im Anhang aufgeführten Aufenthaltserlaubnissen der Schweiz und von Liechtenstein kraft der einseitigen Anerkennung durch die Schengen-Mitgliedstaaten als gleichwertig zu ihren einheitlichen oder nationalen Visa unmittelbar die Wirkung eines die Durchreise durch den gemeinsamen Raum gestattenden Aufenthaltstitels zukommt,

oder

ist die Regelung der Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006 so zu verstehen, dass Drittstaatsangehörige, die Inhaber einer der im Anhang aufgeführten, von den Schengen-Mitgliedstaaten einseitig anerkannten Aufenthaltserlaubnisse der Schweiz und von Liechtenstein sind, für den Zweck der Durchreise durch den gemeinsamen Raum von der sich aus Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 539/2001 ergebenden Visumpflicht freigestellt werden?

 Zur Vorlagefrage

21      Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, welche Tragweite die Anerkennung von Aufenthaltstiteln nach der Entscheidung Nr. 896/2006 im Licht der nach der Verordnung Nr. 539/2001 vorgesehenen Visumpflicht hat.

22      Herr Kqiku macht geltend, dass die Entscheidung Nr. 896/2006 die Anerkennung von von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellten Aufenthaltserlaubnissen für die Zwecke der Durchreise durch den Schengen-Raum oder des kurzfristigen Aufenthalts im Schengen-Raum zum Ziel habe. Sein Ausländerausweis C sei einer der im Anhang der Entscheidung aufgeführten Aufenthaltstitel, er bewirke keine Befreiung von dem nach der Verordnung Nr. 539/2001 vorgesehenen Visumzwang und stelle eine gültige Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung dar.

23      Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ist der Auffassung, dass sich der Geltungsbereich der nach der Entscheidung Nr. 896/2006 vorgesehenen Gleichwertigkeit auf die Durchreise durch den Schengen-Raum beschränke. Ein Aufenthaltstitel wie der im Ausgangsverfahren könne einem Schengen-Visum nur für die Durchreise gleichgesetzt werden, und die Anerkennung einer von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellten Aufenthaltserlaubnis befreie nur für die Durchreise von der nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 539/2001 vorgesehenen Visumpflicht.

24      Zunächst ist festzustellen, dass die mit der Entscheidung Nr. 896/2006 geschaffene Regelung gemäß ihrem Art. 1 darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten Aufenthaltserlaubnisse, die Staatsangehörigen von Drittländern, die nach der Verordnung Nr. 539/2001 der Visumpflicht unterliegen, von der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellt worden sind, für die Zwecke der Durchreise einseitig als ihren einheitlichen oder nationalen Visa gleichwertig anerkennen.

25      Wie sich insbesondere aus Art. 2 der Verordnung Nr. 539/2001 ergibt, sieht der Schengen-Besitzstand eine Unterscheidung zwischen zwei grundlegenden Visakategorien vor: Visa für kurze Aufenthalte und Durchreisevisa. Erstere betreffen Aufenthalte, deren Dauer insgesamt drei Monate nicht überschreitet, während Letztere für eine Durchreise durch den gemeinsamen Raum gelten, deren Dauer fünf Tage nicht überschreiten darf.

26      Wie sich aus dem Titel und aus den Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006 ergibt, soll mit dieser eine vereinfachte Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen eingeführt werden, beschränkt auf die Durchreise dieser Personen durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. Deshalb sehen die genannten Artikel lediglich vor, dass Aufenthaltserlaubnisse, die Staatsangehörigen eines Drittlands von der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellt worden sind, für die Zwecke der Durchreise einem einheitlichen Visum oder nationalen Visa gleichwertig sind. Die Dauer einer Durchreise ist gemäß Art. 3 der genannten Entscheidung beschränkt und darf fünf Tage nicht überschreiten.

27      Da die mit der Entscheidung Nr. 896/2006 eingeführte einseitige Anerkennung bestimmter von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellter Aufenthaltserlaubnisse im Rahmen der vereinfachten Kontrollregelung auf die Einreise in den Schengen-Raum zum Zweck der Durchreise beschränkt ist, ist festzustellen, dass die von diesen Staaten ausgestellten und im Anhang dieser Entscheidung aufgeführten Aufenthaltstitel ausschließlich für die Durchreise als dem einheitlichen Visum oder einem nationalen Visum gleichwertig anerkannt werden.

28      Diese Auslegung wird durch die Erwägungsgründe 3 und 7 der Entscheidung Nr. 896/2006 bestätigt, wonach diese das Ziel verfolgt, Staatsangehörigen aus Drittländern, u. a. aus Serbien-Montenegro, die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis der Schweiz oder des Fürstentums Liechtenstein sind, die Möglichkeit zu geben, bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland durch den gemeinsamen Raum zu reisen, ohne ein Visum zu beantragen. Im siebten Erwägungsgrund der Entscheidung heißt es ausdrücklich, dass die Anerkennung der genannten Aufenthaltserlaubnisse auf den Zweck der Durchreise beschränkt werden sollte, ohne den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu nehmen, ein Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt auszustellen.

29      Im Übrigen bezweckt die mit der Entscheidung Nr. 896/2006 eingeführte vereinfachte Regelung weder eine Erweiterung noch eine Beschränkung des Kreises der Drittstaatsangehörigen, die gemäß der Verordnung Nr. 539/2001 von der Visumpflicht befreit sind.

30      Diese Auslegung wird durch die Rechtsgrundlage der Verordnung Nr. 539/2001 und die der Entscheidung Nr. 896/2006 gestützt. Die Verordnung Nr. 539/2001 beruht auf Art. 62 Nr. 2 Buchst. b Ziff. i EG betreffend Maßnahmen bezüglich des Überschreitens der Außengrenzen, mit denen die Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, festgelegt wird, während die Entscheidung Nr. 896/2006 auf Art. 62 Nr. 2 Buchst. a EG beruht, der die Maßnahmen bezüglich Normen und Verfahren regelt, die von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Personenkontrollen an den Außengrenzen einzuhalten sind.

31      Demnach ist eine Aufenthaltserlaubnis, die einem der Visumpflicht unterliegenden Drittstaatsangehörigen von der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellt worden ist, als ein Dokument anzusehen, das einem für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausgestellten Visum gleichwertig ist. Im Rahmen der mit der Entscheidung Nr. 896/2006 eingeführten vereinfachten Regelung sind die von dieser Entscheidung betroffenen Personen also beim Überschreiten der Außengrenzen für die Zwecke der Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, im Besitz eines Durchreisevisums zu sein, sofern die Dauer der Durchreise fünf Tage nicht überschreitet.

32      Nach alledem und gemäß der Unterscheidung, die die Verordnung Nr. 539/2001 zwischen Durchreisesichtvermerken und Sichtvermerken für einen kurzfristigen Aufenthalt trifft, ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Entscheidung Nr. 896/2006 dahin auszulegen ist, dass die im Anhang dieser Entscheidung aufgeführten Aufenthaltserlaubnisse, die visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und vom Fürstentum Liechtenstein erteilt worden sind, lediglich einem Durchreisevisum gleichgestellt sind. Für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zum Zweck der Durchreise ist den in den Art. 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 539/2001 genannten Anforderungen Genüge getan, wenn die von der Entscheidung betroffene Person im Besitz einer von der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellten, im Anhang der Entscheidung aufgeführten Aufenthaltserlaubnis ist.

 Kosten

33      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Die Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen, ist dahin auszulegen, dass die im Anhang dieser Entscheidung aufgeführten Aufenthaltserlaubnisse, die visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen von der Schweizerischen Eidgenossenschaft und vom Fürstentum Liechtenstein erteilt worden sind, lediglich einem Durchreisevisum gleichgestellt sind. Für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zum Zweck der Durchreise ist den in den Art. 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, genannten Anforderungen Genüge getan, wenn die von der Entscheidung betroffene Person im Besitz einer von der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder vom Fürstentum Liechtenstein ausgestellten, im Anhang der Entscheidung aufgeführten Aufenthaltserlaubnis ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.