22.9.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 229/29


Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zu der „Mitteilung der Kommission — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des verarbeitenden Gewerbes in der EU — Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“

(2006/C 229/04)

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN

gestützt auf die Mitteilung der Kommission „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des verarbeitenden Gewerbes in der EU — Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“, KOM(2005) 474 endg.;

aufgrund des Beschlusses der Kommission vom 12. Oktober 2005, den Ausschuss der Regionen gemäß Artikel 265 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um Stellungnahme zu diesem Thema zu ersuchen;

aufgrund des Beschlusses seines Präsidenten vom 10. November 2005, die Fachkommission für Wirtschafts- und Sozialpolitik mit der Ausarbeitung einer diesbezüglichen Stellungnahme zu beauftragen;

gestützt auf den von der Fachkommission für Wirtschafts- und Sozialpolitik am 6. April 2006 angenommenen Stellungnahmeentwurf (CdR 39/2006 rev. 2) (Berichterstatter: Herr Onno Hoes (NL/ALDE), Mitglied der Exekutive der Provinz Noord-Brabant);

in Erwägung nachstehender Gründe:

1)

Eine neue und moderne, auf Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtete europäische Industriepolitik ist oberste Priorität der Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Die dieser Strategie zugrunde liegende Problematik betrifft alle Regionen der Europäischen Union; die zugrunde liegenden Prozesse verfügen über eine starke und unabwendbare Dynamik. Daher begrüßt der AdR den Ehrgeiz der Kommission und ihre Bereitschaft, die notwendigen Reformen wesentlich zu erleichtern.

2)

Angesichts der schnellen Veränderungen in der Weltwirtschaft besteht dringender Handlungsbedarf. Die Wettbewerbsposition der europäischen Industrie ist erheblich unter Druck geraten. Daraus erwächst ein zusätzlicher Druck auf die Geschwindigkeit und Durchschlagskraft der Reform der europäischen Industriepolitik. Der AdR würdigt das Engagement, das die Kommission von den Organisationen vieler Branchen erbeten und erhalten hat, fragt sich jedoch, ob dies genügend Ansatzpunkte bietet. Im weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerb entwickelt sich die künftige Kraft Europas vor allem in wettbewerbsfähigen Regionen, die wir in dieser Stellungnahme „Valleys“ nennen, abgeleitet vom Konzept des Sillicon Valley und inspiriert von der Philosophie des Weltwirtschaftsforums. Diese europäischen „Valleys“ sind, ausgehend von alten Industrien und Branchen, die künftigen Motoren wirtschaftlicher und sozialer Erneuerung.

3)

Beispiele sind etwa die Regionen Stockholm, Cambridge, Bayern, Rhône-Alpes, der Südosten der Niederlande sowie aufblühende Regionen wie Värmland, Riga und Sachsen-Anhalt. Der AdR ruft die Kommission dazu auf, diese Herangehensweise zum Mittelpunkt ihrer neuen europäischen Industriepolitik zu machen und somit stärker auf die Bildung regionaler wirtschaftlicher Komplexe in Europa zuzuschneiden. Das impliziert eine viel spezifischere Gestaltung der derzeitigen Vorschläge, die über die bloße Schaffung von Rahmenbedingungen nicht hinausgehen und damit in dieser Hinsicht zu wenig Neues bieten. Vor allem die Förderung sektorübergreifender Entwicklungen, die auf neue Produkt-Markt-Entwicklungen ausgerichtet sind, müssen künftig im Mittelpunkt der neuen europäischen Industriepolitik stehen.

4)

Der AdR führt in dieser Stellungnahme eine Reihe konkreter Vorschläge zur Herbeiführung einer weitaus größeren Schlagwirkung und tiefergehenden Integration der europäischen Instrumente an. Hierfür muss bereits während des kommenden deutschen Ratsvorsitzes eine solide Basis geschaffen werden. Wir rufen Kommission und Parlament auf, eine innovative und offensive Politik an den Tag zu legen.

verabschiedete auf seiner 65. Plenartagung am 14./15. Juni 2006 (Sitzung vom 14. Juni) folgende Stellungnahme:

1.   Standpunkt des Ausschusses der Regionen

Sektorübergreifende Vorschläge

1.1

Der Arbeitsplan der Kommission enthält sieben Vorschläge zu sektorübergreifenden Initiativen, mit denen gemeinsame, mehrere Gruppen von Industriezweigen betreffende Herausforderungen angegangen und Synergien zwischen den verschiedenen Politikbereichen gesteigert werden sollen:

eine Initiative zur Regelung des Schutzes geistigen Eigentums;

eine hochrangige Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt;

Maßnahmen in Bezug auf den Marktzugang (zu internationalen Märkten);

ein neues Programm zur Vereinfachung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften;

Verbesserung sektorbezogener Qualifikationen (besser qualifiziertes Personal);

Management des Strukturwandels im verarbeitenden Gewerbe;

ein integriertes Konzept für Forschung und Innovation.

1.2

Es geht hierbei ausnahmslos um Maßnahmen, die von höchster Wichtigkeit für eine Steigerung der Konkurrenzfähigkeit der europäischen Industrie sind. Deshalb will der AdR die Vorschläge im Großen und Ganzen uneingeschränkt unterstützen. Aus unserer Sicht ist es besonders wichtig, den Strukturwandel der Industrie zu unterstützen, ebenso sollte jedoch auch dem neuen Programm zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften Beachtung geschenkt werden. Das ist in diesem Rahmen der springende Punkt — hier muss der Schritt zur Begleitung und Förderung einer neuen, aus den Regionen heraus vollzogenen Industriepolitik erfolgen. Im Mittelpunkt der Diskussion über den Umgang mit den Herausforderungen und Chancen der Globalisierung muss die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union stehen, um den Wohlstand unserer Kinder zu sichern. Eine rückwärtsgerichtete protektionistische Herangehensweise, die auf die Wahrung der Errungenschaften aus der Vergangenheit bedacht ist, lehnen wir ab. Initiativen wie der von der Kommission vorgeschlagene Globalisierungsanpassungsfonds dürfen nicht defensiver Art sein, sondern müssen auf Entwicklung ausgerichtet sein, z.B. auf die Ausbildung in neuen aussichtsreichen Sektoren.

1.3

Der AdR spricht sich dafür aus, vermehrt bei der regionalen Innovationspolitik der Kommission anzuknüpfen, die ebenso darauf ausgerichtet ist, Clusterbildung und neue Formen der Zusammenarbeit anzuregen. In Europa gibt es schon mehrere Vorbilder eines gelungenen Zusammenspiels von Kommission und Regionen, so z.B. das Aktionsprogramm für Innovation in Noord-Brabant 2005-2010, „Connecting, creating and enabling winners“.

1.4

Gerade in der Entwicklung sektorübergreifender Vorschläge besteht die Chance einer modernen und besser integrierten europäischen Industriepolitik. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden in gedrängter Form auf einige der vorgeschlagenen Maßnahmen eingegangen werden, wobei das Hauptaugenmerk auf der Wahrnehmung der Möglichkeiten liegen soll, die eine integriertere Vorgehensweise bietet.

Hochrangige Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt

1.5

Energie und Umwelt sind die vorrangigen globalen Themen der nächsten Jahre.

Durch die Kommission angeregt muss eine Atmosphäre entstehen, in der Bedrohungen als Chancen angesehen werden. In diesen Bereichen finden sich interessante neue Märkte und Anknüpfungspunkte für die europäische Industrie- und Forschungspolitik.

Dies wird dazu beitragen, dass Energie und nachhaltige Entwicklung (umweltfreundlichere Erzeugnisse und Produktionsabläufe) nicht getrennt behandelt, sondern vollwertiger Bestandteil der Industrie- und Innovationspolitik werden. Der Entwicklung alternativer Energiequellen sollte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Energiekosten sind eine wesentliche Komponente der Produktionskosten unserer Industrie. Der AdR ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die Vernetzungskapazitäten dahingehend auszubauen, dass die Liberalisierung des Energiemarktes tatsächlich darauf hinausläuft, dass die Wirtschaft aus ganz Europa Gas und Elektrizität beziehen kann. Ein aktiver Beitrag zur Schaffung von Bedingungsgleichheit auf europäischer Ebene kann durch eine aktive Anteilseignerschaft lokaler und regionaler Gebietskörperschaften an Energiebetrieben geleistet werden.

Verbesserung sektorbezogener Qualifikationen

1.6

Der AdR unterstreicht, dass eine neue Industriepolitik im Rahmen der Lissabon-Strategie und im Kontext der Globalisierung betrachtet werden muss. Umstrukturierungsprozesse in den Regionen und Ländern sind Folgen dieser Entwicklungen. Wie in der Stellungnahme zur Frage der Umstrukturierung und Beschäftigung (CdR 148/2005 fin) betont wird, muss eine angemessene Steuerung der Umstrukturierungen sichergestellt sein. In diesem Zusammenhang sei auch auf die obenstehende Anmerkung zu einer entwicklungsbezogenen anstelle einer defensiven Ausrichtung des Globalisierungsanpassungsfonds verwiesen. Im Mittelpunkt der von Brüssel ausgehenden Umsetzung muss die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts stehen; dies muss u.a. auch die Grundlage eines besser funktionierenden und flexibleren Arbeitsmarktes sein. Es wäre zu empfehlen, den hier angesprochenen Themenbereich der „sozialen Innovation“ stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Die zentrale Frage ist die, wie es den europäischen Arbeitnehmern aller Bildungsniveaus ermöglicht werden kann, sich an die teils einschneidenden Umstrukturierungen anzupassen und nicht in strukturelle Arbeitslosigkeit zu geraten.

1.7

Die Steigerung der Arbeitsproduktivität, der Beschäftigungsrate und der Mobilität der Arbeitnehmer ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union von zentraler Bedeutung. Dieser Tatsache muss sowohl in der Politik der Mitgliedstaaten als auch durch die Programme und Strukturfonds der EU mehr Beachtung geschenkt werden. Des Weiteren müssen die Möglichkeiten einer (zeitlich begrenzten) Zulassung hochqualifizierter außereuropäischer Arbeitskräfte zum europäischen Arbeitsmarkt ausgeweitet werden, da eine solche Liberalisierung der Wettbewerbsfähigkeit Europas zu Gute kommt.

Schutz der Rechte an geistigem Eigentum

1.8

Der AdR weist darauf hin, dass einige wichtige Zweige des europäischen verarbeitenden Gewerbes noch einen beträchtlichen Vorsprung gegenüber ihren Wettbewerbern haben, die Globalisierung jedoch auch auf sie nachteilige Auswirkungen haben könnte. Ein angemessener Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums ist für die Wettbewerbsposition der EU lebenswichtig. Der Schutz des geistigen Eigentums schafft Anreize zu innovativem Handeln und zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen an die sich schnell verändernden technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst werden. Hier wird eine klare Rechtsetzung benötigt, die Rechtssicherheit bietet. Regeln müssen sowohl auf europäischer Ebene (Gemeinschaftsrecht) als auch weltweit (WTO, TRIPS) vereinbart und angewandt werden. Viele der innovationsfreudigen Unternehmer im KMU-Sektor wissen noch immer nicht, wie sie bei Verletzungen ihrer geistigen Eigentumsrechte vorgehen sollen. Für viele KMU erweisen sich die extrem hohen Kosten der Durchsetzung ihrer Rechte an geistigem Eigentum, die in Europa viel höher als beispielsweise in den USA sind, als großes Problem. Zudem ist es in Bezug auf die Kosten für Patentanmeldungen äußerst wichtig, dass jetzt, nachdem 30 Jahre lang nur darüber geredet wurde, das europäische Gemeinschaftspatent endlich zustande kommt. Fünf Jahre nach Vorlage eines konkreten Vorschlags durch die Europäische Kommission tut sich bei diesem Dossier im Rat noch immer nichts, da man sich über die Sprachenregelung uneins ist. Der AdR ruft die Kommission dazu auf, eine Harmonisierungsrichtlinie auf Grundlage von Artikel 95 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft vorzuschlagen. Dadurch können die nationalen Patentrechte beibehalten werden, unterliegen dann allerdings dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Durch eine Begrenzung der Sprachenzahl auf die Sprache des betreffenden Mitgliedstaates einerseits und Englisch andererseits können die Kosten des Gemeinschaftspatents erheblich verringert werden, was vor allem den KMU zu Gute kommt. Dadurch wird ein internationales, wettbewerbsfähiges Patent geschaffen. Außerdem muss die Steuer für die Patenterhaltung minimiert werden, die in vielen EU-Staaten nach wie vor erhoben wird und kein Anreiz für die Innovationsentwicklung ist.

Integriertes Konzept für Forschung und Innovation

1.9

Die europäischen Rahmenprogramme RP7 und CIP spielen in Verbindung mit den Strukturfonds eine sehr wichtige fördernde und steuernde Rolle. Die Mittel aus RP7 sind für die Wettbewerbsposition der EU und die Unterstützung der technologisch hoch entwickelten Regionen von äußerster Wichtigkeit. Das Budget darf bei der Festlegung der Finanziellen Vorausschau nicht geschmälert werden.

1.10

In dieser Stellungnahme wird ausdrücklich gefordert, die Bildung regionaler wirtschaftlicher Komplexe (europäische valleys) voranzutreiben. Dies bedingt die Möglichkeit einer stärkeren regionalen Bündelung der Strukturfonds in Rahmenprogrammen wie RP7 und CIP. Der AdR ruft die Kommission dazu auf, diesbezüglich konkrete Vorschläge zu unterbreiten.

Wichtig ist u.a. die Bündelung finanzieller Mittel für Spitzenforschung — in Stichworten: Förderung einer Kultur der „offenen Innovation“ und Clusterbildung in den Regionen.

1.11

Zur Entwicklung eines nachhaltigen wirtschaftlichen Modells einer Spitzentechnologie-Region wird mehr als nur intensive Forschungsinvestitionen benötigt. Dies hat u.a. die Erfahrung mit der „Brainport“-Region Eindhoven gezeigt. Durch die Förderung einer großen Bandbreite von Anwendungen bestimmter Kenntnisse in mehreren Innovationsketten werden auf allen Ebenen neue Arbeitsplätze geschaffen und das Wissen in der Region verankert. Die kleinen und mittleren Unternehmen haben somit Recht auf die gleiche Art von Förderung wie die Entwickler von Know-how. Der AdR ruft die Kommission dazu auf, die europäischen Programme und Strukturfonds zielgerichteter und als Multiplikatoren zur Förderung einzelner Innovationsketten in den jeweiligen Regionen einzusetzen. Dadurch können zahlreiche neue Arbeitsplätze auf Hoch-, Fachhoch- und Fachschulniveau geschaffen werden.

1.12

Diesbezüglich bittet der AdR, kleineren und mittelgroßen Unternehmen besondere Beachtung in Bezug auf den Zugang zu den europäischen Rahmenprogrammen und Fonds zu schenken. Hier bestehen aus Sicht des Ausschusses große Hindernisse — ohne eine Vereinfachung werden die Bestrebungen, vor allem für die KMU Anreize zu schaffen, wenig Aussicht auf Erfolg haben. Es muss so etwas wie eine „Kultur der offenen Innovation“ entstehen, in der Mittel und Projekte für KMU leichter zugänglich werden und gebündelter zur Verfügung stehen.

1.13

Aus den Erfahrungen mit regionaler Innovationspolitik geht hervor, dass den KMU vor allem die Wechselwirkung mit den größeren Unternehmen zugute kommt. Daher sei darauf hingewiesen, dass die europäische Industriepolitik der Wechselwirkung zwischen den großen Unternehmen (1) und den KMU bewusst mehr Beachtung schenken muss. Genauso wichtig ist die Wechselwirkung zwischen den KMU und den Forschungszentren.

1.14

Abschließend noch eine Anmerkung zu den Möglichkeiten einer stärker integrierten europäischen Industriepolitik. Besonders die Integration einer auf nachhaltige Entwicklung und sozialen Zusammenhalt ausgerichteten Politik verdient Aufmerksamkeit, da es sich hierbei um eine wichtige Herausforderung für Europa handelt. Mit diesem Programm kann die Kommission dazu beitragen, dass im Rahmen der Entwicklung zu einer nachhaltigen Wissensgesellschaft in Europa neue Formen der Zusammenarbeit und Produkt-Markt-Kombinationen in solchen Bereichen wie der Gesundheitsbranche (medizinisch-technische Innovation), Umwelt und Energie schneller Beachtung finden. Hier tun sich den europäischen Wirtschaftsmärkten interessante neue Märkte auf.

1.15

Ansonsten hat der Ausschuss bereits auf den Trend zur Bündelung und Spezialisierung wirtschaftlicher Spitzenaktivitäten hingewiesen. Dieser Trend kann durch andere Politikbereiche verstärkt werden, z.B. auf dem Gebiet der Raumordnung und der modernen Infrastruktur. Die Aufmerksamkeit der europäischen Politik muss sich auf die Schaffung von hervorragenden Bedingungen für (grenzüberschreitende) internationale Spitzenstandorte konzentrieren, die an die moderne europäische Infrastruktur angebunden und durch sie erschlossen werden. Unterstützung verdient des Weiteren die Idee des Vorsitzenden der Europäischen Kommission, Herrn Barroso, eine EU-Universität (EIT) zu gründen. Mittels eines technologischen Spitzeninstituts innerhalb der EU könnte eine weitere Abwanderung von Spitzentalenten ins außereuropäische Ausland verhindert werden. Es wird höchste Zeit, dass die EU über eine Einrichtung verfügt, die sich z.B. mit dem MIT in Boston messen kann.

Sektorbezogene Vorschläge

1.16

Die Kommission wird folgende neue Initiativen vorstellen:

Arzneimittelforum;

Halbzeitüberprüfung der Strategie für Biowissenschaften und Biotechnologie;

neue hochrangige Gruppen für die chemische Industrie und die Verteidigungsindustrie;

europäisches Raumfahrtprogramm;

Taskforce IKT-Wettbewerbsfähigkeit;

Dialog über die Politik im Bereich Maschinenbau;

Studien zur Wettbewerbsfähigkeit (IT, Lebensmittel, Mode und Design).

1.17

Aus den der Arbeit der Kommission zugrunde liegenden Sektorstudien geht hervor, dass viele europäische Wirtschaftszweige das Potenzial haben, weltweit konkurrenzfähig zu bleiben. Die Frage, in welchem Maße sich die Industrie den Herausforderungen in Bezug auf Wissen und Innovation im Zusammenhang mit neuen Produkten und Produktionsprozessen stellt, entscheidet darüber, ob ihre Leistung Weltniveau erreicht.

1.18

Dieser Veränderungs- und Erneuerungsprozess muss fortwährend sowohl durch die EU als auch durch die einzelnen Mitgliedstaaten unterstützt werden. Der Ausschuss stellt fest, dass die gegenwärtigen EU-Rahmenprogramme im Zusammenhang mit den (neuen) Strukturfonds ein wirksames Instrument zur Förderung bieten.

1.19

Für Sektoren wie die Maschinen- und Systemindustrie sind Bündelung und Masse in Bezug auf die Festlegung einer europäischen strategischen Agenda entscheidend. In diesem Zusammenhang sind die strategischen Agenden ENIAC und Artemis von wesentlicher Bedeutung für die europäischen und einzelstaatlichen Investitionen auf diesem Gebiet.

1.20

Auch wenn die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Branchen nach wie vor Beachtung finden muss, ist es wichtig festzustellen, dass der zukünftige Wohlstand in Europa immer mehr von sektorübergreifenden Aktivitäten abhängen wird. Dieser Sachverhalt verdient seitens der Kommission besondere Aufmerksamkeit. Die Industriepolitik kann auf diesem Gebiet zur Beschleunigung der Entwicklung beitragen, indem sie ein „Aufeinanderstoßen der Sektoren“ anregt, was per definitionem zu ruckartigen und spektakulären Produkt- und Marktinnovationen führt. Diese Entwicklung wird in einigen Sektoren bereits sichtbar, so z.B. in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie (Biowissenschaften), der biomedizinischen Technologie, den Automobil- und Hochtechnologiesystemen.

1.21

In dieser Hinsicht decken die von der Kommission genannten vier weit gefassten Kategorien nicht genug Bereiche ab. Bei den Biowissenschaften fehlt z.B. der wichtige Bereich der Molekularmedizin. Auch die Nanoelektronik und die eingebetteten Systeme (embedded systems) müssen ausdrücklich genannt werden. Außerdem muss ein umfassenderer Begriff für Mode- und Designindustrie gewählt werden, z.B. „kreative Industrie“, um den gegenwärtigen Entwicklungen auf diesem Gebiet Rechnung zu tragen.

1.22

Es scheint also immer wichtiger zu sein, die zusammenhängenden Cluster industrieller Aktivitäten zu fördern und neue, aufstrebende industrielle Aktivitäten anzuregen. Diesen Aspekt sollte die Kommission ausdrücklich in ihren Arbeitsplan aufnehmen, um ihm mehr Gewicht zu verleihen.

1.23

Das sogenannte Clustermodell, also die intensive und strukturelle Zusammenarbeit zwischen Behörden, Unternehmen und Bildungseinrichtungen, stellt in dieser Hinsicht einen entscheidenden Erfolgsfaktor für alle innovativen Regionen in Europa dar — so z.B. für die Region Stockholm, für Bayern, Ile-de-France, Rhône-Alpes und den Südosten der Niederlande. Im Rahmen einer erneuerten und besser integrierten europäischen Industriepolitik verdient ein solcher Ansatz uneingeschränkte Unterstützung.

2.   Sonstige Empfehlungen des Ausschusses der Regionen

Europa im Jahre 2027 (Vision)

2.1

Der Arbeitsplan der Kommission beruht auf der Lissabon-Strategie und den Zielen von Göteborg und bildet in dieser Hinsicht ein in sich stimmiges Ganzes. Wie bereits eingangs angemerkt, beinhaltet er viele gute und wertvolle Vorhaben, was nur von Wenigen bezweifelt werden dürfte. Es fehlt jedoch eine deutliche Vision von der Fähigkeit Europas, sich von der weltweiten Konkurrenz abzuheben.

2.2

Der AdR empfiehlt, ein Bild zu entwickeln, das anregend wirkt und Enthusiasmus aufkommen lässt. Wo wird Europa 2027 stehen? Wie hat die europäische Industrie die 2006 formulierten Aufgaben bewältigt? Inwieweit hat der Einsatz für „intelligente Regionen“ zu wirtschaftlicher und sozialer Erneuerung in allen europäischen Mitgliedstaaten geführt? Wie erfolgreich haben wir in der nachhaltigen Wissensgesellschaft die Herausforderungen auf den Gebieten der Energie, des Umweltschutzes und der Gesundheitsbranche angenommen und in neue Chancen und Märkte verwandelt? Und so weiter und so fort.

Einsatz für Spitzenregionen in Europa und Wechselwirkung mit den Regionen

2.3

Es ist empfehlenswert, sich stärker für aussichtsreiche Entwicklungen in den verschiedenen Regionen einzusetzen. Hierbei sollte man bei den wirtschaftlichen Verdichtungen und Spezialisierungen, die sich in den kommenden Jahren in Europa immer stärker entwickeln werden, anknüpfen. Ausgangspunkt hierfür ist die Förderung von Spitzenregionen, die zu einer breit angelegten wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung in allen Mitgliedstaaten führt.

2.4

Es wird empfohlen, im Rahmen der neuen EU-Industriepolitik Kriterien zur Auswahl zukunftsträchtiger wettbewerbsfähiger Spitzenregionen auf europäischer Ebene sowie in jedem Mitgliedstaat festzulegen, die es ermöglichen, Mittel aus europäischen Investitionsprogrammen in diese wettbewerbsfähigen Regionen fließen zu lassen, um staatliche und regionale Investitionen zu ergänzen und auch ihre materielle und immaterielle Produktion zu fördern.

In dieser neuen Industriepolitik, die auf aussichtsreiche Entwicklungen und neue regionale wirtschaftliche Komplexe ausgerichtet ist, muss im Rahmen der „neuen Solidarität“ auch die ausdrückliche Förderung der Regionen mit Nachholbedarf enthalten sein. Der AdR schlägt der Kommission vor, ein System mit Hebelwirkung vorzusehen, das z.B. so aussehen könnte, dass das Eingehen interregionaler wirtschaftlicher Partnerschaften zur Bedingung für die Förderung durch EU-Rahmenprogramme und Strukturfonds gemacht wird.

Vom sektor- zum clusterbezogenen Ansatz (neue Bereiche)

2.5

Die Förderung der europäischen Spitzensektoren auf dem Weg zur Weltklasse ist und bleibt ein wichtiges Ziel der europäischen Industriepolitik. Der zukünftige Wohlstand wird aber in immer größerem Maße von sektorübergreifenden Aktivitäten abhängen. Es wird empfohlen, im Arbeitsplan der Kommission („breite Kategorien“) die bereits stattfindenden, selbständigen Entwicklungen deutlicher hervortreten zu lassen.

2.6

Daher empfiehlt der AdR, in der neuen Industriepolitik der Kommission vermehrt auf die strategische Bedeutung des sektorübergreifenden Ansatzes einzugehen und die Kraft des „Aufeinanderstoßens der Sektoren“ wahrzunehmen. Die strukturelle Zusammenarbeit zwischen Behörden, Unternehmen und Bildungseinrichtungen, auch „dreifacher Helix“ genannt, ist hierfür die maßgebliche Voraussetzung. Dieses Clustermodell ist eine der Visitenkarten der neuen europäischen Industriepolitik.

2.7

Die Förderung des „Aufeinanderstoßens der Sektoren“ ist auf Innovationen in völlig neuen Produkt-Markt-Kombinationen in der Industrie ausgerichtet. Allerdings geht dies über die Bereiche der Industrie hinaus; auch das Aufeinanderstoßen mit anderen, sozialen und gesellschaftlichen Bereichen führen zu einer neuen Dynamik. Der AdR verweist in diesem Zusammenhang auf das Aufeinanderstoßen mit der Kunst und der Kultur (kreative Industrie), das Aufeinanderstoßen der Kulturen (neue interkulturelle Unternehmerschaft) oder mit der beruflichen Ausbildung (neues Know-how). Auch auf diesen Gebieten kann und muss die EU eine wichtige fördernde Rolle spielen. Der AdR ruft die Kommission dazu auf, dies in den Programmen und neuen Strukturfonds zu berücksichtigen.

Starke Impulse für Innovation

2.8

Vor allem die sektorübergreifenden Vorschläge bieten Anknüpfungspunkte für einen starken Integrationsimpuls in der europäischen Politik. Der Ausschuss empfiehlt, folgende zusätzliche Schwerpunkte zu setzen:

In Bezug auf Energie, Umwelt und die Gesundheitsbranche die „gesamtgesellschaftlichen Probleme“ im Rahmen der zukünftigen europäischen nachhaltigen Wissensgesellschaft in Chancen auf dem Markt verwandeln (siehe 2.1).

Eine europäische Taskforce für „soziale Innovation“ nicht am Rande, sondern im Mittelpunkt der europäischen Industriepolitik, die sowohl den hochqualifizierten Arbeitskräften Aufmerksamkeit schenkt, als auch den am wenigsten qualifizierten Arbeitskräften Perspektiven eröffnet.

Ein integrierter Ansatz für Forschung und Innovation: größere Abstimmung zwischen den Rahmenprogrammen und Strukturfonds in den Plänen und Leitlinien, vor allem die Bündelung der Mittel für Spitzenforschung.

Vergabepolitik: Dieser Bereich blieb unbeachtet, obwohl er aus der Sicht einer Förderung der KMU, für die sich die Vergabepolitik der EU zunehmend ungünstiger auswirkt, durch eine sektorübergreifende Politikinitiative abgedeckt werden muss.

Beitrag von anderen europäischen Politikbereichen zur Schaffung internationaler (d.h. grenzüberschreitender) Spitzenstandorte in Europa.

Entbürokratisierung, Zugänglichkeit für KMU

2.9

Der Arbeitsplan der Kommission misst der innovativen Kraft der KMU sehr zu Recht einen hohen Wert bei. Inwieweit die Unternehmen auch tatsächlich erreicht werden, hängt jedoch vor allem stark von der Vereinfachung der europäischen Rechtsetzung ab. Die jetzigen Vorschläge in Bezug auf die KMU würden zu einer erheblichen Abnahme der Möglichkeiten z.B. zur Subventionierung von Forschung und Entwicklung in den KMU führen, was im direkten Widerspruch zur Stärkung der weltweiten Wettbewerbsfähigkeit steht. Bereits jetzt gibt ein durchschnittliches mittelständisches Unternehmen in den USA siebenmal soviel für FuE aus als ein entsprechendes Unternehmen in der EU.

2.10

Bald will und kann kein einziger Betrieb mehr alle Verwaltungsauflagen der EU erfüllen, nur um eine Subvention von 15 % zu erhalten. Deshalb schlägt der AdR eine umfassende Entbürokratisierung vor, die die europäischen Rahmenprogramme und Fonds für KMU leichter zugänglich macht. Alle in diese Richtung weisenden Vorschläge der Kommission werden von uns uneingeschränkt unterstützt.

In diesem Zusammenhang wird die Mitwirkung der regionalen Gebietskörperschaften als die den KMU am nächsten stehende Ebene den mittelständischen Unternehmen den Zugang zu Gemeinschaftsmitteln erleichtern.

2.11

Deregulierung und Abbau des Verwaltungsaufwands infolge europäischer Rechtsetzung tragen neben einer strikten Kosten-Nutzen-Abwägung dieser Rechtsetzung erheblich zur Umsetzung der Ziele von Lissabon bei. Die Evaluierung der Auswirkungen der europäischen Rechtsetzung auf die Unternehmen („business impact assessment“) spielt hierbei eine wichtige Rolle. Im Sinne der Qualitätssicherung einer solchen Evaluierung muss diese in objektiver Weise durch eine dritte, unabhängige Partei durchgeführt werden. Der AdR ruft die Europäische Kommission zur schnellstmöglichen Vorlage von Vorschlägen auf. Als Ausgangspunkt könnte hierzu der niederländische Mechanismus einer unabhängigen Kontrollinstanz (Adviescollege Toetsing Administratieve Lasten, ACTAL) dienen.

Schlussbemerkung

Mit Blick auf die anstehende Halbzeitbewertung durch die Kommission wäre dem AdR sehr an einer Reaktion auf die in dieser Stellungnahme dargelegten Vorschläge und Anmerkungen gelegen. Des Weiteren sollte die Kommission die Einführung eines jährlichen Folgeberichts erwägen. Der AdR ist gerne bereit, sich zu diesen Folgeberichten zu äußern.

Brüssel, den 14. Juni 2006

Der Präsident

des Ausschusses der Regionen

Michel DELEBARRE


(1)  In dieser Hinsicht sollte auch der Definition des Begriffs große Unternehmen Beachtung geschenkt werden.