12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012

COM(2013) 228 final — 2013/119 (COD)

2013/C 327/11

Hauptberichterstatter: Vincent FARRUGIA

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 13. Mai 2013 bzw. am 21. Mai 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012

COM(2013) 228 final — 2013/119 (COD).

Das Präsidium beauftragte am 21. Mai 2013 die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch, mit den diesbezüglichen Vorarbeiten.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) Vincent FARRUGIA zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 96 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Bürgerinnen und Bürger stehen im Mittelpunkt der europäischen Integration. Im Bericht über die Unionsbürgerschaft wird unterstrichen, dass die Unionsbürgerschaft den Bürgerinnen und Bürgern neue Rechte verleiht und ihnen neue Möglichkeiten eröffnet. Darin wird ferner darauf hingewiesen, dass das von den Bürgern am stärksten mit der Unionsbürgerschaft assoziierte Recht das Recht auf Freizügigkeit ist: die Möglichkeit, ihr Land für kürzere oder längere Zeit zu verlassen, zwischen EU-Ländern hin- und herzupendeln, um zu arbeiten, zu studieren oder sich fortzubilden, um auf Geschäfts- oder Urlaubsreise zu gehen oder jenseits der Grenze einen Einkaufsbummel zu machen (1).

1.2

Im Bericht über die Unionsbürgerschaft 2013 werden zwölf neue Maßnahmen in folgenden sechs Bereichen beschrieben, die auf die weitere Beseitigung von Hindernissen abzielen, die die EU-Bürger daran hindern, ihre EU-Rechte wahrzunehmen, wie z.B. das Recht, sich innerhalb der EU-Grenzen frei zu bewegen. Dazu zählen (2):

(01)

Beseitigung von Hindernissen für Arbeitnehmer, Studierende und Praktikanten in der EU, die das reibungslose Funktionieren des EU-Arbeitsmarktes erschweren und es ihnen dadurch zu ermöglichen, einen Arbeitsplatz in anderen Mitgliedstaten zu finden und somit die europäische Wirtschaft anzukurbeln.

(02)

Bürokratieabbau in Bezug auf das Recht auf Freizügigkeit, da Bürger, die dieses Recht nutzen, Probleme haben, die häufig auf umständliche oder unklare Verwaltungsverfahren zurückzuführen sind.

(03)

Schutz besonders schutzbedürftiger Personen in der EU, da laut Ergebnis der Konsultationen Menschen mit Behinderungen auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie in der EU reisen.

(04)

Beseitigung der Hindernisse im Bereich des elektronischen Handels, der beträchtlich zugenommen hat. Beim Online-Shopping sind die EU-Bürger immer noch mit Problemen konfrontiert.

(05)

Gezielte und leicht zugängliche Informationen, um das Bewusstsein der Bürger für ihre EU-Rechte und das diesbezügliche Verständnis zu steigern.

(06)

Teilhabe der Unionsbürger am demokratischen Leben in der EU.

1.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012: COM(2013) 228 final, 2013/0119 (COD).

1.4

Dieser Vorschlag steht insofern im Einklang mit dem Bericht über die Unionsbürgerschaft als er Maßnahmen einführt, mit denen es den EU-Bürgern erleichtert werden soll, ihre Rechte als Bürgerinnen und Bürger der EU wahrzunehmen.

1.5

Obwohl der Lissabon-Vertrag und die EU-Grundrechtecharta die im Vertrag von Maastricht verankerten Rechte – einschließlich des Rechts, sich in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten – gestärkt haben, wurde der Verwaltungsprozess, der die Anwendung dieses Rechts unterstützt, nicht entsprechend überarbeitet. In der Tat spiegelt die Vorlage einer Apostille – eine Formalität, die auf dem Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation aus dem Jahr 1961 basiert und die Freizügigkeit über die Landesgrenzen hinweg in einer technologiefreien Welt erleichtern sollte – nicht die Tatsache wider, dass die EU keine Grenzen hat und somit das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit innerhalb der EU nicht erleichtert, sondern eher erschwert.

1.6

Die vorgeschlagene Vereinfachung für folgende öffentliche Urkunden ist eine bedeutsame Maßnahme, die zu einem kohärenteren Rechtsrahmen führen wird, der die Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der EU erleichtern wird.

 

Öffentliche Urkunden von EU-Bürgern

Personenstandsurkunden (z.B. Geburt, Tod, Name, Eheschließung, eingetragene;

Partnerschaft; Elternschaft und Adoption);

Urkunden in Bezug auf Wohnsitz, Unionsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit;

Urkunden in Bezug auf Grundeigentum;

Urkunden in Bezug auf Rechte des geistigen Eigentums;

Urkunden in Bezug auf Vorstrafenfreiheit; und

 

Öffentliche Urkunden von europäischen Unternehmen (Gesellschaften und andere Unternehmen);

Urkunden in Bezug auf ihre Rechtsform und Vertretungsbefugnis;

Urkunden in Bezug auf Grundeigentum;

Urkunden in Bezug auf Rechte des geistigen Eigentums;

Urkunden in Bezug auf Vorstrafenfreiheit.

Die Vereinfachung dieser öffentlichen Urkunden wird zweifelsfrei die Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen erleichtern, den Handel im Binnenmarkt weiter steigern und das Beibringen dieser Urkunden durch die Bürger einzelner Mitgliedstaaten leichter machen.

1.7

Die Einführung eines vereinfachten Rahmens für die Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden bis zur Ebene der lokalen öffentlichen Verwaltung ist ein wichtiges politisches Instrument, da es:

die Kosten für Unternehmen und öffentliche Verwaltungen senkt: Statistiken für das Jahr 2010 zeigen, dass knapp 30 % der KMU im Import/Export tätig sind und 2 % ausländische Direktinvestitionen im Ausland haben. Darüber hinaus sind rund 7 % der KMU in der EU an grenzüberschreitenden Unteraufträgen beteiligt und 26 % haben Kunden in anderen Mitgliedstaaten (3).

den Urkundenverkehr mit der öffentlichen Verwaltung erleichtert und den Kostenaufwand für Bürger und Unternehmen verringert: Die Kosten für den Erhalt einer Apostille liegen im Jahresdurchschnitt bei 13,20 EUR. Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten der Bürger und Unternehmen für Apostillen im innergemeinschaftlichen Verkehr auf über 25 Mio. EUR. Hinzu kommen die Kosten für die Legalisation öffentlicher Urkunden, die nicht unter das Apostille-Übereinkommen fallen: sie sind beträchtlich und liegen bei durchschnittlich 16,50 EUR. Die Kosten für beglaubigte Übersetzungen sind mit 30 EUR pro Seite anzusetzen: die beglaubigte Übersetzung für eine grenzüberschreitende Hochzeit kostet in den meisten Mitgliedstaaten rund 120 EUR (4).

Kosteneinsparungen für die Mitgliedstaaten bewirkt, die netto bei 5-7 Mio. EUR im Zuge der Abschaffung der Apostille und bei weiteren 500 000 bis 1 Mio. EUR als Folge der Abschaffung der Legalisation liegen (5).

die indirekte Diskriminierung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern im grenzüberschreitenden Kontext beseitigt, die dadurch entsteht, dass die nationalen Behörden in der Regel mit den für öffentliche Urkunden im Ausstellungsland geltenden Anforderungen, wie z.B. Unterschriften, Siegel und Stempel, nicht vertraut sind.

1.8

Der EWSA bedauert, dass die jetzt vorgeschlagenen Reformen zur Erleichterung der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen in der EU 20 Jahre nach der Einführung der Unionsbürgerschaft und 42 Jahre nach dem Haager Übereinkommen vorgelegt werden. Denn im Grunde hat sich die EU nicht mit dem technologischen Fortschritt weiterentwickelt, der dazu hätte genutzt werden können, den Aufwand für die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen bei der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit zu verringern oder zu beseitigen. Der EWSA betont, dass das Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) ein wichtiges Instrument ist, das offensiver genutzt werden sollte, um den EU-Bürgern die Ausübung ihrer Grundrechte zu erleichtern.

1.9

Aus diesen Gründen kommt der EWSA zu dem Schluss, dass die politischen Empfehlungen der Europäischen Kommission im Hinblick auf:

einen Legislativvorschlag zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch Vereinfachung der Verwaltungsformalitäten für die Verwendung und Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union;

ergänzt durch eine verbesserte Verwaltungszusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten unter Verwendung des Binnenmarkt-Informationssystems; und

unter Rückgriff auf mehrsprachige EU-Formulare, die unabhängig davon in grenzüberschreitenden Kontexten verwendet werden; ein hervorragender Vorschlag ist. Gleichwohl weist er darauf hin, dass einige Bestimmungen des Vorschlags überarbeitet werden könnten, um die Rechte der EU-Bürger auf Freizügigkeit weiter zu stärken, die u.a. Unternehmen und Bürgern wechselseitige wirtschaftliche Vorteile bringen.

1.10

Der EWSA empfiehlt:

1.10.1

Bei künftigen Vereinfachungsmaßnahmen bezüglich öffentlicher Urkunden sollten wichtige öffentliche Urkunden ins Visier genommen werden, die sich z.B. auf die Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU (ein grundlegender Faktor für die Entwicklung von grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit und grenzüberschreitendem Handel) oder schutzbedürftigen Menschen, wie Menschen mit Behinderungen, beziehen, soweit diese öffentlichen Urkunden nicht in anderen EU-Richtlinien Berücksichtigung finden.

1.10.2

Ein Bürger oder ein Unternehmen sollte ein Höchstmaß an Sicherheit bezüglich des Umfangs haben, in dem öffentliche Urkunden von jeder Form der Legalisation oder ähnlichen Formalitäten befreit sind. Daher sollte die in dem Vorschlag angeregte Definition von "berechtigten Zweifeln" wie folgt geändert werden:

"2.

Die berechtigten Zweifel nach Absatz 1 können sich beziehen auf:

(a)

die Echtheit der Unterschrift,

(b)

die Eigenschaft, in der die die Urkunde unterzeichnende Person gehandelt hat;

(c)

die Echtheit des Siegels oder Stempels."

1.10.3

Falls ein Mitgliedstaat ein offizielles Auskunftsersuchen bei Vorliegen berechtigter Zweifel an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem diese Urkunde ausgestellt wurde, richtet, muss er die Person oder das Unternehmen über die Gründe, aus denen dieses Ersuchen gestellt wird, ausdrücklich unterrichten.

1.10.4

Es bedarf eines ausgewogenen Rechenschaftssystems im Zuge eines von der Europäischen Kommission durchgeführten jährlichen Leistungsvergleichs, mit dem beurteilt werden kann, in welchem Umfang die Mitgliedstaaten den Vorschlag tatsächlich umsetzen.

1.10.5

Für den Fall, dass sich die erwarteten Vorteile einstellen, sobald das IMI konsolidiert ist, sollte der Zeitraum für die Erteilung einer Antwort im Rahmen der Verwaltungszusammenarbeit auf maximal zwei Wochen gekürzt werden. Dadurch würde sowohl den Bürgern als auch den Unternehmen deutlich signalisiert, dass sich die EU tatsächlich bemüht, die Unionsbürgerschaft Wirklichkeit werden zu lassen, und dass sie die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt.

1.10.6

Der Austausch und die Übermittlung von Informationen und Dokumenten durch die Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Vorschlags sollte den Grundsätzen der EU in Bezug auf den Datenschutz Rechnung tragen.

2.   Einleitung

2.1

Das Stockholmer Programm von 2009 "Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger" (6) hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, die Unionsbürgerschaft mit Leben zu füllen und die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt der EU-Justizpolitik zu stellen. Dieser Auftrag wird im einschlägigen Aktionsplan (7) mit dem Hinweis bestätigt, dass ein funktionierender europäischer Rechtsraum "vor allem […] Bürgern und Unternehmen zugutekommen [und] die Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt fördern [sollte]". Die Europäische Kommission bekräftigte daraufhin in ihrem Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 ihre Bereitschaft, den Verkehr öffentlicher Urkunden innerhalb der EU zu erleichtern, und formulierte im Dezember 2010 konkrete Vorschläge in ihrem Grünbuch "Weniger Verwaltungsaufwand für EU-Bürger: Den freien Verkehr öffentlicher Urkunden und die Anerkennung der Rechtswirkungen von Personenstandsurkunden erleichtern" (8).

2.2

Parallel dazu wurde die Binnenmarktakte (9) eingeführt, um das Vertrauen der Bürger in den Binnenmarkt zu stärken und dem Binnenmarkt als eigentlichem Motor für das Wachstum der europäischen Wirtschaft zur vollen Entfaltung seines Potenzials zu verhelfen. Dies erforderte unter anderem die Beseitigung unverhältnismäßiger Hindernisse, die den EU-Bürgern und Unternehmen bei der Wahrnehmung ihrer Binnenmarktfreiheiten im Wege stehen. Die Förderung der Mobilität der Bürger und Unternehmen innerhalb der EU ist einer der Schwerpunkte der Binnenmarktakte II (10).

2.3

Die Europäische Kommission zielt mit ihrem Aktionsplan zu europäischem Gesellschaftsrecht und Corporate Governance (11) auf die Unterstützung europäischer Unternehmen und insbesondere auf mehr Rechtssicherheit für grenzüberschreitende Geschäfte ab. In der Digitalen Agenda für Europa (12) wird auf den Legislativvorschlag zur elektronischen Identifizierung und elektronischen Signatur (13) Bezug genommen, der die Einführung eines Rechtsrahmens für gemeinsame Verwaltungserleichterungen für die elektronische Identifizierung von Bürgern und Unternehmen vorsieht.

2.4

Im jüngsten Aktionsplan Unternehmertum 2020 (14) steht die Verringerung unnötigen oder übermäßigen Verwaltungsaufwands auf der politischen Tagesordnung der Kommission nach wie vor ganz oben. In dem Aktionsplan wird die weitestgehende Beseitigung bzw. der Abbau des Verwaltungsaufwands für alle Unternehmen, insbesondere für Kleinstunternehmen, gefordert. Folglich kommt die Verringerung des Verwaltungsaufwands durch Vereinfachung der Verfahren für die Verwendung und Annahme öffentlicher Urkunden im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten und durch Angleichung der diesbezüglichen Vorschriften allen Maßnahmen zugute, die auf ein Europa der Bürger und einen funktionierenden Binnenmarkt für EU-Unternehmen abzielen.

2.5

Im Bericht über die Unionsbürgerschaft wird unterstrichen, dass die Unionsbürgerschaft den Bürgerinnen und Bürgern neue Rechte verleiht und ihnen neue Möglichkeiten eröffnet. Auch wird darauf hingewiesen, dass das von den Bürgern am stärksten mit der Unionsbürgerschaft assoziierte Recht das Recht ist, sich innerhalb der EU frei zu bewegen und aufzuhalten. Im Bericht über die Unionsbürgerschaft 2013 werden zwölf neue Maßnahmen in den folgenden sechs Bereichen beschrieben, die auf die weitere Beseitigung von Hindernissen abzielen, die den Genuss der EU-Rechte seitens der Bürger erschweren, einschließlich des Rechts, über die EU-Binnengrenzen hinweg frei zu reisen und eine Geschäftstätigkeit auszuüben. Dazu zählen (15):

(01)

Beseitigung von Hindernissen für Arbeitnehmer, Studierende und Praktikanten

(02)

Abbau bürokratischer Hindernisse

(03)

Schutz besonders schutzbedürftiger Personen

(04)

Beseitigung der Hindernisse für Unionsbürger im Bereich des elektronischen Handels

(05)

Gezielte und leicht zugängliche Informationen

(06)

Teilhabe der Unionsbürger am demokratischen Leben in der EU

2.6

Obwohl der Lissabon-Vertrag und die EU-Grundrechtecharta die im Vertrag von Maastricht verankerten Rechte – einschließlich des Rechts, sich in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten – gestärkt haben, wurde der Verwaltungsprozess, der die Anwendung dieses Rechts unterstützt, nicht entsprechend überarbeitet. Tatsächlich gibt es in der EU insofern weiterhin einen fragmentierten Rechtsrahmen, als in den Mitgliedstaaten Verwaltungsformalitäten wie die Vorlage einer Apostille zur Beglaubigung von Kopien und Übersetzungen fortbestehen – eine Formalität, die auf dem Haager Apostillen-Übereinkommen von 1961 beruht, mit dem der Verkehr über internationale Grenzen hinweg erleichtert werden sollte. Diese Formalität spiegelt nicht die Tatsache wider, dass die EU keine Binnengrenzen hat; sie erleichtert somit nicht das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit innerhalb der EU, sondern erschwert es eher.

2.7

Derzeit müssen z.B. Bürger, die ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlagern, viel Zeit und Geld aufwenden, um die Echtheit der im Heimatmitgliedsstaat ausgestellten Urkunden sicherzustellen. Es wird anerkannt, dass Unternehmen und Bürger zweifellos von einem kohärenten und transparenten Rechtsrahmen für bestimmte öffentliche Urkunden profitieren werden, die für den Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Personen in der EU bzw. im Binnenmarkt entscheidend sind.

2.8

Die EU hat sich nicht parallel zum technologischen Fortschritt weiterentwickelt, der dazu genutzt werden kann, die Belastung der Bürger und Unternehmen im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit zu verringern oder zu beseitigen. Der EWSA hält das IMIS, eine internetgestützte Anwendung, die es nationalen, regionalen und lokalen Behörden ermöglicht, schnell und einfach mit ihren Äquivalenten im Ausland zu kommunizieren, für eine geeignete IKT-Plattform, die die Verwaltungszusammenarbeit erleichtert, sobald der Vorschlag umgesetzt wird. Das IMIS wird auch als ein wichtiges Medium zur Speicherung der am häufigsten verwendeten nationalen öffentlichen Urkunden in der EU dienen, einschließlich ihrer Übersetzung in alle EU-Amtssprachen, um den Behörden mit unzureichendem Sprachwissen dabei zu helfen, die Richtigkeit oder die Qualität von Übersetzungen der ihnen vorgelegten öffentlichen Urkunden zu beurteilen (16).

2.9

Der EWSA bedauert, dass die derzeitigen Reformen, die durch den Vorschlag zur Erleichterung der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der EU seitens der Bürgern und Unternehmen eingeführt wurden, 20 Jahre nach der Einführung der Unionsbürgerschaft und 42 Jahre nach dem Haager Übereinkommen vorgelegt werden.

3.   Rechtliche Aspekte des Vorschlags

Nachfolgend wird die Position des EWSA zu den wichtigsten Aspekten des Vorschlags wiedergegeben.

3.1   Gegenstand, Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen

3.1.1

Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Definition der "öffentlichen Urkunden" gemäß Artikel 3 Absatz (1) des Vorschlags die wichtigen öffentlichen Urkunden umfasst, die sich auf die EU-Rechte der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen der Union beziehen.

3.1.2

Der EWSA betont jedoch, dass die öffentlichen Urkunden, die im Vorschlag genannt werden, tatsächlich die ersten einer Reihe öffentlicher Urkunden sein sollten, die Gegenstand eines Vereinfachungsprozesses mit dem Ziel sind, die Freizügigkeit in der EU, grenzübergreifende Tätigkeiten und das Funktionieren des EU-Binnenmarkts zu verbessern.

3.1.3

Der EWSA unterstreicht, dass bei künftigen Vereinfachungsmaßnahmen bezüglich öffentlicher Urkunden wichtige öffentliche Urkunden ins Visier genommen werden sollten, die sich z.B. auf die Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU (ein grundlegender Faktor für die Entwicklung der grenzüberschreitend tätigen Unternehmen und des grenzüberschreitenden Handels) oder Menschen mit Behinderungen beziehen, insofern diese öffentlichen Urkunden nicht in anderen EU-Richtlinien Berücksichtigung finden. Solche öffentlichen Urkunden umfassen z.B. nationale Bildungs- und Sozialversicherungsnachweise.

3.2   Befreiung von der Legalisation, Vereinfachung sonstiger Formalitäten und Auskunftsersuchen

3.2.1

Der EWSA betont, dass das derzeitige Erfordernis der Vorlage einer Apostille internationale Verfahren und damit nicht die Entwicklungen der EU als Binnenmarkt widerspiegelt. Es gibt ca. 12,5 Mio. Unionsbürger, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem eigenen leben, und über 380 000 kleinste, kleine und mittelständische EU-Unternehmen, die an grenzüberschreitenden Unteraufträgen beteiligt sind und die ständig mit Verwaltungsaufwand und unnötiger Bürokratie konfrontiert sind, wenn sie von einem Mitgliedstaat in den anderen umziehen bzw. grenzüberschreitende Geschäfte tätigen. Dieser Stand der Dinge widerspricht dem Bild einer EU ohne Binnengrenzen.

3.2.2

Der EWSA stimmt deshalb dem Vorschlag der Europäischen Kommission zu, öffentliche Urkunden von den in den Mitgliedstaaten geltenden Rechts- und Verwaltungserfordernissen zu befreien. Er hält dies für einen ersten Schritt in einem fortlaufenden Programm zur Vereinfachung öffentlicher Urkunden.

3.2.3

Der EWSA teilt die Ansicht, dass Bestimmungen eingeführt werden sollten, um sicherzustellen, dass im Falle berechtigter Zweifel eine Überprüfung im erforderlichen Umfang erfolgt. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass es Situationen geben wird, in denen die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten notwendig ist, um zu gewährleisten, dass eine öffentliche Urkunde oder ihre beglaubigte Kopie echt ist.

3.2.4

Der EWSA spricht sich nachdrücklich für den Grundsatz aus, dem zufolge Bürger oder Unternehmen ein Höchstmaß an Gewissheit über den Umfang haben müssen, in dem öffentliche Urkunden von allen Formen der Legalisierung oder sonstigen Formalitäten befreit sind. Diese Gewissheit wird es den Bürgern oder Unternehmen ermöglichen, ihre Tätigkeiten vorausschauend zu planen, und so wird sichergestellt, dass sämtliche in der Folgenabschätzung der Kommission genannten materiellen und immateriellen Vorzüge und Leistungen auch tatsächlich in Anspruch genommen werden (17).

3.2.5

Der EWSA stellt fest, dass 99 % der entsprechend dem derzeitigen System pro Jahr für unionsinterne Tätigkeiten ausgestellten ca. 1,4 Mio. Apostillen keine Probleme mit sich bringen. Er ist deshalb der Auffassung, dass die von der Kommission vorgeschlagene politische Option in Bezug auf die Verwaltungszusammenarbeit (basierend auf dem IMIS in Fällen berechtigter Zweifel an der Echtheit öffentlicher Urkunden und auf der Grundlage mehrsprachiger Formulare) zu besseren Ergebnissen führen sollte.

3.2.6

Der EWSA empfiehlt, die Definition der "berechtigten Zweifel" im Kommissionsvorschlag eindeutig zu formulieren, um Unklarheiten zu beseitigen. In dieser Hinsicht schlägt der EWSA folgende Änderungen vor:

"2.

Die berechtigten Zweifel nach Absatz 1 können sich beziehen auf

(a)

die Echtheit der Unterschrift,

(b)

die Eigenschaft, in der die die Urkunde unterzeichnende Person gehandelt hat,

(c)

die Echtheit des Siegels oder Stempels."

3.2.7

Falls ein Mitgliedstaat ein offizielles Auskunftsersuchen bei Vorliegen berechtigter Zweifel auf der Grundlage dieser neuen Definition an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem diese Urkunde ausgestellt wurde, richtet, muss er die betreffende Person über die Gründe, aus denen dieses Ersuchen gestellt wird, ausdrücklich unterrichten.

3.2.8

Der EWSA ist zuversichtlich, dass die Ersuchen um Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten deutlich effizienter als die im Vorschlag festgelegte Frist von einem Monat sein werden, sobald das IMIS in allen Mitgliedstaaten umgesetzt ist und alle regelmäßigen Fortschrittsberichte zeigen, dass das System stabil funktioniert und dass sich alle in den Mitgliedstaaten zuständigen Personen die erforderlichen Kenntnisse angeeignet haben. Der EWSA empfiehlt deshalb, dass die Kommission diese Frist auf zwei Wochen herabsetzen sollte, falls die Ergebnisse signifikante Verbesserungen erkennen lassen. Eine solche Überarbeitung würde sowohl den Bürgern als auch den Unternehmen deutlich signalisieren, dass sich die EU tatsächlich bemüht, die Unionsbürgerschaft Wirklichkeit werden zu lassen, und dass sie die Bürger in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt.

3.2.9

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung eines ausgewogenen Rechenschaftssystems, das dazu dient zu beurteilen, inwieweit die Mitgliedstaaten den Vorschlag wirksam umsetzen. Er empfiehlt, dass die Kommission einen jährlichen Leistungsvergleich der Umsetzungsanstrengungen seitens der Mitgliedstaaten vornimmt.

3.3   Verwaltungszusammenarbeit

Der EWSA teilt die Auffassung, dass das Binnenmarktinformationssystem (Artikel 8) in Fällen eingesetzt werden sollte, in denen ein Mitgliedstaat berechtigte Zweifel an der Echtheit einer öffentlichen Urkunde oder an ihrer beglaubigten Kopie hat und sich diese Zweifel nicht auf andere Weise ausräumen lassen (Artikel 7). Der Ausschuss stimmt auch zu, dass die Mitgliedstaaten mindestens eine Zentralbehörde benennen und der Kommission alle benannten Zentralbehörden und ihre Kontaktangaben mitgeteilt werden (Artikel 9) und dass diese Zentralbehörden Amtshilfe bei Auskunftsersuchen gemäß Artikel 7 leisten und sonstige Maßnahmen treffen, um die Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern (Artikel 10).

3.4   Standardisierte mehrsprachige EU-Formulare

Der EWSA stimmt zu, dass die mehrsprachigen EU-Formulare zu Geburt, Tod, Eheschließung, eingetragener Partnerschaft sowie Rechtsform und Vertretung einer Gesellschaft oder eines sonstigen Unternehmens in den Anhängen aufgeführt und festgelegt werden (Artikel 11) und dass diese Formulare Bürgern und Gesellschaften oder sonstigen Unternehmen auf Wunsch als Alternative zu den entsprechenden öffentlichen Urkunden ausgestellt werden und sie Ausstellungsdatum, Unterschrift und Siegel der Ausstellungsbehörde aufweisen müssen (Artikel 12). Der EWSA ist auch damit einverstanden, dass die Kommission eine ausführliche Anleitung zur Verwendung solcher Standardformulare erstellt (Artikel 13) wie auch elektronische Versionen entwickelt (Artikel 14) und dass die Formulare dieselbe formelle Beweiskraft wie die entsprechenden öffentlichen Urkunden besitzen und von den Behörden der Mitgliedstaaten ohne Notwendigkeit von Formalitäten angenommen werden (Artikel 15).

3.5   Verhältnis zu sonstigen Rechtsinstrumenten

Der EWSA teilt die Auffassung, dass diese Verordnung nicht die Anwendung anderer EU-Rechtsvorschriften oder den Gebrauch anderer durch Unionsrecht etablierter Formen der Verwaltungszusammenarbeit hindert (Artikel 16) und die Anwendung internationaler Übereinkommen unberührt lässt, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten angehören, jedoch Vorrang vor zwischen ihnen geschlossenen Übereinkommen hat, soweit diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind (Artikel 18). Der EWSA billigt auch die Aufnahme des in Artikel 17 formulierten Standardtexts.

3.6   Allgemeine und Schlussbestimmungen

3.6.1

Der EWSA stimmt zu, dass der Austausch von Informationen und die Übermittlung von Urkunden durch die Mitgliedstaaten dem Zweck dienen, die Überprüfung der Echtheit öffentlicher Urkunden mittels des Binnenmarktinformationssystems zu ermöglichen (Artikel 19). Er ist auch damit einverstanden, dass die Mitgliedstaaten der Kommission den Namen der von ihnen benannten Zentralbehörden übermitteln und sie über diesbezügliche Änderungen unterrichten und dass die Kommission diese Informationen veröffentlichen wird (Artikel 20). Schließlich stimmt der EWSA zu, dass die Kommission mindestens alle drei Jahre dem Europäischen Parlament einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vorlegt (Artikel 21).

3.6.2

Der EWSA betont, dass der Artikel 19 "Datenschutz" gewährleisten muss, dass der Austausch von Informationen und die Übermittlung von Urkunden durch die Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Vorschlags den Datenschutzgrundsätzen der EU Rechnung tragen.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2013) 269 final.

(2)  Ebd.

(3)  SWD(2013) 144 final.

(4)  Ebd.

(5)  Ebd.

(6)  ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1.

(7)  COM(2010) 171 final.

(8)  COM(2010) 747 final.

(9)  COM(2011) 206 final.

(10)  COM(2012) 573 final.

(11)  COM(2012) 740 final.

(12)  COM(2012) 784 final.

(13)  COM(2012) 238 final.

(14)  COM(2012) 795 final.

(15)  Ebd.

(16)  Verordnung Nr. 1024/2012 vom 25. Oktober 2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems (Amtsblatt vom 14. November 2012) ermöglicht ein hohes Maß an Flexibilität für die künftige Ausweitung des IMIS auf EU-Rechtsakte, die noch nicht im Anhang aufgeführt sind (Artikel 4 der IMIS-Verordnung). Grundlage sind von der Kommission durchgeführte Pilotprojekte und Auswertungen ihrer Ergebnisse, einschließlich Datenschutzfragen und wirksamen Übersetzungsfunktionen.

(17)  SWD(2013) 144 final.