21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/14


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Das BIP und mehr — die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren“ (Initiativstellungnahme)

2012/C 181/04

Berichterstatter: Stefano PALMIERI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Das BIP und mehr – die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 172 gegen 5 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bekräftigt die inhaltliche Aussage der Schlussbotschaft zur EWSA-Konferenz „Nachhaltigkeit fördern, Verantwortung zeigen! Die europäische Zivilgesellschaft auf dem Weg zu Rio+20“ am 7./8. Februar 2012, in der es in Ziffer 8 heißt: „begrüßen, dass in dem Nullentwurf die Grenzen des BIP als Indikator für Wohlergehen erkannt werden, und fordern die Einbindung der Zivilgesellschaft in die schleunige Entwicklung ergänzender Indikatoren“;

1.2   Der EWSA würdigt die in den letzten Jahren bei der Erarbeitung zusätzlicher Indikatoren zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf weltweiter und europäischer Ebene erzielten Fortschritte; dies gilt insbesondere für die Untersuchung von repräsentativen Indikatoren für die Lebensqualität und die gesellschaftlichen Bedingungen des Individuums in Bezug zur Nachhaltigkeit der Wirtschaftssysteme.

1.2.1   Der EWSA erachtet es auch weiterhin für unverzichtbar, diesen Erarbeitungsprozess weiterzuführen, insbesondere im Zuge einer globalen Herangehensweise, mit der sich die Europäische Union (EU) an die Spitze der Initiative stellt; auch im Hinblick auf die nächsten internationalen Termine (Rio+20) und vor allem vor dem Hintergrund der möglichen Fortschritte bei den neuen EU-Strategien für Stabilität und Wirtschaftswachstum, für Entwicklung und sozialen Zusammenhalt und für ökologische Nachhaltigkeit. Die erste Agenda, an denen die Festlegung der ergänzenden Indikatoren zum BIP gemessen werden kann, ist die Europa-2020-Strategie.

1.3   Der EWSA ist der Ansicht, dass die vielschichtige Entwicklung, die zu einer Neudefinition von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt – über das reine Wirtschaftswachstum hinaus – führt, nicht durch die kurzatmigen EU-Soforthilfemaßnahmen zur Bekämpfung der anhaltenden Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise überschattet werden darf.

1.3.1   Für den wirtschaftlichen Aufschwung und die Überwindung der Krise ist ein Paradigmenwechsel vonnöten, bei dem Wohlstand und sozialer Fortschritt die Grundlagen für weitere Entwicklung sind. Nur auf diese Weise kann den Ursachen der Krise und des durch sie unlängst ausgelösten Konjunkturabschwungs in Europa größeres Augenmerk gewidmet werden, um sie zu analysieren und kurz-, mittel- und langfristig angemessenere politische Maßnahmen zu erarbeiten. In diesem Sinne stellen die EU-Politiken eine besonders interessante Herausforderung dar.

1.4   Der EWSA bekräftigt daher, dass die reduktionistischen Tendenzen und die Widerstände gegen die Aufnahme und institutionelle Überwachung von Indikatoren für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit, welche die traditionellen, rein wirtschaftlichen und finanziellen Indikatoren ergänzen sollten, überwunden werden müssen, damit die aktuelle Krise nicht ausufert und besser gesteuert werden kann.

1.5   Die Kluft, die sich zwischen den Wirtschaftspolitiken auf nationaler und europäischer Ebene und den Politiken zur Förderung von Wohlstand und sozialem Fortschritt aufgetan hat, ist mittlerweile beachtlich. Und obwohl die nationalen Statistikämter mittlerweile überwiegend zusätzliche Indikatoren zum BIP heranziehen, hängt eine mögliche Verringerung dieser Kluft von der Fähigkeit ab, die zahlreichen verfügbaren Informationen in Wissen und kollektives Bewusstsein der Unionsbürger zu verwandeln.

1.5.1   In diesem Sinne sollte eine Debatte über die inhaltliche Bedeutung von Fortschritt angestoßen werden, bei der neben einer Neudefinition des Entwicklungsbegriffs auch Elemente politischer Verantwortung Eingang finden. Dieser neue Ansatz setzt voraus, dass die verschiedenen Dimensionen ermittelt werden, die den Fortschritt bilden durch

i)

Ausdehnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf soziale und ökologische Phänomene,

ii)

Verwendung zusammengesetzter Indikatoren und

iii)

Schaffung von Schlüsselindikatoren.

1.6   Nach Ansicht des EWSA kommt somit der Statistik eine zentrale Bedeutung für die Schließung der Wissenslücke zu, die besteht

zwischen den wirtschaftlichen und sozialen Prozessen im Zuge der politischen Entscheidungen und den Fortschritten in Bezug auf Wohlstand und sozialen Fortschritt, und

zwischen den politischen Institutionen und den Bürgergremien; und dies gilt heute angesichts der Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien umso mehr.

1.7   Der EWSA ist davon überzeugt, dass die Transparenz der demokratischen Entscheidungsprozesse eine unabhängige statistische „Governance“ erfordert, deren wesentliche Aufgabe darin besteht, die Messungen und ihre Methodik in Richtung der von den neuen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erfordernissen erzwungenen Phänomene zu lenken. In diesem Zusammenhang soll Eurostat eine zentrale Rolle bei der Integration und Harmonisierung der nationalen und regionalen Statistiken übernehmen.

1.8   Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass die Zivilgesellschaft gemeinsam mit den anderen gesellschaftlichen und institutionellen Akteuren die Handlungsbereiche ermitteln muss, in denen sich der Fortschritt einer Gesellschaft bestimmt lässt, indem sie die spezifischen Bereiche und die wichtigsten Phänomene (in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht) umreißt. Dies kann mit Hilfe spezifischer Informations-, Konsultations- und Partizipationsinstrumente erfolgen.

1.8.1   Nach Ansicht des EWSA darf die Legitimität der öffentlichen Entscheidungen nicht ausschließlich durch die Garantien und formellen Ordnungen – institutioneller, rechtlicher, verfassungsrechtlicher Art – des Staates geliefert und gewährleistet werden, sondern muss notwendigerweise auf dem Beitrag der Zivilgesellschaft basieren.

1.8.2   Der spezifische Beitrag der Zivilgesellschaft zur Festlegung der Perspektiven für Entwicklung und Wohlstand ist politisch notwendig, um die partizipative Dimension mit der kognitiven verknüpfen und überhaupt die künftigen Ziele verfolgen zu können.

1.9   Was gleichwohl fehlt, ist die Entwicklung von Instrumenten für die Durchsetzung und die Rechenschaftspflicht, die für die Kopplung der politischen, insbesondere der wirtschafts- und haushaltspolitischen Entscheidungen an die Leistung der Indikatoren selbst notwendig sind.

1.10   Der EWSA ist vor dem Hintergrund der zahlreichen Konsultations- und Partizipationserfahrungen in verschiedenen Ländern der Ansicht, dass das „Beschlussfassungsparadigma“, (der Prozess des Austauschs von Informationen und Meinungen in Bezug auf eine gemeinsame Entscheidung in Gestalt eines Diskurses, in dessen Verlauf sich die kollektiven Präferenzen herauskristallisieren und zur Sprache kommen), anhand dessen die Indikatoren für Wohlstand und Fortschritt zu erarbeiten wären, basieren sollte auf:

einem gleichberechtigten Meinungsaustausch zwischen institutionellen Akteuren und Vertretern der Zivilgesellschaft;

der Einbeziehung aller in Bezug auf die Entscheidung über eine künftige Messung und Beobachtung des Wohlstands und sozialen Fortschritt betroffenen Akteure in den Beschlussfassungsprozess;

einer Ausrichtung auf das Gemeinwohl, insbesondere in der im Anschluss an die diskursive Dialektik erfolgende Synthese.

1.11   Der EWSA verpflichtet sich, die Überwachung der Tätigkeiten fortzusetzen, die auf nationaler und europäischer Ebene die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Erarbeitung der zusätzlichen Indikatoren zum BIP beinhalten.

1.12   Der EWSA bekräftigt erneut seine Bereitschaft, als Ort der Begegnung zwischen der organisierten Zivilgesellschaft und den EU-Institutionen im Rahmen eines Mitwirkungs- und Beschlussfassungsprozesses zur Ermittlung und Erarbeitung der Fortschrittsindikatoren für die Europäische Union zu fungieren.

2.   Einleitung

2.1   Mit dieser Stellungnahme möchte der EWSA seinen eigenen Beitrag zu den Überlegungen über die Modalitäten der Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Erarbeitung von Indikatoren für Wohlstand oder Fortschritt einer Gesellschaft leisten, und zwar sowohl im Hinblick auf die Konferenz der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung, Earth Summit 2012 – Rio+20 vom 20. bis 22. Juni 2012 in Rio de Janeiro (1), als auch im Hinblick auf das Vierte Weltforum der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vom 16. bis 19. Oktober 2012 in Neu Delhi (Indien) „Statistics, Knowledge and Policies Measuring Well-Being and Fostering the Progress of Societies“.

2.2   Der EWSA möchte die mit seinen beiden früheren Stellungnahmen skizzierte Richtung fortsetzen und die Überwachung der Fortschritte weiterführen, die auf europäischer Ebene bei der Entwicklung zusätzlicher Indikatoren neben dem BIP erreicht wurden: Indikatoren, mit denen der wirtschaftliche und soziale Fortschritt unter Beachtung der ökologischen Nachhaltigkeit gemessen werden kann (2).

2.3   Der EWSA hatte bereits mit der Stellungnahme „Jenseits des BIP – Messgrößen für nachhaltige Entwicklung (3) Überlegungen hinsichtlich der Grenzen des BIP, möglicher Korrekturen und Ergänzungen und folglich zur notwendigen Erarbeitung neuer Kriterien angestellt, mit denen zusätzliche Indikatoren für Wohlergehen und (wirtschaftliche, soziale und ökologische) Nachhaltigkeit im Interesse von „mehr Ausgewogenheit in der Politik“ ermittelt werden können.

2.4   Zwei Jahre später hatte der EWSA im Anschluss an die auf europäischer Ebene erfolgten Diskussionen und Arbeiten in seiner Stellungnahme „Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel (4) die Mitteilung der Europäischen Kommission (5) begrüßt. Er hob darin die Bedeutung einer langfristigen Perspektive bei der Auswahl von Referenzparametern und statistischen Instrumenten hervor, die sich zur Erweiterung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auf soziale und ökologische Kriterien eignen, und natürlich in Abhängigkeit von den politischen Entscheidungen der politisch-institutionellen Akteure.

2.4.1   In der genannten Stellungnahme hob der EWSA die Notwendigkeit hervor, eingehender nach repräsentativen Indikatoren für die Lebensqualität und Lebensbedingungen der Bürger zu suchen. Dabei sollte ein globaler Ansatz verfolgt werden, mit dem sich die Europäische Union an die Spitze der Initiative stellt.

3.   Von wirtschaftlichem Wachstum zu gesellschaftlichem Fortschritt: eine vielschichtige Entwicklung

3.1   Seit mehr als 50 Jahren wird an der Entwicklung neuer Indikatoren gearbeitet, die eine Alternative oder genauer gesagt eine Ergänzung zum BIP, dem traditionellen Indikator für das Wirtschaftswachstum, darstellen. Das BIP ist ein Messinstrument, das auf die Wirtschaftsaktivität einer Gesellschaft „spezialisiert“ ist: ein Indikator, der nur aufgrund einer „bequemen“ Auslegung vom „Produktionsindikator“ zum „Indikator für das Wohlergehen einer Gesellschaft“ (6) werden konnte.

3.1.1   Zwischen 1960 und 1990 wurden soziale Indikatoren als Ergänzung oder Alternative zum BIP entwickelt, um Bereiche zu erfassen, die den traditionell dominierenden Wirtschaftsbereich ergänzen konnten: eine Phase, die als „soziale Phase“ der Fortschrittsindikatoren einer Gesellschaft definiert werden kann.

3.1.2   Ende der 80er Jahre wurde im „Brundtland-Bericht“ von 1987 die Frage der Nachhaltigkeit von Entwicklung ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt (7). Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von 1992 (Rio Earth Summit) gelangte der Umweltschutz auf die internationale politische Agenda und markierte den Übergang zu einer „globalen Phase“ bei der Suche nach und der Erarbeitung von Indikatoren, mit denen der Fortschritt der Gesellschaft erfasst werden konnte (8).

3.2   Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat sich verstärkt die Notwendigkeit gezeigt, den von einer Gesellschaft erreichten Wohlstand und die (wirtschaftliche, soziale und ökologische) Nachhaltigkeit zu bewerten.

3.3   In den letzten Jahren hat die OECD mit dem 2003 gestarteten „Global Project on measuring the progress of societies“ eine zentrale Rolle eingenommen (9). Das Global Project war und ist auch heute noch ein Moment der „partizipativen“ Reflexion auf globaler Ebene. Es hat deutlich gemacht, dass das Fortschrittsparadigma der Gesellschaft einer Veränderung bedarf und ein dementsprechendes globales Entwicklungsmodell benötigt wird.

3.3.1   Durch das Global Project ist ein Netzwerk von Fachleuten aus dem öffentlichen und privaten Sektor entstanden, die daran interessiert sind, sich intensiv a) mit Studien und Analysen von Statistiken zum sozialen Wohlergehen, zur ökologischen Nachhaltigkeit und zum Wirtschaftswachstum und b) mit Instrumenten der Informations- und Kommunikationstechnologien zu befassen, die es ermöglichen, die statistische Information in Wissen umzuwandeln (10).

3.4   Am 20. August 2009 legte die Europäische Kommission die Mitteilung „Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel (11) vor, in der die Notwendigkeit anerkannt wurde, das BIP durch umweltbezogene und soziale Indikatoren zu ergänzen und bis 2012 ein Arbeitsprogramm aufzustellen.

3.5   Knapp einen Monat später (12) wurde der Bericht der „Kommission zur Messung der wirtschaftlichen Leistung und des sozialen Fortschritts“ (der sogenannten Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission) (13) veröffentlicht, der folgenden Zielen diente:

a)

Feststellung der Grenzen für die Anwendung des BIP als Indikator für die wirtschaftliche Leistung und den sozialen Fortschritt;

b)

Bewertung der Möglichkeit, alternative Instrumente zur Messung des sozialen Fortschritts anzuwenden;

c)

Überlegungen darüber anzustoßen, wie die statistischen Informationen angemessen präsentiert werden.

3.5.1   Zu diesem Zweck wurden im Bericht zwölf Empfehlungen formuliert, mit denen Messinstrumente entwickelt werden können, anhand deren das soziale Wohlergehen – die materielle und nichtmaterielle Lebensqualität – in all seinen Dimensionen herausgearbeitet werden kann (14).

3.6   Am 25. September 2009 gewann die Diskussion über das BIP und die Notwendigkeit zusätzlicher sozialer und umweltbezogener Indikatoren im Verlauf des G20-Gipfels in Pittsburgh weiteres Gewicht. Die Abschlusserklärung enthielt die Verpflichtung: „Parallel zu unserer Zusage, ein neues, nachhaltiges Wachstumsmodell zu etablieren, sollten wir die Arbeiten an Erfassungsmethoden fördern, die die soziale und umweltspezifische Dimension der wirtschaftlichen Entwicklung besser berücksichtigen“.

3.7   Im Dezember 2010 legte die Europäische Kommission den „Fünften Zwischenbericht über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt (15) vor, der in dem Abschnitt „Das Wohlergehen verbessern und die Ausgrenzung reduzieren“ (Kapitel 1 „Wirtschaftliche, soziale und territoriale Situation und Entwicklungstendenzen“, S. 73-117) eine Reihe von Wohlstandsindikatoren aufzeigt.

3.8   Trotz der Beachtung, die heute der gesellschaftlichen Entwicklung geschenkt wird, scheint es auf Ebene der europäischen Institutionen weiterhin eher starke Widerstände zu geben, wenn es darum geht, die auf die soziale Entwicklung und die Umwelt bezogenen Indikatoren anzuwenden.

3.8.1   Von Frühjahr bis Herbst 2010 erarbeitete die Europäische Kommission ein Projekt zur Konsolidierung der Wirtschaftssteuerung in Europa, das sich auf einen Ausgleich der steuerlichen und makroökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der Mitgliedstaaten der EU richtet (16). Dieses Projekt müsste von einem System der Indikatoren (dem sog. Scoreboard) ausgehen, das es ermöglicht, Alarmsignale zu diesen Ungleichgewichten auszugeben und in den betroffenen Mitgliedstaaten entsprechende Korrekturmaßnahmen zu ergreifen (17). Bedauerlicherweise entbehrten die Überlegungen zum anzuwendenden System der Indikatoren jedweder Transparenz. Die Kommission hat die wirtschaftlichen Indikatoren, die für das Verständnis der finanziellen, sozialen und ökologischen Ungleichgewichte relevant sind, völlig außer Acht gelassen.

3.8.2   Ähnlich ist sie im Euro-Plus-Pakt oder im jüngsten fiskalpolitischen Pakt verfahren, mit denen auf die Finanzspekulation reagiert und die Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums gewahrt werden soll.

3.8.3   Wie bereits in den Stellungnahmen zur Konsolidierung und Koordinierung der EU-Politiken (18) sowie zu den makroökonomischen Ungleichgewichten (19) ausgeführt, ist der EWSA der Auffassung, dass wenn makroökonomische Ungleichgewichte als anhaltende Unterschiede zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage in einem Mitgliedstaat verstanden werden, (die zu systembedingten Überschüssen oder Defiziten beim Gesamtverbrauch und der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis einer Volkswirtschaft führen) es dann zumindest angebracht wäre, auch die sozialen Indikatoren aufzunehmen, wie z.B. Index zur Ungleichheit zwischen Einkommen und Reichtum; Einfluss der Vergütungen der untersten Ebene, Komponente der sog. Working Poor; Anteil der Vergütungen und Gewinne am BIP (20). Dies alles sind Indikatoren, die auf makroökonomische Ungleichgewichte verweisen, welche auf Sparüberschüsse bei den höheren und auf eine Überschuldung bei den mittleren und niedrigen Einkommen zurückzuführen sind. Dies sind unzweifelhafte Erkenntnisse aus der 2008 weltweit aufgetretenen Wirtschafts- und Finanzkrise (21).

3.8.4   Anders gesagt: Knapp zwei Jahre nach der oben erwähnten Mitteilung der Europäischen Kommission (22) verfolgt die Kommission zwar neue Wege bei der Untersuchung von Entwicklung und sozialem Fortschritt, bringt aber im Rahmen der ihr auferlegten Leitung, Koordination und vor allem Kontrolle der Mitgliedstaaten weiterhin die üblichen Mittel und konventionellen Strategien zur Anwendung und erteilt lediglich einigen Dimensionen des wirtschaftlichen Aspekts Vorrang, wobei ein Großteil der gesellschaftlichen oder ökologischen außen vor bleiben.

3.8.5   Vor diesem Hintergrund sind der EWSA, das Europäische Parlament und der Ausschuss der Regionen der Auffassung, dass Überlegungen über das Konzept des sozialen Fortschrittes nicht auf einen engen Personenkreis beschränkt sein dürfen, sondern notwendigerweise die Allgemeinheit einbeziehen müssen.

3.9   In allen nationalen und internationalen Untersuchungen zum Thema der komplementären Indikatoren zum BIP taucht die Annahme auf, dass die aktuelle Krise rechtzeitig erkannt und somit sicherlich besser hätte bewältigt werden können, wenn man auch Indikatoren für die wirtschaftliche, soziale, ökologische, intergenerationelle und finanzielle Nachhaltigkeit im öffentlichen und privaten Bereich mehr Beachtung geschenkt hätte.

3.9.1   Die Bemessung von Wohlstand und Fortschritt ist jedoch keine rein technische Frage, da es bei Wohlstand auch um die Präferenzen und grundlegenden Werte einer Gesellschaft und ihrer einzelnen Mitglieder geht.

3.9.2   Zu den wichtigsten Aspekten in den Untersuchungen und Überlegungen zu den Ursachen der Krise und den Möglichkeiten ihrer „Bemessung“ mittels umfassenderer Indikatoren gehört die höhere Beachtung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (und nicht ausschließlich des Angebots). Was den materiellen Wohlstand angeht, so wird in der internationalen Diskussion auf die Notwendigkeit einer stärkeren Beachtung der Faktoren Einkommen und Verbrauch anstelle der Produktion hingewiesen und gefordert, auch die Indikatoren zur Verteilung des Reichtums zu berücksichtigen. Außerdem wird betont, dass auch die Qualität der Güter Einfluss auf den Wohlstand hat, und es wird besonderer Wert auf die Berücksichtigung der sozialen Unterschiede und ihrer Bemessung gelegt, bei der man sich nicht allein auf die Betrachtung der „mittleren“ Werte beschränken dürfe.

3.9.3   Es steht außer Zweifel, dass die aus den Jahren 2008/2009 mitgeschleppte Wirtschafts- und Finanzkrise bis hin zum aktuellen „Double Dip“ diese Diskussion so zweckmäßig wie nie erscheinen lässt, vor allem was die Ursprünge der Krise und die Neudefinition von Wachstum, Entwicklung und Fortschritt betrifft, welche die verschiedenen nationalen Systeme und im Allgemeinen die Gesellschaft (erneut) generieren wollen.

4.   Das neue Bezugsparadigma: Der Fortschritt einer Gesellschaft

4.1   Die Debatte über die Notwendigkeit, neue Indikatoren heranzuziehen, die den wirtschaftlichen Bereich ausdehnen, und die sozialen und ökologischen Probleme zu berücksichtigen, lebt heute mit neuer Kraft auf, weil sich das gesellschaftliche Bezugsparadigma gewandelt hat. Mittlerweile reicht das Wirtschaftswachstum – ein für jedes Land nach wie vor äußerst wichtiger Faktor – allein nicht mehr aus, um einen realen Fortschritt für die Allgemeinheit zu gewährleisten, wenn es nicht inklusiv und nicht nachhaltig ist.

4.1.1   Neben das Konzept des wirtschaftlichen Wachstums muss folglich das des Fortschritts treten. Ein wesentlich weiter abgesteckter und ungleich komplexerer Kontext mit einer Multidimensionalität, die zahlreiche Aspekte und Aufgaben beinhaltet, wie: i) die Definition der zu erreichenden Zielsetzungen, ii) die Definition der anzusetzenden Strategien und Maßnahmen und iii) die Definition der Indikatoren zur Beobachtung des auf das Erreichen dieser Ziele bezogenen Ergebnisse. Das gleiche Verständnis des Fortschritts kann, auf unterschiedlichen Breitengraden, Auslegungen und Bedeutungen beinhalten, die je nach Bevölkerung, Kultur und Religion unterschiedlich sein können.

4.2   Der Paradigmenwechsel vom wirtschaftlichen Wachstum zum Fortschritt ist weit davon entfernt, die Dinge zu vereinfachen, sondern dürfte sie eher komplizierter machen. So wird es heute so notwendig wie nie zuvor, eine Debatte zur Bedeutung des Fortschritts zu fördern, welche neben einer Neudefinition des Fortschrittsbegriffs über die Ermittlung der zu erreichenden Zielsetzungen und der dazu erforderlichen Mittel Elemente der politischen Verantwortung einführen muss. Anders ausgedrückt: Eine Debatte, die ermöglicht, dass die Gesellschaft und all ihre Mitglieder sich auf die Elemente konzentrieren können, welche sie für ihre eigene Existenz als grundlegend erachtet.

4.3   Diese vollkommen neue Haltung macht eine Ermittlung der unterschiedlichen Dimensionen des Fortschritts erforderlich, um darauf aufbauend die entsprechenden Indikatoren definieren zu können. Die drei vorrangigen Methoden, die bei der Bemessung dieses Fortschritts angesetzt werden müssen, sehen vor:

1)

Ausdehnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auf soziale und umweltbezogene Phänomene;

2)

Nutzung der zusammengesetzten Indikatoren;

3)

Bildung von Schlüsselindikatoren.

4.4   Wie sich aus der jüngsten und vollständigen Untersuchung zum Fortschritt einer Gesellschaft ergibt, scheint dieser Fortschritt im Wesentlichen auf zwei Systemen zu fußen, und zwar dem „menschlichen“ System und dem Ökosystem (23). Beide Systeme stehen über zwei unterschiedliche Kanäle in enger Wechselbeziehung: der erste Kanal besteht in der „Verwaltung der auf die Umgebung bezogenen Ressourcen“, der zweite aus den „Leistungen des Ökosystems (24).

4.4.1   In diesem Kontext nimmt der „persönliche Wohlstand“ (bezogen auf die Einzelperson wie auch auf die Gesellschaft) eine dominierende Funktion an, da er zum grundlegenden Ziel des gesellschaftlichen Fortschritts wird. Dieser Wohlstand setzt sich aus den drei Aktivitätsbereichen Ökonomie, Kultur und Governance zusammen (welche als „Zwischenziele“ angesehen werden können). Das Ökosystem dagegen besteht aus dem Aktivitätsbereich „Voraussetzungen des Ökosystems“ (Abbildung 1).

4.4.2   In diesem Zusammenhang kann der „Wohlstand einer Gesellschaft“ als die Summe des persönlichen Wohlstands und der Voraussetzungen des Ökosystems definiert werden, während der „gesellschaftliche Fortschritt“ als Verbesserung des persönlichen Wohlstands und der Voraussetzungen des Ökosystems angesehen werden kann. Ein Modell, das jedoch korrigiert werden muss, indem die Folgen der im Bereich des persönlichen Wohlstands und der in den Voraussetzungen des Ökosystems bestehenden Ungleichheiten einbezogen werden. Dabei sind die Ungleichheiten zwischen Gesellschaft und den geografischen Umfeldern, die innerhalb dieser geografischen Umfelder bestehenden Ungleichheiten sowie die zwischen den verschiedenen Generationen bestehenden Unterschiede in Betracht zu ziehen. Dies ist die Methode, die uns zur Definition eines für alle geltenden und vertretbaren Fortschritts einer Gesellschaft führt.

4.5   In den Rahmen dieser Überlegungen gehört die Debatte über die komplementären Indikatoren zum BIP. Und wenn diese Debatte heute neu auflebt und die Bemessung anderer Phänomenen (nicht nur des reinen Wirtschaftswachstums) gefordert wird, dann ist dies auf ein neues Bewusstsein für die Bedeutung dieser Phänomene und die entsprechende Forderung zurückzuführen, dass diese Phänomene endlich in die politische Agenda aufgenommen werden. Und die Bemessung dieser Phänomene ist die Voraussetzung ihrer Kenntnis und ermöglicht folglich ihrer Bewältigung.

4.5.1   Diese Phänomene stehen für politische Entscheidungen, sodass es zweckmäßig ist, sie zu beobachten, um den Bürgern über diese Beobachtung zu ermöglichen, auf angemessene Weise informiert zu sein. Und eben dies ist der Grund, warum der unabhängigen und hochwertigen offiziellen Statistik eine grundlegende Rolle zukommt.

5.   Information, Konsultation und Partizipation in den Prozessen zur Entwicklung der Fortschrittsindikatoren

5.1   Dass die Diskussion über die Ermittlung komplementärer Indikatoren zum BIP erneut entfacht wurde, hängt im Wesentlichen mit der Tatsache zusammen, dass im Laufe der letzen zehn Jahre eine regelrechte Kluft entstanden ist zwischen:

den in der offiziellen Statistik (bestehend aus den nationalen und den supranationalen Statistikinstituten) zur Ermittlung bestimmter Phänomene verwendeten Messgrößen,

und den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Tendenzen, die die Allgemeinheit betreffen und mit denen sich die Unionsbürger täglich auseinandersetzen müssen.

Eine Kluft, die sich auch infolge der in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht brisanten Auswirkungen der globalen Krise verschärft hat.

5.1.1   Anders ausgedrückt: Die Diskrepanz zwischen der von der offiziellen Statistik (mit Hilfe ihrer konventionellen Indikatoren, darunter das BIP als wichtigste Messgröße) ermittelten und gespiegelten Realität und der von den Bürgern gefühlten Realität macht zwangsläufig Überlegungen zur Rolle der offiziellen Statistik im 21. Jahrhundert erforderlich.

5.2   All dies ereignet sich zu einem Zeitpunkt, zu dem infolge der Fortschritte bei den Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) eine wahre Kommunikationsrevolution ausbricht, die eine wachsende Verfügbarkeit von Informationsflüssen ermöglicht. Inwieweit sich diese Entwicklung wirklich in einem effektiven Wissen für die Allgemeinheit niederschlägt, ist eigentlich die zentrale Frage – und hier muss die offizielle Statistik eine zentrale Rolle übernehmen. Ziel muss es sein, den Übergang von der Informations- zur Wissensgesellschaft zu ermöglichen.

5.2.1   Die zunehmende Verfügbarkeit von Informationen fördert die Transparenz der demokratischen Entscheidungsprozesse (die statistischen Indikatoren fördern z.B. das Verständnis der Entwicklungen bestimmter Phänome wie Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Inflation). Doch kann der gewaltige Informationsfluss die Konzentration der Nutzer untergraben, egal ob es sich um Bürger oder Politiker handelt (denn ein erhöhter Informationsfluss bedingt nicht notwendigerweise eine bessere Kenntnis).

5.3   Und genau dieses Dilemma zeigt, wie unabdingbar eine unabhängige und qualitativ hochwertige statistische Governance ist. Eine Statistik, deren grundlegende Aufgabe wieder darin bestehen muss, als Leitfaden für die Messungen und ihre Methoden in Bezug auf die Phänomene zu fungieren, die durch die neuen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Anforderungen bedingt werden (25).

5.3.1   Vor diesem Hintergrund sollte die Mitteilung der Europäischen Kommission „Ein robustes Qualitätsmanagement für die europäischen Statistiken (26) gesehen werden, in welcher bekräftigt wird, dass die Statistik heute nicht nur die Kenntnis dieser Phänomene, sondern auch ihre gegenwärtige und künftige Bewältigung ermöglichen muss. In diesem Bereich müssen die Bürger gut informiert, rational und demokratisch ihre Entscheidungen treffen können.

5.3.2   Eurostat sollte dementsprechend eine zentrale Rolle bei der Integration und Harmonisierung der nationalen und regionalen Statistiken der 27 EU-Mitgliedstaaten übernehmen, vor allem in Bezug auf die mit Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Einkommens- und Kapitalverteilung verbundenen Aspekte, um Veränderungen des Wohlstands im Anschluss an öffentliche Maßnahmen zu messen.

5.3.3   Eurostat sollte methodische Unterstützung gewährleisten, die sowohl den institutionellen und sozialen Akteuren als auch den europäischen Bürgern Instrumente an die Hand gibt, mit deren Hilfe sie sich informieren und beraten lassen und erfolgreich an der öffentlichen Diskussion teilhaben können (27).

5.4   Während die Zivilgesellschaft, gemeinsam mit gesellschaftlichen und institutionellen Akteuren, im Rahmen von einschlägigen Rundtischgesprächen und Diskussionsforen die Handlungsbereiche ermitteln müsste, in denen sich der Fortschritt einer Gesellschaft bestimmen lässt, indem sie die spezifischen Bereiche und die wichtigsten Phänomene (die verschiedenen Eigentümer in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht) umreißt, kommt der Statistik vor diesem Hintergrund eine unterstützende Funktion zu, indem sie geeignete Methoden anbietet und die zur Beobachtung dieser Phänomene geeignetsten Indikatoren ermittelt.

5.5   Die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht die Bildung von „Formen kollektiver Intelligenz“, die im Zuge der Durchsetzung aktiver Bürgerschaftspraktiken zur Neuformulierung von Demokratie beitragen:

zunächst die „partizipative Demokratie“ mit verstärkter Interaktion und Räumen für die Formulierung der Prioritäten im Zuge eines schrittweisen Verständnisses und Abwägens der verschiedenen Gesichtspunkte mit Blick auf das Gemeinwohl (28);

anschließend die „erarbeitende Demokratie“, um die Kriterien zu präzisieren, welche den Begriff „Wohlstand“ als gemeinsames Ziel sozialen Fortschritts abstecken sollen, indem die Variablen ermittelt werden, die sich für die Erarbeitung von Indikatoren eignen, die der Messung von Wohlstand und der Definition von Entwicklungspfaden einer Gesellschaft dienen sollen, die für die Interessenträger nachvollziehbar und somit in der Lage sind, ihre Einbindung in die Suche nach flächendeckendem Wohlstand zu fördern (29).

5.5.1   Auf diese Weise wird jener Begriff „soziales Kapital“ entwickelt (30), der den europäischen Zielen der Wissensökonomie und des sozialen Zusammenhalts zugrunde liegt, d.h. die Fähigkeit, den Begriff des Wohlstands aller durch ein Mehr an Vertrauen, Verständnis und Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Verwaltung nachzubessern. Dies kann ausschließlich im Zuge einer umfassenden bürgerschaftlichen, politischen und sozialen Mitwirkung erfolgen, welche die öffentlichen Behörden mittels entsprechender Konsultationsverfahren fördern müssen (31).

5.5.2   Eine stattliche Gruppe von Ländern hat unlängst fein strukturierte Beschlussfassungsprozesse in die Wege geleitet, bei denen die Mitwirkung der Zivilgesellschaft vorgesehen ist (Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Luxemburg, Mexiko, Niederlande, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten, Schweiz).

5.5.3   Die einzelnen Prozesse zur Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Akteure sind in Bezug auf Aufbau und Ausmaß recht unterschiedlich. Diese Unterschiede treten eher in der Phase der diskursiven oder dialektischen Interaktion auf (öffentliche Debatte und Ermittlung der Werte und Prioritäten) als in der ersten Anhörungsphase.

5.5.4   In der Anhörungssphase kommen hingegen häufig eigens eingerichtete Webseiten zum Einsatz, Arbeitsgruppen zu spezifischen Themenbereichen werden eingesetzt und Konsultationsprogramme kommen zur Anwendung, die eine intensive Nutzung von sozialen Netzwerken, Blogs und Umfragen (vor allem online) vorsehen. Gleichwohl wurde bislang in keinem Land ein sowohl formeller als auch substanzieller Bezug zwischen der im Wege der Beschlussfassung erfolgten Festlegung der Indikatoren und den wirtschaftlichen und finanziellen Planungsprozessen hergestellt.

5.5.5   Nach Ansicht des EWSA kann die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Ermittlung der Indikatoren für Wohlstand oder Fortschritt im Zuge ihrer aktiven Mitwirkung an der Auswahl der politischen Prioritäten ebenso wie an der Auswahl der zu überwachenden Informationen erfolgen.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  http://www.earthsummit2012.org/.

(2)  Siehe Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema „Jenseits des BIP: Messgrößen für nachhaltige Entwicklung“, ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53, und Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: Das BIP und mehr – Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel“, ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 64.

(3)  ABl. C 100 vom 30.4.2009, S. 53.

(4)  ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 64.

(5)  COM(2009) 433 final.

(6)  Simon Kuznets selbst – auf den die Verbreitung des BIP in den USA zurückgeht – hatte vor möglichem Missbrauch oder Missverständnissen gewarnt, zu denen die nicht korrekte Nutzung dieses Instrumentes führen könnte, und versucht, die Grenzen seiner Anwendung aufzuzeigen. Costanza, Rl, Hart, Ml, Psoner, S., Talberth, J., Beyond GDP: The Need for New Measures of Progress. Boston University.

(7)  Vereinte Nationen, 1987, Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung.

(8)  Die Studien konzentrieren sich hauptsächlich auf vier verschiedene methodische Ansätze: i) Indikatoren zur Korrektur des BIP, ii) alternative Indikatoren; iii) synthetische Indikatoren, iv) Indikatorensystem.

(9)  Das Projekt wurde 2004 in Palermo im Verlauf des ersten World Forums der OECD zum Thema „Statistics, knowledge and policy“ gestartet, drei Jahre später fand das zweite Forum (2007) in Istanbul zum Thema „Measuring and fostering the progress of society“ statt, wo die „Erklärung von Istanbul“ von Vertretern der EU, der OECD, der UNO, des UNDP, der Weltbank und der Organisation der islamischen Konferenz unterzeichnet wurde. 2009 fand in Busan (Südkorea) das dritte Forum der OECD zum Thema „Charting progress, building vision, improving life“ statt.

(10)  Auf ihrem jährlichen Forum (24./25. Mai 2011) präsentierte die OECD den „Better life index“, mit dem Reichtum, Wohlergehen und Lebensqualität mit Hilfe von elf Parametern (Wohnung, Einkommen, Arbeit, gemeinschaftliches Leben, Bildung, Umwelt, Governance, Gesundheitswesen, persönliche Zufriedenheit, Sicherheit, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben) gemessen werden: OECD, 2011, How's life? Measuring Well-Being, OECD Beller Life Initiative. http://www.oecdbetterlifeindex.org/.

(11)  COM(2009) 433 final.

(12)  14. September 2009.

(13)  http://www.stiglitz-sen-fitoussi.fr/en/index.htm.

(14)  Am 12. Oktober 2011 fand in Paris eine von der OECD, dem Nationalen Institut für Statistik und Wirtschaftsforschung (INSEE) und vom französischen Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Industrie veranstaltete Konferenz zum Thema „Two Years after the release of the Stiglitz-Sen-Fitoussi Report“ statt.

INSEE, 2011, Two years after the Stiglitz-Sen-Fitoussi report: What well-being and sustainability measures? INSEE' e contributions, Paris.

(15)  http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/docoffic/official/reports/cohesion5/index_de.cfm.

(16)  „Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung - Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU“, COM(2010) 367 final.

Verstärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung“, COM(2010) 250 final.

(17)  „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euroraum“, COM(2010) 525 final - 2010/0279 (COD).

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“, COM(2010) 527 final - 2010/0281 (COD).

(18)  Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung - Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU“, ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 7.

(19)  Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euroraum“, COM(2010) 525 final - 2010/0279 (COD) sowie zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“, COM(2010) 527 final - 2010/0281 (COD) – ABl. C 218 vom 23. Juli 2011, S. 53.

(20)  Wie u.a. vorgeschlagen im Bericht des Europaparlaments zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“ seitens der Berichtserstatterin Elisa Ferreira (2010/0281 (COD)) vom 16.12.2010.

(21)  OIL-FMI, The Challenges of Growth, Employment and Social Cohesion („Die Herausforderungen auf dem Gebiet des Wachstums, der Beschäftigung und der sozialen Kohäsion“), Gesprächsunterlage für die gemeinschaftliche Konferenz OIL-FMI, Oslo, 13. September 2010 (S. 67-73).

(22)  „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Das BIP und mehr - Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel“, COM(2009) 433 final.

(23)  Hall J., Giovannini E., Morrone A., Ranuzzi G., 2010, A Framework to Measure the Progress of Societies. Statistics Directorate. Working Paper Nr. 34. OECD, STD/DOC (2010)5, Paris.

(24)  Während die Verwaltung der Ressourcen das Ergebnis der Folgen der Maßnahmen und Handlungen ist, die der Mensch in Bezug auf das Ökosystem angesetzt hat (Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, Umweltbelastung), gewährleisten die Leistungen des Ökosystems eine Verknüpfung der beiden Systeme (menschliches System und Ökosystem) in beiden Richtungen (Versorgung von Nahrung, Wasser, Luft, Auswirkungen von Naturkatastrophen etc.), Hall J., Giovannini E., Morrone A., Ranuzzi G., 2010.

(25)  Giovannini, E., 2007, Statistics and Politics in a Knowledge Society, OECD, STD/DOC(2007)2, 29 may 2007, am 28.1.2010 einer Veröffentlichung im Internet entnommen, Seite: http://www.oecd.org/dataoecd/39/53/41330877.pdf.

Giovannini, E. 2009, Measuring Societys Progress: A key issue for policy making and democratic governance, am 28.1.2010 einer Veröffentlichung im Internet entnommen, Seite: http://www.oecd.org/dataoecd/6/34/41684236.pdf.

(26)  COM(2011) 211 final.

(27)  Unter diesem Gesichtspunkt wurde innerhalb des europäischen Statistiksystems die Sponsorship-Gruppe zur Messung von Fortschritt, Zufriedenheit und nachhaltiger Entwicklung eingerichtet. Sie hat die Aufgabe, die diesbezüglichen Maßnahmen zu koordinieren und die Empfehlungen der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission unter angemessener Berücksichtigung der Ziele der Europa-2020-Strategie umzusetzen.

(28)  Zur Vertiefung des Themas wird auf die EWSA-Konferenz zur partizipativen Demokratie „Mittels der partizipativen Demokratie die Vertrauenskrise in der EU überwinden“ verwiesen. Erwähenswert sind ferner: The Citizen's Handbook (http://www.vcn.bc.ca/citizens-handbook) e European Citizens' Initiative (http://www.citizens-initiative.eu/) – Kampagne zur Förderung der partizipativen Rechte der Unionsbürger.

(29)  Bei der Analyse der Dynamik der partizipativen Demokratie wird häufig zwischen „Top-Down“-Prozessen und „Bottom-Up“-Prozessen unterschieden. Die Tatsache, dass in beiden Fällen auf Interaktionen zwischen zwei verschiedenen Organisations- und Entscheidungsebenen verwiesen wird (die hingegen in Formen direkter Demokratie unbekannt sind) stellt die partizipative Demokratie als ein Objekt des Dialogs und des Prozesses dar, das bei der Konfliktlösung am besten zur Anwendung kommt. Hier wird das Zusammentreffen beider Prozesse angestrebt.

(30)  OECD, 2001, The well-being of nations: the role of human and social capital, OECD, Paris.

(31)  OECD, 2001, Citizens als partners, Information, consultation and public participation in policy-making, PUMA, OECD, Paris.